Bist du sicher, dass du da hingehen willst?“, fragte Jen. „Es gibt haufenweise andere Läden, Emm. Und so gut ist der Kaffee im Mocha nun auch wieder nicht.“
Ich reckte das Kinn, zog meine Schultern hoch und stellte gegen den pfeifenden Wind den Kragen meines Mantels auf. Von unserem Platz auf der anderen Straßenseite betrachtete ich mein Lieblingscafé. Ich stand hier schon seit zehn Minuten und wartete auf Jen. Johnny hatte ich noch nicht hineingehen sehen. Auch nicht herauskommen.
„Nein. Ich werde mir von diesem Idioten nicht alles verderben lassen. Johnny Dellasandro kann sich mal gehackt legen. Was glaubt er denn, wer er ist?“, sagte ich grimmig. Der unangenehme Nachgeschmack meiner Worte klebte mir auf der Zunge wie saure Milch.
„Dann gehen wir rein.“ Jen zitterte und machte sich daran, die Straße zu überqueren.
In den letzten Tagen war die Temperatur noch einmal gefallen und versprach noch mehr Schnee. Die grauen Wolken waren ein perfektes Spiegelbild meiner Stimmung. Seitdem Johnny mich vor ein paar Tagen in meiner Küche hatte stehen lassen, schwankte ich zwischen beschämter Verzweiflung und langsam köchelnder, selbstgerechter Wut hin und her.
„Es ist nur …“ Ihre Stimme verebbte.
Ich sah sie an. Ich fühlte meine Nase nicht. Oder meine Zehen. Oder meinen Nacken, da ich mein Haar mit meiner neuen Spange hochgenommen hatte und so dummerweise ein Streifen Haut über meinem Schal frei lag. Ich wollte nicht an der Straßenecke stehen wie eine Zwei-Dollar-Nutte – obwohl ich mich dank ihm so fühlte. „Du willst nicht rein?“
„Ich will nicht, dass du reingehst, wenn das bedeutet, dass du dann traurig wirst.“
Ich antwortete ganz langsam, weil ich mich bemühte, meine Zähne nicht klappern zu lassen. „Hast du Angst, ich mache ihm eine Szene? Das werde ich nicht, Jen. So ein Typ bin ich nicht. Aber eher lasse ich mich von einem Stacheldrahtdildo ficken, als dass er es schafft, mich aus dem Mocha zu vertreiben. Das ist unser Café, und das war es schon, bevor ich überhaupt etwas von seiner Existenz wusste.“
„Autsch.“ Sie zuckte zusammen und lachte.
„Ohne Gleitgel, in den Hintern“, fügte ich hinzu, und auch wenn mir nicht nach Lachen zumute war, entschlüpfte mir doch ein kleines Kichern. „Komm schon, hier draußen ist es eiskalt. Mir ist es egal, ob er da ist. Ich will jetzt nur irgendetwas mit viel Fett.“
„Ich bin dabei“, sagte Jen. „Wenn du dir sicher bist. Ich meine, ein Stacheldrahtdildo im Arsch wirkt auf mich sehr überzeugend, aber …“
„Ich bin mir sicher.“ Ich konnte das Zähneklappern nicht mehr unterdrücken. „Wirklich. Ich weiß nicht, was für ein Problem er hat, aber meinetwegen soll er dran ersticken.“
„Oookay.“ Sie lachte laut und klatschte in die Hände. „Dann los.“
Er war nicht da, was unsere Unterhaltung ziemlich überflüssig erscheinen ließ. Wir gaben unsere Bestellungen auf und nahmen sie mit an einen Tisch, an dem wir uns aus unseren Mänteln und Schals pellten und dann unsere Hände um die Becher legten, um unsere Hände zu wärmen. Mir war immer noch nicht sehr nach Lachen zumute, aber es war quasi unmöglich, nicht mit Jen mit zu kichern.
„Erzähl, wie läuft es mit dem Beerdigungstypen?“, fragte ich sie und leckte die Marshmallows vom Schaum meines Mint Chocolate Latte, den ich heute zum ersten Mal probierte. Es steckte ein Pfefferminzröllchen darin, und wer konnte dem selbst ein paar Monate nach Weihnachten schon widerstehen?
„Oh, Süße“, sagte Jen. „Ich mag ihn.“
„Wow. Das ist gut, oder?“
Sie rührte mit dem Löffel in ihrem Latte und zuckte mit den Schultern. „Ich schätze schon.“
„Warum schätzt du das nur?“
Sie seufzte. „Nun ja, du weißt, wie es ist. Man mag einen Mann. Sehr sogar. Er mag dich. Alles läuft super … Ich warte trotzdem nur auf den großen Knall.“
„Aber warum?“, fragte ich.
Sie seufzte erneut. „Weil es immer so ist.“
„Nicht immer“, sagte ich und fügte hinzu. „Das hab ich zumindest gehört.“
„Ja, ich weiß. Liebe ist wie Bigfoot oder eine Entführung durch Außerirdische: Man hört von vielen anderen Leuten, denen es passiert ist, aber es gibt keine echten Beweise. Und das ängstigt mich zu Tode.“ Jen zog eine Grimasse.
Jetzt war ich dran, zu seufzen. „So ist die Liebe.“
„Oh, Emm. Es tut mir leid. Sorry, dass ich so unsensibel bin.“ Sie drückte meine Hand. „Übrigens, süße Bluse.“
„Netter Versuch eines Themenwechsels.“ Ich schaute auf die Bluse, die ich bei der Heilsarmee gekauft hatte. Sie hatte Puffärmel und eine Schleife am Kragen. „Sie war fünfzig Prozent reduziert, weil sie so hässlich ist.“
„Das ist eine witzige Kombination aus Weste und Hemd. Sehr … ähm … retro.“
Ich lachte. „Die Taschen sind auch nicht echt.“
Plötzlich glitt Jens Blick über meine Schulter hinweg. „So viel zum Themenwechsel.“
Meine Muskeln spannten sich an, mein Rücken richtete sich wie von alleine auf. „Er ist da, oder?“
Die Türglocke erklang. Die kühle Luft an meinem Nacken stellte ich mir eher vor, als dass ich sie wirklich spürte. Ich drehte mich zu ihm um, erwartete, dass er mich wie üblich ignorieren würde. Dieses Mal wollte ich ihm das nicht durchgehen lassen.
Johnny blieb an unserem Tisch stehen. Er nickte Jen zu, schaute aber mich an. „Emm. Hey. Kann ich mal kurz mit dir sprechen?“
Ich ignorierte Jens atemloses Quieken und den Tritt, den sie mir unter dem Tisch gab. Ich verschränkte meine Finger über meiner Tasse und schaute ihn ohne den Hauch eines Lächelns an. „Du sprichst doch gerade mit mir, oder nicht?“
Er wirkte weder bestürzt noch verlegen – beides Reaktionen, die mir äußerst gut gefallen hätten. Johnny jedoch neigte nur den Kopf ein wenig und sagte: „Unter vier Augen.“
„Ich bin mit meiner Freundin zusammen hier.“
„Ehrlich gesagt“, schaltete Jen sich entschuldigend ein, obwohl ich mir sicher war, dass es ihr überhaupt nicht leidtat, „muss ich jetzt sowieso los. Ich hatte Jared versprochen, ihn anzurufen.“
Obwohl ich sie flehend ansah, konnte ich sie nicht dazu bringen, bei mir zu bleiben. Sie war bereits aufgestanden und zog sich den Mantel an. „Verräterin“, murmelte ich.
„Nett, dich getroffen zu haben“, sagte sie zu Johnny.
Er lächelte sie an. „Du bist schon lange nicht mehr in der Galerie gewesen.“
Sie blieb erstaunt stehen. „Ich, äh …“
„In den nächsten Monaten stelle ich neue Künstler vor. Du solltest mir mal etwas von deinen Sachen vorbeibringen.“
Dieses Mal quiekten wir beide überrascht auf. Johnny wirkte jedoch nicht genervt, sondern wartete geduldig auf eine Antwort.
„Äh, sicher, klar.“ Jen klang erst zögerlich, aber dann wurde ihr Lächeln immer breiter. „Ja, gerne. Das mache ich.“
„Bring es irgendwann diese Woche abends vorbei. Ich bin immer bis sieben Uhr da.“
„Super. Okay.“ Sie nickte und warf mir einen nervösen Blick zu. „Wir sehen uns, Emm.“
„Ja, bis später.“ Ich wartete, bis sie weg war und Johnny sich auf ihren Stuhl gesetzt hatte, bevor ich ihn wütend anfunkelte. „Was soll das?“
„Was?“ Er schob Jens Becher zur Seite und legte seine Hände vor sich auf den Tisch. Er trug noch seinen Mantel, vermutlich hatte er nicht vor, lange zu bleiben.
„Woher weißt du überhaupt, dass sie Künstlerin ist?“ Ich wollte mein Getränk auf einmal nicht mehr und drehte das halb geschmolzene Pfefferminzröllchen hin und her.
Johnny hob die Augenbrauen. Und einen Mundwinkel. Ich hasste dieses Lächeln. Es verlockte mich, es zu erwidern, und das wollte ich nicht. Schweigend zeigte er auf die Rückwand des Mocha, an der viele Fotos und Bilder zum Verkauf hingen. Einige davon waren von Jen.
„Ich dachte, das wäre dir nicht aufgefallen“, sagte ich kühl. „Und dass du sogar weißt, wer sie ist, hätte ich auch nicht gedacht.“
„Du glaubst, ich weiß nicht, wer regelmäßig herkommt und wer nicht?“ Johnnys Lächeln hatte noch nicht seine volle Kraft entfaltet, aber ich sah, dass er auf gutem Wege war. „Du meinst, ich komme einfach her und trinke meinen Kaffee, ohne auf meine Umgebung zu achten?“
„Ja, das meine ich.“ Das Pfefferminzröllchen zerbrach zwischen meinen Fingern, und ich ließ beide Hälften in meinen Kaffeebecher gleiten.
„Tja“, sagte er mit leiser Stimme, „dem ist nicht so.“
Sein Blick war ungerührt. Sein Lächeln wurde noch ein kleines Stück breiter. Doch auf keinen Fall wollte ich seinem Charme erliegen.
Dann roch ich Orangen …
Gegen meinen Willen flatterten meine Augenlider. Ich atmete schnell ein; nicht absichtlich, sondern als unbewusste Reaktion. Der Geruch wurde stärker. Ich stand auf und schob meinen Stuhl so heftig zurück, dass er laut über den Boden kratzte.
„Ich muss los.“
„Emm.“ Johnny erhob sich ebenfalls. „Warte.“
Ich wartete nicht. Ich verlor mich in der Dunkelheit. Ich fiel kopfüber hinein und kam keuchend wieder heraus, als wenn ich mich vom tiefen Grund eines Sees an die Oberfläche gekämpft hätte.
Mir ist nicht kalt. Mir ist heiß. Ich bin in einem Badezimmer, unter meinen Händen das kühle Porzellan des Waschbeckens. Wasser läuft. Ich schwitze. Als ich meine Oberlippe ablecke, schmecke ich Salz.
Ich lasse Wasser in meine Hände laufen und führe sie an meinen Mund. Ich trinke. In großen Schlucken. Ich spritze mir Wasser ins Gesicht. Es ist mir egal, dass meine Bluse auch etwas abbekommt. Sogar die Vorderseite meiner hochgeschnittenen Jeans wird nass. Ich schaue mein Spiegelbild an. Wilde Augen, tropfnasses Gesicht.
Ich drehe mich langsam herum, schaue mich um. Es gibt leider keinen Kalender, der mir das Datum anzeigt, aber der Duschvorhang mit seinem geometrischen Muster in Braun, Orange und Grün gibt mir einen Hinweis. Na ja, das und die Tatsache, dass ich vor einer Minute noch im Mocha war, bereit, aus der Tür zu stürmen und zu denken: „Fick dich, Johnny Dellasandro, du arroganter Arsch!“
Jetzt, hier in meiner Episode, würde ich ihn gerne ficken. Ich trockne meine Hände an einem Handtuch ab, das nicht ganz sauber ist. Dann drücke ich die Badezimmertür auf. Johnny liegt inmitten total zerwühlter Laken nackt auf dem Bett.
„Hey, Baby.“ Er hält inne, schaut mich fragend an. „Warum hast du dich angezogen?“
Ich sehe an mir herunter. „Ich …“
„Mist“, er lacht. „Sandy wird ganz schön sauer sein, dass du ihre Klamotten trägst. Aber egal. An dir sieht das Hemd sowieso besser aus. Sie hat nicht die richtigen Titten dafür.“
Ich bin immer noch sauer. Das hier macht es nicht besser. Ich stemme eine Hand in die Hüfte. Mir ist egal, dass das hier eine Episode ist und ich eigentlich mit mir selber streite. „Und was machen Sandys Klamotten in deinem Badezimmer? Warum geht diese Schlampe hier ein und aus, als gehöre ihr das Haus? Als wärst du ihr Eigentum? Und mich lässt du einfach links liegen?“
Johnny setzt sich auf und macht sich nicht die Mühe, sich zu bedecken. „Wovon zum Teufel redest du?“
Ich atme schwer. Ich bin ein wenig desorientiert und muss mich am Türrahmen festhalten. „Von ihr. Sandy. Deiner Frau. Erinnerst du dich an sie?“
„Ich hab dir doch gesagt, dass wir uns getrennt haben.“ Er steht auf und kommt auf nackten Füßen zu mir.
Sein Körper ist göttlich. Johnny schiebt sich sein seidiges Haar aus dem Gesicht und zieht mich an sich, um mich zu küssen.
„Sei nicht böse, Baby“, murmelt er an meinen Lippen. „Los, zieh dich aus. Komm wieder ins Bett.“
Ich drücke mit beiden Händen gegen seine Brust, bis er einen Schritt zurück macht. „Nein.“
Seine Miene verfinstert sich. „Oh Mann, Kleines. Das ist total verwirrend. Du verschwindest mit einem strahlenden Lächeln im Badezimmer, und als du wieder herauskommst, siehst du aus, als wolltest du mich umbringen.“
„Wie lange ist das her?“, will ich wissen.
„Sandy und ich haben uns vor ungefähr einem Jahr getrennt.“
„Nein. Wie lange ist es her, dass ich ins Badezimmer gegangen bin?“ Das Sprechen fällt mir schwer, meine Zunge fühlt sich an wie betäubt.
„Ich weiß nicht. Fünf, zehn Minuten?“
„Oh Gott.“ Ich bin nicht nur zurück in der Welt, die ich mir aus Wunschdenken und zu vielen Internetrecherchen zurechtgebastelt habe. Ich scheine auch in ihr vollkommen unberechenbar aufzutauchen und wieder zu verschwinden.
Ich stolpere zurück ins Badezimmer, beuge mich über das Waschbecken und würge krampfartig. Ich bin mir sicher, dass ich gleich einen Mint Chocolate Latte ausspucken werde. Mit geschlossenen Lidern sehe ich Johnny zwar nicht, aber ich höre seine Schritte auf den Fliesen und fühle dann seine Hand auf meiner Schulter. Ohne die Augen zu öffnen, taste ich nach dem Wasserhahn und lasse das kühle Wasser über meine Finger laufen, die ich dann gegen meine Wange und meine Stirn drücke.
„Alles okay?“ Seine Finger kreisen beruhigend über meinen Rücken. „Was ist los?“
„Die Hitze. Es liegt an der Hitze.“ Die Worte purzeln aus mir heraus, und ich frage mich, warum ich lüge.
„Trink einen Schluck.“ Er streicht mir weiter über den Rücken.
Ohne seine Berührung fühlte ich mich besser, aber meine Finger umklammern das Waschbecken, und ich bewege mich so lange nicht, bis ich sicher bin, dass ich mich nicht übergeben muss. Dann spritze ich mir erneut Wasser ins Gesicht und drehe mich tropfend zu ihm um. „Was ist das, Johnny?“
„Was ist was?“ Er nimmt ein Handtuch vom Haken und tupft mir zärtlich das Gesicht ab. Dann umfasst er mit einer Hand mein Kinn und schaut mir in die Augen, bevor er mir einen Kuss auf die Stirn gibt. Er zieht mich an seine Brust, schlingt die Arme um mich.
Mir ist es egal, dass es zum Kuscheln zu heiß ist oder dass seine nackte Brust unter meiner Wange vor Schweiß klebt. Ich drücke meine Lippen auf seine Haut und schmecke Salz und Sex.
„Das hier. Wir.“
Er lacht. „Ich weiß es nicht. Was möchtest du denn, dass es ist?“
„Ich will, dass es alles ist, Johnny.“ Meine Stimme klingt ängstlich.
„Hey“, sagt er leise. „Hey, pst.“
Ich weine nicht, zittere aber vor Anspannung, und Johnny muss denken, dass ich heule. Es ist beruhigend, so von ihm umarmt zu werden. Wie vor einigen Tagen in seinem Büro, aber viel besser. Denn ich weiß, wenn ich ihn jetzt küssen würde, würde er es zulassen.
„Warum kann es das nicht sein?“, fragt er nach einer Minute.
Die Hitze im Badezimmer ist unerträglich. Das Atmen fällt mir schwer. Das Sprechen auch.
„Weil nichts hiervon real ist.“
„Hey.“ Er schiebt mich sanft von sich, ohne meine Oberarme loszulassen. Er hält mich fest. „Sag das nicht. Ich bin doch hier, du bist hier …“
„Nein.“ Ich schüttle den Kopf, lasse meine Hände über seine Brust zu seinem Bauch gleiten. „Du bist nicht hier. Ich bin nicht hier. Das hier ist überhaupt nicht real.“
„Was ist es dann?“ Er neigt den Kopf und schenkt mir ein schwaches Lächeln. „Für mich fühlt es sich echt an.“
Seine Hand gleitet unter meine Bluse und umfasst meine Brust. „Die auch.“
Er nimmt meine Hand und führt sie an seinen halb erigierten Schwanz. „Und der ist auch real.“
Ich löse mich von ihm, drehe mich weg. Das Waschbecken in meinem Rücken beraubt mich jeglicher Fluchtmöglichkeit. „Natürlich fühlt es sich für dich real an. Du bist für dich immer echt. Das Problem ist jedoch, Johnny, dass sich das hier alles nur in meinem Kopf abspielt. Ich denke mir das aus. Alles geschieht nur in meinem Gehirn.“
Er lacht nicht. Er versucht nicht, mich an sich zu ziehen, rührt sich aber auch nicht, um mir den Weg frei zu machen. „Emm. Sieh mich an.“
Ich tue es. Er ist so schön, so jung. Weiches Gesicht, keine Falten. Ist es falsch, eine solche Schönheit in seiner Jugend zu sehen, vor allem wo ich die Erinnerung an sein echtes Gesicht in mir trage? Die Falten in den Augenwinkeln, die silbernen Strähnen an den Schläfen, das alles gehört zu dem echten Johnny, den ich umwerfend finde. Aber ich kann nicht abstreiten, dass der Mann vor mir auf der Höhe seine Knackigkeit ist.
„Was stört dich denn? Ich weiß, wir kennen uns noch nicht so lange, aber …“
„Das ist es nicht.“ Ich schüttle den Kopf. Mein Haar löst sich aus der Spange, die es am Hinterkopf zu einem Knoten festhält.
Ich löse die Spange und halte sie Johnny auf der ausgestreckten Hand hin. „Die ist echt. Ich habe sie wegen etwas gekauft, das du mir hier gesagt hast. Dass ich sie hier habe liegen lassen. Dass sie mir gehört.“
Er wirkt verwirrt. „Hast du? Wann?“
„Du hast es mir gesagt. Erinnerst du dich, in der Küche? Dass sie mir gehört, obwohl ich sie nie zuvor gesehen hatte. Dann sah ich sie in der Einkaufspassage und kaufte sie, weil sie mich an dich erinnert hat. Das ist verrückt, Johnny. Vielleicht bin ich verrückt.“
„Wir sind alle ein wenig verrückt. Das ist in Ordnung.“ Er lächelt.
Nein! Ich werfe die Spange ins Waschbecken, wo die Feuchtigkeit das Leder dunkel färbt. Wieder schaue ich Johnny an.
„Alles ist nur ein Traum. Nichts davon wird bleiben.“
„Scheiße.“ Er runzelt die Stirn. „Es gibt aber Sachen, die halten. Beende es nicht, bevor es begonnen hat.“
„Aber es ist schon vorbei!“, rufe ich.
Er tritt ein paar Schritte zurück, die Augen verengt, die Fäuste geballt, nur ein wenig, als wenn er fürchtet, dass ich ihn schlagen könnte. Er war mit Sandy verheiratet, einer Frau, von der ich mir sehr gut vorstellen kann, dass sie einem nackten Mann in die Eier tritt. Ich hingegen bin nicht so.
„Es ist vorbei“, flüstere ich. „Weil es nie angefangen hat. Verstehst du das nicht?“
„Nein. Ich verstehe das nicht.“
„Alles ist nur Fantasie.“ Ich mache eine Geste, die das gesamte Badezimmer einschließt. „In der Realität schüttelst du mich grade … und schüttelst … und schüttelst …“
Ich schwanke, als würde eine unsichtbare Hand mich packen und mich vor und zurück schieben.
„Emm!“ Johnny klingt alarmiert.
„Schüttel mich“, flüstere ich heiser, dann lauter. „Schüttel mich und hol mich hier raus.“
„Wo raus?“, ruft Johnny und greift nach mir. „Emm, du machst mir Angst.“
„Ich will raus aus der Dunkelheit … bring mich zurück.“ Ich schiebe mich an ihm vorbei. „Ich gehe.“
„Wohin gehst du?“, ruft er mir von der Tür aus nach, während ich mich zwinge, mit stetigen Schritten durch das Schlafzimmer zu gehen, ohne zu wissen, wohin.
Weil ich weiß, dass es egal ist.
„Kommst du zurück?“ Er weint fast. „Emm! Sag mir, dass du zurückkommst.“
„Ich weiß es nicht“, sage ich über meine Schulter und öffne die Schlafzimmertür. „Ich weiß es nie.“