3

Der Leiter des Hostels, ein Australo-Italiener namens Francesco, hatte Bronny für einen Jungen gehalten. Aber dann hatte sie ihre Windjacke ausgezogen, und auf einmal war klar gewesen, dass sie kein Junge war. Sie hatte große, achtzehn Jahre alte und von keinem BH gebändigte Brüste. Also hatte sich aus dem Nichts ein Zimmer materialisiert: Zimmer dreizehn, zusammen mit einem Mädel aus Neuseeland. So war das gewesen.

Er bot sich an, ihr die Koffer zu tragen, aber sie hatte gar keine. Also begleitete er sie ohne Koffer zu ihrer Bleibe, einem Doppelzimmer im zweiten Stock. Ihr Bett sei das neben der Tür.

»Hast du vielleicht ein zweites Handtuch?«, fragte sie.

»Nur unter der Bedingung, dass du heute Abend zu der Party kommst«, sagte er. Nicht nur die erwähnten Brüste zogen ihn in ihren Bann – auch ihr offenes Gesicht, ihre ungefärbten, wenn auch nicht gerade gepflegten Haare, und ein Lächeln, das auf bezaubernde Weise von Melancholie verschleiert wurde.

Abgemacht.

Nachdem Bronny geduscht und ihre Unterhose im Waschbecken gewaschen hatte, legte sie sich erst mal hin und machte ein Nickerchen. Da Fliss, ihre Zimmergenossin, bei der Arbeit zu sein schien, schlief sie ungestört. Dann ging sie in das Internetcafé im Erdgeschoss. Es lag an der Vorderseite des Hostels, mit Blick auf die Straße, und Hamish saß an einem der sechs Computer. Die Kaffeemaschine in der Ecke war der einzige Teil des Raums, der die Bezeichnung »Café« rechtfertigte.

»Tach«, sagte Hamish mit schlechtem Aussie-Akzent und wies Bronny einen Computer zu. Sie wollte eine E-Mail an ihre Familie schreiben.

»Ursula und Papa, mir geht’s gut«, tippte Bronny. »Ich bin in einem Hostel in London, und es ist wirklich nett hier. Einen Job habe ich auch schon. Ich hab Euch lieb!«

Nachdem sie ihre E-Mail beendet hatte, hielt sie Hamish eine Pfundnote hin.

»Gib mir lieber einen aus«, sagte Hamish. Bronny fand, dass er ohne seine Brille echt süß aussah.

Sie gingen gemeinsam ins Untergeschoss, und beide hatten das Gefühl, seit ewigen Zeiten die allerbesten Freunde zu sein.

***

Die Party lief auf Hochtouren. Zwei Dutzend Leute zwischen zwanzig und dreißig standen im Essbereich herum, und im Fernsehen lief MTV mit voller Lautstärke. Bronny sah sich rasch im Raum um: Alle waren entspannt, betrunken und fröhlich. Seit Rachel Thompsons vierzehntem Geburtstag in Seymour war sie auf keiner Party mehr gewesen, und die war um neun Uhr mit Kuchen und Limonade ausgeklungen. Bronny kippte einige Biere, ihre ersten Biere überhaupt, und dann stellte sie sich wild entschlossen ihrer neuen Welt. Als da waren:

Fliss, die neuseeländische Zimmergenossin, die gerade ihre Schicht im Pub beendet hatte. Typ Möchtegern-Model: dunkles, glänzendes Haar, tiefbraune Augen, drei Meter groß und so dünn, dass man quasi durch sie hindurchsehen konnte.

Ray, der rothaarige Schlosser aus Jo’burg.

Zach aus Torquay (dem australischen Torquay), der immer eine Gitarre mit sich herumschleppte, lange Haare hatte und Lenny Kravitz verehrte.

Pete aus Adelaide, mit gewaltigen Muskeln und dem dazu passenden unnachgiebigen Gesichtsausdruck.

Cheryl-Anne aus Wagga Wagga, deren glattes braunes Haar dünner als Papier war. Cheryl-Anne hatte eine dreijährige Tochter – aber nicht hier, sondern in Wagga Wagga.

Und Francesco … hm … Francesco mit seinem ungewöhnlichen Akzent.

»Einfach ziehen!«, hatte er gesagt, als Bronny später am Abend vor einer Wasserpfeife gesessen hatte. »Ein paar Sekunden drinbehalten und dann langsam rauslassen.«

Ihr Husten dauerte länger, als es in feiner Gesellschaft üblich ist, und er endete mit in die Luft gereckten Armen, einem Heimlich-Rettungsgriff, zwei Gläsern Wasser und einem »Whitey«, einem schweren Anfall von Haschisch-Übelkeit.

»Mach dir deshalb keine Sorgen«, sagte Francesco und schaute sie an, während sie in voller Montur unter der laufenden Dusche stand.

»Nimm meine Hand, ich sterbe. Ein Licht kommt auf mich zu.«

»Ich nehme deine Hand, aber du wirst nicht sterben«, sagte Francesco. Das Wasser floss ihr von der vorgestreckten Unterlippe aufs T-Shirt. »Erst wird dir schwindlig, dann musst du reihern, dann werden wir tanzen. Und morgen früh gehen wir in dieses Lokal in Queensway, die haben super Bagels mit Rahmkäse und Räucherlachs.«

Die dunkle Treppe
titlepage.xhtml
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_000.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_001.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_002.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_003.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_004.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_005.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_006.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_007.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_008.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_009.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_010.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_011.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_012.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_013.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_014.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_015.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_016.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_017.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_018.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_019.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_020.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_021.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_022.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_023.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_024.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_025.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_026.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_027.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_028.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_029.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_030.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_031.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_032.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_033.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_034.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_035.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_036.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_037.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_038.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_039.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_040.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_041.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_042.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_043.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_044.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_045.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_046.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_047.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_048.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_049.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_050.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_051.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_052.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_053.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_054.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_055.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_056.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_057.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_058.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_059.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_060.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_061.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_062.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_063.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_064.html
CR!BH72CSCYK926N8A46PRGWDDPZN9T_split_065.html