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»Sie müssen doch wissen, wer den Schlüssel zum Hause hat«, schilt der Leutnant ärgerlich.

Die drei stehen vor dem dunklen Beamtenhaus, der Diener Räder hat auf die Klinke gedrückt, aber die Haustür ist verschlossen.

»Den Schlüssel hat natürlich der Herr Meier«, sagt der Diener.

»Es muß doch noch einen Schlüssel geben«, beharrt der Leutnant. »Gnädiges Fräulein, wissen Sie nicht, wer einen zweiten Schlüssel hat?«

Obwohl die Situation ganz eindeutig ist, bleibt der Leutnant dabei, Violet mit »gnädiges Fräulein« anzureden.

»Den zweiten Schlüssel wird Papa haben«, sagt Weio.

»Und wo hat Ihr Herr Vater die Schlüssel?«

»In Berlin!« Auf eine ärgerliche Gebärde: »Papa ist doch in Berlin, Fritz!«

»Er wird den Schlüssel zu dieser Bude doch nicht mit nach Berlin geschleppt haben! – Und ich muß in die Versammlung!«

»Wenn wir nachher gingen –!«

»Und unterdes rennt er mit dem Briefe weiter! – Ist er überhaupt drinnen?«

»Ich weiß doch nicht!« sagt der Diener Hubert gekränkt. »Ich habe mit Herrn Meier nichts zu tun, Herr Leutnant!«

Der Leutnant vergeht vor Ungeduld, Ärger, Wut. Immer diese verfluchten Weibergeschichten, die dazwischenkommen. Er kann bei dieser Sache Weiber absolut nicht brauchen! Und wie hilflos steht jetzt diese Weio dabei! Keine Spur anders als dieser saublöde Diener! Alles soll er allein machen! Was wird sie jetzt wieder fragen –?

Sie sagt: »Oben steht ein Fenster offen, Fritz.«

Er sieht nach oben. Wirklich, oben im Giebel steht ein Fenster offen!

»Großartig, gnädiges Fräulein! Jetzt werden wir dem Herrn gleich einen kleinen Besuch machen. Sie, he, junger Mann, ich heb Sie hier auf die Kastanie – von dem Ast kommen Sie leicht ins Fenster.«

Doch der Diener Räder tritt zurück. »Wenn das gnädige Fräulein verzeihen – aber ich möchte jetzt lieber nach Hause gehen.«

Der Leutnant flucht: »Seien Sie doch nicht albern, Mensch – wo das gnädige Fräulein dabei ist!«

»Ich bin Ihnen gerne behilflich gewesen, gnädiges Fräulein«, sagt der Diener Räder mit unerschütterlicher Festigkeit und kennt und hört überhaupt keinen Leutnant, »und ich hoffe, Sie werden es nicht vergessen. Aber jetzt muß ich wirklich ins Bett gehen …«

»Ach, Hubert«, bittet Weio, »tun Sie mir doch den Gefallen! Wenn Sie uns die Haustür aufgeschlossen haben, können Sie sofort nach Hause gehen. Es ist doch nur ein Augenblick!«

»Es ist gewissermaßen eine strafbare Handlung, Verzeihung, gnädiges Fräulein«, wendet der Diener bescheiden ein. »Und eben standen zwei Frauen bei dem Dunghaufen. Ich möchte wirklich lieber ins Bett gehen …«

»Ach, laß den albernen Kaffer doch gehen, Violet!« ruft der Leutnant wütend. »Der hat ja Schiß wie ’ne ganze Kompanie mit Ruhr! Ziehen Sie ab, Jüngling, und daß Sie sich nicht noch hier in den Büschen herumdrücken!«

»Ich danke auch vielmals, gnädiges Fräulein«, sagt der Diener Räder mit unbeugsamer Höflichkeit. »Ich wünsche dann eine gute Nacht.«

Und sicheren, unerschütterlichen Schrittes (er kennt keinen Leutnant) verschwindet er um die Hausecke.

»So ein Stiesel!« schilt der Leutnant. »Wahrhaftig, Violet, ich möchte einmal am Sonntag sehn, was der sich die ganze Woche lang einbildet! – So, und nun hilf mir auf den Baum. Wenn der Stamm von der Nässe nicht so elend rutschig wäre, würde ich es ja auch allein schaffen. Aber ich denke, was dieser Idiot kann, kannst du auch …«

Während Weio ihrem Leutnant auf den Baum hilft, geht der Diener Räder, die Hände in den Taschen seines Jacketts, leise vor sich hin flötend, über den Gutshof. Er hat seine Augen überall, und so sieht er sehr gut die Gestalt, die im Schatten des Pferdestalls an ihm vorüber will.

»Guten Abend, Fräulein Backs«, grüßt er sehr höflich. »Noch so spät unterwegs?«

»Sie sind ja auch noch unterwegs, Herr Räder!« antwortet das Mädchen kriegerisch und bleibt stehen.

»Ja, ich auch!« sagt der Diener. »Aber ich finde, jetzt ist es Zeit, ins Bett zu gehen. Wann stehen Sie denn morgens auf?«

Aber Amanda Backs überhört seine Frage. »Wo ist denn das gnädige Fräulein mit dem Herrn hingegangen, Herr Räder?« fragt sie neugierig.

»Alles nach der Reihe!« sagt der unjugendliche Hubert erzieherisch. »Ich hatte Sie gefragt, wann Sie morgens aufstehen, Fräulein Backs!«

Wäre die Amanda kein echtes Weib gewesen, so hätte sie geantwortet »um fünf« und hätte dann die Beantwortung ihrer Frage verlangen können. Nun aber sagt sie: »Das kann Sie doch gar nicht interessieren, Herr Räder, wann ich aufstehe!« und macht dadurch die Debatte uferlos.

Aber schließlich, nach längerem Hinundherreden, erfährt Herr Räder dann, daß Amandas Aufstehzeit sich nach dem Sonnenaufgang richtet, weil die Hühner mit Sonnenaufgang wach werden. Und er hört, daß jetzt im Juli die Sonne so um viere aufgeht und daß Amanda also spätestens um fünf draußen sein muß.

Er findet, daß dies ziemlich früh ist, er selbst steht erst um sechs, ja, oft noch später auf.

»Ja, Sie!« sagt Amanda ziemlich verächtlich, denn im Grunde ist ein Mann, der Zimmer reinmacht, verächtlich. Und nun meint er, sie solle jetzt lieber schlafen gehen.

»Und wo ist das gnädige Fräulein mit dem Herrn so spät noch hingegangen?« fragt Amanda recht spitz dagegen. »Die ist doch erst fünfzehn, die müßte doch längst im Bett liegen!«

»Ja, das weiß ich nicht, wann das gnädige Fräulein ins Bett geht«, sagt Räder. »Das ist wohl verschieden!«

Amanda gibt es noch nicht auf. »Und was war das eigentlich für ein Herr, Herr Räder? Den kenn ich doch gar nicht.«

Aber der Diener Räder ist der Ansicht, er hat seine Pflicht getan. Das gnädige Fräulein muß mit ihrem Leutnant jetzt im Haus sein. Mehr kann er nicht tun, sie vor Spionen zu schützen.

»Nein, den Herrn kennen Sie wohl nicht«, bestätigt er. »Es kommen eben sehr viele Herren zu uns. – Also gute Nacht!«

Und ehe Amanda noch eine neue Frage stellen kann, ist er weitergegangen. Sie starrt ihm ärgerlich nach, ehe sie sich entschließt, nach Hause zu gehen. So schlau er ist, der junge Räder, in ihr ist doch das Gefühl aufgekommen, daß er sie an der Nase herumgeführt hat. Und da der Herr Räder ein ganz Eingebildeter ist, der sonst nie mit ihr redet, wird er sie schon nicht umsonst, so ganz ohne Zweck genasführt haben. Da steckt etwas dahinter!

Gedankenvoll geht Amanda weiter. Sie verläßt den Hof, biegt um die Ecke des dunklen Inspektorenhauses und bleibt überlegend vor den Fenstern ihres Freundes stehen.

Vorhin standen die Fenster offen, dann schloß er sie. Vorhin aber, als sie einen Augenblick vom Hof hinübersah, brannte Licht in dem Fenster, jetzt brennt kein Licht mehr. Amanda sagt sich, daß dies alles völlig in Ordnung ist, daß ihr Hänseken jetzt schläft, daß man einen dunen Mann am besten schlafen läßt und daß dies Schlafenlassen grade auch im Hinblick auf die Aussprache mit der Hartig das Beste ist, was sie tun kann. Es hat wirklich keinen Sinn, diese Sache noch einmal umzurühren – so was liegt ihr gar nicht. Die Hartig läßt sich nicht wieder mit dem Hänseken ein – davon ist Amanda fest überzeugt.

Also könnte sie ihn schlafen lassen und könnte selber auch schlafen gehen – brauchen kann sie Schlaf auch – und feste! Aber es juckt ihr so in den Fingern, ihr ist so komisch, das Bett winkt noch gar nicht, wenn sie sich auch nach ihm sehnt. Sie weiß doch sonst, was sie will, aber jetzt, obwohl sie ihn schlafen lassen möchte, würde sie doch auch gerne mit den Fingern gegen die Scheiben trommeln, bloß um seine wütende, verschlafene Stimme zu hören, um zu wissen, es ist alles in Ordnung … Ihr ist so, ihr ist auch wieder anders …

Ach was! Ich trommel eben einfach! beschließt sie grade bei sich.

Da sieht sie in dem Zimmer von Hänseken einen kleinen, runden, weißen Lichtschein, wie von einer Taschenlaterne. Ganz unwillkürlich tritt sie schnell zur Seite, obwohl sie bei dem Lichtschein gesehen hat, daß die Gardinen vorgezogen sind. Genauso ein Lichtschein war vorhin auf sie gerichtet, als sie mit der Hartig beim Misthaufen stand. Genauso einer!

Sie steht überlegend da, sie zerbricht sich den Kopf, was die elektrische Taschenlampe, das gnädige Fräulein und der unbekannte Herr so spät und so heimlich im Zimmer ihres Hänseken zu suchen haben. Sie sieht den Lichtschein wandern, ausgehen, wieder aufleuchten, wieder wandern …

Aber sie ist nicht die Person danach, lange tatenlos vor einem Fenster zu stehen und zu grübeln. Rasch geht sie zur Haustür und drückt vorsichtig auf die Klinke. Als sie sich mit der Schulter gegen die Tür lehnt, gibt sie nach.

Leise tritt Amanda auf den dunklen Flur und zieht die Haustür wieder hinter sich zu.

Wolf unter Wölfen
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