ZWÖLFTES KAPITEL
Sadowjew war durchaus nicht erfreut, als unverhofft Dr. Pjetkin vor seinem Haus hielt und sich von einem schauerlich knatternden Motorrad schwang. Sie saßen gerade um den Tisch zum Abendessen, Anna Sadowjewa hatte mit Speck angereicherten Hirsebrei und würzige Gurken aufgetragen, der Kwass duftete im Tonkrug, und es war alles in allem ein geruhsamer Abend geworden, nachdem sich Sadowjew in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Dorfproduktionsgenossenschaft den ganzen Tag geärgert hatte über die Uneinsichtigkeit seiner Genossen. Und gerade jetzt, als sich Sadowjew ausstreckte, die Beine unter den Tisch reckte und den ruhigen warmen Abend genoß, ratterte es draußen auf der Straße wie ein verrostetes Maschinengewehr und knallten schaurig einige Fehlzündungen.
Sadowjew sprang auf und rannte ans Fenster. »Wer hat hier ein Motorrad?« schrie er, als wenn die Frauen darauf eine Antwort geben könnten. »Nur der Bezirkssekretär. Er fehlt mir noch zu meinem Glück! Anna, versteck die Gurken, der Kerl frißt wie ein Stier im Winter.«
Er zog seine gestrickte Jacke an, setzte das runde Käppchen auf den Schädel und zog die Spitzen des langen Schnurrbartes durch die Finger. Dabei ging er im Geiste noch einmal alles durch, was in den letzten Monaten im Dorfsowjet besprochen worden war. Sadowjew seufzte tief und blickte seine Frau Anna traurig an und schlich sich wie ein geprügelter Hund vor das Haus.
Dort stieß er auf dem Weg zum Flechtzaun auf Dr. Pjetkin, der seine Maschine angebunden hatte wie ein Pferd. Sadowjews Miene verfinsterte sich noch mehr. »Sie sind mit dem knatternden Ungeheuer gekommen?« fragte er. Breitbeinig stellte er sich Pjetkin in den Weg. »Was wollen Sie, Genosse?«
»Ich hatte versprochen, wiederzukommen«, sagte Pjetkin fröhlich.
»Ach so. Ja.« Sadowjew rührte sich nicht vom Fleck. »An eingehaltene Versprechungen haben wir uns noch nicht gewöhnt.«
»Wenn es möglich ist, möchte ich Dunja sprechen.«
Das ist wieder so ein gemeiner hinterhältiger Satz, dachte Sadowjew. Wenn es möglich ist … natürlich ist das möglich. Sie müßte schon auf dem Mond sein oder begraben, um auf diese Frage mit einem Nein zu antworten. Er überlegte, wie man ausweichen könnte, aber so schnell fand er keinen Ausweg, und so nickte er mit finsterer Miene zum Haus hin. »Wir essen gerade. Haben Sie Hunger, Genosse? Dürfen wir Sie einladen? Hirsebrei mit Gurken.«
Er drehte sich um, stampfte auf seinen krummen Reiterbeinen zum Haus, stellte sich in den Vorraum und brüllte: »Besuch! Igor Antonowitsch! Annuschka, hol die Gurken wieder hervor!« Dann half er Pjetkin aus dem Mantel und ärgerte sich, daß Dunja die Tür aufriß und aus der Stube stürzte, als sei der Ofen explodiert. Hinter ihr erschien Anna, sein Weib, und auch sie hatte glänzende Augen. Er schob sich zwischen Dunja und Pjetkin, aber da beide größer waren als er, blickten sie sich über seinen Kopf hinweg an.
Sie schwiegen beide, nur ihre Augen sprachen alles aus. Welche Qual des Wartens ist nun vorbei. Was weiß man über sich selbst, Igoruschka?
Sie gaben einander die Hand, und Pjetkin hielt sie fest, als sie ihm die Finger wieder entziehen wollte. Anna Sadowjewa war zurück ins Zimmer gerannt und schob eine große Pfanne auf das Feuer. Sie schlug vier Eier hinein und schnitt lange Streifen Speck dazu.
»Sie machen aus einem gewöhnlichen Abend einen Feiertag, Igor Antonowitsch«, sagte Sadowjew steif und hob schnuppernd die Nase. »Mütterchen backt Speck mit Eiern, das ist eine Auszeichnung, eine große Auszeichnung, glauben Sie's mir …«
Sie gingen in die Stube, noch immer Hand in Hand wie zwei schüchterne Kinder, und Dunja drängte Pjetkin auf den Eckplatz der Bank. Über ihm hing eine alte Ikone mit einem Brett darunter, auf dem das ewige Licht flackerte. Eine dicke runde Kerze in einem roten Glas.
»Ich hatte versprochen, zu kommen«, sagte Igor noch einmal, als müsse er sich entschuldigen. Er blickte Sadowjew an, der sich eine selbstgeschnitzte Pfeife stopfte, einen riesigen Kolben, in dem ein Berg Tabak verschwand. Wenn er mit der am Ende ist, sind wir vergiftet, dachte Pjetkin. »Viermal habe ich versucht, mich anzumelden. Aber im Parteihaus meldete sich keiner.«
»Wie soll's auch klappen?« Sadowjew zündete die Pfeife an. »Nur zwei Stunden am Tag kann ich mich um das Schriftliche kümmern. Haben Sie schon ein Pferd, ein Rind oder ein Schwein gesehen, das zu Ihnen sagt: ›Lieber Dimitri, wir haben Hunger, aber unterschreib erst die Briefchen im Büro?‹ So aber denkt man sich das doch in den übergeordneten Verwaltungen.«
Sie aßen Eier mit Speckstreifen, Hirsebrei und herrlich duftende Gurken. Dunja blickte Pjetkin öfter an. Ihre großen blauen Augen leuchteten.
Später, nachdem Pjetkin stockend von seiner Arbeit im Lager berichtet hatte, denn Sadowjew lenkte ihn mit Fragen ab, tranken sie wieder den süßherben Birkenwein und Pjetkin rauchte eine Zigarette. Dunja war aus dem Zimmer verschwunden, mit Anna, dem Mütterchen, tuschelnd, was Sadowjew unruhig werden ließ. Wenn Weiber die Augen verdrehen kommt nie etwas Gescheites dabei heraus, dem Himmel sei's geklagt! Ist das ein Abend, an dem man sich erholen kann? Es gibt Augenblicke, die nie wiederkehren in einem langen Leben. Genau genommen ist jede verbrauchte Sekunde für immer verronnen, doch wer denkt daran? Der größte Teil unseres Lebens ist Gewohnheit, Gleichmaß, Ähnlichkeit. Ein breiter Strom, auf dem wir alle dahintreiben bis zur Mündung, an der wir dann im großen Meer verschwinden. Aber einmal, Freunde, einmal in diesem grauen Leben fällt ein Blitzstrahl hell und alles verwandelnd in die Seele, und genau das geschah jetzt mit Pjetkin.
Dunja war zurückgekommen. Sie hatte sich umgezogen, und eine Märchenprinzessin konnte nicht schöner sein. Ein mongolisches Gewand trug sie, kobaltblau und mit Blüten bestickt, Pumphosen, die in weichen, weißen Stiefelchen steckten und ein Jäckchen, das die Brust umspannte und durch eine goldene Kette vorn zusammengehalten wurde. Die Fülle der blonden Haare hatte sie hochgesteckt und unter einer runden, seidenen Kappe verborgen. Sogar die Lippen hatte sie rot nachgezogen, was Sadowjew mißbilligend bemerkte. Und doch war er stolz auf seine Tochter, welcher Vater wäre es nicht? Wo gab es eine größere Schönheit als sie? Und eine Ärztin war sie, eine Akademikerin, ein unbegreiflich kluges Köpfchen … manchmal war es schwer, zu glauben, daß so etwas im Hause Sadowjew herangewachsen war. »Sie ist meine Sonne«, hatte Sadowjew oft gesagt, wenn Dunja in den Semesterferien aus Chabarowsk nach Issakowa kam. »Wer ihr ein Haar krümmt, den zerhacke ich wie einen Kloben! Bei Gott, niemand hält mich davon ab.« Das war heute alles anders. Hilflos hockte Sadowjew auf seinem Schemel und hielt sich an seiner Pfeife fest, als Dunja leichthin sagte: »Wir gehen hinunter zum Fluß, Väterchen. Eine warme Nacht ist's.«
Und wie warm sie ist, dachte Sadowjew wütend und konnte sich doch nicht rühren, denn das verletzte das Gastrecht. So warm, daß die Stuten verhalten wiehern und die Hengste mit dem Kopf gegen die Stallwand donnern.
Hilfesuchend blickte Sadowjew zu seiner Frau. Aber Anna Sadowjewa war verrückter als alle anderen. Sie strahlte wie ein blanker Eisentopf und hatte die Hände über der Schürze gefaltet, als warte sie auf den Segen des Popen. Ist das ein Abend! grollte Sadowjew innerlich. Wäre doch bloß der Bezirkssekretär gekommen statt dieser Dr. Pjetkin. Er stierte Dunja und Igor nach, wie sie das Zimmer verließen. Er war sich klar darüber, daß er irgend etwas unternehmen mußte, denn dieser Nachtspaziergang endete ohne Zweifel dort, wo kein Vater seine Tochter gerne sieht. Aber was soll man tun? Alt genug ist sie ja, erwachsen mit ihren fünfundzwanzig Jahren, und eine Ärztin ist sie auch, das vergißt man als Vater. Sadowjew seufzte laut und erhob sich. Er reckte sich, rollte mit den Armmuskeln und drückte seine Kappe fest auf den Kopf. Weiter kam er nicht. Vom Herd ließ sich Anna vernehmen.
»Du hast etwas vor, Dimitri Ferapontowitsch!«
»Wie wahr!« knurrte er und blieb an der Tür stehen. »Ich habe wirklich Wichtiges vor.«
»Etwas Schlechtes …«
»Das ist Ansichtssache. Ich werde ihnen nachschleichen und aufpassen, daß Dunja nichts geschieht! Legt er sie ins Gras, drehe ich ihm den Hals rum wie einer Taube.«
»Du wirst hier sitzen bleiben und deine Pfeife rauchen«, sagte Anna bestimmt. »Dunja liebt ihn.«
»Und wenn sie unterm Rock was heimbringt?« schrie Sadowjew. »Soll ich vor Schande blind werden?«
»Wer ist uns nachgeschlichen, als wir zum Fluß gingen, he? Erinnerst du dich noch, Dimitri?« Anna, das Mütterchen, setzte sich in die Schöne Ecke und lächelte verträumt.
»Immer diese alten Sachen!« Sadowjew tappte zurück ins Zimmer und setzte sich an den Tisch. O ja, er erinnerte sich genau. Es war das erstemal, wo er sich hinterher gefragt hatte, wieso ein so schönes Mädchen wie Anna einen Menschen wie ihn lieben konnte.
»Ich könnte ihn anspucken, diesen Pjetkin!« sagte er und knirschte schaurig mit den Zähnen. »Ein Lagerarzt! Und so etwas kommt in unsere Familie.«
*
Der Mond zog breite silberne Streifen über den Fluß, als Dunja und Igor sich im Ufersand niederließen und die Arme um sich legten.
Auf dem Weg durch das Dorf hatten sie kaum miteinander gesprochen. Die völlige Stille war wohltuend, der warme Wind, der von den chinesischen Hochebenen jenseits des Amur herüberwehte, blähte die Pumphosen Dunjas und zerfächerte Igors Haare. Eine ganze Strecke lang lief ein Hund vor ihnen her, ein kleines, struppiges, gelbfelliges Tier, lautlos wie sie und mit bernsteinfarbigen Augen. Blieben Igor und Dunja stehen, um in den silberüberhauchten Nachthimmel zu blicken oder das Blinken und Glitzern der Amurwellen zu bewundern, verhielt auch er, starrte sie an und stellte die spitzen Ohren auf. Dann trottete er weiter, auf samtenen Pfoten, aber am Dorfausgang blieb er stehen und legte sich am letzten Flechtzaun in das sandüberstäubte Gras.
Issakowa schlief. Nur hinter ein paar Fensterläden schimmerte Licht, mattes Leben unter tief heruntergezogenen, mit dicken Holzschindeln gedeckten Dächern. Dunja zeigte auf den Lichtschimmer und wußte von allen eine Geschichte.
Sie lachte leise und hakte sich bei Igor unter. »Es gibt schon wunderliche Menschen, selbst in Issakowa.«
»Das größte Wunder bist du«, sagte Igor. »Unbegreiflich, unerschöpflich …«
Es war das erstemal, daß sie sich küßten, ohne daß hinterher der Zauber durch einen Schlag vertrieben wurde. Sie umfaßte seinen Nacken und drängte sich an ihn, und er legte die Arme um Schulter und Hüften, preßte sie an sich, so fest, daß sie einen piepsenden Laut von sich gab wie ein erschrockenes Vögelchen. Dann floß über sie das Glück einer grenzenlosen Zärtlichkeit. Ihre Herzen zuckten, sie hielten einander umklammert, als müsse jeder den anderen vor dem Hinsinken stützen, Brand schlug aus ihren Lippen und schmolz sie zusammen. Man soll aus Igor keinen Heiligen machen – er war es nicht, Brüderchen. Natürlich hatte er schon seine Erlebnisse gehabt, schließlich war er sechsundzwanzig Jahre alt, und man hätte sich mit Recht gewundert, wenn er ein Weibchen nur in der Anatomie oder auf dem Untersuchungstisch gekannt hätte. Aber immer war das Erlebnis nur bis an seine Haut gekommen, nie tief in sein Herz … wenn er den süßlichen Liebesschweiß von sich spülte und die Dusche verließ, war auch die nächtliche Befriedigung von ihm abgetropft.
Jetzt, in dieser warmen Nacht am Amur, erlebte er die sinnbetörende wirkliche Liebe. Nichts Wildes war an ihr, nicht der animalische Drang zur Vereinigung … ein Glücksgefühl war es, ein Taumeln, ein seliger Schmerz.
Umschlungen gingen sie weiter zum Fluß, blieben in kleinen Etappen stehen und küßten sich. Es war das Trinken von Seligkeit, und ihr Durst wuchs, je öfter sie ihn stillten. Auf der flachen Uferböschung legten sie sich in den von Grasbüscheln durchsetzten Sand und schwiegen ergriffen. Die majestätische Schönheit des silberüberhauchten Flusses, dessen anderes Ufer in der Nacht versank, das leise Gluckern der Wellen, das Flüstern des warmen Windes, der über ihre langgestreckten Körper glitt, und die verschwommenen Laute, die von überall aus der Dunkelheit zusammenstießen, waren wie zärtliche Musik.
Igor drehte sich zu Dunja und legte seine Hände über ihre Brüste. Sie dehnte sich unter seinem Griff, schloß die Augen und wartete mit verhaltenem Atem.
»Wie ich dich liebe …«, sagte er leise und beugte sich tief über sie. »Unbegreiflich ist das, unerklärbar. Dunjuscha … ich bin aufgerissen und verblute …«
Mit beiden Armen umschlang sie ihn, zog ihn über sich und genoß die Schwere seines Körpers. Als er begann, ihre Bluse aufzuknöpfen, zitterten ihre Lider und verkrampfte sich ihr Mund. Die Muskeln ihrer langen Beine spannten sich und drückten ihren Schoß zu. Zum erstenmal war's, daß ein Mann sie berührte, und es war ein wundersames und doch schrecklich ängstliches Gefühl. Von den Brüsten lief das heiße Zittern über Leib und Schenkel, und als die Brüste frei lagen und Igor sie küßte, war sie einer Ohnmacht nahe.
»Wie schön du bist«, flüsterte Igor. »Wie unbegreiflich schön. Einen Engel habe ich erobert …«
Er kniete über ihr, zog die mongolischen Hosen von den Beinen, tastete ihren Körper mit den Lippen ab, legte sein Ohr an ihr Herz und atmete den Duft aus ihren Poren.
»O Igor …«, sagte sie, und ihr Stimmchen war klein und demütig. »O Igor … was ist das mit uns … ich verbrenne und erfriere …«
Dunja hielt ihn fest, in einer letzten, zitternden Abwehr. Weit aufgerissen schrien ihn ihre Augen an, explodierende Sterne an der Grenze des Verlöschens.
So bemerkten sie nicht, denn die Welt um sie herum bestand nicht mehr, wie ein Schatten vom Dorf zum Fluß glitt. Ein langer, dünner Streifen Dunkelheit in der Nacht, lautlos, wie auf Katzenpfoten federnd. Er schlich um die Holzstapel herum, versteckte sich hinter dem Gerippe des alten, verrosteten Krans, dieser sichtbaren Fehlplanung des Bezirkswirtschaftskommissariat, kroch dann die letzte Strecke des Weges bis zum Ufer auf allen vieren und blieb zwischen den hohen Grasbüscheln liegen, vier Meter von Igor und Dunja entfernt. Ein flacher, grünbrauner Fleck, der sich streckte, Arme und Beine bekam und einen Kopf mit kurzgeschnittenen Haaren.
Er lag da und wartete mit leise knirschenden und mahlenden Zähnen ab, bis Igor den Körper Dunjas aus dem Gewand geschält hatte, bis sie sich heiß umarmten und stammelnde Worte zuflüsterten. Dann erhob er sich zu voller Größe, machte zwei lange Schritte und lachte rauh und herausfordernd.
»So ist's gut, Brüderchen!« schrie der Schatten. »Die Arbeit hast du mir abgenommen. Nun wälz dich weg, Idiot, oder ich zertrümmere dir den Schädel wie ein gekapptes Ei!«
Breitbeinig stand er da, gegen den Nachthimmel von drohender Größe. Mit einem Schrei warf sich Dunja auf den Bauch, ebenso gewandt schnellte sich Igor von ihr fort, federte auf die Beine und stürzte sich zwischen den Schatten und sie. Das Mondlicht über dem Amur beschien auch den Menschen, der da mit höhnischen Augen stand und die Fäuste gegeneinander schlug. Igor erkannte sofort die Uniform, die breiten Schulterstücke, die silbernen Sterne. Ein Offizier vom Lager in den Wäldern. Ein einsamer reißender Wolf in dieser Nacht.
»Nimm die Beine in die Hand, du Kulakenlümmel, und verkrieche dich. Du hast das Vögelchen gefangen und gerupft, aber braten werde ich es mir!« sagte er heiser. »Willst dich wohl wehren, was? Störrisch ist er, der kastrierte Esel!« Er lachte wieder, dröhnend, gefährlich, streckte die Fäuste vor und warf einen Blick auf Dunja. Sie hatte das Gewand über sich gerissen, stieß sich plötzlich mit den Füßen ab und rollte den sanften Hang hinunter zum Ufer des Stromes.
»Es flattert noch, das Vögelchen!« schrie der Offizier. »Brechen wir ihm schnell die schönen Flügelchen.«
Er wollte ihr nachspringen, aber Igor stand ihm im Weg, packte ihn an der Brust und schleuderte ihn zurück. »Lauf ins Dorf, Dunja!« rief er dabei. »Ich habe noch nie ein Schwein geschlachtet, aber es wird keine Mühe machen!«
Aber Dunja blieb. Am Ufer hockte sie, in jeder Hand einen großen Stein. Es waren armselige Waffen, doch in der Verzweiflung wird ein Grashalm zum Schwert.
»Du wagst es!« knirschte der Offizier dunkel. »Du wagst es wirklich, du lallender Idiot? Hast du schon gesehen, wie man einer Taube das Köpfchen abdreht?«
Sie standen voreinander, nur zwei Schritte getrennt, duckten sich und warteten darauf, daß der andere zuerst sprang.
»Du Hund!« sagte Igor voll Verachtung. »Du räudiger, stinkender, geschwüriger Hund!«
Fast gleichzeitig schnellten sie vor, trafen sich voll noch in der Luft und prallten vom Zusammenstoß zurück. Wie das Aufeinanderschlagen zweier Bretter klang das. Dann holten sie tief Luft, zogen die Köpfe in die Schultern und stürmten erneut aufeinander los.
*
Trotzdem es schon fast Mitternacht war, saß Sadowjew noch immer am blankgescheuerten Tisch und rauchte seine vierte Pfeife. Hüstelnd, mit roten Augen lehnte Anna am Ofen und war nicht zu bewegen, das Zimmer zu verlassen. Sadowjew schielte über den dicken Pfeifenkopf zu ihr hinüber. »Nicht müde, Mütterchen?« fragte er beiläufig.
»Nicht eher als du, Väterchen.«
»Sonst liegst du um diese Stunde im Bett und seufzt im Traum.«
»Und du reißt das Maul auf und bläst Töne von dir wie ein Sägegatter.« Anna, das streitbare Frauchen, putzte mit einem Lappen über die eiserne Abstellplatte und zupfte hier und dort, aber rührte sich nicht vom Fleck.
»Eine warme Nacht«, murmelte Sadowjew und drückte den Daumen in die Pfeife. »Man kann einfach nicht im Bett liegen. Ich werde nach den Schafen sehen.« Er wollte sich erheben, aber Anna warf sofort den Lappen weg und griff nach dem Kopftuch, das neben ihr an einem Nagel hing. Sadowjew ließ sich wieder zurück auf die Bank fallen und stieß wütend eine Wolke Rauch aus. Sie ist nicht zu überlisten, dachte er. Wie ein Schatten wird sie an mir kleben, und dabei ist es notwendig, daß ich am Fluß spazierengehe und mich um Dunjuscha kümmere.
»Gehen wir in den Stall«, sagte er und sprang auf. »Mir fällt ein, daß der Pferdemist noch im Gang liegt.«
»Ihn wird niemand stehlen«, antwortete Anna. »Aber du bist unruhig wie ein Bock im Frühling, also gehen wir.«
Sie verließen das Haus, überquerten den Hof und stießen die in den Angeln quietschende Tür der Scheune auf. Schwere, warme, dunstige Dunkelheit schlug ihnen entgegen. Der Geruch von Pferdeschweiß und Urin, frischem Gras und zerstampftem Stroh war für Sadowjew ein herrlicher Duft. Seinen ganzen Reichtum enthielt er … Pferde, Wiesen und Felder.
»Ha, das ist Baba!« rief Sadowjew, als ein Pferd in der Dunkelheit hell aufwieherte und gegen die Holzwand donnerte. »Sieh nach, was sie hat. Keine Ahnung! Heute mittag habe ich sie beobachtet, wie ein Gespenst schlich sie herum, mit triefenden Augen und wackelnden Beinen. Und welch ein Feuer hatte sie immer! Welch einen Gang! Mein bestes Gäulchen! Hat bestimmt giftige Disteln gefressen. Fühl ihr den Bauch ab, Annuschka …«
Er nahm die Laterne vom Nagel, zündete sie an, stellte sie auf eine Futterkiste und dankte Gott, daß Baba gerade jetzt gewiehert hatte und ihm dieser gute Gedanke eingefallen war. Er wartete, bis Anna sich unter das Pferdchen bückte und mit beiden Händen den Leib abtastete, drehte sich dann schnell herum, machte zwei Sätze zur Tür, sprang hinaus und verriegelte sie hinter sich. Er hörte, wie Anna aufschrie, einen harten Gegenstand gegen die Tür schleuderte und dann fluchte.
»Ein Mann hat doch mehr Intelligenz«, sagte Sadowjew halblaut, rückte das bestickte Käppchen in die Stirn und lief zum Fluß.
Wohin geht ein Pärchen, wenn es allein sein will, sagte er sich und schlug zunächst die Richtung zu dem alten, verrosteten Kran ein. Dimitri, frage dich ehrlich: Wärest du dreißig Jahre jünger, und die warme Nacht läge dir in den Knochen, was würdest du unternehmen? Da gibt es drei Wege: Der Holzplatz hinter dem Sägewerk. Aber es ist nicht jedermanns Sache, mit Sägemehl im Haar nach Hause zu kommen und sich mühsam abzubürsten. Der Schuppen neben dem Kran. Aber hier hausten Mäuse und Ratten. Aber da sind noch die kleinen Dünen am Fluß, weiche, grasgepolsterte Mulden, in denen die Grillen zirpen.
Sadowjew entschloß sich, das Flußufer zu kontrollieren und leise zu sein wie ein anschleichender Fuchs. Aber das war nicht nötig. Kaum war er vom Wege abgebogen und tappte durch eine lichte Buschgruppe, als er Stimmen hörte, die vom Fluß her klangen. Laute Stimmen, die eigentlich nicht in eine solche Nacht paßten.
Oho, sagte sich Sadowjew. Sie streiten sich bereits. Das ist ein guter Anfang, der ein schnelles Ende findet. Ein braves Töchterchen ist sie, meine Dunja. Halte aus, mein Täubchen! Wehre dich gegen diesen Flegel! Ich komme, ich stürze herbei! Auch wenn er ein Doktor ist – ich will ihn anspucken, ihm ein Bein stellen und dann in den Hintern treten.
Aber die Lage wurde anders, als Sadowjew lautlos aus den Büschen stürmte. Er sah zwei Männer, die miteinander rangen, mit den Fäusten aufeinander losschlugen und ganz so taten, als wollten sie sich umbringen.
Sadowjew beglückwünschte sich, daß er Anna eingesperrt hatte, spuckte in die Hände, trat ein paarmal von einem Bein auf das andere und setzte sich dann mit größerer Schnelligkeit in Bewegung.
Die beiden Kämpfenden waren so ineinander verbissen, daß sie das Auftauchen eines dritten Mannes gar nicht merkten. Ihre Fäuste schnellten vor und donnerten gegen die Körper, mal schwankte der eine, mal taumelte der andere, und Sadowjew machte die Feststellung, daß beide die Natur eines Bullen haben mußten, sonst hätten sie diese Schläge nicht überstanden. Er kam näher und rückte das Käppchen weit in den Nacken. Sieh an, der Doktor! Und der andere ist sogar ein Offizier! Was soll das?
Sadowjew wollte gerade eingreifen und die Kämpfenden trennen, als Dunja ihn erkannte und mit heller Stimme schrie. »Er tötet ihn! Er ist stärker als er! Hilf ihm, Väterchen!«
Sadowjew zuckte zusammen, rannte zunächst ans Ufer und schämte sich maßlos, als er Dunja nackt und zerzaust am Wasser stehen sah, zwei große Flußsteine in den Händen.
»Er hat uns überfallen!« schrie Dunja ihn an, als er um sie herumlief und ihre Kleidung suchte. Sie lag zerknüllt im Sand. »Soll er ihn umbringen? Warum hilfst du ihm nicht? Warst du ein Kriegsheld oder nur ein armseliger Aufschneider? Da siehst du es … da … Igor schwankt … er fällt …«
Sadowjew kam nicht mehr dazu, nach Schuld und Sühne zu fragen, wer Dunja, sein Mädchen, ausgezogen hatte, woher der Offizier kam … die Ereignisse zwangen ihn, einzugreifen und zunächst den Stärkeren abzuhalten, noch mehr Unheil anzurichten. Er lief zum Kampfplatz zurück, riß eine dicke Holzlatte, die herumlag, aus dem Sand, schwang sie über seinem Kopf und schrie: »Genug! Treten Sie zurück, Genosse!«
»Noch eine Ratte!« brüllte der Offizier ihn an. »Wieviel Ungeziefer rennt denn hier herum?«
Von jeher war Sadowjew ein stolzer Mensch gewesen. Wer Sadowjews Ehre antastete, war ein armseliger Mensch, der sich mit blauen Augen, gebrochenen Rippen, ausgerenktem Unterkiefer oder strotzenden Beulen während der nächsten Wochen herumquälen mußte.
Nun, in dieser Nacht, gab es da einen Menschen, der Sadowjew Ungeziefer nannte. Unter normalen Umständen hätte man mit gleicher Phantasie geantwortet, aber hier war die Lage verworren, ein nacktes Töchterchen kauerte am Amur und schrie immerzu: »Überfallen hat er uns! Hilf uns, Väterchen!« und der gewalttätige Mensch warf sich jetzt sogar auf die Knie, schlang die Hände um Igors Hals und begann, ihn zu erwürgen. »Zuerst er!« brüllte der Widerwärtige dabei. »Bleib stehen, du säbelbeiniger Frosch! Auf den kleinen Finger spieße ich dich!«
Sadowjew holte tief Luft. Dann schwang er die Holzlatte mehrmals um seinen Kopf, knirschte vor Wut mit den Zähnen und hüpfte vom Boden, als er die Latte auf den Kopf des Offiziers niedersausen ließ. Sie traf genau die Schädelmitte, und zwar nicht mit der flachen, sondern mit der kantigen Seite, und das ist genau so, als wenn man mit einem stumpfen Beil einen Klotz spalten will. Einen häßlichen, knackenden Laut gab es, die Hirnschale brach auseinander, und während Sadowjew durch den eigenen Schwung über den Sand kugelte, brüllte der Offizier heiser auf, umfaßte mit beiden Händen seinen Kopf und sah die Welt in Blut untergehen. Er sank nach hinten und war bereits tot, als sein Schädel die Grasbüschel zerdrückte. Sadowjew sprang auf die Füße, schulterte seine tödliche Zaunlatte und betrachtete den toten Menschen. Neben ihm lag Dunja halb über Pjetkin, rief seinen Namen, küßte ihn, massierte seinen geschwollenen Hals und warf seinen Kopf in den Händen hin und her. Das hatte Erfolg. Igor gab einen lauten Seufzer von sich, schlug die Augen auf und wollte um sich schlagen, warf Dunja von sich und stürzte sich, so wie ein Lachs aus dem Wasser schnellt, auf den Toten.
»Laß ihn liegen, Igor«, sagte Sadowjew ungerührt. »Er spürt's nicht mehr.« Dann wandte er sich zu Dunja, betrachtete mit verkniffenen Augen ihre Nacktheit, erinnerte sich daran, daß er der Vater dieses schönen Wesens war, ließ die Latte von der Schulter wieder in seine Hände gleiten und gab Dunja einen kräftigen Schlag über das blanke Gesäß. »Wo sind wir hier, he?« schrie er, bereute bereits den Schlag und hätte am liebsten sein Töchterchen ans Herz gedrückt. »Hast du das in Chabarowsk studiert? Schamrot kann man werden, so etwas in die Welt gesetzt zu haben! Und du, was liegst du noch auf der Erde?« Er stieß Pjetkin mit der Stiefelspitze an und rollte die Augen. »Steh auf! Was hast du mir zu sagen? Ich warne dich. Wenn ich erst richtig loslege, ist eine Rakete leichter zu bremsen als ich!«
»Er hat uns überfallen!« rief Dunja und faßte nach der Zaunlatte, zog an ihr und riß Sadowjew dadurch von den Füßen. Er stolperte, fing sich wieder und ließ die Latte fahren. Pjetkin stand und taumelte noch benommen. Luft, schrie es in ihm. Luft!
»Nicht mehr zum Ansehen ist's!« fuhr Sadowjew in seiner lauten Klage fort. Er riß sein gesticktes Käppchen vom Kopf, zog die geflickte Jacke aus und warf sie Dunja zu. »Halt!« donnerte er. »Bleib stehen, du schamlose Stute! Willst du dich wohl bekleiden?!« Dann fuhr er wieder herum, daß die Absätze den Sand aufwirbelten und starrte Pjetkin aus kampfeslustigen Augen an. »Er wollte Dunja schänden?« schrie er.
»So ist es«, antwortete Igor matt. In seinem Kopf summte ein ganzes Bienenvolk. Noch ein paar Sekunden, und es wäre zu Ende gewesen, stellte er fest. Die Blutzufuhr zum Gehirn war bereits unterbrochen. Er hatte die Halsschlagader abgedrückt, das Schwein.
»Und du hast sie beschützt?«
»Wer hätte das nicht getan?«
»Das sagt er so daher, als wenn er gegen einen Baum pißt!« rief Sadowjew. »Ein Offizier war's! Weißt du, was das bedeutet? Morgen früh vermissen sie ihn, suchen überall, kehren das Unterste nach oben, werden jeden von uns verhören, kriechen in die Keller und Scheunen, Mieten und Strohballen, und er steht da, wackelt mit der Nase und nimmt das als selbstverständlich hin. Wer greift schon einen Offizier an? Aber du hast es getan, mein tapferes Brüderchen. Du hast Dunja beschützt. Keiner weiß, wie schwer mir's fällt, aber nun muß es sein.« Er umfaßte Pjetkin, drückte ihn an sich, zog seinen Nacken herunter, denn er war ja zwei Köpfe kleiner, und küßte ihn auf beide Wangen. Ebenso plötzlich ließ er ihn los, steckte die Hände in die Taschen und zog ein böses Gesicht. »Da liegt er nun. Ein schwerer Mensch. Wir müssen ihn wegschaffen. Diese Kanaille wird uns noch viel Arbeit machen! Fangen wir also an.«
Sadowjew erwog mehrere Möglichkeiten, die Leiche verschwinden zu lassen. Wie man auch alles drehte und wendete – am sichersten war der Fluß. Gräber kann man entdecken, auch wenn sie noch so gut dem Boden wieder angepaßt sind. Ein Hund wittert es sofort, und sie hatten Hunde draußen im Militärlager. Aber hat schon jemand erlebt, daß man bis auf den Grund des Amur sehen kann oder daß ein Hund übers Wasser läuft und bellt?
»Die Natur ist barmherzig«, sagte Sadowjew und packte den eingeschlagenen Schädel des Offiziers. »In ein paar Wochen haben ihn die Fische gefressen.«
Sie schleppten den Toten bis zu dem Boot, das Sadowjew in der Nähe des Kranes angebunden hatte und mit dem er manchmal hinaus auf den Strom ruderte, zwei Angeln auslegte und wartete, bis ein Fisch anbiß.
Siebenmal mußten Sadowjew und Pjetkin den schweren Körper des Offiziers absetzen und ins Gras legen, bis sie den Kran und das Boot erreicht hatten. Dunjas Arbeit war es, die Spuren hinter ihnen zu verwischen. Über den Platz, wo die Schädeldecke des Offiziers zerplatzt war und wo das Blut in einer großen Lache versickerte, streute sie sauberen Sand, verteilte Flußkiesel darüber und pflanzte sogar einige Grasbüschel um. Sadowjew, der nach der dritten Rast zurücklief und das Werk begutachtete, streckte den Arm gebieterisch aus und sagte »Tritt abseits, Töchterchen. Geh ein paar Meter weiter. Was jetzt kommt, ist nicht für Kinderaugen.«
Er wartete, bis Dunja ein paar Schritte weggegangen war, knöpfte dann seine Hose auf und urinierte über den präparierten Boden. Kein Hund wird jetzt mehr eine Witterung nehmen, dachte er zufrieden. Man muß sich zu helfen wissen, und die alten Hausmittel sind immer noch die besten.
Es dauerte zwei Stunden, bis Sadowjew mitten auf dem Fluß die Stelle erreicht hatte, an der man den Toten versenken wollte. Um ihn für immer in der Tiefe zu halten, hatte man ihn mit drei schweren Steinen verbunden. Sie staken in einem Sack, zusammen mit dem Körper, der von den Hüften an herausragte. Er war tatsächlich ein langer Mensch; im Mondschein, der bleich über dem Amur lag und eine silberne Dämmerung schuf, besaß er sogar ein fast aristokratisches Gesicht. Hochmütig, länglich, mit einer scharfen, gebogenen Nase.
»Sind wir hier, um ihn zu bestaunen?« fragte Sadowjew grob. »Schiebt den Oberkörper über den Rand und drückt an den Füßen nach. Aufgepaßt, ihr Lieben … gleich haben wir ihn im Wasser. Kopfüber in die Ewigkeit.«
Aber irgendein Kommando mußte falsch verstanden worden sein. Sadowjew, an dem vorbei der Tote in den Amur rutschte, erhielt plötzlich einen Schlag gegen den Bauch – es war der Arm des Offiziers, als er über Bord fiel – es gab kein Halten mehr, er stieß einen Schrei aus, und neben dem Leichnam plumpste Sadowjew in die Fluten und versank ebenso schnell wie der Tote.
Während der Mann in dem steingefüllten Sack schnell weiter abwärts glitt, hinunter in die Tiefe des Stromes, strampelte Sadowjew wie ein Hund und tauchte wieder auf. »Hilfe!« brüllte er. »Soll ich ertrinken?«
Pjetkin und Dunja griffen gleichzeitig nach ihm. Igor erwischte ihn am Kopf, Dunja zerrte an seinem Hemd. So zogen sie ihn ins Boot zurück – er fiel auf die Planken, streckte sich und verdrehte schauerlich die Augen.
»Ich verwünsche euch in die siebte Hölle, wenn ihr das erzählt«, sagte er mit brechender Stimme. »Niemand weiß, daß ich nicht schwimmen kann. Erspart mir diese Schande.«
Im Morgengrauen kehrten sie nach Issakowa zurück. Anna Sadowjewa erwartete sie vor dem Haus … sie saß auf der Treppe und kaute an einem Apfel. Die Scheunentür war aus den Angeln gerissen, außerdem hatte sie mit einem Beil Sadowjews ganzen Stolz zertrümmert: Einen handgeschnitzten und mit mongolischen Motiven bemalten Buttertrog.
»Ich bringe dir einen Sohn, Mütterchen!« rief Sadowjew schon vom Flechtzaun her. »Breite die Arme aus und drück ihn ans Herz.«
Anna Sadowjewa rannte ihnen entgegen, fiel Pjetkin um den Hals und weinte, wie nur Mütter weinen können, wenn sie glücklich sind.
Eine Stunde später fuhr Pjetkin auf seinem knatternden Motorrad zurück nach Sergejwka. In einem Leinensack hatte er Speck und Blutwurst, Eier und Schinken, ein Glas Gurken und zwei Pfund Zwiebeln um den Hals hängen. Er hatte alles mitnehmen müssen – man soll Mütterchen Anna nicht verärgern, das hatte er an Sadowjew gesehen. Der hatte jetzt einen vollen Tag zu tun, um das Scheunentor wieder zu flicken, und der historische Buttertrog war auch hin.
Kurz hinter Issakowa, auf der Straße nach Blagowjeschtschensk, begegnete er zwei grünen Jeeps, die mit bewaffneten Soldaten besetzt waren. Ihnen folgten drei Mannschaftswagen und ein Schützenpanzer.
Die Suche hatte begonnen. Kapitän Kasankow war von einem Spaziergang nicht zurückgekehrt. Die Wache hatte ihn weggehen sehen und es eingetragen. Dann begann das Rätsel.
Pjetkin beugte sich über den Lenker seines Motorrades und gab Gas. Er dachte an Dunja und an ihre Liebe und an deren schrecklichen Beginn.