SIEBTES KAPITEL
Wir gingen ins Haus zurück. Sie humpelte ein wenig und murmelte: »Es tut mir, verdammt noch mal, alles weh. Aber ich habe ihn. Wer war das? Gerber?«
»Ich weiß es nicht genau. Wir lassen die Fotos entwickeln und können ihn vielleicht identifizieren. Ich vermute, daß er es war. Du hast es ja gehört: Da muß jemand schon sehr sicher und sehr stark sein, wenn er so unverfroren zweihunderttausend Dollar bietet und auch noch unverhohlen erklärt, daß Watermann vor seinem Tod eine Wahnsinnsgefahr für die Politik war. Ja, ich glaube, es war Gerber.«
»Was meinte er eigentlich damit, Watermann hätte niemals die ganze Wahrheit gesagt?«
»Da hat er recht. Watermann hätte nur seine Sicht der Dinge an die Öffentlichkeit gebracht, und zwangsläufig wäre das immer nur die halbe Wahrheit gewesen. Mit anderen Worten hat Gerber, oder wer immer dieser Mann auch war, bestätigt, daß Watermann sterben mußte, weil er auspacken wollte.«
»Das ist unheimlich brutal«, murmelte sie.
»So ist die Welt«, sagte ich. »Das Verrückte dabei ist, daß sehr viele Menschen genauso denken wie dieser Mann mit den vielen Dollars. Ich müßte dringend schlafen, ich habe Schmerzen.«
»Wir sollten aber abhauen«, sagte sie scharf und voller Angst.
»Ich kann nicht«, sagte ich nörgelnd. »Der Finger schmerzt wie verrückt. Ich muß zumindest Schmerzmittel nehmen. Wieso müssen wir eigentlich sofort verschwinden?«
»Das kann keine ernsthafte Frage sein«, fauchte sie. »Der Mann bietet dir zweihunderttausend Dollar. Du sagst nein. Glaubst du im Ernst, er läßt uns in Ruhe?«
»Nein«, sagte ich. »Tut mir leid, aber manchmal bin ich naiv. Also pumpe ich mich voll, und du fährst Okay?«
Wir packten also unsere Sachen, ich nahm zwei Schmerztabletten mit sehr heißem Wasser. »Das wirkt schneller, alter Krankenschwesterntrick.« Aber es wirkte nicht. Dann sah ich, daß der Gipsverband, mit dem der kleine Finger mit dem Ringfinger verbunden war, einen Bruch hatte.
»Ich hole den Wagen«, sagte sie und ging.
Draußen ging gerade die Sonne auf. Sie sagte energisch: »Du klappst den Sitz runter und legst dich lang!«
»Wieso das?«
»Weil ich keinen schlappen Macker gebrauchen kann.«
Ich folgte ihrem Befehl, und sehr bald wurde mein Körper wunderbar weich und schläfrig.
»Oberammergau?« fragte sie.
»Oberammergau«, sagte ich. Dann schlief ich ein.
Irgendwann rüttelte sie mich energisch wach. Sie fuhr auf einer glatten, breiten Straße, die von himmelstürmenden Bergen eingerahmt wurde. »Da ist ein verdammt schnelles Wohnmobil hinter mir. Und zwar die ganze Zeit.«
»Wo sind wir jetzt?«
»Zwischen Bergen und Zürich. Es hat eine Hamburger Nummer. Zwei Männer sitzen vorn. Es ist ein Wohnmobil auf Mercedes-Chassis, der Mann fährt wirklich gut.«
»Hast du eine Pause gemacht?«
»Nein, bisher nicht, aber wir müssen tanken.«
»Dann nimm bitte eine Tankstelle in einer dicht besiedelten Gegend. Ich denke mir etwas aus.«
Nach ungefähr dreißig Kilometern sah ich eine Möglichkeit.
»Gewöhnlich liegen die Tankstellen am Ortsausgang oder -eingang. Wenn du in den nächsten Ort reinrollst, dann sieh zu, daß du die erste Kurve ausnutzt. Nicht ganz anhalten, ich springe raus.«
Der Ort hieß Frauenfeld. Sie erhöhte konstant, aber nicht hektisch die Geschwindigkeit, als eine Esso-Tankstelle in Sicht kam. Ich sprang hinaus und schlüpfte in eine Gasse. Das Wohnmobil fuhr vorbei. Karl-Heinz aus Kiel saß darin mit einem Kumpel hinter dem Steuer, der genauso aussah wie er selbst. Ihre Gesichter waren weiß und sehr gespannt.
Die Tankstelle war nicht weiter als dreihundert Meter entfernt. Mein Jeep stand an der Tankstelle, die Jungs hatten ihr Wohnmobil an den Stand mit dem Staubsauger und der Luft gefahren.
»Es ist Karl-Heinz«, sagte ich. »Dein Beschützer.«
»Das ist nicht wahr«, sagte sie erschreckt.
»Er hat einen Kumpel bei sich. Wer weiß, vielleicht hocken weitere hintendrin.«
»Wie kommt der Kerl an das Auto?«
»Frag mich etwas Leichteres. Zum Beispiel: Wie werden wir sie wieder los? Es ist jetzt sinnlos, danach zu fragen, wer sie finanziert, vielleicht wissen sie es selbst nicht einmal.«
»Sollen die uns nur beobachten?«
»Gut möglich. Wir gehen über Bregenz, Lindau, Oberstaufen, Immenstadt, Sonthofen, dann über Reutte nach Garmisch. Falls wir getrennt werden – wo auch immer und durch was auch immer – treffen wir uns in Garmisch am Bahnhof.«
»Du machst mir Angst. Das sind doch nur dumme Jungs.«
»Glaub das nicht. Irgendeiner hat ihnen das Auto gegeben, irgendeiner hat sie auf unsere Spur gesetzt. Zunächst werden sie wissen wollen, was wir eigentlich vorhaben.«
»Dann können wir nicht nach Oberammergau.«
»Du hast es erfaßt«, sagte ich.
Ich startete, und Karl-Heinz fuhr mit seinem rollenden Luxusschlitten brav hinter uns her. Immer, wenn ich hoffte, er habe aus unerfindlichen Gründen aufgegeben, erschien sein Auto wie ein fröhlicher weißer Punkt in meinem Rückspiegel.
»Wie ist es mit einem Trick?« fragte Minna. »Wir fahren irgendwo vor, gehen hinein, hinten wieder hinaus und hauen dann ab.«
»Das erledigt nicht das Problem, und möglicherweise kommen wir dann nie dahinter, was sie vorhaben. Nicht nur sie müssen herausfinden, wohin wir fahren, sondern wir müssen auch rauskriegen, mit welcher Order sie uns verfolgen. Es wird nichts passieren, solange sie nicht wissen, wohin wir wollen.«
Es war sehr heiß, wir bewegten uns träge und gleichmäßig im Strom der Touristen, deren Gesichter hinter den Autoscheiben durchaus nicht fröhlich waren, eher verklemmt und hektisch.
»Okay, wir brechen bald ab. Es ist jetzt gleich drei Uhr. Wir gehen in Bregenz über die Grenze bis Lindau, dann auf die Alpenquerstraße. Ich will Rösti mit Spiegeleiern.«
»Und ich eine Dusche. Was hat das eigentlich alles noch mit Watermann zu tun?«
»Mit Watermann persönlich hat es nichts zu tun, aber viel mit seinem Geist. Leg dich etwas lang, schlaf.«
Aber sie schlief nicht, sie hockte neben mir und legte die nackten Füße auf das Armaturenbrett. Das sah hübsch aus, das mochte ich.
Ich fuhr bis Oberstaufen. Karl-Heinz war mit seiner Konservendose irgendwo dicht hinter mir. Es gab ein »Gasthaus zum Grünen Baum«, das so aussah, als verstünde sein Besitzer etwas von Rösti und Spiegeleiern. »Das versuchen wir. Fragst du nach Zimmern?«
»Na sicher«, sagte sie und sprang hinaus.
Karl-Heinz trug eine ziemlich große Sonnenbrille, als er langsam vorbeizog.
Minna kam wieder. »Sie haben zwei Einzelzimmer mit Dusche. Ist das okay so?«
»Das paßt zu uns Katholiken«, sagte ich. »Ich möchte erst einmal telefonieren, mich abwaschen, die Seele reinigen …«
Das Gasthaus war alt, dunkel und angenehm kühl. Irgend jemand hatte mir zur Begrüßung eine Flasche Mineralwasser auf das Zimmer gestellt. Watermann war in diesem Moment sehr weit entfernt, und nichts wäre mir lieber gewesen, als gemütlich und tagelang in die Eifel zurückzutrödeln und die alten Wege zu gehen.
Ich rief Alfred an, ich sagte: »Kannst du mal meine Post durchsehen, es wird etwas länger dauern, ehe ich hier wegkomme.«
»Wo bist du denn?«
»Irgendwo in Süddeutschland. Ich recherchiere immer noch hinter Watermann her.«
»Der ist doch tot.«
»Ja, eben. Haben wir Regen gehabt?«
»Nein, aber dein Garten braucht noch nicht gegossen zu werden.«
»Was spricht das Dorf?«
Er lachte. »Nichts. Es ist zu heiß. Ich hole Korn rein, ich muß weg.«
»Wie geht es Schmitzens Günther?«
Er lachte wieder. »Vier Krebsoperationen in weniger als einem Jahr. Zweimal Lunge, einmal Darm, einmal Leber. Steht nach sieben Tagen wieder auf und geht nach Hause. Er war heute morgen schon wieder auf dem Markt in Hillesheim.«
»Das ist toll, bestell ihm Grüße und halt mir den Daumen.«
Schmitzens Günther hatte es also gepackt, dieser stille, gemütliche, hart ackernde Mensch, dem vor einem Jahr gesagt worden war, er sei voll Krebs. Jetzt kämpfte er, und es war plötzlich vorstellbar, daß er Sieger blieb auf seine stille, lächelnde Art. Das Salz der Eifel.
Dann meldete ich mich bei Werner Ascheburg, dem Chefreporter des Kölner Express: »Danke für die Veröffentlichung. Was haben Sie für Reaktionen?«
»Komische Sache. Wir haben klargemacht, daß Sie Hilfe von selten ungenannter Behörden haben. Jetzt hängen sich Bundestagsabgeordnete und Landtagsabgeordnete aus Kiel in den Fall. Geradezu panisch. Ich hatte bisher siebzehn Anrufe dieser Art. Alle mit dem gleichen Tenor: Es sei unmöglich, daß irgend jemand Ihnen helfen würde. Sowohl die Untersuchungsergebnisse der Staatsanwaltschaft in Kiel wie auch die internen Akten des Landtagsuntersuchungsausschusses in Kiel sind für niemanden zugänglich. Es gibt nur numerierte Kopien! Wenn dieser Reporter namens Siggi Baumeister behauptet, er hätte Hilfe von ungenannten Behörden, dann lügt er oder er blufft. Niemand kommt an die Unterlagen. Was sagen Sie dazu?«
»Mittlerweile hat man zum zweitenmal versucht, mich zu bestechen. Diesmal waren es zweihunderttausend Dollar in bar, ohne Quittung …«
»Moment«, unterbrach er überrascht, »ich weiß ja noch nicht einmal Genaues von der ersten Bestechung.«
»Außerdem werden wir schon wieder verfolgt. Jemand, der schon in Kiel an mir dran war, ist uns jetzt mit einem Wohnmobil auf den Fersen. Ich weiß inzwischen auch, daß am Tattag im Hotel ›Beau Rivage‹ Buchungen aus dem Computer verschwunden sind, und ich weiß auch, wer die Liste wahrscheinlich hat.«
»Ist das so?« Er dehnte die Frage.
»Das ist so. Falls Ihre Informanten behaupten, ich könnte keine Hilfe von ungenannten Behörden haben, kontern Sie ganz einfach: Es gibt bei Schweizer Behörden eine Menge Leute, die stinksauer auf die deutschen Strafverfolgungsbehörden sind – weil sich die seit Jahren im Nichtstun üben. Diese Leute wollen reden. Was haben Sie mir sonst noch zu sagen?«
Er lachte, plötzlich lachte er schallend, unterbrach sich dann und sagte: »Sonst habe ich Ihnen noch die Hilfe Ihrer Kollegen zu bieten. Die haben sich nämlich auf diese angeblich nicht existenten Akten gestürzt. Normalerweise dürfte tatsächlich niemand die staatsanwaltschaftlichen Akten des Falles Watermann haben. Niemand dürfte die Untersuchungsakten des Kieler Landtages kennen. Aber es gibt Gruppen, die sie trotzdem besitzen, und zwar vollständig. Haben Sie was zu schreiben? Gut. Kennen Sie einen Verein namens ›Preußens Geschichte e.V.‹? Kennen Sie eine Firma namens ›All-Expo-Trans‹?«
»Nein, ich kenne beide nicht. Wer soll das sein?«
»Ich recherchiere noch. Genaues ist nicht bekannt. Der Verein ›Preußens Geschichte‹ ist ein rechtsextremer Club mit Sitz in Windlingen. Das ist irgendwo in Baden-Württemberg. Die Firma All-Expo-Trans ist nichts anderes als eine Waffenhandelsfirma, auch in Windlingen. Mit dieser Firma hat Watermann nachweislich Verbindung gehabt.«
»Was sagt die Firma dazu?«
»Die Firma sagt, sie habe gelegentlich bei kleinen, von der deutschen Aufsicht genehmigten Geschäften der Kieler HDW-Werft die gesamte Logistik erledigt.«
»Hat diese Firma auch Verbindung zur ehemaligen DDR gehabt, und wie …«
»Hat sie. Im Untersuchungsausschuß Schalck-Golodkowski ist diese Firma ein paarmal aufgetaucht. Aber nur am Rande. Wenn Schalck-Golodkowski bei irgendwelchen Westgeschäften Hilfe bei Verfrachtungen und logistischen Problemen brauchte, war diese Firma sein Ansprechpartner. Auf die Frage nach Watermann sagt die Firma, er sei etwa zwei-, dreimal als Berater zugezogen worden, wenn es um irgendwelche Dinge ging, die Schleswig-Holstein und die HDW-Werft in Kiel betrafen. Seine Verbindung zur Firma sei freundschaftlicher Natur und habe mit Geschäften nicht das Geringste zu tun.« Er machte eine Pause und setzte hinzu: »Aber das ist noch nicht alles. Der Chef dieser Firma ist gleichzeitig der Geschäftsführer des Vereins ›Preußens Geschichte‹. Er heißt Westphal. Und Watermann war Vereinsmitglied. Soweit wir wissen, sind Mitglieder der Familie von Watermanns Frau ebenfalls Mitglieder, Watermanns Frau selbst nicht.«
»Also ganz dicker Filz. Jetzt fehlt nur noch die Verbindung von ›Preußens Geschichte‹ zu Manfred Gerber, dem Superagenten.«
»Die ist auch schon klar. Gerber ist zwar kein Mitglied, aber er hat im Auftrag des Vereins bereits gearbeitet. Wir wissen aber nicht, was das war.«
»Könnten Sie ein Foto von Gerber auftreiben?«
»Weiß ich nicht, werde mich bemühen. Was ist denn jetzt bei Ihnen der Stand der Dinge?«
Ich berichtete ihm so genau wie möglich, erwähnte aber den Ort Oberammergau nicht, weil mir das zu riskant erschien. Wir verabredeten uns zu erneuten Telefonaten, er murmelte:
»Mensch, seien Sie vorsichtig. Das sieht alles spannend aus, aber auch gefährlich.«
Dann duschte ich und schrieb Minna auf einen Zettel: »Ich gehe spazieren.«
Ich ging in den frühen Abend und schlenderte die Hauptstraße entlang. Ich fragte einen alten, mühsam daherschlurfenden Mann nach dem nächsten Campingplatz. Er gab mir eine fünf Minuten dauernde Auskunft, die darauf hinauslief, daß der Campingplatz vierhundert Meter weiter am Ortsausgang lag.
Wahrscheinlich hatte Watermann von Karl-Heinz nichts gewußt, wahrscheinlich hatte Watermann nur geahnt, daß es Leute wie Karl-Heinz gab, aber er hatte nie mit ihnen zu tun haben wollen, zumindest nicht öffentlich. Ich kam am Eingang des Campingplatzes an einem großen Badehaus und Kiosk vorbei. Dahinter standen die Wohnmobile. Karl-Heinz und sein Kumpel hatten den Wagen so weit wie möglich abseits an den Rand der Wiese gestellt. Sie hockten draußen vor einem kleinen weißen Tisch und tranken Rotwein. Die Seitentür des Wohnmobils stand offen.
Ich ging direkt zu ihnen und sagte: »Grüß dich, Karl-Heinz. So klein ist die Welt.«
Er zuckte zusammen und wandte mir dann seinen Paradeschädel zu.
»Eh, wo kommst du denn her?«
»Na ja, aus dem kleinen Hotel. Du weißt schon, wo wir Zimmer haben.«
»Eh«, sagte der andere gedehnt, »ist das ein Kumpel aus Hamburg?«
»Nein«, sagte ich, »ein Kumpel aus Kiel bin ich. Und ihr folgt uns seit Genf. Ihr müßt nicht dämlich tun.«
»Seit Genf, eh?« fragte Karl-Heinz. »Ich verstehe nur Bahnhof. Wieso bist du hier?«
»Ich habe euch heute morgen entdeckt, und dann habe ich mich gefragt, was du hier unten tust. Wer hat dir denn das Wohnmobil geschenkt?«
»Keiner«, sagte er dumpf. »Mein Kumpel hier hat Eltern mit viel Kies. Die haben uns das gegeben.«
»Kann ich mal die Papiere sehen?« fragte ich.
»Du bist ganz schön motzig, Alter«, sagte der Kumpel. »Was gehen dich die Papiere an?«
»Ich kann mit den Bullen telefonieren und euch überprüfen lassen«, sagte ich.
»Willste ’nen Schluck Wein?« fragte Karl-Heinz.
»Nein. Kein Alkohol. Wer hat dich auf die Piste geschickt?«
»Niemand, ehrlich. Wir fahren rum, wir machen Ferien.«
»Und das alles vom Urlaubsgeld bei der Müllabfuhr«, höhnte ich.
»Nein«, sagte Karl-Heinz sehr ernsthaft, »seine Eltern haben was dazugetan.«
»Also kriege ich die Papiere, oder nicht?«
»Und wenn nicht, die Bullen?« fragte der Kumpel.
»So ist es«, sagte ich.
Der Kumpel stand auf, ging in den Wohnwagen und kramte herum.
»Hör zu«, sagte Karl-Heinz, »ich nehme dir das mit Minna nicht übel, aber ich will, daß sie das Lokalverbot, also, daß das Lokalverbot nicht mehr gilt. Und der Wagen hier ist von einer Vermietung. Die Eltern von meinem Kumpel …«
»… haben das alles finanziert«, sagte ich. »Wer hat dich wirklich geschickt? Die Freunde vom Kieler Verfassungsschutz?«
»Nicht die«, sagte Karl-Heinz mürrisch. »Das sind diesmal Leute aus Hamburg, andere Leute. Also, ich weiß nicht genau. Wir sollten nach Genf, und in Genf sagten sie, du wohnst in St. Julien. Da haben wir auf dich gewartet.«
»Was sollst du denn tun?«
»Na ja, nachsehen, was du so treibst.«
Der Kumpel kam zurück und gab mir ein Plastikmäppchen. Der Wagen war tatsächlich gemietet, der Besitzer war ein »Autostudio Altona«, ich notierte die Anschrift.
»Also, Karl-Heinz, du sollst uns folgen und rufst am Tag zwei- oder dreimal an, wo wir sind und was wir tun. Stimmt’s?«
»Sag dem Macker doch nicht alles«, murmelte der Kumpel. Er drehte sich schnell zu mir herum. »Also, nicht was du denkst. Die haben uns hinter dir hergeschickt, weil sie wissen, daß du in Gefahr bist. Wenn du angegriffen wirst, sollen wir … wir sollen einschreiten und alles plattmachen.«
»Das isses«, nickte Karl-Heinz erfreut. »Zu deinem Schutz.«
»Dann kann ich ja beruhigt schlafen gehen«, sagte ich. Ich erhob mich, zündete die Pfeife erneut an und schlenderte hin und her. »Wie kommt ihr euch bei dieser Verarsche eigentlich vor? Wer soll die Frau und mich in Gefahr bringen?«
»Das haben sie uns nicht gesagt. Sie haben gesagt: Nehmt die Karre, hier ist Geld, und das war es dann.«
»Wie ist die Telefonnummer, die ihr anruft?«
»Das dürfen wir nicht sagen, das ist geheim«, sagte Karl-Heinz.
Er sah mich an und war aus irgendeinem Grund bedrückt.
»Das geht wirklich nicht. Sie sagen, das ist ein Betriebsgeheimnis.«
»Daß deine Auftraggeber uns schützen wollen, glaubst du doch selbst nicht. Sie wollen, daß wir uns aus Watermanns Angelegenheit heraushalten. Sie verarschen euch.«
»Ich werde bezahlt«, sagte Karl-Heinz mürrisch.
»Also Verfassungsschutz«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf.
»Na, dann eben der Bundesnachrichtendienst«, fuhr ich fort.
Er schüttelte nicht den Kopf.
»Ich soll dich von Minna grüßen«, sagte ich. »Ich wünsche euch einen schönen Abend. Übrigens: Wir starten nicht vor acht Uhr morgen früh, und unser Ziel ist München.« Ich sah sie ganz ernsthaft und freundlich an.
»So was haben wir uns schon gedacht«, murmelte der Kumpel.
»Na ja, ich will euch den Auftrag nicht vermasseln«, sagte ich.
»Bis morgen dann.« Ich hob die Hand und ging fort.
Minna saß im Restaurant vor einem großen Eisbecher und sah frisch und munter aus. Ich berichtete ihr, was vorgefallen war, und sie kommentierte: »Es kann sein, daß sie sich einbilden, zu unserem Schutz da zu sein. Was machen wir jetzt?«
»Du holst sie nachts raus, und wir legen sie ein bißchen lahm«, sagte ich. »Wenn sie uns in Oberammergau erwischen und das ihren Auftraggebern erzählen, werden die ganz schnell wissen, wen wir dort suchen.«
»Wie machen wir das?«
»Du wirst schon sehen.« Ich bestellte auch eine Portion Eis und bezahlte beide Zimmer mit dem Hinweis, daß wir das Haus sehr früh verlassen würden. Nach dem Eis verdrückten wir beide Rösti mit Spiegeleiern auf Speck und entschlossen uns dann, sehr müde zu sein.
»Um drei ist die Nacht zu Ende.«
»Das ist aufregend mit dir«, sagte sie. »Aber eines macht mir Sorgen. Wir kennen ziemlich viele Kreuz- und Querverbindungen, aber ob sie irgend etwas mit Watermanns Tod zu tun haben, werden wir nie beweisen können.«
»Das ist das Problem«, gab ich zu.
»Na ja, dann schlaf gut.«
»Du auch«, sagte ich. Ich hätte ihr gern etwas mehr Hoffnungen gemacht, aber das paßte nicht. Hoffnung und Watermann reimten sich nicht.
Ich setzte hinzu: »Die beiden sind perfekt ausgerüstet. Ich konnte in das Wohnmobil hineinschauen. Hintendrin stehen zwei schwere Hondas. Was immer auch passiert wäre, wir wären ihnen nicht entkommen.«
»Aber du willst nichts tun, was … was ihr Leben gefährdet?«
»Auf keinen Fall«, versprach ich.
Um drei Uhr piepte mein elektronischer Wecker, und wie immer kam es mir unerträglich laut vor. Als ich zwanzig Minuten später auf den Flur ging, hockte sie schon in einem Sessel und sah mir entgegen.
»Ich habe kein Auge zumachen können«, seufzte sie.
Wir fuhren den Jeep in eine Seitenstraße unmittelbar vor dem Campingplatz.
»Paß auf, du klopfst an ihr Wohnmobil und sagst aufgeregt, ich sei in Gefahr, du brauchst Hilfe, sie sollen in das Hotel kommen. Dann läufst du weg. Der Wagen bleibt hier. Du steigst ein und wartest auf mich.«
Sie überlegte einen Moment und nickte dann. »Das klingt ungefährlich, das geht.«
Ich lief zwischen den Campingwagen hindurch und legte mich unter das Wohnmobil aus Hamburg. Dann kam Minna, klopfte sehr hart und wütend gegen die Tür und sagte laut: »Verdammt noch mal, Karl-Heinz, wir brauchen eure Hilfe! Verdammt, wacht auf!«
»Was ist denn?« fragte Karl-Heinz.
»Ich brauche Hilfe«, sagte Minna drängend. »Baumeister im Hotel ist in Gefahr!«
»O Scheiße!« schrie der Kumpel. »Los, komm hoch, Mann! Da ist irgendwas faul.«
Das Wohnmobil geriet ins Schwanken, ich spürte schmerzhaft, wie sie herumtrampelten, wie Karl-Heinz die Tür aufdrückte und hinaussprang. Minna war schon oben an der Straße, drehte sich herum und winkte verzweifelt.
Karl-Heinz rannte los, sein Kumpel folgte. Sie entwickelten eine hohe Geschwindigkeit, sie waren wirklich gut.
Ich kroch unter dem Wagen hervor und stach zuerst die hinteren vier Zwillingsreifen ab, dann die beiden vorderen. Dann wollte ich in das Wohnmobil hinein, um an die Maschinen zu kommen, aber die Tür hatte eine automatische Sicherung, die ließ sich von außen nur mit einem Schlüssel öffnen.
Ich trat gegen die Tür und hatte sofort Glück, was im Plastik-Zeitalter nicht weiter verwunderlich ist. Ich durchstach alle vier Reifen der Motorräder. Nichts davon tat mir leid.
Ich sprang hinaus und rannte quer über den Platz hoch zur Straße. Ich sah, wie Karl-Heinz und sein Kumpel ungefähr dreihundert Meter weiter zu unserem Hotel liefen.
Minna saß hinter dem Steuer und fuhr sofort los. »Was ist, wenn Paolo in Oberammergau irgendwie überwacht wird? Dann entdecken sie uns sofort, und wir haben die gleiche Schweinerei am Hals.«
»Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Ich denke, wir haben einen knappen Vorsprung. Vielleicht einen Tag, vielleicht zwei, vielleicht sogar drei. Gas, Mädchen, gib Gas!«
Sie fuhr sehr konzentriert und sehr schnell. »Ich verstehe bei dieser Sache eines nicht. Wenn Paolo Kellner im ›Beau Rivage‹ war, wenn er begriff, daß Watermann erledigt werden sollte, wenn er am gleichen Tag türmte, wieso hat ihn die Schweizer Polizei nicht längst ausfindig gemacht? Auch wenn er falsche Papier hat, kann das doch nicht so schwer sein.«
»Darüber habe ich nachgedacht, das Rätsel ist kein Rätsel. Die Polizei in Genf hat schleppend ermittelt, weil sie annehmen konnte, daß die deutschen Behörden ihnen behilflich sind. Zweitens weiß die Genfer Polizei gar nicht, daß Paolos Verschwinden irgendwie mit Watermann zusammenhängt, warum sollte sie also ermitteln? Sie haben nach ihm gesucht, sie haben ihn nicht gefunden, Schluß und aus.«
»Und nach Oberammergau? Was machen wir dann?«
»Dann untersuchen wir den Verein ›Preußens Geschichte‹ und einen Waffenhändler namens Westphal.«
»Wenn wir unterwegs irgendwie verletzt werden?«
»Dann kaufen wir uns Heftpflaster.«
»Du bist irre.«
»Stimmt.«
Wir kamen sehr schnell und glatt durch, wir kamen schon in Garmisch-Partenkirchen an, als noch kein Hotel uns ein Frühstück verkaufen wollte. Wir hockten uns auf eine Bank an der Loisach und starrten in das schnell fließende eisgrüne Wasser.
»Ich will dir nicht auf die Nerven gehen, aber bitte erzähl mir noch einmal von den Mitteln, die Watermann im Körper hatte.«
»Man konnte acht Arzneimittel nachweisen. Zwei davon in sehr geringer Menge, nämlich Diazepam und Nordiazepam. Beide hatte er Tage vorher gegen Flugangst genommen. Dann Cyclobarbital, ein sehr starkes Schlafmittel, Pyrithyldion, ein hypnotisches Beruhigungsmittel, Diphenhydramin, ein Mittel, das das Erbrechen verhindert, und Perazin, ein ruhigstellendes Neuroleptikum. Dies Perazin ist in der Psychiatrie als chemische Zwangsjacke bekannt.«
»Nehmen wir an, er wußte genau, daß er am Ende war, daß nur noch … na ja, daß eben nur noch Schimpf und Schande auf ihn warteten. Kann er das Zeug nicht zusammengekauft und dann schlicht geschluckt haben?«
»Denke daran, daß du selbst gesagt hast, daß er kein Selbstmordtyp war. Tatsächlich kann er alles zusammen geschluckt haben. Aber dann bleibt die Frage: Wo hat er das alles gekauft? In Kiel nicht, das ist sicher. Auf Gran Canaria auch nicht, das ist bewiesen. Er hätte diese Stoffe dort gar nicht bekommen, sie sind nicht im Handel. Das Pyrithyldion ist seit 1982 in Deutschland verboten. Nehmen wir aber an, daß er die Tabletten trotzdem bei sich hatte, dann fehlen immer noch die Behälter und die Pappverpackungen ebenfalls. Es gibt noch eine unerklärbare Merkwürdigkeit: Das absolut tödliche Cyclobarbital befand sich noch in seinem Magen, nicht schon im Urin. Alle anderen Stoffe waren bereits im Urin, hatten den Magen also schon passiert. Mit anderen Worten: Als er das Cyclobarbital nahm, war er mit fast hundertprozentiger Sicherheit nicht mehr in der Lage, selbst eine Tablette zu nehmen. Er war vermutlich nicht einmal mehr in der Lage, sich überhaupt zu bewegen. Denn das Neuroleptikum namens Perazin trägt deshalb den Namen chemische Zwangsjacke, weil du dich nach seiner Einnahme überhaupt nicht mehr kontrolliert bewegen kannst. Mit anderen Worten: Du kannst kein Cyclobarbital mehr nehmen, die Badewanne voll Wasser laufen lassen und dich hineinlegen.«
»Wie kann die Justiz dann auf Selbstmord bestehen?«
»Das weißt du doch. Watermann war ein nationales Ärgernis. Solche Ärgernisse begräbt man, die vergißt man schleunigst.«
»Was passierte eigentlich genau in der Todesnacht?«
»Etwas ganz Verrücktes. Etwas, dem man nicht nachgehen wollte! Im ›Beau Rivage‹ arbeitete bekanntlich ein Nachtportier namens di Natale. Dieser Mann und sein Kollege hörten morgens gegen vier Uhr ein heftiges Geräusch, dumpf, laut. Das dauerte immerhin zwanzig Sekunden. Nach dem Klang zu urteilen, passierte da irgend etwas auf dem Flur, nicht in irgendeinem Zimmer. Die beiden rasten auf Socken durch die Flure und entdeckten nichts. Di Natale gab das bei der Polizei zu Protokoll. Dann wird das Protokoll unterbrochen, und er wird in einem anderen Stockwerk des Polizeipräsidiums in einen kleinen Raum eingesperrt. Dort läßt man ihn eine Stunde warten und fragt ihn dann, ob er seiner Erinnerung ganz sicher sei. Das heißt, man behandelt ihn betont einschüchternd, bis er froh ist, daß er das Präsidium verlassen darf, ohne das Protokoll unterschrieben zu haben. Dabei hat di Natale etwas ganz Merkwürdiges am Abend vorher erlebt. Es kam ein Gast, den er nicht kannte. Er wies ihm ein Zimmer im zweiten Stock zu. Als in der Nacht vor Watermanns Tod di Natale erneut zum Dienst erschien, war dieser Mann in den dritten Stock umgezogen, in unmittelbare Nachbarschaft von Watermann. Und: Niemand hat diesen Gast je identifiziert, er ist spurlos verschwunden.«
Nachdenklich schaute sie mich an.
»Nur einer hat blitzschnell begriffen, worum es ging: Paolo!« sagte sie dann leise.
»Falls er noch lebt«, murmelte ich. »Komm jetzt, wir fahren nach Oberammergau.«
In Farchant mußte ich anhalten, weil sie eine offene Bäckerei entdeckt hatte. Sie kaufte acht Rosinenbrötchen, und wir mümmelten tapfer vor uns hin. In Oberau gingen wir auf die Bundesstraße nach Oberammergau und quälten uns sie Serpentinen zum Kloster Ettal hoch, dem tiefgläubigen Zentrum emsiger Benediktinermönche, die alles verkaufen, was Geld bringt: von der heiligen Maria aus Plastik bis zum Klosterlikör.
Hier waren schon viele Touristen unterwegs, vornehmlich in knallbunten weitgeschnittenen kurzen Hosen, die man heute für schick hält und die den deutschen Bauchspeck so trefflich ins Licht rücken.
Wir kamen am Tal nach Graswang und Linderhof vorbei und rollten nach Oberammergau hinein.
»Wir trennen uns. Da wir Paolos richtigen Namen nicht kennen, werde ich die Pizzeria der Eltern suchen. Du konzentrierst dich bitte auf die Banken. Dabei mußt du von folgenden Voraussetzungen ausgehen: Angenommen, Paolo hat sein Wissen und die Unterlagen zu Geld gemacht, wird er das Geld bar kassiert haben. Er ist also mit dem Baren hier angekommen. Das muß Ende Oktober 1987 gewesen sein.«
»Fragt bei einer solchen Summe denn keiner nach?«
Ich grinste. »Ein Bankier kassiert und bedankt sich. Er wäre dämlich, wenn er nach der Herkunft fragt. Er will den Kunden und dessen Geld, also schweigt er höflich. Wir treffen uns auf dem Parkplatz hinter der Kirche wieder. Wenn einer von uns beiden unverhältnismäßig lange warten muß, dann dort in dieser Kneipe da, okay? Sei brav und setz dein schönstes Lächeln auf.«
Sie wand sich, sie war unsicher. »Ich habe so etwas noch nie gemacht, Baumeister. Wie soll ich denn einen Bankmenschen fragen, ob irgendein Italiener vor fünf Jahren einen Haufen Geld bei ihm einzahlte?«
»Bankmenschen sind kühle Rechner. Nehmen wir an, ich bin ein Bankmensch, ich habe im wesentlichen Zahlen im Kopf, und ausschließlich dafür werde ich bezahlt. Jetzt kommt eine junge, hübsche Frau zu mir und bittet um meinen Beistand. Sie sucht einen Mann. Er hat sie sitzenlassen. Vor etwa fünf Jahren. Er verschwand ganz einfach und nahm eine Menge Geld mit. Jetzt sucht sie den Schweinehund, und …«
»Du bist ein Schweinehund, Baumeister, aber das könnte wirklich klappen.« Sie tänzelte voller Zuversicht davon. Der Bankangestellte konnte einem schon jetzt leid tun.
Das Erstaunliche an diesem oberfrommen Oberammergau ist wohl die Tatsache, daß am Kirchturm noch kein Preisschild hängt. Ein Tourist kann hier eine Maria mit Kind aus dem 16. Jahrhundert für zweihundertachtundsiebzig Mark kaufen, wobei ein Schildchen »handgemacht« besagt. Die Madonna ist aus Plastik. Dieselbe Madonna aus Holz, handgeschnitzt, kostet einen guten Gebrauchtwagen. Aber Glaube versetzt ja bekanntlich Berge.
Nach Telefonbuch gab es vier Pizzerias, ich klapperte sie sorgsam und zu Fuß ab, wobei ich erst bei der dritten Glück hatte.
Als Eigentümer war ein Peppo Clementi angegeben. Das Haus war alt und hatte sicherlich schon schlechtere Tage gesehen. Mit viel Geschick war die etwas windschiefe Fassade erhalten worden, und in weiser Voraussicht hatte man das Gebäude nicht auf modern getrimmt. Es wirkte wie ein gemütliches Wohnhaus aus der Jahrhundertwende.
Es war zu früh, auf Kunden war man noch nicht eingerichtet, aber als ich in den halbdunklen, niederen Raum kam und höflich fragte, ob ich denn schon einen echt italienischen Kaffee haben könnte, antwortete ein sehr dicker, freundlicher Mann hinter der Theke: »Selbstverständlich, mein Herr.« Er war vielleicht sechzig Jahre alt.
»Wie kommt ein Italiener nach Oberammergau?«
Er lachte, wobei sein Bauch zitterte. »Ich bin vor zwanzig Jahren gekommen. Zuerst war ich Arbeiter beim Straßenbau, dann Kellner in diesem Geschäft hier. Eigentlich normal, oder?«
»Gehen die Einheimischen denn Pizza essen?«
»O ja, gerade die. Immer Knödel geht nicht.« Er lachte wieder.
»Wie ist das hier mit Arbeitsplätzen? Haben Sie Personal? Wahrscheinlich nur Italiener, wie?« Ich fragte das alles so, wie man das um diese Tageszeit fragen muß: freundlich, aber nicht allzu interessiert.
»Sie wissen doch«, grinste er, »wir müssen zusammenhalten. Ich habe meine Leute um mich herum, und …«
»Und eine große Familie.«
»Na ja, meine Frau, meine Tochter, deren Kinder. Mein Sohn ist vor ein paar Jahren auch eingestiegen. Er macht Feinkost und einen Party-Service. Hat jahrelang gut verdient und sich dann hier selbständig gemacht.«
»Der stolze Vater«, sagte ich.
»O ja, da ist man stolz. Erst hat der Junge nichts getaugt. Hat nicht gewußt, wo er zu Hause ist, hat sich rumgetrieben. Dann wurde er Kellner. Zuerst nur so, um Geld zu verdienen, aber dann richtig in großen Häusern. ›Vier Jahreszeiten‹ in München, ›Hilton‹ in Berlin, dann Genf und so weiter. Er hat es irgendwie begriffen und jetzt das Geschäft hier. Er ist mein Geschäftsführer.« Er zuckte die Achseln. »Ich denke so: Wenn ich der Steuer nicht alles hinterherschmeißen will, kann ich auch einen Geschäftsführer einstellen. Ist doch so. Ich versichere ihn, dann ist seine Familie auch versichert, seine Frau, seine Kinder …«
»Ach, er hat auch Familie?«
»Ja, ja, hat vor drei Jahren geheiratet. Die Tochter von einem alten Kollegen aus Palermo. Richtig gutes Weib, richtig hübsch, gute Mutter. Ich sage ihm immer wieder: Arbeite und du wirst sehen, daß man dich achtet.«
»Und? Achtet man ihn?«
»O ja. Er ist Mitglied im Wirteverband hier, sogar im Vorstand. Ist richtig gut, mein Gaetano. Und Sie? Im Urlaub hier?«
»Nein, nein, ich arbeite. Ich bin sozusagen als Berater tätig, muß viel rumfahren.«
»Techniker?«
»Ja, ja, Techniker.« Es wurde mir peinlich, die kleinen, berechnenden verlogenen Andeutungen hasse ich wie die Pest. Zuweilen sind sie nicht zu umgehen, aber am liebsten würde ich jedesmal im Erdboden versinken.
»Hat Gaetano sein Geschäft hier?«
»Ja, am Ortsausgang Richtung Unterammergau. Schönes Geschäft, guter Betrieb.«
»Sind Sie schon Deutscher?«
»O nein, die Zeiten sind vorbei. Ich kann als Italiener hier gut arbeiten und Italiener bleiben, oder?«
»Das finde ich auch«, sagte ich. »Wir Europäer müssen zusammenhalten.« Ich hatte plötzlich eine verrückte Idee, und sie ließ mich nicht los. Warum, zum Teufel, sollte ich verdeckt recherchieren, warum sollte ich den quälenden Umweg über Lügen gehen? Ich zog also Paolos Foto aus der Tasche, legte es vor ihn auf die Theke und fragte: »Ist er das?«
Der Mann war augenblicklich so weiß wie sein Pizzateig. Seine Zunge kam nach vorn und befeuchtete die Lippen. »Also Polizei.«
»Keine Polizei«, sagte ich. »Ich will mit Ihnen sprechen, in Ruhe.«
»Also Grüße aus der Heimat.«
»Keine Grüße aus der Heimat«, sagte ich. »Vor allem keine Aufregung, bitte. Lassen Sie uns reden. Aber nicht hier.«
»In der Küche«, sagte er hastig, »da ist niemand.« Er bekreuzigte sich hastig. »Was hat er getan?«
»Das weiß ich nicht genau. Ist er hier oder ist er in Urlaub?«
»Er ist hier. Um was geht es?« Er hatte nasse Hände, er wischte sie sich an dem Küchentuch ab, das er vorn in den Gürtel gesteckt hatte.
Die Küche war erstaunlich groß, licht und peinlich sauber. Der Mann hockte sich auf einen Schemel. »Wenn es um Geld geht, kann ich vielleicht helfen …«
»Es geht nicht um Geld«, sagte ich. »Ich erzähle Ihnen jetzt eine Geschichte, Sie hören zu. Und dann überlegen wir, was wir tun können. Ist er glücklich hier?«
»Ja. Gute Frau, gute Kinder. Mamma mia, seine Kinder! Und er soll später diesen Laden hier übernehmen. Was hat er …?«
»Er ist vorbestraft, nicht wahr?«
Er nickte. »Ja, irgendeine Drogengeschichte. Er ist nicht süchtig, er nimmt keine Drogen. Er ist in diese Sache in München einfach reingeschlittert. Er hat dafür gesessen. Nicht lange, aber lange genug. Ich hatte damals einen Betrieb in Schwabing, ich ging dann hierher, wo die Leute nichts wußten.«
»Wer verkaufte ihm die Papiere auf den Namen Paolo Maggia?«
»Woher wissen Sie … Es waren Freunde aus München.«
»Die Mafia?«
»Nein, nein, Freunde. Sie sagten, er könnte sie haben, sie seien in Ordnung. Ich dachte, es wäre besser so, ich sagte: Hau ab, du brauchst ein paar Jahre Ruhe irgendwo. Was hat er angestellt?«
»Peppo, ich muß verdammt noch mal wissen, ob die Papiere von der Mafia waren. Wenn ich das nicht weiß, kann mich das verdammt teuer kommen.«
»Was hat er gemacht? Drogen? Wieso Drogen, er hat genug Geld. Keine Drogen? Was dann? Ich wußte immer, glauben Sie mir, ich wußte immer, daß bei Gaetano etwas schiefgeht. Er lacht so gern, er ist so verdammt leichtsinnig, ein guter Kerl, aber so verdammt leichtsinnig. Ich wußte es immer, glauben Sie mir, ich …« Dann fing er an zu weinen.
»Nicht weinen, bitte, das hilft ihm nicht. Als er im Spätherbst 1987 hierherkam, wieviel Geld hatte er bei sich?«
Er hockte vor mir auf dem hölzernen Schemel und hielt die Handflächen vor sein Gesicht. »Er hatte das Geld vom Lotto. Er hatte mit einem Kumpel viel Geld gewonnen, und er dachte: Wenn ich das Geld jetzt Papa bringe, ist alles wieder paletti.«
»Wieviel war es?«
»Anderthalb Millionen, irgend so etwas. Ich weiß noch, ich dachte: So was gibt es nur in schlechten Romanen.«
»Anderthalb Millionen Mark oder anderthalb Millionen Dollar?«
Einen Augenblick lang war es ganz still. Dann hob er sein Gesicht und starrte mich an. »Na ja, Mark natürlich. Wieso Dollar?«
»Peppo, was zahlst du an Schutzgebühr?«
Es war wieder still.
»Also du kommst doch von den Freunden.«
»Nein, verdammt noch mal. Wieviel zahlst du?«
»Für die Papiere von Gaetano damals viertausend. Dann monatlich fünfhundert. Sie sagen, sie mögen mich, sie sagen, ich kriege einen Sondertarif. Sie wollen jetzt mehr, nicht wahr?«
»Nein, ich wollte es nur wissen. Auf welcher Bank hat er es eingezahlt?«
»Auf der Hypobank. Die meisten Leute hier sind bei der Hypo, ich auch. Was für eine Geschichte wolltest du mir erzählen?«
»Als dein Sohn sich Paolo Maggia nannte, war er Kellner im Hotel ›Beau Rivage‹ in Genf. Dort starb Watermann, du weißt schon, dieser Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein. Seine Leiche war noch nicht kalt, da kam dein Sohn Gaetano mit einem Haufen Geld hier an. Das ist doch so, oder?«
»Also hat er damit zu tun? Er hat mir mal erzählt, das wäre passiert, als er Nachtdienst hatte. Aber weiter hat er nichts gesagt. Wieso hat er damit zu tun?«
»Eigentlich hatte er mit dem Tod des Mannes nichts zu tun, aber zufällig weiß er etwas, und wahrscheinlich besitzt er auch Unterlagen, die beweisen, daß Watermann getötet wurde. Er machte das Wissen und die Unterlagen zu Geld.«
»Nein. Das ist nicht wahr. Nicht Gaetano. Woher weißt du das? Und wer bist du?« Er weinte.
»Ich bin ein Journalist. Ich versuche zu beweisen, daß Watermann ermordet wurde …«
»Ja, ja, viele Leute sagen, es war Mord, aber es läßt sich nicht beweisen. Wieso Gaetano? Was ist da abgelaufen? Und jetzt? Jetzt sind sie hinter ihm her? Nicht wahr, sie sind hinter ihm her.«
»Was hat er jetzt für Papiere?«
»Na ja, Gaetano Clementi natürlich. Gute, neue Papiere. Führerschein auch. Versicherungen auch. Gaetano Clementi, ganz normal. Was sind das für Leute, die hinter ihm her sind?«
»Vielleicht sind sie noch nicht hinter ihm her, aber lange kann das nicht mehr dauern. Ich will seine Geschichte hören.«
Er hockte ganz still und in sich versunken auf dem Schemel.
»Da kriegst du Kinder, da ackerst du wie ein Esel, und dann so etwas.« Er schüttelte den Kopf, er war betrübt. »Wenn Gaetano das erfährt, dann ist er, schwupp, verschwunden. Ha, ich kenne doch meinen Sohn, das hält der nicht aus, er haut ab, er haut so schnell ab, wie sein Auto fährt. Und seine Kinder, Madonna, seine Kinder.«
»Langsam, Peppo, langsam, wo ist er jetzt?«
»Jetzt? Ich denke, in Garmisch. Er kauft ein. Kann auch sein, daß er in Weilheim ist. Ich weiß es nicht. Morgens ist er immer unterwegs. Ich sage dir, wenn du zu ihm hingehst, wird er sich umdrehen und verschwinden.«
»Ich rede mit dir, damit wir gemeinsam überlegen können«, sagte ich ganz ruhig.
»Wieso sind die Leute jetzt hinter ihm her? Wieso nach so langer Zeit?«
»Gaetano hatte in Genf eine Freundin. Die hat angefangen zu reden.«
»O ja, mein Gaetano und diese gottverdammten Weiber. Immer dasselbe! Ich sage immer: Er hat seinen Verstand im Schwanz, und dort ist kein Platz dafür!« Er überlegte, was er gesagt hatte, und grinste plötzlich bis über beide Ohren. Seine italienische Leichtigkeit brach sich Bahn. »Du mußt zugeben, daß Gaetano helle ist. Er ist nicht schlecht. Manchmal kapiert er schnell.«
»Wahrscheinlich ist das so«, bestätigte ich. »Ich komme gleich wieder. Tu dir einen Gefallen: Sprich mit keinem darüber. Nicht mit deiner Frau und erst recht nicht mit Gaetano.«
»Ich schweige«, sagte er. »Ist Watermann wirklich ermordet worden?«
»Ich glaube ja.«
»Also kennt Gaetano den Mörder?«
»Muß er gar nicht. Es reicht, wenn er beweisen kann, daß der Mord geplant war.«
Ich ging hinaus in die Sonne und schnurstracks zurück zu meinem Jeep. Die Straßen waren voller geworden, Autos waren in langen Schlangen aufgefahren, Touristen schoben sich schwitzend an Schaufenstern vorbei, in denen im wesentlichen nichts anderes angeboten wurde, als bei ihnen zu Hause.
Minna hockte auf der vorderen Stoßstange. »Ich habe ihn«, sagte sie.
»Ich auch. Wieviel Geld in welcher Währung brachte er mit?«
»Du glaubst es nicht. Es waren zwei Koffer voll. Einskommasechs Millionen US-Dollar in bar. Er hat gesagt, es sei das Geld einer Gruppe von Landsleuten. Damit gaben sie sich zufrieden.«
»Wie ist es gelaufen?«
»Nun, zuerst habe ich die Nummer der ehemaligen Geliebten abgezogen, die er um ihr Gespartes gebracht hat.« Sie kicherte.
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie dieser Bankmensch reagierte. Er hat mir sogar angeboten, ein Hotelzimmer für mich zu buchen. Natürlich zum Sonderpreis. Falls mir abends langweilig ist, brauche ich ihn nur anzurufen. Wir gehen dann essen.«
»Was hat er dir geraten? Wie sollst du an dein Geld kommen?«
»Ich soll versuchen, friedlich mit Paolo zu sprechen. Er heißt übrigens Gaetano, Gaetano Clementi.«
»Ich weiß.«
»Erzähl, wie es bei dir war.«
Ich berichtete ihr schnell und umfassend.
»Wieso jagst du dem alten Mann Angst ein?« fragte sie vorwurfsvoll. »Wahrscheinlich ist doch gar niemand hinter Gaetano her.«
»So naiv kannst du nicht sein«, erwiderte ich wütend. »Erinnerst du dich an mein Gespräch mit Emilio Vascetti, dem Padrone in Genf? Unter dessen Schutz konnte Gaetano das ganze Ding überhaupt durchziehen. Dann komme ich und fragte nach Gaetano. Glaubst du im Ernst, der Padrone wird schweigen wie ein Grab? Natürlich wird er nicht herausposaunen, daß sein Schützling Paolo alias Gaetano entdeckt wurde. Aber er wird etwas unternehmen. Er wird unter allen Umständen …«
»… Gaetano anrufen«, sagte sie tonlos.
»Na sicher«, nickte ich. »Gaetano weiß seit mindestens zwei Tagen, daß wir auf dem Weg zu ihm sind.«