VIERTES KAPITEL

Wir fuhren bis Ferney-Voltaire, acht Kilometer vor Genf. Wir fanden ein Gasthaus, in dem die Preise einigermaßen normal schienen, und mieteten ein Doppelzimmer. Dann hielt ich ihr einen kurzen sogenannten Arbeitsvortrag.

»Kein Nahkampf. Wir verkaufen uns als müdes Paar. Wir reden niemals in Lokalen oder in der Öffentlichkeit über den Fall. Wir machen den Eindruck von hart arbeitenden Leuten, die ein paar Tage ausspannen und Spazierengehen wollen. Wir haben den Honigmond längst hinter uns, wir turteln nicht, wir halten nicht Händchen, und wir halten den anderen nicht für den Größten.«

»Gut so. Wenn du morgens der erste unter der Dusche bist.«

»Einverstanden. Jetzt werde ich die Sache ein wenig ins Rollen bringen.«

»Wieso jetzt? Wir sind doch noch gar nicht angekommen!«

»Ich habe eine Idee, also laß mich telefonieren.«

»Dann gehe ich duschen. Ach nein, ich will es mitkriegen.« Sie hockte sich auf das Bett.

Werner Ascheburg, Chefreporter des Kölner Express, war einer der Männer, die die richtige Nase hatten. Ich wollte ihn nicht hinters Licht führen, ich sagte: »Ich habe möglicherweise eine Geschichte für Sie. Ich kümmere mich erneut um den toten Watermann, ich rufe Sie aus Genf an. Haben Sie Zeit, mir zuzuhören?«

»Ich habe. Ich muß allerdings darauf aufmerksam machen, daß die Politikverdrossenheit des gemeinen Mannes mittlerweile krankhafte Formen angenommen hat. Die wollen von Bestechung und Korruption nichts mehr lesen, weil sie voraussetzen, daß so etwas gang und gäbe ist.«

»Ich gehe von der Überlegung aus, daß ein sehr massives Interesse bestand, den Tod des Watermann herbeizuführen, weil er von zu vielen Leichen im Keller wußte. Nehmen wir nun einmal an, daß bestimmte Justizkreise, aber auch hohe Behörden sich schämen, so elend versagt zu haben. Nehmen wir weiter an, ein paar von diesen Leuten wollen reden. Vor allem über die Frage, daß die Bundesregierung ein erstaunlich großes Desinteresse daran hatte, den Fall aufzuklären. Beweissträngen in Richtung Mord ist nicht nachgegangen worden.«

»Das hört sich gut an. Für wen sind Sie unterwegs?«

»München. Ich kann Ihnen aber garantieren, daß Sie ein exklusives Vorabdruckrecht bekommen. Nehmen wir an, ich ahne, um welche Beweise es geht. Könnten Sie dann erwähnen, daß ich recherchiere? Könnten Sie eine Geschichte machen? Ich bin zwei Tage am Fall und schon verprügelt worden.«

Er antwortete jugendlich hell. »Das klingt immer besser. Los, erzählen Sie.«

Ich berichtete kurz über mein Kieler Erlebnis, und ich berichtete auch von Minna. »Wenn Sie also erwähnen, daß ich hier in der Gegend bin, um zu recherchieren, nehme ich an, daß ich Besuch bekomme.«

»Das ist wahrscheinlich«, erwiderte er. »Ich werde laufend informiert?«

»Laufend. Ich setze an dem Punkt an, daß es ganz normale Bürger geben muß, die in das Geschehen eingebunden waren, aber nicht sprechen.«

»Was für eine Rolle spielte Manfred Gerber, der saß doch im Nachbarhotel?«

»Ich denke, er war eine Art Oberspielleiter. Er wußte nur, daß es störungsfrei laufen mußte.«

»An welche normalen Bürger denken Sie?«

»Zum Beispiel an das Hotelpersonal.«

»Haben Sie einen Kontakt in der Stadt?«

»Nein.«

»Ich habe einen für Sie. Walter Gremm. Guter Junge, ungefähr dreißig. Warten Sie, ich gebe Ihnen seine Telefonnummer. Will diese Dame, die bei Ihnen ist, sich an Watermann rächen?«

»Will sie nicht. Sie ist Doktor der Politologie. Wann können Sie die Geschichte machen?«

»Ist morgen recht?«

»Ja.«

Ich legte den Hörer auf und sagte befriedigt: »Er wird die Ratten aus ihren Löchern locken.«

»Warum hast du nicht ein bißchen gemogelt? Warum hast du nicht behauptet, wir hätten schon einen Beweis?«

»Das ist nicht fair«, wandte ich ein.

»Niemand ist heutzutage fair«, sagte sie.

»Das ist nicht meine Sorte Spiel.«

»In Watermanns Spiel hat niemand die Wahrheit gesagt, einschließlich Watermann.«

»Wir fahren jetzt in das Hotel. Zieh dich bequem, aber schick an.«

Ich rief diesen Walter Gremm an und erreichte ihn auf Anhieb. Zurückhaltend und bescheiden, wie das meine Art ist, sagte ich ihm schöne Grüße vom Kollegen Ascheburg aus Köln. »Haben Sie Zeit, mit uns einen Drink zu nehmen? In einer Stunde? In der Lobby vom Hotel ›Beau Rivage‹?«

»›Beau Rivage‹.« Er zog das Wort in die Länge wie Kaugummi. »Ich vermute also deutsche Anstrengungen, um das Rätsel des Herrn Watermann zu lösen?«

»Sehr richtig.«

»Das wird auch Zeit«, seufzte er. »Ja, ja, ich komme vorbei. Salut.«

Wir machten uns landfein, wechselten Jeans und die Hemden, Minna bestäubte sich mit einem mörderisch süßen Parfüm, ich zog mir die englischen Maßschuhe an und setzte meine Miene von Welt auf. Ich hielt zwar nichts davon, aber das Üben machte Spaß.

Ich überließ ihr das Badezimmer, zog mich in die äußerste entgegengesetzte Ecke zurück, starrte aus dem Fenster und wartete geduldig. Wir schwätzten miteinander wie Kumpel auf der Arbeitsstelle.

»Du mußt doch viel über Genf wissen.«

»Weiß ich auch«, sagte sie. »Wenn du Politik studierst, kommst du an Genf nicht vorbei. Es gibt kaum eine andere Stadt auf der Welt, die so international ist wie diese. Hier haben sehr viel künstlerische und gelehrte Gesellschaften ihren Sitz, hier sitzt der Ökumenische Rat der Kirchen, des Lutherischen Weltbundes, des Reformierten Weltbundes, das Weltkomitee des CVJM. 1536 kam Calvin in die Stadt, er machte sie berühmt, er machte sie zum sogenannten protestantischen Rom. Er schrieb seinen berühmten Katechismus.« Sie grinste. »Willst du mehr hören?«

»Na sicher, ich bin lernfähig.«

»Na schön, dann werde ich dich mit meinem Wissen erschlagen. Also das Genfer Abkommen über Wirtschaftsstatistik spielt eine Wahnsinnsrolle, dann die Genfer Abrüstungskonferenz des Völkerbundes. Dann die Genfer Konventionen zum Schutz der Verwundeten, der Kriegsgefangenen und der Zivilbevölkerung, womit wir beim Internationalen Roten Kreuz wären. Hier ist wirklich was los.«

»Dann ist es ja kein Wunder, daß sich hier die internationalen Waffenhändler treffen, oder?«

»Nein, das ist überhaupt kein Wunder, weil sie im Schatten der Mächtigen reisen.«

»Du bist richtig gut.«

»Das hoffe ich«, sagte sie sanft.

»Hast du mit Watermann jemals eine Verabredung in einem Hotel gehabt?«

»Nein, nein«, sagte sie. »Mich gab es nicht. Es passierte dreimal im Auto, gesprochen haben wir wenig. Er sagte immer nur, wie kaputt er sei, und ich blieb ziemlich stumm, weil ich nie begreifen konnte, daß ich mit einem leibhaftigen Ministerpräsidenten bumste.«

»Hat es wenigstens Spaß gemacht?« Ich bereute die Frage sofort und fügte hastig hinzu: »Entschuldige, das klingt blöd.«

»Nein, nein«, sagte sie heiter. »Als Vorgang ist es mir nicht in Erinnerung, als Mann war er kein Erlebnis. Ein Spießer auf der Suche nach Ablenkung …«

»Verdammt noch mal«, ich schloß das Auto auf, »du kannst doch nicht behaupten, daß du nicht von ihm fasziniert warst.«

»Das war ich. Aber es war die Macht, die mich reizte. Er strotzte vor Macht. Und manchmal machte ihn das ungeheuer dumm. Ich wollte dir schon lange sagen, daß er die einzige Abwechslung dieser Art war. Ich bin eher schüchtern …«

»Du mußt dich nicht entschuldigen.« Ich nahm die Schnellstraße, die steil von Norden hinunter zur Rhone führt. »So etwas passiert, und so etwas ist auch mir schon passiert.«

»Die Frau, die du gerade … hinter dir hast. War das auch so ein Fall?«

»O nein, das war nicht so ein Fall. Sie war eine Kollegin, ein verdammt guter Typ. Niemand war schuld, ich vielleicht. Nein, es hat ziemlich weh getan.«

»Puh.« Sie zündete sich eine Zigarette an. »Wie lange hat es gedauert?«

»Sechs Wochen. Hat Watermann jemals über seine Frau und seine Kinder gesprochen?«

»Hat er. Jedesmal. Er betonte immer, er sei eigentlich ein Familienmensch. Wahrscheinlich war er das ja auch. Aber Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut. Dieser Mensch, der ihn ans Messer geliefert hat, dieser Medienberater, kennst du den?«

»Nein. Ich denke, der weiß auch nur sehr begrenzt Bescheid. Außerdem hatte der keine Macht. Der hockt jetzt auf einem nicht sonderlich gut bezahlten Job und wird davon träumen, daß er der Mann war, der Watermann stürzte.«

»Das war er wohl nicht«, sagte sie. »Ich denke, er hat es nur beschleunigt. Irgendwann, das ist sicher, wäre Watermann ohnehin ins Trudeln geraten.«

»Das mag sein«, sagte ich. »Nimm den Stadtplan und sag mir den Weg. Ich möchte in die Tiefgarage vom ›Beau Rivage‹.«

Das »Beau Rivage«, von dem berichtet worden ist, es sei eine Luxusherberge, war eher ein sehr zurückhaltendes, etwas hochnäsiges, schweizerisches Haus. Die Halle, an der nichts überraschte, machte einen absolut diskreten und soliden Eindruck. Es war so, als hingen überall Schilder »bar bezahlt«. Die zwei Frauen und zwei Männer hinter der Empfangstheke hatten ihr berufsmäßiges Lächeln wie eine zweite Haut im Gesicht kleben. Von irgendwoher kam sehr gedämpft irgendeine untermalende Musik mit viel Geigen, niemand sprach laut, der Page neben dem Haupteingang machte den Eindruck eines tödlich gelangweilten Kindes. »Die Ledersessel rechts«, sagte ich durch die Zähne.

Wir setzten uns, ich reichte ihr Feuer für eine Zigarette und stopfte mir dann die Vario von Danish Club.

Zuerst näherte sich uns ein sehr steif wirkender junger Mann in einem dunkelblauen Tuchanzug mit einer etwas helleren Krawatte und fragte dezent: »Sind die Herrschaften Hausgäste?«

»Nein«, sagte Minna. »Haben Sie eine halbe Flasche Champagner für mich?«

»Ich schicke die Bedienung«, teilte er mit. Dann drehte er sich ruckweise herum wie ein Tangotänzer und enteilte.

»Champagner, bist du verrückt? Das kostet hier soviel wie in der Eifel eine ganze Kuh.«

»Ich zahle für mich«, sagte sie kühl, konnte aber ihre Begeisterung nicht unterdrücken. »Zeigen wir denn, daß wir Journalisten sind?«

»O ja«, sagte ich. »Sie sollen es alle wissen. Wir sind nicht scharf auf Interviews mit den Großen der Welt, sondern auf Verbrüderungen mit den Kleinen. Das sind die, die uns hier bedienen.«

Aber zunächst kam nur ein etwa sechzehn Jahre alter Auszubildender in einer dürftigen weißen Leinenjacke, der kurioserweise weiße Handschuhe trug.

»Er kommt vom Silberputzen«, erklärte Minna. »Junger Mann, eine halbe Flasche kalten Champagner.«

»Eine bestimmte Marke, Madame?«

»Hm, Pommery?«

»Sehr wohl, Pommery. Der Herr, bitte?«

»Eine Kanne Kaffee.«

Auch der Junge drehte und bewegte sich wie ein Tangotänzer.

»Der Hotelchef muß Choreograph sein«, murmelte Minna.

Dann kam Walter Gremm. Er sah nicht aus wie ein Journalist, eher wie jemand, der es bei einer Bank versucht, aber nicht ganz geschafft hat. Er sah sich um und steuerte schließlich auf uns zu.

»Hallo«, sagte er.

Er war ein schmaler, kleiner Mann, um die dreißig Jahre alt. Er trug eine dunkelblaue Lederkrawatte auf einem Jeanshemd, dazu einen hellen leichten Sommeranzug. Er hatte ein sehr schmales Gesicht mit einer schmalen Nase zwischen dunklen, sehr lebhaften Augen. Er sagte: »Haben Sie Beweise?«

»Ja«, sagte Minna einfach und lächelte voll Unschuld.

»Und die behalten Sie für sich?« fragte er lächelnd weiter.

»Sagen wir so«, ich machte ein möglichst nachdenkliches Gesicht. »Das hängt davon ab, ob Sie uns ein wenig unter die Arme greifen.«

»Ich bin ein Lokalredakteur«, sagte er vorsichtig. »Es ist nicht mein Fall, es ist nicht mein Ressort. Mich interessiert Watermann nur am Rande, sozusagen persönlich.«

»Meine Kollegin war etwas voreilig, wissen Sie. Ich denke …«

»O nein«, er breitete die Arme mit einer segnenden Geste aus.

»Sie brauchen keine Furcht zu haben.« Er grinste diabolisch.

»Ich schweige wie ein Grab, ich verrate nichts. Wenn Ihre Kollegin so freundlich ist, mir zu bestätigen, daß Sie einen Beweis – oder mehrere? – haben, müssen Sie mir keine Auskunft geben. Wird es Verhaftungen geben?«

Ich versuchte einen mörderischen Blick zu Minna, aber die achtete gar nicht auf mich. »Herr Gremm, eine Frage vorab. Am Tatort, also im Apartment des Herrn Watermann selig, wurde angeblich eine Rotweinflasche mit zwei Gläsern entdeckt, dann eine kleine leere Whiskyflasche. Es wurde behauptet, man habe keine Fingerabdrücke genommen, weil die Polizei Ihrer wundervollen Stadt bei einem so klarliegenden Selbstmord gar nicht auf die Idee kam, welche zu suchen …«

Er nickte. »Ich verstehe. Sie meinen das totale Durcheinander und der offen ausgesprochene Verdacht, die Genfer Behörden würden schlampig oder gar nicht arbeiten. Sehen Sie, ich weiß, daß unsere Mordspezialisten, wie bei jedem Selbstmord oder bei jedem unnatürlichen Todesfall, sehr genau waren. Es gab keine Fingerabdrücke an und um die Wanne. Aber nicht, weil die Genfer Kripoleute sie nicht suchten, sondern weil sie suchten und keine fanden. Ich gebe zu: Das ist sehr seltsam. Tatsächlich waren auch an dem zerbrochenen Weinglas keine, und keine an dem kleinen Whiskyfläschchen. Nun kommt etwas hinzu, was wir vornehm zurückhaltend die Bühne hinter der Bühne nennen. Ein gewisser Deutscher namens Manfred Gerber ist sehr häufig zu Gast in dieser Stadt. Dieser Gerber ist eindeutig eine dubiose Existenz, hat aber mächtige Freunde. Hier hat er zum Beispiel im Chef der Bundespolizei, Peter Huber, einen mächtigen Helfer. Nun fragt man sich als aufrechter Bürger: Wenn Gerber den Huber gebeten hat, den Tod des Watermann nicht sonderlich schnell und genau zu untersuchen, dann entsteht eine Zeitnische. In dieser Zeitnische, so denken einige Kollegen und ich, hätte man hervorragend Personen sowie Versatzstücke des Dramas entweder verschwinden lassen können, oder aber man hätte falsche Fährten legen können. Ich finde meine Kollegen von Stern und Spiegel und anderen international beachteten Blättern sehr intelligent und findig.« Er machte eine Pause und grinste. »Aber, gnädige Frau, lieber Herr Baumeister, ich finde sie auch geschwätzig. Mit dem Geschwätz schreiben sie darüber hinweg, daß wir es mit einem Tatort zu tun haben, den wir nicht mehr rekonstruieren können, weil wir keine Kenntnisse von den Personen haben, die mitspielten. Mit anderen Worten: Es ist so, wie der oberste Ankläger dieses Landes sagte: Wir in Genf haben dringend auf deutsche Hilfe gewartet. Um es einfach auszudrücken, verehrte Kollegin, verehrter Kollege: Wir sind sicher, daß Herr Watermann sich nicht selbst tötete, aber wir sind nicht dazu da, Ihre politischen … nun, sagen wir, Ihre politischen Schweinereien zu erledigen, nicht wahr?« Sein Lächeln war jetzt eindeutig bösartig.

Dann kamen unsere Getränke, und Gremm erbat sich einen Kaffee. Er schwieg, bis der kam. »Können Sie nicht andeuten, auf welchem Gebiet Ihr Beweis liegt?« Er strahlte Minna an. »Wenn Ihr Begleiter schon so schweigsam ist, gnädige Frau, sind Sie vielleicht offener?«

»Warum geben Sie eigentlich nicht zu, daß Sie erstaunlich viel wissen für jemanden, der nicht mit dem Fall beschäftigt war?« fragte ich schnell.

»Wir haben uns alle dafür interessiert«, antwortete er entwaffnend. »Sehen Sie, da kommt ein leibhaftiger Ministerpräsident aus Deutschland, um hier zu sterben. Welchen Journalisten interessiert das nicht?«

»Sie wittern eine Geschichte, Kamerad«, sagte ich leise.

»Na sicher«, sagte er. »Kriege ich sie?«

»Das könnte sein. Wann schließen Sie heute den Lokalteil?«

»Gegen sieben, also in einer halben Stunde.«

»Bis wann können Sie Text nachschieben?«

»Bis neun Uhr.«

»Wieviel kostet uns das?«

Er schüttelte den Kopf und preßte die Lippen aufeinander.

»Kein Geld«, sagte er beinahe lautlos. »Ich will Ihre Geschichte.«

»Gut«, sagte ich.

»Das geht«, sagte Minna nachdrücklich.

»Du hältst jetzt den Mund«, sagte ich. »Passen Sie auf, Gremm, wir wissen beide ziemlich gut, daß eine Reihe von Menschen heiß daran interessiert war, daß Watermann die Wupper überschritt. Wir können nur in Genf herausfinden, wer es war. Die Lösung liegt in diesem teuren, gutbürgerlichen Hotel. Sie kriegen die schweizerischen Rechte der Geschichte, wenn Sie mir ein paar Fragen beantworten und wenn Sie morgen früh in der Lokalausgabe ein Bild von uns bringen mit einem erläuternden Text. Geht das in Ordnung?«

Er nickte. »Das könnte gehen. Ihre Frage also.«

»Zuvor möchte ich wissen, ob Sie etwas ahnen. Und falls wir beide dasselbe ahnen, denke ich, daß der Handel okay geht. Wenn ich Sie also frage, wie gut in diesem Hotel der Zimmerservice funktioniert, möchte ich als Antwort ein sanftes Grinsen.«

Er grinste sanft.

Ich fragte weiter: »Hat denn niemand der vielen Zeitungsleute in diesem Punkt nachgehakt?«

»Doch, doch«, sagte er, »aber zu spät und nicht hartnäckig genug.«

»Und wo liegt der Schwachpunkt?«

»In einer Dame namens Lilo.«

»Hatte die Dame was mit Watermann?«

Er lachte meckernd. »O nein. Ich denke, die war eine Nummer zu groß für Ihren kleinen Ministerpräsidenten. Und es war auch nicht Lilo, die ihm beim Sterben half. Aber manchmal, wenn sie richtig besoffen ist, erzählt sie eine komische Geschichte.«

»Wer ist Lilo?« fragte Minna schnell.

»Eine Nutte, eine Hure, eine Prostituierte«, sagte Gremm ganz brav.

»Sie war also nicht angestellt beim Zimmerservice?« fragte ich.

»Nein. Sie arbeitet in der Bar vom ›Le Richemond‹ nebenan«, sagte Gremm. »Bemühen Sie sich nicht. Sie kommen ohnehin nicht darauf.«

»Was erzählt denn Lilo für eine Geschichte?« fragte ich.

Gremm blickte zu Boden. »Sie müssen wissen, daß Lilo gut ist. Ich meine, in ihrem Beruf. Aber sie ist schon vierzig, wenngleich kein Mensch ihr das ansieht. Sie sehnt sich wie alle Huren nach einem Häuschen mit Garten, nach Kindern, nach dem Rosenzüchten. Sie hat in den letzten Jahren häufig auf das falsche Pferd gesetzt.«

»Und das letzte Pferd war oberfaul«, sagte ich.

»Richtig«, nickte Gremm. »Das letzte Pferd war ein Italiener namens Paolo, genauer Paolo Maggia. Dieser Paolo war Lilos große Liebe. Als Watermann tot war, oder besser gesagt, als er vermutlich tot war, machte Lilo gerade die Pläne für eine richtige Verlobungsfeier. Sie ist hoffnungslos romantisch, verstehen Sie. Dann aber war ihr Paolo spurlos verschwunden.« Er strich irgendein Staubkorn von seiner Hose. »Wie alle Huren ist Lilo stinksauer, wenn sie der Meinung ist, beschissen worden zu sein. Paolo war ein liebenswerter Schweinehund-Typ, wenn Sie wissen, was ich meine. Er gab Lilo gegenüber zu, daß er einen falschen Namen benutzte, sagte ihr aber niemals, weshalb. Sie nahm es hin, na ja, sie war eben verknallt. Jetzt verschwand er plötzlich, und sie war wütend. Er hatte behauptet, Paolo Maggia zu heißen und aus Palermo zu sein. Lilo stellte fest: Er war unter dem Namen nicht in Genf gemeldet und konnte auch nicht aus Palermo stammen.«

»Minna«, sagte ich, »tu mir einen Gefallen und stell jetzt die richtige Frage. Es gibt nur eine.«

Sie warf den Kopf in den Nacken und wollte erbost kontern, aber Gremm kam ihr zuvor und gluckste erheitert: »Aha, Sie sind noch in der Ausbildung? Na gut, ich höre die Frage der Volontärin.«

Sie biß sich auf die Unterlippe, sie verschränkte die Hände, sie wurde etwas blaß um die Nase. »Hat Lilo jemanden beobachtet, der zu einem für Watermann kritischen Zeitpunkt ihre Bar oder ihr Hotel verließ und nach Watermanns Tod fröhlich zurückkehrte?«

»Falsch«, sagte ich.

»Falsch«, sagte Gremm. »Die richtige Frage?«

»War Paolo Maggia ein Angestellter dieses Hotels? Speziell im Roomservice?« fragte ich.

»Bingo! Der Kandidat hat soeben Schloß Linderhof und einen Ausritt mit König Ludwig gewonnen.«

»Der konnte nicht gut reiten, glaube ich.«

»Ihr Beweis?« Er war wirklich hartnäckig.

»Watermann kann nur hierhergekommen sein, weil jemand ihm versprach, ihn aus der Scheiße zu holen. Richtig?«

»Richtig«, nickte Gremm. »Mit anderen Worten: Sie haben keine Spur von Beweis, aber Sie wollen die Ratten aus den Löchern holen?«

»Sehr bildhaft gesprochen«, lobte ich. »Machen Sie mit?«

»Kriege ich das Ergebnis?«

»Sie kriegen es.«

»Gut«, sagte er. »Das lohnt die Arbeit.«

Er nahm pingelig genau unsere Personalien auf, fragte nach meinen bisherigen Arbeiten, unserer Absicht. Er formulierte:

»Die beiden Deutschen machen den Eindruck, als verfügten sie über mächtige Hilfe im Hintergrund. Aber sie schweigen, sie nennen keine Namen. Nur eines ist sicher: Sie haben Unterstützung von deutschen Behörden, die es offensichtlich satt haben, zu dem merkwürdigen Ende des deutschen Ministerpräsidenten schweigen zu müssen.«

Gremm grinste: »Ist das gut so, ist das in Ihrem Sinne?«

»Sehr gut«, sagte ich. »Darf ich die Frage stellen, wie lange denn dieser Paolo Maggia in Diensten dieses Hotels stand?«

»Zwei Jahre«, sagte Gremm.

»Also kein lancierter Job eigens für Watermanns Tod.«

»Nein, das kann nicht sein.«

»Gibt es eine Vermutung, weshalb Paolo so plötzlich verschwunden ist?«

»Ja, natürlich. Ich denke, er lebt nicht mehr. Ich denke, er ist die stille Leiche bei der Affäre.«

»Denkt das die Genfer Polizei auch?«

»Zumindest einige der Beamten. Sie denken, daß Maggia irgend etwas mitkriegte, was er nicht mitkriegen sollte. Deshalb mußte er verschwinden.«

»Was hält Lilo von der Idee des toten Paolo?«

Gremm lachte. »Wenn sie betrunken ist, sagt sie, er sei viel zu clever, um sich ermorden zu lassen.«

»Wir sollten also die Leiche suchen?«

Er schüttelte den Kopf. Dann fragte er Minna: »Soll ich als Beruf Journalistin schreiben, oder was?«

»Schreiben Sie Lehrling«, sagte Minna fröhlich. »Ich wollte immer schon ein Lehrling sein.«

»Und was haben Sie mit Watermann zu tun?«

»Eigentlich nichts«, sagte sie keck. »Ich habe eher etwas mit Siggi Baumeister zu tun.«

»Eine weitere Frage«, sagte ich. »Watermann ist am Samstag mit einem Iberia-Flug um etwa fünfzehn Uhr zehn in Cointrin hier in Genf eingetroffen. Der Etagenkellner Vergori hat gesagt, er habe Watermann abends gegen halb sieben die Flasche Rotwein gebracht. Nehmen wir an, Watermann ist zwischen ein Uhr und vier Uhr Sonntagmorgen gestorben, dann erhebt sich die Frage, ob die Flasche Wein das einzige ist, was er bestellte. Was hat er gegessen?«

»Dieser Punkt ist wirklich merkwürdig«, sagte Gremm.

»Tatsächlich muß er ja irgend etwas gegessen haben. Aber laut Vergori hat er nichts bestellt. Er hatte aber bei der Obduktion etwas im Magen, außer den vielen Medikamenten. Wir kommen zu einem wichtigen Punkt: Selbstverständlich hat das Hotel der Kriminalpolizei alle verfügbaren Unterlagen übergeben. Außer der Flasche Wein war nichts im Computer für Zimmer dreihundertsiebzehn gespeichert. Und hier wird der Todesfall Watermann für mich ein sehr denkwürdiges Ereignis …«

»Aber was beweist das?« sagte Minna schnell.

»Nun«, sagte Gremm. »Ich weiß durch einen Zufall, daß ein Gast dieses Hauses am Montag nach den Ereignissen seine Rechnung bezahlen wollte. Dabei fiel ihm auf, daß der Rechnungsbetrag etwa dreihundert bis vierhundert Franken zu seinen Gunsten betrug. Das heißt, der Mann hat am Samstag und Sonntag bestellte Speisen gar nicht bezahlen brauchen. Zufällig war das nämlich ein Gast meiner Redaktion. An diesem Wochenende war im Etagenservice aller Hotels mehr los als in allen Restaurants. Das hat etwas damit zu tun, daß sehr viele internationale Geschäftsleute zu internen Tagungen hier waren, und …«

»Dann kann doch Vergori nicht allein im Etagenservice gewesen sein.«

»Das war er auch nicht«, sagte Gremm. »Da war noch der Paolo Maggia und die Xenia Barducci. Sie waren zuständig für drei Etagen. Die Barducci hat übrigens vor drei Jahren gekündigt und ging nach Ascona. Die Barducci ist niemals verhört worden, das wissen wir sicher.«

»Nun gut, es war also viel los. Die Computerliste weist keine Bestellung aus Zimmer dreihundertsiebzehn auf, außer der Flasche Rotwein … Moment mal, und Ihr Redaktionsbesuch hat also zwei Tage lang gegessen und es nicht bezahlen brauchen. Er hat aber bestellt, das heißt, seine Bestellung wurde automatisch in den Computer gegeben, das heißt wiederum …«

Ich muß ein sehr dümmliches Gesicht gemacht haben, denn Minna wie Gremm grinsten ganz unverhohlen.

»Was lacht ihr denn so? Wißt ihr, was ich denke?«

»Da bin ich aber gespannt«, murmelte Gremm immer noch grinsend.

»Wenn Zimmer dreihundertsiebzehn nichts bestellte und ein anderer Gast etwas bestellte, aber nicht bezahlen mußte, dann … verdammt noch mal, ja was bedeutet das?«

»Sie sind etwas verwirrt«, murmelte Gremm. »Es ist einfach. Ich und meine Kollegen sind der Auffassung, daß der gesamte Computer des Hotels nicht richtig arbeitete, daß Eintragungen entweder verändert oder aber gar nicht getätigt worden sind …«

»Es gehörte zum Plan«, hauchte ich. »Verdammt noch mal, ja, das ist es!«

Gremm nickte gelassen.

»Ich verstehe das nicht ganz«, mahnte Minna an.

Gremm wandte sich ihr zu. »Wenn jemand bucht, landet er im Computer, kommt er an, werden Personalien und Anschrift in den Computer eingespeist, bestellt er etwas zu trinken oder zu essen, wandert das über den Computer, will er seine Rechnung, drückt jemand einen Knopf im Computer, und die Rechnung wird ausgedruckt. Wenn ich diese Eintragungen nun manipuliere, ist hinterher nicht einmal mehr feststellbar, ob und wann bestimmte Personen jemals dieses Hotel betreten haben. Verstehen Sie jetzt?«

»Ach, du lieber Gott«, flüsterte sie.

Gremm fügte hinzu: »Es ist nur eine Theorie, aber es ist eine verdammt gute Theorie.«

Er machte ein Foto von uns und verschwand.

»Du hast mich blamiert«, sagte Minna vorwurfsvoll.

»Es ist mein Job, und du bist ein elender Amateur. Wie kannst du so dumm sein und behaupten, wir hätten Beweise?«

»Ich wollte bluffen«, sagte sie trotzig.

»Wie ein Anfänger«, sagte ich böse. »Anfänger sollten den Mund halten. Du bist sehr hübsch. Niemand behauptet, daß das Gehirn ersetzt.«

»Du bist ekelhaft!«

»Damit kann ich leben. Am Abend kommen wir wieder und besuchen Lilo.«

»Und bis dahin?«

»Bis dahin mache ich einen Spaziergang. Ich spanne aus.«

 

Wir fuhren zurück in das Hotel, und ich ging spazieren. Ich war mißmutig und ohne Hoffnung. Wer immer dieser Paolo Maggia war, er würde nur eine Randfigur sein. Er war schon im Hotel »Beau Rivage« Kellner, als niemand ahnte, welch ein dicker Fisch Watermann sein würde. Ich konnte mit Lilo sprechen, wahrscheinlich würde sie nichts wissen, aber ich durfte keine Spur aus den Augen lassen. Du lieber Himmel, was sollte ich mit einer Hure, die trank?

Dieses Ferney-Voltaire war ein nettes, kleines Städtchen, arbeitsam, bunt, mit dem Flair des französischen Südens und dem Geist seiner Sprache. Keine Wolke stand am Himmel, die jungen Frauen gingen leicht, beschwingt, farbenfroh und zeigten viel Haut. Es war kein Tag, um sich mit einem Mann wie Watermann zu beschäftigen, es war ein Tag zum Lachen. Jetzt ging er langsam unter einem roten Himmel zur Neige.

Ich hockte mich vor ein Café auf den Bürgersteig, ließ mir ein großes Fruchteis servieren und träumte von einem Informanten, wie man ihn sich für diese Gelegenheiten wünscht – einer, der lapidar erklärt: Es drängt mich danach, Ihnen zu berichten, wie das Drama um Herrn Watermann tatsächlich verlief …

Das Eis war von einem Riesenhaufen Schlagsahne gekrönt, der mir die Luft raubte. Ich gab nach der Hälfte auf, bezahlte und ging weiter.

Plötzlich war sie neben mir und sagte: »Ich hätte noch diese oder jene Frage.«

»Bist du hinter mir hergegangen?«

»Nein. Ich ging spazieren, da sah ich dich. Mir ist ziemlich elend. Da gibt es eine Geschichte mit Watermann, die mir eklig ist, da …«

»Die Rostockgeschichte, nicht wahr?«

»Ja, die.«

»Nun, das zielt direkt auf die Frage, ob Watermann möglicherweise im Zimmer dreihundertsiebzehn vom Staatssicherheitsdienst der DDR getötet worden ist. Das ist verdammt gut möglich. Für die meisten Kriminalisten steht außer Zweifel, daß Watermann erpreßbar geworden war. Es geht vordergründig um eine Nuttengeschichte. Das ist es, was dich so deprimiert, nicht wahr?«

»Na ja, klar. Man glaubt, es war zumindest irgend etwas Ehrliches. Dann sollst du kapieren, daß er nichts als ein Arsch mit Schwanz war.«

»Frau Doktor, nicht so heftig. Komm, wir hocken uns da auf die Mauer. Also Rostock: Es gab da einen Ex-Stasimann namens Oberst Eberhard Lehmann. Der war von 1982 bis 1986 Vizechef der Hauptabteilung II im Ministerium für Staatssicherheit, Spionageabwehr. Von 1986 bis über die Wiedervereinigung hinaus war er Resident des sowjetischen Geheimdienstes KGB in Berlin. Er war auch Informant des Verfassungsschutzes. Er berichtete seinen westlichen Arbeitgebern, daß Watermann zusammen mit dem berüchtigten Schalck-Golodkowski, dem Devisenbeschaffer der DDR, in Waffengeschäfte verwickelt war. Da führte ein eindeutiger Strang zu dem berühmten U-Boot-Geschäft mit Südafrika. In seiner Amtszeit zwischen 82 und 87 war Watermann nur zweimal offiziell Gast in der DDR. Jetzt sagt plötzlich sein Fahrer aus: Ich bin mit Watermann mindestens sieben- bis neunmal in der DDR gewesen! Und zwar je viermal in den Rostocker Interhotels Neptun und Warnow …«

»Um diesen Schalck-Golodkowski zu treffen?«

»Nein, das ist nicht ausdrücklich gesagt worden, das war auch gar nicht nötig, denn Schalck hatte genug Verbindungsleute, er konnte im Hintergrund bleiben. Über sämtliche Besuche Watermanns in Rostock gibt es Ordner voller Dossiers. Der Mann wurde Tag und Nacht beschattet, abgehört und sogar gefilmt. Der größte Teil dieser Unterlagen ist spurlos verschwunden, keiner der Filme existiert offiziell mehr. Aber Insider sind sehr sicher, daß sie nicht vernichtet wurden, sondern nur nach Schleswig-Holstein in Sicherheit gebracht wurden. Da tickt eine Zeitbombe …«

»Und die Filme zeigen, wie Watermann …«

»Richtig. Die Filme zeigen, wie Watermann mit vom Staat angestellten Nutten bumst …«

»Er war machtgeil, sicher, aber so dumm wird er …«

»Moment, Moment, reg dich nicht auf. Kein Mensch behauptet, daß er dumm war. Der Fahrer sagt: Mein Chef, der ja selbst mal Innenminister in Schleswig-Holstein war, wußte natürlich von dieser Beschattung! Der Grund, weshalb sich Watermann trotzdem darauf einließ, kann nur sein, daß er glaubte, so mächtig zu sein, daß niemand es riskieren könnte, ihn zu erpressen. Trotzdem riskierte die DDR, ihn zu erpressen. Nach Lage der Akten sollte Watermann sich mit Vertretern des Ostens in Schweden treffen. Er lehnte ab, er muß sich ungeheuer sicher gefühlt haben. Nach Ansicht von Leuten, die es wirklich wissen müssen, hatten die häufigen Besuche Watermanns in der DDR nur einen Grund: einen der raffiniertesten Deals, die man sich vorstellen kann. Dabei spielten Regierungen, Geheimdienste und Rüstungsunternehmen mit.

Watermanns Wirtschaftsminister brachte von einer Südafrika-Reise einen Riesenauftrag für die Kieler Werft HDW mit: den Bau eines neuen Kreuzfahrtschiffes namens Astor II. Die Südafrikaner finanzierten diesen Auftrag mit dem Verkauf der alten Astor I an die DDR. Der Trick war dabei, die Astor I zunächst in Kiel generalüberholen zu lassen, sie dann vorübergehend an eine westdeutsche Werft zu verkaufen und anschließend der DDR anzubieten. Diese Astor I war übrigens das ZDF-Traumschiff. Damit hatte die Kieler Werft endlich einen Auftrag, und die DDR konnte die Astor I mit Ostmark bezahlen, wie das zwischen der BRD und der DDR vereinbart war. Da die Südafrikaner aber gerne westdeutsche U-Boote kaufen wollten, kam jetzt der Devisenschieber Schalck-Golodkowski in den Deal. Die U-Boot-Pläne wurden durch Kuriere der südafrikanischen Botschaft außer Landes geschmuggelt. Die Südafrikaner wollten aber auch U-Boot-Teile und Elektronik. Der Schalck hatte eine Rüstungsfirma namens IMES. Er hatte auch Speditionen, die dauernd in der Bundesrepublik unterwegs waren. Mit anderen Worten: Schalcks Lastwagen wurden mit allem beladen, was Südafrika gekauft hatte, und fuhren einfach nach Rostock. Dort wurde das teure Gut auf Schiffe verladen. Über alles hielt Watermann seine schützende Hand, und das mindeste war, dafür mit den hübschesten Frauen der DDR die Nächte zu teilen.«

»Wieso könnte dann die Ex-DDR ihn umgebracht haben?«

»Ganz einfach: Für die DDR war es schändlich, mit dem Rassistenstaat Südafrika Geschäfte zu machen. Außerdem konnte Watermann diesen ganzen Deal beweisen …«

»Ja, aber dann hätten ja auch die Manager der Kieler Werft Grund gehabt, ihn zu töten.«

»Hatten sie auch. Wie du siehst, befinden wir uns im Auge des Taifuns.«

»Das hat doch alles keinen Zweck«, sagte sie in komischer Verzweiflung. »Was ist denn zum Beispiel, wenn der Verfassungsschutz in das ganze Geschäft eingeweiht war und es absegnete?«

»Dann hatten auch Leute des Verfassungsschutzes Grund, Watermann in der Badewanne zu ersäufen«, sagte ich hart.

»Das macht die Geschichte so pikant.«

»Ich bin so mutlos«, murmelte sie.

»Nicht verzagen. Als der Mord passierte, war Manfred Gerber im Nachbarhotel, im ›Beau Rivage‹ verschwand der Kellner namens Paolo Maggia. Watermanns Fahrer hat gesagt: Er war sieben- bis neunmal in der DDR! Es sind immer die kleinen Leute, die von den großen übersehen werden. Halten wir uns an die kleinen, an Paolo!«

 

Wunderbar weich und sanft kam die Nacht. Wir gingen zu unserem Hotel zurück, aßen etwas und machten uns auf den Weg in die Genfer Innenstadt.

»Wir parken unter dem ›Beau Rivage‹, wir gehen durch die Halle, wir lassen uns sehen. Es ist wichtig, daß die Leute uns dauernd sehen. Ich gebe dir hier die NIKON AF. Das ist eine kleine Kamera mit einem Schwarzweißfilm. Du richtest das Objektiv auf irgendeine Person, also zum Beispiel auf Lilo an ihrer Bar, und drückst einfach ab. Das Blitzlicht ist nicht eingeschaltet, das ist auch nicht notwendig, der Film ist empfindlich genug. Das Klicken ist kaum zu hören, und du brauchst das kleine Ding auch nicht krampfhaft verstecken, schließlich bist du mein Lehrling.«

»Gut«, sagte sie einfach. »Wie wechselt man den Film?«

Ich erklärte es ihr und gab ihr drei Ersatzfilme. Dann parkten wir und fuhren mit dem Lift in die Halle. Wir lächelten und grüßten leicht nach allen Seiten, als seien wir alte Bekannte. Dann ließen wir uns nieder und bestellten ein Sodawasser und plauderten über Belangloses, zum Beispiel darüber, daß Minna in einem Schaufenster eine Jeans gesehen hatte, die absolute Spitze war, aber unverantwortlich teuer.

Wir schlenderten hinaus auf die Straße und hinüber ins Nachbarhotel, das genauso solide und gedämpft wirkte wie das »Beau Rivage«. Einer der Portiers sah uns leicht fragend an, und ich ging darauf ein: »Wir möchten etwas in Ihrer Bar trinken.«

»Certainement, Monsieur. Sie werden zufrieden sein. Gleich die erste Treppe nach unten, rechter Hand.«

Es war kühl in der Halle. Die Treppe war mit einem roten Teppich belegt, Musik kam uns entgegen, irgendeine scheußliche Schmalzmischung aus tausend Geigen und einem einsam klagenden Saxophon.

Die Bar war ein langgezogener Raum mit dem Charme eines D-Zug-Waggons und einer Batterie lederbezogener Hocker. Links standen drei Tische mit Ledersesseln.

An der Bar hockten zwei Männer, die trübsinnig vor sich hin starrten, als seien ihnen sämtliche Geschäfte in die Hose gegangen. Hinter der Bar hantierte Lilo, umrahmt von zwei bildhübschen jungen rabenschwarzen Männern, die ständig lächelten, als könnten sie nicht anders. Lilo sagte irgend etwas auf italienisch zu dem Mann, der vor ihr hockte. Der lächelte nur müde, wollte offensichtlich in seinem Weltschmerz nicht gestört werden.

»Ab in die Mitte«, flüsterte ich. Ich half Minna ritterlich auf einen der Hocker, und sie sagte laut und fröhlich: »Na, denn mal Schampus, gnädige Frau.«

Lilo, wenn es denn Lilo war, lächelte zurückhaltend und nicht sehr freundlich. »Und der Herr?«

»Kaffee«, sagte ich. »Ich muß noch fahren.«

»Aha«, sagte Lilo und drehte ab, um die Sachen zu holen. Sie war eine knabenhaft schlanke, schwarzhaarige Frau mit einem Hauch von Bluse, die sie vor dem Bauch zusammengeknotet hatte. Darunter waren Jeans zu sehen, darunter hochhackige, feuerwehrrote Pumps. Sie hatte ein schmales, energisches Gesicht mit sehr vollen Lippen und großen dunklen Augen wie eine Katze.

Möglicherweise war Paolo Maggia gar nicht weggelaufen, weil er irgend etwas mit Watermann zu tun hatte, sondern weil er Angst vor dieser Frau hatte.

»Was für ein Weib«, flüsterte Minna. Sie legte ihr kleines Handtäschchen vor sich auf die Bar und stellte die Nikon daneben.

»Einfach ausrichten und drücken!« flüsterte ich.

»Schon passiert.«

»Du bist richtig gut.«

»Das weiß ich.«

Lilo kam zurück, stellte Gläser auf, sagte nach rechts zu einem der bildhübschen Männer etwas von Kaffee und öffnete eine kleine Flasche Sekt.

»Danke«, sagte Minna.

»Sind Sie Lilo?« fragte ich.

»Das bin ich«, gab sie zurück. »Wer hat Ihnen von mir und meiner phantastischen Bar erzählt?«

»Kollegen«, sagte ich. »Ich soll von Paolo grüßen.«

»Aha«, sagte sie kühl mit einem schrägen Blick. »Und wo ist er?«

»Er arbeitet in Deutschland«, sagte ich, nur um etwas zu sagen.

»Was sollen Sie mir ausrichten?« Ihr Deutsch war absolut perfekt.

»Nur schöne Grüße. Daß er demnächst mal auftauchen wird.«

»Hier? In Genf?« Sie hatte sehr runde Augen, und sie glaubte mir nicht.

»Sagte er jedenfalls!«

»Sind Sie Kollegen? Sind wir Kollegen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, sind wir nicht. Ich bin Redakteur. Ich habe ihn zufällig kennengelernt.«

»Ja«, sagte sie abwesend. Sie überlegte kurz und sah dann Minna an.

»Meine Kollegin hier kennt ihn nicht«, sagte ich hastig.

»Er interessiert mich nicht mehr«, sagte Lilo mit einem sehr harten Gesicht.

»Na ja, ich gehe mal für kleine Mädchen«, sagte Minna dumpf und verschwand.

»Ich möchte mit Ihnen reden«, bat ich.

»Es geht um Watermann, nicht wahr?«

»Auch.«

»Hier geht das nicht, hier ist gleich der Teufel los. Da kommt irgendeine Theatergruppe. Haben Sie später Zeit?«

»Sicherlich. Wo?«

»Bei mir zu Hause? Bettlergasse. Das ist in der Nähe. Um drei Uhr. Ein ganz schmales Haus, neunundvierzig a.«

Ich schlenderte hinaus und wartete auf Minna. Als sie kam, wollte sie sich beschweren, aber ich schnitt ihr das Wort ab. »Lilo ist eine Frau, die lieber mit Männern verhandelt.«

»Sie ist knallhart, sie wird Geld verlangen. Sie wird für jeden Atemzug, den sie für dich tut, kassieren.«