5
Craig blickte aus dem Bürofenster. Draußen war alles in Wärme und Sonnenlicht getaucht. Er gähnte.
«Was ist los?» fragte Miller. «Überarbeitet?»
«Und unterbezahlt.»
«Schreib einen Brief an die Leute mit dem Silber an der Mütze. Die sind irrsinnig interessiert, die Gedanken eines unterbezahlten Polizisten zu erfahren.»
Craig wunderte sich nicht mehr über Millers ständige Frotzeleien gegenüber seinen Vorgesetzten. Er glaubte auch nicht, daß er nur Spaß machte, wenn er Witze über sie riß. Miller war starrköpfig und verbohrt und ließ kein gutes Haar an ihnen. Es war erstaunlich, daß er damit immerhin bis zum Sergeanten avanciert war. Er verachtete seine Vorgesetzten, und wo sich nur eine Gelegenheit bot, zog er gegen sie vom Leder. Ständig war er bemüht, die Uhr zurückzudrehen zu den guten alten Zeiten, als die Polizei mit Prügel der Gerechtigkeit vorgreifen durfte.
«Wann fährst du in Urlaub?» fragte Miller nach einer Pause.
«Mein Inspektor hat mir versprochen, ich könnte ihn nehmen, sobald wir hier eingerichtet sind.»
«Eher lernt eine Sau das Fliegen.»
Craig war geneigt, diesmal dem Millerschen Pessimismus zuzustimmen. Urlaub von Polizisten war so eine Sache, die großartig auf dem Papier aussah, aber nur selten den Schritt zur Realität überlebte.
Das Telefon läutete. Miller nahm den Hörer ab, lauschte einige Sekunden, dankte und legte wieder auf.
«Ein gepanzerter Geldtransporter mit dreißigtausend Pfund ist überfällig», sagte er.
«Und niemand hat ihn gesehen?»
«Scheint so.»
«So was kann sich doch nicht in Luft auflösen.»
Miller lehnte sich zurück und sagte nachdenklich: «Dreißigtausend Piepen! Was könnte man damit nicht alles anfangen. Ich könnte mit der Missus auf den Kanarischen Inseln leben, wie wir es uns immer gewünscht haben.»
«Schöner Traum. Bis jetzt habe ich noch nie von einem Polizeibeamten gehört, der reich in den Ruhestand getreten ist.»
Miller zuckte mit den Schultern. Ein oder zwei Kollegen, glücklicherweise nicht mehr, hatten sich mit mehr Geld zur Ruhe gesetzt, als sie in ihrem ganzen Leben verdient hatten. Einen von ihnen hatte er sogar gekannt. Doch Craig würde es nie für möglich halten, daß ein Polizist seine Uniform beschmutzte. Craig war ein netter, freundlicher Bursche, der von der Polizeikadettenschule kam und in den vier Jahren praktischem Einsatz niemals seine Nase in den tiefsten Schmutz zu stecken brauchte. Wahrscheinlich wollten sie ihn deswegen nach Bramshill schicken und später auf die Akademie. Diese neumodische Einstellung war naiv genug, zu erwarten, daß ein Dienstrang die beste Waffe sei, um Verbrecher zu jagen.
Das Büro von Radamski war groß, hell und luftig, und es war mit komfortablen, eleganten Möbeln ausgestattet.
Er saß hinter dem breiten Schreibtisch und besah sich das Bild seiner Frau, das gerahmt auf der blanken Platte stand. Sie war noch immer schön. Das Schicksal war freundlich gewesen und hatte ihn mit einer glücklichen Ehe beschenkt, zwei gutgelungenen Kindern und mit einem Beruf, der ihm außerordentlich gefiel. Nach dem Kriege hatte er sich bemüht, bei der Armee zu bleiben, das Leben dort sagte ihm zu, doch sein Gesuch war abgelehnt worden. Für kurze Zeit hatte es ausgesehen, als sei er ein alter viereckiger Nagel in einer Welt voll runder Löcher. Doch dann mobilisierte er alte Beziehungen und bekam eine Anstellung als Polizeichef, kurz bevor das Innenministerium einen Erlaß herausbrachte, daß kein Polizeifremder einen derartigen Posten bekleiden dürfe. Er wurde Polizeichef einer kleinen, unfähigen Grenzeinheit. Doch als er versetzt wurde, hatte er die Moral und den Ruf dieser Einheit wesentlich gehoben.
Nun saß er auf einem der lukrativsten Sessel, die ein Polizeichef einnehmen konnte, mit einem jährlichen Gehalt von viertausendzweihundertfünfzig Pfund. Für dieses Geld hatte er den Polizeiapparat zu leiten. Und er gab sich Mühe. Es war nicht übertrieben, wenn man sagte, daß er ein guter Polizeichef war. Er hatte es sogar verstanden, sich auf Breen einzustellen. Breen wußte genau, was er wollte, und er setzte auch alles mit Hilfe irgendwelcher demokratischen Einrichtungen durch. Doch eins mußte man ihm lassen, ihn beseelte nicht der Wunsch, des Diktators Macht zu erlangen, um der Macht willen. Alle seine Aktionen rührten von einer tiefen Liebe zu seiner Heimatstadt her. Er wußte genau, was das Beste war für Frindhurst und die Menschen, die hier lebten. Seltsamerweise hatte er meistens sogar recht und irrte sich nur selten.
Radamski erinnerte sich an Breens heftige Reaktion auf die R.C.S. Viele wichtige Leute propagierten sie und wiesen darauf hin, um wieviel wirksamer eine derartige Regionalpolizei arbeiten könnte, obwohl das natürlich der erste Schritt zur nationalen Polizeimacht war.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine Gedanken.
«Herein», rief Radamski.
Superintendent Fingle trat ein. «Verzeihen Sie die Störung, Sir. Wir haben einen Bericht, daß ein gesicherter Geldtransport mit dreißigtausend Pfund vermißt wird.»
«Ist das alles, was wir bis jetzt wissen?»
«Ja, Sir.»
«Der Panzerwagen ist doch sicher mit Funk ausgerüstet?»
«Natürlich, Sir. Ich war im Hauptbüro der Firma, die haben festgestellt, daß heute vormittag der Funkverkehr wegen atmosphärischer Störungen unterbrochen war. Der Panzerwagen hat durch Funkspruch berichtet, daß das Geld in der High Street ordnungsgemäß abgeholt wurde, und seither schweigt er und ist auch nicht angekommen. Jeder Versuch, eine Verbindung über Funk herzustellen, blieb ohne Erfolg.»
«Haben unsere Funkstreifen diese Störung auch gemeldet?»
«Nur eine, Sir. Aber sie war nicht stark genug, um den Funkverkehr zu behindern. Außerdem war der Wagen weit entfernt von der Route, die der Geldtransport fuhr.»
«Wissen Sie, ob diese Störungen in die Zeit fallen, in der der Panzerwagen unterwegs war?»
«Ja, Sir, das stimmt. Ich habe Großalarm gegeben, und ein Wagen fährt gerade die ganze Strecke ab.»
«Vielen Dank für die Information. Melden Sie mir bitte den Fortgang sämtlicher Ermittlungen in dieser Sache.»
Um drei Uhr fünfunddreißig rief man Miller und Craig zu der alten Ziegelei, wo die Streife den ausgeraubten Panzerwagen gefunden hatte. Sie fuhren in dem uralten, klapperigen Humber, den man ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Die Verantwortlichen der Stadtpolizei waren bis jetzt noch nicht in der Lage gewesen, ihnen auch nur annähernd die Ausrüstung zu liefern, die sie für ihre Arbeit unbedingt brauchten.
Drei Polizeiwagen standen in der kleinen Gasse, ein uniformierter Polizist bewachte sie. Er dirigierte sie auf den kleinen Parkplatz, nachdem sie sich ausgewiesen hatten.
Chefinspektor Barnard, der noch griesgrämiger aussah als üblich, winkte sie heran und sagte knapp: «Sie arbeiten mit den anderen. Und verschwinden Sie nicht, ohne mir zu berichten.»
«Jawohl, Sir», sagte Miller.
«In Ordnung, gehen Sie an die Arbeit.»
Sie machten kehrt und trennten sich. Craig wandte sich einer Gruppe von Männern zu, die nach bewährtem Muster systematisch nach Spuren suchten.
Es war heiß, staubig, und die Arbeit war langweilig und anstrengend. Die Sonne brannte auf die Männer herunter, und obwohl sie alle ihre Jacken ausgezogen hatten, lief ihnen der Schweiß in Strömen über Gesicht und Rücken.
In langer Reihe schoben sie sich langsam von einem der rechteckigen Brennöfen zum nächsten. Jeder Zentimeter Boden mußte genau abgesucht werden, ob die Räuber nicht doch eine kleine Spur hinterlassen hatten. Dann und wann, wenn er etwas gefunden hatte, rief einer der Männer den Inspektor oder Chefinspektor herbei. Bestand auch nur die geringste Möglichkeit, daß solch ein Fund mit dem Überfall in Zusammenhang stehen konnte, wurde er fotografiert, nachgemessen, vorsichtig eingewickelt und zu einem Wagen geschafft, der als Operationswagen diente. Zwei Detektive untersuchten Geldtransporter und Lieferwagen Millimeter um Millimeter nach Fingerabdrücken.
Nach einer Dreiviertelstunde mühsamer und ergebnisloser Arbeit gelangte Craig an einen kleinen, von strohfarbenem Gras überwucherten Ziegelhaufen. Er schob das Gras mit einem Stock beiseite und untersuchte jedes Fleckchen. Ein Stein fiel ihm auf, er war angekratzt und unterschied sich in der Farbe von den anderen. Craig kniete nieder und besah ihn sich genauer.
«Ist was?» fragte jemand hinter ihm.
Craig sah auf und erkannte den Detektivinspektor. «Ich weiß noch nicht, Sir. Dieser Stein hier ist kürzlich von etwas getroffen worden.»
Der Inspektor kniete sich neben Craig nieder und betrachtete den Stein genauer. «Wir sind ein ziemliches Stück entfernt vom Tatort», sagte er zweifelnd.
«Der Kratzer ist ungefähr in der Höhe, wo ihn ein Auto hinterlassen könnte», meinte Craig.
«Stimmt. Jemand hat einen Wagen gewendet und die Steine unter dem Gras erst bemerkt, als er daranstieß.»
Der Inspektor erhob sich und musterte das Gelände. «Es ist durchaus möglich, daß sie hier ihren Fluchtwagen stehen hatten.» Langsam ging er weiter, doch schon nach wenigen Schritten blieb er stehen. «Smith!» rief er.
Ein uniformierter Polizist vom Operationswagen blickte auf.
«Schellack!» rief der Inspektor, und der Mann verschwand im Wagen. Gleich darauf erschien er mit einer kleinen Kanne. Der Inspektor besprühte eine Fläche auf dem Boden, betrachtete sein Werk von allen Seiten und rief nach dem Fotografen. Der Polizist kennzeichnete den Fundort mit weißer Farbe.
Craig sah den Inspektor fragend an, und der antwortete: «Ein Reifenabdruck. Leider arg verwischt, doch eine kleine Vertiefung ist noch zu erkennen. Vielleicht kann das Labor was damit anfangen. Wollen doch mal sehen, ob wir hier noch mehr finden.»
Gewissenhaft untersuchten sie jeden Millimeter Gras und Stein, wobei Craig einen winzigen Splitter cremefarbenen Lack fand. Er hatte die Form eines kleinen Sternes und einen Durchmesser von wenigen Millimetern.
Der Inspektor rief den Fotografen Harrolds, der murrte, daß selbst ein überarbeiteter Polizist nur eine Arbeit auf einmal machen könne. Er verließ jedoch die Reifenspur und kam herüber.
Der Inspektor schob das Gras zur Seite und fragte: «Sehen Sie das kleine Farbteilchen?» Harrolds nickte. «Machen Sie eine Aufnahme von ganz nahe, und dann fotografieren Sie die ganze Stelle hier.»
«Das ist nicht so einfach.»
«Bei Ihnen ist nicht einmal das Atmen einfach», fauchte der Inspektor.
Harrolds grinste. Er hatte Humor, auch war er schon so lange bei der Polizei, daß er seine sämtlichen Vorgesetzten schon kannte, als sie ihre Absätze noch beim Streifendienst schieftraten.
Craig half Harrolds bei den Aufnahmen, und der Fotograf bewies, daß er ein Meister seines Faches war. Es dauerte mehr als eine halbe Stunde, bis ihn sein Werk befriedigte. Dann ging Craig zu dem Operationswagen, um einen Behälter für den Farbfleck zu holen.
In dem Wagen war es noch heißer, und die Luft war schlecht. Der schwitzende Funker hatte Schwierigkeiten, das Präsidium zu bewegen, bei der Post umgehend die Anlage eines Telefons zum Tatort zu erwirken.
Ein Polizist mit dunklen Schweißflecken auf dem Hemd fragte Craig nach seinen Wünschen.
«Ich brauche einen Behälter für ein Farbstückchen, den kleinsten, den Sie haben.»
Der Polizist reichte ihm aus einem Koffer eine kleine Plastikröhre. «Wenn möglich, das Etikett mit Tinte schreiben, Kumpel», sagte er.
«Wird gemacht», sagte Craig. «Gibt es irgendeinen Lichtblick?»
«In meinem Herzen ist tiefste Finsternis», antwortete der Polizist und wischte sich den Schweiß von der Stirn. «Ich habe hier zwei leere Gasbehälter – kein Fingerabdruck, zwei bleigefüllte Schläuche, einer blutbeschmiert – doch kein Fingerabdruck, einen Geräuschdämpfer aus Vulkanfiber – kein Fingerabdruck, eine Polizeiuniform – kein Fingerabdruck. Ich werde Ihnen was sagen, bis jetzt haben wir auch nicht so viel …» Er schwieg, als der Chefinspektor in den Wagen geklettert kam und sich erkundigte, ob die Telefonanlage nun endlich zustande kommen würde.
Craig ging zurück. Vorsichtig steckte er das Lacksplitterchen in die Röhre, verkorkte sie fest und reichte sie dem Inspektor, der Datum, Zeit und Ort des Fundes daraufschrieb und seinen Namen daruntersetzte.
Als Craig das Röhrchen im Operationswagen ablieferte, kam gerade ein Beamter und brachte die drei Verkehrsschilder, die die Gangster benutzt hatten.
»Nicht der winzigste Hinweis irgendwo», sagte er verbittert.
«Ich schätze, diesen Job haben armlose Affen gemacht.»
«Habt ihr was von den Männern in dem Kasten da gehört?» er deutete auf den Panzerwagen.
«Einer wird wohl gerade seine Sterbeurkunde beantragen, der zweite hat einen ziemlich ramponierten Schädel, und die anderen drei sind wieder bei Bewußtsein, doch sie husten sich die Lunge aus dem Leib.»
«Ja, ja – das Leben ist hart», sagte der Polizist.
Craig wandte sich ab, er war entsetzt, wie leichtfertig die Kollegen über die Verletzten sprachen. Konnten sie sich denn nicht vorstellen, wie die armen Kerle litten, die hier so blutig zusammengeschlagen worden waren? Er selbst empfand stets tiefes Mitgefühl mit den Opfern der Verbrechen. Das war gleichermaßen günstig und schlecht für seinen Beruf. Einesteils machte es ihm die langweiligste und aussichtsloseste Ermittlung leichter, weil er sich immer vor Augen hielt, daß der kleinste Hinweis den Opfern helfen würde. Auf der anderen Seite aber bedeutete es, daß er emotionell zu sehr beteiligt war, und das verwirrte unter Umständen den Blick.
Als ihm die Sonne wieder heiß ins Genick brannte, mußte er plötzlich an Daphne denken. Sie liebte die Sonne. Einmal hatte sie gescherzt, er solle sich doch ans Mittelmeer versetzen lassen, stehenden Fußes würde sie dann zu ihm kommen und bei ihm bleiben, ohne Rücksicht auf den Pfarrer. Sie drückte das so aus: Sonnenschein sei wertvoller und nützlicher als ihre Tugend. Im letzten Jahr waren sie zu einem kurzen Urlaub nach Devon gefahren, doch es hatte jeden Tag geregnet.
Er blieb stehen und betrachtete den Schauplatz des Überfalls, dessen rücksichtslose Brutalität er fast körperlich empfand. Männer hatten hier im Hinterhalt gelegen und unschuldige Menschen blutig zusammengeschlagen.
Craig ging zurück zu dem kleinen Ziegelhaufen und setzte die Suche fort. Er wußte zwar, daß hier bereits kontrolliert worden war, doch selbst ein Inspektor konnte etwas übersehen.
Miller ging den langen Krankenhauskorridor entlang, der übliche Geruch von Äther und Medikamenten legte sich ihm unangenehm auf den Magen. Krankheit machte einen Mann hilflos, er war nie hilflos gewesen in seinem Leben.
Der Portier hatte ihm das Zimmer genannt, in dem der arme McQueen lag. Er blieb einen Augenblick stehen, dann klopfte er leise. Eine Schwester in weißer Tracht öffnete ihm.
«Ich bin Detektivsergeant Miller. Können Sie mir bitte sagen, wie es Mr. McQueen geht?»
«Er ist noch immer bewußtlos. Morgen soll er operiert werden, die Ärzte wollen feststellen, wie weit sein Gehirn verletzt ist.» Sie sah ihn an. «Warum …», fragte sie mit heiserer Stimme, «warum waren sie so entsetzlich grausam?»
Er zuckte die Achseln.
«Er kann für sein Leben gelähmt bleiben. Vorhin war seine Frau hier. Eine nette Frau. Sie erzählte mir, daß sie zwei Kinder haben, das jüngste ist erst vier. Sie sparen jeden Pfennig für die Abzahlung der Hypothek. Sie hat Angst, daß er so schwer verletzt ist, daß die Firma ihn dann nicht mehr nimmt und sie in Rückstand mit den Hypotheken kommen.»
Er antwortete nicht. Diese Geschichten hatte er schon zu oft gehört. In diesem Beruf verbrachte man die meiste Zeit im Schatten von Tragödien.
«Sie sagten, er kann gelähmt bleiben? Wie sieht es denn wirklich aus?»
«Könnte kaum schlechter sein. Wissen Sie schon, wer es getan hat?»
«Noch nicht. Morgen wird wieder jemand vorbeikommen und nachfragen, ob er bei Bewußtsein ist.»
«Dafür besteht vor Montag kaum Hoffnung», sagte die Schwester.
Er bedankte sich und ging den langen Korridor zurück. Als er die Treppen hinunterstieg, begegnete ihm eine junge Frau. Ihr Gesicht war von tiefem Schmerz gezeichnet. Dieser Ausdruck verfolgte ihn noch lange, und er fragte sich, ob das vielleicht Mrs. McQueen gewesen war.
Haggard stieg aus dem Bett und blickte auf Florence hinab, die nackt auf den Kissen lag. Er war etwas irritiert von ihrem Verhalten. Eine Dirne mußte hart und kalt sein, wenn sie nicht vor die Hunde gehen wollte. Doch wenn sich so eine an einen Mann verlor, dann wurde sie weich und anschmiegsam. Vorausgesetzt, der Mann blieb hart genug. Eine Art Haßliebe, Auge um Auge, Zahn um Zahn und ständiger Catch-as-catch-can kennzeichnete eine solche Verbindung.
Es ärgerte ihn, wenn eine Dirne weich und zärtlich wurde. Doch falls sie sich nicht beugte, würde er sie zur Hölle und zurück boxen, um sie kleinzukriegen.
«Geh doch mit mir in The Smoke», bettelte sie.
«Ich hab’s dir doch schon tausendmal gesagt.»
«Warum? Warum tust du es nicht?»
Er wandte sich ab und zog sich an. Anfangs hatte er sich nur geweigert, um sie zu ärgern, doch sie quälte und quengelte so lange, bis es ihn wütend machte. Sie hatte ihren Körper eingesetzt, um ihn umzustimmen, er hatte zwar die Bestechung akzeptiert, doch war er nicht blöd genug, um wirklich darauf einzugehen. Als er sein Hemd überstreifte, beschloß er, sich in London eine Hure zu nehmen, eine von der vornehmen, teuren Sorte.
«Du gehst also doch zu einer anderen!» schrie Florence schrill, als könnte sie Gedanken lesen.
«Stimmt», sagte er.
Sie schimpfte, und er lächelte. Einer der wirklichen Genüsse eines Mannes war doch, an eine Frau zu denken, während eine andere bei einem war und nach Aufmerksamkeiten lechzte.
«Warum brauchst du eine andere?»
«Zur Abwechslung.»
«Biete ich dir nicht genug?»
«Du bist ganz ordentlich – für eine Anfängerin.» Er lachte. Nun spuckte sie wirklich Gift und Galle. Sie konnte einem wahrhaftig Unterricht im Fluchen geben. Selbst Messalina konnte noch von ihr lernen. Er öffnete den eingebauten Kleiderschrank und musterte die Reihe seiner neun Anzüge und vier Sportkombinationen. Was trägt der feine Mann in London? Sein Blick fiel auf den Anzug, den er heute morgen getragen hatte, und die Freude über den gelungenen Raubzug durchflutete ihn warm. Er entschied sich für einen grauen Anzug, den er für achtzig Pfund in London gekauft hatte. Es war der teuerste und eleganteste in seinem Schrank, ihn würde er anziehen.