18
Der blankpolierte Austin Westminster hielt vor dem Portal von Breens Haus, und Radamski kletterte heraus. Er dankte dem Fahrer und gab an, wann er wieder abgeholt zu werden wünschte, dann ging er in der ihm eigenen aufrechten Haltung auf die Tür zu und läutete. Während er wartete, fiel sein Blick auf einen nagelneuen Rolls-Royce, der in der Einfahrt parkte. Breen hatte die Mittel zu einem luxuriösen Leben, und er genoß das. Radamski hatte Verständnis dafür, nichts erschien ihm lächerlicher, als reich zu sein und genügsam zu leben.
Das deutsche Dienstmädchen öffnete ihm und wünschte ihm lächelnd einen guten Morgen. Wie üblich führte sie ihn ins Wohnzimmer, wo Breen und seine Frau den Gast erwarteten.
«Was trinken Sie, Charles?» fragte Breen. «Wie wäre es heute mal mit einem Polaris? Das ist Campari, Wermut, ein Schuß Weinbrand und Soda.»
«Ich kann es ja probieren», meinte Radamski lächelnd. «Meine Lebensversicherung ist in Ordnung.»
Während ihr Mann die Getränke mixte, unterhielt sich Vera Breen mit dem Gast über ein geplantes Blumenbeet.
Breen reichte die Getränke, die beiden Männer rauchten, und nach fünf Minuten verließ Vera sie, um nach dem Essen zu sehen.
«Es gibt Esculaps vom Kalb», sagte sie. «Ich hoffe, Sie mögen das, Charles?»
«Es ist mein Lieblingsessen.»
Sie lächelte ihm dankbar zu. «Das ist fein. Sie sagen wenigstens, was Sie mögen, anders als Reggi. Ich könnte ihm jeden Tag Würstchen und Kartoffelbrei vorsetzen, und er würde es nicht einmal merken.»
«Das ist doch alles Unsinn», sagte Breen leichthin. «Sie müssen wissen, Charles, das ist nur die Strafe dafür, daß ich vorige Woche gemeckert habe, weil etwas leicht angebrannt war.»
«Es war aber auch nicht ein bißchen angebrannt», protestierte Vera. «Ich werde demnächst wirklich etwas anbrennen lassen, damit du den Unterschied merkst.» Sie ging und schloß die Tür.
Breen lehnte sich in seinem Sessel zurück. «Nun, was gibt’s Neues, Charles?»
«Das Innenministerium hat mir einen Brief geschrieben.»
«Über die Gerichtsverhandlung?»
«Ja. Genauer gesagt, über alle drei Verhandlungen.»
«Na ja, das war doch zu erwarten, nicht?»
«Schon, aber nicht dieser Ton.» Radamski nahm den Brief aus der Brieftasche und reichte ihn Breen.
Breen las. «Ganz schön scharf», sagte er und trank aus.
«Wir haben ja schließlich unser Bestes getan.»
«Ihre Polizei tut immer ihr Bestes, Charles. Und wir vom Sicherheitsausschuß bemerken das sehr wohl. Vielleicht sollten wir vom Ausschuß einen entsprechenden Brief an das Ministerium schreiben, was meinen Sie?»
«Das wäre wirklich eine große Hilfe.»
«Und im übrigen auch eine gute Gelegenheit, einmal Ihre außerordentliche Tüchtigkeit herauszustreichen. Wir werden es nicht dulden, daß jetzt die gesamte Verantwortung an unserer Polizei hängenbleibt.» Er stand auf. «Darf ich nachschenken?»
«Vielen Dank. Es schmeckt ausgezeichnet.» Er reichte ihm sein Glas.
Breen schwieg, bis er wieder im Sessel saß. «Ich denke, wir sollten einmal kurz über die Zukunft sprechen, Charles. Sie haben natürlich umfangreiche Ermittlungen angestellt über die Möglichkeit, daß Haggard den Sergeant Miller fälschlich belasten wollte.»
«Ja, natürlich.»
«Die Aussage dieser Jones bei Haggards letzter Verhandlung hat klargestellt, was wirklich geschehen ist. In diesem Fall muß natürlich die Frindhurster Polizei Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die Unschuld von Sergeant Miller zu beweisen.»
«Da muß ich voll und ganz zustimmen.»
«Ich kenne Ihre Einstellung. Ich möchte es nicht dramatisieren, aber ich glaube doch, hier steht unsere gesamte Polizei vor den Schranken des Gerichts. Wenn wir die Unschuld Millers beweisen können, sind unsere Fahnen wieder rein. Wenn wir erst einmal herausgestellt haben, wie tüchtig wir sind, dann brauchen wir weder eine Verschmelzung mit der Landespolizei zu befürchten noch den Einfluß von R.C.S.»
«Wenn es nur menschenmöglich ist, werden wir das Beweismaterial beibringen.»
«Verstehen Sie mich richtig, Charles. Ich möchte, daß all jene, die so lauthals nach der Nationalpolizei schreien, einmal unsere Stadtpolizei in Aktion sehen. Sie sollen erkennen, welche unbezahlbare Kraft ihnen verlorenginge, die allein aus dem Lokalpatriotismus geboren wird.» Er hob sein Glas. «Lassen Sie uns auf den Erfolg trinken, Charles. Erfolg für alles, wofür wir kämpfen.»
Kriminalinspektor Everam war ein intelligenter, ehrgeiziger Mann, der genau wußte, bis wohin man gehen konnte. Eines Abends ging er mit seinem Sergeant zu dem Haus, wo Carpenter wohnte.
Carpenters Knopfaugen blickten von einem zum anderen, er konnte seine Nervosität nur mühsam verbergen. «Bitte, setzen Sie sich, meine Herren. Darf ich Ihnen ein Bier anbieten? Es ist heiß heute.»
Der Inspektor blieb stehen und sagte knapp: «Nichts.»
«Und der andere Herr?»
«Nichts, sagte ich.»
«Aber – macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mir eins hole?»
«Ich kann Sie nicht daran hindern.»
Carpenter verschwand und war schon eine halbe Minute später wieder zurück. Das Bierglas in seiner Hand zitterte.
«Setzen Sie sich lieber», sagte der Inspektor.
«Ja, natürlich, ich wollte nur sehen, ob Sie auch alles haben, was Sie brauchen.»
«Setzen Sie sich.»
Carpenter setzte sich.
Es war still. Carpenter trank hastig, etwas Bier lief ihm über das Kinn. Er rutschte unruhig auf dem Sessel hin und her und klopfte mit den Fingern nervös auf das rechte Knie.
Endlich hielt er es nicht mehr aus. «Was ist los?» fragte er.
«Was los ist?» Der Inspektor wiederholte den Satz mit Verachtung und Erstaunen in der Stimme.
«Wie soll ich das wissen?»
Jetzt mischte sich der Sergeant ein. Er war ganz ruhig und freundlich, genau das Gegenteil von seinem Vorgesetzten. «Aber das müssen Sie doch wissen», sagte er sanft.
«Aber warum?»
«Sie lesen doch Zeitung.»
«Nein. Ich meine, natürlich lese ich sie, aber es steht nichts drin, was mich angeht.»
«Haben Sie nicht den Bericht über die Verhandlung gegen Haggard gelesen?» fragte der Inspektor.
«Ich, das heißt – ja.»
«Die Frau schwört, daß die Beweise in der ersten Verhandlung gefälscht waren.»
«Das ist eine Lüge», sagte Carpenter heiser. «Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich habe den Handschuh wiedererkannt, ich habe ihn verkauft und …»
«Wissen Sie, wieviel auf Meineid steht?»
«Das geht mich nichts an.»
«Das geht Sie wohl etwas an. In Ihrem Laden wurde der Handschuh weder verkauft, noch hat Miller ihn jemals betreten.»
«Aber ich schwöre es.»
Der Inspektor gab keine Antwort, und wieder herrschte Schweigen. Carpenter trank sein Bier mit geräuschvollen Schlucken.
Jetzt griff der Sergeant ein. «Wir sind nur hier, um Ihnen zu helfen», sagte er in einem freundschaftlichen Von-Mann-zu-Mann-Ton.
«Ich brauche keine Hilfe.»
«Aber ja doch. Sehen Sie, es bleiben Ihnen zwei Möglichkeiten, jetzt, da die Wahrheit ans Licht gekommen ist. Sie können uns ganz schnell sagen, was damals wirklich los war, und uns damit die Möglichkeit geben, später ein gutes Wort für Sie einzulegen. Oder Sie können weiterlügen, bis Sie wegen Meineids und Beihilfe vor Gericht stehen.»
«Ich habe nicht …»
«Sie sind unerfahren in solchen Sachen, was? Sie haben ja keine Ahnung, wie ein richtiger Verbrecher wie Haggard so was anpackt. Wenn er in Schwierigkeiten ist, dann tut er alles, um wieder herauszukommen, und dazu gehört, daß er singen wird wie ein Kanarienvogel. Er wird jeden über Bord stoßen, jeden, wenn er nur hoffen kann, schön im trocknen zu bleiben. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Haggard nicht schon ausgepackt hat?»
«Er …» Carpenter mußte schlucken, seine Stimme gehorchte ihm nicht ganz. «Er hat nichts auszupacken, das mich beunruhigen könnte.»
Der Inspektor lachte sarkastisch.
«Wir wollen Ihnen wirklich nur helfen», sagte der Sergeant vorwurfsvoll.
«Aber es betrifft mich nicht. Ich schwöre es.»
Der Inspektor ging zur Tür und öffnete sie. «Wir vergeuden unsere Zeit», sagte er.
Der Sergeant sprach leise auf Carpenter ein: «Haggards Verteidiger hat ein volles Geständnis abgelegt und Ihnen die Schlinge um den Hals gelegt. Haggard hat ausgepackt und alles auf Sie geschoben.»
Der Inspektor verließ das Zimmer, und der Sergeant beugte sich vertraulich zu Carpenter hinüber und sagte leise, während er mit dem Daumen auf die Tür deutete: «Er ist hergekommen, um Ihnen zu helfen, und jetzt haben Sie ihn verärgert. Und da kann er gemein werden, richtig niederträchtig gemein.»
Carpenter saß wie gelähmt vor Angst da, er konnte kaum mehr schlucken.
Der Inspektor rief ungeduldig vom Hausflur aus: «Nun lassen Sie ihn doch schon. Wenn er unbedingt zehn Jahre haben will, dann soll er doch.»
«Zehn – zehn Jahre?» murmelte Carpenter verstört.
«Ist ja immerhin ein großer Fall.»
«Aber zehn Jahre …»
«Wenn man mit dem Feuer spielt, verbrennt man sich die Finger. So ist das nun mal. Jetzt hat man Ihnen eben eine Chance geboten, und nun sehen Sie, was Sie daraus gemacht haben. Na ja, es ist Ihr Bier.»
«Nun kommen Sie schon, Mann!» rief der Inspektor ungeduldig.
«Aber ich kann doch jetzt nicht etwas anderes sagen, als ich vor Gericht ausgesagt habe», stammelte Carpenter.
«Überlegen Sie doch mal, wo Sie jetzt hingeraten sind, nachdem die Jones geplappert hat.»
Noch immer war der Sergeant freundlich und ruhig. Doch bald würde der Inspektor zurückkommen und würde schreien und drohen. Mit dieser uralten Masche, der eine böse und grob, der andere sanft und freundlich, würden sie Carpenter fertigmachen. Es sah ganz so aus, als ob sie es früher oder später schaffen und Carpenter ihnen das Geständnis geben würde, das sie so verzweifelt brauchten.
Nachdem Miller aus dem Gefängnis entlassen worden war, betrachtete er die Welt vierundzwanzig Stunden lang wie ein Wunder. Er sah in den blauen Himmel hinauf, bewunderte seine Frau wie eine Erscheinung aus der Märchenwelt und fürchtete, jeden Augenblick aufzuwachen in seiner Zelle bei den beiden Ganoven, die ihn haßten und quälten, weil er ein Polizist war. Doch letzten Endes war er zu nüchtern, um dieser Traumwelt länger als vierundzwanzig Stunden zu verfallen. Die Welt wurde wieder real, und die Zeit im Gefängnis war bald ein böser Traum.
Violet Miller wartete mit einem richtigen Freudenfest bis zum zweiten Tag. Sie kaufte die besten Dinge ein, alles, was er gerne aß, Krabben, große Filetsteaks vom besten Metzger und soviel Kartoffelchips, wie Albert nur essen konnte, sowie auch Kirschbiskuit mit Schlagsahne – zum Teufel mit der schlanken Linie. Es gab Sherry, Whisky, Rotwein und Portwein. Und wenn Albert sich betrank, bis er seinen eigenen Namen nicht mehr wußte, was machte das schon? Wenn eine Frau einem Mann das nicht gönnte, in so einem Augenblick, dann war wahrhaftig nicht viel los mit ihr.
Craig war zur Feier eingeladen. Er hatte zuerst abgelehnt, doch dann gemerkt, wie er Violet damit verletzte. Er entschuldigte sich; er habe geglaubt, sie wollten an einem solchen Tag allein sein.
Er verließ sein Zimmer an diesem Abend um halb sieben Uhr, und seine Wirtin fragte angriffslustig, ob er lange bliebe. Er antwortete, da er sich ein bißchen in einem Bordell umsehen wolle, könne er das nicht so genau sagen. Zum erstenmal hatte er das letzte Wort.
Langsam schlenderte er die Straßen entlang. Eine Frau mit einem Kinderwagen begegnete ihm, und er stellte fest, daß sie Daphne ähnlich sah. Heute morgen hatte er einen Eilbrief von Daphne erhalten, er trug ihn bei sich. Warum er so lange nicht geschrieben habe, fragte sie. Selbstverständlich habe sie kein Wort von dem geglaubt, was die Hure da vor Gericht gesagt habe. Sie liebe ihn nämlich, und das hieße, daß sie wisse – das war dreimal unterstrichen –, daß er niemals mit so einer Schlampe zusammen gewesen sein könne.
Er hatte sich spontan hingesetzt und geantwortet. Er hatte geschrieben, daß er in Haggards Wohnung war, daß er Florence ausgezogen hatte und mit ihr im Bett war. Florence sei zwar eine Hure, doch keine Schlampe. Niemand mit so viel leidenschaftlichem Sex könne eine Schlampe sein. Doch er hatte den Brief wieder zerrissen. Warum hatte er überhaupt gebeichtet? Dieses Geständnis würde ihr nur Kummer machen. Beichten waren nur für die Frauenmagazine gut, wo es keine bitteren Folgen gab.
Wenn er wieder in der gleichen Lage wäre, was würde er tun? Würde er Florence wieder ins Schlafzimmer folgen? Wenn er es nicht getan hätte, wäre Dusty heute nicht frei. Der Schuldige war nun bestraft und der Unschuldige frei. Aber war der Gerechtigkeit Genüge getan? Er hatte einen zu Unrecht Verurteilten befreien helfen und einen zu Unrecht in Freiheit Lebenden ins Gefängnis gebracht. Aber waren seine Mittel rechtmäßig gewesen?
Er war an der Kreuzung angelangt und mußte warten, bis er die Straße überqueren konnte. Ein neuer Bentley fuhr vorbei. Am Steuer saß ein eleganter Herr, neben ihm eine schöne Frau. Geld ist das Wichtigste im Leben, dachte er etwas bitter.
Millers Haus tauchte auf, und er verlangsamte seine ohnehin zögernden Schritte. Ein zweites Geständnis lag ihm am Herzen. «Dusty, ich habe gelogen, betrogen, die Wahrheit und das Gesetz verdreht, ich habe das Vertrauen mißachtet, das mir als Polizeibeamten geschenkt wurde. Ich habe meinen Diensteid gebrochen, und alles nur, um dich zu befreien. Habe ich richtig gehandelt? Ist menschliche Ungerechtigkeit wirklich die größte Sünde auf Erden?» Aber er würde nichts sagen, denn Dusty würde es nicht verstehen.
Er hatte die Haustür erreicht und klopfte. Violet Miller öffnete ihm. «Ich habe gewußt, daß Sie es sind, John», sagte sie herzlich. Und ihre Stimme war etwas laut. Er sah das Glas in ihrer Hand und glaubte, sie hätte einen kleinen Schwips. Aber dann sah er, daß sie nur trunken vor Glück war.
Sie gingen zum Wohnzimmer, wo die Kinder ihn aufgeregt begrüßten. Dusty bot ihm die ganze Auswahl an Getränken an, und Craig entschied sich für Whisky.
Als jeder sein Glas in der Hand hielt, erhob Dusty das seine und sagte: «Auf meinen Glücksstern.»
«Der war aber für lange Zeit gar nicht so zuverlässig», sagte Violet fast ärgerlich.
Er trank, bevor er antwortete. «Stellt euch nur vor, wenn Haggard nicht wieder etwas angestellt hätte, was wäre aus mir geworden? Ich säße noch immer in Zelle B einundsechzig.» Er wandte sich an Craig: «Und du, John? Auch du hattest deinen Glücksstern, nicht?»
«So?» fragte Craig.
«Das will ich wohl meinen. Er hat dafür gesorgt, daß sie dir keine Schuld nachweisen konnten, wie sie es vorhatten.»
«Sieht so aus.»
«Warum zum Teufel hat Haggard es zum zweitenmal versucht?»
«Er dachte, es sei eine gute Masche. Hat doch beim erstenmal so prächtig funktioniert.»
«Warum so mürrisch, Freund?» fragte Miller lärmend. «Tut es dir leid, daß ich nun wieder ins Büro komme und dich herumkommandiere?» Er lachte laut. «Du hast doch nicht etwa die Indizien gefälscht, oder?»
«Nein», sagte Craig.
«Dann trink aus und sei fröhlich. Heute abend interessiert mich nur der Boden in meinem Glas.» Er zwinkerte. «Wenn wir die Kinder los sind, dann wollen wir doch mal sehen, ob wir den Flaschen hier nicht den Hals brechen können. Und jetzt auf die Vernichtung der Verbrecher!»
Sie tranken.