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Der gepanzerte Geldtransportwagen hielt vor der Bank. Der Chauffeur stellte den Motor ab, kontrollierte die Alarmanlage und kletterte aus der Fahrerkabine. Er ging um den Wagen herum zur Rückseite und schloß die Tür auf. Er lauschte auf das kratzende Geräusch, als die inneren Riegel zurückgeschoben wurden, dann öffnete sich die rechte Tür.
Der Schäferhund erschien in der Öffnung und beschnupperte ihn. Vorsichtig trat der Mann zurück, man konnte nie wissen, ob so ein Tier nicht von einer Sekunde zur anderen bösartig werden würde, so gut es auch abgerichtet war.
Die drei Posten sprangen auf die Straße. Sie bekamen etwas mehr Gehalt als der Chauffeur und sein Beifahrer, weil das Fahren hinten im Laderaum nicht nur unbequem, sondern wegen der schlechten Entlüftung auch ungesund war. Dieser Mehrlohn war eine ständige Quelle kleiner Sticheleien zwischen ihnen.
Der Fahrer blieb beim Wagen zurück, während die anderen vier Männer mit dem Hund die Bank betraten.
Der Erste Kassierer winkte sie an seinen Schalter. Sie übergaben ihm die Vollmacht, mit der die Summe bestätigt wurde, die am vorhergehenden Tag von der Firma telefonisch angegeben worden war.
Der Kassierer nahm zwei der Kassetten und verschwand durch eine Hintertür des Schalterraumes. Ein junges Mädchen, das an einer Rechenmaschine gearbeitet hatte, verließ seinen Platz und nahm die dritte Kassette. Der Jüngste lächelte ihr zu, doch sie übersah den Gruß. Der Schäferhund saß wachsam neben den Füßen seines Herrn.
Der Kassierer brachte die gefüllten Kassetten zurück. «Wer unterschreibt heute?» fragte er.
Einer der Männer setzte seine Unterschrift unter die Quittung.
Die Posten befestigten die Kassetten an Ketten, die sie wie Gürtel um den Leib geschlungen hatten, der älteste von ihnen prüfte mit einem Blick, ob alle fertig waren, und führte sie nach draußen.
Kaum hatten sie die Flügeltüren durchschritten, blickten sie automatisch sichernd nach rechts und links. Zwei Frauen gingen laut plaudernd vorbei, ein kleiner Junge betrachtete sie neugierig. Ein Hund machte Anstalten, den Schäferhund herauszufordern, überlegte es sich aber dann doch anders.
Der Chauffeur erwartete die Männer an der offenen Tür des Panzerwagens. Die drei Posten mit den Kassetten kletterten hinein, der Hund sprang hinterher. Der Fahrer wartete auf das Geräusch der Innenriegel, dann schloß er außen ab und ging zur Fahrerkabine, wo ihn der vierte Mann erwartete.
Im Laderaum ließ das kleine Entlüftungsgitter gerade so viel Licht herein, daß die Männer sich mit Mühe erkennen konnten. Weil sie wegen der schlechten Ventilation nicht rauchen durften, saßen sie mürrisch auf den harten Sitzen und warteten, daß diese Tour beendet war und sie dann für eine andere Firma zur nächsten Bank fahren konnten. Es war wirklich ein stumpfsinniges, langweiliges Leben.
Auf dem nahen Parkplatz ließ Grant den Motor des Jaguar an. Er hatte den brennenden Wunsch zu rauchen, doch Haggard hatte es ihnen während des Jobs verboten. Er hatte sie überzeugt, daß die Polizei aus dem getrockneten Speichel an einem Stummel die Blutgruppe des Rauchers feststellen konnte. Haggard war wirklich gerissen genug, der Polente nur die Luft zum Atmen zu lassen, sonst aber auch gar nichts.
Grant nahm seine behandschuhten Finger vom Lenkrad und prüfte sie noch einmal gründlich. Jeder Gauner mit so wenig Grips, daß er gerade seinen Namen schreiben konnte, hütete sich heutzutage, Fingerabdrücke zu hinterlassen. Doch es war unglaublich, wie viele mit kaputten Handschuhen arbeiteten, und die Polizei brauchte nur winzige Teile eines Abdrucks, um damit etwas anzufangen.
Der Geldtransporter reihte sich in den Verkehrsstrom ein. Grant ließ erst zwei Wagen vorbei, ehe er den Parkplatz verließ. Er hatte gräßliches Lampenfieber, ganz schlecht war ihm vor Aufregung und Nervosität.
Der Panzerwagen überquerte die Straße bei Grün, doch der Wagen vor Grant wollte rechts abbiegen und versperrte ihm den Weg. Grant fluchte. Die Ampel sprang auf Rot. Als der Weg frei war, bog der Wagen vor Grant nach rechts ab, und Grant schoß weiter, haarscharf an einem Lastwagen vorbei.
Der Geldtransporter verlangsamte das Tempo, um die Verkehrsinsel zur Quarrington Street zu umfahren. Der nächste Wagen fuhr die High Street weiter geradeaus, so daß jetzt der Jaguar unmittelbar hinter dem Panzerwagen fuhr.
Grant starrte auf die Tür in dem Wagen vor ihm, hinter der dreißigtausend Pfund lagen. Sechs für jeden von ihnen. Die Unkosten waren nicht sehr hoch gewesen. Sechstausend war ein schöner Batzen, er brauchte sich keine Sorgen um die Zukunft mehr zu machen. Haggard hatte gesagt, sie würden von nun an als Team zusammenarbeiten. Haggard war gerissen und schlau. Die Vorbereitungen für den gegenwärtigen Job waren so genau, daß überhaupt nichts schiefgehen konnte.
Als der Jaguar über die Eisenbahnbrücke fuhr, warf Grant einen schnellen Blick auf den Nebensitz, dort lag der kleine elektronische Störsender, zur Tarnung in einer gewöhnlichen Kiste untergebracht. Er sollte Funksprüche vom Panzerwagen unterbinden. Grant war genial im Umgang mit diesem Kasten. Es würde keine Nachricht vom Sender des Geldtransporters geben, und vor allem keinen Alarm.
Als er an einer Autohandlung vorbeifuhr, mit Dutzenden von Gebrauchtwagen auf dem Hof, stellte er probeweise sein Funkgerät ein, doch nur ein scheußlicher Mißton und jaulende Geräusche antworteten.
Grant grinste befriedigt, dennoch waren Hände und Nacken mit Schweiß bedeckt, und die Übelkeit im Magen nahm zu.
Eindreiviertel Kilometer entfernt, an der T-Kreuzung, die das Ende der Brooklyn Road anzeigte, kletterte zur gleichen Zeit Denton in einen Kleinwagen und fuhr weiter. Er ließ zwei Schilder auf der linken Straßenseite zurück. Das eine besagte «Gesperrt – Bauarbeiten» und das andere «Umleitung», mit einem Pfeil, der in die zu fahrende Richtung wies.
Denton konnte seine Aufregung kaum meistern, er fuhr schnell, zu schnell, so daß er hart auf die Bremse treten mußte, als er die rechte Abzweigung erreichte. Er zwang sich mühsam zur Ruhe und fragte sich selbstkritisch, wie feige er eigentlich war. Früher, als er als Trickbetrüger gearbeitet hatte, waren ihm Angst und Nervosität fremd, doch hier war das etwas anderes. Wenn nur eine Kleinigkeit schiefging …
Er stellte an der Rechtskurve ein weiteres Umleitungsschild auf. Ein ankommender Wagen gehorchte sofort und fuhr in die gewiesene Richtung. Denton bewunderte Haggards kluge Voraussicht. Sag den Leuten von Amts wegen, sie sollen von einer Brücke springen, und sie werden es ohne zu überlegen tun, hatte er gesagt.
Er bog rechts ein und erreichte die kleine Gasse. Er stellte den Wagen etwas entfernt auf einer Grasfläche ab und nahm ein weiteres Umleitungsschild und einen Papiersack vom Rücksitz.
Er kletterte auf den kleinen Sandhügel, von dem aus man, geschützt von der dichten Schwarzdornhecke, die andere Straße übersehen konnte. Genau wie Grant hatte er das dringende Verlangen nach einer Zigarette.
Dann sah er den Geldtransport auf der anderen Straße herankommen. Kein anderes Gefährt war vor ihm, nur der Jaguar dahinter. Er rannte den kleinen Abhang hinunter, stellte das Umleitungsschild auf, so daß der Pfeil in die kleine Gasse wies, dann stülpte er den Papiersack über das Zeichen «Kein Durchgangsverkehr» und eilte auf den Hügel zurück, wo er im Dickicht niederkniete.
Kaum waren der Panzerwagen und der Jaguar an ihm vorbeigefahren, da sprang er auf, jagte zurück, legte das Umleitungsschild verkehrtherum auf die Erde und riß den Sack von dem anderen Zeichen. Als er ein Auto hörte, stellte er sich mit dem Rücken zur Straße, doch der Wagen fuhr vorbei.
Der Fahrer des Geldtransporters fluchte, als er durch die immer schlechter werdende Straße fuhr. Sein Wagen war groß, und die Gasse wurde immer schmaler und winkliger.
Endlich bog er um die Ecke, und die halbverfallenen Bürogebäude der verlassenen Ziegelei tauchten vor ihm auf, die rechteckigen Brennöfen mit den verrosteten Wellblechdächern, die großen Ziegelstapel, von denen einer eingestürzt war. Rund um die Anlage gähnten wassergefüllte Tongruben.
«Das ist vielleicht ’ne Umleitung», murrte er und hielt an.
Der Beifahrer schaltete den Sprechfunk ein und meldete, daß Arthur Barker Sechs sich verfahren hatte dank der Idioten, die diese verdammten Straßenschilder aufgestellt hatten. Er schaltete auf Empfang, um die Bestätigung für seine Meldung zu bekommen, doch aus dem Lautsprecher kam lediglich ein ohrenbetäubendes Jaulen.
Der Fahrer sah in den Rückspiegel. Dicht hinter ihm kam ein Jaguar herangefahren. Er fühlte sich erleichtert, daß er nicht allein auf diese irrsinnigen Umleitungsschilder hereingefallen war.
Und da kam auch schon ein Schutzmann angelaufen. Den spitzen Helm tief in die Stirn gezogen, seine Oberlippe zierte ein dichter Schnurrbart. Er trat an die Tür neben dem Fahrer.
«Was zum Teufel ist hier los?» rief der Chauffeur.
Der Polizist schüttelte den Kopf, zum Zeichen, daß er nicht verstehen könne, und drückte die Klinke herunter. Der Fahrer löste den Riegel und schob die Tür auf.
«Welcher Trottel hat denn diese Umleitungen aufgestellt?» begann er.
Haggard langte in den Wagen und zog den Mann heraus. Der versuchte sich zu wehren, fiel aber so unglücklich, daß ein scharfer Schmerz in der Schulter ihm fast die Besinnung raubte.
Jetzt kam Brown angelaufen. Sein Gesicht verdeckte ein Nylonstrumpf, in der Hand trug er einen Geräuschdämpfer aus Vulkanfiber. Unterdessen war Grant, das Gesicht ebenfalls unter einem Strumpf verborgen, aus dem Jaguar gesprungen. Er rannte auf Brown zu und legte die Hände ineinander. Schnell trat Brown auf diese provisorische Leiter, und Grant hob ihn ächzend in die Höhe. Schnell, aber mit großer Sorgfalt legte Brown den Dämpfer über den Grill auf dem Wagendach. Die Überraschung war gelungen. Erst Sekunden danach wurde der Alarm ausgelöst. Doch der Dämpfer erstickte das Heulen der Sirene so gründlich, daß selbst in der unmittelbaren Umgebung kaum etwas zu hören war.
Zum zweitenmal ließ Haggard die bleigefüllte Rolle auf den Kopf des Fahrers niedersausen und schlug ihn damit bewußtlos. Dann wandte er sich ab, nahm den Polizeihelm vom Kopf und zog sich auch einen Strumpf über das Gesicht. Als er sich wieder umdrehte, sah er, daß Brown und Denton noch immer mit dem Beifahrer kämpften. Sie hatten ihn zwar aus dem Wagen gezerrt, doch er war ein starker Mann und wußte, wie man sich verteidigt. Er versetzte ihnen pausenlos kurze, harte Schläge auf die Stellen, wo es am meisten weh tat.
«Nehmt doch die Stöcke!» schrie Haggard wütend. Diese Idioten hatten doch ihre bleigefüllten Stöcke und ließen sich hier verprügeln. Sie hätten den Kerl längst erledigen sollen, diese Schwächlinge. Das war genau der richtige Moment, um weich zu werden!
Haggard stürzte vorwärts und schlug dem Mann sein bleigefülltes Rohr ins Genick. Seltsamerweise schien der das gar nicht zu spüren, statt dessen hob er seinen Gummiknüppel und drückte auf den kleinen Auslöser. Der Strahl der Flüssigkeit reichte aus, um die Nylonstrümpfe zu durchdringen. Denton schrie auf, taumelte zur Seite und rieb sich wie rasend die Augen.
Haggard schlug weiter auf den Mann ein. Er verspürte einen unbändigen Zorn auf diesen Burschen, der es darauf anlegte, alles zu verderben. Endlich fiel er auf die Knie, aus einer großen Platzwunde über dem rechten Ohr lief ihm Blut über das Gesicht. Haggard schlug noch zweimal zu. Endlich sackte der Mann zusammen. Haggard trat ihm mit dem Schuh gegen den Kopf und versetzte ihm einen Fußtritt in den Magen. Um ein Haar hätte dieser Idiot alles verpatzt.
Grant preßte die große Gasflasche gegen den Entlüftungsgrill; mit lautem Zischen strömte das Gas in das Innere des Wagens. Als er den Kopf wandte, um den Kampf zu beobachten, rutschte die Düse versehentlich vom Grill, und etwas von dem Zeug – halb Gas, halb Flüssigkeit – spritzte gegen die Wand des Wagens und prallte auf ihn zurück. Sogleich wurde er von einem heftigen Husten geschüttelt.
Aus dem Wageninnern kam anhaltendes Husten und irres Schreien. Jemand hämmerte mit den Fäusten gegen die Wagenwand. Grant fiel ein, was er über die Gaskammern in Auschwitz gelesen hatte, und ihn schauderte. Aber er drückte weiter auf den Auslöser. Das Hämmern da drinnen wollte nicht aufhören.
Die erste Kanne war leer, er warf sie weg und griff zur zweiten. Als er die Sicherheitskappe von dem Ventil löste, brach endlich das Hämmern ab, und er hörte einen schweren Fall. Haggard hatte befohlen, beide Kannen zu benutzen, ohne Rücksicht auf die Folgen. Obwohl er entsetzt war über seine Tat, setzte Grant auch den zweiten Kanister an und sprühte den Inhalt durch den Grill. Er hoffte nur, daß da drinnen niemand mehr in der Lage war, wieder gegen die Wand zu hämmern.
Brown war unterdessen um die Ziegeleigebäude herumgelaufen und kam nun mit dem in Piccadilly gestohlenen Lieferwagen zurück. Er hielt dicht neben dem Geldtransporter und begann mit Haggards Hilfe die Geräte auszuladen. Denton kniete am Boden und rieb sich noch immer stöhnend die Augen.
Grant hatte seinen zweiten Kanister geleert, lief zum Jaguar zurück, stellte ihn neben den rostigen Toren ab und bezog Wachposition auf dem kleinen Sandhügel, der ihm freie Sicht über beide Straßen bot. Es schien zwar nicht wahrscheinlich, daß jemand diesen gottverlassenen Weg entlangkommen würde, doch sicher war sicher. Als er sich hinsetzte, dröhnte noch immer das Hämmern aus dem Wageninnern in seinen Ohren.
Brown verband jetzt den Brenner mit der Preßluftflasche. Mit diesem Apparat konnte er einfach alles aufschneiden, einschließlich der Wand eines Schlachtschiffes, doch er brauchte ungeheuer viel Sauerstoff, deshalb mußte er soviel Vorrat mitschleppen. Er setzte den Schutzhelm mit dem dunkelblauen Visier auf und kletterte in die Fahrerkabine des Panzerwagens, wobei er die Gummileitungen hinter sich herzog. Er zündete den Schweißbrenner, und die hervorzischende gelbe Flamme wurde schnell eisblau.
Er hielt die Flamme auf einen Punkt im Schott wenige Zentimeter über den Sitzen. Die unbequeme Haltung, in der er arbeiten mußte, ließ seine Muskeln schmerzen, und die Hitze war fast unerträglich, doch das war alles nichts im Vergleich zu der Angst, was geschehen würde, wenn er die Trennwand durchstieß und die giftigen Gase herausströmten. Haggard hatte zwar geschworen, daß nicht so viel herausströmen könnte, um eine Feldmaus zu töten, doch Brown hatte Alpträume gehabt, wie das Gas seine Lungen zerstörte, ja, wie es die Lungen seines Vaters zerstört hatte, als er vor vierundzwanzig Jahren versucht hatte, sich mit Gas zu vergiften.
Und Brown arbeitete weiter. Haggard stand neben den beiden am Boden liegenden Posten und sah ihm zu. Denton hatte den Strumpf vom Gesicht gerissen und rieb sich jetzt die Augen mit einem Taschentuch. Grant hielt Wache am Eingang der Gasse.
Acht Minuten später hatte Brown fast einen Kreis herausgeschweißt, nur an einem dünnen Steg wurde das Metall noch gehalten. Er schaltete den Brenner aus und kletterte steifbeinig aus dem Wagen.
«Es ist soweit», sagte er zu Haggard.
Mit geballter Faust schlug Haggard das Metallstück los und leuchtete mit einer Taschenlampe in das Innere des Wagens. Drei Männer lagen mit verrenkten Gliedern am Boden, auch der Schäferhund hatte alle viere von sich gestreckt. Nichts rührte sich.
«O.K.», rief Haggard.
Brown brachte den Ventilator, den er bereits an die Autobatterie angeschlossen hatte, und montierte ihn so, daß er die Luft aus dem Laderaum absaugen konnte. Haggard versicherte sich, daß beide Wagentüren weit offen standen, und zerschlug auch noch die Windschutzscheibe, damit das Gas schneller abziehen konnte.
Brown fluchte, als er sich wieder an die Arbeit machte, denn der Gasgestank war unerträglich, doch Haggard trieb ihn brutal in die Kabine. Brown hatte noch mehr Furcht vor Haggard als vor dem Gas, und so schweißte er weiter. Er schnitt ein großes Loch vom Ende der Sitze bis hinauf zum Dach.
Kaum war der Brenner aus dem Wagen, nahm Haggard wie ein Taucher einen tiefen Atemzug und zwängte sich durch das Loch in den Laderaum. Mit Hilfe seiner Taschenlampe erreichte er die Tür und schob die schweren Riegel zurück. Brown hatte bereits von außen aufgeschlossen, die Schlüssel hatte er aus den Taschen des bewußtlosen Chauffeurs genommen. Mit einem Stoß öffnete Haggard die Türen. Er sprang zu Boden und atmete erleichtert frische Luft in seine Lungen.
Sie zogen die bewußtlosen Männer an die Rampe und schnitten die Ketten auf, die die Geldkassetten hielten. Der Hund war eindeutig tot, und die Posten sahen auch so aus, als ob sie es nicht mehr lange machen würden.
Brown versuchte gleich eine der Kassetten aufzubrechen, doch Haggard schrie ihn wütend an.
Sie verstauten die Kassetten im Gepäckraum des Jaguar, und Haggard blickte sich noch einmal um. Die Hintertür des Geldtransporters stand offen, das Sonnenlicht lag auf den Körpern von zwei der Posten und den Beinen des dritten. Das Gas hatte zwar fünfzig Pfund pro Kanister gekostet, doch das war entschieden gut angelegtes Geld. Drei Posten und ein abgerichteter Schäferhund waren ausgeschaltet gewesen, bevor sie überhaupt hatten eingreifen können. Er betrachtete die beiden Männer, die im Staub der Straße lagen, der Fahrer bewegte sich zwar schon wieder ein wenig, aber bis er zu sich kam, würde noch viel Zeit vergehen. Der andere Posten lag bewegungslos da, der Staub neben seinem Kopf war naß von Blut. Dieser Dummkopf, dachte Haggard, versucht hier den Helden zu spielen. Was zum Teufel bezweckte er damit? Es war doch nicht sein Geld, das hier geklaut wurde, was kümmerte es ihn also, wenn es verlorenging?
Haggard inspizierte noch einmal den Lieferwagen, mit dem sie die Geräte transportiert hatten, und stellte befriedigt fest, daß ein Dutzend Detektivinspektoren eine Woche lang Tag und Nacht hier herumkriechen konnte, ohne auch nur den Hauch eines Anhaltspunktes zu finden.
Er vertauschte die Polizeiuniform gegen einen Straßenanzug und ging zum Jaguar hinüber. Vier Männer waren sie gewesen gegen fünf. Und sie hatten gewonnen.
Denton, Grant und Brown erwarteten ihn. «Warum hast du den Kerl nicht erledigt?» fragte er Denton. Doch der sah ihn nur mit seinen roten, entzündeten Augen an und antwortete nicht.
«Schon gut», winkte Haggard ab. «Verschwinden wir.»
Haggard, Denton und Brown bestiegen den Jaguar, Grant ging zurück und kletterte in den Kleinwagen, in dem Denton gekommen war.
Sie fuhren auf die Straße hinaus, und Haggard trat das Gaspedal durch, woraufhin Grant schnell zurückblieb. Er schmeichelte sich, ein guter Fahrer zu sein, so in der Klasse von Nouvolari und Moss. Falls es irgend jemanden auf der Welt gab, den er bewunderte, sogar mit einer Spur Ehrfurcht, dann waren es diese zwei. Das waren Männer mit Feuer im Hirn, von niemandem abhängig, und sie scheuten weder Tod noch Teufel. Der Jaguar schoß vorwärts, die Nadel stand auf einhundertzwanzig Kilometer.
Um zwölf Uhr einunddreißig erreichten sie Gresham und fuhren nun langsamer durch den dichten Mittagsverkehr eines Markttages. Zum Bahnhof gehörten zwei Parkplätze, einer befand sich im Vorhof des Bahnhofsgebäudes, der andere wenige hundert Meter entfernt. Seltsamerweise war dieser selten mehr als zur Hälfte besetzt.
Haggard parkte den Jaguar neben einem fünfundzwanziger Rolls-Royce, zwei Wagen weiter stand der gelbe Buick. Sie stiegen aus, und Haggard öffnete den Gepäckraum. Er erinnerte sich, wie die anderen entsetzt gewesen waren, als er diese Stelle zum Umladen vorgeschlagen hatte, aber das waren eben Dinge, die sie nie begreifen würden, und wenn ihre Bärte bis auf die Schuhe reichten. War das nicht G.K. Chesterton gewesen, der über den Briefträger geschrieben hatte, den jeder täglich sah, doch niemals richtig wahrnahm? Hätten sie die Kassetten auf irgendeiner verlassenen Landstraße umgeladen, so wäre bestimmt irgendein einfältiger Trottel aufmerksam geworden. Doch hier auf einem öffentlichen Parkplatz konnten eine Menge Leute drum herumstehen und zuschauen, doch niemandem würde etwas auffallen.
Er schloß den Gepäckraum des Jaguar, sah sich noch einmal prüfend um, zog die Handschuhe aus und steckte sie in die Tasche.
Gemeinsam trugen sie die Kassetten zum Buick. Haggard spürte wiederum das erhebende Gefühl des Erfolges. Er hatte fünf Posten überwunden, einen Schäferhund, ein narrensicheres System und einen diebessicheren Panzerwagen. Wenn es Prämien für Raub gäbe, dann hätte er heute einen dicken Punkt verdient.
Er schlug den Kofferraumdeckel zu und ging zur Vordertür. Als er einen kleinen Sprung zur Seite machte, um die Hosen nicht an der Stoßstange zu beschmutzen, rutschte einer der Handschuhe aus seiner Hosentasche. Er bemerkte es nicht.
Ehe er sich hinter das Lenkrad setzte, blickte er in die Gesichter von Denton und Brown. Er weidete sich an der Angst in ihren Augen. Langsam nahm er eine Zigarettenschachtel aus dem Handschuhfach und ließ sich Zeit beim Anzünden. Es machte ihm Freude, sie zu quälen.
Sie fuhren die zwanzig Kilometer von Gresham nach Telton und hielten vor Browns Haus. Grant kam heraus und half ihnen beim Hineintragen der Kassetten.
Als Haggard später das Haus verließ, trug er zwei Koffer, die fünfzehntausendundachtunddreißig Pfund enthielten. Sechstausend waren für die Lippe, der ihnen den guten Tip gegeben hatte, dreitausend hatte er sich für die Unkosten geben lassen – tausend davon waren reiner Profit, er hatte einfach mehr beansprucht, als er verauslagt hatte – und sechstausendachtunddreißig waren sein Anteil.
Er verstaute die Koffer im Wagen und setzte sich hinter das Lenkrad. Siebentausend Pfund! Davon konnte man eine ganze Weile recht nett leben. Man konnte die Puppen tanzen lassen, auf Pferde setzen und sich ans Roulette wagen. Und wenn man bei einem Spielchen ein paar Hunderter verlor, konnte man es sich immer noch leisten, lächelnd zu gehen. Das war mehr, als alle diese Pinscher rundum vermochten.
Daheim angekommen, parkte er den Buick neben einem Rapir. Das war hier zwar ein Luxushaus, doch nur er als einziger besaß auch einen Luxuswagen. Das mußte die anderen krank machen vor Neid. Er nahm die Koffer und verschwand im Haus.
Florence, die ihre Nervosität kaum beherrschen konnte, erwartete ihn. Sie atmete auf, als er endlich erschien, eilte ihm entgegen und küßte ihn. Er preßte die Hände auf ihrem Rücken zusammen und schob sie langsam rückwärts. Sie versuchte den Schmerz zu unterdrücken, bis sie es nicht mehr aushielt. Sie bat ihn aufzuhören, ihr weh zu tun, doch er dachte nicht daran. Sie zerkratzte ihm das Gesicht. Er lachte und ließ sie frei.
Sie gingen ins Schlafzimmer und zogen sich aus. Ein erfolgreich beendeter Job machte ihn immer sinnlich.