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Aber Liebling, du siehst wunderbar aus.« Herr Bengtssons Versuch, seine Frau aufzumuntern, hätte vielleicht funktioniert, wenn seine Schultern nicht gleichzeitig vor Lachen gebebt hätten. Er kicherte zwar nur durch die Nase, aber das machte es auch nicht besser.
Und sie war wirklich hübsch, Frau Bengtsson. Mit ihrem rotbraunen Haar und ihrem noch röteren, langen Kleid aus Kunstseide (wer sie fragte, bekam natürlich die Auskunft, es sei echte Seide und nichts anderes) und einem passenden Schal über den Schultern.
Herr Bengtsson sah etwas anderes und ging kurz fort.
Doch, schön war sie immer. Als er zurückkam, setzte er ihr einen dreieckigen, feuerroten Papphut auf, und hätte Frau Bengtsson nicht auch Haut gezeigt, sie wäre rundum knallrot gewesen.
»So, jetzt bist du fertig«, sagte er und kicherte ungeniert. Der Gastgeber kam, um sie zu begrüßen.
»Verdammt, wie konnte ich bloß vergessen, dass es ein Krebsfest ist!«, sagte sie verkniffen. »Ich seh ja selbst wie ein Krebs aus … Hej, Ove!« Sie gab dem Geburtstagskind links und rechts einen Wangenkuss. Beide Male trafen ihre Lippen nur Luft, und sie fühlte sich äußerst weltgewandt. Bis Ove ihrem Mann die Hand gab und sagte: »Willkommen! Ich muss schon sagen, die leckersten Krebse liegen nicht auf dem Teller heute Abend.« Er zwinkerte ihr zu, und sie wollte sofort nach Hause, sich umziehen. Von wegen weltgewandt. Gehe zurück auf Los.
»Ach, stell dich nicht so an, du siehst wunderbar aus«, sagte Herr Bengtsson, als der Gastgeber seine Begrüßungsrunde fortsetzte. »Ove ist nun mal ein bisschen … ja, du weißt ja, wie er ist. Kümmer dich nicht drum.« Dieses Mal unterdrückte er das Kichern erfolgreich, und Frau Bengtsson beruhigte sich und begrüßte die anderen Frauen.
Das rote Kleid gehörte zum Plan, denn heute stand Hochmut auf dem Programm. Eigentlich fand sie, dass ihr neues Projekt an sich schon genug von dieser Todsünde beinhaltete, aber eine Extraportion Eitelkeit konnte ja nicht schaden. Auf ihr Aussehen war sie gern stolz, äh, hochmütig.
Nun konnte man fast sagen, dass ihr Plan fürs Erste fehlgeschlagen war. Dank Oves Kommentar bemerkten auch die anderen gewisse Parallelen zwischen ihrem Outfit und einem gekochten chinesischen Flusskrebs. Wie konnte sie nur so dumm sein, es hatte in der Einladung gestanden, dass es eine Krebsparty war und dass die Gastgeber für alles sorgen würden, was dazugehörte: Erfrischungen, Lätzchen, Papphüte und andere Scherzartikel.
Frau Bengtsson hatte nichts dagegen, ein wenig albern auszusehen, es gehörte ja dazu. Ein lustiger Hut, ein Lätzchen mit einem witzigen Bild, vielleicht sogar eine Pappnase. Aber das hier war etwas ganz anderes. Bodenlanges, knallrotes Kleid. Roter Schal. Und rotes Haar. Auf einem Krebsfest.
Sie versuchte, das Unbehagen abzuschütteln, indem sie den Begrüßungstrunk, den man ihr unter die Nase hielt, in einem Zug hinunterstürzte und sich gleich einen neuen nahm. Sofort fühlte sie sich besser und richtete keck den Hut. Na gut, dann war sie eben ein Krebs. Aber ein sexy Krebs! Als sie losgefahren waren, hatte ihr Mann gesagt, sie sehe wie Jessica Rabbit aus.
Bitte schön. Jessica Flusskrebs, zu Ihren Diensten, dachte sie, feixte und setzte ihre Begrüßungsrunde selbstsicher fort.
Die anderen Frauen waren wohlerzogen genug, um Frau Bengtssons Ähnlichkeit mit einem Schalentier nicht zu kommentieren. Mit herzlicher Routine erwiderten sie die Luftküsse. Um ehrlich zu sein, waren sie alle ein wenig zu fein gekleidet für ein Krebsfest – in bester Vorstadtmanier –, und vielleicht waren ihre Farbkombinationen auch nicht glücklicher. Sie standen in Reih und Glied unter den bunten Lampions im Garten, und als Ove an sein Glas klopfte und alle willkommen hieß, hielt Frau Bengtsson bereits den dritten Willkommenstrunk in der Hand und fühlte sich entsprechend willkommen.
Herr Bengtsson stand am anderen Ende des Gartens und probierte ein Ding aus, das die Männer Trainingsgerät und die Frauen Spielzeug nannten – ein tragbares Putting Green –, und schwatzte mit jemandem, den sie vage als Verkäufer aus der Autofirma wiedererkannte. Als er sich konzentriert vorbeugte und den Schläger neben dem Ball pendeln ließ, kam eine kleine Speckfalte über dem Gürtel zum Vorschein, als wolle sie neugierig die Welt betrachten. Ein Wohlstandsröllchen, gut versteckt unter dem Hemdzipfel, aber trotzdem. Sie trank noch einen Schluck und begann sich zu ärgern. Wie konnte er sich erlauben, sich über ihr Aussehen lustig zu machen? Er wusste doch wohl, dass er nach oben geheiratet hatte, was das Aussehen anging, und nicht sie? Dass seine liebe Frau immer noch der Kategorie »Schöner Mensch« angehörte, während er mit den Jahren vom hübschen Kerl zum ordinären Bauchträger geworden war? Fast schon zum alten Mann. Sie machte einen unfreiwilligen Knicks, weil ihr Absatz im weichen Gras einsank.
Doch, das musste er zugeben, dachte sie. Aber der Zorn, der sich angekündigt hatte, blieb aus, und ihr war seltsam zumute. Eigentlich machte Herr Bengtsson ihr oft Komplimente, und im Gegensatz zu ihr war er nie eitel. Wahrscheinlich lag er über dem Durchschnitt, was die verbale Wertschätzung ihres Aussehens anging, auch wenn seine Worte nie besonders lang oder besonders poetisch waren. Manchmal machte er ihr auch wortlose Komplimente, die aus Grunzen, Pfeifen oder einer Hand auf ihrem Hintern bestanden. Aber übersetzt bedeuteten sie alle dasselbe. Warum war sie sauer auf ihn und sein Speckröllchen?
Das hat etwas mit Abstand zu tun, hörte sie sich selbst denken, als sich Oves Willkommensrede dem Ende näherte. Du sollst nicht ehebrechen … wie soll ich das schaffen, wenn ich mich nicht von ihm distanziere? Wieder sah sie ihren Mann an, dessen Ball gehorsam in das kleine Loch rollte. Ein grünes Lämpchen leuchtete als Bestätigung seines Erfolges auf, er streckte die Faust in die Höhe, dann klatschten er und der Autoverkäufer die Hände in der Luft zusammen. Er ließ den Blick durch die Menge wandern und suchte seine Frau, küsste den Golfschläger und blies den Kuss in ihre Richtung. Er freute sich wie ein Höhlenmensch: Er, Herr Bengtsson, hatte den kleinen, weißen Plastikball bezwungen und in seine Höhle verwiesen, und seine Frau hatte ihm dabei zugesehen. Er grinste breit und prostete ihr zu. Sie prostete zurück und lachte.
Aber wie kann ich mich von ihm distanzieren?
»… Und nun, meine Damen und Herren, Applaus für die Ehrengäste des Abends!« Ove beendete seine Rede mit einer großen Geste in Richtung der riesigen Platte, die auf sein Kommando herausgetragen und aufgetischt wurde. Es war eine gigantische Silberschüssel voller Krebse. Zehn Kilo, schätzte Frau Bengtsson, und das schätzten auch die zwei armen Kerle, die das Ganze trugen. Frau Ove, die unserer Frau in puncto Hausfrauentum in nichts nachstand, hatte darauf geachtet, dass die untere Schicht Krebse symmetrisch verteilt war und die Scheren wie ein festlicher Volant über die Kante hingen. Ein Volant aus totem Fleisch. Ob die Krebse dies festlich fanden, fragte keiner.
Die Gäste stießen laute »Ooohs« und »Aaahs« aus, als die Platte abgestellt wurde.
»Ja, gebt ihnen ein warmes Willkommen, lasst es euch schmecken und seht zu, dass sie sich im Magen mit ihrem speziellen Freund vereinen. Krebse lieben Schnaps!« Ove lachte über sich selbst, hieß die Gäste noch einmal willkommen und brachte einen Toast auf alle Anwesenden aus. Frau Bengtsson toastete artig zurück. Unter Oves Partyhut rann ein Schweißtropfen hervor. Er wischte ihn mit der Krawatte ab und zwinkerte Jessica Krebs zu.
Das fiel ihr natürlich auf.
Warum sollte sie sich von Herrn Bengtsson distanzieren? Das hatte er wirklich nicht verdient. Sie wollte es nicht und bezweifelte, dass sie es je tun könnte.
Warum soll ich es mir schwerer machen, als es schon ist?, dachte sie und sah ein, dass ihr Kalkül nicht aufging. Ehebruch ist es wohl trotzdem, auch wenn man den verachtet, mit dem man … es tut? Auch wenn man nur fickt, ohne es wirklich zu wollen? Jedenfalls akzeptiert keiner die Entschuldigung, dass es nichts bedeutet. Dann ist es auch nicht die Voraussetzung dafür, dass es als Ehebruch zählt? Sie entschied, dass dem so war, und prostete dem frischgebackenen Vierzigjährigen zu.
Nein, untreu wollte sie nicht sein. In ihrer Welt war dies kompliziert und gefühlsbeladen, eine Bedrohung der eigenen Verhältnisse. Aber nun war ihr der Trick eingefallen, der es viel leichter machte: Bloß, weil es Gott so viel bedeutet, muss es mir ja nichts bedeuten. Augen zu und durch, ohne jedes Lustgefühl, ohne Engagement. Ja, so werde ich es tun.
Sie folgte dem Strom zu Tisch und bemerkte zufrieden, dass Herr und Frau Ove das Ehepaar Bengtsson in nächster Nähe plaziert hatten. Das bekräftigte ihren Status, und die Anordnung würde ihren Plan erleichtern. Oder …? Zumindest wollte sie die Lage peilen. Tief im Bauch spürte sie ein erwartungsvolles Kitzeln, aber sie machte sich keine Vorwürfe – Abenteuer war Abenteuer.
Beim Essen entdeckte sie zwischen Krebssuppe und Schnaps die kleinen Tricks wieder, die eine Frau in ihrer Flirtschublade hat. Tricks, die sie lange nicht mehr angewendet hatte. Jedenfalls nicht die lustigsten. Freilich führte unser Hausbesitzerpaar eine gute Ehe – besser als der Durchschnitt, wie beide noch dachten. Und dass sie so dachten, zählte viel mehr als die tatsächlichen Verhältnisse.
Nach neunzehn Jahren Ehe wusste Herr Bengtsson, wann seine Frau Interesse hatte, zumindest sollte man dies annehmen. Die Trickkiste war also ein wenig eingerostet. Außerdem erschwerte der Anlass die einschlägigen Gesten. Jedes Mal wenn sie sich durch die Haare fahren oder verführerisch mit einer Locke spielen wollte, musste sie sich beherrschen. Krebsfest gleich Krebssaft gleich stinkende, aufgedunsene Finger. Ein paarmal fiel ihr dies zu spät ein, und sie fühlte sich fischig. Wie auch immer, es schien trotz allem noch zu funktionieren. Frau Ove, die ihr gegenübersaß, schien nichts zu bemerken, vielleicht weil sie selbst eine Art Paarungstanz mit ihrem Tischkavalier vollführte. Es war fast wie Stille Post, allerdings mit schlüpfrigen Absichten. Ich beuge mich etwas tiefer vor, damit mein Ausschnitt zur Geltung kommt – weitersagen. Frau Bengtsson kicherte bei dem Gedanken.
»Was ist denn so lustig?«
Sie zuckte zusammen und drehte sich zu ihrem Mann um, der überhaupt nicht aussah, wie sie erwartet hatte. Er sah aus wie ein Mann, der genau wusste, was seine Frau vorhatte.
»Was meinst du?«, antwortete sie.
»Was tust du da eigentlich?« Er sah sie mürrisch an, und für Sekundenbruchteile schämte Frau Bengtsson sich. Aber dann wurde sie rasch sauer. ›Was tust du da eigentlich?‹
»Hör auf. Ich bin doch bloß nett. Wie alt bist du, siebzehn?«
»Nein, aber man sollte meinen, du wärst es, wie du dich benimmst.«
»Benimmst! Jetzt reicht’s mir aber.« Die Köpfe in Frau Bengtssons Nähe wandten sich ihr zu, und sie senkte die Stimme. »Benimmst. Du benimmst dich. Man wird ja wohl noch nett sein dürfen?« Sie streckte die Hand nach einem weiteren Krebs aus und griff zu, ohne nachzusehen. »Da gehen wir ein einziges Mal aus und wollen uns ein bisschen amüsieren. Nach neunzehn Jahren solltest du in Gottes Namen wissen, dass … Auaaa!« Sie schüttelte heftig die Hand – es war der Augenblick, da sie Gottes Namen in den Mund nahm – und schrie so laut, dass sämtliche Tischgespräche verstummten und jeder erstaunt zu ihr herüberstarrte. Alle schwiegen. Alle außer Frau Bengtsson, die weiterschrie und versuchte, den Krebs abzuschütteln, der sich an ihrem Daumen festgebissen hatte, und außer Ove, der in Gelächter ausbrach: »Hihi, so ein Spaß!« Seine Speckfalten schwabbelten vor Lachen. Er stand auf, nahm Frau Bengtssons Hand und öffnete mühsam die Krebsschere. Frau Bengtsson war ebenfalls aufgestanden und sah ihm mit glasigem Blick dabei zu.
»Tadaa!«, rief Ove stolz, als er den Krebs losbekommen hatte. Er hielt ihn in die Luft und winkte triumphierend mit dem armen, schwarzäugigen Tierchen, das nicht wusste, wie ihm geschah. »Mann, war das lustig. Das hab ich im Internet gefunden. Man malt einfach einen lebendigen Krebs mit Nagellack an und legt ihn mit auf die Platte.« Er klopfte sich auf den Schenkel und lachte, und viele stimmten ein. »Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen. Herrgott, sah das komisch aus. Es hat doch nicht weh getan?«
Frau Bengtsson massierte sich den Daumen. »Ne … war halb so schlimm. Aber ich habe mich zu Tode erschrocken. Er sah ja gekocht aus.«
»Ja, genau.« Ove begann wieder zu kichern. Dann hob er sein Schnapsglas: »Auf Frau Bengtsson, ein Prachtkerl – oder soll ich Prachtkerlin sagen? Und auf den Krebs. Prost!«
Alle prosteten ihr zu, also nahm sie ihr Schnapsglas und trank mit.
Den Krebs hatte Ove auf den Tisch gesetzt, und er begann eine mühsame Reise. Zuerst krabbelte er bis zur Tischkante, sah in den Abgrund, hielt die Luft an und stürzte sich hinab. Nach einer geglückten Landung streckte er seine empfindlichen Fühler in alle Richtungen aus, bis er einen Teich mit einem kleinen Wasserfall witterte – ein Koi-Teich sogar –, der nur wenige hundert Meter entfernt lag. Zwei ganze Tage lang krabbelte er, bis er endlich ins Wasser glitt.
Die Koi hielten das wunderschöne, knallrote Tier für ein übernatürliches Wesen aus einer anderen Welt, riefen ihn einstimmig zum König des Koi-Teiches aus und teilten großzügig ihr Futter mit ihm. Dort verlebte er den Rest seiner Tage in majestätischem Glanz und klapperte fröhlich mit seinen leuchtend roten Scheren, wenn die Koi ihn darum baten, und nur selten vermisste er seine eigene Art.
Auf der Krebsparty sah Frau Bengtsson ihren Mann an, der prostete und lachte, und als sie sich setzte, sagte er vergnügt: »Siehst du, manche Sünden straft Gott sofort.«
Frau Bengtsson zweifelte keine Sekunde daran, dass er recht hatte. Ihr Daumen war geschwollen. Sie musste einen neuen Plan schmieden. Und wenn es um ihr Leben ginge, niemals würde sie mit Ove schlafen.
Gegen Mitternacht kam ihr Gastgeber angeschlendert (die Schnapsfahne war ihm vorausgeeilt) und stülpte ihr ein Paar rote Grillhandschuhe über die Hände. Er wollte ein Foto machen, um es als Dankeskarte an alle Gäste zu verschicken. Da hatte sie die Nase voll, sagte Herrn Bengtsson, dass sie Kopfschmerzen habe, und bat ihn, ein Taxi zu rufen. Sie schlief während der kurzen Fahrt im Auto ein, und im Traum entschied sie, dass Beggo die weitaus bessere Wahl für einen Ehebruch war.