ZEHN
Der Pilot landete den Hubschrauber in der Nähe des Anlegers. Max und Jamie warteten, bis die Rotorblätter sich nicht mehr drehten, und stiegen aus. Deedee begrüßte sie als Erste.
»Ich hab mir solche Sorgen gemacht!«, sagte sie und umarmte erst Jamie, dann Max.
»Uuuh, ihr stinkt nach Sumpf.«
Jamie entdeckte Phillip, dem die Erleichterung anzusehen war. Sie ging zu ihm. Er nahm sie fest in den Arm. »Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, weil ich mir solche Sorgen gemacht habe«, sagte er. »Du glaubst gar nicht, wie erleichtert ich war, als Lamar endlich anrief und gesagt hat, dass es dir gut geht. Warum um alles in der Welt wolltet ihr zu Swamp Dog?«
Jamie wusste, dass er wegen der ganzen Sache immer noch ärgerlich war. »Es sind zwei Anschläge auf mich verübt worden, Phillip. Frankies Haus ist in Brand gesteckt worden. Da warst du doch dabei. Was soll ich denn da tun? Weggucken und mir eine Kugel in den Rücken jagen lassen?
»Dafür haben wir doch die Polizei, Jamie. Du hast dich nicht in die Ermittlungen einzumischen. Oder seit wann bist du Polizistin?«
Sie streichelte ihm die Wange. »Jetzt bin ich ja wieder in Sicherheit, Phillip. Lass uns später darüber reden.«
»Tut mir Leid. Du siehst ziemlich erschöpft aus. Du hast bestimmt überhaupt nicht geschlafen.«
»Ehrlich gesagt habe ich besser geschlafen als ich dachte. Max ist wach geblieben, damit ich mich ausruhen konnte.«
»Lasst uns nach Hause fahren«, sagte Deedee. »Wir sind alle kaputt. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich muss mich ein bisschen hinlegen, und Max und Jamie sind bestimmt halb verhungert.«
»Ach was, Jamie hat genug Fische für eine kleine Armee gefangen«, sagte Max.
Phillip sah von einem zum anderen. »Hört sich an wie eine Episode aus Robinson Crusoe. Ich wusste gar nicht, dass meine Braut so eine Abenteurerin ist.« Jamie sah ihn forschend an. »Was hast du denn?«, flüsterte sie.
Phillip zog sie beiseite. »Was läuft mit euch beiden? Wie sieht das denn aus, dass du die Nacht mit Max Holt verbracht hast? Soweit ich weiß, hat er in der Beziehung einen ganz schön heftigen Ruf.
»Was hätten wir denn tun sollen?«, fragte Jamie. »Unser Boot ist gekentert. Ich war mehr damit beschäftigt, das zu überstehen, als mir um den Tratsch Gedanken zu machen.«
»Echt, Jamie, du machst vielleicht Sachen.«
Sie verlor die Geduld mit ihm. »Jemand hat versucht, mich umzubringen, Phillip. Verstehst du das? Findest du es so komisch, dass ich wissen will, wer das ist?« Plötzlich merkte sie, dass sie schrie.
»Das ist Lamars Job.«
»Bis Lamar irgendwas rauskriegt, kann ich längst tot und begraben sein.«
»Ich bin bald dein Mann. Ich bin dafür zuständig, dass dir nichts passiert.«
»Dann arbeite mit mir zusammen statt gegen mich.«
Er runzelte die Stirn. »Das ist wohl gerade nicht der richtige Moment für solche Diskussionen«, sagte er. »Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, ich dachte, du wärst tot. Ich schätze, ich muss mich erst mal wieder beruhigen. Ich rufe dich nachher an.« Er stieg in seinen Mercedes und fuhr ab.
Jamie sah den Wagen hinter der Kurve verschwinden. Als sie aufblickte, stand Max da.
»Sieht aus, als müsste ich dich mitnehmen«, sagte er.
Sie stiegen in Max‘ Wagen und wollten sich zu Hause wieder mit den anderen treffen.
»Guten Morgen, Muffin«, sagte Max, als sich die Sicherheitsriegel um sie geschlossen hatten. »Hast du mich vermisst?«
»Wurde auch Zeit, dass ihr wiederkommt«, sagte sie kurz angebunden. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht, ich hätte fast mein ganzes System neu gebootet. Habt ihr Swamp Dog getroffen?«
»Ja. Ich könnte dich ja mit ihm verkuppeln.«
»Ich bin gerade nicht in der Stimmung für deine Witze, Max. Außerdem habe ich was mit einem Laptop am MIT, aber immer, wenn wir uns gerade so richtig nett unterhalten, willst du irgendwas von mir und ich muss ihn abwürgen. Was ja wohl zeigt, dass ich kein bisschen Privatsphäre habe. Deine Angestellten machen sich Sorgen um dich. Sie glauben, ich mache meine Arbeit nicht richtig. Wie sieht das denn aus.«
»Sag ihnen, dass es mir gut geht und sie sich keine Sorgen zu machen brauchen.«
»Ich bin schon dabei. Max, dieser Job ist einfach zu stressig. Ich sollte kündigen. Ich möchte für jemanden arbeiten, der ein ganz normales Leben führt.«
»Niemand ist normal, Muffin. Außerdem würde dir ganz schnell langweilig werden. Was hast du denn für mich rausgefunden?
»Also einfach so weiter, als wäre nichts passiert?«, sagte sie.
»Okay, es tut mir Leid, dass ich dich beunruhigt habe.«
Sie seufzte. »Ab sofort behalte ich meine Gefühle für mich. Mir doch egal, ob du nackt den Mount Everest runterskatest, verstanden? Nur erzähl mir vorher nichts davon.«
»Die Infos, Muffin.«
»Sagt dir der Name Harlan Rawlins was?«
»Habe ich mal gehört.«
»Er ist eine große Nummer in der Erweckungsbewegung, aus Tennessee.«
»Ich gehe nicht oft zu solchen religiösen Veranstaltungen, aber jetzt, wo du es sagst, ja, ich habe was über ihn gelesen.«
»Harlan war einer von denen, die ein Angebot für deinen Fernsehsender abgegeben haben.«
»Den Verkauf hat mein Broker geregelt.«
»Harlan hat jede Menge Anhänger, und soweit ich weiß, ist er total fanatisch. Und verrückt.«
»Sind das nicht die meisten Fanatiker?«
»Jedenfalls war er anscheinend nicht happy, dass du den Sender an jemand anders verkauft hast. Er wollte ihn nämlich gerne nutzen, um die Frohe Botschaft zu verbreiten.
»Hat er denn so viel Geld?«
»Wie gesagt, er hat ein Gebot abgegeben, aber dein Broker hat an ein Bildungsinstitut verkauft, und Rawlins war aus dem Rennen. Ich habe gehört, einige seiner Anhänger sind ganz schön nachtragend.«
»Wie groß ist denn seine Gemeinde?«
»Es geht um mehrere Hunderttausend Leute. Er macht einen auf Kleinstadtprediger, der gerade mal selbst zurechtkommt. Arbeitet mit Einschüchterungen, du weißt schon, Hölle und Verdammnis und so. Er hat dreimal die Woche einen Radiospot, auch sonntags. Ich habe mir gestern eine seiner sogenannten Predigten angehört. Da kriegt man Albträume.«
»Und abgesehen davon, warum sollte ich Angst vor ihm haben?«
»Er hat Freunde an den falschen Stellen.«
»Wie falsch?«
»Verbindungen in die Unterwelt. Und das bedeutet professionelle Killer.«
Max dachte nach. »Wenn das stimmt, dann würde das die Waffe erklären, die bei der Gazette benutzt wurde, aber es erklärt nicht die Drohungen gegen Frankie.«
»Vielleicht spielen sie Spielchen. Es gibt auch noch eine andere Möglichkeit. Vielleicht benutzen sie Frankies politische Aktivitäten, um von sich abzulenken.«
Max und Jamie sahen sich an. »Und hast du was über die Steuergelder herausbekommen?«
»Max, die Leute, die in dieser Stadt das Sagen haben, sind graue Eminenzen. Da ist alles total verfilzt, wie wir vermutet haben. Aufträge für neue Gebäude oder Parks werden so ausgeschrieben, dass von vornherein nur ein oder zwei Leute den Ansprüchen gerecht werden können.«
»Du meinst, es ist egal, wenn ein Angebot überteuert ist, weil der Auftrag sowieso an jemanden aus diesem Kreis vergeben wird?«
»Genau.«
»Hast du herausgekriegt, wer alles dazugehört?«
»Ich habe Bankkonten überprüft. Sieht alles normal aus. Ich habe keine Ahnung, wohin das Geld verschwindet.«
»Wahrscheinlich außer Landes.«
»Deedee hat gesagt, dass drei Wrestler bei ihnen sind«, sagte Muffin. »Wie gut kennst du sie, und was wollen die hier?«
»Ich kenne sie schon von Kind an. Wahrscheinlich sind sie da, um den beiden den Rücken zu stärken, aber es würde mich auch nicht überraschen, wenn sie sich als Sicherheitskräfte anbieten würden.
»Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen«, sagte Muffin.
»Hör mal, ich brauche noch was.«
»Ja, ja, ja«, grollte sie. »Was ist es diesmal?«
»Was hast du denn?«
»Was ich habe? Ist es dir jemals in den Sinn gekommen, mal danke zu sagen für das, was ich bisher getan habe? Mein Job ist nicht ganz einfach, ist dir das eigentlich klar? Du schläfst nachts, ich nicht. Ich muss Doppelschichten fahren, um hinterherzukommen. Ich bin müde, Max.«
»Und reichlich gereizt.«
»Sitz du doch mal den ganzen Tag in diesem heißen Auto. Du könntest wenigstens …« Sie machte eine Kunstpause und schniefte. »… im Schatten parken.«
Max und Jamie sahen sich vielsagend an. »Um Himmels willen, weinst du?«, fragte er.
»Nein.« Ihre Stimme versagte.
»Tust du wohl.«
»Du hast sie ganz schön verärgert, Max«, sagte Jamie.
»Herrgott, Muffin, ich fasse es nicht.«
»Du nimmst mich überhaupt nicht ernst. Du fragst mich nie, wie es mir geht oder ob ich einen schönen Tag hatte. Du lässt mich den ganzen Tag in der Sonne schmoren und stellst eine Forderung nach der anderen. Ich hab‘s echt satt. Du stehst als supertoller Multimillionär und als Supergenie da, und ich sitze den ganzen Tag hier fest und warte auf den nächsten Auftrag. Dich finden alle toll, und mir wird es nie gedankt.«
»Da hat sie recht, Max«, sagte Jamie. »Du könntest wirklich ein bisschen mehr Dankbarkeit zeigen.«
Max saß da und war offensichtlich völlig verdattert. »Ich habe sie gemacht, Jamie. Ihre Speicherbank ist so groß, dass sie rund um die Uhr Informationen speichern kann. Ich habe sie zu dem gemacht, was sie ist.«
»Und er lässt keine Gelegenheit aus, mich daran zu erinnern«, sagte Muffin.
»Was willst du, Muff?«, fragte er.
»Erstmal könntest du zum Beispiel die Klimaanlage einschalten. Mir ist dermaßen heiß, ich habe das Gefühl, mir schmelzen die Drähte.«
»Hast du mit Deedee gesprochen?«
»Ja. Ich bin die Einzige, die der armen Frau zuhört. Ich bin die Einzige, die sich um sie kümmert. Sie ist in der Prämenopause, und keinen interessiert‘s. Ihr habt ja keine Ahnung, was das mit den Hormonen einer Frau anstellt.«
Max schüttelte traurig den Kopf und drehte sich zu Jamie. »Offensichtlich hat sie alles verarbeitet, was Deedee ihr erzählt hat, genauso wie sie alles verarbeitet, was meine Leute und ich in sie einspeisen. Sie hat auch Deedees Eigenheiten übernommen, und jetzt glaubt sie, sie hätte Hitzewallungen.«
»Ich habe Hitzewallungen«, sagte Muffin.
»Ich muss sie neu programmieren«, flüsterte Max Jamie zu, »aber dazu habe ich jetzt keine Zeit.«
»Hört doch auf, über mich zu reden, als wäre ich nicht da«, fauchte Muffin.
»Weißt du was, Muff«, sagte er. »Ich verspreche dir, ab sofort aufmerksamer zu sein.« Schweigen.
»Und es tut mir Leid, okay? Ich bemühe mich auch, im Schatten zu parken.« Sie schniefte. »Danke, Max.«
Zu Hause angekommen stellte Max erleichtert fest, dass noch zusätzliche Wachleute eingestellt worden waren. Während Jamie mit Vera und Mike Henderson telefonierte, sprach Max mit Frankie und dem Sicherheitschef Tim Duncan.
»Nur, dass Sie‘s wissen, ich habe noch ein paar Männer angeheuert, falls Sie neue Gesichter sehen«, sagte Duncan.
Max lächelte. »Klasse, dass Sie überhaupt noch Leute gefunden haben. Wir haben ja schon eine kleine Armee hier und bei der Zeitung. Ich nehme an, Sie haben sie alle überprüft?«
»Sind alle sauber.«
Der Butler klopfte und trat ein, wie meistens im wärmenden Mantel. »Entschuldigen Sie bitte, Mr Fontana, aber da ist ein, äh, Mensch, der Mr Holt sprechen will.«
»Wer denn?«, fragte Max.
»Er wollte seinen Namen nicht nennen, und ich habe nicht drauf bestanden. Ich hatte auch Bedenken, ihn hereinzubitten.«
»Ich bin gleich wieder da«, sagte Max. Er verstand den Widerwillen des Butlers, als er die Haustür öffnete. Ihm gegenüber stand Swamp Dog, umringt von einer Handvoll Sicherheitsleute. Max legte die Stirn in Falten. »Ich bin einigermaßen überrascht, Sie hier zu sehen.«
Swamp Dog betrachtete die Leute vom Sicherheitsdienst verächtlich. »Haut ab«, sagte er. Max nickte den Männern zu. »Ist schon okay.« Er wartete, bis sie verschwunden waren, dann sprach er. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich wollte noch mal mit Ihnen über das Jobangebot reden.«
Max führte den Mann ins Arbeitszimmer und stellte ihn Frankie und Duncan vor. Beide waren perplex. »Swamp Dog wird für uns arbeiten«, erklärte Max.
»Ich arbeite allein«, antwortete Swamp Dog. »Ich komme und gehe, wie ich will, und ich lasse mir von niemandem was vorschreiben. Wenn mir einer blöd kommt, dem schneid ich den Magen raus und zwinge ihn, den zu essen.«
»Ja, gut, das klingt vernünftig«, sagte Frankie und beäugte Max. »Was brauchen Sie für den Anfang?«, fragte er.
Swamp Dog zog eine .47er Magnum aus dem Hosenbund und ein Jagdmesser aus einem Stiefel. Die schmale Klinge blitzte im Morgenlicht auf. »Das reicht erst mal. Wo krieg ich hier was zu fressen? Mit leerem Bauch fang ich nicht an.«
Frankie rief den Butler, der in der Nähe wartete. »Nehmen Sie Mr, äh, unseren Gast doch bitte mit in die Küche, und sorgen Sie dafür, dass der Koch ihm was zu essen macht.« Sobald sie allein waren, wandte Duncan sich an Max. »Sind Sie sicher, dass der Typ sauber ist? Der sieht aus, als würde er ohne mit der Wimper zu zucken seiner Mutter im Schlaf ein Loch in den Kopf schießen.«
»Vielleicht behalten Sie ihn ein bisschen im Auge«, war alles, was Max dazu sagte. Frankie vergrub den Kopf in den Händen. »Ich ziehe das mit dir durch, Max, obwohl ich so meine Zweifel habe. Aber Deedee darf ihn nicht sehen.« Er hatte es kaum ausgesprochen, da kam ein Kreischen aus der Küche.
»Uuuh!«, schrie Deedee so laut, dass fast die Scheiben zersprungen wären. »Wer sind Sie denn?«
Frankie schüttelte traurig den Kopf. »Zu spät.«
Eine Stunde später hatten Max und Jamie geduscht und ein paar Tassen Kaffee getrunken, stiegen in sein Auto und fuhren zur Zeitung. Jamies verdatterter Gesichtsausdruck sagte Max, dass sie Swamp Dog ebenfalls gesehen hatte.
»Das gefällt mir nicht, Max. Ich traue dem Kerl nicht über den Weg.«
»Mach dich mal locker«, sagte er, »ich weiß schon, was ich tue.«
Muffin sprach. »Max, mach doch die Scheißklimaanlage an.«
Er tat wie ihm geheißen. »Die Klimakteriumsanlage, hm? Immer noch Hitzewallungen?« Muffin grunzte. »Mir ist so heiß, ich überhitze noch den Motor.«
»Das tut mir Leid, Muffin«, sagte Jamie. »Zu blöd, dass du keine Hormonbehandlung machen kannst.« Sie sah Max an und schüttelte den Kopf. »Ich fasse es nicht, dass ich das gesagt habe.
Er lächelte. »Muffin, genau mit dir wollte ich gerade sprechen.«
»Was ist denn jetzt schon wieder?«
»Ich brauche die Namen von allen, die in dieser Stadt irgendeinen Posten haben. Alle, auch den Stadtdirektor und den Rechnungsprüfer. Wenn du die hast, überprüf sie bitte alle vollständig.«
»Schon angefangen.«
»Danke. Hast du schon was über Hodges oder diesen Prediger?«
»Ich konzentriere mich im Moment auf Hodges, weil der erstmal dringender zu sein scheint, aber du weißt ja, wie es ist, die Firewall von Militärrechnern zu knacken. Ich sage Bescheid, sobald ich was habe.«
Als Jamie und Max bei der Zeitung ankamen, fanden sie dort eine Baustelle vor; das Gebäude wurde komplett renoviert. Das große Fenster auf der Straßenseite war ersetzt worden, und Männer auf Leitern verputzten Risse im Beton. Innen sah es so ähnlich aus. Vera sah von ihrem ramponierten Computer auf. Sie starrte Jamie an. »Wenn du nicht erwachsen wärst, würde ich dich übers Knie legen und dir die Tracht Prügel deines Lebens verpassen.«
»Guten Morgen, Vera.«
»Jetzt tu bloß nicht, als wäre nichts gewesen. Ich habe kein Auge zugemacht, nachdem Lamar mich heute Nacht angerufen hat. Bist du völlig bescheuert geworden, einfach abzuschwirren, um mitten im Sumpf einen durchgeknallten Killer zu suchen?« Sie sah Max an. »Von Jamie war so was ja zu erwarten, sie ist so kapriziös und verantwortungslos …«
»Kapriziös und verantwortungslos?«, quiekte Jamie.
»Aber von Ihnen hätte ich das nicht gedacht«, sagte Vera zu Max.
»Ich wollte ja auch nicht«, sagte er, »aber Jamie hat gedroht, dann würde sie allein hinfahren.«
Jamie klappte die Kinnlade herunter, als sie zu ihm herumwirbelte. Ihre Verärgerung loderte noch auf, als sie seinen Mundwinkel zucken sah. »Also, du bist doch ein …«
»Versuch es gar nicht erst«, sagte Vera. »Nach dem, was du mir heute Nacht angetan hast, dulde ich jetzt garantiert keine Schimpfwörter.« Sie grabschte nach ein paar rosafarbenen Zetteln. »Willst du deine Nachrichten noch haben, bevor du wieder nach Gott-weiß-wohin verschwindest?«
Jamie warf finstere Blicke in Max‘ Richtung und nahm die Zettel von Vera entgegen. »Ich bin in meinem Büro«, sagte sie.
»Da kannst du nicht rein, da sind die Anstreicher drin.«
»Dann arbeite ich im Konferenzraum. Allein.«
»Da sind sie auch.«
»Verdammt. Wo, zum Teufel, soll ich denn arbeiten?«
Vera hielt die Kasse hoch. »Fünfundzwanzig Cent, bitte.«
»Ich mach das schon«, sagte Max und angelte in einer Hosentasche nach einer Münze.
»Keine Chance«, sagte Jamie. »Das zahle ich verdammt noch mal selbst. Ach, verdammter Mist …« Sie schlug die Hand vor den Mund.
»Damit wären wir bei fünfundsiebzig Cent«, sagte Vera. »An deiner Stelle würde ich einfach mal die Klappe halten.«
»Das ist das Lächerlichste, was ich je gehört habe«, fauchte Jamie und suchte in ihrem Portemonnaie nach Geld. »Ich bin ein erwachsener Mensch, und ich sage, was ich will.« Sie reichte Vera einen Dollar. »Und vergiss ja nicht, dass ich noch einen Vierteldollar guthabe.«
Vera stopfte den Schein durch den Schlitz des Plastikdeckels. »Die Maler sagen, sie brauchen etwa eine Woche für das ganze Gebäude, mit den Ausbesserungsarbeiten, die gemacht werden müssen. Sie wollen die Innenräume nachts streichen, damit wir nicht schließen müssen, aber wahrscheinlich müssen wir sämtliche Fenster offen lassen. Das wird irre heiß hier drin.«
»Dann ziehen Sie mal los, und kaufen Sie so viele Ventilatoren, wie Sie wollen«, sagte Max. Er sah Jamie an. »Wir müssen eh nicht hier rumhängen, wir haben anderes zu tun.«
»Zum Beispiel?«, fragten Jamie und Vera im Chor.
»Wir müssen mal dem Rathaus einen Besuch abstatten.«
»Du kannst doch nicht einfach ins Rathaus marschieren und nach wichtigen Unterlagen fragen«, sagte Jamie.
»Nein, aber dein Verlobter kann das.« Kurz darauf stiegen sie wieder ins Auto.
»Ich habe neue Informationen für dich, Max«, sagte Muffin.
»Dann lass mal hören.«
»Die Stadt arbeitet hauptsächlich mit der Beaumont Savings and Loan Bank zusammen. Offensichtlich hatte der ursprüngliche Kreditsachbearbeiter kein besonderes Vertrauen in die Geschäfte der Stadt, denn er hat ziemlich hohe Zinsen verlangt. Sieht aus, als habe er das für ein Risikogeschäft gehalten. Dann wurde ein neuer Vorstand gewählt, und die Zinsen sind gesunken.
»Und wer sitzt jetzt im Vorstand?«
»So ziemlich die gleichen Leute wie im Stadtrat. Da gibt es ja keinen Interessenkonflikt, nicht wahr? Die rechtlichen Angelegenheiten der Stadt werden von Standish and Moss vertreten.«
»Phillip macht das ehrenamtlich«, sagte Jamie stolz. »Die Standishs waren schon immer großzügig. Phillips Mutter sitzt in einem Komitee, das Geld für karitative Zwecke sammelt. Dafür bekommt sie auch nichts. Na ja, sie braucht das Geld ja auch nicht.«
»Offensichtlich nicht«, antwortete Muffin. »Sie berechnet ein Jahresgehalt von einem Dollar. Ich werde sie überprüfen müssen, Jamie«, fügte sie hinzu. Jamie erstarrte. »Und was ist mit mir? Überprüfst du mich auch?«
»Natürlich nicht, aber ich muss mir die Leute anschauen, die hier das Sagen haben.« Sie machte eine Pause. »Phillip und seine Familie gehören dazu. Genauso wie der Stadtdirektor, der übrigens bereits gesessen hat. Fünf Jahre wegen Steuerhinterziehung.«
»Nicht im Ernst«, sagte Jamie. »Mann, der ist doch in der …«
»Beaumont Baptist Church«, ergänzte Muffin. »Er ist sogar Diakon. Was die Leute nicht wissen, ist, dass er unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde.«
»Wie hast du das denn alles herausgekriegt?«, fragte Jamie.
»Ich habe Datenbanken vom Militär und von Gefängnissen durchsucht.«
»Sind die denn nicht geheim?«
»Manchmal muss man ein paar Regeln brechen«, sagte sie.
»Allerdings nur, wenn es für einen guten Zweck ist«, fügte Max hinzu.
»Aber die Regierung hat doch bestimmt hohe Sicherheitsstandards. Sonst würden ja dauernd Leute deren Computer anzapfen. Dafür könnt ihr in den Knast kommen.«
»Eher nicht«, sagte Muffin.
Max zögerte. »Jamie, ich war mal so eine Art Hacker.«
»Und zwar ein verdammt guter«, fügte Muffin hinzu. »Es gibt auf der ganzen Welt nur ein paar Leute, die solche Firewalls geknackt kriegen, und einer davon sitzt neben dir.«
»Wo sind die anderen?«
»Die sitzen beide im Knast«, sagte Muffin.
Jamie starrte Max an. »Und du nicht? Warum nicht?« Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe der Regierung sozusagen versprochen, damit aufzuhören.«
»Hast du aber nicht.«
»Es ist einfach so«, sagte Muffin, »dass eine Menge Leute Max noch was schuldig sind.«
»Ich glaube, das will ich lieber gar nicht so genau wissen«, sagte Jamie. »Ich will nicht wegen Komplizenschaft ins Gefängnis. Vera hat mir erzählt, was im Gefängnis so alles abgeht, da würde ich keine vierundzwanzig Stunden überleben.«
»Vera muss mal aufhören, dir diesen ganzen Unsinn zu erzählen«, sagte Max. »Komisch, dass du ihr überhaupt noch zuhörst.«
Jamie war verletzt. »Sie ist so was wie eine Mutter für mich. Was glaubst du, wer mir geholfen hat, den ersten Wackelzahn rauszukriegen? Und wer mir die Geheimnisse des Lebens beigebracht hat?«
Er grinste. »Ich dachte, die hättest du im Autokino auf dem Rücksitz gelernt.«
»Sehr witzig, Max.«
»War doch nur ein Scherz. Ich weiß doch, wie nahe dir Vera steht.«
»Übrigens, ich will alles über das Leben im Gefängnis wissen«, sagte Jamie, »denn vielleicht landest du in einem.«
»Das Geheimnis meines Erfolges liegt dar in, dass ich die allerbesten Anwälte beschäftige, die man kriegen kann. Apropos Anwälte, da wären wir.« Max fuhr auf den Parkplatz von Phillips Kanzlei. »Prince Charmings Auto ist ja auch da.«
»Kannst du dich vielleicht bemühen, ein bisschen netter zu Phillip zu sein?«, fragte Jamie.
Er wirkte überrascht. »Ich bin immer nett.«
»Manchmal triezt du ihn ganz schön.«
»Da kann ich doch nichts dafür, wenn er wegen eurer Hochzeit so verunsichert ist. Vielleicht überlegt er es sich ja noch mal anders. Würde ich bestimmt machen, wenn meine Verlobte die Nacht mit jemand anderem verbracht hätte.«
»Wir haben nicht die Nacht miteinander verbracht. Jedenfalls nicht in dem Sinne.«
»Es war ganz schön heiß unter der Decke, Swifty.«
»Oh Gott«, sagte Muffin. »Ihr habt es doch nicht getan, oder?«
»Natürlich nicht!«, fauchte Jamie.
»Aber nur, weil ich mich geweigert habe, das bis zum Ende durchzuziehen«, antwortete Max. »Echt, Muffin, sie hat geradezu drum gebettelt.«
Jamies Augen verengten sich zu Schlitzen. »Du bist ekelhaft. Ich hatte Angst und war wehrlos, und du hast die Situation ausgenutzt.«
»Ich will nur sichergehen, dass niemand flach gelegt wurde«, sagte Muffin. »Jamie, du bist verlobt und hast nicht mit Typen wie Max unter einer Decke zu liegen.«
»Die Umstände waren ziemlich ungewöhnlich, Muffin«, sagte Jamie und fragte sich im selben Moment, warum sie sich vor Max‘ Computer rechtfertigte. »Das passiert garantiert nicht noch einmal.«
Jemand klopfte ans Fenster, und Jamie sah auf. Beim Anblick von Annabelle Standish rutschte ihr das Herz in die Hose. »Ach du lieber Gott«, murmelte sie über ihr aufgesetztes Lächeln hinweg. Sie öffnete die Tür und stieg aus. »Annabelle, was für eine Überraschung!«
»Jamie Swift, ich sollte dich im Schuppen einsperren für diese Aktion! Ich habe keine Sekunde geschlafen. Was soll das, mitten im Sumpf einen Verrückten zu suchen? Mein Sohn steht immer noch unter Schock. Also, sei brav und drück mich mal.«
Jamie nahm sie fest in den Arm. Annabelle sah wie immer aus, als käme sie gerade frisch von der teuersten Kosmetikerin. Ihre Kleidung war makellos, nicht eine einzige Falte.
»Tut mir Leid, dass ich euch solche Sorgen gemacht habe. Ich dachte …«
»Ich weiß, was du dachtest. Du dachtest, du könntest da rausfahren und den Fall ohne die Polizei lösen. Du hättest dabei draufgehen können, junge Frau. Ich erwarte, dass du mit dem Unsinn aufhörst und dich mal langsam auf deine Hochzeit konzentrierst.«
Max ging ums Auto herum und blieb still stehen.
»Sie müssen der berühmte Max Holt sein«, sagte Annabelle, wirkte aber nicht im Mindesten beeindruckt. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie davon absehen könnten, meine zukünftige Schwiegertochter auf lebensgefährliche Abenteuertouren mitzunehmen.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Mrs Standish«, sagte Max und reichte ihr die Hand.
»Ich habe schon viel Gutes von Ihnen gehört und was Sie alles für die Stadt tun.«
»Ja, na ja, ich tue, was ich kann, aber ich kann nicht überall gleichzeitig sein. Ich brauchte jemanden wie Jamie zur Unterstützung.«
Jamie fand, es sei Zeit für einen Themenwechsel. »Hast du Phillip besucht?«
»Ich war kurz bei ihm drin, aber er hatte einen Mandanten da. Ich musste auch nur kurz was beglaubigen lassen. Schatz, wir müssen uns so bald wie möglich zusammensetzen und die Hochzeit besprechen. Ich weiß, dass du glaubst, wir hätten noch jede Menge Zeit, aber ehe du dich versiehst, ist es September, und es sind jede Menge Feste zu planen. Ganz zu schweigen von den Brautpartys.«
»Brautpartys?«
»Ja, natürlich, meine Liebe. Bring deinen Terminkalender mit, damit wir die ganzen Veranstaltungen planen können. Unsere lieben Freunde wollen mindestens ein Dutzend Dinnerpartys für dich und Phillip geben, aber erst mal müssen wir unsere eigene Party machen, um dich allen vorzustellen. Du glaubst gar nicht, wie gespannt sie schon alle auf dich sind.« Sie sah auf ihre mit Diamanten besetzte Uhr. »Herrje, ich bin schon zehn Minuten zu spät dran. Siehst du mein Auto oder den Fahrer irgendwo?«
Jamie schaute sich auf dem Parkplatz um und sah an der Straße einen livrierten Mann neben Anabelles Limousine stehen. »Da vorne ist er«, sagte sie. »Ist wahrscheinlich nicht ganz einfach, die Limousine auf so einem kleinen Parkplatz unterzubringen. «
Annabelle winkte den Mann heran. »Hör mal, Jamie, pack doch einfach ein paar Sachen zusammen, und komm für ein paar Tage zu uns. Nur bis diese ganze schreckliche Geschichte vorbei ist. Es wäre mir lieb, wenn ich dich in der Nähe wüsste.«
»Ich würde ja gern, Annabelle, aber meine Freundin Deedee macht gerade schwere Zeiten durch. Ich muss für sie da sein.«
Annabelle war von dieser Antwort offensichtlich nicht angetan. »Na ja, du hast ja deinen eigenen Kopf, und ich werde nicht hergehen und dich umstimmen.« Sie sah Max an.
»Schön, dass wir uns auch mal kennengelernt haben, Mr Holt. Wie lange bleiben Sie noch?«
Jamie errötete. Es war nur zu offensichtlich, dass Annabelle ihn nicht hier haben wollte.
»So lange, bis ich weiß, wer das Geld der Steuerzahler in seine eigene Tasche steckt«, sagte er.
Annabelle erstarrte. »Es interessiert mich ebenso sehr wie Sie, was mit den Steuergeldern passiert, Mr Holt, aber bitte bedenken Sie, dass ein Teil des Geldes für einen guten Zweck verwendet wird. Ich kämpfe mit Zähnen und Klauen um die paar Pennys, die ich dringend für Unterkünfte für misshandelte Frauen und Kinder brauche, außerdem für das neue Help Center. Was glauben Sie, wovon diese Leute sich im Winter warm halten oder essen? Und dann muss ich ja auch die Leute bezahlen, die dort arbeiten.«
»Soweit ich informiert bin, geht es hier um etwa zwanzig Millionen Dollar in vier Jahren, Mrs Standish«, sagte Max. »Das ist eine Menge Holz für eine Kleinstadt, finden Sie nicht?
»Jeder muss sein Scherflein beitragen, Mr Holt. Ich leiste meins jedenfalls.«
»Dann werden Sie demnächst noch mehr Unterkünfte brauchen«, sagte er, »denn täglich verlieren Leute wegen der hohen Grundsteuer ihre Häuser und Autos. Übrigens, arbeiten die Leute in Ihren Einrichtungen nicht ehrenamtlich?«
»Darum geht es doch gar nicht. Ich habe ja trotzdem Betriebskosten. Sie müssen mal zum Tee zu mir kommen, bevor Sie wieder abreisen, Mr Holt. Uns scheint die Stadt ja gleichermaßen am Herzen zu liegen. Vielleicht haben Sie ein paar Ideen für mich.« Annabelle küsste Jamie auf die Wange und ließ sich versprechen, dass Jamie so bald wie möglich anrufen würde. Sie gab Max die Hand und ging zum Wagen.
Max und Jamie sahen dem abfahrenden Wagen nach. »Ich glaube, das ist ganz gut gelaufen«, sagte er.
Jamie seufzte. »Du hast ihr ja auch ein paar ordentliche Seitenhiebe verpasst, dann bist du natürlich zufrieden.« Sie betrachtete das Gebäude. »Ich weiß nicht, ob ich das durchziehen kann. Phillip war zuletzt überhaupt nicht gut auf mich zu sprechen.« Dennoch ging sie zur Tür.
Sie und Max warteten kurz im Empfangsbereich, während Phillips Sekretärin ihm Bescheid sagte. Max blätterte in einer Zeitschrift, Jamie ging auf und ab.
»Mach dich mal locker«, sagte er. »Phillip ist doch nur eifersüchtig, weil du so viel mit mir zusammen bist. Ich an seiner Stelle wäre auch eifersüchtig.«
»Kannst du bitte mal dein Selbstbewusstsein zusammenpacken und es dir in deine große Klappe stopfen?«, sagte Jamie betont liebenswürdig, knirschte dabei aber mit den Zähnen.
Max warf die Zeitschrift beiseite und beugte sich zu ihr. »Hör mal, Swifty, ich sage nichts über letzte Nacht, wenn du nichts sagst.«
Jamie wurde feuerrot, gerade als Phillip auf sie zutrat. Abrupt blieb er stehen. »Jamie, was hast du denn? Du bist ja ganz rot und fleckig im Gesicht. Bist du krank?«
»Ich, äh …«
»Möchten Sie ein Glas Wasser, Miss Swift?«, fragte die Rezeptionistin.
Was Jamie wirklich gewollt hätte, wäre, Max eine zu scheuern. »Ich bin nur ein bisschen erhitzt.« Innerlich stöhnte sie auf, weil sie genau wusste, was Max sich zu dieser Formulierung denken würde. »Es ist furchtbar heiß draußen.«
»Wollt ihr nicht in mein Büro kommen?«, fragte Phillip.