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Nach dem ersten Schrecken der Festnahme und des Verhörs durfte er die Polizeiwache Paddington Green als freier Mann verlassen. Beim Hinausgehen lächelte er, denn jetzt war alles klar. Er musste sie nur noch umbringen, ehe sie reden konnte, und dann würde er sich auf den Weg machen. Er hatte ein Auto gefunden und ein Ticket gekauft. Nur diese eine Sache war noch zu erledigen, und dann konnte er in ein neues Leben aufbrechen. Er war so entspannt und selbstgewiss, dass er zu Fuß in den zweiten Stock hinaufging. Aber irgendwo zwischen Erdgeschoss und erstem Stock fiel ihm die Sache mit dem Blut und dem Sperma ein. Sie hatten sie vielleicht ein bisschen abgewischt und gewaschen, aber seine DNA klebte natürlich in jeder Ritze ihres verdammten Körpers: Nasenblut, als sie ihn getreten hatte … Sperma, wenn er auf sie oder in ihr ejakuliert hatte … Mist. Dabei war er doch sonst immer so gründlich und passte auf, dass alles ordentlich aufgeräumt und gesäubert war. Obwohl die Polizei Fingerabdrücke und DNA-Proben von ihm genommen hatte, war er sich zum Beispiel sicher, dass die beiden Toten in Frischhaltefolie ihn nicht belasten würden. Aber bei der hier hatte er nicht genug Zeit gehabt, um mit der gleichen Sorgfalt vorzugehen. Bronny hatte ihm einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht …
Es war klar, dass diese Frau die Polizei in jedem Fall auf seine Spur führen würde, ob sie nun lebte oder tot war. Da war es auch egal, dass er sich ein Auto und ein Ticket besorgt hatte. Weil sie über mehr als genug Beweise verfügten, würden sie all ihre Reserven mobilisieren und ihn letztlich aufspüren.
Er musste sich etwas einfallen lassen, und zwar schnell. Und so schlich er sich in einen leeren OP-Saal im ersten Stock, um ein paar nützliche Requisiten zu besorgen. Dann setzte er seinen Weg zur Intensivstation fort.
***
Die Krankenschwester war selbst schuld. Warum hatte sie ihn derart mit Fragen gelöchert?
»Doktor?«, hatte sie gefragt und den Hörer aufgelegt. Dann war sie hinter ihm hergewatschelt. »Das ging aber schnell! Entschuldigung, Doktor, aber ist das nicht wunderbar?«
Er gewährte ihr eine ordentliche Entschuldigung in Form eines harten Schlags, der die Frau mit dem unsäglichen Dekolleté unverzüglich zu Boden gehen ließ.
Dann zerrte er sie in Zimmer eins und schloss vorsichtig die Tür. Hier konnte er nun seine Ex bestaunen, die mit weit aufgerissenen Augen ins Leere starrte – als ob sie nicht fassen könnte, dass sie überhaupt etwas sah. Es war schon lange aus zwischen ihnen, dachte er, als er eine dicke Schicht chirurgischen Klebebands auf ihrem geschwollenen Mund befestigte und hinter einem Mundschutz aus Stoff verbarg. Mit einem Skalpell, das er ihr ans Auge hielt, ermunterte er sie zum Aufstehen, dann riss er ihr die beiden Kanülen aus dem Arm und setzte sie in einen Rollstuhl. Er presste das Skalpell fest gegen ihren Nacken und drückte den Abwärtsknopf des Aufzugs.
Als sich die Tür des Aufzugs öffnete, stand da eine junge Krankenschwester. Sein Herzschlag setzte kurz aus, denn ihm wurde klar, wie seltsam er mit seinem Mundschutz wirken musste – zumal seine Patientin sich in ihrem Rollstuhl drehte und wand. Er rollte sie dennoch in den Aufzug und sagte: »Ich weiß, aber das Schmerzmittel wirkt bald«. Gleichzeitig drückte er das Skalpell tief genug in Celias Nacken, um sie von weiterem Gezappel abzuhalten.
»Die Ärmste«, sagte er zu der jungen Schwester. »So geht das schon seit Stunden.«
Im Erdgeschoss verabschiedete er sich mit einem »Tschüss!«, ehe er auf seinem Parkplatz in der Tiefgarage zusteuerte. Alles schien ruhig zu sein, und da er außer Sichtweite der Überwachungskameras geparkt hatte, war er sich ziemlich sicher, dass niemand bemerkte, wie er sie in den Kofferraum quetschte und ihr mit dem Wagenheber kräftig eins überzog.
Doch sobald er im Auto saß, hatte er ein Problem: Er wusste nicht, wohin er mit ihr fahren sollte. Sie war tot, oder zumindest so gut wie tot, dessen war er sich sicher. Jetzt musste er nur noch einen Ort finden, an dem er sie sorgfältig säubern konnte, dann konnte er sich wie geplant auf den Weg machen.
Er bemerkte, dass er über die Queensway Terrace fuhr. Das war eine sehr dumme Idee, was hatte er sich dabei nur gedacht? Aber ihm fiel nichts Besseres ein. Also parkte er unweit des besetzten Hauses am Straßenrand und beobachtete das lebhafte Treiben rund um den Tatort. Es erfüllte ihn fast mit Stolz, diese Unmengen von Kripobeamten und Forensikern den Schauplatz seiner Taten absuchen zu sehen.
Dann hörte er einen dumpfen Knall. Kam der etwa aus seinem Kofferraum? Also wirklich, die hier war ja unverbesserlich. Nicht mal einen Wink mit dem Zaunpfahl kapierte sie. Ganz anders als diese andere dreckige Ratte, die immerhin den Anstand besessen hatte, den Geist aufzugeben, so lange sie noch einigermaßen frisch gewesen war. Oder als Jeanie, die Surfertusse mit den strahlend weißen Zähnen, die sich für einen frühen Tod entschieden hatte. Es war gar nicht nötig gewesen, die beiden umzubringen. Sie hatten nach einer Weile einfach zu atmen aufgehört. Gott sei Dank.
Der Lärm kam tatsächlich aus dem Kofferraum.
»Denk nach!«, befahl er sich selbst. »Was ist denn bloß los mit dir? Triff endlich eine Entscheidung! Alles, was du brauchst, ist ein Ort zum Aufräumen und Saubermachen.«
Er drehte den Schlüssel im Zündschloss, aber danach konnte er sich partout nicht mehr an den nächsten Schritt erinnern. Wie startete man ein Auto? Er trat auf die Bremse statt auf die Kupplung, er legte den Rückwärtsgang statt des ersten Gangs ein, er hielt den Schlüssel so lange gedreht, bis der Motor absoff. Verlor er jetzt den Verstand? War vermutlich der Stress.
Und das? War das sein Handy, das gerade klingelte?