46
Als ich aufwachte, lag ich auf dem Boden des Wandschranks. Hamish hatte mir sein durchnässtes T-Shirt ausgezogen (es lag neben mir) und mir Unterwäsche, Netzballrock und Polohemd angezogen.
Als ich vorhin in den Spiegel geschaut und die großen Augen auf dem T-Shirt entdeckt hatte, war ich in mein früheres, angstvolles Ich zurückverfallen. Ich war weggelaufen, hatte mich versteckt. Aber als ich jetzt in dem Wandschrank aufwachte und daran dachte, dass er mich beim Anziehen angefasst haben musste … als ich daran dachte, wie er sich wie mein bester Freund aufgeführt hatte, mir Geld gegeben und Erdnussbutter mitgebracht hatte, wie er mit mir zur London Bridge und nach Oxford gefahren war … als ich daran dachte, wie mich sein kleines, spitzes Gesicht verdrossen hatte, als er im Flugzeug seine allerersten Worte an mich richtete: »Du solltest nie einem Mann sagen, dass du zu viel getrunken hast« … als ich an all das dachte, da wurde mir klar, dass ich mich nicht verstecken oder davonlaufen wollte. Ich wollte ihn umbringen.
Ich hörte ihn immer noch Radau machen – was verdammt noch mal trieb er da draußen? Ich schlich mich aus dem Wandschrank und steuerte auf das Geräusch zu, das aus einer der Saunakabinen drang. Die Türen zu allen Dampfräumen standen offen, und das gesamte Stockwerk war so dicht von heißem Dampf erfüllt, dass ich kaum etwas sehen konnte. Zielstrebig steuerte ich auf die Kabine zu, in der er sich befand, und schloss die Saunatür hinter mir.
Er hatte mich immer noch nicht gehört. Ich näherte mich ihm von hinten bis auf wenige Zentimeter und sah, dass er gerade Handschuhe anzog. Er drehte sich um. Wir sahen einander an.
Ich weiß nicht, was genau ich vorgehabt hatte, aber ich hatte wohl gedacht, dass meine bloßen Hände dafür ausreichen würden, und ich hatte auch nicht erwartet, dass er stärker sein würde als ich. Als ich nach ihm ausholte, stieß er mich zu Boden, setzte sich rittlings auf meinen Bauch und fixierte meine Arme mit seinen Beinen. Ich trat ihm wieder und wieder mit den Knien in den Rücken, und es gelang mir schließlich, die Arme freizubekommen. Sofort packte ich seinen Kopf und zerkratzte ihm Wangen und Augen mit meinen ungefeilten Fingernägeln. Dann zog ich kräftig an seiner Unterlippe, versuchte quasi, sie ihm direkt aus dem Gesicht zu rupfen. Schließlich verpasste ich seiner Brille einen Stoß, sodass sie zu Boden fiel und zerbrach.
Er schaffte es, sich aufzurichten, und fing sofort damit an, mich in die Seite zu treten.
»Das bist doch nicht du, Hamish«, sagte ich aufstöhnend. »Hamish? Lass mich laufen, und ich sag niemandem was. Ich erzähl’s auch nicht der Polizei.«
Ich log natürlich, denn in Wahrheit war ich immer noch fest entschlossen, ihn umzubringen.
»Wirklich nicht?«
»Ich verspreche es.«
Dann trat er mich so lange, dass ich zu sterben glaubte.
***
Als ich wieder zu Bewusstsein kam, sah ich, dass er mich auf die untere Holzbank in der Sauna geworfen hatte, gleich neben die heißen Kohlen. Hamish zog mit seiner linken Hand so heftig an meinen Haaren, dass ich glaubte, er werde mir jeden Moment den Kopf abreißen. Er stand über mir, und seine Hose hing ihm in den Knien. Die Tür hatte er abgeschlossen, der Schlüssel steckte noch im Schloss. Die Kohlen glühten neben meinem rechten Fuß, und die Büchse, mit der Hamish mich bewusstlos geschlagen hatte, stand gleich daneben. In der rechten Hand hielt er seinen schlaffen Penis.
»Die Polizei wird dich suchen«, sagte ich.
»Kann schon sein, aber vor morgen früh kommt niemand hierher. Deshalb kann ich jetzt ganz in Ruhe eine kleine Abschiedsfeier geben.«
Er hatte inzwischen eine Erektion. Ich schloss die Augen und betete, dass er sich in Luft auflösen möge, aber als ich sie wieder öffnete, war er immer noch da, fuhrwerkte immer noch an sich selbst herum, zerrte immer noch an meinen Haaren.
»Bitte hör auf!«, bettelte ich, während er mit seinem kümmerlichen Gemächt die Luft penetrierte. Ich wand mich, trat und schlug um mich, so gut ich es vermochte. Am liebsten hätte ich gekotzt. Am liebsten hätte ich geweint. Ich weinte ja schon. Als Nächstes leckte er mir die Stirn ab. Ich hielt die Augen fest zusammengepresst, Tränen rannen mir über das Gesicht.
Ich drehte den Kopf zur Seite, öffnete die Augen und schaute in den dichten Dampf. Da sah ich einen Geist, ganz in Weiß. Der Geist presste sein Gesicht gegen die Glastür. Schweigend starrte ich ihn an und fragte mich, ob ich vielleicht schon gestorben sei. Wenn ja, dann war ich leider nicht in den Himmel gekommen.