9
»Ich kann nur für dich hoffen, dass du gute Neuigkeiten für mich hast«, drohte sie gespielt erbost. »Ich habe nämlich keine Zeit für einen Disput.«
Er trat ein und reichte ihr die Rose, die sie widerstrebend nahm. Am liebsten hätte er gelächelt, aber es gelang ihm nicht.
»Ich bin mir nicht ganz sicher, ob eine Zusammenarbeit zwischen uns etwas Gutes ist.«
Das meinte er vollkommen ernst. Sie standen im Begriff, ein hochgefährliches Spiel zu spielen, das vielleicht für sie beide tödlich war.
»Dann hast du also entschieden, mein Angebot anzunehmen?«
»Du tust so, als ginge es um irgendeinen völlig legitimen Geschäftsabschluss. Dabei hast du mich eiskalt erpresst. So ehrlich solltest du zumindest sein.« Er zog seinen Mantel aus und warf ihn über die Lehne eines Stuhls. »Wie soll es jetzt weitergehen?«
»Du musst mir alles erzählen, was du weißt.«
Er rollte mit den Augen, trat ans Fenster, stopfte seine Hände in die Taschen seiner Jeans und blickte auf den Fluss hinunter.
»Hör zu«, bedrängte sie ihn weiter. »Du musst mir einen Grund geben, dir zu vertrauen. So, wie ich die Sache sehe, stehst du bisher im Lager des Feindes. Ich brauche einen Beweis dafür, dass du die Seite wechseln willst.«
In der Fensterscheibe sah er, wie sie ihre Hände in die Hüften stemmte und herausfordernd den Kopf nach hinten warf. Er wusste, dass sie früher oder später diese Unterhaltung führen mussten, aber sie kam ohne jedes Vorspiel direkt auf den Punkt.
»Kann ich erst etwas zu trinken haben? So billig bin ich nicht zu haben, ich habe schließlich einen Ruf, den es zu wahren gilt.«
Er drehte sich gerade rechtzeitig herum, um ihr ihre Überraschung ob dieses Themenwechsels und ihr schwaches Lächeln anzusehen.
»Dies ist schließlich kein Verhör, oder?«, stellte er schulterzuckend fest. »Außerdem habe ich einen Bärenhunger.«
Sie pikste ihm mit einem Finger in die Brust. »Du brauchst gar nicht so zu tun, als wäre dies ein Date.«
»Okay. Das Kochen übernehme ich. Was hast du denn alles da?« Er schob sich an ihr vorbei in die angrenzende Küche und sah sich trotz ihrer Proteste erst einmal in ihrem Kühlschrank und der Speisekammer um.
»Hör zu, hier geht es ums Geschäft und nicht um irgendeine nette Einladung. Nimm deine Pfoten von meinem Zeug.«
Als er sich zu ihr umdrehte, schlug sie ihm mit einem Topflappen gegen die Brust. Als das Ding anschließend zu Boden fiel, starrte Diego erst das Häkelstück und dann sie mit großen Augen an. »Ich hoffe, du hast eine Lizenz zum Tragen eines Topflappens. Falls nicht, muss ich dich vielleicht den Behörden … oder dem Lebensmittelnetzwerk melden.«
»Das kannst du gern versuchen. Es ist sowieso nie ein Bulle in der Nähe, wenn man einen braucht.« Sie kreuzte die Arme vor der Brust und zog böse eine Braue hoch.
Dabei brauchte sie ihn einfach nur anzusehen, damit er völlig wehrlos war. Sie hatte sich direkt vor ihm aufgebaut, der Geruch ihrer Haut und das Blitzen ihrer Augen ließen ihn vorübergehend vollkommen vergessen, weshalb er hier in ihrer Küche stand. Schließlich aber fiel es ihm glücklicherweise wieder ein.
»Eier … Omelette. Eins der Grundnahrungsmittel für den alleinstehenden Mann.« Er schluckte und räusperte sich. »Isst du etwas mit?«
»Du brauchst wirklich nicht …«
Ohne sie ausreden zu lassen, strich er ihr mit einem Finger über eine Wange und blickte sie lächelnd an. »Ich weiß, dass ich nicht muss. Aber ich will. Jetzt mach dich nützlich, schenk uns beiden ein Glas Weißwein ein, und leg eine Platte auf, die mich kochtechnisch inspiriert.«
»Etwas aus der Sesamstraße? Oder ist das für dich vielleicht zu anspruchsvoll?«, schnauzte sie ihn an. »Das entspricht nicht unbedingt meinem Musikgeschmack, aber wenn du willst …«
Jetzt pikste er sie mit dem Finger an. »He, versuch ruhig weiter, mich dumm von der Seite anzumachen, aber lass Bibo aus dem Spiel.«
Wodurch das Eis gebrochen war. Während Diego in der Küche wirkte, tauschten sie sich sie über den Regen, den Riverwalk und die wenig beachtete Perfektion der Eierschale aus. Die Themen waren vollkommen egal, und er wunderte sich darüber, wie angenehm es war, sich über so normale Dinge zu unterhalten, derart … normal zu sein. Am liebsten hätte er sich jede einzelne Sekunde der mit ihr verbrachten Zeit für immer eingeprägt. Es war Jahre her, seit er zum letzten Mal so sorgenfrei war.
»Wer hat dir das Kochen beigebracht?«, fragte Becca ihn. Sie saß auf einem Stuhl an der Frühstückstheke, nippte vorsichtig an ihrem Wein und sah ihm aus sicherer Entfernung bei der Arbeit zu.
Während die Eimasse in einer Pfanne brutzelte, dünstete Diego Streifen frisch geschnittenen Gemüses an. Eine zärtliche Erinnerung stieg in ihm auf.
»Meine Mutter.« Grinsend hob er eine Hand an seinen Hals. »Männer, die in der Küche plötzlich Invaliden wurden, standen ihr bis hier oben. Sie hatte nicht die Absicht, selbst so einen Typen zu erziehen. Sie hat immer gesagt ›Du und ich, wir werden dem Wort ‚Macho‘ eine neue Bedeutung geben, Kind‹.«
»Sie scheint wirklich nett zu sein. Klingt, als ob ihr zwei euch ziemlich nahesteht.«
»Das standen wir uns wirklich. Sie ist nicht mehr am Leben. Aber ich habe sie sehr geliebt.«
»Das tut mir leid. Ich hatte nicht die Absicht …«
»Kein Problem. Schließlich habe ich die Sprache auf sie gebracht.«
Als er an seine Mutter dachte, wogte ein Gefühl der Trauer in ihm auf. Rebeccas mitfühlender Blick spiegelte das, was er empfand. Diego löffelte Gemüse auf das Omelette und schloss sein Werk, dankbar für die Ablenkung, mit etwas geriebenem Käse ab. Dann klappte er den Eierkuchen vorsichtig zusammen und legte einen Deckel auf die Pfanne, damit der Käse schmolz.
»Meine Mutter war der Grund …« Er brach ab und legte seinen Rührlöffel auf der Arbeitsplatte ab. »Mit ihr fing alles an.«
»Okay, jetzt hast du mich an der Angel, was ist mit Mike Draper? Welche Rolle spielt das FBI bei alledem?« Sie holte Teller aus dem Schrank, um ihm beim Tischdecken zu helfen, sah ihn aber weiter an. »Ich habe gehört, du wärst ein Informant der Feds. Ist das wahr?«
»Ja, leider. Aber ich kann dir versichern, dass ich das ganz sicher nicht aus freien Stücken bin. Hör zu, ich will, dass es keine Geheimnisse mehr zwischen uns gibt, Rebecca. Lass uns essen, danach sage ich dir alles, was du wissen willst.«
Der Mond war nur ein schmaler Streifen, und aufgrund der dichten Wolkendecke, die am Himmel hing, war es eine rabenschwarze Nacht. Nur wenn sich die Wolken teilten, spiegelte sich in den Pfützen auf der Straße kurzfristig ein schwaches Licht, ehe die Umgebung abermals in vollkommener Dunkelheit versank.
Brogan freute sich wie stets, wenn es so finster war. Er drückte auf die Fernbedienung, lenkte seinen schwarzen Mercedes S 550 durch das offene Tor und fuhr auf die alte Lagerhalle zu. Von außen sah die Halle vollkommen verlassen aus, aber Brogan wusste, dass dem nicht so war. Er kannte das düstere Geheimnis, das das halb verfallene Gebäude in sich barg.
Während sich das Rolltor knirschend öffnete, rief jemand auf Brogans Handy an; als er die Nummer sah, drückte er auf den grünen Knopf.
»Was gibt's?«
»Wie Sie vermutet hatten, ist der Mex in ihrer Wohnung aufgetaucht. Sie haben es sich ganz schön gemütlich gemacht«, stellte Nickels, der die Bullenfotze für ihn überwachte, unbekümmert fest.
Brogan riss sich seinen Schlips vom Hals und öffnete die obersten drei Knöpfe seines Hemds.
»Haben Sie irgendwas gehört?« Er hatte auf der Verwendung eines Richtmikrophons bestanden, denn wenn der Mex den Cop nicht gerade vögelte – etwas, was aus seiner Sicht durchaus verständlich war –, wollte er auf alle Fälle wissen, worüber der Verräter mit ihr sprach.
»Nichts von Bedeutung, Boss. Es ging um irgendeine Zusammenarbeit und um irgendeine Erpressung, aber dann hat diese blöde Tussi eine Platte aufgelegt, da war es für mich vorbei. Seither höre ich nur noch Blabla.«
»Bleiben Sie trotzdem weiter dran. Achten Sie darauf, wie lange dieser Bastard bei ihr bleibt, ganz egal, was auch passiert, halten Sie sich weiter an die Frau. Auch wenn das natürlich sicher furchtbar für Sie ist. Ich rufe später noch mal an.« Grinsend beendete Brogan das Gespräch.
Mit dem Cop als Köder war es leicht herauszufinden, was der widerliche Galvan trieb, was ein zusätzlicher Bonus der Entdeckung dieses Techtelmechtels war. Wenn man ein gutes Fernglas hatte, machte die Beobachtung der sexy Polizistin mit dem hübschen, kleinen Arsch wahrscheinlich sogar jede Menge Spaß. Er hatte es gehasst, den Job nicht selbst zu übernehmen, aber Cavanaugh hatte ihm eine andere Aufgabe zugeteilt, die auch nicht gerade übel war.
Brogan fuhr ins Souterrain der Halle, stellte den Mercedes ab, stieg aus seinem Wagen, zog die Anzugjacke aus, rollte die Ärmel seines Hemdes auf, schnappte sich die Taschenlampe, die wie immer auf dem Rücksitz lag, warf die Wagentüren zu, schaltete die Lampe ein und folgte ihrem hellen Strahl.
Die feuchte, abgestandene Luft im Keller des Gebäudes war infolge des Gewitters merklich abgekühlt. Aufgrund der nur minimalen Stromversorgung herrschte in der betonierten Gruft eine Atmosphäre wie in einem Grab. Dank seines Grundrisses war das Gebäude bestens zu verteidigen. Obwohl es auf den ersten Blick nur einen Eingang gab, hatte Brogan vor dem Einzug einen zusätzlichen Fluchtweg angelegt, den niemand außer ihm kannte. Den Auftrag dazu hatte er einem speziellen Freund erteilt, und wie in allen anderen Gebäuden, die er nutzte, hatte dieser Freund die beiden Ein- und Ausgänge versiegelt und verstärkt.
Lächelnd über seine eigene Cleverness stapfte er, die Taschenlampe in der Hand, in die Richtung, aus der Lärm zu hören war.
Nur ein paar gut positionierte Glühbirnen und die schwachen Klänge eines Radios wiesen ihm den Weg dorthin, wo seine Truppe in dem Labyrinth aus Rampen saß. Da es keine Fenster in dem Keller gab, lag ihr Unterschlupf bei Tag und Nacht in vollkommener Dunkelheit und änderte sich nie. Zeit war vollkommen bedeutungslos an diesem kalten Ort.
Als er sich seinen Leuten näherte, brüllte er: »Stellt diese Scheiße ab. Dies ist Rap-freies Gebiet. Ihr wisst ganz genau, ich hasse dieses Zeug.«
Einer seiner Männer schaltete das Radio aus und tauchte aus dem Dunkeln auf. Eine nackte Birne warf ein kaltes Licht auf seine massige Gestalt.
»Sorry, Boss«, knurrte McPhee. »Es hilft einfach, die Zeit herumzukriegen.«
»Wenn du hier auf nichts anderes kommst, womit du dir die Zeit vertreiben kannst, McPhee, hast du ein ernsthaftes Problem.« Brogan und die anderen Männer lachten auf.
Nachdem McPhee derart von ihm verspottet worden war, wühlte Brogan zwischen den Kartons mit alten Pizzaresten, die auf einer Kisten standen, und fauchte die Männer an. »Hier stinkt's. Was ist das für ein Geruch?«
»Eine von ihnen ist mal wieder krank geworden. Einfach widerlich«, erwiderte McPhee mit einem gleichmütigen Schulterzucken und fuhr mit gesenkter Stimme fort. »Anscheinend ahnen sie, dass irgendwas nicht stimmt.«
Brogan blickte in die Dunkelheit, in der eine Reihe junger Mädchen zusammengekauert saßen, und nickte, als er leises Rasseln hörte, zufrieden mit dem Kopf. Ein paar der Gören waren angekettet worden, denn sie brauchten dringend etwas Disziplin. Auf dem kalten Boden lagen ein paar dünne Decken, und die ältesten Mädchen hatten mit Hilfe von Holzkisten, alten Kartons und anderem Müll kleine Ecken für sich abgetrennt. Sie steckten ihre Reviere wie gefangene Tiere ab und türmten Müllsäcke mit ihren Kleidern um sich herum auf.
Hier hausten die jungen Frauen, die von einem Ort zum anderen verfrachtet wurden, schlimmer als in einem Schweinestall. Sie ahnten nicht, dass dies der letzte Ort der Reise war. Vor der Zusammenlegung hatten sie bei allem – von Pornofilmen bis hin zu Verbindungsfeiern – mitgewirkt. Ein paar der Mädchen hatten sie direkt an ausländische Abnehmer verkauft oder sie bei allen nur erdenklichen Sexpraktiken gefilmt und diese Filme in die ganze Welt verschickt. Dank des mexikanischen Verräters und des Cops wollte Cavanaugh jetzt aus dem Geschäft raus. Und Brogan war die Aufgabe zuteilgeworden, lose Enden zu verknoten und dafür zu sorgen, dass dieses Geschäft ein sauberes Ende fand. Was er dem Mex persönlich übelnahm.
»Der Boss wollte sie alle an einem Ort.« Brogan knirschte mit den Zähnen, setzte dann aber ein Grinsen auf. »Keine Sorge. Wird nicht lange dauern.« Er sah sich unter seinen Männern um und wollte wissen: »Wo steckt Ellis, dieser faule Sack?«
Einer seiner Männer wies in eine Ecke. Brogan nahm eine Bewegung wahr und hörte das Klatschen von nacktem Fleisch auf Fleisch. Ellis rutschte keuchend auf einem der Mädchen herum. Kein Wunder, dass das Radio so laut geschaltet worden war.
Vor der Zusammenlegung war es verboten, die Ware anzurühren. Inzwischen aber herrschte Anarchie. Cavanaugh hatte sich aus dem Geschäft zurückgezogen und die Mädchen einfach seinen Leuten überlassen. Jetzt machte Ellis die verlorene Zeit eifrig wieder wett.
Brogan fand es ätzend, dass urplötzlich nichts mehr mit den Mädels zu verdienen war, genoss es dafür aber, dass die völlige Kontrolle über diese Weiber jetzt bei ihm alleine lag. Eine passende Entschädigung für das entgangene Geld. Er hatte seine neue Macht und die Veränderung der Regeln wirklich gut genutzt.
»Sieh dir das an, McPhee. Ellis weiß genau, wie man sich die Langeweile vertreiben kann. Von dem kannst du noch was lernen.«
»Allerdings. Der Mann ist eine Maschine«, kicherte McPhee und spähte in die Dunkelheit. »Was soll ich mit der kranken Fotze machen?«
»Dafür ist jetzt keine Zeit. Alles der Reihe nach.« Brogan leckte sich die Lippen. »Bringt mir erst die Neue her. Ich muss die Ware schließlich testen.«
Zwei seiner Männer traten aus dem Kreis, einen Moment später hallten spitze Schreie, leises Weinen und das Knirschen von Metall durch die dunkle Gruft. Brogans Blut geriet in Wallung, und er wurde hart.
»Nein, bitte«, weinte sie. Ihr Schluchzen ging in leises Wimmern über, als sie in den Kreis der Männer trat.
Wie eine Horde von Hyänen starrten Brogans Männer das in Austin aufgegriffene Mädchen an. Niemand hatte die japanische Studentin seit ihrer Entführung angerührt. Denn eine Regel galt noch: Die Ehre der Entjungferung wurde niemand anderem als Brogan selbst zuteil.
Tränen rannen über ihre bleichen Wangen, als sie, klein und zart, mit vor Angst verzerrten Zügen vor ihm stand. Während ihre Arme von den beiden Männer wie in Schraubstöcken gehalten wurden, schob ihr Brogan eine seiner Pranken in das dunkle Haar und riss sie wenig sanft an seine Brust, während er die andere Hand an ihrem Bauch heruntergleiten ließ. Seine Männer feuerten ihn grölend an, und sie riss entsetzt die Augen auf.
Dann sahen seine Männer in raubtierhaftem Schweigen zu. Nachdem er ihr die Kleider gnadenlos vom Leib gerissen hatte, roch er ihre Angst. In der abgestandenen Luft rann ihm der Schweiß über den Rücken, doch der Spaß fing jetzt erst richtig an.
»Bitte … tun Sie mir nicht weh«, flehte sie mit starkem japanischem Akzent und klammerte sich an sein Hemd.
»Also bitte, Schätzchen. Du bist hier nicht in Kansas. Hier nützt es dir nichts, wenn du wie die Dorothy aus dem Zauberer von Oz die Hacken deiner kleinen roten Schuhe zusammenknallst«, klärte er sie lachend auf. Dann senkte er seine Stimme auf ein Flüstern, presste seine Lippen an ihr linkes Ohr und fügte rau hinzu: »Aber ich verrate dir ein Geheimnis. Jetzt hast du die Chance, mich davon zu überzeugen, dass es für mich von Vorteil ist, wenn ich dich am Leben lasse. Du solltest zusehen, dass du nicht nur möglichst willig, sondern auch echt überzeugend bist.«
Riverwalk
Innenstadt San Antonio
Wer hätte das gedacht? Der Mann kannte sich tatsächlich ohne Straßenkarte in der Küche aus.
Sie genoss den nächsten Bissen ihres köstlichen Omelettes und bemerkte dabei seinen durchdringenden Blick. Unweigerlich hielt sie den Atem an, als sie in seine sinnlich dunklen Augen sah. Sie spiegelten das Licht der Kerzen wider, die sie angezündet hatte, denn außer Musik hatte sich Diego auch noch Kerzenlicht gewünscht – er schien ein richtiger Romantiker zu sein. Einzig mögliche Verbesserung des Mahls wäre noch gewesen, hätte er es ihr im Bett serviert. Sie stellte sich seinen dunklen, muskulösen Körper auf dem weißen Laken vor – ein Festmahl für die Sinne und sogar kalorienfrei.
»Ich wüsste wirklich gerne, was du gerade denkst.« Er trank einen Schluck von seinem Wein.
Unweigerlich musste sie lachen. »Das kann ich mir vorstellen. Aber da hast du leider Pech. Vielleicht erzähle ich dir später irgendwann einmal, was mir gerade durch den Kopf gegangen ist.«
Er erwiderte ihr Grinsen. »Dann übe ich mich eben in Geduld – was eine meiner Stärken ist.«
Davon war Becca überzeugt.
Trotz des guten Weins und des subtilen Flirts, die die Mahlzeit begleiteten, war ihnen beiden klar, dass das gemütliche Beisammensein nur von kurzer Dauer war. Diego war aus völlig anderen Gründen hier. Und auch wenn er offensichtlich ausnehmend geduldig war, war Becca das nicht. Und das merkte er ihr überdeutlich an.
»Deine Neugier bringt dich beinahe um, nicht wahr?«, wollte er lächelnd von ihr wissen, bevor sie eine Antwort geben konnte, bot er an: »Also los. Frag mich alles, was du fragen willst.«
»Ist Diego Galvan dein richtiger Name?«
Er starrte sie durchdringend an. »Ja. Oder, um genau zu sein, der Mädchenname meiner Mutter.«
»Warum machst du ein solches Geheimnis um deine Vergangenheit? Man könnte fast den Eindruck kriegen, du hättest nie eine Vergangenheit gehabt.«
»Das mache ich wegen Cavanaugh, für den Fall, dass er mich überprüft. Ich wollte nicht, dass er herausfindet, welcher Art meine Beziehung zu Joseph Rivera ist.«
»Zu dem Typ, dem Global Enterprises gehört? Du arbeitest für ihn, nicht wahr?«
»Nicht ganz.« Er stand auf, nahm sein Weinglas in die Hand und trat damit ans Fenster. »Er ist eher so etwas wie ein Vaterersatz für mich.«
Becca lehnte sich verblüfft auf ihrem Stuhl zurück. »Das musst du mir erklären.«
Diego blickte über seine Schulter und bedachte sie mit einem ernsten Blick. Er sah aus, als überlege er, wo er beginnen sollte, und sie wartete schweigend ab.
»Joe hat mich adoptiert, nachdem meine Mutter an Krebs gestorben war. Ich war damals gerade zwölf. Meinen richtigen Vater habe ich nie kennengelernt, und eine andere Familie als meine Mutter hatte ich niemals.«
Er kam wieder an den Tisch, setzte sich neben sie und strich mit seinen Fingerspitzen über ihre Hand.
»Joe hatte sich in meine Mutter Aurelia verliebt. Die beiden wollten heiraten, aber bevor es dazu kam, wurde sie furchtbar krank. Eierstockkrebs.« Er drückte Beccas Hand und atmete tief durch, bevor er weitersprach. »Er hat jede Menge Geld für ihre Behandlung ausgegeben, denn er hat bis zuletzt gehofft, dass eine Heilung möglich war. Aber am Ende hat der Krebs gesiegt. Ohne irgendwelche Verwandten, die mich aufgenommen hätten, wäre ich im Kinderheim gelandet. Aber Joe und ich standen uns damals schon sehr nahe, deswegen hat er mich adoptiert. Er hat mich bei sich aufgenommen, großgezogen und mir eine gute Ausbildung bezahlt. Deshalb würde ich alles für ihn tun.«
»Das mit deiner Mutter tut mir leid, Diego.« Becca konnte seine Trauer nachempfinden. Trotzdem meinte sie, und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme bissig klang: »Ich nehme an, nach ihrem Tod hat Joe dich in die Familiengeschäfte eingeführt.«
»So war es nicht«, fuhr er sie zornig an und zog seine Hand zurück. »Er hat alles getan, um mich aus diesen Dingen rauszuhalten. Bis Draper auf der Bildfläche erschien.«
»Draper? Was hat er getan? Wie konnte er dich als Spitzel rekrutieren, wenn du nicht in Riveras kriminelle Machenschaften verwickelt warst?«
»Ungefähr zu der Zeit, als es zur Fusion zwischen Global Enterprises und Cavanaughs Reiseunternehmen kam, stand eine Anklage gegen Joe wegen organisierter Kriminalität im Raum. Draper hat die Chance genutzt, um eine Organisation, die er des Menschenhandels verdächtigt, zu infiltrieren. Er will Cavanaugh um jeden Preis erwischen. Deshalb hat er mir damit gedroht, Joe bis an sein Lebensende in den Knast zu bringen, wenn ich nicht tue, was er sagt.«
Becca konnte sich daran erinnern, dass sie, als sie Diego überprüfen wollte, auf einen Artikel über die Anklageerhebung gegen seinen Ziehvater gestoßen war. Sie war davon ausgegangen, dass Rivera freigesprochen worden war, denn so hatte es die Zeitung formuliert. Nun aber sah es mit einem Mal so aus, als schwebe diese Anklage wie eine Guillotine über seinem Kopf.
»Er hat dich erpresst? Hatte er denn wirklich etwas gegen Rivera in der Hand?«
»Wohl kaum. Ich glaube nicht, dass Draper sich die Zeit genommen hat, ordentlich zu ermitteln. Er hat einfach Beweise fabriziert und Zeugenaussagen bezahlt. Joe ist ein äußerst vorsichtiger Mann. Natürlich ist er nicht gerade ein vorbildlicher Bürger. Aber es hätte Jahre gedauert, um genug Beweise gegen ihn zu sammeln, damit es für eine Verurteilung reicht. Weshalb Draper offenbar die Abkürzung genommen hat.«
»Warum wollte er gerade dich? Du warst doch nicht mal Teil von Riveras Organisation. Warum hat Draper ausgerechnet dich in die Sache reingezogen?«
»Ich habe keine echten familiären Bindungen, und er wusste ganz genau, wie sehr ich den alten Herrn liebe. Draper hat ihn dazu gezwungen, darauf zu bestehen, dass mich Cavanaugh im Rahmen der Fusion der beiden Unternehmen als Angestellten übernimmt. Aber selbst mit dieser Referenz hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich mich halbwegs frei innerhalb der Organisation bewegen konnte, weil Cavanaugh ganz einfach niemandem vertraut.«
Er massierte sich die Schläfen, als ob er plötzlich Kopfweh hätte, fuhr aber mit seiner Erklärung fort.
»Es war ziemlich einfach, meine Spuren zu verwischen. Wir brauchten nur genügend Rauch zu machen, damit die Verbindung zwischen Joe und meiner Mutter und auch meine Adoption dahinter verschwand. Ich wollte nicht, dass Cavanaugh etwas davon erfährt. In seiner Welt ist jegliche Verletzlichkeit ein Anzeichen von Schwäche. Ich habe mich bereit erklärt, als Informant zu arbeiten, damit Joe nicht ins Gefängnis muss. Das hätte er einfach nicht verdient.«
»Der Mann ist der Kopf einer kriminellen Organisation, Diego. Er ist nicht gerade ein Unschuldslamm.«
»Hör zu, Rebecca. So habe ich ihn nie gesehen. Ich weigere mich, einen Menschen zu verurteilen, der meiner Mutter ihren Seelenfrieden gegeben hat, als sie ihn am meisten brauchte. Weißt du, wie schwer es für mich war anzusehen, wie meine Mutter jeden Tag ein bisschen starb? Das Wort machtlos beschreibt noch nicht mal ansatzweise das Gefühl, von dem ich damals befallen war. Ich hatte nichts, was ich ihr geben konnte, außer Angst.«
Becca spürte seinen Schmerz, sah ihn in seinem Gesicht, hörte ihn seiner Stimme an. Sie nahm eine seiner Hände zwischen ihre Hände und spürte die Wärme seiner Haut. Es war nicht nur eine Geste des Mitgefühls, denn wenn sie ehrlich war, brauchte sie ganz einfach den Kontakt. Das Verlangen nach Berührung war für sie wie eine Sucht.
»Aber Joe hat das alles verändert. Er hat ihr geschworen, sich um mich zu kümmern. Was ihr wirklich wichtig war. Als sie wusste, dass ich nicht alleine wäre, konnte sie akzeptieren, dass sie sterben würde, und hat ihren Frieden mit dem Tod gemacht.« Diego atmete tief ein und fuhr dann fort. »Es wäre leicht gewesen, einer Sterbenden ein leeres Versprechen zu geben, aber Joe hat sein Versprechen gehalten. Er hat meine Mutter geliebt, dafür schulde ich ihm mein Leben.«
Die Bedeutung von Familie. Sie verstand nur allzu gut, was er empfand. In Diegos Welt hatte Loyalität ganz einfach ihren Preis. Auch wenn der Mensch, der diesen Preis bestimmte, Draper war. Diego war bereit, den Preis eines Mannes wegen zu bezahlen, der seiner Mutter auf dem Totenbett mit echtem Mitgefühl begegnet war. Joseph Rivera hatte sein Versprechen nach dem Tod der Frau gehalten – weshalb Diego ihm auch heute noch verbunden war. Er hielt zu dem Mann, der für ihn wie ein Vater war. So, wie sie die Sache sah, war Diego offenbar der Einzige, der keine eigenen Pläne hatte und für den es bei dem ganzen fürchterlichen Spiel nicht das Geringste zu gewinnen gab. Sie verspürte ehrlichen Respekt vor diesem selbstlosen Akt der Liebe und ehrlichen Pflichtgefühls.
Ihrer Meinung nach hatte das FBI die Situation ganz einfach schändlich ausgenutzt. Draper spielte mit der Liebe eines Sohns zu seinem Vater und setzte sie gnadenlos in seinem Kampf gegen ein Verbrechen ein. Aber rechtfertigte der Zweck tatsächlich jedes Mittel? War sein Kampf tatsächlich noch gerecht?
Becca konnte Drapers Gründe teilweise verstehen. Die Polizei war allzu oft im Nachteil, wenn sie sich in einer kriminellen Welt, die keine Grenzen und keine Gesetze kannte, immer an die Regeln hielt. Erst gestern hatte sie selbst Diego in der Hoffnung, ihn für ihre Zwecke einspannen zu können, regelrecht erpresst. Hätte sie ihre Drohungen, falls er ihr widerstanden hätte, wahr gemacht? Das fände sie dank Diegos Sinn für Fairness nie heraus. Doch sie musste sich der harschen Wahrheit stellen. Genau betrachtet war sie nicht besser als der Kerl vom FBI.
Das machte ihr eine Heidenangst.
»Ich dachte, du wärst so eine Art Muskelmann des organisierten Verbrechens. Ein Typ, der den Forderungen dieser Kerle den nötigen Nachdruck verleiht«, gestand sie widerstrebend ein. »Was hast du für Rivera getan, bevor all das angefangen hat? Du siehst aus wie ein Typ, der auf sich aufpassen kann. Erzähl mir also bitte nicht, dass du sein Buchhalter warst. Die Rolle des harmlosen Erbsenzählers nehme ich dir nämlich ganz sicher nicht ab.«
Er lachte leise auf. »Auch wenn du es vielleicht nicht glaubst, habe ich tatsächlich im Finanzbereich gewirkt. Ich habe für Joe nach Investitionsmöglichkeiten gesucht. Nach Wegen, auf denen er sein Geld ausgeben kann.«
»Geldwäsche?«
»Ich habe immer nur nach legitimen Unternehmen oder Immobilien gesucht, die er kaufen oder verkaufen kann. Davon abgesehen weiß ich nicht, wie seine Finanzen geregelt sind. Ich habe lediglich sein Nettovermögen optimiert.«
»Dabei hast du dich anscheinend auf feindliche Übernahmen spezialisiert. Weshalb solltest du sonst eine versteckte Waffen tragen?«, erwiderte sie halb im Scherz.
»Das kann ich erklären. Das war Joes Idee. Er sagt immer, dass ein Mann sich verteidigen können muss. Was man angesichts seiner beruflichen Karriere gut verstehen kann.« Diego grinste und schüttelte den Kopf. »Joe hat mein Training organisiert und dafür gesorgt, dass ich mit Waffen umgehen kann. Ein paar von seinen Männern haben mir den Nahkampf beigebracht. Verdammt, eine Zeit lang haben Joe und ich sogar zusammen trainiert, bis der Wohlstand seinen Bauch anschwellen lassen hat. Bisher war dieses Training für mich nichts als eine gute Übung, eine Art zu lernen, meinen Geist und meinen Körper zu beherrschen. Ich hätte nie gedacht …« Er brach ab und sah sie an. »Macht es dir etwas aus, wenn ich dir eine Frage stelle?«
Plötzlich hatte sich das Blatt gewendet. Sie räusperte sich leise und setzte ein, wenn auch gezwungenes, Lächeln auf. »Ich glaube, damit komme ich zurecht.«
»Vertrauen ist ein Geschenk, das man sich gegenseitig machen muss. Vertraust du mir, Rebecca? Wenn ja, würde ich gern mehr von deiner Schwester hören.«
Becca musste schlucken. In der Hoffnung, dass er sie noch mal vom Haken ließe, blickte sie ihn flehend an. Doch er wartete einfach weiter schweigend ab.
Sie hatte keine Ahnung, womit sie beginnen sollte, und so fing sie einfach ohne nachzudenken an. Was ein Zeugnis ihres neu entwickelten Vertrauens zu ihm war.
»Als sie noch ein kleines Mädchen war, hat Dani zu mir aufgeblickt. Was irgendwann vorbei war. Ich habe ihre Liebe immer als gegeben genommen und sie nicht weiter beachtet, als wäre sie egal. Ich war immer zu beschäftigt, um auf meine Schwester einzugehen.«
Sie stand auf, und trat mit ihrem Glas und der halbvollen Flasche vor die Couch. Als sie Diego winkte, kam er ebenfalls herüber und setzte sich neben sie.
»Jetzt wünschte ich, ich hätte viel mehr Zeit mit ihr verbracht. Ich hatte niemals eine Chance, die Dinge zwischen uns geradezurücken, und jetzt ist sie tot.«
»Was würdest du anders machen, wenn du eine zweite Chance bekämst?«
»Ich würde meine Welt an der Sache ausrichten, die wirklich wichtig ist … nämlich meiner Familie. Dabei würden Momma und Dani ganz oben auf der Liste stehen.« Eine Träne rollte über ihre Wange, und sie starrte reglos in ihren Wein. »Ich fühle mich so verloren ohne sie. Meine Mutter ist innerlich tot, sie ist vor Trauer wie gelähmt, ich finde einfach keinen Zugang mehr zu ihr. Sie braucht oder sie will mich nicht. Ich schäme mich entsetzlich für meine Rolle in dem ganzen Spiel. Und jetzt finde ich noch nicht mal Danis Mörder.«
»Du darfst dir deshalb keine Vorwürfe machen. Denn wie solltest du ihn finden, während du von den Ermittlungen ausgeschlossen bist?« Er hob ihre Hand an seinen Mund, küsste zärtlich ihren Handballen und bedachte sie mit einem mitfühlenden Blick. »Aber ich glaube daran, dass man immer eine zweite Chance bekommt. Und die Menschen, die wir lieben? Wir tragen sie in unseren Herzen. Sie sind ein Teil von uns und machen uns zu denen, die wir sind.«
Er drückte ihre Hand, wodurch sich ein Teil von seiner Stärke auf sie übertrug. Becca schloss die Augen und atmete getröstet ein. Einen Augenblick spürte sie die Liebe ihrer kleinen Schwester und sah sogar ihr lächelndes Gesicht. Gott, es fühlt sich gut an, nicht mehr vollkommen allein zu sein.
Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie ihn in einem völlig neuen Licht. Wie könnte ein Mensch, der sie betrügen wollte, solche Worte finden? Er hatte ihr sein Innerstes gezeigt, hatte ihr freimütig von sich erzählt. Sein ganzes Leben war auf der Familie aufgebaut, etwas, worum sie ihn beneidete. So, wie er es formulierte, klang es furchtbar leicht.
»Du bist eine starke Frau, Rebecca«, stellte er mit ruhiger Stimme fest. »Aber diese Stärke wird dadurch definiert, wie du die Lasten deines Lebens trägst. Du solltest dich niemals dafür schämen, dass du verletzlich bist. Denn diese Verletzlichkeit ist ebenso ein Teil von dir wie dein beachtlicher Mut.«
Er wischte ihr die Träne fort und sah sie lächelnd an. »Was ist mit diesem Fall, den du nicht ignorieren kannst? Mit der Leiche dieses jungen Mädchens, die sie in dem Theater gefunden haben? Ich kann verstehen, weshalb dir der Fall so nahegeht, aber glaubst du wirklich, es gibt eine Verbindung zwischen diesem Mord und Cavanaugh?«
»Die Indizien weisen in eine andere Richtung, aber mein Instinkt als Cop sagt mir, dass es eine Verbindung gibt. Ich kann dieses Gefühl nicht einfach ignorieren. Ich glaube, er hat irgendwas mit diesem Fall zu tun. Nur weiß ich eben noch nicht, was.«
Dankbar, dass sie nicht mehr über ihre Familie sprechen musste, erzählte ihm Becca von dem Fall. Er achtete auf jede Kleinigkeit, stellte intelligente Fragen, es fühlte sich einfach fantastisch an, dass sie plötzlich einen Partner hatte und mit ihren Theorien nicht mehr vollkommen alleine war.
»Falls Cavanaugh wirklich ein Menschenhändler ist, muss er seine Mädchen irgendwo hier in der Nähe haben. Ich gehe davon aus, dass auch Matt Brogan bis zu seinem Stiernacken in dieser Sache steckt.« Bei der Erwähnung dieses Namens blitzten Diegos Augen zornig auf. »Ich habe noch keine konkreten Beweise, aber ich gebe mögliche Verstecke, von denen ich erfahre, immer sofort an Draper durch.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es leicht ist, Cavanaugh in flagranti zu erwischen.«
»Nein, der Mann lenkt diese Dinge aus der sicheren Distanz. Brogan ist sein Mittelsmann. Das spüre ich genau.«
»Wie hast du die Verstecke gefunden, von denen du Draper berichtet hast?«
»Auf alle möglichen Arten. Zum Beispiel gehe ich Cavanaughs private Unterlagen durch und gucke nach Gebäuden oder Grundstücken, die er besitzt oder gemietet hat. Allerdings hat er in letzter Zeit seine Unterlagen immer weggesperrt, die Zugangscodes zu seinem Computer verändert und seine Männer in Alarmbereitschaft versetzt. Deshalb fange ich jetzt wieder ganz von vorne an.«
»Was ist mit Audioüberwachung und dem Abhören seines Telefons?«, wollte Becca von ihm wissen. »Draper müsste doch alles kriegen, was du dafür brauchst.«
»Cavanaugh lässt sein Anwesen in unregelmäßigen Abständen auf Wanzen überprüfen, er ist total paranoid. Ich kann es nicht riskieren, dass er mich dabei erwischt, dass ich irgendeine Wanze installiere, die er sowieso entdecken würde, bevor sie mir auch nur das Geringste nützt. Selbst wenn er dämlich genug wäre, irgendwas am Telefon zu sagen, was sich gegen ihn verwenden ließe, käme man an die Gespräche nicht heran. Alle Apparate, ganz egal ob Handys oder Festnetz, sind mit Verschlüsselungsprogrammen ausstaffiert.«
Diego raufte sich die Haare, und es war ihm deutlich anzusehen, wie frustriert er war. Auch wenn ihm Drapers Einmischung zu Anfang sicher nicht gefallen hatte, konnte Becca sehen, dass er inzwischen eigene Gründe dafür hatte, diese Sache durchzuziehen. Dafür zollte sie ihm ehrlichen Respekt.
»Bisher hat Draper nichts gefunden. Die Lagerhäuser und diversen anderen Gebäude, die er hat durchsuchen lassen, waren alle leer. Wir haben auch die Straßen ins Visier genommen, um zu sehen, ob dort irgendetwas mit den Mädchen läuft, aber nichts.« Diego schüttelte den Kopf und stieß einen Seufzer aus. »Wenn Joe gewusst hätte, dass Cavanaugh mit jungen Frauen handelt, hätte er einer Fusion ganz sicher niemals zugestimmt. Wahrscheinlich hätte er den Kerl persönlich kaltgemacht. Joe ist außer sich vor Angst um mich und total sauer auf die Feds, weil sie mich in die Sache reingezogen haben, aber ich glaube, vor allem hat er Schuldgefühle, weil ich seinetwegen auf diese Erpressung eingegangen bin.«
»Es ist sicher schwer für ihn, tatenlos mit ansehen zu müssen, wie sein Sohn den Preis für seine Sünden zahlt.« Sie drehte sich zu Diego um und sah ihm ins Gesicht. »Was steht als Nächstes auf dem Programm?«
»Verzweiflung. Und vielleicht ein Gebet.« Er schüttelte abermals den Kopf, und wieder tauchten diese wunderbaren Grübchen in seinen Wangen auf.
Jungenhafter Charme, gemischt mit verführerischen Qualitäten, eine gefährliche Kombination. Als er sich bewegte, berührte sein warmer Schenkel zufällig ihr Bein. Becca mochte das Gefühl. Obgleich ihr eine heiße Röte in die Wangen stieg, rührte sie sich nicht vom Fleck.
Sie brauchte all ihre Konzentration, um zuzuhören, als er weitersprach.
»Ich habe eine Quittung über irgendwelche Reparaturen an einer alten Lagerhalle gefunden. Jemand hat ein überdimensionales Schloss dort angebracht und das Metall des Eingangstors verstärkt. Keine große Sache, aber solange ich mich nicht dort umgesehen habe, werde ich nicht wissen, was dahintersteckt.«
»In welchem Teil der Stadt?«, wollte Becca wissen, und nachdem er ihr die allgemeine Richtung angegeben hatte, blickte sie ihn fragend an. »Werdet du und Draper euch die Halle ansehen?«
»Ja, ich treffe ihn in einer Stunde dort. Wahrscheinlich landen wir erneut in einer Sackgasse, aber das Gebäude taucht weder in den Unterlagen seines Reiseunternehmens noch in denen irgendeiner anderen Gesellschaft von ihm auf. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass er es von irgendjemandem gemietet hat. Bisher sieht es so aus, als ob es keinerlei Verbindung zwischen ihm und dieser Halle gibt. Weshalb die Quittungen so seltsam sind. Ich meine, weshalb sollte er die Arbeiten bezahlen, wenn ihm die Halle nicht gehört?«
Er trank den Rest von seinem Wein und stellte dann das Glas auf ihrem Couchtisch ab.
»Interessante Frage. Lässt du mich wissen, falls sich irgendwas ergibt?«
»Ja, sicher.« Er stand auf, gab ihr die Hand und zog sie neben sich. »Danke für das Essen und für alles andere.«
»Wenn ich wieder mal verquirlte Eier will, weiß ich, wen ich anrufe. Bei dir gibt es wirklich ein fantastisches Omelette. Grüße an den Koch.« Sie nahm seinen Mantel und begleitete ihn an die Tür. »Vergiss nicht, dass wir zwei von jetzt an Partner sind. Von nun an hast du jemanden, der dir den Rücken deckt.«
»Gut zu wissen. Mein Hintern fühlt sich schon viel sicherer an.«
Zum ersten Mal empfand sie einen Hauch von Angst um diesen selbstbewussten Mann. Heute Abend würde Draper ihm den Rücken decken und nicht sie. Es sollte sie beruhigen, dass ihr Partner Deckung durch das große, böse FBI bekam, aber sie selbst kam sich vollkommen nutzlos dabei vor. Statt ihrer gewohnten Arbeit nachzugehen, saß sie wegen ihres Zwangsurlaubes tatenlos herum.
»Warum hat eigentlich noch niemand schusssichere Boxershorts entwickelt?« Eingehüllt in seine warmen Arme, schmiegte sie sich eng an seine Brust.
»Gute Idee. Schreib doch mal an Victoria's Secret. Die wären sicher ganz begeistert von dem Tipp.« Endlich presste er die vollen Lippen, die sie schon den ganzen Abend sehnsüchtig beäugt hatte, auf ihren Mund.
Sensibel für alles, was von Diego kam, spürte sie, wie er die Hände über ihren Rücken gleiten ließ, und sehnte sich sofort nach mehr. Sie füllte alle ihre Sinne mit ihm an, mit dem Duft von seiner warmen Haut und dem süßen Weingeschmack, der noch auf seinen Lippen lag.
Dieses Mal gab sie sich ihm mit Leib und Seele hin. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie etwas so richtig angefühlt.
Brogan blickte grinsend einem seiner Männer hinterher, der die weinende Japanerin, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, wenig sanft in ihre Ecke zurückzerrte, wo sie schluchzend auf den kalten Boden sank. Er hatte ihr sein Brandzeichen verpasst und glaubte nicht, dass sie ihn je wieder vergaß. Mit nichts bekleidet außer seinem widerlichen Grinsen, trat er gut gelaunt vor eine Spüle und wusch seinen Schwanz. Die Luft war drückend schwer vom Geruch nach Sex und Angst.
Respektvoll hielten seine Männer Abstand, bis er wieder angezogen war. Er hatte erledigt, weshalb er gekommen war.
»Nickels hat angerufen, als Sie … beschäftigt waren. Ich habe mit ihm gesprochen«, meldete McPhee und hielt Brogan sein Handy hin. »Er meinte, der Mex hätte sich wieder auf den Weg gemacht, aber die Bullenfotze wäre noch zu Hause, und er bliebe deshalb noch ein bisschen dort.«
»Dieser verdammte Mex geht mir unglaublich auf den Sack. Aber damit ist es bald vorbei.« Zähneknirschend stapfte Brogan auf seinen Mercedes zu, und sein Handlanger lief eilfertig hinter ihm her.
»Sollen wir sonst noch irgendetwas tun, Boss?«
»Haltet die Augen auf, bis ihr wieder etwas von mir hört. Heute Nacht kommt niemand mehr, und es geht auch keiner von euch noch mal weg. Sperrt also gut zu.«
»Verstanden. Wird sofort erledigt, Boss.«
Brogan hasste den Gedanken, dass der blöde Diego einfach durch die Gegend fuhr, ohne dass ihm einer seiner Männer auf den Fersen war, aber der Big Boss hatte schon einen Plan. Nicht mehr lange, hatte Cavanaugh versprochen, und der Mex gehörte ihm.
Er stieg in seinen Wagen, ließ den Motor an und fuhr mit quietschenden Reifen los. Sobald er wieder draußen in der Nachtluft war, klingelte sein Handy, er drückte, ohne nachzusehen, wer es war, den grünen Knopf.
»Ja. Sind Sie das, Nickels?«
»Nein, Schätzchen. Ich bin es.«
Brogan umklammerte das Lenkrad seines Wagens und kniff die Augen zusammen. Er brauchte einen Augenblick, bis er erkannte, wer da mit ihm sprach, als es ihm dämmerte, hätte er beinahe einfach wieder aufgelegt. Dieses blöde Weib.
»Leg nicht auf, Matt. Nicht, solange du nicht weißt, worum es geht. Ich muss mit dir persönlich sprechen. Du kannst dich doch bestimmt daran erinnern, was für ein Gefühl das ist, oder etwa nicht, Baby?« Der verführerische Ton, in dem sie sprach, klang in seinen Ohren wie ein warmes Gleitmittel. »Sag nur, wann und wo, und ich bin da.«
So erledigt er auch war, konnte Brogan spüren, dass sein Körper reagierte. Er hasste sie dafür. Sie wusste ganz genau, welche Knöpfe sie bei ihm zu drücken hatte, und sie kannte vielleicht sogar noch ein paar, deren Existenz ihm selber nicht bewusst war.
Er knirschte wieder mit den Zähnen, starrte in die Dunkelheit hinaus und fuhr, während sich seine Gedanken überschlugen, durch das Tor. Dieses verdammte Weib hatte schon immer einen totalen Dachschaden gehabt. Er stieß einen Seufzer aus und ließ sie warten, während er noch überlegte, was die beste Antwort war. Er hatte nicht die Absicht, dort weiterzumachen, wo es vor Jahren geendet hatte, aber ihre Stimme hatte einen wirklich eindringlichen Klang.
»Ich bin ganz Ohr, Sonja«, erklärte er deshalb. »Ich kann nur für dich hoffen, dass sich diese Unterhaltung für mich lohnt.«