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Als ich die großen Augen im Spiegel anstarrte, wurde mir schlagartig klar, dass der Tod sich an meine Fersen geheftet hatte. Er hatte im selben Flugzeug wie ich gesessen und mich zur Passkontrolle am Flughafen begleitet. Er war mir ins Hostel gefolgt und hatte sich unter meinem Zimmer ausgetobt. Und jetzt war er hier: ein Typ mit John-Lennon-Brille und niedlichem Lächeln.

Ich ging auf Zehenspitzen die Treppe hoch. Es war zu dunkel, um zu sehen, ob sich jemand im Entspannungsbereich aufhielt, aber da alles still war, schlich ich mich so leise wie möglich an den Liegestühlen vorbei. Nachdem ich mit angehaltenem Atem die Doppeltür geöffnet hatte und an der Küche vorbeigehuscht war, erreichte ich den Empfangstresen. In der Annahme, dass die Notrufnummer die gleiche wie zu Hause sei, wählte ich 000 – aber das funktionierte nicht. Ich versuchte es noch mal. Und noch mal.

Als ich ein Geräusch hörte, legte ich auf und schlich mich zur Eingangstür. Dort tastete ich nach dem Schlüssel, den ich bei meiner Ankunft im Schloss stecken gelassen hatte. Er war nicht mehr da.

Ich hörte das charakteristische Knarren des Duschboilers und weitere Geräusche aus dem Kellerbereich. Er musste wieder da unten sein. Ich huschte in die Küche und packte das große Messer, mit dem ich früher die getoasteten Käsesandwiches halbiert hatte. Dann öffnete ich die Doppeltür und betrat den stockdunklen Entspannungsbereich. Auf Knien kroch ich zu der Tür, die ins Schwimmbad führte. Der Radau im Keller wurde immer lauter – ein dumpfer Schlag, ein zweiter, ein dritter, dann ein Knall. Geräusche, als ob etwas über den Boden geschleift würde. Türen, die geöffnet und geschlossen werden. Ich wollte gar nicht genau wissen, was da unten geschah. Die Tür zum Schwimmbad ließ sich nicht öffnen, und mir fiel wieder ein, dass sie auf der anderen Seite vernagelt und überstrichen worden war. Ich sah mich in dem großen Raum um: keine Fenster, kein Fluchtweg. Mir dämmerte, dass der einzige Weg nach draußen durch das Fenster im Massageraum führte.

Mit dem Messer ertastete ich langsam den Weg zur Treppe. Ich schlich an dem tränenförmigen Tauchbecken vorbei; kleine Lichtsprenkel tanzten auf dem Wasser. Stufe für Stufe tastete ich mich hinab zu Duschen und Massageraum.

Die Geräusche verstummten, noch ehe ich am unteren Ende der Treppe angekommen war. Stocksteif blieb ich stehen und lauschte. Kam er schon näher? Was konnte ich tun? Ich sah mich nach einem Versteck um, aber da war keins, und rund um den Pool zitterte mein Ebenbild in jedem Spiegel. Während ich beklommen seinen langsam näher kommenden Schritten lauschte, fiel mein Blick auf das dunkle, stille Wasser des Tauchbeckens. Ich trat in die eisige Schwarz und duckte mich ganz langsam und vorsichtig, um jedes Geräusch, jede Bewegung der Wasseroberfläche zu vermeiden. Endlich waren Körper und Kopf ganz unter Wasser. Mit geöffneten Augen und angehaltenem Atem sah ich ihn direkt an meinem Versteck vorbeigehen, die Treppe in den Entspannungsbereich hinauf. Ich glaube, ich weinte. Meine Tränen vermischten sich mit dem Wasser, meine Kehle produzierte ein walartiges Geräusch, eine Art nassen Schrei … und Blasen … Verdammt, ich produzierte Blasen, und die Luft ging mir auch aus. Er würde mich erwischen. Würde mich aus dem Becken zerren, mir das Messer aus der Hand winden und mich umbringen.

Gerade noch rechtzeitig verschwand er aus meinem Blickfeld.

Außerstande, noch länger den Atem anzuhalten, kletterte ich aus dem Wasser, holte tief Luft, hastete die Treppe in den Massageraum hinab und rannte zu dem Fenster, das beim letzten Mal noch offen gestanden hatte. Aber jetzt war es vernagelt und ließ sich keinen Millimeter weit bewegen.

Als ich hörte, wie er über die Treppe zurückkam, rannte ich in den Duschbereich zu den Dampfräumen und Saunen. Ich öffnete den Wandschrank mit den Reinigungsmitteln, schloss die Tür hinter mir und versuchte, mich hinter den Schmeissing-Besen in der Ecke zu verstecken.

Anscheinend durchsuchte er erst den Massageraum, dann jede einzelne Dusche und schließlich die Sauna, die ich gleich nach meiner Ankunft aufgeschlossen hatte. Dann näherte er sich dem Wandschrank. Er öffnete die Metalltür zu dem Kästchen mit den Kontrollschaltern und Schlüsseln, schaltete alle Schalter ein und schloss mit den Schlüsseln die übrigen Räume auf. Der Dampfraum-Mechanismus erwachte lärmend zum Leben, und ich sah, wie Dampf durch einen Riss in der Schranktür drang. Mit der Hand vor dem Mund versuchte ich jedes Geräusch zu ersticken. Die Tränen rannen mir über das Gesicht, und ich stand stocksteif da, als Hamish in einer Dampfwolke zurückkehrte. Ich drehte den Kopf zur Seite, als ob ich dadurch weniger sichtbar wäre.

Das Licht im Wandschrank ging an.

»He, du«, sagte Hamish, ehe er eine Büchse nahm und sie mir mit voller Wucht auf den Kopf knallte.

Die dunkle Treppe
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