12
Für mein zweites offizielles Rendezvous mit Francesco kam ich zu spät. Aus irgendeinem Grund war ich mir nicht mehr sicher, ob ich etwas von ihm wollte. Na ja, ich kannte den Grund natürlich. Es war Pete. Er war netter, als ich gedacht hatte, und ich hatte gerade einen unheimlich schönen Tag mit ihm verbracht. Aber ein bisschen komisch war er trotzdem, vor allem in Bezug auf Serienmörder. Trotzdem musste ich Francesco wiedersehen. Ich war immer noch Jungfrau, und schon in ihrer zweiten Sexlektion hatte Fliss mir gesagt, dass ich die Blume meiner Jungfräulichkeit auf gar keinen Fall an jemanden verlieren dürfe, der mir viel bedeutete.
»Du musst die Sache unter Kontrolle haben«, hatte sie mir eingeschärft. »Komplett unter Kontrolle.«
»Stehst du wirklich auf Francesco?«, hatte Pete mich gefragt, als wir die Queensway Terrace entlangspaziert waren. Ich hatte gelächelt.
»Klar, irgendwie schon. Warum fragst du?«
»Nur so. Er nimmt so was nicht besonders ernst, weißt du?«
»Ich habe viel zu viel Zeit damit vergeudet, ernst zu sein.«
Wir wollten gerade die Straße vor dem besetzten Haus überqueren, als ich zwei kleine Jungs auf der Treppe vor einer Erdgeschosswohnung sitzen sah. Der eine war ungefähr sieben Jahre alt, der andere vielleicht fünf. Sie trugen noch ihre Schuluniformen, stützten den Kopf in die Hände und starrten geradeaus. Starrten einfach so vor sich hin, die zwei süßen, traurigen Knirpse. Der Jüngere hatte einen blonden Lockenkopf, der vermutlich noch nie geschnitten worden war, und auf seinem Knie klebte ein Pflaster. Seine Unterlippe war vorgestülpt, was den Ausdruck von Misslaunigkeit noch verstärkte. Der Ältere hatte kurzes, dunkles Haar und machte ein ernstes Gesicht.
»Hallo, ihr beiden!«, sagte ich, ehe ich über die Straße zu ihnen ging.
»Wir dürfen nicht mit Fremden sprechen«, sagte der kleine Lockenkopf.
»Ich heiße Bronwyn und wohne da drüben … Ich bin also gar keine Fremde.«
»Fremde sind Menschen, denen man keine von seinen superseltenen Sammelkarten zum Anfassen geben würde. Von meinen würde ich dir keine geben. Ich hab fünf Stück.«
»Vier«, sagte der ältere und rollte mit den Augen.
»Doctor Who«, sagte ein Mann, der in der Eingangstür hinter den Jungs auftauchte. »Er ist wie besessen von dieser Fernsehserie. Ich heiße übrigens Greg.« Der Mann tätschelte den Kopf des älteren Jungen. »Irgendeine Spur?«
Der Junge schüttelte traurig den Kopf. »Er kommt nicht mehr zurück.«
»Er wird schon noch kommen. Irgendwann kommt er immer …«
Greg bezog mich mit ein: »Bobby, unser Kater. Er ist ein Herumtreiber.«
Ich vermutete, dass er ihr Vater sei. Er war schlank und sah gut aus, aber auch er wirkte ein wenig traurig. Während wir einander vorstellten, ging Pete über die Straße in das besetzte Haus.
Ich wandte mich wieder dem kleineren Jungen zu: »Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen, und falls du mir irgendwann mal genug vertraust, würde ich mir sehr gern eine von deinen seltenen Sammelkarten anschauen. Natürlich nur aus sicherer Entfernung. Ohne Anfassen.«
»Ich denke darüber nach«, sagte der Lockenkopf. Der Ältere stand aufgeregt auf: Hinter mir war ein Kater aufgetaucht – es war derselbe, der auf mein Zimmerfenster gesprungen war. Er miaute unschuldig.
»Oh, hallo«, sagte ich, ehe ich mich zum Gehen wandte. »Der war letzte Nacht bei mir im Garten.«
Als ich die Tür hinter mir schloss, warf ich einen Blick auf die andere Straßenseite. Die Jungs und ihr Vater hielten die Katze, aber sie saßen immer noch auf den Eingangsstufen und starrten traurig vor sich hin.
***
Nachdem ich mich für meine Verabredung fertig gemacht hatte, schaute ich aus dem Fenster meines Zimmers und sah, dass Pete den gelben Topf mit dem Bäumchen in den Garten gestellt hatte. Ich musste lächeln. Als ich später in die Küche ging, war er gerade damit beschäftigt, ein Thai-Curry zu kochen. Ich hatte mich wieder einmal auf eine Nacht der Lüste vorbereitet und trug eines von Fliss’ absurd offenherzigen Oberteilen.
»Hallo, Mister«, sagte ich und öffnete die Tür, um mein kleines Stück Aussieland in Augenschein zu nehmen. »Danke für’s Gießen.«
Ich probierte das grüne Curry, und es war wirklich sehr gut. Er hatte Thai-Basilikum und Kokosnussmilch verwendet.
»Schmeckt gut«, sagte ich. »Kannst du mir was davon aufheben?«
»Wo gehst du hin?«
Ich hob die Augenbrauen und setzte meinen »Das-wüsstest-du-wohl-gerne«-Gesichtsausdruck auf. Dann rauschte ich aus der Küche.
***
Nach dem zweiten Rendezvous mit Francesco stand ziemlich außer Frage, dass ich meine blöde Unschuld wohl nie verlieren würde. Ich kam mir vor wie Batman, der mit einer tickenden Zeitbombe herumrennt, aber einfach keinen Ort findet, um sie loszuwerden. Beim Abendessen stocherte ich lustlos auf meinem Teller herum, während Francesco sich über irgendein Restaurant in Schottland ausließ, wo man Austern aus dem benachbarten Loch essen konnte. Ich schaffte es einfach nicht, richtig zuzuhören. Es war langweilig, und ich hatte nur eine einzige Sache im Kopf. Meine Mission.
Eine Mission hatte ich schon seit Längerem nicht mehr gehabt. So was wie damals mit neun, als die Mannschaft von St. Patricks im Endspiel gegen die Broadford Minis antrat. Ich war Mittelfeldspielerin, eine zornige kleine Läuferin, und in meinem ganzen Leben hatte ich noch nie etwas so sehr gewollt wie diesen Sieg. Ich zeichnete eifrig Diagramme auf eine Schautafel, die Papa von der Arbeit mitgebracht hatte. Ich wollte herausfinden, mit welchen Manövern ich meine Gegnerin Kylie Dalkeith deaktivieren könne und welche Würfe eine Chance hätten, an der groß gewachsenen Verteidigerin vorbeizukommen, die gerade aus Puckapunyal zu uns in den Süden gezogen war. Ich hatte Ausweichmanöver in unserem Garten geübt. Ich hatte meinen Schulweg jeden Tag im Laufschritt zurückgelegt, um in Form zu bleiben. Und ich hatte gebetet: Bitte, lieber Gott, mach, dass wir die Broadford Minis schlagen!
Wir verloren. 23:21. Ich weinte ununterbrochen bis zu dem Abend, als ich zur besten Spielerin ernannt wurde.
Seit ich mit vierzehn das Netzballspielen aufgegeben hatte, war mir die Besessenheit, mit der ich mich diesem Spiel gewidmet hatte, seltsam und kläglich erschienen. Aber hier saß ich nun und war genauso besessen: von der Idee, einen Treffer im Spiel »Vögeln ohne tiefere Gefühle« zu landen.
»Ich denke, wir sollten es langsam angehen lassen«, sagte Francesco nach einem weiteren langweiligen Abendessen, für das er die Rechnung beglichen hatte. »Ich hab dich zu gern.«
Ich hatte drei Pints Lager getrunken, die mir mindestens ebenso sehr in die Schenkel gefahren wie zu Kopf gestiegen waren, und ich war ziemlich gereizt drauf. Ich wollte es tun, und zwar noch in dieser Nacht.
»Fick mich ›langsam‹. Zieh einfach deine Hose aus.« Wir standen in seinem Zimmer im Hostel, und ich zerrte tatsächlich an seinem Reißverschluss. Er hielt mich mit der Hand davon ab. Was zum Teufel stimmte nicht mit ihm?
»Lass uns das morgen beim Abendessen besprechen. Ich habe eine Magenverstimmung.«
Er schob meine Hand zur Seite und öffnete seine Zimmertür, damit ich gehen konnte.
»Ich will kein Abendessen, ich will Sex!«, schrie ich. Die Tür stand weit offen, und mein Computerfreund Hamish war im Foyer. Er zuckte zusammen.
»Bronny! Warte!«, sagte Hamish und folgte mir aus dem Hotel.
»Was stimmt nicht mit mir?«, fragte ich ihn. Er setzte sich mit mir auf die Eingangstreppe.
»Nichts. Du bist perfekt. Er verhält sich im Grunde sehr anständig.«
»Wer will das denn?«
»Du willst das, glaub es mir. Und dir bleibt noch viel Zeit für diese Dinge. Kein Grund zur Eile. Hab einfach Spaß am Leben.«
»Ich hab Angst, dass ich sie nie verlieren werde.«
»Jetzt mach dich mal locker.«
Ich nahm Hamishs ausgezeichneten Ratschlag an. Wir gingen ins Haus, rauchten zwei Wassereimerpfeifen und aßen mindestens sieben Scheiben Weißbrot mit Butter und crunchy Erdnusscreme. Gerade als wir den gesamten Brotlaib niedergemacht hatten, kam Pete in die Küche. Er sah aus, als ob es ihm nicht gut ginge.
»Hast du mir was aufgehoben?«, fragte ich.
»Was?«
»Grünes Curry.«
»Oh. Nein.«
»Da hab ich anscheinend Glück gehabt. Du wirkst ein bisschen kränklich.«
»Mir geht’s gut«, sagte er und verließ die Küche mit einem Glas Wasser.
***
Nachdem Hamish gegangen war, hatte ich einen irren Einfall. Er war mir gekommen, als ich die Wohnzimmerwand angestarrt hatte. Wäre es nicht total lustig und – aber klar doch! – geradezu unabdingbar, dass ich mich auf Zehenspitzen die Treppe hochschliche, die Tür zu Petes Zimmer aufrisse und »BUH!« schrie?
Er lag nackt auf seiner Matratze und unternahm nicht mal den Versuch, sich zu bedecken. Ich wiederum unternahm keinen Versuch, mit dem Starren aufzuhören. Erst starrte ich sein Gesicht an, dann seinen Oberkörper und dann sein bestes Stück. Ich hatte diesen Teil eines Mannes noch nie in echt gesehen, und in Petes Fall gab es einiges zu gucken. Als mein Blick endlich wieder zu seiner oberen Hälfte zurückwanderte, streckte er den Arm aus und hielt mir die Hand entgegen. In meinem Backenzahn hatte sich ein Stück Erdnuss verfangen. Ich prokelte es mit der Zunge raus, drehte mich um und verließ festen Schrittes den Raum. Im Flur blieb ich stehen und lehnte mich atemlos und ein wenig benommen gegen die Tür.
»Aua!« Pete hatte die Tür geöffnet, während ich noch dagegenlehnte. Ich fiel ihm rücklings in die Arme. Als ich mich aufrichtete und umdrehte, sah ich erleichtert, dass er seine Shorts angezogen hatte.
»Alles in Ordnung mit dir?«
»Hm-hm, alles prima«, brachte ich schluckend hervor und löste endlich meine Hände von seinen tätowierten Oberarmmuskeln.
Immer wenn dieser Typ in der Nähe war, fühlte ich mich plötzlich unbeholfen. Ganz anders als bei Francesco, der mich, um die Wahrheit zu sagen, so sehr langweilte, dass ich in seiner Gegenwart quasi tiefenentspannt war. Während unserer folgenlosen Restaurantbesuche hatte Francesco über nichts als das Essen gesprochen. Er kam aus reichem Haus und aß fast immer in Restaurants, ganz im Gegensatz zu den meisten Reisenden im Royal, die ständig pleite waren und sich vornehmlich von Instantnudeln, Erdnussbuttertoast und Pasta al Pesto ernährten. Seine Eltern hatten in der Gastronomie gearbeitet und ihm eine Vorliebe für alles Kulinarische vererbt.
»Meine Familie kommt aus Umbrien«, hatte er mir während unserer letzten Verabredung erklärt. Und ehe er auch nur die Vorspeise bestellt hatte, stand für ihn schon fest: »Morgen früh esse ich pochierte Eier!«
Bei Francesco ging es also eher um Magenverstimmungen als um sexuelle Spannung.
Ganz anders bei Pete.
Er begleitete mich auf ein »Schwätzchen« ins Wohnzimmer. Sogar das Sofakissen schüttelte er für mich auf. Dann setzte er sich neben mich, und ich wünschte, er hätte es nicht getan, denn jetzt war er mir viel zu nah. Das Sofa war alt und durchgesessen, und wir sanken beide tief in der Mitte ein. Unsere Körper berührten sich von den Beinen bis zu den Schultern. Ich streckte meinen Oberkörper in die entgegengesetzte Richtung. Ich versuchte es mit gelüpften Pobacken, aber das funktionierte nicht. Er war zu schwer, das Sofa war zu abschüssig, und unsere Oberkörper und Hinterteile weigerten sich, aus ihrer kuschligen Zweisamkeit gerissen zu werden. Noch schlimmer war, dass ich meinen Kopf um neunzig Grad nach rechts gedreht hielt, um seinem Part an unserem »Schwätzchen« zu lauschen, wie er es nannte, und jetzt in dieser Position feststeckte. Falls ich meinen Kopf bewegte – überlegte ich flach durch die Nase atmend –, konnte es durchaus passieren, dass ich vom Sofa fiel. Also rührte ich mich nicht von der Stelle, sondern sagte sehr oft »Echt?« und »Aha!«, während er mir von einer Wohnung bei Adelaide erzählte, die ihm anscheinend viel bedeutete. Ich fand sie eher fürchterlich.
Als Pete mir schließlich Gute Nacht sagte, blieb ich aufrecht auf dem Sofa sitzen, bis er verschwunden war. Mein Hals war immer noch neunzig Grad von seiner natürlichen Position entfernt.
***
In jener Nacht gab es keine Geräusche. Zum ersten Mal seit meinem Einzug konnte ich durchschlafen. Am nächsten Tag ging ich wie immer zur Arbeit, goss den Bambus – ich war anscheinend der einzige Mensch, der das tat – und schrieb noch einen Brief an Ursula.
Liebe Ursula,
ich sitze an einem Tisch im Dampfbad des Porchester Centre. Das ist der Laden, in dem ich vierzig Stunden die Woche arbeite. Ich verteile Handtücher an die Besucherinnen und klaube Haare aus den Abflüssen. Überall sind nackte Frauen.
Weißt Du schon, ob Du mir verzeihst? Kannst Du mich verstehen? Ich kann und will nicht über Du-weißt-schon sprechen, aber ich will mich auch nicht länger vor Dir und Papa verstecken. Ich versuche einfach, ein bisschen Spaß zu haben, und irgendwie klappt das auch, mal abgesehen von den nackten Frauen überall.
Oh je … Kate und Esther drüben auf ihren Stühlen tratschen über mich. Können mich nicht ausstehen, die zwei alten Schachteln. Der Schwachkopf von Geschäftsführer hat mich zur Angestellten der Woche ernannt, und jetzt sind die beiden total eifersüchtig. Die Titten der käseweißen Schwabbel-Kate hängen beim Fegen bis auf den Boden. Und Esther, na, die ist eine Arschkriecherin, wie sie im Buche steht. Ich kann sie nicht ausstehen.
Ich habe jemanden kennengelernt. Er heißt Francesco und ist Geschäftsführer in dem Hostel neben dem Haus, in dem ich wohne. Er geht gern essen. Es gibt unheimlich viele Aussies hier – einer von denen heißt Pete, aber ich weiß noch nicht, was ich von ihm halten soll (er ist der Typ auf dem Foto). Und meine neuen besten Freunde, Hamish und Fliss – ich weiß gar nicht, wie ich ohne sie leben sollte.
Ob Du eines Tages vielleicht mal rüberkommst? Ich weiß, Du verabscheust Regen, aber manchmal hört der Regen auf, und dann kommst Du bestimmt auf Deine Kosten, Urs. Ich denke, Du würdest dich sofort verlieben. Schön wär’s ja. Dass Dich jemand anhimmelt, das würde ich lieber als alles andere sehen.
Wäre wirklich toll, wenn Du mal herkämst … So lange Du versprichst, nicht über Du-weißt-schon zu reden.
Ich hab Dich lieb, Urs. Ich vermisse …
»Könnten Sie auch die Außenseite des Toasts buttern?« Eine Frau bestellte ein Käsesandwich bei mir. Sie wog ungefähr fünfzig Kilo, war um die vierzig Jahre alt, und ihre Botoxbehandlung ließ sie aussehen, als ob sie gerade aus Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett entwichen wäre. Immer wenn ich sie sah, zuckte ich unwillkürlich zusammen. Gespenstisch.
Rasch faltete ich den Brief zusammen, verstaute ihn unter dem Tisch und ging durch die Schwingtür in die Küche. Gerade als ich den Toast in zwei Hälften schnitt, hörte ich, wie Pete mit der Frau sprach, die an der Rezeption zu den Dampfräumen saß.
»Warum kommst du nicht mit?«, fragte sie.
»Auf Musicals stehe ich überhaupt nicht«, sagte er.
Ich steckte meinen Kopf durch die Tür, um zu sehen, wer ihn da anbaggerte. Die Empfangsdame war älter als ich und ausgesprochen hübsch. Eine der wenigen Engländerinnen im Porchester. Sie hatte noch nie ein Wort mit mir gesprochen. Na, ich ja auch nicht mit ihr. Was sollte ich schon zu ihr sagen? »Wie war dein Wochenende?« »Wo geht’s denn hin im Sommerurlaub?« »Dein Vater ist so weit auf der Höhe?« Klar, rückblickend ist das seltsam, aber ich hatte überhaupt kein Interesse an der Normalität. Ich interessierte mich hauptsächlich für das Trinken und Rauchen, den Verlust der Unverlierbaren und diesen großen, muskulösen Kerl, der neben der Pflanze an der Rezeption stand.
Ach ja?
Ich sah die Reflektion der Frau in dem Riesenspiegel, der gegenüber dem Empfangstresen hing. Irgendwas gefiel mir nicht an der Art, wie sie mit ihm sprach. Was dachte die sich überhaupt?
»Angezogen hab ich dich gar nicht erkannt«, sagte ich, als Pete mich dabei ertappte, wie ich aus der Küche lugte.
»Ich hätte die Polizei rufen und dir eine scheuern sollen.«
»Was?« Das kam von der hübschen Empfangsdame, die von unserem Gespräch berechtigterweise überrascht war.
»Wir leben bloß im selben Haus«, informierte Pete seine Verehrerin. Dann wandte er sich an mich: »Wie ich sehe, hast du unseren gebürtigen Aussie wiederbelebt.« Er befühlte die feuchte Erde der Bambuspalme.
»Hab halt ’nen grünen Daumen«, sagte ich. Er lächelte und schaute mich einen Tick zu lange an.
Ich hechtete in die Küche zurück und schlug mir die Hand vor die Stirn. Grüner Daumen. Was für eine Vollidiotin war ich denn? Wieder spähte ich aus der Küche und sah gerade noch, wie Pete durch die Ecktür entschwand.
***
Ich kehrte durch die Schwingtür in den Entspannungsbereich zurück. Die Frau, die das Sandwich bestellt hatte, war nicht nur wegen des verbrannten Toasts unglücklich, sondern auch wegen der Gerüchte.
»Stimmt das?«, fragte sie mich, als ich mit meinem zweiten Versuch zurückkam. Jemand hatte ihr gesagt, dass die Dampfräume geschlossen würden – zu teuer, zu altmodisch, zu wenig Betrieb.
»Kate, schließen wir?«, erkundigte ich mich bei der nackten Schrubberfrau.
Sie erblasste und eilte zu Esther, die ebenfalls erblasste. Die beiden hatten niemals irgendwo anders gearbeitet, würden niemals irgendeine andere Stelle finden oder gar behalten, und so liefen sie im Schweinsgalopp durch die Tür in den Schwimmbad- und Sportstudiobereich, um herauszufinden, ob an dem Gerücht etwas Wahres sei. Es war etwas Wahres dran: Die Dampfräume würden bald schließen. Zwar würde die Geschäftsleitung alles versuchen, um andere Stellen im Schwimmbad- und Sportstudiobereich für uns zu finden, aber für die beiden alten Vogelscheuchen, deren Qualifikation sich auf das Schikanieren neuer Mitarbeiterinnen beschränkte, sah die Lage ziemlich düster aus.
Ich verbrachte den Rest meiner Schicht damit, so zu tun, als ob ich die Saunen und Dampfräume im Untergeschoss reinigte. Diese Räume befanden sich in den Eingeweiden des Gebäudes. Man musste die Treppe neben dem Tauchbecken heruntergehen, vorbei an den Duschen und dem Massagebereich, und dann noch einmal um eine Ecke biegen. Ich saß eine halbe Ewigkeit in einer der kleinen, holzverkleideten Saunen und spürte, wann immer ich Wasser auf die zischenden Kohlen goss, wie alles Schlechte buchstäblich von mir abtropfte.
Als ich meinen Saunagang beendet hatte, war die gesamte Belegschaft bereits nach Hause gegangen. Also schloss ich ab und steckte die Schlüssel, die man mir seit meiner Ernennung zur Angestellten der Woche anvertraut hatte, in die Innentasche meines Poloshirts.
***
Als ich nach Hause kam, fielen all meine verzweifelten Verführungspläne für diesen Abend in sich zusammen. Zunächst einmal hatte ich nichts anzuziehen, denn Fliss hatte alle Klamotten zurückverlangt, die ich mir von ihr geliehen hatte. Mir war nichts als meine schäbige Jeans und das ärmellose Top geblieben, ferner zwei nicht zusammenpassende Laufschuhe, von denen der eine nicht mir gehörte und der andere einen Blutfleck aufzuweisen schien. Zweitens: Ich roch nicht gut. Wie oft ich mich auch wusch, der Geruch des besetzten Hauses, vor allem der Geruch meines Zimmers schien in meiner Haut förmlich festzusitzen. Drittens blieb mir keine Zeit zur Nagelpflege, und Fliss hatte stets betont, das scharfkantige, eingerissene Nägel ein sicheres Indiz für einen wild wuchernden Schamhaarbereich seien – etwas, das offenbar jeden Mann auf immer in die Flucht schlug. Viertens musste ich mir allmählich eingestehen, dass Sex mit Francesco vermutlich weniger attraktiv war als Essengehen mit Francesco. Ich konnte mir ganz gut vorstellen, dass er »halb durchgebraten!« rufen würde, wenn serviert wurde. Zu allem Überfluss kam noch hinzu, dass ich stürzte, als ich den Laufschuh zurück auf den Boden stellen wollte.
Ich war nicht etwa in Ohnmacht gefallen, sondern einfach der Länge nach hingeschlagen. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich in letzter Zeit wie ein Tollpatsch benahm. Erst heute Morgen war ich über einen nicht existierenden Spalt im Bürgersteig gestolpert. Jetzt lag ich auf den Bodendielen und wunderte mich über meine eigene Ungeschicklichkeit. Während ich noch verwundert zur Decke hochstarrte, fühlte ich mich auf einmal von einem so wohlig warmen Gefühl durchströmt, als ob ich wieder in der Sauna wäre. Ich glaubte schon verrückt zu werden, aber dann roch ich Rauch. Ich schnüffelte, setzte mich auf und schnüffelte noch einmal, stand auf und schnüffelte ein drittes Mal: Der Geruch schien nachzulassen. Ich kniete auf den Holzdielen nieder und senkte meine Nase auf den Boden: Rauch, keine Frage. Ich legte meine Hände auf die Dielen: warm, keine Frage. Dann legte ich mich flach auf den Bauch und presste meine Nase in den Spalt zwischen den Bodendielen.
Aus dem Keller drang Rauch.