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Als er sie mit dem Skalpell im Nacken zum Auto gerollt hatte, da hatte Celia gedacht, dass das alles nicht wahr sein könne. Sie war doch gerettet worden, oder etwa nicht? War sie nicht verschont geblieben? Hatte sie nicht kurz davorgestanden, ihr altes Leben zurückzubekommen?
Als sie im Kofferraum lag, beschloss sie, sich totzustellen. Das war nicht allzu schwer bei den vielen Verbänden, die ihr Gesicht bedeckten. Sie musste nur in seiner Gegenwart die Luft anhalten, und genau das tat sie. Als er den Kofferraum öffnete, stellte sie mit weit aufgerissenen Augen die Atmung ein und versuchte, keine Regung in ihrem Blick erkennen zu lassen. Zum ersten Mal sah sie sein Gesicht: nichts als ein Stubenhocker mit spitzen, kinnlosen Zügen. Ein ganz unbedeutendes Männchen. Er wirkte nervös, hatte wohl eine Menge um die Ohren, und so kam es, dass er sie nicht sorgfältig anschaute, sondern nur ihren schmalen Körper aus dem Kofferraum zerrte und sie durch ein hohes, offenes Fenster warf, um sie an der Stelle, wo sie auf dem Zementboden aufgeschlagen war, liegen zu lassen. Sie versuchte, die Ruhe zu bewahren, als er nach ihr durch das Fenster stieg und es vernagelte.
Ein Geräusch im oberen Stockwerk ließ ihn innehalten und lauschen. Dann verließ er den Raum. Kaum dass er durch die Tür verschwunden war, begann Celia scharf nachzudenken. Da sie keine Kraft mehr zum Gehen hatte, wusste sie, dass sie nicht weit kommen würde. Folglich musste sie sich verstecken. Sie krabbelte zu dem seltsamen Behandlungstisch in der Mitte des Raums und glitt zwischen die beiden Bretter, die die große Zementplatte stützten. Dort riss sie sich das chirurgische Klebeband vom Mund und dachte mit krampfhafter Anstrengung über ihre nächsten Schritte nach.
Eine junge Frau rannte in den Raum und wieder hinaus. Celia kroch unter der Zementplatte hervor und näherte sich einer dampfumnebelten Türöffnung. Welche Richtung würde sie in die Freiheit führen? Sie entschied sich für links. Im Schneckentempo weiterkriechend, hoffte sie, dass sich irgendwo eine Tür, ein Fenster oder ein Telefon finden würde. Plötzlich löste ein Luftzug den Dampf für einen Augenblick auf und gab den Blick auf einen Raum mit geschlossener Glastür frei.
Die junge Frau befand sich in dem Raum. Celia erkannte jetzt das Mädchen wieder, das sie im Keller gefunden hatte: die Frau, deren Aufmerksamkeit sie endlose Tage lang zu erregen versucht hatte, die im Schlaf gesprochen und Beatles-Lieder gespielt hatte. Sie war es, die sie gerettet hatte. Sie war es, die sie im Arm gehalten und geweint hatte. Sie war es, die sie an ihre Söhne erinnert und sie angefleht hatte, weiterzuleben.
Das Mädchen kauerte auf der Saunabank, während der Mann sie brutal am Schopf gepackt hielt und sich unmittelbar vor ihrem Gesicht einen runterholte. Celia warf einen Blick zur Seite: noch konnte sie fortkriechen. Noch konnte sie sich wieder verstecken.
Sie konnte es nicht. Auf allen vieren, Zentimeter für Zentimeter, näherte sie sich schwer atmend der Sauna, und als sie diese endlich erreicht hatte, schlug sie mit ihrer unverwundeten Hand gegen das Glas. Sie versuchte zu schreien, aber alles, was sie nach langem Bemühen zustande brachte, war ein kaum hörbares, mäusehaftes Quieken.
»Lass sie in Ruhe! Du Scheißkerl! Lass sie in Ruhe!«