ACHTES KAPITEL
Ich kam in den Flur meines kleinen Hauses, und dort wartete Dinah. »Gott sei Dank. Ich hatte ein mieses Gefühl, daß er dich verprügelt.«
»Die Zeiten sind vorbei«, murmelte ich. »Guten Morgen.«
»Guten Morgen. Frühstückst du mit?«
»Na sicher. Gibt's was Neues?«
»Ja. Wir fahren gleich zur Staatsanwaltschaft nach Trier«, berichtete sie. »Rodenstock hat mit ihnen gesprochen, sie möchten aber nicht alles am Telefon erzählen.«
Rodenstock erschien und fragte, ob wir im Besitz einer Kopfschmerztablette seien. Ich ging in die Küche und gab ihm zwei. Er hatte den Tisch gedeckt, Kaffee gekocht, Brot geschnitten. Nachdem er die Pillen geschluckt hatte, sagte er: »Wir haben seit Tagen etwas übersehen. Wir fragen uns dauernd, warum Kremers allen Leuten versprochen hat, die Strafe milde ausfallen zu lassen, wenn sie ihr Wissen preisgeben und andere ausliefern. Aber er versprach es allen, die irgendwie an dem Fall beteiligt sind. Da liegt der Hase im Pfeffer.«
»Das verstehe ich nicht«, gestand Dinah.
»Ganz einfach«, erklärte er. »Da Kremers alle Beteiligten und ihre Rollen in dem Spielchen kennt, brauchte er eigentlich überhaupt keinen Kronzeugen. Ist das klar? Er konnte alle hops gehen lassen, er wußte genau, was sie getan hatten.«
»Stimmt«, murmelte Dinah. »Das ist gut, das ist sogar sehr gut.«
»Wenn es Kremers war, der das Kokain an die Badewanne von Melanie heftete, dann müßte er logischerweise auch Marios Elternhaus ausgestattet haben, oder? Der Junge weiß viel, viel zuviel.«
»Und wie!« sagte ich. »Wir sollten nach Niederstadtfeld und das prüfen.«
»Weiter: Woher stammt das Kokain? Aus Asservaten der Staatsanwaltschaft? Das wäre zu riskant gewesen. Also woher hat er es? Unklar ist auch, wer nun den Markt von Ole und Betty erben sollte. Wer ist jetzt der hiesige Hauptdealer? Vielleicht sollten wir mal mit den Bildern des Detektivs Mario besuchen, vielleicht erkennt er jemanden.«
»Du bist ekelhaft berufstätig«, sagte ich.
»Er ist gut«, widersprach Dinah. »Wie weit ist denn die Mordkommission?« fragte Dinah.
»Das kann nicht berauschend sein«, murmelte er. »Die Kommission ist wohl ein Flop.«
»Warum denn das?« fragte Dinah.
»Sie sind noch nicht einmal auf Dieter Kremers gestoßen«, sagte er düster. »Wir müssen zu den zwei Rauschgiftbeamten nach Wittlich. Die brauchen wir auch. Ich will deren Erklärung für die Aktivitäten unseres Herrn Dieter Kremers.« Er goß sich Kaffee ein und grinste. »Wir sollten inserieren. Wir ermitteln diskret aber erbarmungslos!«
»Jetzt ist Frühstück, kein Wort mehr über den blöden Fall«, befahl Dinah.
Erneut rief ich Thomas Schwarz an. »Wenn du nochmal kommen könntest, wäre ich dir dankbar. Ein Gewehr ist verschwunden, eine doppelläufige Schrotbüchse. Nach meiner Überzeugung müßte sie entweder im unmittelbaren Bereich der Scheune liegen oder aber genau wie die Geldkassette dahinter. Machst du das?«
»Klar«, versprach er trocken. »Mit anderen Worten, du kommst nicht mit.«
»Richtig. Wir sollten kein Aufsehen erregen. Außerdem habe ich keine Zeit.«
Dann läutete ich bei Mario durch, der aber zu irgendeiner Untersuchung gebracht worden war. Ich ließ ihm ausrichten, ich käme nachmittags vorbei. Schließlich sagte ich: »Rodenstock, könnt ihr ohne mich zur Staatsanwaltschaft nach Trier? Wir schaffen das alles nicht, wenn wir jeweils zu dritt auftauchen.«
»Das ist richtig«, meinte er. »Wenn Dinah mich nicht fahren müßte ...«
»Ist schon gut«, murmelte sie. »Ich fahre dich, und es ist sowieso besser, wir sind zu zweit. Wieso, um Gottes willen, hast du eigentlich keinen Führerschein?«
»Weil ich immer gedacht habe, daß ich für Vater Staat Morde aufklären und nicht Auto fahren soll«, sagte er freundlich.
Zehn Minuten später fuhren sie.
Ich setzte mich auf das Sofa, kraulte die Katzen und starrte in den Kaminofen, der hell und freundlich loderte. Dann legte ich die Carmina Burana in einer Aufnahme aus Prag ein und hörte zu, die Katzen schliefen längst. Irgendwann schreckte ich hoch und brauchte ziemlich lange, um mich zu orientieren. Es war halb zehn, ich hatte zwei Stunden geschlafen und fühlte mich gut. Ich ging hinauf ins Badezimmer und stellte mich unter die Dusche, während die beiden Katzen sich nebeneinander aufbauten und mir zusahen. Sie wußten genau, daß sie sehr dekorativ wirkten, fuchsrot und rabenschwarz. Paul machte den Eindruck, als wolle er verkünden: Seht her, so schön sind nur wir Eifelkatzen!
Das Telefon klingelte. Es war Mario. Erstaunlich munter und positiv meinte er: »Eigentlich brauchst du nicht extra zu kommen. Ich denke, ihr habt jetzt alle keine Zeit.«
»Haben wir auch nicht. Aber das kann kein Grund sein, dich nicht zu besuchen. Außerdem muß ich dir Fotos zeigen.«
»Ach ja?«
»Ja. Richtig interessante Bildchen. Übrigens, weißt du, wo Ole und Betty die Kanada-Reise gebucht haben?«
»Klar. In Daun.«
»Dann noch etwas. Du hast von deinem Kumpel Jimmy geredet, der seinen Zwei-Liter-BMW mit Rauschgift finanziert. Ich nehme an, Jimmy ist ein Deckname. Wie heißt er wirklich?«
»Meiler, Jan Meiler. Er geht in Daun ins Thomas-Morus-Gymnasium in die 13. Klasse. Er wohnt ... warte mal ... er wohnt in Dreis. Richtung Hillesheim kurz vor dem Nürburg-Sprudel auf der linken Seite. Aber vorsichtig.«
»Ich komme trotzdem gleich wegen der Fotos. Wieso vorsichtig?«
»Der Vater ist ein ganz Harter. Kannst du mir Weintrauben mitbringen?«
»Mache ich. Sonst noch was?«
Sonst brauchte er nichts zu seinem Glück, konnte sich allerdings nicht verkneifen, halblaut zu sagen: »Und einen neuen Fuß, Größe zweiundvierzig«, bevor er die Verbindung unterbrach.
Das Wetter war diesig und kalt, und wer eben konnte, hütete das Haus und sonst nichts. Daun schien in einer Art Tiefschlaf zu liegen, aber das Reisebüro hatte auf, als hege der Besitzer die durch nichts zu tötende Hoffnung, jemand könne vorbeikommen und ein Luxushotel auf Hawaii buchen.
»Ich bin Siggi Baumeister, ich bitte um Ihre Hilfe«, stellte ich mich vor.
Der Mensch hinter der Theke war groß und schlank, er war der Typ, der immer siegt. »Ich kenne Sie vom Sehen«, erklärte er.
»Aha. Es ist so, daß ich in der Jünkerather Geschichte unterwegs bin. Sie wissen schon, Betty und Ole Mehren.«
»Weiß ich auch«, sagte er mit dem Charme eines Eisfaches.
»Die haben hier Tickets für eine Flugreise nach Kanada gekauft. Hin und zurück, und ...«
»Stimmt nicht«, unterbrach er tonlos. »Nur Hinflug.«
»Aha, nur Hinflug. Nun gut. Ich wollte wissen, wie sie bezahlt haben? Mit Scheck? Bar?«
»Das darf ich nicht sagen«, sagte er. »Die Tickets sind ja wohl mitverbrannt. Ich habe nur die Kopien hiergehabt. Das hat jetzt alles die Mordkommission. Schon seit Tagen. Da kann ich nichts machen.«
»Ich brauche die Dokumente nicht«, erklärte ich. »Ich bin nicht die Polizei. Ich wollte nur wissen, ob die beiden bar bezahlt haben oder mit Scheck.«
Der Reisebüromensch war ein cleveres Kerlchen, er lächelte mit schmalen Lippen und machte sein Spiel. »Na, was vermuten Sie denn?« Dann legte er den Kopf schräg. Vermutlich war er oft unter den Zuschauern von SAT 1 oder RTL.
»Ich soll also raten, hm?« Ich mußte grinsen. »Was kriege ich, wenn ich richtig rate?«
»Was möchten Sie denn?« fragte er, und jetzt lachte er offener.
»Eine der Burgen Heinrich VIII auf Irland?«
»Einverstanden«, sagte er. »Also, Ihre Meinung?«
»Sie zahlten bar«, sagte ich. »Und reden Sie mir nicht ein, daß es anders war.«
»Wieso sind Sie so sicher, Herr Baumeister?«
»Das hat mit der Natur des Falles zu tun«, behauptete ich. Er wollte irgend etwas loswerden, aber was?
»Und was ist die Natur des Falles?« Er trommelte auf die Glasplatte seines Verkaufstisches.
»Drogen«, murmelte ich. »Das wissen Sie doch. Drogen sind immer Bargeld.« Dann riskierte ich die Kardinalfrage. »Sie wollen etwas loswerden, nicht wahr?«
»Das ist ja erstaunlich«, sagte er leise. »Ja, will ich. Es ist so, daß ich Ole mochte ... und Betty natürlich auch. Sie haben bar bezahlt. Etwa eine Woche vor Weihnachten. Damit sie nicht mit jemandem zusammentrafen, rief Ole mich an und sagte, er käme mit Betty nach Geschäftsschluß am Abend. Ich wußte schon, was sie wollten, und er hatte mich gebeten, mit niemandem darüber zu sprechen. Die Unterlagen hatte ich schon fertig. Es war ganz komisch. Ich bin mit Ole ins Gymnasium gegangen, so lange kennen wir uns schon. Diese jungen Leute wollen immer die billigen Flieger, und das ist ja auch richtig so. Aber Ole wollte einen Normalflug und Erste Klasse. Heh, sagte ich, du bist verrückt. Ich bin dankbar für jedes Geschäft, aber das hast du bei mir nicht nötig. Doch am zweiten Weihnachtsfeiertag gab es sowieso keine billigen Flüge, und es mußte der zweite Feiertag sein, sonst kam kein Tag für die beiden in Frage. Also buchte Ole zweimal Erste Klasse Linie Frankfurt-Montreal und ein Wohnmobil für geschlagene drei Monate. Er bezahlte insgesamt etwas über zehntausend Dollar. Na sicher, Ole hat einen Vater, der ziemlich gut betucht ist, aber den Spaß hätte er eigentlich im Sommer für die Hälfte haben können, und ...«
»Also, er legte über zehntausend Dollar auf den Tisch. Okay? Gut, wie zahlte er? Deutschmark, Dollar? Holländische Gulden?«
»Deutschmark. Ich gab ihnen die Tickets, und Ole sagte: Das wird ein Riesenspaß! Betty hat die Tickets in die Handtasche gesteckt und meinte ganz komisch, das wird sicher ein Riesenspaß, wenn wir heil ankommen. Ich habe mir nichts dabei gedacht, jetzt aber denke ich mir was dabei.«
»Wie hat Ole reagiert?«
»Er sagte, sie soll kein Hasenfuß sein. Ich erinnere mich an den komischen Ausdruck Hasenfuß, hört man ja nicht oft.«
»Sie glauben also, daß Betty etwas geahnt hat?«
Er nickte. »Das glaube ich. Wenigstens klingt das heute so, oder?«
»Haben Sie das auch der Mordkommission erzählt?«
»Ja, natürlich, aber ich glaube, die machen nichts draus.«
»Und weitere Bemerkungen sind nicht gefallen?«
»Reicht das nicht?« fragte er vorwurfsvoll.
»Das reicht durchaus«, nickte ich. »Vielen Dank. Und wenn Sie noch etwas hören, rufen Sie mich bitte an.«
»Na klar«, versprach er. »Und viel Glück.«
Ich marschierte durch die Fußgängerzone der Kreisstadt den Berg hinunter und erlebte nach vielen Tagen endlich mal wieder ein Stück blauen Himmels und eine Spur der bleichsüchtigen Sonne. Es gab sie also noch. Ich erwischte mich, wie ich ein Lied pfiff. Dann kaufte ich zwei Kilo Weintrauben.
Der Arzt Grundmann hatte Mario mittlerweile von der Bedrückung der Intensivstation befreit und ihn in ein Zimmer ganz am Ende eines Korridors gelegt, in den einem Verbot zufolge kein Besucher des Hauses gehen durfte, weil dort »technische Räume« waren. Wer immer das erfunden hatte, es würde wirken.
Grundmann stand in einer offenen Tür und berichtete, nachdem wir uns begrüßt hatten: »Er hält sich unglaublich gut. Er hat Mut, der Junge ist klasse.«
Ich stand vor Marios Bett und starrte auf ihn hinunter, wie er da bleich und hohlwangig auf seinem Kissen lag. »Scheiße!« entfuhr es mir, und ich nahm ihn in die Arme.
»Sie sagen, es gibt gute Prothesen, die man kaum sieht.« Er hatte Tränen in der Stimme, aber er machte ein paar wirre Bewegungen mit beiden Händen und versuchte, sich wieder in die Gewalt zu bekommen.
»Indianer heulen manchmal auch«, beruhigte ich. »Waren deine Eltern schon hier?«
»Na sicher«, sagte er und putzte sich die Nase. »Mein Vater blieb die ganze Nacht. Und morgens kam meine Mutter. Ich habe sie weggeschickt.« Mario grinste matt. »Die heulen mehr als ich.«
»Aber das ist doch ein gutes Gefühl, oder?«
»Ja«, nickte er. »Das kommt wirklich gut. Oh, Trauben. Ich weiß nicht, normalerweise esse ich die Dinger gar nicht so gerne.«
Ich nahm den Umschlag mit den Fotos des Holländers Paul aus der Tasche und reichte ihm den.
»Schau dir die Galerie in Ruhe an, laß dir Zeit. Ich sage dir dann auch, wo es ist und wem das Haus gehört. Darf man hier rauchen?«
Er lachte: »Natürlich nicht. Aber auf dem Gang haben sie nichts dagegen, weil ich hier der einzige Patient bin.«
»Heißt das etwa, daß du auf den Gang rausspringst und qualmst?«
»Na sicher«, nickte er. »Grundmann sagt, ich sollte in Zukunft jedes Verbotsschild übersehen. Er ist ein guter Typ.«
Ich ging hinaus und ließ ihn für ein paar Züge aus der Pfeife mit den Fotos allein. Als ich zu ihm zurückkehrte, hielt er mir ein Foto hin: »Das ist Jan Meiler, der Kumpel aus Dreis. Wo ist das fotografiert?«
»In der Straße, in der der Holländer Jörn van Straaten sein Antik-Geschäft hat. In s'Herzogenbosch. Du warst dort nie?«
»Nein«, bestätigte er. »Was wollte Jan Melier da?«
»Das weiß ich nicht.« Ich starrte auf das Foto des jungen Mannes. Er wirkte nichtssagend, er wäre mir sicherlich nicht aufgefallen. Ein wenig blaß, ein wenig dicklich, genormt in Jeans und einer Lederjacke, die üblichen sportlichen Treter von Adidas in grün-weiß. »Was ist er denn für ein Typ?«
»Scharf auf Moos«, sagte Mario lapidar, »sonst nix. Nur scharf auf Geld. Eigentlich ist er klug, und er spielt verdammt gut Gitarre. Aber er ist so hinter dem Geld her, daß er glatt eine Melodie vergißt. Das könnte mir nicht passieren.«
»Wenn ich dich fragen würde, ob Betty mit dem Dealen angefangen hat oder Ole – auf wen würdest du tippen?«
»Auf Betty«, antwortete er sofort. »Außerdem weiß ich genau, daß Betty drauf gekommen ist.«
»Und wie?«
»Ziemlich einfach. Ole machte so mm. Mal hatte er was, mal hatte er nichts. Und er teilte immer, jedenfalls mit guten Kumpels. Bis dann Betty sagte, sie könnten das genauso gut geschäftsmäßig machen. Das war vor zwei Jahren, würde ich tippen. Betty war die praktische, die den Alltag organisierte.«
»Noch eine Frage. Angenommen, jemand würde behaupten, Ole wäre im Sommer vergangenen Jahres bereit gewesen, Betty an die Staatsanwaltschaft auszuliefern. Würdest du das glauben?«
Er sah mich an und hatte plötzlich Angst in den Augen. »Wie soll ich das verstehen?«
»Das sollst du so verstehen, daß Ole gegen Straffreiheit den Kronzeugen machen und auch gegen Betty aussagen sollte. Angeblich, sagt sein Vater, hatte Ole sich darauf eingelassen.«
Mario dachte darüber nach. »Kann ich mir nicht vorstellen«, sagte er rauh. »Ich meine, sie kriegte ein Kind von ihm. Sie wollten nach Kanada, und, wenn möglich, da bleiben. Sie hatten die Tickets. Was soll das dann? Ich kann mir höchstens vorstellen, daß das ein Trick von Ole war.«
»Ein Trick?«
»Ja, warum nicht? Vielleicht hat er das gesagt, damit der Vater ruhig ist.«
»Noch eine verrückte Frage: Wenn du in eurem Haus etwas verstecken wolltest, sagen wir ein paar Päckchen Koks, wo würdest du das hintun?«
Er war erneut verunsichert. »Wieso? Ich meine, Koks? Habe ich nichts mit am Hut. Wenn ich was verstecken müßte, dann in der Garage. In dem Chaos findet das kein Mensch. Und sowas vermutet man dort auch nicht, weil die Garage tagelang offensteht. Wieso Koks?«
Junge, ich muß gehen. Ruf mich an, wenn du was brauchst. Ich komme wieder.«
»Na sicher«, nickte er. Dann griff er schnell nach dem Telefon, da es klingelte. Er hörte zu und gab mir den Hörer. »Dein Kumpel.«
Rodenstock sagte: »Ich rufe dich aus Trier an, ich dachte mir, daß du zu Mario gehst. Fahr zur Melanie nach Gerolstein. Sie wurde heute morgen vom Hausmeister tot aufgefunden. Es sieht nach Selbstmord aus, aber ich habe ein mieses Gefühl dabei. Alles andere später.« Er legte auf.
»Ist was?« fragte Mario.
»Nichts Besonderes«, log ich. »Mach's gut derweil.«
Das Apartmenthaus wirkte wie immer kühl und wenig einladend. Zu sehen war nichts, nicht einmal ein Rettungswagen des DRK oder ein Streifenwagen. Ich benutzte Melanies Klingel, und sofort summte der Türöffner. Ich ging hinauf, die Wohnungstür stand offen, darin ein Mann, der mich mißtrauisch anschaute. »Was wollen Sie?«
»Ich wollte zu Melanie. Wir kennen uns.«
»Das geht nicht, sie ist ...«
»Sie ist tot, ich weiß«, sagte ich. Dann stellte ich mich vor. »War es wirklich Selbstmord?«
»Bis jetzt sieht es so aus.«
»Wie hat sie es gemacht?«
»Das wissen wir noch nicht. Keine Waffe, kein Strick.«
»Wieso hat der Hausmeister sie gefunden?«
Der Mann bekam schmale Augen. »Ach, das wissen Sie auch schon? Sie waren heute morgen verabredet, und er wunderte sich, daß sie nicht aufmachte. Er konnte sehen, daß drinnen Licht brannte. Da hat er die Tür aufgemacht.«
Ich fragte mich, was geschehen würde, wenn die Polizei entdeckte, daß ihr Kollege Dieter Kremers seit geraumer Weile jede Nacht hier zu Gast war. Ich wollte Melanie nicht sehen, ich wollte eigentlich nur wissen, ob die Kokainbeutel noch an Ort und Stelle klebten. Wenn es Selbstmord war, dann ... Baumeister, hör endlich auf zu spekulieren und hau ab hier.
»Schönen Dank«, murmelte ich. »Darf ich Sie anrufen?«
»Sie erreichen mich in Wittlich, mein Name ist Jungen.«
»Danke.«
Ich fuhr über Gees und Neroth nach Niederstadtfeld zu Marios Eltern. Sie sahen beide blaß und übernächtigt aus.
»Ich will keine langen Reden schwingen«, erklärte ich. »Stimmt es, daß Ihre Garage häufig offensteht?«
»Ja«, nickte Marios Vater.
»Dann suchen wir mal nach Beuteln mit weißem Pulver. Kommen Sie!« Ich ging vor ihnen her, während er aufgeregt fragte: »Was soll das? Wird Mario verdächtigt?«
»Nicht die Spur. Aber es kann sein, daß man ihm etwas anhängen wollte.«
»Wie groß sollen diese Beutel sein?«
»Etwa zehn mal zehn.«
In der Garage herrschte tatsächlich Chaos, in dem ein Auto nur Platz haben würde, wenn man mit Vollgas für Platz sorgte. Anfangs schien es unmöglich, hier etwas zu finden, aber dann konstruierten wir einen Fall. »Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor der offenen Garage und wollen hier etwas verstekken. Sie haben nicht viel Zeit, ein paar Sekunden nur. Wo würden Sie diese Beutel hintun?«
»In eine leere Farbdose vielleicht? Vielleicht in einen der alten Spankörbe da. Oder in eine der Werkzeugkisten? Was ist denn in den Beuteln?«
»Kokain«, teilte ich mit.
»Mein Junge und Kokain?« Seine Nerven hatten gelitten, er zitterte.
Wir fanden die Beutel in einem Winterreifen, der ziemlich abgefahren an einem dicken Nagel an der Wand hing. Es handelte sich um vier Beutel.
»Ich nehme nur zwei Proben mit«, sagte ich. »Dann verstauen wir es wieder an Ort und Stelle.«
»Ja, aber das geht doch nicht. Wenn jemand kommt ...«
»Wir wollen ja, daß jemand kommt.« Ich riß einen Beutel auf und schmeckte. Es schien ebenfalls guter Stoff zu sein. Einen Kaffeelöffel voll schüttete ich in ein altes Kuvert und steckte es ein. »Wenn jemand kommt, rufen Sie mich an. Sofort.«
Mario Vater versprach es verwirrt.
Rodenstock und Dinah hockten am Küchentisch und schlürften einen Kaffee und einen Kognak. Dinah berichtete: »Die Kölner haben Ole und Betty umgebracht. Dieser Smiley hat inzwischen gestanden. Aber Rodenstock ist der Meinung, Smileys Geschichte ist erfunden. Smiley behauptet, daß Ole und Betty ihnen ein paar wichtige Kunden abgenommen hätten. Sie seien am Heiligen Abend nach Jünkerath gefahren, um die beiden zu bestrafen. Vorher hätten sie gekifft, Ecstasy geschmissen und überdies Koks und anschließend Valium eingefeuert. Er könne sich nur undeutlich erinnern, was vorgefallen sei. Wer den beiden das Genick gebrochen hat, weiß er nicht mehr genau. Wer ihnen Heroin spritzte, daran will er sich auch nicht erinnern. Und wer auf die Idee kam, die Bude anzuzünden, ist ebenfalls unklar...«
»Es sieht so aus, als käme er damit durch«, murmelte Rodenstock düster. »Was ist mit Melanie?«
»Sie wissen nicht, ob es Selbstmord war. Ich konnte nicht riskieren, ins Bad zu gehen und nach dem Kokain zu sehen. Kokain befindet sich übrigens auch in der Garage von Marios Eltern. Wird die Staatsanwaltschaft jetzt gegen Kremers ermitteln?«
Dinah schüttelte den Kopf. »Erstmal schützen sie ihren Mann, sie sagen, er hätte ein paar Aufträge gehabt. Wir sollen alles aufschreiben, was wir über ihn wissen, und ihnen eine Kopie schicken. Mehr nicht.«
»So ist das aber immer«, fluchte Rodenstock. »Oles Pajero steht übrigens in Köln in einer Garage, die von den drei kleinen Gaunern gemietet worden ist.«
»Kleine Gauner ist gut«, sagte ich. »Wir stehen im Grunde doch vor einem Scherbenhaufen. Ole und Betty wurden von drei Kölner Dealern getötet, die jetzt mit ihren Geständnissen rüberkommen und wahrscheinlich in zwei Wochen viermal widerrufen und vier neue Geständnisse erfinden. Die Mordkommission wird einen strahlenden Sieg verkünden.«
»So sieht es aus«, seufzte Rodenstock. »Jörn van Staaten, so wird man uns sagen, ist ein ganz anderer Fall, und Dieter Kremers auch. So läuft das hierzulande.«
»Haben wir uns etwa so abgehetzt, um jetzt aufzugeben?« fragte Dinah dumpf, und als niemand antwortete, sagte sie entschlossen: »Ich friere, ich gehe erst mal heiß baden.«
Die Klingel an der Eingangstür wimmerte. Sie wimmert immer, sie klingelt nie. Thomas Schwarz stand draußen. »Ich habe das Gewehr«, meldete er knapp, »es war ganz einfach. Es war in der rechten Hälfte der Scheune vergraben. Aber höchstens handtief. Es ist im Kofferraum, eingewickelt in eine Plastikfolie.«
»Das ist sehr gut«, sagte ich. »Hat dich jemand gesehen?«
»Vermutlich nicht. Munition war auch dabei. Sechs Schachteln, jeweils vierzehn Posten mit einer Ladung von je achtzig Gramm. Gewaltige Dinger.«
»Hol es rein«, meinte ich und erzählte: »Der Fall scheint zu Ende zu sein. Jemand hat mit einer Nadel in unseren Luftballon gestochen. Jetzt ist er geplatzt.«
Thomas starrte mich etwas verunsichert an, erwiderte aber nichts. Er ging zu seinem Auto und holte die lange Plastikhülle heraus. »Hat etwa jemand gestanden?«
»Ja.«
»Und? Taugt das Geständnis etwas?«
»Wahrscheinlich. Aber die dicken Fische gehen dabei nicht ins Netz.«
»So ist es doch immer«, murmelte er. »Was wundert dich das?«
»Ich glaube an Gerechtigkeit«, behauptete ich, aber ich kam mir dümmlich vor.
Rodenstock begutachtete die Schrotflinte. »Hat Mehren einen Jagdschein?«
»Weiß ich nicht«, sagte ich. »Die Bauern haben fast alle Gewehre, und niemand hat einen Jagdschein. Das ist hier so, und keiner regt sich darüber auf.«
»Wen wollte Ole töten?« fragte Rodenstock.
»Wahrscheinlich van Straaten«, antwortete ich. »Weil er mit Betty schlief.« Ich sagte das so dahin, und plötzlich wurde mir bewußt, daß das durchaus die Wahrheit sein konnte.
»Und warum schlief sie mit van Straaten?« fragte er weiter.
»Um ihre Liebe zu retten, sagt Dinah.«
»Ist völlig verrückt«, nickte er. »Könnte aber sein.«
Die Türglocke wimmerte wieder, und ich war erleichtert, daß ich aufstehen und verschwinden konnte. Diesmal war es Emma, die mit roter Erkältungsnase in einem viel zu vornehmen Outfit im Schnee stand und etwas verlegen griente.
»Heh«, grüßte ich. »Endlich mal ein richtig schöner Besuch. Komm rein.« Ich marschierte vor ihr her in die Küche und sagte wie ein Zeremonienmeister: »Die niederländische Abordnung.«
»Ach, wie?« stammelte Rodenstock sehr laut, dann wurde er rot.
»Wir gehen besser rüber ins Arbeitszimmer«, meinte ich und lotste Thomas Schwarz aus der Gefahrenzone.
»Warum sind die beiden denn getötet worden?« fragte er.
»Weil sie angeblich einer Kölner Dealergruppe Kunden abgenommen haben. Aber das ist reine Idiotie, das ist nie passiert. Es wird nur schwierig sein, etwas anderes zu beweisen. Wie geht es deiner Uli?«
»Sie hat sich entschlossen, eine wirkliche Grippe zu kriegen und liegt flach. Deshalb muß ich auch jetzt nach Hause.«
»Dann grüß schön«, sagte ich, »und knutsch sie von mir. Und danke für deine Hilfe.«
»Was tut man nicht alles«, sagte er und machte sich davon.
Dinah hockte in dem fast kochenden Wasser und war hell entzückt, daß Emma eingetroffen war.
»Paß auf, das wird eine richtige Liebesgeschichte. Glaubst du, er wird nach Holland zu ihr ziehen? Oder zieht sie zu ihm an die Mosel?«
Ich wollte wütend werden, wollte losbrüllen, daß das doch jetzt wahrlich nicht unser Problem sei, aber dann mußte ich lachen. Dinah bat mich, ihr den Rücken zu waschen, was ich ausgiebig befolgte. Selbstverständlich nutzte sie meine unbegrenzte Hilfsbereitschaft aus und schlug gleich darauf andere Flächen zur Säuberung vor. Ich zierte mich nicht.
Später fragte sie mich, ob ich denn für die nahe Zukunft einen Plan hätte, und ich antwortete, alles sei kinderleicht. Wir brauchten lediglich zu beweisen, daß Kremers gelogen und betrogen habe und daß hinter allem der Holländer Jörn van Straaten stecke. »Du mußt zugeben, daß das eine lächerlich einfache Übung ist.«
Irgendwann tauchten wir auch wieder in meiner Küche auf und husteten ostentativ, weil Rodenstock mindestens drei seiner fürchterlich schwarzen Brasil geraucht hatte und Emma wohl pausenlos mit Zigarillos dagegengehalten hatte. Sie machten beide einen sehr ernsten Eindruck und bemühten sich, uns nicht anzusehen.
»Ich möchte diesen Jimmy aus Dreis befragen«, erklärte ich, nur um etwas zu sagen. »Er war auch bei Jörn van Straaten.«
»Und ich werde die Eltern Sandner aufsuchen«, murmelte Dinah. »Ich muß einfach mehr über Betty in Erfahrung bringen.«
»Habt ihr Fotos hier?« fragte Emma und schien gewillt, ihre eigene kleine Welt vorübergehend zu verlassen.
»Selbstverständlich«, sagte Dinah und holte das Album, das Gerlinde Prümmer uns mitgegeben hatte.
Emma betrachtete die Bilder. »Hübsch und zweifelsfrei etwas vulgär. Wahrscheinlich im Bett ein Geschoß, oder?«
»Das denke ich auch«, nickte Rodenstock.
»Aber auch unbedingt ein Kumpeltyp und sicherlich immer loyal«, setzte Emma nachdenklich hinzu.
»Was machen wir nun?« fragte Rodenstock.
»Wir müßten wissen, wo Dieter Kremers ein Konto hat, wo er wohnt, wie er das Grundstück bezahlt hat, wie er den Bau bezahlen will. Und dann gibt es doch noch eine sehr dunkle Figur. Erinnert ihr euch, daß Mehren erzählte, Kremers sei einmal in Begleitung eines jungen Mannes erschienen? Eines Mannes, der ein Auto mit Münchner Kennzeichen fuhr. Wer war der Mann?«
Rodenstock seufzte tief auf. »Das ist ein lächerliches Pensum«, entschied er dann. »Das mache ich morgens vor dem Frühstück.«
Wir lachten pflichtschuldig und trollten uns. Dinah fuhr nach Junkerath, ich nach Dreis.
An der Kreuzung von der B 421 und der B 410 stand zwischen dem Holzschnitzer und den Vulkan-Stuben eine Telefonzelle. Ich rief Jan Meiler an und erwischte eine dröhnende, unfreundliche Männerstimme.
»Ich hätte gern den Jan«, sagte ich.
»Wer ist denn da?«
»Ein Freund.«
Nach einer Weile tönte eine muntere jugendliche Stimme aus der Muschel. »Ja, wer ist dort?«
»Wir kennen uns nicht, wir sollten das aber schnell nachholen. Mein Name ist Siggi Baumeister. Ich bin an der Telefonzelle unten an der Kreuzung. Können Sie kommen?«
»Wieso sollte ich?«
»Ich möchte mit Ihnen über Jörn van Straaten sprechen. Und kommen Sie jetzt nicht auf die Idee, ihn anzurufen. Das wäre dumm.«
»Ich komme«, sagte er. »Wie erkenne ich Sie?«
Ich mußte lachen. »Die Eifel verfügt über die menschenleersten Kreuzungen Deutschlands. Ich bin hier der einzige weit und breit. Drei Minuten, länger warte ich nicht.«
Er brauchte etwa neunzig Sekunden, und das erste, was er sagte, war: »Aber Bargeld ist bei mir nicht zu holen.«
»Wahrscheinlich glaubt Ihr Vater, Sie jobben viel. Und wahrscheinlich glaubt er, Sie finanzieren damit den BMW. Wir beide wissen, daß das nicht so ist, wir beide wissen, daß Sie den Wagen mit Drogen finanzieren, nicht wahr?«
»Wer erzählt denn sowas?«
»Mario zum Beispiel«, entgegnete ich knapp. »Nein, nein, er hat Sie nicht verpfiffen. Er hat einen Fuß verloren, weil ein Dealer ihn umlegen wollte. Ich weiß, daß Sie Ole und Betty aus Jünkerath beerbt haben, ich weiß, daß Sie hier jetzt die Nummer eins sind ...«
»Moment mal«, unterbrach er hastig und verlor seine gesunde Gesichtsfarbe. »Wieso hat Mario einen Fuß verloren?«
»Er sollte getötet werden«, sagte ich. »Also, Sie sind jetzt die Nummer eins. Und ich will wissen, seit wann?« Ich holte das Foto aus der Innentasche und hielt es ihm hin. »Sie müssen erst gar nicht nach Ausreden suchen. Ich habe das Datum und die Uhrzeit. Sie waren eine Woche vor Weihnachten um 15 Uhr bei Jörn van Straaten. Sind Sie seitdem die Nummer eins?«
Er antwortete lange Zeit nicht, er lehnte sich an seinen BMW und bedachte alles. »Er hat mich erpreßt«, sagte er schließlich. »Er wußte, daß ich Hasch aus Holland hole, um den Wagen und den Sprit zu finanzieren. Van Straaten hat mich erpreßt, daß ich es mache.«
»Sie sind geldgeil«, widersprach ich. »Sie brauchte er nicht zu erpressen.«
»Es war aber so«, meinte er, ein wenig nörgelnd.
»Sie versorgen also hier die Vulkaneifel? Und wahrscheinlich auch Maria-Laach, Mendig und Mayen?«
Er nickte. »Hören Sie mal. Ich mache den Kronzeugen, wenn es sein muß.«
»Jemand wie van Straaten würde nie jemanden erpressen, mit Stoffen zu dealen«, sagte ich trocken. »Er braucht geldgeile Leute wie Sie. Ich würde Ihnen dringend raten, auf Tauchstation zu gehen. Das wird ungemütlich werden« Ich ging zu meinem Wagen und fuhr los.
Jan Melier sah nicht sonderlich helle aus, wie er da vor seinem Lieblingsspielzeug stand und mir nachblickte.
Als ich heimkam, befand sich Rodenstock mit Emma in meinem Bauerngarten, hatte den Arm um ihre Schulter gelegt und erzählte etwas. Es mußte Liebe sein, denn es waren zehn Grad minus. Ich kochte erst einmal einen Tee und machte mir ein Brot. Dann hockte ich mich auf das Sofa und zappte durch die Fernsehprogramme, um irgendwo Nachrichten zu erwischen. Die Katzen gesellten sich zu mir, und wir ließen uns berieseln. Ich fühlte zufrieden, wie ich langsam müde wurde. Ich hatte das Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Emma und Rodenstock kehrten aus der Kälte zurück. Rodenstock sagte: »Meine internationale Emma hat herausgefunden, daß Kremers ein Konto bei der Kreissparkasse und eines bei der Volksbank in Daun hat. Außerdem besitzt er noch eins in Luxemburg bei der gleichnamigen Bank. Wir haben also die Wahl, aber ich denke, wir werden sowieso nichts erfahren. Wir sollten dagegen den reichen Mann in Gerolstein aufsuchen. Und zwar jetzt.«
»Du sagst es«, nickte ich.
Emma meinte, sie müsse etwas für ihre Schönheit tun und schlafen, baden, sich ölen und prächtig duften. Und es wäre lieb von uns, wenn wir uns vom Acker machen würden, um sie endlich einmal allein zu lassen, wonach sie sich seit Stunden sehne.
Also fuhr ich allein mit Rodenstock, der ausgesprochen gelassen und zufrieden wirkte.
»Ziehst du nun nach Holland oder sie an die Mosel?«
»Weder noch«, sagte er. »Wir haben Zeit, wir müssen so etwas nicht sofort entscheiden. Sie will sich nicht pensionieren lassen, sagt sie. Der Beruf macht ihr noch Spaß.«
»Das ist sehr gut«, nickte ich.
Die Adresse des reichen Mannes in Gerolstein konnte jeder herbeten, der sich auf der Straße bewegte. Wir fuhren nach Müllenborn und Scheuern hoch und erwischten gleich nach dem REW eine kleine Straße nach rechts. Es war ein entzückendes Anwesen, hatte sicherlich nicht mehr als etwa zwanzig Zimmer, alles ebenerdig und geschmacklos weiß verklinkert. Der reiche Mann hatte eine Videoüberwachung installieren lassen, und zudem kamen zwei Hunde angetobt, die die Größe von Islandponies hatten und ungefähr so niedlich wirkten wie angreifende Kobras.
»Baumeister und Rodenstock«, meldete ich in das Mikrofon neben der Klingel. »Wir möchten gern den Hausherrn sprechen.«
»Worum, bitte, geht es denn?« antwortete eine quäkende weibliche Stimme »Um seinen Sohn«, sagte ich.
»Oh, Moment mal.« Gleich darauf wurde der Türöffner gedrückt.
Der Mann sah ohne Zweifel beeindruckend aus, wie er da hinter einem mächtigen Schreibtisch hockte und uns anlächelte. Er war weißhaarig und hatte einen großen Schädel mit einem offenen, sympathischen Gesicht. »Setzen Sie sich. Was kann ich für Sie tun?«
»Das wissen wir noch nicht genau«, entgegnete Rodenstock freundlich. »Wir ermitteln privat in der Drogenszene. Uns ist zu Ohren gekommen, daß Sie dem Kriminalbeamten Dieter Kremers ein außerordentlich günstiges Grundstück verkauft haben.«
»Habe ich«, nickte er. »Kann jeder wissen, geht aber keinen was an.«
»Da soll schon gebaut werden«, sagte Rodenstock.
»Stimmt auch. Ist ein Bekannter von mir. Baut solide Häuser zu einem vorher fixierten Preis. Stellt das ganze Ding für dreihundertfünfzig hin. Außerordentlich günstig.«
»Wir nehmen an, daß Sie deshalb so günstige Konditionen einräumen konnten, weil Kremers sich intensiv um Ihren Sohn gekümmert hat.«
Der Mann war einen Augenblick lang überrascht, fing sich aber sofort wieder. »Das ist auch richtig. Ich hätte ihm die ganze Sache auch schenken können. Aber auch das geht niemanden was an.«
»Da mögen Sie recht haben«, murmelte Rodenstock. »Trotzdem interessiert es uns. Wir wollen wissen, wie Herr Kremers sein Haus bezahlte? Über die Bank oder bar oder mit einem Scheck?«
»In welcher Funktion sind Sie hier?« Er wurde mißtrauisch.
»Ich bin Journalist«, klärte ich ihn auf. »Ich kannte auch die Melanie.«
Er blinzelte. Das mußte er erst einordnen. »Nun wollen wir dem armen Kripomann doch das Häuschen lassen«, polterte er. »Mein Sohn hatte es mit Rauschgift, und Kremers war der Einzige, der ihm wirklich half. So einfach ist das.«
»Das glaube ich Ihnen«, sagte Rodenstock gelassen. »Wir wollen ja auch nur wissen, wie Kremers bezahlte.«
»Grundstück und Haus in bar. Hier auf diesen Tisch«, sagte er barsch. »Der Mann hat seine Sparkonten geplündert.«
»In deutscher Mark, holländischen Gulden oder in US-Dollar?« fragte Rodenstock.
»In deutscher Mark. Aber was soll das? Ist Kremers etwa nicht sauber?«
»Doch, doch«, gab Rodenstock hastig zurück. »Wie geht es Ihrem Sohn?«
»Er hat das Schwerste hinter sich«, sagte er.
»Sie sind sicher froh, daß die Melanie ...« Ich fragte nicht weiter, das war geschmacklos.
»Stimmt, ich bin froh. Hat sich rausgestellt, daß es Selbstmord war. Sie hat wohl verstanden, daß ihre Chancen gleich Null waren.«
»Das ist richtig«, nickte ich. »Das war es auch schon. Auf Wiedersehen.«
Plötzlich wurde er unsicher. »Habe ich etwa was Falsches gesagt?«
»Nicht im geringsten«, versicherte Rodenstock. »Nicht im geringsten.«