Zur Strecke gebracht
Sie hatten sich gar keine große Mühe gegeben, es zu vertuschen. Zwar waren die Daten auf der Festplatte oberflächlich richtig angeordnet, aber Wes erkannte schon beim Hochfahren des Rechners, dass irgendetwas anders war. Die Platte reagierte träger; der Bootvorgang war definitiv nicht optimiert worden. Als er mit seinen Administrationstools die Werte der Platte abfragte, hatte sie eine andere Seriennummer als seine alte, die Partitionierungen waren leicht anders und manche der tiefer versteckten Dateien waren weg. Es gab keinen Zweifel: Sie hatten ihm die Originalplatte ausgebaut und eine andere installiert, die auf den ersten und zweiten Blick alles enthielt, was die alte enthalten hatte, sich aber auf den dritten und vierten als ein Kuckucksei entpuppte. Der Hubschrauber, dachte er. Von wegen eingebildet.
Er wusste, an die Backuptapes brauchte er gar nicht zu denken: Die würden genauso manipuliert worden sein. Wenn man es nüchtern betrachtete, hatten sie sich eine Menge Arbeit mit ihm gemacht: ein Hubschrauberflug hin und zurück, manipulierte Festplatten, da kam schon was zusammen. Aber warum hatten sie es dann nicht perfekt gemacht? So wie es aussah, wollten sie, dass er den Schwindel bemerkte. Das konnte im Grunde nur heißen, dass sie sich aus seinen Reaktionen auf die Entdeckung weitere Erkenntnisse erhofften. Was wiederum bedeutete, dass sie nicht alles wussten oder wenigstens mit der Möglichkeit rechneten, nicht alles herausfinden zu können. Oder all das heißt, dachte Wes pessimistisch, dass sie sich mit mir ein kleines Spielchen erlauben. Laborratten unter Stress. Mal kucken, was der Kerl so macht, wenn wir ihm Fotos von seinen kleinen Sauereien zeigen.
Wes entschied sich, so zu tun, als sei dies ein ganz normaler Arbeitstag. Er verfiel nicht in Panik, er suchte nicht noch einmal nach Überresten seiner Schnüffelaktion, er machte seinen Job wie ein braver Angestellter. Aber seine Gedanken kreisten um seine beruflichen Aussichten der absehbaren Zukunft. Die waren dürftig. Selbst wenn er um einen Prozess herumkam, würde Veridat Inc. ihn auf die schwarze Liste der Leute setzen, die ernsthaft Scheiße gebaut hatten, und damit war ihm eine Karriere als Tankwart, Zeitungsausträger oder Hausmeister so gut wie sicher. Nicht einmal in Vanuatu oder im Kongo würden sie ihn noch nehmen. Wes versuchte sich auszumalen, wie er in Owensboro/Kentucky Beschwerden wegen der nicht funktionierenden Heizung entgegennahm, oder in Redding/California Fußböden aufwischte. Er fand die Aussicht wenig angenehm.
Konnten sie aus seiner gründlich gesäuberten Platte überhaupt noch etwas herausholen? Und ob. Er hatte nur Software zur Verfügung gehabt, aber in einem gut ausgestatteten Hardwarelabor konnten von Fall zu Fall sogar verbrannte oder scheinbar völlig demagnetisierte Festplatten gerettet werden. Wes wusste das, weil er selbst einmal einen solchen Vorgang überwacht hatte: Bei der Western Energy war einmal eine wichtige Platte über den Jordan gegangen. Sie hatte wirklich übel ausgesehen, der Lesekopf und der Abtastarm waren bei einem Headcrash völlig zerbröselt und in staubfeinen Partikeln innerhalb des Gehäuses verteilt worden. Sie hatten alles wiederhergestellt. Jede einzelne Datei. Das war vor zehn Jahren gewesen, und heute arbeiteten sie mit Quantenecho-Technologien, die Daten auf Teilen der Platte wiederfanden, wo sie eigentlich gar nicht gespeichert gewesen waren. Teuer. Sehr teuer. Aber durchaus machbar. Irgendwo auf dieser Welt freuten sich gerade eine Hand voll Leute, dass sie ihm, Wes, auf die Schliche gekommen waren,
Tja. Er hatte hoch gepokert – und verloren. Game over. Fragte sich nur, wie das Nachspiel aussah.
Die Kündigung kam nach der Mittagspause. Sie hatten sich für die vertragsrechtliche Variante entschieden. Er habe gegen seine Schweigepflicht verstoßen, und zwar indem er seiner Tante vertragswidrigerweise verraten habe, seine neue Arbeitsstelle befinde sich in Europa (die betreffenden E-Mails waren angefügt). Dadurch sei das Vertrauensverhältnis … er habe sich pflichtwidrig … entgegen den guten Sitten und dem sensiblen Charakter seiner Position … umso bedauerlicher, da hervorragend qualifizierter Experte … fristlose Kündigung … gute Wünsche für die Zukunft. Ein Hubschrauber werde ihn um 19.00 Uhr lokaler Zeit abholen, für alle Detailfragen des Transfers zum Festland sei Mr. Masters verantwortlich.
Wes stand von seinem Arbeitsplatz auf, winkte kurz in die Runde seiner Kollegen und räusperte sich, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Sie sahen zu ihm auf wie Schafe, die man beim Grasen gestört hat.
»Leute, ich mach's kurz: Die Firma hat mich gerade gefeuert. Heute Abend kommt ein Hubschrauber und bringt mich zum Festland. War eine spannende Zeit mit euch. Vielleicht sehen wir uns mal wieder. Macht's gut.« Unter den erstaunten Blicken der anderen verließ er das Büro.
Sein Koffer war schnell gepackt.