* Zehntes Kapitel

 

Um Zeit zu gewinnen, antwortete ich: »Also, wenn du mich persönlich fragst, ich glaube es nicht. Aber ich muß mit dir sowieso alles noch einmal in Ruhe durchgehen.«

  »Ja, sicher. Aber ihr müßt mir das bezahlen, wie es ausgemacht war.«

  »Selbstverständlich. Wie läuft es sonst so bei dir?«

  »Ich kann nicht klagen. Kneipenmäßig mache ich mit Trinkgeldern drei netto im Monat. Als du schöne Grüße von Carlo bestellt hast, dachte ich, mich rührt der Schlag. Ich dachte: Die haben getrickst. Der Carlo ist gar nicht tot, irgendwie abgetaucht. Der Axel ist doch ein Sauhund, der würde so was doch glatt fertigbringen.«

  »O ja«, lachte ich, »der ist wirklich ein Sauhund!«

  Sie war froh, von sich erzählen zu können. »Ich mache in der Wohnung noch so acht im Monat, wenn es gut läuft. In zwei Jahren lege ich dann die Kohle für die Kneipe glatt hin und kann pro Jahr sechs Wochen nach Formentera, aber vom Feinsten. Warst du dieses Jahr im Urlaub? Habt Ihr eigentlich Urlaub? So mit tariflichem Urlaubsgeld und so?«

  Ich murmelte etwas wie >kommt darauf an<, aber sie hörte gar nicht zu.

  »Mann, du, das hat mich echt umgehauen, als du da vorhin mit den Grüßen von Carlo kamst. Welche Dienststelle bist du? Die von Axel oder die von Jonny?«

  Es hatte wenig Sinn, nach der besten Lüge zu suchen. Kam ich nun vom Oberst Werner Bröder? Oder von dem schönen John Lennon? Ich sagte auf gut Glück: »Weder noch. Dir muß genügen, daß ich von den Amis bin. Du kannst dir ja wohl vorstellen, daß wir nach diesem Desaster alles noch mal überprüfen müssen. Aber am besten vergißt du auch das gleich wieder.«

  Sie lachte. »Bei euch muß man alles vergessen. Jonny hat nicht mal wissen wollen, bei wem ich die Waffe gekrallt habe, obwohl ich dafür eine Prämie bekommen habe.«

  »Bei wem denn?«

  »Bei Zuckermäuschen Heidemarie. Die hat das Ding noch von ihrem ersten Macker gehabt, der damit mal Kioske ausgenommen hat. Muß an die zehn Jahre her sein.«

  »Hauptsache, das Ding ist nicht eingerostet.«

  »Du bist echt cool. Komm mit, wir müssen hier rechts rein.« Sie bog in einen offenen Torweg ein, in dem es stockfinster war.

  Mir war ziemlich mulmig zumute, aber unbehelligt gelangten wir in einen alten, gepflasterten Hinterhof, dessen Rückfront von einem heruntergekommenen, zweistöckigen Lagerhaus begrenzt wurde. Zwischen den Stockwerken konnte man im Schein einer matten Außenlampe noch verwaschen weiß die Inschrift >Koks und Kohlen< lesen. Moni ging mit kleinen, zielstrebigen Schritten auf eine Eisentreppe zu und klapperte hinauf. Nichts wies darauf hin, daß hier ein Mensch wohnte.

  Sie schloß eine gutgeölte Eisentür auf und hinter mir wieder ab. Es ging in eine riesige Halle, in der absolut nichts war. In einer Ecke führte eine eiserne Wendeltreppe nach oben. Als wir hinaufstiegen, hallten unsere Schritte ungeheuer laut durch die leere Halle. Oben ließ sie mich vorgehen. Ich stand in einem sehr langen, spärlich erleuchteten Gang, von dem eine Reihe eisenbeschlagener Türen abgingen.

  »Willst du ins Studio oder in die Küche?«

  »Ins Studio«, entschied ich aufs Geratewohl.

  »Dritte rechts, warte, ich schließe auf. Dimmer sind links neben der Tür. Ich zieh' mir nur was anderes an. Getränke sind auf dem Barwagen.« Ihre Stimme war die einer Geschäftsfrau.

  »Wer ist denn auf die Idee gekommen, hier eine Wohnung einzurichten?« fragte ich verblüfft.

  »Jonny. Er sagte, erstens braucht eine Frau wie ich so was, und zweitens gibt es hier keine Neugierigen.« Sie strich an mir vorbei und verschwand.

  Ich öffnete die Tür, fand den Dimmer und drehte daran. Das Licht kam aus allen Richtungen, von oben, von unten, und strahlte farbig und indirekt. Direkt neben dem Dimmer hing in einem kleinen barocken Plastik-rähmchen ein Spruch von Tagore: >Ich schlief und träumte, das Leben wäre Freude. Ich erwachte und sah, das Leben ist Pflicht. Ich handelte, und siehe, die Pflicht war Freude.< Das ganze in alten gotischen Lettern.

  Die Einrichtung bestand aus einem großen, runden Bett, das vollkommen von einem Hirtenteppich bedeckt war, darüber hing an der Decke ein Spiegel, der genausogroß war wie das Bett. Dazu gab es drei rote, plüschbezogene Sessel, und an den Wänden waren Tüllgardinen kunstvoll drapiert, durch die hier und da kleine rote, blaue und grüne Spots stachen. In der Ecke zur Rechten gab es eine Vertiefung im Boden, zwei mal zwei Meter groß. Eine Badewanne, sogar mit Whirlpool. Mit dem Drehen des Dimmers hatte sich zugleich ein Bandgerät eingeschaltet. Mantovani klang auf, dann >Strangers in the Night<, dann ihre Stimme, die leise und aufreizend mahnte: »Entspanne dich, vergiß deine Familie, vergiß deinen Streß, deine Konten. Versuch einfach alles zu vergessen. Bei mir hier gibt es keinen Alltag.«

  Lautlos kam sie herein. Sie trug nichts als einen winzigen weißen Slip unter einem weißen Seidenmantel. Sie war sogar ausgesprochen schön ohne Schminke, ein Mensch zwischen Frau und Mädchen, wunderbar einfach