NEUNTES KAPITEL

Am Morgen wachte ich auf, hatte zehn Stunden geschlafen und war allein. Ich hörte sie im Bad singen, ausgerechnet »Dirty Old Town«. Ich rief erneut den Express in Köln an, vielleicht hatte ich Glück. Ich hatte.

Ascheburg sagte: »Es gibt kein brauchbares Foto von Gerber. Er hat gerichtlich durchgesetzt, daß alle Fotos, die wir von ihm veröffentlichen, geschwärzt werden müssen. Angeblich weil er im hochsicherheitspolitischen Bereich arbeitet. Es lebe die Demokratie. Was ist bei Ihnen passiert?«

»Eine Menge.«

Ich berichtete kurz und sachlich und riet ihm: »Sie sollten vielleicht morgen noch einmal einsteigen. Wenn Sie ausschließlich schildern, was uns bisher widerfahren ist, müßte das ausreichen, sogar vereiste Brontosaurier zum Leben zu erwecken.«

»Ich habe dabei ein schlechtes Gefühl«, erwiderte er. »Die beiden Jungen, die Ihnen mit dem Wohnmobil folgten, mögen noch so etwas wie eine harmlose Eskorte gewesen sein, um herauszufinden, was Sie vorhaben. Aber wenn Gerber begreift, daß Sie über Gaetano, sprich Paolo, auf seiner Spur sind, wird es brenzlig. Im Fall Gaetano stecken sogar die Leute von der Mafia mit drin. Die sind auch nicht zu unterschätzen.«

»Ist inzwischen recherchiert worden, wer außer dem Verein und dieser Firma die Akten des Falles besitzt?«

»Ja, da sind ein paar Adressen hinzugekommen. Diese Akten dürfen nicht kopiert werden, sind Verschlußsache. Es existieren aber mindestens zehn Kopien von jedem gottverdammten Schriftstück, das sich in den Akten befindet. Es ist grotesk, es ist so, als sei Geheimhaltung nur etwas für das niedere Volk. Machen Sie es gut und melden Sie sich.«

Sie kam nackt und hübsch aus dem Bad, sagte nicht sonderlich entsetzt: »Oh. Guten Morgen«, wickelte sich in ein großes Handtuch und setzte sich in einen Sessel. »Was ist, wenn Watermann diesen Rohloff wirklich getroffen hat, wenn der wirklich existiert?«

»Es ist sehr unwahrscheinlich, daß der existiert. Nicht, weil das nicht so sein kann, sondern weil Watermann das in sein Notizbuch eintrug. Watermann schrieb niemals ein Tagebuch – warum machte er das jetzt? Rohloff kann kein entlastendes Material angeboten haben, denn das gab es nicht.«

»Gut, Watermann hat also normalerweise niemals Tagebuch geführt, er hat es in diesem Fall aber getan. Wie willst du denn diese Eintragungen begründen, wenn es Mord war?«

»Das ist sehr einfach. Versetz dich in die Rolle des Mörders oder des Auftraggebers. Der will der Öffentlichkeit vorspielen, es sei ein besonders raffinierter Selbstmord gewesen …«

»… das erklärt aber doch nicht diese Eintragungen, die ja zweifelsfrei von Watermann stammen«, sagte sie ungeduldig.

»Warte es ab. Ich locke ihn also nach Genf und verspreche ihm, ihn samt der Familie aus diesem Schlamassel herauszuholen. Dazu muß ich ihm klarmachen, daß er das Spiel mit dem nicht existierenden Rohloff mitspielt. Ich schreibe ihm also diese Eintragungen vor, ich diktiere sie ihm.«

»Aber, wie kann ich ihm das Heil versprechen und ihn gleichzeitig dazu bringen, acht Medikamente in tödlichen Dosen zu schlucken? Das paßt alles vorne und hinten nicht.«

»Das paßt alles, das paßt sogar prima. Selbstverständlich werden die Mörder ihm nicht geraten haben, acht Medikamente auf einmal zu schlucken. Erinnere dich: Ein Teil der Medikamente war verdaut, als er starb, ein anderer Teil nicht. Wenn wir bedenken, daß seine Mörder längere Zeit, vielleicht sogar zwei- oder dreimal mit ihm zusammengetroffen sind, dann konnten sie ihn langsam schläfrig machen. Sie konnten den wesentlichsten Teil der Medikamente aufgelöst in Kaffee geben, oder? Ganz zum Schluß sagen sie: Nimm diese vier Tabletten, du wirst stundenlang schlafen. Wir besorgen einen Krankenwagen und schaffen dich raus. Anders geht es nicht, unten warten die Pressefritzen. Leuchtet das ein?«

Sie bekam runde Augen, sie erwiderte nichts, sie hauchte nur:

»O ja!«

»Die ganze Planung der Affäre läuft erkennbar nur auf eine mögliche Lösung hinaus: Selbstmord. Die, die das arrangierten, wollten nicht, daß es nach Mord aussah. Vier Tage nach Watermanns Tod erschien in der ›Baseler Zeitung‹ eine Meldung, die ich auswendig kenne. Da stand: ›Nach sehr zuverlässigen Informationen, welche die ›BAZ‹ bekam, haben die politischen und die Justizbehörden von gewichtiger deutscher Seite und über mehrere Kanäle den Wunsch übermittelt bekommen, daß es in aller Interesse wäre, wenn man diesen Fall als Selbstmord einstufen könnte.‹ Ende der Meldung. Wenn man weiß, daß die politische Berichterstattung dieses Blattes sehr gut und fundiert ist, kann man ausschließen, daß das leichtfertig gedruckt wurde.«

»Kann man diesen Journalisten nicht befragen?«

»Kann man. Aber ob er antworten wird, ist eine andere Sache. Praktisch müßten wir ihn dazu zwingen, seinen Informanten preiszugeben. Ein guter Journalist tut das nie. Wenn wir etwas bewegen wollen, müssen wir nach Windlingen.«

Unvermittelt fragte sie: »Ist eigentlich jemals überlegt worden, ob Watermanns Frau dabei die Hand im Spiel hatte?«

»Es gibt wohl nichts, was nicht durchdacht worden wäre. Aber sie ist nicht der Typ dazu. Sein Bruder auch nicht. Es ist sogar überlegt worden, ob einer der persönlichen Schützlinge Watermanns, dem er zu Ruhm und Reichtum verhalf, nicht in Verzweiflung seinen Gönner tötete. Aber das war gar nicht nötig, denn andere waren schneller.«

»Gut, überlegen wir einmal, wie lange denn der Mörder Zeit hatte.« Sie biß sich auf die Unterlippe. »Wann kann der Plan gefaßt worden sein?«

»Gute Frage. Watermann trat am zweiten Oktober von seinem Amt als Ministerpräsident zurück. Am sechsten Oktober flog er nach Gran Canaria. Am siebten Oktober verbrachte er einen sehr ruhigen Ferientag. Aber an diesem Tag verlangte seine Partei, er solle gefälligst sein Landtagsmandat niederlegen. Er erfuhr davon zwar erst am Morgen des achten Oktober, aber wenn ihn jemand genau kannte und richtig einschätzen konnte, mußte er am siebten Oktober auf die Idee kommen, die Notbremse zu ziehen, Watermann also zu töten.«

»Du lieber Himmel, ist es etwa einfach, jemanden voll Tabletten zu pumpen und in eine gefüllte Badewanne zu legen?«

Ich lachte. »Ich weiß, das verwirrt. Aber natürlich macht die volle Badewanne Sinn, wenn man etwas von Selbstmord versteht. Der Spiegel titelte damals über den Tod von Watermann: ›STERBEN NACH METHODE 1‹. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben gab nämlich schriftlich den Rat an Todeswillige, sich ein Hotelzimmer zu nehmen, dort die tödlichen Präparate einzunehmen und sich dann in die gefüllte Badewanne zu legen. Ich habe diese Unterlagen, tatsächlich sind das frappierende Übereinstimmungen. Ich gehe davon aus, daß der Mörder das bewußt eingeplant hat. Aber dabei machte er einen entscheidenden Fehler. Du erinnerst dich daran, daß in Watermanns Körper auch ein Mittel namens Perazin gefunden wurde, ein Neuroleptikum. Dieses Mittel wird von der Gesellschaft für Humanes Sterben ausdrücklich nicht empfohlen. Der Grund ist ganz einfach: Perazin führt nicht zum Tod. Aber es ist fast immer mit qualvollen Krampfanfällen verbunden, mit nicht steuerbaren Muskelverkrampfungen und wahnwitzigen Dystonien. Jetzt denke mal an den Nachtportier namens di Natale, der behauptet hat, etwa gegen vier Uhr morgens sei er durch einen Krach wach geworden, der ziemlich lange dauerte. Zwanzig Sekunden nämlich. Denk bitte an den jungen Auszubildenden, der beobachtete, wie ein Körper, der von zwei Männern getragen wird, auf eine Treppe hinunterfällt und dabei zuckt. Denk dann an Perazin, und du hast die wahrscheinliche Lösung.«

»Sie haben ihm das Zeug eingetrichtert, er bekam Krämpfe, sie trugen ihn in sein Zimmer. Unterwegs fiel er ihnen hin. Sie füllten die Badewanne und legten ihn hinein.« Sie war weiß im Gesicht.

»So war es wohl«, sagte ich. »Wenn du die Zeugenaussagen ernst nimmst – und es gibt keinen Grund, das nicht zu tun –, dann mußt du zu diesem Ergebnis kommen. Aber jetzt will ich einen Kaffee.«

Ich stand auf und ging ins Bad und rasierte mich. Als ich zurückkam, stand sie vor mir, umarmte mich und flüsterte: »Kann sein, daß du dich trotzdem irrst. Wenn schon, ich finde deine Art nachzudenken wirklich irre.«

»Du machst mich verlegen.«

»Wirklich? Darf ich dich küssen?«

»Na ja, ich weiß nicht. Wenn es irgendwie schwesterlich sein könnte.«

»Aber ja«, murmelte sie.

Mag sein, daß es anfangs schwesterlich war, aber dann wurde es zunehmend intimer, eindeutiger, drängender. Möglicherweise hatte ich ein wenig Angst. Aber dann vergaß ich das einfach.

 

Es wurde nichts aus dem Frühstück, weil wir beide verlegen waren und ein bißchen Angst davor hatten, uns beim Frühstück gegenüberzusitzen. Zuweilen sind Menschen so. Wir verfielen in fieberhafte Tätigkeit, packten, besprachen, was wir vielleicht tun könnten und was nicht, und wußten gleichzeitig, daß all dies Gerede dummes Zeug war. Erst als wir längst im Wagen saßen und die Bundesstraße 23 über Schongau und Landsberg nach Augsburg fuhren, sagte sie in die grelle Sonne blinzelnd: »Du brauchst wirklich nicht Vollgas zu geben. Es war sehr schön, Baumeister.«

»Ja, das war es. Und vielen Dank.«

Nach einem Kilometer fragte sie: »Meinst du das so?«

»Ja, das meine ich so.«

Nach einem Kilometer sagte ich: »Ist doch ein Geschenk, oder?«

»Ja«, nickte sie, »das ist es.«

Windlingen liegt zwischen Reutlingen und Gammertingen am Nordrand der Hohenzollernalb. Wir fuhren bis Ulm auf der Autobahn, dann auf der Bundesstraße 28 über Blaubeuren und Bad Urach. Windlingen fällt im Schwäbischen nicht auf, einem Hamburger würde es auffallen. Es ist ungeheuer sauber, kleinstädtisch betriebsam, alles verläuft absolut geregelt, nichts überläßt schwäbische Betriebsamkeit dem Zufall.

Die Firma All-Expo-Trans hatte ihren Sitz im Gewerbegebiet-Süd, wie ich in einem Telefonbuch feststellte. Wir fuhren hin und waren enttäuscht. Du erwartest die Demonstration geballter Wirtschaftsmacht und stehst vor einem zweistöckigen braunen Kasten, der abgesehen von öder Langeweile nichts ausstrahlt. Das änderte sich, als wir die gläserne Flügeltür durchschritten hatten. Da war ein Empfangstisch mit einer Frau aufgebaut, die direkt der letzten Nummer irgendeiner Frauenzeitschrift entsprungen schien. Ich reichte ihr meine Karte, ich sagte: »Ich möchte gern Herrn Westphal sprechen.«

»Einen Moment bitte«, sagte sie munter und strahlte mich an, drehte sich herum und ging durch eine Milchglastür. Nach einer Weile kam sie zurück. »Der Chef hat aber nicht lange Zeit. Andererseits will er Sie nicht unnötig warten lassen. Bitte kommen Sie mit.«

Ich drückte Minna den Fotoapparat in die Hand, und wir gingen hinter der Modepuppe her in den ersten Stock. Wie üblich mußten wir durch das Sekretariat. Eine Frau fragte mit einer eigenartig schnurrenden Stimme: »Kaffee oder Tee?« Es klang wie ein fröhlicher, unsittlicher Antrag.

»Kaffee, bitte«, sagte Minna. Sie lächelte genauso süß wie alle die Frauen um uns herum.

Westphal war ein kleiner, schmaler Mann mit einem großen, dunklen Schnauzer unter hellblauen Augen und einer weit fortgeschrittenen Stirnglatze.

»Meine Kollegin Minna Tenhövel«, sagte ich.

Er stand irgendwie stramm, obwohl wir nicht hörten, daß er die Hacken zusammenschlug. »Gnädige Frau!« sagte er. »Bitte nehmen Sie Platz. Was kann ich für Sie tun?«

»Wir haben ein Problem«, sagte ich und sah ihn eindringlich bittend an. »Wir haben ein Problem mit dem toten Herrn Watermann. Da Sie ihn kannten, da Sie ihn zweimal, dreimal trafen, sind wir hier. War er eigentlich Mitglied in dem Verein ›Preußens Geschichte‹ in dem Sie Geschäftsführer sind?«

»Nein, nein, Mitglied war er nicht, er hatte mit dem Verein nicht das Geringste zu tun. Er war, nun, sagen wir ein geschäftlicher Berater in ein, zwei Fällen. Wirklich nichts Besonderes.«

»Können Sie uns sagen, in welchen Fällen?« fragte Minna, und ihre Stimme klang so freundlich wie zerbrechendes Glas.

»Ja, sicher kann ich das, das bin ich bereits gefragt worden.« Er lächelte plötzlich. »Nein, ich bin nicht von der Presse danach gefragt worden, sondern von Behörden, die sich bedauerlicherweise mit dem plötzlichen Tod von Dr. Watermann beschäftigen mußten. Er war ein Fürsprecher schleswig-holsteinischer Industrie. Das war ja sein Amt, nicht wahr? Wir vermittelten flachgehende Küstenboote, natürlich zivilen Charakters, an die damalige Volksrepublik Polen. Sie wurden in Schleswig-Holstein gebaut …«

»Und wahrscheinlich transportiert von Schalck-Golodkowskis Firma KoKo, nicht wahr?«

»So isses«, sagte er offen. »Wir konnten damals nicht wissen, was für ein Schlitzohr dieser Schalck-Golodkowski ist, nicht wahr?«

»War Watermann jemals hier bei Ihnen in der Firma?«

»Oh, wo denken Sie hin? Ein Ministerpräsident? Hier? Nein. Wir fuhren hin, meine Sekretärin und ich. Warten Sie mal, das war, das muß, ja, ich weiß, das war im Februar 1984. Dann noch einmal im August 1985.«

»War er ein Mann, der Ihrer Meinung nach Selbstmord begehen würde?« fragte Minna lammfromm.

Er bekam schmale Augen. »Damals sicher nicht. Aber was man so gelesen hat, deutet ja wohl darauf hin, daß er in … in seinen letzten Lebenswochen, nun, ich will es einmal vorsichtig ausdrücken, er war wohl nicht ganz bei Troste, nicht wahr? Er hatte zweifellos unrechte Dinge getan, die … die man nicht tut. Lügen, falsche Ehrenworte, ekelhafte Sache, nicht wahr?«

»Es heißt, daß einige Mitglieder der Familie seiner Frau Mitglieder in Ihrem Verein sind. Ist das richtig?«

»Das kann ich Ihnen aus dem Stand wirklich nicht beantworten, dafür müßte ich erst einmal die Mitgliederliste einsehen. Wir haben sechshundertzehn Mitglieder, wir sind ein e.V. ein eingetragener Verein.«

»Könnten wir die Mitgliederliste haben?« fragte Minna. Sie spielte mit dem Fotoapparat auf ihrem Schoß.

Er sagte schnell: »Keine Fotos bitte. Sind Sie so freundlich und sagen Sie mir, was Sie spezifisch wollen?«

»Sehen Sie, was wir spezifisch wollen, wissen wir so spezifisch eigentlich nicht. Wir können schon jetzt beweisen, daß Watermann, Verzeihung, Dr. Watermann, ah ja, Dr. Dr. Watermann, nicht allein war, als er in der Badewanne ertrank. Da war jemand bei ihm, der dafür sorgte, daß er auch wirklich ertrank. Sagen Sie, was macht eigentlich dieser Verein ›Preußens Geschichte‹?«

»Nun ja, wir kümmern uns in erster Linie um die Bewahrung von alten preußischen Traditionen, wenn man so will alten preußischen Tugenden. Wir denken, daß es in jener Zeit sehr viel gab, was erhaltenswert ist. Wir fördern massiv Geschichtsforschung, wir fördern Veröffentlichungen, Doktoranden, die sich mit dieser Epoche befassen oder aber diese Epoche mit der unseren vergleichen. Und so weiter und so fort. Sagen Sie, wieso ist … also, habe ich das richtig gehört: Sie können beweisen, daß Dr. Watermann ermordet wurde? Habe ich da etwas falsch verstanden?«

»Nein, das haben Sie nicht«, sagte ich lächelnd, und ich sah, wie Minna auf den Auslöser drückte. Dann legte sie den Apparat auf den Schreibtisch genau unter seine Augen und murmelte:

»Ich fotografiere niemanden, der nicht damit einverstanden ist.«

Westphal war verwirrt, und er bemühte sich gar nicht, es zu verbergen. »O bitte, ich war gar nicht mißtrauisch. Für wen arbeiten Sie?«

»Wir sind freie Journalisten«, sagte ich, »wir wissen noch nicht, wem wir unser Material verkaufen. Sagen Sie, Sie sind Geschäftsführer des Vereins. Wer ist der Präsident? Und noch einmal die Frage: Können wir die Liste der Mitglieder haben?«

Er trommelte kurz mit den Fingern auf seiner Schreibtischunterlage. »Ich denke, die Liste können Sie haben. Der Präsident ist Herr von Windlingen, ein hiesiges uraltes Adelsgeschlecht.«

»Könnten Sie uns den Gefallen tun und eine Verbindung zu ihm herstellen? Wir würden ihn gern besuchen. Übrigens, wenn Sie ein e.V. sind, werden Sie irgendwie subventioniert?«

»Wir haben private Gönner, öffentliche Gelder bekommen wir nicht.«

»Wer sind diese privaten Gönner?« fragte Minna.

»Das kann ich Ihnen nicht verraten«, sagte Westphal. »Die Herrschaften wollen im Hintergrund bleiben.« Er räusperte sich. »Das ist ihr gutes Recht, nicht wahr?«

»Das ist es«, bestätigte ich. »Würden Sie uns bei Herrn von Windlingen anmelden?«

»Oh, es ist schon spät«, sagte er und sah auf die Uhr. »Ich weiß nicht recht, ob ich ihn stören kann.«

»Sie können sicher«, sagte Minna lächelnd.

»Sagen Sie mir nur eines: Wenn Sie überzeugt sind, daß Dr. Watermann ermordet wurde, wo liegen die Beweise?«

»Tja«, sagte ich, »von Ermordung habe ich nicht geredet. Ich sagte nur, er war nicht allein, als er in die Badewanne gelegt wurde. Geht ja auch nicht, wenn man fast bewußtlos ist, nicht wahr?«

»Hm.« Er sah aus dem Fenster. »Was hat das mit mir und dem Verein zu tun?«

»Das wissen wir noch nicht so genau«, sagte ich. »Sicher ist nur, daß damals merkwürdig viele Leute im Genfer Hotel ›Beau Rivage‹ abgestiegen waren, die eigentlich nicht da sein durften. Das macht uns nachdenklich. Also fragen wir alle, die irgendwie mit ihm zu tun hatten.«

»Also gut«, sagte er scharf, »mich als Inhaber dieser Firma können Sie fragen. Ich hatte Verbindung zu ihm, wenn auch nur kurz. Aber was hat das mit dem Verein zu tun?«

»Das wissen wir noch nicht«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Rufen Sie Herrn von Windlingen an? Ist er ein Graf oder ein Baron?«

»Ein Baron«, sagte er. »Na gut.« Er wählte schnell und ohne zu zögern und sagte »Westphal. Den Baron bitte. Es ist dringend.« Seinem Ton nach zu urteilen, war der Baron einer seiner Angestellten. »Hallo, Herr von Windlingen. Hier sind zwei Vertreter der Presse. Haben Sie Zeit für die Herrschaften? Es geht um den Verein.« Er nickte und sagte knapp: »Danke«, legte auf und sagte: »Er erwartet Sie.«

»Danke«, sagte ich. »Wie müssen wir fahren?«

Er erklärte es mir, irgendwas ließ ihm keine Ruhe, aber er riß sich zusammen. Als wir ihm die Hand gaben, sagte er vage: »Wir sollten mal zusammen essen.«

»Gerne, sehr gerne«, säuselte Minna.

»Eines hätte ich fast vergessen«, warf ich unschuldig ein.

»Manfred Gerber, der Privatdetektiv, hat bereits in Ihrem Auftrag gearbeitet. Was war das für ein Auftrag?«

»Routine. Eine Kundenüberprüfung. Gerber hat enorme Karteien, er kann jemanden schneller überprüfen als alle Auskunfteien.« In dem Moment begriff er, daß er einen Fehler gemacht hatte.

Ich sagte: »Ich hatte eigentlich den Auftrag gemeint, den der Verein an Gerber vergeben hat, nicht Ihre Firma. Aber das macht ja nichts. Also, für Ihre Firma hat er Kunden gefilzt. Was machte er für den Verein? Mitglieder filzen?«

»Jetzt gehen Sie zu weit«, sagte er. Er war zornig, aber wahrscheinlich zornig auf sich selbst.

In einem Anfall unbändiger Heiterkeit dachte ich: Vielleicht macht er noch einen Fehler.

Ich sagte: »Nach der Beschreibung gewisser, jetzt aufgetauchter Zeugen sollen Sie in der Nacht, in der Watermann starb, auch in dem Hotel in Genf gewesen sein. War das so?«

Es war ein Blattschuß, er zuckte zusammen, er ruckte mit den Schultern, er war getroffen und mühte sich, sein Gesicht unter Kontrolle zu bekommen. Er zwang sich ein Lächeln ab, er sagte:

»Also, hören Sie, wollen Sie mich verarschen?«

»Oh, durchaus nicht«, versicherte Minna ernsthaft. Dann ging sie vor mir her aus dem Raum, und er blieb hinter seinem Schreibtisch wie angewurzelt stehen.

»Mein Gott, das war gut«, sagte Minna im Wagen.

»Bestimmte Fragen stellt man am besten ganz zuletzt, gewissermaßen nebenbei. Wenn man ihnen vorher genug zum Denken gibt, machen sie meistens einen Fehler. Zu bedeuten hat das nichts. Ich hoffe nur, es macht ihn unruhig.«

Hätte ich an jenem Nachmittag gewußt, wie unruhig es ihn machen würde, hätte ich dieses gottverdammte Windlingen mit Vollgas verlassen.

 

Westphal hatte uns den Weg gut und einfach beschrieben. Wir fuhren aus Windlingen hinaus und erreichten nach drei Kilometern eine kleine Kreuzung, an der ein Pfeil nach rechts wies, »Burg Stölzle« stand da.

»Das ist unheimlich schön hier«, sagte Minna. »Sieh mal die Sonne in den Lichtungen.«

»Ja, ja. Vergiß nicht zu fotografieren.«

»Aber es ist wirklich schön hier.«

»Ich sehe es. Wir hätten uns ein Zimmer besorgen sollen.«

»Das können wir auch hinterher.«

»Aber wir haben keinen Fluchtpunkt«, sagte ich. »Falls irgend etwas geschieht, treffen wir uns auf der Kreuzung da unten, klar? Das sind von der Burg zweitausend Meter. Okay?«

»Was soll passieren?« fragte sie unruhig.

»Das weiß ich nicht«, sagte ich.

»Ist dieser Verein für dich verdächtig?«

»Noch nicht. Bis jetzt ist es nichts als ein Verein. Aber sie kennen Gerber.«

Die Burg wirkte gedrungen. Sie wirkte so, als sei sie aus dem Boden gewachsen. Sie war ein Kleinod in dieser Landschaft, nicht im geringsten verfallen und offensichtlich voll bewohnt. Auf den dunkelgrün gestrichenen Fensterläden gab es sehr viel rot-weiße, einander gegenüberstehende Dreiecke. Es gab, ummantelt von rot schimmerndem Stein, von Balken getragene Säulengänge, in denen, wie rote Ketten, Geranien an kleinen Holzkübeln aufgehängt waren.

»Die gute alte Zeit. Hier haben sie gehaust wie Penner. Sie haben sich nie gewaschen, starrten vor Dreck, Läusen und Flöhen und hatten nichts anderes im Sinn, als dem Nachbarn den Morgenstern um die Ohren zu hauen.«

»Du bist aber eklig heute, Baumeister.«

»Es war so. Sie haben die umliegenden Bauern schlimmer behandelt als ihr Vieh und im Namen Gottes von hier bis Jerusalem alles geschändet, was sie entdeckten. Sieh mal, da unten ist ein Zeltlager.«

Rechts ging es steil einen mit langen Gräsern und Steinbuckeln übersäten Abhang hinunter. Unten lag eine satte grüne Wiese an einem Bachlauf. Sie wirkte wie ein Edelstein. Die hellen Rechtecke der Zelte stachen grell hervor.

»Wahrscheinlich ist der Baron sozial und läßt im Sommer da unten die Pfadfinder hausen.«

»Das sind doch keine Pfadfinder«, widersprach Minna. »Die sind älter.«

Ungefähr zwanzig Figuren in Badehosen, braungebrannt und offensichtlich sportgestählt, machten seltsame Übungen. Sie standen in einer Reihe, vor ihnen ein Oberathlet, und ließen die Fäuste vorschnellen, wobei sie in einem strengen Rhythmus Schreie ausstießen.

»Die üben irgend so was Japanisches oder Koreanisches«, sagte Minna. »Ich glaube, das heißt Wing Sun oder Karate oder was weiß der Himmel. Wenn du das kannst, brauchst du keine Furcht mehr zu haben, heißt es.«

»Statt Volksreden zu halten, solltest du dieses Zeltlager fotografieren. Wenn du genau hinschaust, dann kannst du im zweiten von rechts deinen Verehrer Karl-Heinz erkennen. Und gleich daneben steht sein Kumpel.«

Sie sagte nichts, sie atmete scharf ein und fotografierte. Endlich seufzte sie: »Wenn ich das meiner Oma erzähle, sagt die: Kind, spinne nicht!«

In der Mitte der rot schimmernden Mauer war ein großes, aus Bohlen gefügtes Rundtor eingelassen, in der rechten Hälfte eine normale Tür mit einer Klingel an der Mauer. Ein Name stand nicht darauf. Ich schellte.

Ein Türsummer summte, die Tür sprang auf, wir standen in einem Innenhof mit uraltem Katzenkopfpflaster. Jemand sagte durch einen schnarrenden Lautsprecher: »Wenn die Herrschaften bitte den rechten Aufgang nehmen wollen. Herzlich willkommen!«

Es ging eine breite, aus schweren Eichenbrettern gezimmerte Treppe hinauf auf einen Geranien-geschmückten Rundgang. Nichts zeigte die Spur von Staub oder gar Schmutz und Spinnweben.

»Wahrscheinlich sind die Turner da unten die Putzfrauen«, sagte Minna leise.

Der Gang war zu Ende an einer dunkelbraun gestrichenen schweren Tür. Sie ging auf, und ein kugelig runder, ungefähr fünfzig Jahre alter Mann mit einem sehr roten Gesicht stand vor uns und blinzelte freundlich. »Von Windlingen«, sagte er mit erstaunlich hoher Stimme. »Seien Sie willkommen.« Er reichte uns beiden die Hand, und daran war etwas durchaus Huldvolles.

»Sie haben es ja zauberhaft hier«, hauchte Minna.

»Wenn ich meinen Büchern glauben darf, seit etwa sechs Jahrhunderten«, sagte er sehr zufrieden.

Er ging voraus in eine kleine Halle, die zwei Geschosse hoch war und mit wundervollen Rotsandsteinplatten ausgelegt.

»Was kostet die Erhaltung jährlich?« fragte ich.

»Ein Vermögen«, sagte er. Er ging voraus in einen etwa sechs mal sechs Meter großen Raum, in dem zwei Tische standen, ein Schreibtisch und ein weiterer, der einen sehr umfangreichen IBM-Computer trug.

»Gehen wir in das Besprechungszimmer«, sagte er. »Darf ich Ihnen etwas bringen lassen? Es ist schon spät. Kaffee vielleicht?«

»Kaffee wäre sehr gut, danke«, sagte ich.

»Setzen wir uns dort in die Sessel.« Er ging an einen kleinen, grauen Kasten in der Wand, nahm einen Hörer ab und sagte:

»Kaffee und ein wenig von dem Holzapfellikör.« Dann setzte er sich uns gegenüber und musterte uns mit der Unbefangenheit eines heiteren Gemüts. »Ich hörte, Sie haben Probleme mit dem toten Watermann?«

»So kann man sagen. Wir recherchieren erneut die merkwürdigen Umstände seines Todes und sind sicher, daß er getötet wurde. Wir suchen alle Menschen und Institutionen auf, die irgendwie mit ihm in Verbindung standen …«

»Aber doch wir hier nicht«, sagte er milde.

»Das wissen wir nicht. Sehen Sie, der Verein hat den Detektiv Manfred Gerber angeheuert. Wir wüßten gern, was der für Ihren Verein tat. In der Nacht, als Watermann starb, war Gerber ganz in der Nähe, wußte, daß Watermann dort war. Wir unterstellen Ihnen um Gottes willen nichts, wir denken nur, es ist eine Frage wert. Was hat Gerber für diesen Verein getan?«

»Nun, wie Sie wissen, sind wir der preußischen Tradition verpflichtet, wir forschen, wir lassen forschen, wir machen Ausstellungen, wir fördern Projekte. Der Herr Gerber sollte für uns abklären, ob gewisse Vereinsmitglieder … nun, ob sie ihrem guten Namen gerecht werden. Soweit ich weiß, war das alles.«

»Gerber wurde vermutlich durch Herrn Westphal an den Verein herangebracht.«

»Ja, mein Geschäftsführer Westphal sagte, Gerber sei ein guter, schnell arbeitender, diskreter Mann. Er war wirklich gut, wenngleich unverschämt teuer. Sagen Sie, ist dieser Watermann wirklich umgebracht worden? Das interessiert mich.« Er lächelte. »Es ist mir egal, wie er starb. Zynisch ausgedrückt ist es gut, daß er ging. Wie ist das passiert?«

Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Minna ihn fotografierte.

»Man hat immer schon gemunkelt, daß mit seinem Tod nicht alles in Ordnung war …«

»Er hatte ja wohl auch Schwierigkeiten mit Medikamenten«, sagte er. »Diese haltlosen Typen haben das ja oft. Will sagen, er war ein Schwein.«

»Das mag so sein«, sagte ich vorsichtig. »Es deutet alles darauf hin, daß er nicht allein war, als er starb. Vermutlich starb er nicht einmal in seinem eigenen Zimmer. Seltsamerweise war in diesem ›Beau Rivage‹, diesem Hotel in Genf, auch merkwürdig viel Publikum, das sich versteckte. Ich meine also Gäste, die bemüht waren, so zu tun, als seien sie gar nicht da. Watermann hatte dort ein Treffen, und kein Mensch weiß, wen er traf.«

»Ich kenne das ›Beau Rivage‹ gut«, murmelte er. »Es ist ein Treffpunkt meiner Familie gewesen, als ich ein junger Mann war. Damals war es Mode, sich in Genf zu treffen. Sogar unser Verein hat dort schon Diskussionsabende veranstaltet. Westphal, das weiß ich, ist öfter in dem Haus. Das hat bei ihm aber berufliche Gründe.«

»Ich entdeckte ihn in Gästelisten«, log ich.

»Das ist normal«, sagte er. »Bei der diffizilen Ware, mit der er handelt, ist Genf sozusagen der Normalfall, der Nabel der Welt.«

»Was für eine Funktion hat er im Verein?« fragte Minna.

»Er ist Geschäftsführer«, sagte er freundlich. »Er ist sehr agil, kümmert sich um alles, arrangiert und macht und tut. Wirklich rege. Außerdem ist er selbstverständlich unseren Traditionen verpflichtet, spendet auch einiges übers Jahr, ist wirklich …«

Es klopfte.

»Herein«, rief er.

Der Mann, der hereinkam, war blond und jung. Ich schätzte ihn vielleicht auf achtundzwanzig Jahre. Er war ein Muskelprotz, einer von der Sorte, die ständig freundlich lächelt und gar nicht anders kann.

»Der Kaffee, Herr Baron«, sagte er.

»Mein Sekretär Blum«, sagte von Windlingen. »Unser unschätzbarer Helfer in allen Lebenslagen.«

»Guten Tag«, sagte er förmlich und verbeugte sich samt dem Silbertablett, das er vor sich hertrug. Er arrangierte die Tassen, den Zucker, die Kanne, die Milch, die Karaffe mit dem Likör.

»Die Herrschaften sind von der Presse und recherchieren den Tod des Herrn Watermann«, erklärte der Baron.

»Das ist interessant«, strahlte Blum. »Ich war zu jung, um zu begreifen, was damals passierte. Ich denke, er hat Selbstmord begangen.«

»Hat er wahrscheinlich nicht«, sagte Minna trocken.

»Hat er nicht? Ist er getötet worden?«

»Wahrscheinlich«, sagte ich. »Was sind das für Freizeitsportler da unten in dem Zeltlager?«

»Wir schenken ihnen Sommerferien«, sagte der Baron. »Es sind junge Arbeitslose aus dem neuen deutschen Osten. Da muß man etwas tun, sonst verlieren sie den Mut. Sie sind für zwei Monate hier. Sie spielen, treiben Sport, machen Wanderungen. Blum hat sie unter seine Fittiche genommen.«

Blum trat zwei Schritte zurück und blieb stehen, die Hände vor der Brust verschränkt. »Noch etwas, Herr Baron?«

»Nein, danke Blum. In Ordnung.«

»›Preußens Geschichte‹ hat also auch Sozialpflichten?« fragte ich Blum.

»Natürlich«, sagte er. »Na ja, wenn Sie sich um diesen Watermann kümmern, dann wissen Sie, wie schnell man auf die schiefe Bahn geraten kann. Watermann ist ein Beispiel für machtgeile Arroganz, denke ich. Der Mann hat viel zerschlagen.«

»Einige Menschen aus der Familie sind in Ihrem Verein«, lächelte Minna ihn an.

»Die sind aber von ganz anderem Kaliber«, betonte Blum schnell.

»Sie glauben an Eliten?« fragte ich.

»Selbstverständlich«, sagte er. »Sie etwa nicht?«

»Watermann hat die Elite also verlassen und sich auf schnöde menschliche Eigenschaften wie Habgier und Machtgeilheit eingelassen?« fragte Minna.

»Genau«, sagte er knapp. »Das trifft es. Um Leute wie Watermann, entschuldigen Sie, ist es wirklich nicht schade. Sie sind wie Krebs am Volkskörper, wie eine Wucherung. Mediziner schneiden Wucherungen aus dem gesunden Gewebe heraus.«

»So kann man es deuten«, nickte ich. »Waren Sie auch schon einmal in dem Hotel ›Beau Rivage‹ in Genf?«

»Noch nie«, sagte er. »Ich bin selten im Ausland, ich konzentriere mich auf meine Heimat.« Dann drehte er sich nach einer knappen Verbeugung herum und ging.

»Ein feuriger junger Mann«, sagte der Baron. »Bienenfleißig. Wird seinen Weg machen. Hat Geschichte studiert, will noch Jura draufsatteln.«

»Lebt er hier bei Ihnen?«

»Ja. Der Verein finanziert sein Studium, dafür arbeitet er hier. Er ist absolut ergeben und intelligent, obwohl er so aussieht, als ernähre er sich ausschließlich von Dopingmitteln. Gibt es noch irgendwelche Fragen, die ich Ihnen beantworten kann?«

»Ja. Was für Geschäfte macht Westphal?«

Er hob die Hände abwehrend, er murmelte: »Das weiß ich wirklich nicht. Ich weiß eigentlich alles nur aus Zeitungen. Er kauft zum Beispiel ganze Kolonnen von alten Lastkraftwagen der DDR-Volksarmee und verkauft sie irgendwohin. Wir sprechen gewöhnlich nie darüber.«

»Können Sie sich an Westphals Reaktion erinnern, als bekannt wurde, daß Watermann sich selbst umgebracht hat?«

Er kniff die Augen zusammen und überlegte einen Augenblick. »Ja, natürlich. Er reagierte so wie wir alle. Mit Abscheu. Watermann war in meinen Augen ein geradezu klassischer Karrierist, machtgeil und verlogen. Sicher war er für seine Partei ein Zugpferd, und sicher war er so etwas wie die jugendliche Inkarnation dieser Partei. Aber einen Gefallen hat er ihr damit nicht getan, wie wir inzwischen wissen. Watermann gehört, offen gestanden, meine ganze Verachtung. Man sagt, de mortuis nihil nisi bene, aber in diesem Fall sage ich wie mein junger Blum: Gut, daß es ihn erwischte! Der Staat wird durch solche Männer verhöhnt, der Bürger verliert den Glauben an die Stärke und Strenge des Staates. Seien wir ehrlich: Watermann verkörpert für das Volk den Typ des Politikers, der nur für sein Portefeuille schafft und sich den Dreck darum schert, was der Gemeinschaft der Bürger nutzt. Nein, ich mag diese Watermanns nicht, sie sind eine Verhöhnung aller Werte, auf die ich Wert lege.«

»Westphal reagierte genauso?« fragte ich. »Mit Abscheu?«

Er nickte lächelnd. »Natürlich. Noch schärfer als ich. Ich erinnere mich, wir ritten zusammen aus an dem Wochenende danach. Das tun wir zuweilen, wenn wir Vereinsdinge besprechen müssen. Watermann war für Westphal wie ein rotes Tuch. Er sagte damals, wenn der Kerl sich nicht selbst umgebracht hätte, hätte man ihm dabei helfen müssen. Aber ich bin sicher, daß er Ihnen das selbst sagen wird. Fragen Sie ihn.«

»Das werden wir«, versicherte ich. »Etwas anderes interessiert mich. Wenn Sie Watermann so außerordentlich negativ einschätzen, kann es dann nicht sein, daß jemand mit einer noch negativeren Einstellung hinging und ihn erledigte?«

»Zitieren Sie mich nicht«, antwortete er trocken. »Selbstverständlich ist das in Betracht zu ziehen. Sehen Sie: Alle Menschen, die stolz sind auf diese Demokratie, die sich wirklich für sie einsetzen, nun, auf die muß Watermann geradezu abartig zerstörerisch gewirkt haben. Der Gedanke an einen gewaltsamen Tod ist da ein naheliegender. Natürlich.« Er lachte leise. »Aber nach so einem Menschen werden Sie vergeblich suchen, denn dafür kommen viele in Frage. Es kann jemand gewesen sein, der nie mit ihm zu tun hatte, nie in seine Nähe kam.«

»Das kann nun wiederum nicht sein«, sagte Minna mit schmalen Augen. »Das Ding war durchgestylt wie die Verpackung eines neuen Parfums. Es war in allen Phasen genau überlegt, nichts wurde dem Zufall überlassen, nichts …«

»Ein perfekter Mord?« unterbrach er sie.

»So in etwa«, sagte ich. »Sogar die Gästeliste des Hotels wurde manipuliert.«

»Wie bitte?« fragte er verblüfft.

»Ja«, strahlte Minna. »Sehen Sie, wir kennen bereits zwei Männer, die laut Gästeliste gar nicht in Genf waren.«

»Sie waren aber dort?« fragte er verblüfft.

»Sie waren dort«, bestätigte ich. »Wenn wir die Männer haben, werden Sie die Geschichte lesen. Wir danken Ihnen sehr für Ihr Vertrauen.«

»Es war mir eine Freude«, sagte er. »Seien Sie vorsichtig bei Ihren Nachforschungen.«

»Warum denn das?« fragte Minna.

»Nun«, sagte er nachdenklich und spielte mit der Uhrkette vor seinem Bauch, »wenn es möglich war, Herrn Watermann aus der Welt zu schaffen, wird es auch möglich sein, Sie zum Schweigen zu bringen, nicht wahr?«

»So ist es«, nickte Minna fest. »Können Sie uns ein Hotel empfehlen?«

»Mein eigenes«, sagte er lächelnd. »Von irgend etwas muß der verarmte Adel leben. Fahren Sie unten an der Kreuzung links, dann ist es dreihundert Meter rechts. Das Haus heißt ›Kuniberts Klause‹. Dann noch etwas, Herr Baumeister: Leuten wie mir wird immer Rechtsextremismus angelastet, die Nähe zur Deutschen-Volks-Union und ähnlichen Vereinen. Seien Sie versichert: Damit habe ich nichts zu tun und will auch nichts zu tun haben. Können wir uns auf diese Lesart einigen?«

»Wir können«, sagte ich. »Und danke für Ihre Offenheit.«

»Es war mir ein Vergnügen.«

Wir kamen wieder in diesen verzauberten Innenhof, der eine jahrhundertealte Realität widerspiegelte, die es so nie gegeben hatte. Draußen vor dem Tor fragte Minna: »Glaubst du, daß er sauber ist? Nichts von rechtsextrem?«

»Ich glaube ihm«, sagte ich. »Er wirkt sauber. Aber ob die Leute um ihn herum genau so denken, wage ich zu bezweifeln. Hast du Blum fotografiert?«

»Der war so schön, das tat ich unter Zwang«, lachte sie. Dann wurde sie unvermittelt ernst und fragte: »Was machen wir eigentlich, wenn sich plötzlich herausstellt, daß irgendein internationaler Waffenhändler den Auftrag gegeben hat, Watermann um die Ecke zu bringen?«

»Dann haben wir recherchiert und waren erfolglos«, sagte ich.

»Dann müssen wir die Recherchen Richtung Deutschland abbrechen und neu anfangen. Die Psychologie der Recherche sieht bei Waffenhändlern völlig anders aus und ist auch komplizierter. BBC-Leute haben es einmal geschafft, an Kashoggi heranzukommen. Das Interview war großartig, aber letztlich sind seine Aussagen, gemessen an den Fakten, ziemlich mager. Diese Leute sagen selbst über Dinge nichts, über die sie getrost sprechen könnten. Die Psychologie des Todes von Watermann sagt mir, daß diese Leute dafür nicht verantwortlich sind. Für die war er nicht mehr als ein quersitzender Furz. So komisch das auch klingt: Es war ein typisch deutscher Mord, gut durchdacht und gründlich. Waffenhändler machen sich das einfacher, sie lassen schießen oder Autos in die Luft jagen.«

»Aber letztlich war es doch nicht perfekt.«

»Kein Mord ist perfekt. Perfekt wird er nur durch begünstigende Umstände. Das Perazin war ein Fehler, Gaetano einzuspannen war ein Fehler, zwei Leute hinzuschicken war ein Fehler, die Erfindung des Entlastungszeugen Rohloff war ein Fehler, Watermann Notizen machen zu lassen, war ein Fehler, und so weiter und so fort. Ich möchte Spätzle zum Abendessen, Kässpätzle.«

»Wann haben wir ein bißchen Zeit für uns?«

»Nach Watermann.«

›Kuniberts Klause‹ war ein erstklassiger schwäbischer Gasthof mit erstklassigen Zimmern. Ich bestand darauf, daß wir getrennte Zimmer nahmen, ich wollte tief und lange schlafen. Sie verstand das, sie war einverstanden, und ich dachte erleichtert: Sie ist keine von denen, die klammern. Ich fand sie überhaupt Klasse. Ich rief sofort Gaetanos Vater an. »Hat es geklappt. Ist er oben?«

»Ja. Und niemand weiß, wo er ist. Wir haben zwei Männer von den Freunden bei ihm plaziert. Sie wohnen mit in der Hütte. Das gefällt mir nicht, weil ich die Freunde nicht mag. Aber es ist richtig: Jetzt brauchen wir sie. Wann kommen Sie?«

»Vielleicht morgen, vielleicht übermorgen. Wir wissen es nicht.«

Dann der Express in Köln. Ascheburg sagte aufgeregt: »Ich möchte morgen erneut die Geschichte ins Blatt nehmen. Ich habe den Eindruck, daß in Bonn unter der Hand die Hölle los ist. Sie recherchieren herum, wer die Akten hat, wer sie weitergab. Ein ziemliches Ding der Unmöglichkeit, weil praktisch jeder bei den beteiligten Staatsanwaltschaften und jeder in der Untersuchungskommission des Landtages in Kiel die Möglichkeit hatte, Kopien zu ziehen. Wie sieht diese Waffenhandelsfirma aus?«

»Schwäbisch brav und bieder. Aber extrem rechts.«

»Wie verfahren Sie jetzt weiter?«

»Das ist ziemlich einfach. Wir fotografieren alle Beteiligten und alle, die möglicherweise beteiligt waren. Dann fahren wir mit den Bildern ins Hotel nach Genf. Wir werden sehen, wer dort war, als Watermann starb.«

»Können denn die Medikamente, die er im Körper hatte, nicht einen Weg aufzeigen? Ich meine, irgendwer muß sie doch geliefert haben, irgendein Apotheker muß an der Sache beteiligt gewesen sein.«

»Es muß kein Apotheker gewesen sein«, widersprach ich. »Es kann auch jede Großhandelsfirma gewesen sein, möglicherweise sogar ein praktischer Arzt. Der Beweis wird schwer werden, denn es ist möglich, daß jemand in begrenzter Menge über diese Gifte verfügt, ohne daß irgend jemand das kontrollieren kann. Wie würden Sie denn im Notfall an diese Mittel kommen?«

Er überlegte eine Weile. »Wenn ich internationale Verbindungen hätte, würde ich international arbeiten. Ich würde einen bestechlichen Apotheker in London oder sonstwo bitten, das Zeug per Expreß-Luftfracht ins Haus zu schicken.«

»Sehen Sie, so einfach ist das. Zu beweisen wird es kaum sein. Es kommt noch ein entscheidender Faktor hinzu: Wenn ich keinen Apotheker, keinen Arzt und keinen Pharmagroßhändler bemühen will, brauche ich mich nur an einen Geheimdienst zu wenden, der das Zeug aus Quellen beziehen kann, die sowieso sicher sind. Bei Watermann ist der Bundesnachrichtendienst beteiligt, der Verfassungsschutz und mit Sicherheit der Militärische Abschirmdienst, also alles, was gut und teuer ist …«

»Da können wir nur auf Kommissar Zufall hoffen«, sagte er.

»So ist es«, sagte ich. »Und um Ihnen sämtliche Hoffnungen zu nehmen, weise ich darauf hin, daß alle diese Geheimdienste über verbeamtete Ärzte verfügen, die sowieso zu absolutem Stillschweigen verpflichtet sind und jederzeit ganz legal an diese Medikamente herankommen können.«

»Sie haben recht«, gab er zu.

»Schreiben Sie schön«, sagte ich.

 

Das Restaurant war prall gefüllt mit gutbürgerlicher Stille, obwohl fast jeder Tisch besetzt war. Sie hatten einen Ecktisch für uns reserviert, und der jugendliche Kellner, der mich bediente, war freundlich und sprach ein breites, anheimelndes Schwäbisch. Ich bestellte eine Kanne Kaffee. Ich war allein. Minna stand noch unter der Dusche. »Wer führt denn diesen Laden?«

»Das macht der Blum«, sagte er. »Der Baron hat ja keine Zeit.«

»Aha«, murmelte ich. »Hat er eigentlich Feinde, der Baron?«

»Das glaube ich nicht«, sagte er etwas verlegen.

In diesem Moment ging eine Kellnerin an uns vorbei und wandte mir ruckartig den Kopf zu. Sie wirkte seltsam aufgeregt. Unvermittelt heftig sagte sie zu dem jungen Mann: »Die Herrschaften übernehme ich, der Chef hat es aufgetragen.«

»Schon klar«, sagte er verlegen und wandte sich ab.

Sie stellte sich neben mich.

»Ich habe zunächst eine Kanne Kaffee bestellt«, sagte ich.

»Also hat er Feinde?«

»Wer hat die nicht?« fragte sie. Sie war eine dunkelhaarige Mollige, ungefähr dreißig Jahre alt. Der Typ, der alle Probleme im Leben mit Eiern und Speck angeht.

»Ich habe bloß nach seinen Feinden gefragt, weil ich ein Journalist bin und den Fall des toten Watermann untersuche«, sagte ich munter.

»Watermann? War das nicht der …?«

»Das war der«, sagte ich.

Sie verschwand und kam nach einer Weile mit dem Kännchen Kaffee zurück und baute das alles etwas umständlich vor mir auf.

»Sie sollten mal mit meinem Mann reden«, sagte sie gepreßt.

»Wo und wann?«

»Am besten jetzt am Abend. Die Straße lang, erste rechts bis zum Ende, das linke, kleine Haus. Mannstein heißen wir.«

Ich überlegte eine Weile, während sie für die Dose mit dem Zucker keinen geeigneten Platz zu finden schien. »Ich gehe jetzt sofort«, sagte ich. »Sagen Sie meiner Frau, wenn sie herunterkommt, ich sei bald wieder zurück.«

»Schon recht«, sagte sie.

Ich nahm den Jeep nicht, ich wollte nicht auf mich aufmerksam machen. Ich ging schnell und hatte die wahnwitzige Hoffnung, daß hinter diesem unklaren Hinweis etwas stecken könnte. Ich fand das Haus sofort, ich schellte und sagte ihm gleich ins Gesicht: »Ihre Frau schickt mich. Es ist ein etwas eigenartiges Treffen, denn ich …«

»Meine Frau hat schon angerufen«, sagte er. »Kommen Sie herein.« Er war um die dreißig Jahre alt, groß und schlank gewachsen, ein Handwerkertyp, mit einem dichten, korrekten Schnauzer und hellen, aufmerksamen Augen. Er trug Jeans, ein buntes Hemd, keine Goldkette, nur eine schlichte, aber teure Uhr. »Setzen Sie sich«, sagte er.

Wir waren in der Küche, einem sehr gemütlichen Raum mit einem großen Tisch und acht Stühlen. Ich setzte mich.

»Nun, es ist so«, murmelte ich. »Ich recherchiere noch einmal den Tod des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Watermann. Auf ziemlich komplizierten Wegen kam ich hierher, um den Verein des Barons einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Natürlich auch wegen dem Waffenhändler Westphal. Es ist reine Routine, wenn ich nach Feinden frage, weil erfahrungsgemäß jeder Feinde hat.«

»Der Baron hat kaum Feinde«, sagte er. »Westphal schon. Westphal ist brutal. Wenn er hört, daß jemand aus der Firma etwas rumerzählt, schmeißt er ihn raus. Es steht in den Arbeitsverträgen: Ein Wort über die Firma und du fliegst. Ich bin damals geflogen, weil ich am Stammtisch über irgend etwas geredet habe. Es war total unwichtig, aber ich flog, und das Arbeitsgericht hat ihm recht gegeben. Er ist wirklich brutal. Der Baron ist in Ordnung, aber der Baron weiß natürlich nicht, was wirklich läuft.«

»Was läuft wirklich?«

»Waffen, jede Menge Waffen. Die sind dann für Israel bestimmt und gehen nach Uganda. Oder sie sind für die Philippinen bestimmt und gehen nach Afghanistan. Oder da steht auf den Frachtpapieren was von Traktoren und Pflügen, und es sind Kanonen aus der Ex-DDR. So was läuft da dauernd.«

»Mich interessiert aber nur Watermann.«

»Was wollen Sie wissen?«

»Watermanns Tod ist fünf Jahre her. Wie Sie wissen, hat man immer bezweifelt, daß es Selbstmord war …«

»Ja, ja, das weiß ich alles«, unterbrach er mich. »Schließlich lese ich Zeitungen. Wo liegt der Knackpunkt?«

»Der Knackpunkt ist, daß im Hotel mindestens zwei Leute waren, die offiziell an diesem Tag weder im Hotel noch in Genf waren, verstehen Sie? Ich suche diese Leute, ich versuche, sie zu identifizieren.«

»Wieso kommen Sie dann zum Baron?« fragte er sehr aufgeregt.

»Weil ein Privatdetektiv namens Gerber, der für das Bundeskriminalamt, für den Bundesnachrichtendienst, für das niedersächsische Landeskriminalamt und für die Regierung gearbeitet hat, auch im Dienst des Vereins und im Dienst von Westphal stand, und dieser Privatdetektiv in der Tatnacht im Hotel nebenan war.«

»Gerber ist oft hier. Jetzt auch noch«, sagte er. »Er ist nie beim Baron, immer bei Westphal. Das war damals schon so. Man nimmt hier an, daß Gerber dem Westphal auch Waffengeschäfte vermittelt. Also 1987 war das Jahr, in dem das mit mir passierte. Westphal schmiß mich raus. Ich ging zum Baron, und der wollte mich retten. Er sagte, ich könnte bei ihm als Hausmeister in der Burg anfangen. Wir haben hier das Haus und alle Freunde und Verwandten.« Er seufzte tief und rieb die Hände aufgeregt ineinander. »Aber der Baron durfte mich nicht anstellen, Westphal war dagegen. Westphal ist in Wirklichkeit der Herr auf der Burg, der Baron kann nicht machen, was er will. Man nimmt hier an, daß das finanzielle Gründe hat. Jedenfalls wurde das nichts mit der Stelle. Ich weiß ja nicht, was Sie vorhaben, aber ich weiß, daß Blum und Westphal damals, als Watermann starb, in dem Hotel in Genf waren.«

An der Fensterscheibe zum Hof war eine Schmeißfliege. Ihr Summen klang sehr laut.

»Sind Sie sicher?«

»Ja«, sagte er. »Ich erzähle Ihnen mal, was ich weiß.«

»Ja, bitte.«

»Also, das war so: Ich habe damals natürlich nicht an Watermann gedacht, konnte ich auch nicht. Ich lief beim Baron als Hausmeister auf Probe. Das ist ziemlich anstrengend, denn du bist für alles in dem Gemäuer zuständig, für jedes Telefonkabel, jeden Nagel, jedes Wasserrohr. Ein Vertrauensposten ist das. Ich hatte in Blums Büro zu tun. Da war ein Heizkörper geplatzt. Ich kriegte mit, wie er in Genf, in diesem Hotel … ich weiß nicht, wie man das spricht, also …«

»›Beau Rivage‹.«

»Richtig. Er buchte dort zwei Zimmer. Eines auf den Namen …«

»Daun aus München und eines auf den Namen Meile aus Stuttgart.« Ich lächelte zufrieden.

»Ach, das wissen Sie schon? Na ja, also so war das.« Er kniff die Augen zusammen, er konzentrierte sich.

»Das bedeutet gar nichts«, sagte ich sanft. »Warum soll er für diese Herren nicht in Genf Zimmer buchen?«

»Moment, Moment«, sagte er scharf, »das ist noch nicht alles. Blum sagte wörtlich: Wir werden Freitag gegen sechzehn Uhr ankommen. Und Westphal muß dann Daun gewesen sein. Denn an diesem Freitagmorgen holte Westphal den Blum in seinem Wagen ab. Als sie einstiegen, sagte Blum: Genf, wir kommen!«

»Herr Mannstein, ich muß hier unterbrechen. Wenn Sie behaupten, daß Blum und Westphal als Meile und Daun nach Genf in das Hotel reisten, dann bedeutet das, daß sie als Mörder in Frage kommen. Ich bitte Sie, sich das genau zu überlegen. Ist kein Irrtum möglich?«

»Keiner«, sagte er ruhig. »Das kann ich beschwören.«

Ich sah ihn an, stand dabei auf und sagte: »Ich versichere Ihnen, daß ich Sie nicht auffliegen lasse. Ich war niemals hier.«

»Das ist gut«, sagte er.

»Ich muß zurück. Noch eine Frage: Was ist das für eine Truppe in dem Zeltlager da oben an der Burg?«

»Ziemlich haarige Typen. Hier machen sie nichts, hier sind sie friedlich. Da gibt es einen Busfahrer in Tuttlingen. Der fährt den Verein manchmal. Der hat in besoffenem Zustand erzählt, daß sie in die neuen deutschen Länder im Osten fahren und da Randale machen. Richtige Straßenschlachten organisieren sie da, aber auch Prügeleien im Fußballstadion und so was.«

»Haben Sie eine Schreibmaschine?«

»Ja, ja, meine Frau kann tippen.«

»Dann diktieren Sie ihr alles, an was Sie sich erinnern, in die Maschine. Das muß nicht geordnet sein, das kann durcheinandergehen. Einfach diktieren. Hier haben Sie meine Karte. Nicht vergessen: Ich war nicht hier, ich kenne Sie nicht.«

»In Ordnung«, sagte er erleichtert. »Das wird viel sein, was wir zu schreiben haben. Und viel Glück.«

»Das kann ich gebrauchen.«

Ich ging zurück, es war dunkel geworden, der Mond war eine verschwommene mattgelbe Lichtquelle, zuweilen von dunklen Wolken verdeckt. Das Restaurant hatte sich weitgehend geleert. Minna war nicht da.

»Sie ist spazierengegangen«, sagte die Bedienung. »War es gut?«

»Das kann man wohl sagen. Hat meine Frau gegessen?«

»Nein, sie wollte auf Sie warten.«

»Dann warte ich jetzt auch«, sagte ich.

»Haben Sie gesehen, in welche Richtung sie gegangen ist?« fragte ich nach zwanzig Minuten.

»Ja, links runter in Richtung Burg«, sagte sie.

Also ging ich Minna nach, vielmehr ging ich nicht, ich schwebte. Blum war in Genf gewesen, unter dem Namen Meile aus Stuttgart. Mit Westphal! Das war phantastisch, das war beinahe zu einfach.

Ein Lastwagen donnerte an mir vorbei, und dann sah ich Minna im Licht seines Scheinwerfers. Sie kniete etwa einhundertfünfzig Meter vor mir an der rechten Straßenseite. Soweit ich erkennen konnte, war sie nackt.