SECHSTES KAPITEL
Ich schrieb dem Arzt einen Zettel, um ihn zu entlasten. Ich schrieb: »Ich betone, daß ich gegen ärztlichen Rat das Krankenhaus verlasse.«
Ich bedankte mich bei ihm und versprach, ihn anzurufen. Dann schlenderten wir auf den Korridor hinaus, und die Krankenschwester, die uns begegnete, strahlte mich an, schüttelte seufzend den Kopf und hauchte: »Mon Dieu!«
»Wo hast du dich einquartiert?«
»In einer Pension in St. Julien. Wie geht es dir? Schmerzen?«
»Nicht sonderlich. Hast du die Zeitungen?«
»Natürlich. Hier.«
Der »Kölner Express« hatte hervorragend formuliert. Da stand gegen Ende des Beitrages über den »hartnäckigen und nie aufgebenden Rechercheur Baumeister« folgende Bemerkung:
»Baumeister mag nicht darüber reden, gibt auch zu, daß fünf Jahre nach dem wahrscheinlich spektakulärsten Todesfall eines politischen Skandalträgers ein Erfolg unwahrscheinlich ist, aber: Baumeister hat Helfer. Helfer in mächtigen Positionen. Da helfen Staatsanwälte und Kriminalpolizei und, wie Baumeister nicht abstreitet, sogar Angehörige von Geheimdiensten. Good luck!«
Der Genfer Kollege Gremm ging die Sache wesentlich gelassener, sozusagen konservativ an, beschrieb aber im Grunde dasselbe: »Hat Baumeister Helfer? Hat er gar Helfer aus deutschen Behördenspitzen? Gar von Geheimdiensten? Baumeister sagt darauf kein Wort, er wäre auch dumm. Aber so gelassen ist nur einer, der sehr genau weiß, wen er nach was zu fragen hat.«
Wir nahmen ein Taxi, wir pirschten uns an mein Auto heran. Es stand ziemlich harmlos im Abendlicht zwischen all den anderen, zu sehen war niemand. Wir zahlten und stiegen aus.
»Geh um den Platz herum«, sagte ich. »Steig ein und komm die schmale Gasse hoch. Dann biegst du rechts ab und nimmst mich auf.« Sie machte es schnell und geschickt.
»Da ist ein Band mit Eric Burdon und der Band von Brian Auger«, sagte ich und fummelte in dem Pappkarton herum. Ich legte es ein, und der scharfe, swingende Beat kam wie eine Siegesfanfare. Ich stopfte mir eine Pfeife, ich machte es sehr genüßlich, es war die Straight Grain von Jeantet.
»Was ist, wenn du Schmerzen bekommst?« fragte sie.
»Ich habe Tabletten mitgenommen. Aber sie haben den Nachteil, mich benommen zu machen, und ich hasse dieses Gefühl. Ich möchte baden. Dann gehen wir auf die Pirsch.«
»Wohin denn?« fragte sie. In ihren Augen stand Angst.
»In die Halle vom ›Beau Rivage‹. Wenn man einen Köder auslegt, muß man erreichbar sein. Sonst ist alles umsonst.«
»Was wird passieren?«
»Ich weiß es nicht, wir werden sehen. Würdest du die Leute, die mich verprügelten, wiedererkennen?«
»Aber ja«, sagte sie fröhlich. »Ich habe sie schließlich sogar fotografiert.«
»Jemand folgt uns.«
»Wer?«
»Der blaue Käfer, dunkelblau, sieht neu aus.«
»Ich fahre eine Schleife«, sagte sie.
Wir kamen an einem Schild vorbei, auf dem Annecy stand. Dann ging es nach links nach Annemasse. Sie bog links ein, sie fragte: »Wie schnell ist er denn?«
»Mehr als hundertsiebzig auf der Geraden. Aber wirklich gut ist er auf schmalen Landstraßen.«
Der Käfer folgte uns nicht mehr, sie wendete. Die Pension, die sie ausgesucht hatte, lag in einer stillen Seitenstraße und hieß Annemarie.
»Ich mußte ein Doppelzimmer nehmen«, sagte sie.
»Macht nichts«, sagte ich.
Ich legte mich auf das Bett, nahm eine der Schmerztabletten und erzählte ihr, was Lilo gesagt hatte, was der Padrone gesagt hatte. Dann duschte ich, wir machten uns stadtfein und fuhren nach Genf zurück. Es war jetzt zweiundzwanzig Uhr. Soweit wir feststellen konnten, folgte uns niemand. Die wortlose Begrüßung der Hotelleute im ›Beau Rivage‹ war diesmal durchaus vertraut. Sie lächelten uns zu, als wollten sie sagen: »Wir kennen euch! Weiter so!« Wir hockten uns wieder auf dieselben Ledersessel, und derselbe Tangotänzer fragte aufgeräumt: »Champagner für Madame, Kaffee für Monsieur?«
»So mag ich es«, sagte ich.
»Wirst du etwa nichts anderes tun, als warten?« fragte sie erstaunt.
»Ja«, sagte ich. Dann winkte ich dem Tangotänzer und bat um ein Telefon. Sie brachten mir ein schnurloses, und ich sagte: »Ich möchte unkontrolliert sprechen.«
»Kein Problem, Monsieur«, sagte er, drehte sich ruckartig auf der Stelle, sauste mit seltsam gestochenen Bewegungen davon und brachte ein anderes, diesmal rotes schnurloses Telefon.
»Merke dir diese kleine Szene«, dozierte ich heiter. »Es ist erheiternd, meine journalistischen Landsleute wichtigtuerisch schreiben zu sehen: Der Computer aber sagte: Watermann hat telefoniert! Ha!«
Ich rief Ascheburg vom »Express« in Köln an und hatte Glück, daß er noch in der Redaktion war. Er sagte gedehnt: »Das ist verdammt gut, daß Sie sich melden. Ich habe Zoff wegen dem Beitrag über Sie.«
»Welcher Art?«
»Ich bekomme merkwürdige Anrufe. Sie beziehen sich alle auf den von uns abgesprochenen Punkt: daß Sie Hilfe von Seiten ungenannter Behörden und möglicherweise sogar von Geheimdienstleuten haben. Ich kassierte inzwischen zwei Vorladungen bei einem Bundesermittlungsrichter. Ich muß morgen früh um acht Uhr antanzen. Er ist ein netter, höflicher Mann, aber er will, aufgescheucht vom Verfassungsschutz und vom BND, wissen, wer die Behörden sind, die Sie unterstützen. Was soll ich machen?«
»Nichts«, sagte ich. »Ich bin verprügelt worden, ich soll mich raushalten. Sie brachen mir einen Finger …«
»Moment mal, wie bitte? Kann ich das noch einschieben in die jetzige Ausgabe?«
»Unzweckmäßig. An uns hängen dauernd irgendwelche Verfolger, wir hocken jetzt im ›Beau Rivage‹ in der Halle. Rufen Sie mich um … nein, halt, stop. Ich rufe Sie an. In der Redaktion. Morgen gegen Mittag.«
»Okay«, er lachte unvermittelt etwas hilflos, und ich drückte die Austaste.
Der Tangotänzer brachte die Getränke und kassierte das Telefon. Wir hockten da in Erwartung großer Dinge und waren überrascht, als es passierte.
Jemand, der sehr groß und schlank, fast dürr war, kam mit einem Aktenköfferchen durch das Hauptportal direkt an die Rezeption, sah mich an, entdeckte uns und wisperte dann vertraulich mit dem Empfangschef. Dem gab er eine kleine weiße Karte. Der Empfangschef legte diese Karte auf ein Silbertablett und machte sich auf den Weg zu uns. Er verbeugte sich artig und sagte: »Wenn Madame und Monsieur gestatten. Der Herr dort«, er warf einen Blick auf die Visitenkarte, »Monsieur Ronald Greggson, möchte Sie sprechen.«
Ich nahm die Karte. »Ronald Greggson«, stand da, »Medienberater«.
»Gut«, nickte ich.
Greggson bekam diskret ein Zeichen und eilte auf uns zu wie ein nervöser Versicherungsvertreter, der unbedingt einen Abschluß braucht.
»Sie gestatten?« fragte er in tadellosem Deutsch.
Minna nickte ihm huldvoll zu, und er nahm den Sessel zwischen uns.
»Ich bin beauftragt, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen«, begann er. Er trug im Gesicht einen dieser Drei-Tage-Bärte, die gewisse Männer angeblich so männlich machen. Bei ihm wirkte es nur ungepflegt.
»Wer will den Kontakt?« fragte ich.
»Meine Firma«, sagte er. »Wir haben Niederlassungen in Zürich und München, wir arbeiten in dieser Sache für den amerikanischen Nachrichtensender CNN.«
»Das wird nicht gehen«, sagte ich ruhig. »Ich habe exklusive Rechte vergeben. Jemand bezahlt die Recherchenarbeit.«
»Da würde man sich sicher einigen können. Wie hoch ist die Vorfinanzierung?«
»Zwanzigtausend«, log ich tapfer.
Er nickte sehr langsam. »Kein Problem. Das würden wir sofort zurückzahlen. Wir bieten hunderttausend Dollar. Selbstverständlich für Film- und Fernsehrechte inklusive. Nach dem Schlüssel sechzig für Sie, vierzig für uns.«
»Hunderttausend insgesamt?« fragte ich. »Wir sind zu zweit.«
»Das sehe ich«, scherzte er. »Wir würden auch für Frau Tenhövel eine angemessene Regelung vorschlagen. Sagen wir vierzigtausend Dollar.«
»Das ist sehr viel«, sagte ich lässig.
»Ein gutes Angebot«, bestätigte er. »Ich habe die Verträge mitgebracht. Wenn Sie sich die einmal ansehen wollen, bitte sehr. Ich würde Ihnen hier auf der Stelle fünfundsiebzig Prozent bezahlen, also per Scheck fünfundsiebzigtausend Dollar.«
»Und Sie bestimmen, was mit dem Material geschieht?«
»Selbstverständlich, wir kaufen es ja«, lächelte er.
»Oha«, sagte Minna.
»Das mache ich nicht«, sagte ich. »Sagen Sie dem Interessenten, das sei mir zu schwammig.«
»Aber wieso?« fragte er und wurde aufgeregt.
»Weil dieses Material wesentlich mehr bietet, wenn man es nicht veröffentlicht«, gab ich zur Antwort. »Deshalb wollen Sie doch kaufen, oder?«
Er war verwirrt, er sah von einem zum andern. »Ich verstehe nicht«, murmelte er.
»Es ist ganz einfach«, belehrte ihn Minna. »Sie kaufen es, der Käufer nimmt es und verschließt es in einer Schublade.«
»Das kann nicht Ihr Ernst sein«, protestierte er. »CNN?«
»Woher wissen Sie, daß es CNN ist?« fragte ich.
Er starrte vor sich hin auf den Teppich und fragte dann: »Also endgültig? Kein Verkauf?«
»Kein Verkauf«, sagte ich. »Ohne Mitsprache ist mir das Risiko zu hoch.«
»Vielleicht kann ich das ändern«, sagte er nach kurzem Überlegen. »Kann ich meine Firma anrufen?«
»Rufen Sie, rufen Sie«, sagte ich.
Er stand auf und verschwand nach draußen.
»Will er es kaufen, um es zu haben?« fragte Minna.
»Er selbst kann durchaus der Meinung sein, es sei ein Handel wie jeder andere auch. Aber tatsächlich sind hunderttausend Dollar zu diesem Zeitpunkt verdächtig viel. Das weiß er auch. Er steckt in der Klemme. Vor allem wette ich, daß er den Auftraggeber gar nicht kennt.«
Der Mann namens Greggson kam nicht wieder, blieb irgendwo in der Nacht verschwunden.
»Es war ein mieser Versuch«, sagte ich. »Wir gehen in die Bar vom ›Le Richemond‹«, sagte ich. »Vielleicht bietet dort jemand mehr.«
Wir hockten uns im »Le Richemond« an einen Tisch, und ich winkte Lilo zu. Sie kam und setzte sich zu uns. »Was ist, hat Paolo dem Padrone etwas gegeben?«
»Ja«, sagte ich.
»Er hat einmal gesagt, daß seine Eltern irgendeine Pizzeria betreiben, daß er aber …«
»In Oberammergau«, sagte ich. »Wir werden ihn suchen, aber wir wissen nicht, wie er aussieht.«
»Das kann ich ändern«, sagte Lilo. »Ich habe ein Foto.« Sie verschwand und kam nach einer Weile zurück. »Das sind wir beide bei einer Fete hier an der Bar.«
Wir bedankten uns und gingen. Wir fuhren direkt nach St. Julien zurück, und wir entdeckten niemanden, der uns folgte.
Paolo sah auf dem Foto wie ein Bilderbuch-Italiener aus, schwarzhaarig, schlank, frech und jung. Lilo hatte ihn einen Filou genannt, wahrscheinlich war er einer. »Ich frage mich nur, ob er sich ausgerechnet dort verstecken wird, wo seine Eltern leben.«
Minna lag auf dem Rücken auf dem Bett. »Warum nicht? Italiener sind im Gegensatz zu uns echte Familienmenschen. Selbst wenn es für ihn gefährlich ist: Bei Mama und Papa fühlt er sich sicher. Wieviel wichtige Männer waren damals in Genf?«
»Mindestens zehn. Das sind die, die wir kennen, von allen anderen ganz zu schweigen. Diese zehn haben alle eine eigene Leibwache und somit genügend verschwiegene Freunde, um eine ganze Armee heimlich notzuschlachten. Das ist alles ekelhaft, irgendwie lästig. Das ist die Seite der Geschichte, die ich hasse.«
»Das kann ich nachfühlen«, sagte sie schnell. »Als du im Krankenhaus gelegen hast, habe ich mich gefragt, wen wir mit dieser Geschichte vom Hocker reißen können. In Somalia ist jedes zweite Kind am Verhungern, die Serben morden die Moslems im ehemaligen Jugoslawien, in Rostock stecken Skins Asylbewerbern die Häuser überm Kopf an, und die Polizei schaut weg. Wen reißt da Watermann vom Hocker? Ach, Baumeister, laß uns die zehn wichtigsten Männer systematisch durchgehen.«
Ich mußte lachen. »Du wirst niemals herausfinden, was sie dachten oder wollten. Vor allem wirst du niemals herausfinden, wie wichtig dieser Pinscher Watermann für sie war. Vielleicht gilt das nicht für Manfred Gerber, aber auch da können wir nicht sicher sein. Also gut, hast du Papier?«
»Briefpapier und ein paar Stecknadeln, um unsere Ergebnisse an die Wand zu pinnen. Reicht das?«
»Das reicht. Schreib auf das erste Blatt Manfred Gerber. Nach eigenem Einlassen ist er dauernd in Genf, und er war auch hier, als Watermann starb. Er wohnte knapp zwanzig Meter entfernt in einer Suite des ›Le Richemond‹. Er war einen Tag vor Watermann mit einer gemieteten Mitsubishi von Frankfurt nach Genf geflogen. Dann von Genf nach Zürich, dann von Zürich am gleichen Tag zurück nach Genf. Er war in Begleitung eines unbekannten Mannes und seiner Frau. Es steht außer Zweifel, daß Gerber nicht nach Genf kam, um Watermann zu ermorden …«
»Wieso steht das außer Zweifel?«
»Ganz einfach. So dämlich ist er nicht. Für so etwas hat er Leute. Eindeutig ist nur, daß er in Genf war, weil es um eine deutsche Geisel im Libanon ging, den Hoechst-Manager Rudolf Cordes. Es ist eindeutig, daß Gerber als privater Agent für Deutschland arbeitete, zusätzlich aber mit Sicherheit für die Firma Hoechst. Gerber hatte vorher erfolgreich mit den Libanesen gedealt, um eine andere deutsche Geisel freizubekommen, den Siemens-Techniker Alfred Schmidt. Wenn nun gewissermaßen als Abfallprodukt Watermann dabei über die Klinge sprang, dann lag das sicher im Interesse von Gerber, aber daß er ausschließlich deshalb hierherkam, ist höchst unwahrscheinlich.«
»Was ist, wenn er den Mörder mitbrachte? Wenn der Mörder dieser Unbekannte war, mit dem er von Frankfurt aus hierherflog?«
»Möglich ist das, aber selbst diese verminderte Form von Dämlichkeit will ich Gerber nicht unterstellen. Nun schreib mal auf ein nächstes Blatt den Namen Adnan Kashoggi, saudischer Waffenhändler. Der residierte zum Zeitpunkt des Todes Watermann im ›Hotel du Rhône‹. Dann den Namen Alex Illich. Das ist ein Amerikaner, ehemals Agent des CIA, jetzt Waffeneinkäufer und Verkäufer. Er wohnte im ›Noga Hilton‹. Dann auf ein nächstes Blatt den Namen Mansur Bilbassy. Das ist ein jordanischer Waffenhändler, der im Hotel ›Intercontinental‹ wohnte. Dann war da noch Ahmed Khomeini, der Sohn des iranischen Revolutionsführers Khomeini. Zu ihm gehört Rafi Dust, ein höchst blutiger Mann. Er ist Führer der Revolutionsgarden des Iran und Chefeinkäufer für Waffen. Auf das nächste Blatt schreibst du den Namen John de la Roque, ehemals CIA-Agent, jetzt Waffenhändler an der Côte d’Azur. Dann Dirk Stoffberg. Er ist südafrikanischer Geheimdienstagent und Waffeneinkäufer. Bei ihm dürfen wir nicht vergessen, daß er möglicherweise massives Interesse an Watermann hatte. Watermann kannte mit Sicherheit den gesamten Hintergrund des U-Boot-Deals der HDW-Werft in Kiel mit dem südafrikanischen Staat. Dann wollen wir den Reiner Jacobi nicht vergessen. Er ist ein Mann für jeden dirty job, er ist Spezialist in Terrorismus und Drogenfahndung, er ist Contract-Agent der CIA in Australien, und er behauptet nicht ohne Unrecht, die weltberühmten Marcos-Millionen auf Schweizer Konten entdeckt zu haben. Jetzt hefte diese Versammlung an die Wand, und falls dir nicht schlecht wird, solltest du bedenken, daß jeder von ihnen ungleich mächtiger war als dieser kleine Furz Watermann.«
Sie heftete die Zettel an die Wand zwischen den beiden Fenstern. Dann hockte sie sich auf das Bett und murmelte: »Beim Anblick von soviel Blut gerinnt mir jede Hoffnung. Keiner von denen wird uns ein Wort sagen.«
»Es sind noch nicht alle«, wandte ich ein. »Einen dürfen wir nicht vergessen, den Bayern Josef Messerer.«
»Wer ist das?«
»Echte deutsche Eiche, nur etwas fettiger. Er ist ein Käufer und Verkäufer von altem Kriegsgerät, er macht Millionen vor allem mit solchen Ländern, denen es nicht darauf ankommt, mit modernstem Gerät zu töten. Dieser Messerer bekam eines Tages ein Foto zugeschickt. Von der Polizeiverwaltung der Stadt München. Sein Auto soll am neunten Oktober, also am Freitag vor Watermanns Tod, in München eine Ampel bei Rot überfahren haben. Ob Messerer naiv oder dämlich ist, weiß ich nicht. Er reagierte wie der Biedermann, der zu Unrecht verdächtigt wird. Er schrieb wütend zurück: Das kann nicht sein, an dem Tag war ich in Genf! Das Verrückte ist, er konnte es sogar beweisen. Er legte seinen Vormerkkalender vor. In dem stand für den neunten, zehnten und elften Oktober folgendes: Zürich, Genf, Professor Chung Li, Rafi Dust, Mojahedi, Ahmed Khomeini, Watermann. Hinter dem Namen Watermann stand ein Pfeil, der auf den Sonnabend wies. Und unter dem Pfeil stand das Wort Schluß. Findest du das auch so hübsch?«
Sie bewegte sich unruhig. »Das heißt, daß er etwas wußte? Moment mal, der Pfeil zeigte auf Sonnabend? Aber Sonnabend lebte Watermann doch noch.«
»Messerer erklärte im Polizeipräsidium in München folgendes: Er habe alle notierten Leute getroffen mit Ausnahme von Watermann. Er habe den Namen nur notiert, weil Watermann an diesem Wochenende starb und das doch so viel internationales Aufsehen erregte. Er sagte, er habe Watermann als Eselsbrücke benutzt, um nicht zu vergessen, was an diesem Wochenende passierte.«
»Die Polizei glaubt ihm das?«
»Was soll sie denn sonst tun? Die deutsche Polizei hat in Sachen Watermann nie irgendeinen besonderen Eifer an den Tag gelegt.«
»Watermann ist also in Genf. Alle diese Männer auch. Vor allem Gerber. Was sagt er selbst dazu?«
»Man hat ihn befragt. Er hat gesagt, er könne mit Rücksicht auf die Geiseln im Libanon nichts sagen.«
»Das wurde akzeptiert?«
»Ja.«
»Wieso habe ich dann diese verdammten Namen überhaupt an die Wand gepinnt? Es bringt doch eh nichts.«
»Doch, doch. Es macht uns klar, daß hier ein Königstreffen der Waffenschieber stattfand. Ob unser kleiner Watermann für diese Kameraden von Wichtigkeit war, wissen wir nicht. Wahrscheinlich nicht. Wenn er für Gerber wichtig war, dann nur, weil Gerber ganz nebenbei in Genf überwachen konnte, ob Watermann ordnungsgemäß das Zeitliche segnet. Watermann war etwas, das man zwischen Tür und Angel erledigen konnte. Wenn Watermann wirklich in Waffenhändel verstrickt war, müssen wir den Spieß herumdrehen. Dann war es einfach, ihn nach Genf zu locken. Der, der ihn lockte, brauchte bloß zu sagen: Komm her, hier gibt es eine Menge Leute, die dich retten können, weil du ihnen einmal behilflich warst! Das ist logisch, das ist wahrscheinlich, und noch viel wahrscheinlicher ist, daß er auf diese Zusicherung hin blind nach Genf flog. Logisch?«
»Das ist irre, das kann sehr gut sein.«
»In Genf hatte er Freunde. Das dachte er zumindest. Denn wer hat Watermanns Zimmer im ›Beau Rivage‹ bestellt? Nicht Watermann selbst, nicht seine Frau, nicht seine Familie. Irgend jemand hat aber sein Zimmer gebucht. Wahrscheinlich der, der ihn nach Genf lockte.«
»Aber das kann jeder von denen sein, die da an der Wand hängen. Praktisch kann jeder der in Genf Versammelten gebeten worden sein, zum Beispiel Gerber den Gefallen zu tun, mal eben für Watermanns Ableben zu sorgen.«
»Ja, wenn man versteht, wie wichtig Gerber als Verhandlungspartner für jeden dieser einzelnen ist. Gerber will nicht nur die Geisel im Libanon herausholen, er will außerdem seine Wichtigkeit betonen. Er will klar zu erkennen geben, daß er zwar für ein deutsches Großunternehmen verhandelt, daß aber praktisch der Staat mit seinen Geheimdiensten hinter ihm steht. Er weiß, daß er Leuten gegenübersitzt, die nur am Rande ein wirkliches Interesse an dieser deutschen Geisel haben. In Wirklichkeit wollen sie alle Waffen, und in Deutschland gibt es prima Waffen. Es ging also auch um Zaster, um viel Zaster.«
»Du lieber Gott, das wird ja immer wilder. Und trotzdem willst du weitermachen?«
»Wir haben schon Paolo. Kein Mensch wußte bisher, daß es einen Paolo überhaupt gab. Wir stochern noch ein bißchen herum und schauen, was passiert.«
»Baumeister, sei ehrlich, du hast doch einen Verdacht.« Sie lächelte mir aufmunternd zu.
»Ich habe wirklich keinen. Wir wissen, daß dieser Tod einer Menge Leute sehr gelegen kam. Wer letztlich dafür verantwortlich war, weiß ich nicht. Im übrigen …«
Das Telefon läutete, und Minna zuckte zusammen. »Es ist drei Uhr morgens«, sagte sie aufgeregt.
Ich nahm den Hörer ab. »Ja bitte?«
»Spreche ich mit Herrn Baumeister?« Der Mann hatte eine etwas hohe Stimme, machte aber einen gelassenen Eindruck.
»Baumeister ist dran«, sagte ich.
»Ich möchte Sie treffen«, sagte der Mann.
»Wer sind Sie denn?«
»Das spielt jetzt wirklich keine Rolle«, sagte er freundlich.
»Ich möchte Sie treffen. Jetzt gleich.«
»Wo?«
»Bestimmen Sie das. Kommen Sie allein. Ich meine, ohne Ihre Freundin.«
»Gut. Also in einer halben Stunde auf dem Parkplatz hinter dieser Pension. Kommen Sie ebenfalls allein?«
»Ich komme ebenfalls allein«, lachte er freundlich.
Minna war weiß im Gesicht. »Sie wissen also, daß wir hier sind.«
»Ja. Sie haben es wahrscheinlich von Beginn an gewußt.«
»Wer war das?«
»Ich weiß es nicht. Er will mich treffen. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich gebe dir eine Optik mit Restlichtverstärker, dann suchen wir dir eine geeignete Position.«
»Und wenn er dich erschießt?«
»Warum sollte er das? Ich werde mich genau in die Mitte des Parkplatzes stellen, also zwischen die beiden Reihen Autos. Du wirst dich unter eines der Autos legen und fotografieren. Sonst rührst du dich nicht vom Fleck.«
»Was ist, wenn er nicht allein ist?«
»Er wird allein sein. Er wird wissen, daß ich abhauen werde, wenn er nicht allein ist. Schlimmer sind die Leute, die er schon hier hat.«
»Wie meinst du das?«
»Wenn er hier mitten in der Nacht anruft, dann muß er hier Leute haben, die ihm von uns erzählt haben.«
»Dann mach doch das Licht aus«, zischte sie.
»Bitte, keine Hysterie. Du mußt versuchen, unbemerkt aus dem Haus zu schleichen, während ich draußen rummarschiere. Wo immer sie hocken, sie werden mich beobachten. Das ist deine Deckung. Zieh etwas Dunkles an. Und atme langsam durch und komm zur Ruhe. Ich schalte im Treppenhaus das Licht ein und gehe hinaus. Wenn das Licht ausgeht, suchst du dir einen Weg.«
»Aber doch nicht sofort, es ist doch viel zu früh.«
»Beruhige dich.«
»Nimmst du ein Tonband mit? Du mußt ein Tonband mitnehmen, das mußt du. Wie ist das eigentlich mit dem Finger? Hast du wieder Schmerzen?«
»Leg dich einen Moment auf den Rücken, achte auf deinen Atem und auf nichts sonst.«
Schließlich beruhigte sie sich wieder und fragte: »Hast du auch Angst?«
»Na sicher habe ich Angst. Ich habe meistens Angst. Darum bin ich ja auch so gut.«
Ich zog ein weißes Hemd an, damit sie mich besser sehen konnten, setzte ihr den Grünfilter auf den Apparat, legte einen hochempfindlichen Film ein und sagte: »Drück uns die Daumen!«
Ich ging die zwei kurzen Treppen hinunter in das Erdgeschoß. In der Haustür steckte kein Schlüssel, die Tür war offen. Ich mußte zwei Stufen hinunter, dann etwa vier Meter durch einen kurzen Vorgarten, in dem rechts und links gelbe und rote Rosen wuchsen. Sie rochen sehr intensiv. Es war vollkommen still. Das kleine Gartentor quietschte ein wenig, ich drehte mich herum, um das Türchen wieder zuzuziehen. Dabei konnte ich sehen, daß das Licht im Treppenhaus bereits wieder ausging, das Licht in unserem Zimmer anblieb. Ich hoffte, sie würde clever genug sein, die Lampe im Zimmer nicht zu löschen, wenn sie hinausging.
Dann wandte ich mich nach rechts. Zwischen der Pension und dem nächsten Haus führte ein Trampelpfad hindurch. Ich mußte fünfzig Meter am Grundstück der Pension entlanggehen, um erneut wieder nach rechts abzubiegen. Ich war jetzt hinter der Pension, die vollkommen im Dunkeln lag.
Ich blieb stehen, um mir die Situation genau einzuprägen. Rechts war ein kleiner Zaun zum Garten der Pension hin, links eine schmale Stichstraße. Diese führte zum Parkplatz mit seinen etwa zwanzig Stellplätzen. Der Jeep stand in der rechten Reihe. Auf dem kleinen Platz standen zwei alte Gaslaternen, zwei Meter hoch mit mattgelben Kuppeln. Wenn es Minna gelang, hinter die linke Autoreihe zu kommen, sich unter ein Auto zu legen, würde es möglicherweise klappen. Ich starrte wieder auf die Hausfront. Es war nichts zu sehen und absolut nichts zu hören.
Ich holte die gestopfte Spitfire von Lorenzo aus der Hosentasche und zündete sie an. Ich glaube nicht, daß ich rauchen wollte, ich glaube, ich wollte herausfinden, ob meine Hände zitterten. Sie taten es nicht. Dann drehte ich mich herum und ging den Weg wieder zurück, langsam, nicht im geringsten beunruhigt, nicht einmal gespannt. Ich ging wie jemand, der einen Nachtspaziergang macht, weil er hofft, müde zu werden.
Ich kann mich genau daran erinnern: Ich summte das berühmte Hornsolo »No More Lovesong«. Ich wollte, daß mich die Männer, die mich im Visier hatten, mit ihren Blicken verfolgten, ich wollte sie binden. Aber zunächst sah ich nichts.
Auf meinem Weg zurück auf die Straße vor dem Haus glaubte ich, rechts auf dem Nachbargrundstück eine Bewegung zu sehen, aber es konnte Einbildung sein. Dann kam das Geräusch eines schweren Motors hoch. In der Ferne, hoch über den Häusern der Nachbarschaft, blitzten Scheinwerfer auf. Ein schwerer Truck kam eine Bergschleife hinunter, bog etwa dreihundert Meter vor mir auf die Straße ein und näherte sich mit hoher Geschwindigkeit.
Dann sah ich es: Als ich aus dem Vorgarten auf die Straße gekommen war, hatten dort keine Autos gestanden. Jetzt standen dort zwei. In beiden saßen Menschen, aber ich konnte nicht erkennen, wie viele es waren.
Ich blieb stehen, ich war ungefähr zehn bis zwölf Meter von ihnen entfernt. Ich klappte das Corona-Feuerzeug auf und drehte die Flamme hoch. Ich wollte, daß sie alle auf mich starrten, daß niemand auf die Idee kam, sich in andere Richtungen umzuschauen. Das Feuerzeug war ein kleiner Flammenwerfer. Ich dachte flüchtig daran, daß ich mir Tabak kaufen müßte, und wahrscheinlich würde wieder kein Geschäft »Charatan 45« haben.
Dann drehte ich mich erneut um und schlenderte den Weg zurück.
Ich zündete noch einmal die Pfeife an und ging geradewegs zu dem kleinen Parkplatz. Ich hockte mich auf den hinteren Tritt meines Jeeps und schmauchte vor mich hin. Entweder lag Minna längst unter einem der Autos, oder sie hatte es nicht geschafft. Fast wäre mir lieber gewesen, die Angst hätte sie im Bett festgebunden.
Er kam pünktlich, seit seinem Anruf waren achtundzwanzig Minuten vergangen. Er kam denselben Weg, den ich gekommen war. Er war mittelgroß, ein wenig kleiner als ich, gedrungen gebaut, in einem hellen, leichten Sommeranzug. Er hatte volles, dichtes, dunkel wirkendes Haar, ein sehr rundes Gesicht mit einem dunkelfarbenen Schnauzer. In seiner rechten Hand schlenkerte er einen Aktenkoffer.
Er kam dicht an mich heran, stellte die Tasche auf den Asphalt, reichte mir die Hand und sagte sehr förmlich: »Guten Morgen, Herr Baumeister.«
»Sie sind Manfred Gerber, nicht wahr?«
»Ist das wichtig? Sehe ich aus wie Gerber?« Er sprach ganz zurückhaltend, und er lächelte dabei schmal.
»Es gibt von Gerber in letzter Zeit keine brauchbaren Fotos. Einen Schnurrbart kann man ankleben, die Haare färben …«
»O Gott, Baumeister, das ist doch jetzt nicht wichtig …«
»Sie haben recht, vielleicht ist das nicht wichtig. Haben Sie Watermanns Tod arrangiert?«
»Die Frage ist jetzt nicht angebracht, nicht wahr? Ich will mit Ihnen sprechen, um Sie davon abzubringen, die Watermann-Recherchen erneut aufzunehmen.«
»Gibt es dafür eine Begründung?«
»Ja.« Er hockte sich neben mich.
Wenn Minna unter einem der Autos lag, mußte das ein grandioses Doppelporträt geben.
»Die Begründung sieht so aus, daß niemand, vor allem die Öffentlichkeit nicht, daran interessiert sein wird, olle Kamellen auszugraben. Watermann ist tot, und das ist verdammt gut so, ganz gleich, ob jemand ihn ermordet hat, wie Sie das nennen, oder nicht.«
»Sie wollen mir mit anderen Worten deutlich machen, daß Watermanns Tod im Sinne des Staates eine gute Sache war, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht, Baumeister, ob der Staat das denkt. Ich weiß nur, daß ich so denke. Watermann war damals vollkommen ausgeflippt. Sein Geschwätz hätte nicht nur die Bundesrepublik, sondern Europa und die Welt aufgescheucht. Der Mann war außer Kontrolle, der Mann hätte niemals die ganze Wahrheit gesagt. Sie wissen so gut wie ich, Baumeister, daß eine bestimmte Sorte Politik nur über Diplomatie und Geheimdienste läuft. Watermann wollte das alles brutal zerstören. Sie wissen das genau, Baumeister, Sie haben Erfahrung.«
»Wer tötete Watermann?«
»Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht.«
»Aber Sie waren im Hotel nebenan, Gerber …«
»Ich bin nicht Gerber …«
»Erzählen Sie das Ihrer Großmutter. Watermanns Tod war eine Schweinerei, ob er reden wollte oder nicht. Es war Mord, Gerber.«
»Also gut. Ich sage Ihnen mal, was passiert, wenn Sie so weitermachen wie bisher: Sie werden den Mörder nicht kriegen, weil Sie nicht den Schimmer einer Ahnung haben, in welche Richtung Sie überhaupt suchen müssen. Also bitte ich Sie: Hören Sie auf damit, lassen Sie die Geschichte ruhen. Wir ersetzen Ihnen sämtliche Kosten.«
»Aha. Und wer ist wir?«
»Die Gruppe, die ich vertrete.«
»Welche Gruppe vertreten Sie denn, Gerber?«
»Ich bin nicht Gerber.« Er wurde heftig.
»Wie soll ich Sie nennen? Sie haben gefälschte Schweizer Papiere auf den Namen Lang. Soll ich Lang sagen? Soll ich Rohloff sagen? Also, welche Gruppe?«
»Es ist eine gemischte Gruppe. Politiker, Wirtschaftler …«
»Sie meinen Waffenhändler«, lachte ich.
»Nein, ich meine Industrielle. Wir ersetzen Ihnen alle Ihre Kosten.«
»Können Sie das von der Steuer absetzen?«
»Warum sind Sie so giftig? Es ist ein Handel wie jeder andere auch.« Er bewegte sich nicht, er bewegte nicht einmal die Arme oder die Hände, er war ein Profi.
»Nehmen wir an, ich gehe auf den Handel ein. Was bringt mir das?«
»Zweihunderttausend Dollar. In bar. Keine numerierten Scheine. Wieviel Sie davon Ihrer Partnerin abgeben, ist Ihre Sache. Keine Quittung, kein gar nichts.«
»Per Scheck?«
»O nein. Ich sagte bar.« Er bückte sich nach vorn, nahm den Aktenkoffer vom Asphalt und klappte ihn auf. Er war voll Geld. Ich kam mir vor wie in einem billigen amerikanischen Film.
»Aber Sie persönlich wollen eine Quittung?«
»Nein, ich will keine Quittung. Nichts. Sie sagen einfach okay, nehmen das Geld, und wir haben uns nie gesehen.«
»Vor was haben Sie eigentlich Angst?«
»Ich habe keine Angst«, sagte er gelassen. »Ich habe nicht die Spur von Angst. Nehmen Sie es.«
»Diesen Aktenkoffer habe ich heute schon einmal gesehen. Da kam ein Medienvertreter und bot mir für die Exklusivrechte einen Vertrag an. Es war derselbe Koffer, mit einer zerstoßenen Ecke und einer Schließe, die krumm ist und nicht einhakt. Sagen Sie jetzt nichts, es ist einfach ein Zeichen beschissener Logistik.«
Er klappte den Koffer zu und stellte ihn neben sich.
»Also, Sie gehen nicht darauf ein?«
»Nein.«
»Ich kann Ihnen vierundzwanzig Stunden Zeit geben, sich die Sache in Ruhe zu überlegen.«
»Nein.«
»Es ist Ihnen zu wenig, nicht wahr? Sie stecken in Schwierigkeiten. Sie haben nicht gut für die Rente vorgesorgt. Sie haben Schulden. Ein bißchen mehr, als Ihnen guttut. Wollen Sie das Doppelte? Oder sagen wir: fünfhunderttausend?«
»Wenn ich Sie eine Stunde weitermachen lasse, sind wir bei einer Million und haben beide eine Erkältung. Es ist kühl geworden. Machen Sie es gut, was immer Sie vorhaben, Gerber.«
»Ich bin nicht Gerber«, sagte er matt, nahm seinen Koffer und ging langsam aus der Szene.
Ich blieb auf meinem Jeep hocken und fragte mich, ob ich einen Fehler gemacht hatte. Irgendwo auf der Straße jenseits des Hauses starteten Autos und fuhren ohne sonderliche Hast davon.
»Bleib liegen«, zischte ich.
Sie bewegte sich nicht.
Ich ging langsam von dem kleinen Parkplatz weg, dann auf den Trampelpfad bis zur Straße. Die Wagen waren verschwunden. Da kehrte ich um und sah sie, wie sie mit verzerrtem Gesicht unter der vorderen Stoßstange eines Golf auftauchte. Sie war vollkommen schwarz im Gesicht.
»Hast du fotografiert?«
Sie hockte da wie ein Häufchen Elend, sah zu mir hoch und fragte: »Hast du schon einmal eine Ewigkeit auf Asphalt gelegen und konntest nicht einmal tief durchatmen?«
»Woher hast du denn so ein schwarzes Gesicht?«
»Na ja, ich lag unter der Karre und dachte plötzlich mit Schrecken: Mein Gesicht ist ganz hell! Die sehen mich! Da habe ich den Motor umarmt und mit dem Öl … ach, Baumeister, du bist ein Ekel!«