SIEBENUNDDREISSIGSTES KAPITEL
Am nächsten Tag erschien Marko Borissowitsch, um Pjetkin einen saftigen Weihnachtsbraten zu bringen. Stolz ging er durch das Lazarett, denn Leutnant Zablinsky hatte ihm eine Hundefelljacke und ein Paar Filzstiefel geschenkt. Marko revanchierte sich mit zwei dicken Leberwürsten und den Worten: »Ein junger Ehemann muß bei Kräften bleiben. So ein zwitscherndes Frauchen verlangt mehr, als die Natur zu bieten hat. Eß die Wurst, Brüderchen, aber zeige sie nicht dem Weibchen. Man kann solchen Vergleichen nie standhalten.« Leutnant Zablinsky lachte sich Tränen in die Augen. Dann nannte er Marko einen herrlichen Narren und eilte mit den Würsten unter dem dicken Uniformmantel weg zu seiner Wohnung.
Pjetkin empfing Marko mit düsterem Blick. Abwehrend betrachtete er ein flaches ledernes Etui, das Marko ihm brachte und das aussah wie eine Bildhülle. »Ich habe es eigenhändig genäht«, sagte Godunow. »Genau das Maß. Postkartengröße. Du kannst es an einem Bändchen um den Hals hängen.«
»Spricht hier jemand im Zimmer?« Pjetkin blickte sich suchend um. »Da war doch eine Stimme –«
»Söhnchen«, sagte Marko traurig. »Sei nicht böse, daß ich dich vor Weihnachten belogen habe.«
»Nein, ich habe von Dunja nichts mehr gehört und gesehen; nein, ich habe keine Ahnung, vielleicht operierte sie; nur eine Stunde habe ich Zeit, man muß sich sputen, die Fahrer warten nicht auf mich; ich habe keine Ahnung, was Dunja jetzt macht … Und mir hat es sieben Tage lang das Herz zerrissen, mein Hirn glühte, ich sah die Welt nur noch durch einen roten Schleier. Die Angst fraß mich auf …«
»Söhnchen –« Marko rang die Hände. Er hockte auf der Bettkante, ein zerknitterter Zwerg mit einem riesengroßen, runden kahlen Kopf. »Ich wollte dich überraschen. Ein wirkliches Fest sollte es für dich sein …«
»Wer hat Dunja fotografiert?«
»Ein Wanderfotograf. Das Bild hat mich drei Pfund Fleisch gekostet. Sieht sie nicht wie ein Engel aus, unsere Dunjuschka? Oberärztin ist sie drüben im Frauenlager. Endlich hat der Nichtskönner von Dobronin sie an die richtige Stelle gesetzt. Sie leitet die chirurgische Abteilung, und du solltest einmal sehen, was sie alles macht! So zart wie ein Täubchen, aber in den Händen so kräftig wie ein Mann. Die anderen Ärzte stehen um sie herum und bestaunen sie. Dobronin sitzt jeden Tag stöhnend an seinem Schreibtisch und stellt Listen zusammen, die Dunja verlangt: Neue Medikamente, moderne chirurgische Bestecke, einen neuen Narkose- und Beatmungsapparat, sogar einen Defibrillator hat sie angefordert. Als Dobronin protestierte, hat sie ihn angeschrien: ›Jawohl, ich will klinisch Tote wieder zum Leben zurückholen! Nicht, damit sie weiter in Workuta leiden, sondern damit sie überleben, um später von Workuta zu erzählen! Hier gilt jede Stimme!‹ Und Dobronin setzte sich hinter seine Liste und schrieb: Dringende Bestellung: Ein Defibrillator. – Betrachte ihr Foto genau … sie ist voll Kraft und Hoffnung, unsere Dunjenka.«
Pjetkin holte unter der Matratze das Foto hervor. Es war der einzige Ort, wo es sicher vor Marianka Dussowa war. Wie eine geheiligte Ikone trug er es zum Fenster und betrachtete es. »Wie ihre Augen leben …«, sagte er. »Sie sprechen zu mir.«
»Timbaski ist ein Künstler, man muß es ihm lassen«, sagte Marko. »Ich habe Dunja nie so schön gesehen wie auf diesem Bild.«
»Sie ist schöner, viel schöner! Ihre Augen können, wenn sie glücklich ist, ein Teil des Himmels sein …« Pjetkin nahm das lederne Etui vom Tisch, schob das Foto hinein, und die Hülle paßte genau, wie Marko gesagt hatte. Er öffnete sein Hemd, band das Mäppchen um den Hals und drückte es auf die nackte Brust. Dann knöpfte er das Hemd wieder zu und zog den weißen Arztkittel darüber. »Es war eine gute Idee, Marko. Ich werde Dunja nie mehr allein lassen.«
»Und wenn die Dussowa, dieser feurige Satan, dich auszieht?« Marko schielte zu Pjetkin hinauf und wunderte sich nicht, daß Igor verlegen wurde und im Zimmer hin und her ging. »Wie ist's mit ihr?«
»Wenn sie will, kommt sie zu mir und vergewaltigt mich«, sagte Igor dumpf.
»Und glaubt, daß du sie liebst?«
»So ist es.«
»Und du hast Macht über sie, nicht wahr? Sie schmilzt unter deinen Händen wie Kerzentalg.«
»Sie macht es wie Dobronin. Sie fordert von der zentralen ärztlichen Beschaffungsstelle alles an, was ich verlange.« Pjetkin lächelte schief. »Ich habe bereits einen Defibrillator und ein neues Röntgengerät. Es ist fast ein Wunder. Keine Rückfragen, keine Ablehnungen, keine Verzögerungen – wir bestellen es, und beim nächsten Materialtransport sind die Kisten dabei.«
Auf dem Rückweg von Pjetkin zur Fleischerei trat das ein, was längst fällig war: Marko stieß mit der Dussowa zusammen. Sie rannte aus einem Verbandsraum und blieb wie von einem Schlag getroffen stehen, als sie den Zwerg fröhlich den Gang herunterkommen sah.
»Ich hätte es mir denken können«, sagte sie mit ihrer dunklen Stimme, in der man die Taiga rauschen hörte. »Wo Igor ist, winselt auch sein Hofhund. Wo kommst du her?«
»Zum Gruße, Töchterchen«, sagte Marko fröhlich und lüftete seine Mütze. »Du glaubst es nicht – aber die Sehnsucht trieb mich Tausende Werst durch die Wildnis nach Workuta.«
Die Dussowa sah Marko mit verkniffenen Augen an. Sie fragte nicht nach dem logischsten: Woher weißt du, daß ich hier in Workuta bin? Wie bist du ins Lager gekommen? Mit welchen unverschämten Lügen lebst du hier gesund und fröhlich unter den Toten Seelen? Nein, sie zog nur die schönen, vollen Lippen zusammen zu einem Strich und sagte:
»Wenn ich dich noch einmal treffe, wirst du wie Ungeziefer behandelt. Hinaus, du Rotzfleck!«
»Welchen Irrweg die Liebe geht«, sagte Marko und schob sich an der Dussowa vorbei. Dann beeilte er sich, aus ihren Augen zu kommen. Zu allem ist sie fähig, dachte er und rannte davon.
Marko Borissowitsch ging über den großen Appellplatz zu den Verwaltungsbaracken. Er wußte nicht, daß die Dussowa ihn vom Fenster der Apotheke beobachtete, den Kopf gesenkt, die Stirn in Falten, sehr nachdenklich und ertrinkend in langsam aufsteigender Angst.
Er ist nicht zufällig hier, das wußte sie. Er ist Pjetkins Auge und Ohr, Hand und Sprache nach draußen. Er ist Pjetkins verlängerter Körper … so hoch die Zäune auch sind, durch Marko lebte Igor in der Freiheit.
Dunja! War Marko die Brücke zum Frauenlager? Pendelte er hin und her, eine Biene, die den Honig der Liebe von Lager zu Lager trägt?
Marianka Dussowa schlug die Fäuste gegeneinander und ging mit ihrem festen Schritt durch das Krankenhaus. Wer sie von weitem kommen sah, verschwand sofort im nächsten Zimmer. Jeder kannte diesen Gang, das Dröhnen ihrer langen Stiefel. Ihr jetzt zu begegnen, war ein Schicksalsschlag. Sie ging zum OP I, wo Pjetkin gerade einen Nierenstein entfernte. Alle Köpfe fuhren herum, als die Tür klappte. Pjetkin hob abwehrend die Hand.
»Sie sind nicht steril, Marianka Jefimowna!« rief er.
»Wie oft soll ich Ihnen sagen, daß ich immer steril bin?« schrie sie zurück. »Kommen Sie heraus, Pjetkin, ich habe mit Ihnen zu reden!«
»Ich operiere.«
»Den Nierenstein kann Dr. Tarrasow weitermachen.«
Dr. Tarrasow, ein junger Arzt aus Kiew, zuckte zusammen und starrte Pjetkin hilfesuchend an. Er hatte noch nie selbständig operiert. Der Nierenstein flößte ihm Angst ein. Das offene Nierenbecken, die bereits gespaltene Niere, die vielen Klemmen und Ligaturen … er stand davor wie ein Bauer vor einem zerrissenen Computer.
»Tarrasow kann das nicht«, sagte Pjetkin ruhig. »In einer halben Stunde stehe ich zur Verfügung, Marianka Jefimowna.«
»Jetzt!« schrie sie. Ihr Gesicht glühte. »Was kümmert mich Tarrasow? Ich rede jetzt mit Ihnen, Igor Antonowitsch!«
Pjetkin legte die lange, gebogene Zange weg, mit der er den Nierenstein herausholen wollte. Ihm gegenüber stand, gebeugt über die Operationswunde, die junge Ärztin Dr. Pladunewja. Ein häßliches Mädchen mit stumpfen, braunen Haaren und einem viel zu großen Mund. Aber sie hatte eine Seele und sah Pjetkin oft stumm und dankbar an, wenn er wieder einen Menschen gerettet hatte.
»Machen Sie weiter, Wanda Nikolajewna«, sagte er. »Sie können es, ich weiß es. Nur Mut. Achten Sie auf den Stiel. Nur nicht so sehr an der Niere reißen. Ein Stielbluten ist immer kompliziert. Und sehen Sie den Harnleiter nach, ob sich dort ein kleinerer Stein festgesetzt hat. Keine Panik, Wanda Nikolajewna – Sie schaffen es …«
Er trat vom Tisch zurück, riß die Gummischürze ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn, warf die Gummihandschuhe in einen Eimer und ging dann an der finster blickenden Dussowa vorbei aus dem OP. Sie folgte ihm und knirschte mit den Zähnen, als er sich zu ihrem Zimmer wandte und nicht zu seinem Wohnraum.
»Ich bin bereit, Genossin Chefärztin«, sagte er steif, als sie allein im Raum waren. »Sie haben hier zu befehlen, auch wenn ein Mensch dabei in Lebensgefahr kommt. Reden Sie mit mir.«
»Ich bin in Lebensgefahr!« schrie die Dussowa. Ihr Körper bebte. »Ich habe Marko gesehen!«
Pjetkin spürte eisige Ruhe in sein Herz fallen. »Ja, er ist hier«, sagte er gleichgültig.
»Du hast ihn nie erwähnt.«
»Warum? Ist er so wichtig?«
»Er bringt dir Nachrichten von Dunja –«
»Wie könnte er das? Dunja ist doch versetzt nach Omsk.«
»Ist sie das?«
»Du hast es selbst gesagt.« Pjetkin lächelte böse. »Oder hast du gelogen, Marianka?«
»Sie ist weg! Weg! In der Hölle! Igorenka –« Sie stürzte auf ihn und umklammerte seinen Nacken. Ihr Mund war aufgebrochen wie ein Vulkan. »Ich töte uns beide, wenn du dich weiter um Dunja kümmerst. Ich erfahre es … glaub nicht, daß du ein Geheimnis behalten kannst. Ich lese es an deinen Augen ab, ich höre es in deinem Atem, ich spüre es am Streicheln deiner Hände …« Sie stieß sich von ihm ab. »Ich werde die Gefahr abschneiden, ganz einfach abschneiden wie einen morschen Faden«, sagte sie leise und dunkel. »Ich werde Marko Borissowitsch vernichten … und du kannst es nicht verhindern, mein niederträchtiger Liebling –«
Sie rannte aus dem Zimmer, ehe Pjetkin antworten konnte. Mit einem dumpfen Laut stürzte er ihr nach und lief hinter ihr über den Gang. Die Angst um Marko schnürte ihm die Luft ab.
*
Nicht Godunow war es, der ins Gras beißen mußte, sondern der große, hakennasige und weiberjagende Dr. Wyntok. Er lag eines morgens tot in einer Schneelache, seine Hirnschale war eingedrückt, und er sah nicht mehr begehrenswert aus, sondern blutverschmiert, dreckig und hatte ein Gesicht, das im Schmerz verzerrt war. Ausgerechnet Skopeljeff fand ihn … Schon zwei Stunden später nahm eine Sonderkommission die Arbeit auf. Der politische Kommissar des Frauenlagers hatte sofort nach Besichtigung der unschönen Leiche seine vorgesetzten Kollegen in Workuta-Stadt angerufen, und die wiederum, schon im voraus sicher, überfordert zu sein, telefonierten mit der KGB-Zentrale in Perm.
Dobronin übernahm es, die Todesursache Wyntoks festzustellen. Nachdem man den Toten von allen Seiten fotografiert hatte, wurde der Platz abgesperrt und der lange Leichnam ins Lazarett transportiert. Dort scharten sich sämtliche Ärzte um Wyntok, schauten ihm in das verzerrte Gesicht und empfanden keinerlei Mitleid.
»Fangen wir an«, sagte Dobronin und warf Dunja eine Gummischürze zu. Sie fing sie auf und hing sie sich mit starrer Miene um. Kutjukow band sie hinten zu und half ihr, die Gummihandschuhe überstreifen. »Dunja Dimitrowna, Sie haben die besten Nerven. Sie haben dem lebenden Nikolai Michailowitsch widerstanden … da werden Sie vor dem toten keine Angst haben.«
Dobronin wusch den blutverkrusteten Schädel, und das Bild wurde klar. Die Hirnschale war eingeschlagen, als sei ein Felsblock mitten auf Wyntoks Kopf gefallen.
»Welch ein Schlag!« sagte Dobronin entsetzt. »Der Mörder muß eine Eisenstange benutzt haben …«
»Eine einfache Holzlatte.« Dunja zog aus den Haaren einige Splitter und hielt sie hoch. »Beim Zuschlagen muß die Latte zersplittert sein.«
»Kann man mit einer Latte einen Menschen wie Wyntok erschlagen?« Dobronin starrte die Holzteilchen an. »Er hatte doch eine ganz normale Schädeldecke. Er war doch kein Ei, das man einfach mit einem Löffelchen aufklopfen kann.«
»Wenn man die Latte dreht und mit der Kante schlägt …«
»Das ist es!« Dobronin setzte sich auf einen Hocker neben dem OP-Tisch. »Dunja Dimitrowna, Sie haben eine erstaunliche Kenntnis, wie man einen Menschen tötet.«
»Wir haben am Amur, wenn im Winter die Wölfe aus der Taiga schlichen, die Bestien mit solchen Latten erschlagen. Wir hätten sie schießen können, aber die Munition war zu wertvoll. Die Winter sind lang und unberechenbar. Aber ein Knüppel, eine Latte, findet sich überall. Was für einen Wolf gut ist, genügt auch für einen Wyntok.«
»Lobet die Frauen, denn ihre Seele ist empfindsam …«, sagte Dobronin feierlich. »Ich bin ein Großstadtkind und kenne einen Wolf nur aus dem Zoo. Was für Menschen seid ihr bloß in Sibirien! Da liegt der arme Wyntok, das Hirn sickert ihm aus dem Kopf, und ein zartes Mädchen erzählt ganz ruhig, wie man Wölfe und Menschen umbringen kann. Dunja … sezieren wir weiter …«
Dobronin – wir wissen das – war ein schlechter Chirurg, aber vom Sezieren verstand er etwas. Vielleicht störte ihn bei der Operation, daß seine Patienten noch lebten und es ganz an ihm und seiner Geschicklichkeit lag, ob sie den Eingriff überlebten. Das machte ihn jedesmal unsicher … hier aber, bei einem garantiert Toten, kam es auf saubere Schnittführung, Blutgefäßunterbindungen, Umnähungen und Abklemmen nicht mehr an, hier konnte man mit Elan aufschneiden und wegdrücken, was einem im Wege lag. Und so eröffnete Dobronin den Magen, legte Wyntoks Därme bloß und holte den Mageninhalt heraus. Ein Ei und ein Klumpen Dauerwurst waren noch nicht verdaut, auch fanden sich leicht vergorene Brotreste in der Brühe aus Speise und Tee.
»Er hat gefrühstückt, machte einen Spaziergang und knack – war seine Hirnschale eingeschlagen.« Dobronin winkte Dunja. Sie drückte die großen Schnittwunden zu und übernähte sie grob.
Dobronin deckte Wyntok mit einem Bettuch zu und ließ ihn auf dem OP-Tisch liegen, sosehr Dunja auch protestierte. »Das ist eine Schweinerei«, rief sie. »Ein OP-Tisch ist kein Leichenlager! Außerdem brauche ich ihn um 10 Uhr. Ich habe eine Galle auf dem Programm.«
»Eine Schweinerei ist, daß man mitten unter uns einen Kollegen ermordet!« schrie Dobronin zurück. »Und Ihre Gallensteine können auch bis morgen im Bauch klimpern! Wissen Sie überhaupt, was jetzt passiert? Die Sonderkommission aus Perm landet mit einem Düsenjäger in einer halben Stunde. Natürlich ist Moskau längst verständigt. Wir werden hier keine ruhige Minute mehr haben. O Himmel –« Dobronin starrte Dunja an. »Haben Sie nicht in Irkutsk mit einer Latte einen Arzt erschlagen?«
»Mit einer Flasche, Genosse. Aber er lebt noch.«
»Durch Zufall. Er ist gelähmt.« Dobronin schnaufte laut durch die Nase. »Ob Flasche oder Latte … hier tauchen Parallelen auf. Dunja Dimitrowna, ist Ihnen Wyntok heute morgen zu nahe getreten?«
»Nein.«
»Wo waren Sie, als Wyntok erschlagen wurde?«
»In der Banja.«
»Mein Gott! Dreißig Meter von der Banja hat man Wyntok gefunden!«
»Ein Zufall.«
»Erklären Sie das mal der Sonderkommission aus Perm!«
»Da gibt es keine Erklärungen. Anna Stepanowna war mit mir in der Banja.«
»Das stimmt.« Die dralle Ärztin mit dem Bauerngesicht trat aus dem Kreis der weißen Kittel hervor. »Wir lagen nebeneinander in den Kübeln. Wir sind zusammen hineingegangen und haben die Banja zusammen verlassen.«
»Und habt Wyntok nicht im Schnee liegen sehen?«
»Der Weg zum Krankenhaus liegt zur anderen Seite, Genosse Chefarzt.«
Dobronin raufte sich die Haare. Das Telefon im OP schlug an. Dr. Kutjukow nahm den Hörer ab. »Die Sonderkommission ist gelandet«, sagte er. »Danke, Andron Fjodorowitsch.«
Dobronin wischte sich die Stirn. Er war in seine Verzweiflung geschlüpft wie in einen zu weiten Anzug. »Dunja Dimitrowna, Sie haben Erfahrung darin … kann ihn eine Frau erschlagen haben? Seine Weibergeschichten sind zahllos. War's eine Eifersuchtstat?«
»Warum nicht?« Dunja band ihre Gummischürze wieder ab. »Es gab genug Frauen, die ihm den Tod wünschten. Und jede hatte die Möglichkeit, an eine Latte zu kommen. Auch die Sonderkommission wird sich verirren. Man wird den Mörder nie finden, glaube ich …«
Die Sonderkommission untersuchte zehn Tage lang den geheimnisvollen Tod des Dr. Wyntok. Sie verhörte siebenundsechzig Frauen, bis der Leiter der Kommission, ein Genosse Buraschewski, stöhnend die Protokollakten zuklappte. »Er muß ein Hirsch gewesen sein, dieser Wyntok«, sagte er erschüttert. »Siebenundsechzig Weiber, und immer sind's noch nicht alle. Mit allen hat er gehurt! Bei neunzehn hat er abgetrieben. Wie hat er das nur geschafft? Woher nahm er die Potenz? Verdammt, ich schließe die Akten. Der Fall ist erledigt! Täter unbekannt. Sie können den Genossen Wyntok ins Krematorium fahren.«
Am elften Tag wurde Dr. Wyntok verbrannt. An diesem Tage besuchte Marko wieder Pjetkin. Er wußte nichts von der Absicht der Dussowa, ihn umzubringen. Damals hatte Pjetkin es noch verhindern können. Er hatte Marianka eingeholt, von hinten umfaßt und festgehalten. Und weil seine Hände genau auf ihren Brüsten lagen und sie drückten, wurde sie sanft, seufzte und legte den Kopf nach hinten. »Komm –«, hatte er mit heiserer Stimme gesagt. »Sei wieder wie der Steppenwind … Wir sollten uns nur in der Liebe zerfleischen …«
Und während die kleine, ängstliche Ärztin Wanda Nikolajewna und der zitternde Dr. Tarrasow ihren ersten Nierenstein zu Ende operierten, lag die Dussowa in Pjetkins Armen. Von da an begegnete Marko noch zweimal der Dussowa. Sie übersah ihn, ging an ihm vorbei, als sei er eine Luftblase, und als er einmal sagte: »Der Teufel grüße dich, Schwesterchen!«, spuckte sie ihm ins Gesicht.
An diesem Tage, an dem man Dr. Wyntok verbrannte, saß Marko bei Pjetkin im Zimmer und zeigte ihm seine Handflächen.
»Siehst du etwas?« fragte er finster. Pjetkin betrachtete die Hände als Mediziner. »Nein.«
»Ich habe sie jeden Tag gewaschen. Dreimal. In den ersten Tagen habe ich sie gescheuert mit Sand, bis die Haut durchgeschabt war. Jetzt müßten sie sauber sein.«
»Natürlich. Bist du verrückt, Marko?«
»Nein, Igorenka … ein Mörder.« Marko blickte auf seine Hände, sie zitterten leicht. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber ich habe mit diesen Händen einen Menschen getötet. Einen Dr. Wyntok. Er beobachtete Dunja in der Banja und lauerte ihr auf. Mit einem Holzscheit habe ich ihm den Schädel eingeschlagen. Es knackte wie trockenes Reisig. Und dann lag er da im Schnee wie ein weggeworfenes Bündel Lumpen … und ich war ein Mörder. Mit diesen Händen.« Marko hielt sie Pjetkin wieder hin. Die Innenhaut war rot, abgeschabt.
»Er … er wollte Dunja überfallen?« sagte Igor leise.
»Ja. Er sah ihr durchs Fenster zu, wie sie nackt in der Banja herumsprang. Dann schlich er weg wie eine Katze.«
»Deine Hände sind sauber.« Pjetkin drückte Markos Arme herunter und hielt sie fest. Sie sahen sich an und dachten das gleiche.
»Vergessen wir diesen Wyntok … ich gebe dir Salbe für deine Hände, mein Väterchen –«