31

krieg.

am anfang scheint es, als sei der sieg allen sicher.


Es waren ein paar Tage vergangen, seit Menschen durch unser Fenster gegafft hatten, und bis heute war niemand mit Fackeln und Forken vor unserer Tür aufgetaucht, um Neel, mir oder uns beiden den Garaus zu machen, wie es den Monstern in den Märchen immer passierte.

Nur langsam gelang es mir, den Vorfall zu verdrängen. Ich wurde wieder mutiger, kontrollierte nicht jede Zimmerecke und den Platz unter dem Bett, wenn wir nach Hause kamen, und checkte beim Verlassen der Wohnung nicht die Straßen nach Angreifern.

Ich ging wieder jagen.

Neel hatte darauf bestanden, mir ein Geschenk zu machen. Es handelte sich um einen kurzen, solide gearbeiteten Bogen und einen Köcher voller Pfeile: dicke, die gut geschossen beinahe die Durchschlagskraft eines Armbrustbolzens entwickelten, sowie schnelle dünne, die ideal waren, um kleine Tiere zu erlegen, wenn man sie nicht zu Sauce verarbeiten wollte. Er hatte für die Waffe auch ein Versteck ausfindig gemacht in der Nähe des Tores, wo ich durch den Zaun entwischte, damit ich in der Stadt damit nicht gesehen wurde.

Ich brach am frühen Morgen noch im Dunkeln erwartungsfroh auf, um die beiden Sonnenstunden im Wald genießen zu können. Der Tag schälte sich behutsam aus einer Nacht, in der es noch einmal Frost gegeben hatte. Raureif schimmerte im Morgengrauen und versilberte die Bäume, und über den Boden kroch bleicher Nebel, der es mir verwehrte, meine Füße zu sehen.

Neel hatte in der Nacht kaum Schlaf gefunden. Dornige Gedanken hatten ihn gestichelt und wach gehalten, und obwohl sein lautes Denken auch mich oft geweckt hatte, fühlte ich mich ausgeschlafen und voller Energie. Mir war, als riefe der Tag nach mir, so wie ein Kind das andere ruft, um gemeinsam eine schöne Zeit zu verbringen: Joy! Komm raus, lass uns zusammen spielen!

Im Wald fand ich kleine blaue Rankenblumen, deren Namen ich nicht kannte. Sie schienen direkt aus dem Nebel herauszuwachsen, wie Blüten, die aus einer Wolke sprossen, und ähnelten ein wenig der wilden Malve. Ich beschloss, später ein paar zu pflücken, um sie in ein Glas zu stellen, damit unser Zuhause etwas hübscher aussah. Munter schritt ich aus und schob in meiner Fantasie ein Sträußchen blauer Blumen vom Tisch zum Schrank und vom Schrank zum Nachttisch.

Ich bewegte mich Richtung Bomberland, eine Wiese war mein Ziel, denn dort grasten mit etwas Glück Hirsche und Kaninchen. Im angrenzenden Unterholz hatte ich wenige Tage zuvor das gut genährte Rebhuhn geschossen, das inzwischen komplett verarbeitet war: Das Fleisch hatten wir gegessen, die Knochen zu Brühe verkocht, die Federn in ein altersschwaches Kissen gesteckt, die Krallen zu Nadeln verarbeitet und mit den Füßen und dem Kopf hatte Neel dafür gesorgt, dass der Hund seines Vorarbeiters ihn nicht mehr wütend anbellte, wann immer er ihn sah.

Dass ich nicht allein auf der Lichtung war, spürte ich sehr schnell. Wider meine sonstige Vorsicht trieb mich das Gefühl jedoch seltsamerweise an, statt mich verharren zu lassen. Hastig brach ich durch das Gebüsch.

Sie sahen mich im gleichen Moment, als ich sie erblickte. Und sie hatten mein Pferd.

Josh stand neben einem Motorrad. Etwas abseits Zacharias, Kendra auf dem alten Clanpferd und Jake. Und Matthial. Unter ihm mein Pferd und zu dessen Füßen sein treuer Hund Rick. Der Rüde war grau geworden, er erinnerte mehr denn je an einen Wolf.

Zwei weitere Männer und eine junge Frau traten hinzu. Ich kannte sie nicht, aber mich irritierten ihre Mienen. Da war kaum Interesse, keine Neugierde. Bloß Entschlossenheit, hart wie Stein.

Matthial und ich starrten uns an, warteten auf die erste Reaktion des anderen. Flucht? Angriff? Oder ein respektvolles Wort?

Da von ihm nichts kam, fühlte ich mich gezwungen zu handeln. Es passte mir nicht, dass er mich damit in die Enge trieb, aber vermutlich fühlte er genauso wie ich und mein Groll war unberechtigt.

»Ein schöner Tag!«, rief ich ihm daher zu, weil es das Unverbindlichste war, was mir einfiel. »Es sieht nach Sonne aus.«

Kendra verzog den Mund zu einem Lächeln, doch es wirkte eher, als fletschte sie die Zähne. »Sonne!«, rief sie, »begleitet meinen Weg, wenn ich mir hole, was mir zusteht. Der Feinde Blut.«

Mein Magen zog sich zusammen. Ich kannte diese Parole aus den Geschichten über den Blutsonnentag, den letzten versuchten Aufstand. Und nun fiel mir auch auf, dass ausnahmslos alle bewaffnet waren.

»Wohin reitest du, Matthial?« Ich sprach ganz bewusst nur ihn an, weil mich die Meinung der anderen überhaupt nichts anging. Ich konnte davon ausgehen, dass auch die drei Fremden sich seinem Clan angeschlossen und sich ihm untergeordnet hatten. Doch wieder war es Kendra, die mir Antwort gab.

»Hast du es denn noch nicht gehört, Joy? Wo lebst du nur, dass du nicht mitbekommst, wie sich die Clans verbrüdern?«

Die Clans hatten was? Ich sah von einem zum anderen und immer wieder zu Matthial. Niemand lachte. Niemand lamentierte.

Die Clans sollten sich verbrüdert haben ... Ich musste den Satz mehrmals lautlos wiederholen, ehe ich ihn begriff. Dann hüpfte plötzlich mein Magen und wurde gleichzeitig so schwer, als hätte ich eine Bleikugel verschluckt. Das also steckte hinter dem Gerede von einem Rebellenaufstand.

Wie sehr hätte ich mir früher eine solche Neuigkeit gewünscht! Aber früher ... da wollte ich auch kämpfen. Gegen die Percents. Ich hatte nichts sehnlicher erhofft.

Jetzt jagten mir meine eigenen Wunschvorstellungen Angst ein.

Und da war noch etwas, das mir bitter aufstieß. Warum, bei der Sonne noch mal, redete Kendra mit mir, wenn ich Matthial ansprach? Sah ich zu ihm, wandte er das Gesicht ab. So verhielt sich kein Clanführer! Was nur bedeuten konnte ...

»Kendra, führst du diesen Clan an?«

Ich hatte auf Gelächter und eine Richtigstellung spekuliert. Stattdessen richtete sie sich noch etwas weiter im Sattel auf. »So ist es.«

Matthial sah mich an, als wollte er sich bei mir entschuldigen. Ich schüttelte knapp den Kopf. Ich wollte ihn nicht verurteilen, ich wollte nur den Grund für diese Veränderungen wissen. Deutlicher als jemals zuvor merkte ich, wie scharf der Schnitt durch unsere Beziehung tatsächlich gewesen war. Diese Menschen, die mir hier gegenüberstanden und mich musterten - ihre Blicke über meinen Körper gleiten ließen auf der Suche nach Waffen -, waren einmal meine Freunde gewesen. Nun schätzten sie ab, ob ich ein Feind war. Das sollte eigentlich an mir abprallen, schließlich hatte ich sie verlassen, aber wider alle Vernunft tat es weh.

Zack kam ein paar vorsichtige Schritte auf mich zu. »Wir müssen dich das fragen, Joy: Was tust du hier? Im Clangebiet?«

Das letzte Wort machte mir eine Gefahr deutlich, die ich zuvor nicht bedacht hatte. Ich jagte in dem Wald, den sie seit Jahren als ihr Eigentum bezeichneten, und im Gegensatz zu früher gehörte ich inzwischen nicht mehr zu ihnen. Ich war Städterin geworden. Meine Marke, die unter der Kleidung an meiner schwitzigen Haut klebte, verbot mir, hier zu sein.

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich wandere.«

»Bewaffnet«, stellte Kendra fest.

Es war Matthial, der an meiner Stelle reagierte. »Natürlich bewaffnet, Kenny. Es gibt wilde Hunde in diesen Wäldern. Du solltest das wissen.«

Die Blicke, die die beiden tauschten, durchschaute ich nicht vollends. Da war Wut auf beiden Seiten, aber auch Vorsicht, diese nicht zu deutlich zu zeigen. Was immer zwischen ihnen stand, es schien einem Wespennest nicht ganz unähnlich.

»Gut«, sagte Kendra kühl. »Dann sollten wir ihr Zeit geben zu verschwinden.« Sie sah mich an und lächelte auf eine Art, die mir überhaupt nicht gefiel. »Lauf nach Hause, Stadtmädchen.« Ein scharfer Blick zu Matthial. »Schaff sie fort. Na los, mach schon!«

Was war nur vorgefallen, dass sie nicht nur mit mir derart abschätzig redete, sondern auch mit ihrem ehemaligen Clanführer? Ich straffte die Schultern.

»Joy«, säuselte Kendra. »Ich sage es nicht noch einmal.« Sie tat sehr beherrscht, als wäre ich ihr nur lästig, aber sie war eindeutig nervös. Mehr noch, sie hatte Angst. Ich war ihr bei irgendetwas Wichtigem massiv in die Quere gekommen.

»Wohin geht ihr?«, fragte ich. Es war höchst ungewöhnlich, dass sich der komplette Clan in unmittelbare Stadtnähe begab.

Kendra riss ihr Pferd herum, sodass es mir die andere Seite zuwandte. Und dann sah ich die Pistole in ihrer Hand. Sie richtete sie nicht direkt auf mich, hielt sie wie zufällig so, dass ich mich in Gefahr fühlte, ohne dass sie mich aktiv mit der Waffe bedrohte.

Ein heiseres Lachen presste sich ungewollt aus meiner Kehle. »Deshalb bist du Clanführerin? Weil du eine Pistole hast?« Ich konnte mir keinen anderen Grund vorstellen, aus dem ausgerechnet

Kendra sich in der Hierarchie aufschwang. Doch seit wann ließ sich Matthial derart die Butter vom Brot nehmen?

»Noch einmal, Matthial«, sagte Kendra leise, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Bring die Städterin hier fort. Sonst ist sie die Erste.«

Die Erste?

Die Erste.

Die Erkenntnis schlug ein wie ein Geschoss.

Die planten einen Angriff!

Einen Moment lang wusste ich nicht, wohin mit mir. Ich musste sie davon abhalten, das war Wahnsinn, das war ein Himmelfahrtskommando, das war absolut lebensmüde. Unsere Leben waren zu lange eng miteinander verbunden gewesen, um sie einfach in den Tod gehen zu lassen. Ich musste irgendetwas tun. Sie mochten Idioten sein - aber sie sollten nicht sterben!

Matthial stieg vom Pferd, gestikulierte mir, mit ihm zu kommen, und ich tat es unverzüglich. Er mochte hassverhärmt sein, aber immerhin war er noch vernünftig.

In der Ferne knallte es, Vögel flogen auf. Welcher Trottel jagte mit einer Pistole?

Wir liefen gemeinsam Richtung Stadt. Ich hätte den Weg selbst gefunden, aber offenbar musste Matthial dafür Sorge tragen, dass ich auch wirklich ging. Das Pferd hatte er zurückgelassen, doch sein alter Hund Rick begleitete uns. Er schien sich an mich zu erinnern, immer wieder stupste er mich mit seiner feuchten Nase an und sah von Matthial zu mir und wieder zurück. Ich streichelte sein drahtiges Fell, fand darin aber nicht die übliche Beruhigung.

Kaum dass wir außer Hörweite waren, brach es aus mir hervor: »Matthial!« Ich schrie ihn fast an. »Was geht hier vor? Seid ihr verrückt geworden?«

Er mied meinen Blick. Was war nur mit ihm los?

»Joy«, begann er zaghaft, doch dann folgte erneutes Schweigen. »Joy, du ... du solltest nicht in die Stadt zurückkehren.«

Ich blieb stehen, stemmte beide Hände in die Hüften und war versucht, mit dem Fuß aufzustampfen vor Wut.

»Joy, es -«

»Joy! Joy!«, äffte ich ihn nach. Mein Gesicht war ganz heiß vor Zorn, weil wir beide hier so erbärmlich vorgeführt wurden. »Was ist los?«

Nun sah er mich an und in seinem Blick fand ich die Antwort, noch bevor er sie aussprach. »Ich habe Angst.«

Meine Hände sanken an meinem Körper hinab, als zöge sie etwas nach unten. »Wovor?«

»Vor dem Krieg, Joy. Es gibt Krieg. Es gibt jetzt wahrhaftig Krieg.«

Ich zweifelte nicht an seinen Worten, ich war absolut überzeugt, dass er richtiglag. Ja, es würde Krieg geben. So vieles hatte darauf hingedeutet: die Gerüchte, die verunsicherten Percents, die ich belauscht hatte, und selbst Neels Schiff. Was mich erschreckte, war meine innere Ruhe. Ich verspürte, im Gegensatz zu Matthial, keine Angst. Beinahe war ich froh, dass das Warten nun ein Ende hatte. Wie kaltblütig ich geworden war. Oder war das der Soldat, dieser kleine, fremde Teil, der sich beim Training für das Chivvy in mich gebohrt hatte und den ich auch später nie losgeworden war?

Ich weiß nicht mehr, ob ich ihn bat, mir alles zu erzählen, oder ob Matthial es von sich aus tat. Zu Anfang ließ ich ihn nur sprechen, weil ich das Gefühl hatte, dass die Worte aus ihm herausmussten. Ich horchte auf, als der Name meiner ehemals besten Freundin fiel.

»Jamie sammelte Amber im Wald auf«, berichtete Matthial. »Ich habe sie kurze Zeit danach gesehen - und die darauffolgenden drei Tage keine Nacht geschlafen. Joy, etwas stimmte nicht mit ihr, sie war so ...«

»Verändert?«

Er nickte hastig. »Sie hat mich nicht einmal erkannt, sie sah durch mich hindurch, als wäre ich nicht da.«

Mein Bauch schmerzte, er stach bei jedem Schritt, als hätte ich einen Dolch im Magen. Widden hatte alles Menschliche in Amber gefressen wie ein Raubtier die Innereien seiner Beute und nur übrig gelassen, was ihn nicht interessierte. Eine Haut, die herumlief wie ein Mensch.

»Sie sieht niemanden. Jeder fühlt sich in ihrer Gegenwart wie Luft. Sie spricht mit keiner Seele außer Jamie. Ihm flüstert sie bei Nacht alles zu, was sie weiß - so heißt es. Und man sagt, sie weiß viel. Dinge, die sie sehr wertvoll machen.«

»Wertvoll?«

Matthial schluckte unbehaglich. »Jamie nennt sie seine Befreite Königin. Er hat ihr sein Pferd geschenkt, diese kohlschwarze Stute. In schwarzen Leinengewändern sitzt sie darauf und er, der Clanführer, führt das Pferd höchstpersönlich am Zügel. Es heißt, ihre Füße sollen den Boden nie mehr berühren, weil sie zu erhaben ist, um auf der gleichen Erde zu gehen, die auch Percents betreten.«

»Das ist ja krank.« Das stechende Gefühl in meinem Magen veränderte sich und wurde zu Übelkeit. Aus dem Dolch wurde eine labberige Masse, die an verdorbenes Fleisch erinnerte. Was mochte Amber wissen? Es musste etwas von enormer Bedeutung sein, wenn Jamie ein solches Theater inszenierte. Denn dass er diesen Unsinn selbst glaubte, schloss ich aus. »Er missbraucht Amber bloß, um seinen Anhängern ein dramatisches Schauspiel zu liefern. Es soll sie aus ihrer Monotonie herausholen und ihnen das Gefühl geben, Teil von etwas Besonderem zu sein.« Ich überlegte laut und Matthial widersprach mir nicht.

»Es wirkt«, sagte er leise. Er klang nun weniger nervös als mehr resigniert. Sein Hund drückte sich fest an sein Knie, als müsste er seinem Herrn eine Stütze sein. »Jamie ruft die Clans zu ihr, einen nach dem anderen. Seit Wochen empfangen sie Besucher, teils aus weiter Ferne. Einige kommen aus anderen Städten, weil sie von Ja-mies Befreiter Königin gehört haben. Er führt ihnen Amber vor und redet auf sie ein, während Amber durch alle hindurchsieht, als wären sie aus Glas. Und wenn sie wieder gehen, sind sie bereit, ihm in den Krieg zu folgen.«

Fassungslos blieb ich stehen. »Wie viele, Matthial?«

»Zwölf Clans«, sagte er, »als ich bei Jamie war und mein Clan sich für Jamies Krieg und gegen mich entschieden hat. Inzwischen werden es deutlich mehr sein.« Verbitterung mischte sich in seine Stimme, Rick reagierte darauf mit einem Winseln. »Die aktuellen Zahlen kennt nur Kendra. Sie hatte gerade erst das Kind verloren, als wir bei Jamie waren. Die Trauer hat sie aufgewirbelt wie einen Sturm. Sie wollte in diesen Krieg und der ganze Clan war sich einig, ihr zu folgen. Was ich dir garantieren kann: Mars ist an vorderster Front dabei.«

Das Bild meiner friedliebenden Schwester Penny, ausgerüstet mit Waffen, zuckte durch meinen Geist, verschwamm aber schnell wieder. Penny war keine Kämpferin und Mars war alles, aber nicht blöd. Er wusste, dass sein Clan junge Frauen brauchte, um langfristig zu überleben. Er würde sie nicht in den Krieg ziehen lassen.

Aber ein Dutzend Clans!

Ich versuchte mir vorzustellen, wie viele Menschen - Kämpfer -das bedeuten könnte. Es gab Clans wie Matthials, die aus einer Handvoll Leuten bestanden. Aber andere, die weiter von den Städten entfernt lebten, waren größeren Dörfern gleich.

»Egal wie viele ihr seid«, entgegnete ich, »ihr habt keine realistische Chance. Das muss euch doch bewusst sein? Matthial, die Percents verfügen über weitaus bessere Waffen!«

Er schüttelte den Kopf. »Verfügten.« Er sah zum Himmel, vermutlich schätzte er die Zeit an der Sonne ab. Noch etwa eine Stunde blieb, ehe Dark Canopy eingeschaltet wurde. »In diesem Augenblick bricht der Clan der Waldleute gewaltsam durch den Zaun. Sie wissen, wo die Waffenlager sind. Und sie holen sich alles, was sie dort finden.«

Ich starrte ihn an. Schloss die Augen und dachte, wie leicht das Leben sein könnte, wenn das alles hier nur ein Traum wäre. Doch als ich die Lider wieder öffnete, stand Matthial immer noch vor mir. Sein Gesicht war blasser als zuvor. Und mir kam die schreckliche Einsicht, dass er vermutlich einer der wenigen Rebellen war, die Angst vor dem Tod hatten.

»Das gibt ein Gemetzel.« Ich weiß nicht, wer von uns es aussprach, aber das tat auch nichts zur Sache.

»Wann finden die Angriffe statt?«

Matthial breitete die Arme aus. »Jamie sagte, wir sollten uns bereithalten und würden es wissen, wenn es so weit ist.«

Ich biss mir auf die Lippe. Das klang nicht gut. Ich wusste nicht, wie viel Zeit ich noch hatte. Ich wusste nur eins: Es war zu wenig, um all die zu warnen, die eine Warnung verdient hatten.

Ich streichelte Ricks Rücken, nahm mir einen Moment, um ihn hinter den Ohren zu kraulen, was er schon als Welpe so geliebt hat-

»Wenn ich dich bitte, nicht in den Kampf zu ziehen«, murmelte ich an den Hund gewandt, obwohl ich natürlich Matthial meinte, »würdest du mir diesen Gefallen tun?« Was auch immer in den letzten Monaten geschehen war, ich konnte den Gedanken, ihm als Feind gegenüberzutreten, nicht ertragen.

»Dann würde ich alles verlieren«, erwiderte er leise. »Alles. Egal wie es ausgeht.«

Da lag er nicht ganz falsch. Er würde seinem Clan und seinen Freunden die Treue brechen. Matthial konnte schlecht loslassen, und was er gar nicht konnte, war, allein zu sein. Ich musste lächeln und gleichzeitig stiegen mir Tränen in die Augen, als ich mich daran erinnerte, wie er mich bei Gewitter immer gebeten hatte, bei ihm zu schlafen. Wasser rann über meine Wangen und tropfte in Ricks Fell.

»Dann versprich mir, dass du vorsichtig sein wirst.«

»Immer. Du kennst mich.«

»Und halt dich von denen fern, die mir lieb sind. Sonst ...« Ich ließ den Satz unvollendet, er verstand ihn trotzdem.

Als ich Rick ein letztes Mal kraulte, schleckte er mir eine Träne aus dem Gesicht. »Pass auf Matthial auf, mein Guter. Pass auf, dass er sich an die Abmachung hält.« Die Abmachung, die ich für ihn getroffen hatte.

Dann wandte ich mich ab und rannte los.

Rannte gegen die Zeit.