[15] Die Hunuas sind eine bewaldete Hügel bzw. Berglandschaft nördlich von Auckland.

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4. Bäche und Berge



Um die Mitte des nächsten Universitätsjahres schließt Aroha eine neue Freundschaft. Kevin, ein junger Mann der dem Typ »ruhig und dunkel« entspricht, ist mitten in seiner Ausbildung zum Bergführer und Fachmann für Natur- und Nationalparks. Er geht in dieselben Vorlesungen über Botanik und Zoologie.

Eines Abends, nach den ersten großen Prüfungen, lädt Kevin Aroha und Kalina ins Cyber Cafe ein, wo ein guter Freund einen Teilzeitjob hat. Mike hat sich unter Bergsteigern einen Ruf gemacht, weil er in manchem Sommer an bis zu sechs großen mehrtägigen Touren auf der Südinsel teilnahm. Die Tatsache, dass Mike außerdem einer der begabtesten Physik- und Mathematikstudenten Neuseelands ist, geht neben seinem Ruf als ein mit Wildnis und Bergen durch und durch Vertrauter fast völlig unter.

»Wann warst Du das letzte Mal auf einer größeren Tour, Mike?«, fragt Kevin.

»Schon seit Mai nicht mehr«, antwortet Mike seufzend.

»Bei mir ist es auch nicht anders. Das einzige, was ich in letzter Zeit gemacht habe war, eine Gruppe in die Hunuas15 zu führen, aber da war nur eine einzige Übernachtung in der Wildnis dabei. Insofern fühle ich mich total außer Form«.

»Also das mit ‚außer Form‘ trifft sicher auf mich noch viel mehr zu«, sagen Aroha und Kalina gleichzeitig.

»Wie wäre es mit einem Ausflug in die Waitakeres?«, fragt Mike.

Sie diskutieren mehrere Möglichkeiten, bis schließlich Aroha meint: »Warum gehen wir nicht zu meiner Lieblingsstelle, ich habe sie ‚verborgenes Tal‘ genannt. Wir fangen oben in der Nähe eines alten Weideweges an, der direkt über dem Strand von Karekare liegt und wandern dann das Tal hinunter. Ich habe das alleine noch nie geschafft, denn es gibt auch schwierige Stellen, wo es sehr steil wird.«

Kalina mischt sich ein: »Das ist eine prima Idee. Ich kenne den oberen Teil, er beginnt bei einer wunderschönen Lichtung, wo ich mit Aroha schon öfter gewesen bin. Aber wir sind noch nie weit hinunter gegangen und eigentlich bin ich seit langem neugierig, wie das Tal weiter geht. Aroha nennt die Gegend, jedenfalls den oberen Teil, Aorama, die Welt des Lichtes, und ihr werdet sehen warum. Es ist wirklich ein schöner Platz.«

[16] »Studentenfutter«, in Neuseeland »scroggin« genannt, gehört dort noch immer zu einem Muss, was Essen auf Touren in der Wildnis anbelangt. Die auch in Europa lange Zeit sehr populäre Mischung aus Nüssen, Rosinen und Schokoladestückchen enthält pro Gewichtseinheit sehr viel Energie.

»Und er ist leicht erreichbar«, erklärt Aroha. »Die Lichtung, ist nur einige hundert Meter von der alten Karekare Cattle Road entfernt. Wir könnten dort mit Schlafsäcken übernachten, um uns die Anfahrt in der Früh zu ersparen und sind dann auch am zweiten Tag zeitlich nicht unter Druck.«

»Gut, dann sollten wir es als Wochenendausflug planen. Ich könnte meine Arbeit hier an einem Freitag etwas früher beenden, und es ist dann für uns alle vermutlich gleichgültig, ob wir am Samstag oder Sonntag zurückkommen«, meint Mike.


Am übernächsten Freitag sitzen sie in einem alten Kombi, der vor Gepäck übergeht. Neben Kevin, Aroha und Kalina ist natürlich Mike dabei, und hat seine Freundin Jeannie mitgenommen. Die beiden kennen sich aus den Vorlesungen über Quantenphysik, mit denen Jeannie keine große Freude hat und bei denen ihr Mike viel hilft, meist geht er mit ihr sogar in die Vorlesung.

Sie fahren zu fünft von Auckland Richtung Waitakeres, und dort die ersten Hügelketten hinauf. Kevin und Mike bestehen darauf, auch am ersten Tag schon ein Stück zu gehen, um sich »warm zu laufen«. Sie lassen ihren Wagen daher bei einer aufgelassenen Station der alten Waitakere Eisenbahnstrecke stehen, und packen ihre Ausrüstung. Neben Schlafsack, warmer Kleidung und Regenschutz genügend Essen und Kochgeräte. Es werden gewaltige Rucksäcke und sie machen sie sich gegenseitig über ihre zusammengestoppelte Ausrüstung lustig. Einer Schotterstraße, auf beiden Seiten von dichtem Busch wie eingeklemmt, folgen sie endlos viele Kilometer, wie es Aroha vorkommt. Sie ist froh, dass sie beim Packen ihres Rucksacks nur das Allernotwendigste mitgenommen hat.

Kevin führt. Er pfeift vor sich hin und ist sich offensichtlich der Richtung ganz sicher. Schließlich halten sie an einer Stelle, wo der dichte Wald einen Durchgang zu erlauben scheint. Inzwischen ist es spät und dunkel geworden. Alle essen eine Handvoll Studentenfutter16, schalten ihre Taschenlampen ein und brechen nach einer kurzen Pause auf. Sie gehen tief gebückt, nicht nur wegen der Last der Rucksäcke, sondern weil sie sich jetzt, ohne Strasse, in recht unwegsamen Busch unterwegs sind. Es ist kein Weg sichtbar, aber Kevin lässt keinen Zweifel, dass er weiß, wo sie sind und hin müssen. Aroha kommt es vor wie Stunden, die sie sich durch den Wald kämpfen. Doch auf einmal stehen sie auf der Karekare Cattle Road, die Aroha so gut kennt, und wo sie nur noch den kleinen Pfad, den Aroha und Kalina durch ihre zahlreichen Besuche hier schon ausgetreten haben, einige hundert Meter bis zu der Lichtung folgen müssen.

Müde wie sie sind halten sie sich nicht mehr lange auf und kriechen in die Schlafsäcke. Die Wanderung ist länger als erwartet und recht anstrengend gewesen, es ist schon knapp vor Mitternacht.

»Ich habe mein Insektenschutzmittel vergessen. Hast du deines mitgenommen?« fragt Kalina die neben ihr liegende Aroha.

»Ja, habe ich, da, verwende es. Mein Problem ist, ich habe kein Deodorant mit und werde nach zwei Tagen großartig riechen.«

»Das werden wir alle«, meint Kalina schläfrig, »mach dir nur deswegen keine Sorgen.«


Aroha ist körperlich müde, aber sonst ist sie es nicht. Sie fühlt mit Erregung das Kapakapa, das irgendwie aktiv ist. Es beginnt eine Verbindung zwischen Natur und ihr herzustellen. Sie spürt wie der Wind flüstert und sie ruft, sie möge zur ‚Kathedrale‘ im verborgen Tal kommen. Aroha weiß, dass sie alle am nächsten Tag dort hin gehen werden und schläft mit einem Gefühl der Vorfreude und Neugier ein.

Am nächsten Morgen wachen sie beim ersten Vogelgezwitscher auf. Sie lassen die großen Rucksäcke auf der Lichtung zurück und nehmen nur mit, was sie untertags brauchen werden. Aroha führt sie zum Rand der Lichtung, wo es steil in das verborgene Tal hinunter geht. Sie stolpern und rutschen lachend hinunter, schon jetzt überall voll Schmutz und Lehm, bis zum Ursprung des Bachs, bis sie schließlich zu der Stelle gelangen, wo man nur auf den Knien kriechend durch kann, wie Aroha es seinerzeit gemacht hatte. Dann stehen sie erstaunt und in Ehrfurcht in der ‚Kathedrale‘. Ihre Augen folgen den großen Kauribäumen, die durch das Blätterdach zum Himmel durchstoßen. Alle sind von dieser Stelle überwältigt und beeindruckt. Kevin berührt Aroha kurz an der Hand.

[17] Wanderungen in Neuseeland, vor allem auf der Nordinsel, sind oft nur möglich, wenn man Bäche nicht nur immer wieder durchquert, sondern sogar fallweise in ihnen entlang geht, weil der Busch daneben zu undurchdringlich ist, oder die Felsen zu unwegsam sind. Die Schuhe auszuziehen, wie man das in Europa machen würde, wäre ein Fehler, man würde sich früher oder später verletzen. Das Wasser durch geschicktes Ausnutzen von Steinen zu vermeiden, führt unweigerlich dazu dass man irgendwann ausrutscht und zur Gänze ins Wasser fällt...

»Danke, dass du uns zu diesem Platz gebracht hast. Er ist wie aus einer anderen Welt.« Ihre Augen treffen sich.

Da merkt Aroha, dass der Wind ihr drängend zuflüstert. Sie sieht, wie der Wind zwei dünne Stämme von jungen, nebeneinander stehenden Kauris bewegt, die ihr zuwinken.

»Hier müssen wir weiter gehen«, flüstert sie, »es wird Zeit.«

Wie sie nacheinander zwischen den beiden Kauris durchgehen merken alle, aber nicht alle gleich stark, dass sich vieles um sie in eigentümlicher Weise verändert. Aroha, die dies am stärksten spürt, schnürt es die Kehle zusammen, sie bringt kein Wort heraus. Sie merkt, wie sich das Licht gewandelt hat, die Farbtöne und die Intensität. Wieso? Was hat das zu bedeuten?

»Schaut euch die Farbe der Bäume an«, flüstert schließlich Jeannie.

»Sie sind irgendwie seltsam, oder seltsam geworden. Aber ich kann es nicht richtig in Worte fassen«, murmelt Kevin.

»Und merkt ihr den Geruch«, sagt Mike, »er ist irgendwie frischer als ich ihn je in irgendeinem Tal bemerkt habe.«

»Ja, ich habe auch ein ganz starkes Gefühl, dass hier alles irgendwie jünger ist, neu ist«, stammelt Aroha, die ihre Sprache wieder gefunden hat.

Langsam und vorsichtig gehen sie weiter talabwärts. Sie klettern an einer Reihe von Wasserfällen vorbei, rutschen über feuchte Grashänge, überqueren mehrmals den Bach, wobei sie ohne zu zögern mit ihren Bergschuhen direkt in das Wasser steigen17.

Nachdem sie an einem Wasserfall hinunter vorbeigeklettert sind, der größer war als alle vorhergehenden, machen sie Rast und essen eine Kleinigkeit und genießen diese unberührte ungewöhnliche Umgebung.

»Also ich muss schon sagen«, beginnt Mike zögernd, »diese ganze Gegend erscheint mir irgendwie fremd«.

»Ja«, ergänzt Kevin, »ich habe noch nie einen so hohen Wasserfall in den ganzen Waitakeres gesehen, und wir sind in einer Gegend, die ich an sich gut kenne!«

»Sind wir vielleicht bei der ‚Kathedrale‘ irgendwie auf die andere Seite des Bergrückens gekommen ohne es zu merken? Aber ich kann mir das nicht vorstellen: Wir sind doch nie weit vom Bach weggekommen«, sagt Mike.

Kevin ist ganz sicher: »Nein, das ist unmöglich. Alles erscheint mir seit der ‚Kathedrale‘ irgendwie wundersam. Ist dir aufgefallen, wie leicht wir den schwierigen Abstieg geschafft haben?«

»Ja, das stimmt. Es schaute von oben sehr schwierig aus. Und auch von hier, aber er war auch für uns, die wir weniger geübt sind, kein Problem«, unterstützt Aroha die Aussage Kevins.

»Wie erklärt ihr euch eigentlich die kuriosen Änderungen bei den Pflanzen?«, erkundigt sich Jeannie.

»Ein Mikroklima?«, versucht Mike eine Antwort zu geben, an die er selbst nicht recht glaubt.

»Aber wie erklärt ihr euch vor allem die eigentümlichen Lichteffekte als wir aus der ‚Kathedrale‘ herauskamen?«

Fast zornig unterbricht Kalina: »Wovon redet ihr den eigentlich? Mir ist weder beim Licht noch bei den Pflanzen etwas Besonderes aufgefallen. Ihr redet euch doch da nur irgendwas ein.«

Die anderen ignorieren den Einwand Kalinas und zeigen sich gegenseitig weitere Dinge die ihnen absonderlich vorkommen. Kalina schüttelt nur erstaunt den Kopf.

Aroha drängt es, näher zum Wasserfall zu kommen. Sie nimmt das Kapakapa aus der Bluse, und drückt es fest. Das Gefühl der Unwirklichkeit verstärkt sich. Die Bäume werden heller, und allmählich hört sie Stimmen aus dem fallenden Wasser. Sie erinnert sich, dass Flüsse, Bäche und Wasserfälle bei den Alten als heilig galten, und ihr ist, als würden diese zu ihr sprechen, ohne dass sie sie versteht. Je länger sie in das wirbelnde Wasser starrt, um so mehr kommt es ihr vor, als würde sie dunkle nackte Gestalten sehen, die sich umarmen und tanzen.

Sie zuckt zusammen, als sie plötzlich laut den Ruf von Mike hört: »Aroha, wo bist du? Es wird Zeit, dass wir weitergehen.«

Hastig verbirgt Aroha das Kapakapa und läuft zu den anderen zurück. Ihr Herz schlägt wie verrückt, und das ist nicht nur vom Laufen. Sie fragt, noch ganz außer Atmen die anderen, ob sie auch etwas wie singende Stimmen vom Wasserfall her gehört haben, aber ihre Freunde sehen sie nur erstaunt und verständnislos an.

Sie erreichen Felsen, die so steil aussehen, dass Kevin darauf besteht, sich anzuseilen. »Wenn wir weiter unten einen sicheren Platz finden werde ich ein paar Grundregeln des Kletterns erklären« meint er mit etwas Besorgnis in seiner Stimme: Er hat nicht mit ernsthafter Kletterei in dieser Gegend gerechnet und auch Mike blickt erstaunt.

Die zwei Männer sichern das Seil sorgfältig und lassen zuerst die Mädchen vorsichtig hinunterklettern. Dann folgen sie. Alle sind überrascht, wie leicht diese schwierige Stelle zu bewältigen ist.

Nach einer halben Stunde durch dichtes Gebüsch treten sie auf einen Strand - und bleiben vor Überraschung wie angewurzelt stehen.

»Das ist nicht Karekare«, stottert Kevin.

»Es ist kein Strand den je ich den Waitakeres gesehen habe; und ich bilde mir ein, alle zu kennen«, fügt Mike erstaunt hinzu.

»Ich sehe keine Anzeichen irgendeiner Strasse, die doch hier sein müsste ... ich verstehe nicht, wie wir uns so vergehen konnten. Man sieht doch vom Karekare Strand aus das obere Ende des verborgenen Tals und sieht doch auch vom Strand aus Teile des Baches, den wir herunter gekommen sind. Wie ist es dann möglich, dass wir jetzt nicht auf Karekare stehen? Und wie kommen wir weiter?«, stöhnt Aroha, die die Anstrengungen des Marsches spürt.

»Wir müssen wohl zurück wie wir gekommen sind«, meint Kalina ruhig.

»Nein, das wäre zu langweilig«, meint Mike. »Ich glaube, wir sollten versuchen, den normalen Weg zu finden, indem wir auf der anderen Hangseite hinaufsteigen.«

»Damit wir uns dann endgültig verirren?« sagt Aroha, der die Ungereimtheiten allmählich zu viel werden. Und als einzige ahnt sie, dass das Kapakapa dafür verantwortlich ist und etwas bei Ihnen auslöst, eine Art Halluzination, durch die sie die Wirklichkeit verändert sehen.

[18] Die Strände in den Waitakeres bestehen aus feinem, schwarzen Sand, der stark eisenhältig ist und vulkanischen Ursprung hat. Kurioserweise gibt es in den Hügeln mitten im Wald einige Stellen, wo sich große helle Sanddünen befinden. Die berühmteste Stelle ist wohl jene, die man über die schmale Straße zur Bethel‘s Beach erreicht, wenn man bei der Überquerung des letzten Baches vor dem Strand diesem Bach zu Fuß aufwärts folgt. Man kommt durch dichten Busch in eine Dünenlandschaft, die hier völlig deplaziert wirkt und die mit dem dahinter durch den Sand aufgestauten Süßwassersee fast wie ein Naturwunder wirkt.

»Aroha, Mike hat den Ruf, dass er sich in der Wildnis immer zurecht findet, sogar im Dunklen. Er bringt uns ohne Probleme zurück«, wirft Jeannie ein.

Sie merkt nicht den leicht verunsicherten Ausdrucks Mikes, der sich nicht erklären kann, wo sie sind und wie sie hier her kommen konnten: »Was meinst du, Kevin?«

»Ich gehe mit dir eine andere Route zurück, wenn du dir sicher bist, wo wir hingehen«, antwortet Kevin.

»Was meinst du«, fragt Aroha nun auch Kalina.

»Ich glaube, wir sollten uns nach einer Mittagspause entscheiden. Und jetzt sollten wir zuerst einmal schwimmen gehen. Wer kommt mit?«

Alle laufen über die schwarzen Sanddünen18 und springen in die Brandung. Es ist herrlich, mit dem kühlen Wasser Schmutz und Schweiß abzuspülen und sich von den Wellen wiegen zu lassen. Erfrischt laufen sie zurück und diskutieren weiter über die verschiedenen Phänomene, die sie sich nicht erklären können, während sie hungrig Käse und Wurst verschlingen.

»Wir müssen uns irgendwie verirrt haben«, meint Kalina.

Aber Kevin schüttelt entschieden den Kopf: »Das ist unmöglich. Es gibt nur einen Bach von der Karekare Cattle Road zum Meer, und den sind wir entlang gegangen. Wieso wir nicht beim Karekare Strand angekommen sind, verstehe ich absolut nicht. Und auch Mike ist verblüfft und hat keine Erklärung dafür. Darum glaube ich, dass es am sichersten ist, wenn wir den Weg zurückverfolgen, den wir gekommen sind.«

Schließlich beschließen sie, dass es Zeit für den Rückweg ist. Mike führt, findet immer wieder den leichtesten Weg durch Gebüsch oder an felsige Stellen vorbei. Die Müdigkeit beginnt sich auszuwirken: nur langsam gewinnen sie Höhe.

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Mit schlafwandlerischer Sicherheit führt sie Mike zurück zur ‚Kathedrale‘. Erst da wird ihnen bewusst, dass nach den Anspannungen beim Abstieg der Rückweg leichter als erwartet war und ohne Überraschungen verlaufen ist. Alles scheint wieder ganz normal: das Licht, die Luft, die Bäume. Keiner hatte so recht bemerkt, wann dies eigentlich geschehen ist. Aber sie sind verblüfft, dass sie weder sehr schwierige Felsen zu überwinden hatten, noch einen besonders hohen Wasserfall bemerkten.

Kevin, der als letzter geht, dreht sich noch einmal um, geht durch die beiden jungen Kauri Bäume hindurch und noch ein Stück weiter, den Weg zurück den sie am Morgen gegangen waren: Diesmal ändert sich das Licht nicht! Die anderen, mit Ausnahme von Kalina und Aroha, werden durch Kevins Erzählung neugierig, gehen auch ein bisschen zurück, bestätigen aber, was Kevin berichtet. Kalina geht nicht, sie behauptet nach wie vor ohnehin nie etwas bemerkt zu haben. Und Aroha verzichtet. Der Wind, der ihr am Morgen im Kopf immer zuflüsterte ‚komm, geh weiter‘ schweigt und das Kapakapa ist nicht aktiv.

»Wirklich seltsam«, murmelt Kevin, »ich habe nicht gewusst dass es so steile Felsen und so hohe Wasserfälle, wie wir sie beim Abstieg erlebten in dieser Gegend gibt. Jetzt, am Rückweg, waren auch keine zu sehen. Aber wieso waren sie am Vormittag da? Und wieso führte uns der Bach, der mit Sicherheit zum Karekare Strand fließt heute nicht dort hin? Haben wir gestern alle zuviel getrunken?«

In der sinkenden Nacht sitzen sie um das Lagerfeuer und singen alle Lieder, die sie kennen. Auch zotige und manche laut und mit heiseren Stimmen, aber die meisten eindrucksvoll schön. Kalina und Kevin spielen auf Flöte und Gitarre, und die Musik treibt langsam weg zu den Gipfeln der Hügeln und fällt in das verborgene Tal.


Am nächsten Morgen schlafen sie länger. Noch einmal steigen sie in das verborgene Tal hinunter, bis ein Stück nach der ‚Kathedrale‘, aber sie finden nichts Besonderes und gehen nach einer oberflächlichen Untersuchung, die nichts Außergewöhnliches ergibt, zurück zur Lichtung, und von dort den mehrstündigen Weg zum Auto.

»Werdet ihr euren Freunden von dem erzählen, was wir erlebt haben?«, fragt Kevin.

»Das ist doch nicht dein Ernst. Du kannst doch niemandem erzählen, dass wir uns bei einem Spaziergang in den Waitakeres verirrt haben, wenn du und Mike dabei gewesen seid, die die Gegend in- und auswendig kennen!«, lacht Kalina laut.

Kevin antwortet nicht, aber er blickt alle sehr nachdenklich an.

Als sie nach einer Stunde Autofahrt die Stadt erreichen, hat Kalina alle bis auf Aroha umgestimmt. Die ungewöhnlichen Ereignisse sind verdrängt, werden einem Übermaß von Fantasie zugeschrieben, mit der sie sich gegenseitig ‚hochgeschaukelt‘ haben, wie das Kalina formuliert.