ACHTES KAPITEL
Wir schlenderten zu Peppo essen. Das Lokal war voll. Als er uns sah, winkte er sehr aufgeregt und kam uns entgegen. Er war einen Augenblick lang irritiert, daß ich eine Frau bei mir hatte, aber ich sagte schnell: »Eine Kollegin.« Er sah sie an und nickte und reichte ihr die Hand. Er sagte: »Gaetano ist in seinem Laden. Ich habe ihm noch nichts gesagt. Ich denke aber, daß es richtig ist, wenn er eine Weile untertaucht.«
»Das könnte sein«, nickte ich. »Hat er eine Möglichkeit dazu?«
»Wir haben einen kleinen italienischen Club hier, mit einer Hütte oben in den Bergen auf dem Weg zum Hennenkopf. Das ist bei Schloß Linderhof. Da könnte er untertauchen.«
»Das wird nicht reichen«, sagte ich schnell.
»Ich denke, wir buchen einen Flug«, sagte er augenzwinkernd.
»Wir buchen einen Flug nach Sizilien, und ich bringe ihn hoch zur Hütte und tue so, als hätte ich ihn nach München zum Flughafen gebracht.«
»Wer wird davon wissen?« fragte Minna schnell.
»Niemand«, beteuerte er. »Wirklich niemand, nicht einmal meine Frau oder seine.«
»Das könnte gehen«, murmelte ich. »Aber nur eine begrenzte Zeit. Versteh mich nicht falsch, Peppo, aber der Fall Watermann wird wahrscheinlich wieder heiß. Da sind Regierungsstellen beteiligt. Jede Menge Behörden von der Art, die am liebsten nie genannt wird. Wenn sie wissen, daß dein Sohn frei herumläuft, werden sie versuchen, ihn abzuschießen.«
»Ist das dein Ernst?« fragte er.
»Na sicher. Überlege einmal, was mit Watermann passierte. Und wenn sie Paolo erledigen, gibt es keinen mehr, der beweisen kann, daß es Mord war.«
»Aber die Unterlagen«, sagte Minna drängend.
»Die Unterlagen? Die Unterlagen hat der Padrone in Genf. Er wird sie bestenfalls dazu benutzen, um irgendein gewinnbringendes Geschäft durchzuziehen.«
»Du meinst, wenn sie Gaetano töten, sind die Unterlagen nichts mehr wert?« fragte sie ungläubig.
»Zumindest taugen sie nur noch die Hälfte.«
Minna sah Peppo an und nickte. »Er hat recht«, murmelte sie.
Peppo blickte hilflos von einem zum anderen. »Ihr könnt in unserem Wohnzimmer essen. Ihr seid eingeladen, ihr seid meine Gäste.«
»Geht nicht«, entschied ich. »Du wirst jetzt sofort Gaetano anrufen. Du wirst ihm sagen, er soll zur Hütte fahren. Kann man dorthin fahren? Gut. Er soll oben bleiben, bis wir kommen. Keine Widerworte, keine Diskussion.«
»Ich versuche es«, sagte er. »Nicht wenigstens einen Kaffee?«
»Also einen Kaffee«, sagte ich.
Peppo ging telefonieren, eine junge Frau stellte zwei Kaffee für uns auf die Theke.
»Was ist, wenn Gaetano Angst kriegt und abhaut?«
»Dann werden wir ihm folgen müssen«, sagte ich.
Peppo kam zurück. »Er fährt jetzt. Du fährst ins Graswangtal hinein bis Schloß Linderhof. Dann rechts rein. Es ist ausgezeichnet, da steht überall ›Hennenkopf‹. Du folgst dem Weg, es ist nicht besonders hoch, rund achtzehnhundert Meter. Wenn du auf dem Weg bleibst, kommst du nach zwanzig Minuten aus einem Tannenwald auf eine große Lichtung. Der Weg geht geradeaus weiter, aber du hältst dich links auf einem überwachsenen Weg. Dann zweihundert Meter. Und fahr langsam.«
»Ich habe einen Jeep.«
»Das ist gut. Sag ihm bitte, daß er mit mir rechnen kann.«
»Was für einen Wagen fährt er?«
»Er wird den kleinen Suzuki nehmen. Dunkelgrün mit einer Plane. Und wenn du zurückkommst, komm rein und berichte mir. Tust du das?«
»Na sicher. Du kannst dich darauf verlassen.«
»Und du bist nicht jemand, der ihn irgendwie reinlegt?«
»Ich lege ihn nicht rein.«
»Gut«, sagte er. »Ich will dir nur sagen: Wenn du ihn reinlegst, muß ich den Freunden Bescheid geben.«
Minna wurde ein wenig blaß und begann hastig zu atmen.
»Schon in Ordnung, ich kann dich verstehen. Ich lege Gaetano nicht rein.«
Er nickte und sah mich sehr ernsthaft an. Irgend jemand brüllte: »Wann wird man denn hier endlich bedient?«, und sein Gesicht verzog sich augenblicklich zu einem breiten Lachen.
»Du lieber Himmel«, sagte Minna im Wagen, »ist das eine Scheiß-Männerwelt. Versteckte Anspielungen, Drohungen, keiner traut dem anderen, jeder versucht, sein Süppchen zu kochen.«
»Es ist deine Welt«, sagte ich. »Du lebst darin.«
»Das will ich aber nicht«, sagte sie heftig.
Der Weg nach Linderhof war einfach, der Verkehr gering, auch die Abbiegung zum Hennenkopf fanden wir sofort. Ich hielt nur kurz, um die Hinterfenster aufzuklappen und das Dachteil rauszunehmen. Dann legte ich den Allradantrieb ein, und wir begannen in den elend tiefen Truckspuren der Waldarbeiter den Berg hinaufzuklettern.
»Was glaubst du: Wird er auspacken?«
»Ich weiß es nicht. Wenn er klug ist, hält er den Mund, rast nach Genf, geht zum Padrone, vervielfältigt sein Material und verteilt es auf Notare. Vermutlich wird er die Hosen voll haben und es nicht tun. Ich möchte jetzt in der Eifel sein. Ich möchte im Steinbruch hocken, in den Tümpel starren und die Kaulquappen der Glockenunken schwimmen sehen. Ich will alles mögliche, nur das hier will ich eigentlich nicht.«
»Aber bist du nicht stolz? Deine Theorie bestätigt sich doch.«
»Ich bin nicht stolz, ich bin nur müde und will nach Hause. Ich will mit Anke reden, wie es dem Kind in ihrem Bauch geht, und ich will bei Markus einen Apfelsaft trinken und mit Alfred darüber sprechen, ob ich ein neues Dach auf mein Haus kriege.«
»Aber ist es nicht wichtig, solche Dinge herauszufinden und öffentlich zu machen?«
»Früher dachte ich das auch, jetzt bin ich nicht mehr so sicher. Die Leute haben nicht von Politik die Schnauze voll, sondern von Politikern. Sie werden es lesen und sagen: Na, wußte ich doch! Außerdem haben wir noch keinen Mörder.«
»Vielleicht hat Gaetano einen für uns.«
»Vielleicht.«
Gaetano hatte den kleinen Suzuki sehr ordentlich vor dem Haus geparkt und hockte vor einer Bank neben der Eingangstür. Er blickte uns ruhig entgegen. Er lächelte ein wenig unsicher und sagte: »Hallo.« Ich stellte uns vor, und er sagte: »Da hinten an dem Tisch können wir uns setzen. Wollen Sie etwas trinken? Einen Wein, ein Wasser?«
»Einen Wein«, sagte Minna. »Sie haben es aber hübsch hier.«
»Wir sind nur zu Gast«, sagte er. Er war ein schlanker, dunkelhaariger, höflicher Mann. »Die Gläser stellen wir auf das Tablett. Und Sie? Wasser?«
»Wasser«, sagte ich dankend.
Der Tisch stand im Schatten, umgeben von schweren, aus einfachem Holz zusammengefügten Stühlen. Eine Gruppe Kiefern überragte ihn.
»Ich habe mit Lilo gesprochen«, sagte ich zur Eröffnung.
»Glauben Sie bitte nicht, daß wir irgendwie in die Sache verwickelt sind. Wir sind Journalisten, wir haben uns den Fall Watermann vorgenommen. Wir sind nicht käuflich, wir sind aber bereit, jedem Informanten das gesamte Manuskript zum Lesen zu geben, bevor es gedruckt wird.«
»Wie sind Sie auf mich gestoßen?« fragte er ganz sachlich.
»Das war einfach für Baumeister«, schaltete sich Minna ein.
»Wenn man liest, wie sich der Selbstmord abgespielt haben soll, muß man mißtrauisch werden. Baumeister geht davon aus, daß Watermann nicht allein war, als er starb. Ferner hat er eine lebenslange Erfahrung mit Hotels, schließlich ist er beruflich dauernd unterwegs. Also weiß er, daß so ein Hotel ein verdammt reges Innenleben hat. Sehe ich das richtig?«
»Du machst es sehr gut«, grinste ich.
»Baumeister geht davon aus, daß Watermann gezielt nach Genf gelockt wurde. Er wurde natürlich auch in dieses Hotel gelockt. Wer hat eigentlich für ihn gebucht?«
»Das weiß ich nicht genau. Es passierte telefonisch«, sagte er.
»Wann?« fragte ich.
»Zwei Tage vorher. Er kam am Samstag, also wurde am Donnerstag gebucht.«
»Normalerweise«, sagte Minna und zog die Worte etwas, um sich zu konzentrieren, »hat der Gast in einem Hotel sofort Kontakt zu einer ganz bestimmten Gruppe: dem Zimmerservice. Da war offiziell dieser Kellner Vergori …«
»O ja, mein Kollege Vergori. Ein netter Kerl, aber so harmlos wie ein Pfund Puffmais. Ja, ja, Vergori.«
»Vergori«, griff ich ein, »brachte nach eigenen Angaben eine Flasche Rotwein mit zwei Gläsern. Das war seiner Aussage nach der erste und einzige Kontakt, den er mit Watermann hatte.«
»Das stimmt sogar«, sagte er lebhaft. »Das kann so stimmen. Vergori wurde dann in den zweiten Stock gerufen. Da waren zwei Gesellschaften, da mußten wir hart arbeiten. Deshalb schickte ich Vergori in den zweiten Stock zu meiner Kollegin. Ich selbst war im dritten und vierten Stock.«
»Würden Sie uns erzählen, wie die Nacht von Freitag auf Samstag und die Nacht von Samstag auf Sonntag verlief? Was war mit dem Krach, den die beiden Nachtportiers gehört haben? War das Einbildung oder ein Betrunkener?«
»Nein, nein, das war keine Einbildung, das war auch kein Betrunkener. Das war Watermann. Er war schon tot, er wurde getragen. Der, der ihn trug, ließ ihn fallen.«
In den Kiefern über uns wehte der Wind, sonst war nichts zu hören. Dann kam das jähe Gekreische von zwei Eichelhähern, die sich jagten.
»Woher wissen Sie das? Sie waren doch längst in Lilos Wohnung.«
»Das war ich nicht«, sagte er ernsthaft. »Lilo hat angenommen, daß ich wie üblich gegen Mitternacht von dem Nachtkellner abgelöst wurde. Aber sowohl von Freitag auf Samstag wie von Samstag auf Sonntag war ich bis etwa drei Uhr im Hotel …«
»… und zwar mit Absicht, nicht wahr?«
»Genau. Aber wie kann ich wissen, was Sie mit meiner Geschichte machen?«
»Ich weiß, daß der Padrone Sie anrief, daß er sagte, da würden ein paar Pressefritzen nach Oberammergau kommen, daß Sie sich darauf einstellen müssen. Also, haben Sie sich darauf eingestellt?«
»Wenn ich den Mund halte, kommen Sie nicht weiter.«
»Falsch«, sagte ich ruhig. »Sie sollten nicht glauben, daß Sie unser einziger Informant sind.«
»Wen gibt es da denn noch?« fragte er ironisch.
»Es gibt da den Verein ›Preußens Geschichte‹«, sagte ich gelassen. »Dann gibt es noch den Geschäftsführer des Vereins, der gleichzeitig eine Firma hat. Die Firma treibt Waffenhandel. Mit Waffenhändlern konnte Watermann es prima. Damit nicht genug, gibt es noch einen Mann namens Manfred Gerber. Das ist derselbe, den Sie als Dr. Lang kennen, der Ihnen im ›Le Richemond‹ genau erklärt hat, wie man mit dem Computer umgehen muß, wenn man der Nachwelt ein paar entscheidende Fakten vorenthalten will.«
Ich stopfte mir eine Pfeife. Es war die Prato von Lorenzo, eine Pfeife für den gemütlichen Nachmittag. »Es kann natürlich sein, daß Sie zum Beispiel keine Ahnung haben, wer denn der Verein ›Preußens Geschichte‹ ist, aber so ganz glaube ich das nicht. Denn die Leute waren hin und wieder bei Ihnen im Hotel zu Gast, nicht wahr? Mit anderen Worten: Wir haben noch einen Haufen Asse im Ärmel. Sie sind nur eines unserer Asse. Wir bieten Ihnen kein Geld, und Sie sollten uns kein Geld bieten. Wir nehmen es nicht, wir lösen den Fall.«
»Aber was soll ich Ihnen erzählen?«
»Alles, schlichtweg alles. Ich weiß, Sie haben Angst um Ihr Geld.«
Er wedelte sehr heftig mit den Armen. »O nein, um das Geld sorge ich mich nicht. Erstens ist es notariell zu gleichen Teilen meinen Eltern und meiner Frau übertragen. Es gehört mir nicht mehr. Zweitens gab es nie eine Quittung, drittens waren es gebrauchte Scheine. Nein, nein, das Geld ist es nicht, es ist …«
»Ihr Leben«, sagte Minna scharf. »Sie haben recht! Es geht um Ihr Leben.«
Er sah sie an, nickte dann heftig, stand auf und ging ein paar Schritte abseits an einen steil abfallenden Hang. Dort stand das Gras sehr hoch und sehr dicht. Er hockte sich hin und starrte in das Tal.
Ich wollte zu ihm gehen, aber Minna sagte schnell: »Laß ihn. Er muß eine Entscheidung treffen. Er hat es schwer, Baumeister. Er hat die Kinder, die Frau, die Eltern …«
»… und das Geld.«
Es dauerte fünf Minuten, zehn, fünfzehn Minuten, er hockte da, vollkommen bewegungslos. Dann fragte er über die Schulter:
»Was ist, wenn ich es Ihnen erzähle? Dann kann ich einpacken. Das kann keiner hinnehmen. Den Mörder kenne ich nicht.«
»Wieviel kommen denn in Frage?« fragte ich.
»Na ja, außer Gerber mindestens zwei.«
»Dann müssen Sie erst recht reden«, sagte ich.
»Weshalb?« fragte er. »Watermanns wegen?«
»Es geht doch eigentlich nicht um Watermann, es geht um die, die es inszenierten.«
»Aber die kenne ich nicht. Ich kenne nur einen winzigen Teil des Geschehens.« Er brüllte fast, er war wütend.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie erzählen uns, was ablief, und wir entscheiden nach Schluß der Recherche, was wir daraus machen. In Ordnung?«
Er antwortete nicht, er zuckte nicht einmal mit dem Kopf, er hockte nur da in der Sonne und starrte in die Wälder.
»Hören Sie, Gaetano, wir müssen weiter«, drängte ich. »Wir haben keine Zeit.«
»Na schön. Habe ich Ihr Wort?«
»Sie haben es. Keine Veröffentlichung, bevor nicht die gesamte Recherche steht, und auch nicht, bevor Sie alles gelesen haben.«
»Vermutlich fing alles am neunten Oktober an, oder?« fragte Minna ganz harmlos.
»Was war der Neunte denn für ein Tag?«
»Der Neunte war ein Freitag, und Watermann war auf Gran Canaria«, sagte Minna. Sie hatte ihre Lektion gut gelernt.
»Es fing schon am Donnerstag an«, sagte er. »Also am achten Oktober. Die ganze Geschichte hat eine Menge damit zu tun, daß ich kein Schweizer bin, sondern mehr ein Deutscher. Das ist meine Heimat.«
»Ihr seid viel zu schnell«, griff ich ein. »Es fing nicht am achten Oktober an. Es fängt damit an, daß die Mafia Ihnen falsche Papiere besorgte, nicht wahr?«
»Gut, wenn Sie so wollen. Ich ging also nach Genf und lebte bei Lilo. Gute Frau, die Frau, und mir ging es nicht schlecht. Ich wartete auf meine Chance, auf irgendeine Chance. Aber nichts kam. Der Job war gut, die Bezahlung auch. Also, es fing damit an, daß ich mich für den Fall Watermann interessierte, weil ich aus Deutschland bin. Dann hörte ich am achten Oktober, das muß also der Donnerstag gewesen sein, daß jemand für den Watermann buchte …«
»Moment, ich dachte, Sie hatten Nachtdienst?« fragte ich nach.
»Nein«, sagte er. »Wir machten Wechselschicht, aber ein paar von uns arbeiteten als Springer. Das heißt, sie arbeiteten nach Bedarf, wie der Betrieb es jeweils brauchte. Das waren immer die, die nicht verheiratet waren, also ich zum Beispiel. Es konnte sein, daß ich den Nachtdienst machte, das Frühstück. Dann ging ich heim, schlief ein paar Stunden und trat abends wieder an. Ich wußte also: Dieser Watermann sollte am zehnten, dem Sonnabend, kommen. Ich weiß noch, daß ich richtig neugierig auf den war. Die Zeitungen waren voll davon, das Fernsehen zeigte ihn dauernd. Ich wußte also am Donnerstag, daß Watermann kommen würde. Ich sagte mir: Den guckst du dir mal an! Am Donnerstagabend lief folgendes: Ich war in der Teeküche oben im Dritten. Da kam über interne Hausleitung ein Anruf. Da war ein Mann dran. Er sagte mir, er wüßte, daß ich nicht Paolo Maggia bin, sondern Gaetano. Er sagte, er würde den Mund halten, wenn ich ihm einen Gefallen tue. Er käme am Freitagabend im ›Le Richemond‹ nebenan an und würde mich sprechen wollen. Ich hätte ihm nur einen kleinen Gefallen zu tun und würde dafür gut bezahlt. Na ja, sagte ich, warum nicht?«
»Nannte er seinen Namen?«
»Nein.«
»Gut, wie ging es weiter?«
»So was kommt von Zeit zu Zeit vor. Irgendein Gast bittet dich um irgend etwas. Das ist normal. Aber bei dem roch ich, daß irgend etwas nicht stimmte. Er rief mich Freitagabend etwa gegen zwanzig nach zehn rüber. Er nannte sich Schmitz, einfach Schmitz …«
»War das in einem Zimmer im ›Le Richemond‹?«
»Das war unten im Eingang zum Restaurant.«
»Sein richtiger Name war aber nicht Schmitz?«
»Nein. Es gab keinen Gast namens Schmitz. Wenn mir jemand sagt, er heißt Schmitz, werde ich grundsätzlich mißtrauisch. Also fragte ich einen Kollegen im ›Le Richemond‹, wer dieser Mann sei. Er sagt: Das ist Monsieur Lang. Erst viel später habe ich im Spiegel und im Stern gelesen, daß dieser Agent Gerber sich im ›Richemond‹ Lang nannte. Was er mir sagte, war das: Er wäre im Staatsauftrag unterwegs und habe verschiedene Personen zu überprüfen …«
»Moment, im Auftrag der schweizerischen Regierung?«
»Nein, der deutschen. Deshalb sei er auch auf mich gekommen. Er wußte, daß ich falsche Papiere hatte, er wußte es hundertprozentig. Weil er es wußte, dachte ich automatisch an Mafia. Er wollte, daß ich mit einem Codewort in den Computer des ›Beau Rivage‹ gehe, bestimmte Eintragungen lösche und neue Eintragungen hinzufüge. Er sagte, das dauere zehn Minuten, und es sei nicht gefährlich.«
»Sie sind darauf eingegangen?«
»Nicht sofort. Ich habe ihm gesagt, ich könne mit dem Computer überhaupt nicht umgehen. Ich muß im Zimmerservice nur Dinge reintippen wie in eine Registrierkasse, damit oben die Rechnung ausgedruckt wird. Er sagte, das macht nichts, das ist ein Kinderspiel. Er sagte, ich bekäme anschließend zehntausend Dollar in bar. Ich dachte, mich trifft der Schlag. Es ging mir nicht gut, ich wollte heim zu meinen Eltern. Da habe ich es getan.«
»Hat er Ihnen die Änderungen, die Sie vornehmen sollten, schriftlich gegeben?«
»Nein, das brauchte er gar nicht, es war ja viel einfacher. Er sagte, im Computer wären ein paar Dinge zuviel: Zwei Gäste und fast alle Samstagsbestellungen aus den Zimmern der zweiten und dritten Etage.«
»Wann sollte das ablaufen?«
»In der Nacht von Samstag auf Sonntag, also in der Nacht, in der Watermann umkam.«
»Haben Sie Watermann eigentlich gesehen?«
»Na sicher, dreimal, viermal, fünfmal, ich weiß es nicht.«
»War er allein?«
»Zweimal nicht, zweimal hatte er zwei Männer bei sich. Das waren aber keine Gäste von uns. Er lachte mit ihnen.«
»Bleiben wir beim Computer. Ist es tatsächlich so gelaufen?«
»Ja, es war ganz einfach. Ich sagte Gerber schon am Freitagabend, daß ja nur der Supervisor des Computers an diese Programme herankommt. Aber er sagte, das sei kein Problem, denn zufällig kenne er das Codewort. Ich mußte also nur das Codewort eingeben, dann die Gästeliste abrufen, die entsprechenden Zeilen markieren und löschen. Das war alles.«
»Aber Sie haben viel mehr getan, nicht wahr?«
Er nickte. »Anfangs habe ich das überhaupt nicht mit Watermann in Verbindung gebracht, aber langsam dämmerte es mir. Als ich am Freitagabend Gerber traf, war schon etwas Komisches passiert. Es kamen zwei Gäste, zwei Männer, zwei Deutsche. Später stand im Stern, es sei nur ein Gast gewesen, aber es waren zwei. Sie nannten sich Gert Meile aus Stuttgart und Bruno Daun aus München. Ich weiß das, weil ich sie bediente. Sie kamen und wurden wegen ihrer späten Ankunft nicht mehr in den Computer eingespeist. Ganz logisch nahm ich also zwei Anmeldeformulare und brachte sie ihnen auf das Zimmer, mit der Bitte, sie auszufüllen. Dieser Daun sagte: Brauchen wir nicht! Der sagte das so, daß ich sofort wußte: Das sind schwarze Vögel, also Leute, die sich nie irgendwo eintragen. Offiziell gab es die beiden nicht. Es gab sie nur noch im Computer, weil sie etwas zu essen und zu trinken bestellten. Und sie telefonierten alle beide. Das wird ja auch registriert. Am Samstagabend rief mich Lang, also Gerber, zu sich ins ›Richemond‹ und gab mir das Codewort. Ich hatte diese beiden Männer zu löschen, alle Telefonate, die sie geführt hatten, und alles, was sie auf das Zimmer bestellt hatten. Außerdem löschte ich fast alle Bestellungen, die insgesamt im zweiten und dritten Stock von den Zimmern gekommen waren. Dazu jede Menge Telefonate. Plötzlich dachte ich: Du lieber Gott, dieser Watermann weiß genug, um die Bundesregierung und die eigene Landesregierung auffliegen zu lassen. Ich wußte es einfach: Es ging um Watermann! Als ich später hörte, er liegt tot in der Badewanne, habe ich mich nicht einmal gewundert.«
»Sie löschten also Eintragungen im Computer. Was passierte dann?«
»So gegen Mitternacht ging ich rüber ins ›Le Richemond‹ und traf Gerber. Wir gingen in den Korridor im ersten Stock. Ich sagte: Es hat alles geklappt! Da gab er mir zehntausend Dollar in bar und dann noch die Papiere auf meinen alten Namen. Ganz neue Papiere. Es war wie im Märchen.«
»Wie ging es weiter?«
»Ich hatte die Dollar und die neuen Papiere. Ich hatte außerdem die echten Computerlisten. Es war eigentlich Zeit, nach Hause zu gehen, aber ich ging nicht. Ich war irgendwie gespannt, wie das jetzt weitergehen würde. Es war mir klar, daß irgend etwas passieren mußte, aber ich hatte keine Ahnung. Also blieb ich. Gegen Mittag wurde dann Watermann in der Badewanne gefunden, das wunderte mich schon gar nicht mehr. Dann begriff ich, daß irgendwann die Polizei auf mich stoßen würde. Ich meldete mich bei einem früheren Kollegen an, der ein kleines Hotel am Genfer Stadtrand hat. Ich fuhr dorthin. Ich war wie besoffen. Ich hockte auf meinem Bett und hörte im Radio ununterbrochen die Nachrichten von diesem komischen toten Watermann. Ich starrte auf diese blöden Computerlisten und dachte, du hockst hier und hast ein Vermögen in der Hand. Wenn die Bullen nicht beweisen können, wer im Hotel war und wer nicht, dann konnten sie lange suchen.«
»Was taten Sie dann?«
»Ich bin zum Padrone gegangen. Ihm war sofort klar, was die Listen wert waren. Der Padrone sagte: Das manage ich für dich! Er hat es gemanagt. Er bekam zwanzig Prozent, und die Sache war gelaufen.«
»Sieh einer an«, sagte ich heiter. »Sie haben sich nie mehr darum gekümmert?«
»Nein, nie mehr. Immer, wenn ich irgendeinen Schmonzes über Watermann las, dachte ich: Wenn ihr wüßtet! Ich habe nie mehr irgend etwas unternommen. Was glauben Sie, was wird jetzt passieren?«
»Das weiß ich nicht genau. Wenn ich Sie recht verstehe, dann hat der Kellner Vergori die Flasche Rotwein gebracht. Samstagabend. Sonst nichts?«
»Vergori hat nur den Rotwein gebracht, sonst nichts. Dann habe ich übernommen. Das war auch so eine Sache, die dieser Gerber von mir wollte. Ich sollte den zweiten und dritten Stock möglichst allein machen. Das war nicht weiter schwer zu erreichen.«
»Haben Sie irgendeine Bestellung aus Watermanns Zimmer bekommen?«
»Ja. Zweimal. Eine Kanne Kaffee mit je zwei Tassen. Einmal vier Flaschen Mineralwasser. Aber das ist nicht alles. Ungefähr gegen dreiundzwanzig Uhr am Samstagabend brachte ich drei Kannen Kaffee auf ein anderes Zimmer. Drei Kannen, drei Tassen. Da hockte Watermann und lachte über irgend etwas. Komisch, ich habe den nur lachen gesehen.«
»Wer waren die beiden anderen?«
»Na ja, die beiden, die es nie gab und deren Namen falsch sind. Dieser Meile aus Stuttgart und dieser Bruno Daun aus München.«
»Als Sie Watermann die Kaffeekannen und das Wasser brachten: Wer war bei ihm?«
»Niemand. Außer Watermann war niemand da. Er erwähnte, er erwarte jemanden. Aber ich weiß nicht, wer es war. Dann noch etwas: Dieser Gerber war in dieser Nacht im ›Beau Rivage‹. Ich weiß es sicher, denn ich hörte seine Stimme. Ungefähr um zwanzig Minuten nach Mitternacht.«
»In welchem Stock?«
»Im dritten«, sagte er.
»Sie haben doch in den Listen gelesen. Welche Bestellung fiel Ihnen auf?«
»Da ist wirklich nichts Auffälliges. Sie müssen wissen, daß im ›Beau Rivage‹ dauernd private Konferenzen laufen. Dauernd geht es um irgendwelche Geschäfte. Dauernd sind Geheimdienste im Haus, meistens CIA. Wem erzähle ich das, Sie werden es gelesen haben.« Er lachte. »Es ist völlig normal, daß irgendeiner, der irgendwo auf einem Fahndungsfoto steht, bei uns die Korken springen läßt und sich Nutten bestellt. Bei den Bestellungen fiel wirklich nichts auf. Dann kommt noch dazu, daß die meisten Gäste ziemlich häufig da sind oder dauernd. Manchmal bei uns, manchmal im ›Le Richemond‹. Sie treffen sich bei uns oder nebenan, und du weißt nach einiger Zeit kaum noch, ob er dein Gast ist oder der Gast von einem Kollegen nebenan. Du weißt es nicht, und es interessiert dich auch nicht.«
»Bei Watermann ist so verblüffend, daß er Samstagnachmittag ankommt und ziemlich genau einen Tag später in seiner Badewanne gefunden wird. Kein Mensch weiß, was er in diesen vierundzwanzig Stunden eigentlich getan hat, wen er traf, bei wem er war.«
»Viel bewegt haben kann er sich aber nicht«, sagte Gaetano.
»Darüber habe ich lange nachgedacht. Er hockte in anderen Apartments, gut, er war mit anderen zusammen, auch gut. Aber bewegen konnte er sich nicht sehr viel, denn unten hockten doch die Leute von der Presse.«
»Das ist richtig«, sagte ich. »Andere Frage: Wer hat ihn getragen, und wer hat ihn fallen lassen?«
»Das haben Sie gelesen«, sagte er. »Sie erinnern sich, daß der Nachtportier di Natale gesagt hat, ungefähr um vier Uhr wäre ein Riesenkrach irgendwo auf einem Flur gewesen.«
»Richtig«, sagte ich. »Di Natale und sein Kollege rasten hoch und schauten nach. Aber da war nichts.«
»Da war doch etwas«, sagte er. »Es gibt nämlich eine Geschichte, die ich nicht beweisen kann, oder besser gesagt, ist mein Zeuge futsch. Wir hatten damals einen jungen Belgier, Paul hieß er. Er war ein lustiges Haus und sollte im Service ausgebildet werden. Der war im ›Le Richemond‹, nicht bei uns. Bei uns war ein Zimmermädchen, das Praktikum machte. Die hatten was miteinander, wie das eben so ist. In der Nacht von Samstag auf Sonntag, ungefähr um vier Uhr, ist Paul aus dem Zimmer unterm Dach von Julie gekommen. Julie hieß die Praktikantin. Paul nahm den Weg über die Angestelltentreppe. An einem Punkt muß er quer über den Flur vom dritten Stock. Und wie er den Gang so entlangschaut, sieht er, wie zwei Männer einen dritten tragen. Da ist eine kleine Treppe eingebaut, drei, vier Stufen. Paul sieht, wie die beiden Männer an der Treppe sind und wie der Mann, den sie tragen, plötzlich runterfällt und diese Stufen runterpoltert. Ganz einfach, nicht wahr? Die blauen Flecken, die Watermann hatte, stammten von diesem Sturz.«
»Woher haben Sie das?«
»Von Paul. Er kam zwei Jahre später hier durch. Ich hatte ihm mal erzählt, daß meine Eltern hier eine Pizzeria haben. Er stand plötzlich in der Tür.«
»Ja und?« fragte Minna drängend.
»Er ist tot«, sagte er. »Aber nicht, was Sie glauben. Er ist mit seinem Motorrad verunglückt. Der Vater rief mich ein halbes Jahr später an. Das ist in London passiert. Paul wollte da seine Ausbildung weitermachen.«
»Ob Gerber weiß, wo Gaetano ist?« fragte Minna nachdenklich.
»Selbstverständlich weiß er es«, antwortete ich. »Wenn er in der Lage war, Paolo Maggia als den wirklichen Gaetano im ›Beau Rivage‹ in Genf zu orten und wenn er ihm seine richtigen Papiere schenken konnte, dann weiß er genau, wo Gaetano ist. Gerber ist ein Mann mit vielen Verbindungen. Mit anderen Worten: Gaetano ist wirklich gefährdet. Haben Sie Verwandte in Palermo?«
»Aber sicher«, sagte er. »Einen ganzen Haufen. Aber was nutzt das?«
»Ich überlege, wohin Sie ausweichen können.«
»Ich will mich nicht mehr verstecken, ich habe die Schnauze voll.«
»Was sagt denn der Padrone dazu?« fragte Minna.
»Er hat mir Papiere und einen Flug in die Staaten für den Notfall angeboten. Aber ich will nicht. Ich habe die Familie hier. Alles, was wichtig ist, ist hier.«
»Sie zahlen Schutzgeld, nicht wahr? Streiten Sie es nicht ab. Ihr Vater zahlt fünfhundert pro Monat an die ehrenwerte Gesellschaft. Wieviel zahlen Sie?«
»Tausend.«
»Was ist, wenn Sie die Herren bitten, Sie wirklich zu beschützen?«
»Wie soll das aussehen?« fragte er aufgebracht. »Soll ich mit Bodyguards durch Oberammergau rennen? Und ist das ein Schutz? Das ist keiner. Wenn der Staat hinter Watermanns Tod steckt, dann schicken sie Staatsdiener, richtige Profis.«
»Das ist richtig«, gab ich zu. »Ich würde vorschlagen, Sie bleiben zwei, drei Wochen hier oben. Unten in Linderhof beziehen zwei Leute der ehrenwerten Gesellschaft Wache, oder die Leute können hier oben bei Ihnen sein.«
»Was sage ich in Oberammergau?«
»Sagen Sie: Familientreffen, Erbschaftsangelegenheiten in Palermo. Sagen Sie das auch Ihrer Familie. Kein Wort zu irgendwem.«
»Etwa sofort?« fragte er.
»Sofort«, sagte ich. »Noch heute. Wir sollten kein Risiko eingehen. Sie kriegen von uns noch eine Hausarbeit auf. Sie schreiben pingelig genau auf, wie Ihr Alltag im ›Beau Rivage‹ aussah. Sie schreiben den ganz normalen Alltag auf, alles über Gäste, an die Sie sich erinnern. Menschen im Hotel sozusagen. Machen Sie das?«
Er nickte und schwieg.
»Fahren Sie jetzt nach Hause und packen Sie. Lassen Sie sich offiziell von Ihrem Vater nach München fahren. Sagen Sie ihm, er soll Verbindung zur Bruderschaft aufnehmen. Auch sofort. Komm, wir fahren.«
»Was machen Sie jetzt?«
»Das weiß ich noch nicht genau. Wir müssen ins Baden-Württembergische zu lieben Freunden. Wir kommen so schnell wie möglich wieder. Noch etwas: Sie sollten Ihr Auto nicht hier parken. Es ist zu gefährlich.«
Er nickte, antwortete nicht, hockte da und starrte vor sich hin.
Wir fuhren schweigend zu Tal, hockten uns im Lindergrieß an die Ammer. Ich schlief ein, ich hörte noch, wie sie murmelte:
»Was glaubst du, ist es auch für uns gefährlich?«
Ich erinnere mich, daß ich etwas abseits der Norm antwortete. Ich sagte todmüde: »Weißt du, er muß leben bleiben, er kennt alle Gesichter.«
Als ich aufwachte, war es neun, die Sonne war verschwunden, es war lauwarm. Minna saß am Ufer und warf kleine Steine in das Wasser. »Ich habe dich nicht wecken wollen, weil du geschlafen hast wie ein Baby. Sollten wir uns nicht ein Hotelzimmer besorgen? Wir müssen schlafen, lange schlafen.«
»In Ordnung. Ein Hotelzimmer. Scheiße, mein Finger schmerzt.«
»Du hast ja auch vergessen, daß er gebrochen wurde«, sagte sie. »Ich fahre dich in ein Hotel.«
»Nein, wir versuchen in Garmisch einen Arzt zu kriegen. Ich brauche vermutlich einen neuen Gips. Derweil kannst du Zimmer besorgen.«
Sie fuhr mich in das Kreiskrankenhaus Garmisch, und ein junger Ambulanzarzt, der einen so sachlichen Eindruck machte wie ein Kfz-Mechaniker, befand: »Det Dingis jebrochen, ick meene, der Jips. Also machen wir einen neuen. Versichert?«
»Ja. Privat.«
»Sehr schön. Dann vadient mein Chef.«
Nach einer halben Stunde marschierte ich mit einem neuen Fingergips und einem großen Glas Schmerztabletten aus dem Haus: Minna stand im Eingang und sagte: »Ich habe ein großes Doppelzimmer für uns. Du kannst ein Bett haben oder zwei Betten oder ein Sofa oder eine Liege. Bezahlt ist es auch schon. Ich gebe eine Runde Schlaf aus.«
Es war ein Zimmer in einer Pension jenseits der Loisach. Es war still wie in der Eifel, und ich war ihr dankbar. Das Zimmer, auf das uns eine junge Frau führte, war ganz in roher, lasierter Fichte gehalten, und das bayrisch breite Doppelbett hatte tatsächlich die Andeutung eines Himmels aus schneeweißem Tüll.
»Ist das nicht hübsch?« fragte Minna.
»Sehr«, sagte ich. »Ich nehme die Liege, dann sehe ich es nicht.«
»Du bist roh.«
»Nein, müde.«
»Aber wir sind doch viel weiter als noch vor vierundzwanzig Stunden. Wir wissen, daß Watermann viele Leute traf. Wir wissen, daß in dem Hotel nichts so war, wie es dargestellt worden ist. Wir wissen … ach verdammt, freu dich doch ein bißchen. Du kannst müde sein, aber nicht so kaputt.«
»Ich habe es einfach satt, hinter den Leichen anderer Leute herzurennen. Wieso spiele ich den Helden und will etwas klären, an dessen Klärung kaum jemand sonderlich interessiert ist? Ach verdammt, ich nehme jetzt noch so ein Schmerzding und ab in den Schlaf.«
»Willst du das Bett?«
»Das ist mir egal. Ich möchte mich morgen in mein Auto setzen können, um in Ruhe heimzufahren. Ich möchte meine Katze Krümel auf den Arm nehmen und sie fragen, was in der Zwischenzeit passiert ist. Ich möchte in der Sonne an meiner Mauer hocken und zuschauen, wie die Kohlweißlinge die Brennesseln anfliegen. Statt dessen …«
»Ich heule gleich«, kicherte sie. »Baumeister, der Tragische.«
»Tut mir leid, ich bin einfach down. Kannst du mich etwas abduschen? Mit einer Hand geht das so schlecht. Ich stinke schon.«
»Na sicher«, sagte sie in demselben Ton, in dem das meine Mutter vor dreißig Jahren gesagt hatte.
Ich zog mich also aus, hockte mich in die Badewanne, und sie duschte mich lauwarm ab. Dann legte ich mich auf das Bett. Wenig später kam sie aus dem Bad und legte sich neben mich. Sie war nackt, sie sah sehr hübsch aus, aber sie erregte mich nicht.
»Laß uns Frieden schließen«, sagte ich. »Ich will erst wissen, wer Watermann erledigte.«
»Oh«, sagte sie. »Ich hatte gar nicht vor, mich mit dir zu streiten.«
Dann grinsten wir uns friedlich an, und irgendwann schlief ich ein.