Es wurde schon dunkel, als Herr von Prackwitz mit seiner Tochter aus dem Wald nach Haus kam. Trotzdem war die gnädige Frau noch immer nicht aus dem Schloß zurück. Weio stieg hinauf in ihr Zimmer, unten ging der Rittmeister unmutig auf und ab. Er war in der besten Laune aus dem Walde heimgekehrt, er hatte heimlichen militärischen Operationen zugeschaut, die auf den bereits vorbereiteten Sturz der jetzigen verhaßten Regierung schließen ließen, und wenn er auch unter allen Umständen Diskretion üben würde, so konnte er doch in Andeutungen Eva seine neue Wissenschaft ahnen lassen.
Und nun war keine Eva da! Statt dessen stand im Arbeitszimmer am Fenster die abgeschossene Flinte und erinnerte ihn an den albernen, ärgerlichen Zwischenfall. Seit fünf, seit sechs Stunden saß seine Frau wegen dieser Geschichte, bei der er sonnenklar in seinem Rechte gewesen war, im Schloß, und der tüchtige Freund Studmann saß sicher mit! Es war lächerlich, es war kindisch, es war nicht auszuhalten! Der Rittmeister klingelte nach dem Diener Räder und erkundigte sich, ob seine Frau nichts wegen des Abendessens hinterlassen habe? Mit vorwurfsvollem, gereiztem Ton versicherte er, Hunger zu haben. Der Diener Räder meldete, die gnädige Frau habe keine Weisungen gegeben. Nach einer kurzen Pause fragte er dann, ob er für den Herrn Rittmeister und das gnädige Fräulein den Abendbrottisch decken solle?
Der Rittmeister beschloß, ein Märtyrer zu werden, und sagte, nein, er wolle warten. – Als der Diener aus der Tür ging, kam seinem Herrn doch noch die Frage über die Lippen, die er hatte hinunterschlucken wollen, ob die Gänse im Schloß abgegeben worden seien.
Räder drehte sich um, sah seinen Herrn ausdruckslos an und sagte: nein, der Herr Studmann habe es nicht leiden wollen. – Damit ging der Diener.
Die Dunkelheit fiel rascher, in den Zimmern war es sehr grau – so grau kam dem Herrn von Prackwitz sein Leben vor. Er war im Walde gewesen, er hatte Interessantes erlebt, das hatte ihn fröhlich gemacht. Aber kaum heimgekommen, fiel alles Graue wieder über ihn her, es gab keine Rettung, es war wie ein zäher, erbarmungsloser Sumpf, der ihn jeden Tag tiefer einsog.
Der Rittmeister stützte den Kopf in die Hände, er hatte nicht einmal mehr Kraft für seinen raschen Zorn. Er sehnte sich nach einer andern Welt, in der einem nicht alles Schwierigkeiten bereitete, sogar Frau und Freund. Er wäre gern fort gewesen aus Neulohe. Wie alle schwachen Menschen klagte er ein imaginäres Schicksal an: Warum muß mich das alles befallen?! Ich tue doch keinem Menschen etwas! Ich bin ein bißchen jähzornig, aber ich meine es nicht böse, ich bin immer gleich wieder gut. Ich stelle doch wahrhaftig keine großen Anforderungen, ich bin ganz bescheiden! Andere haben dicke Autos, fahren alle Woche nach Berlin, haben Frauenzimmergeschichten! Ich bin anständig und stecke ewig in Verlegenheiten …
Er stöhnte, er hatte starkes Mitleid mit sich. Er hatte auch sehr starken Hunger. Aber kein Mensch kümmerte sich um ihn. Allen war es egal, wie es ihm ging. Er konnte verrecken, da guckte kein Mensch danach, seine Frau schon gar nicht. Gesetzt den Fall, er schösse sich in seiner tiefen Verzweiflung eine Kugel durch den Kopf – ein etwas weicherer Mensch als er wäre in seiner Situation dazu imstande! Sie käme heim und fände ihn hier liegen! Sie würde ein schönes Gesicht machen; dann, wenn es zu spät war, würde es ihr leid tun. Zu spät würde sie einsehen, was sie an ihm gehabt hatte!
Die Vorstellung seines einsamen Todes, der Gedanke an seine verzweifelt trauernde Witwe erschütterte den Rittmeister, daß er aufstand, Licht machte und sich am Likörschrank einen Wodka einschenkte. Dann brannte er sich eine Zigarre an und löschte das Licht wieder. In einem Sessel hockend, die langen Beine von sich gestreckt, versuchte er noch einmal, sich sein Sterben auszumalen. Aber zu seiner Betrübnis mußte er feststellen, daß beim zweiten Male die Bilder lange nicht mehr so stark wirkten wie das erstemal.
Der Diener Räder, dieser aus unbegreiflichen Erwägungen heraus handelnde Mensch, dieser verschlagene Diplomat der Dienerstube, der ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen hatte, das er mit tausend Ränken und Kniffen verfolgte – der Diener Räder stieg leise wieder in das Zimmer des gnädigen Fräuleins hinauf, nachdem er den Pfeil gegen Herrn von Studmann in das Herz seines Herrn abgeschossen hatte. Fräulein Violet saß am Tisch und schrieb eifrig.
»Nun, was wollte Papa?« fragte sie.
»Der Herr Rittmeister wußte nicht, wie es mit dem Abendessen werden sollte.«
»Und wie wird es?«
»Herr Rittmeister wollen warten.«
»Wenn Mama noch im Schloß bliebe, könnte ich selber den Brief hinbringen …«, zögerte Weio.
»Wie gnädiges Fräulein wünschen«, sagte der Diener Räder kühl.
Weio schloß den Brief sorgfältig, hielt ihn in der Hand und sah Räder prüfend an. Heute vormittag hatte sie noch vorgehabt, ihn einer kräftigen Tracht Prügel, vom jungen Pagel verabreicht, auszuliefern. Aber man löst sich nicht so leicht von einem Mitverschworenen und Mitwisser. Immer wieder stellt sich heraus, daß man ihn braucht. Weio war fest überzeugt, daß der Leutnant heute abend nach dem Vergraben der Waffen noch ins Dorf kommen würde. Er hatte sich vierzehn Tage nicht im Dorf sehen lassen, so lange war er noch nie abwesend gewesen. Anders als die andern, hatte er keinen Stahlhelm aufgehabt. Beweis, daß er noch einen Weg vorhatte! Schon sicherheitshalber würde er in dem Baum nach Botschaft von ihr sehen, aber noch sicherer würde es sein, ihm den Brief persönlich auszuhändigen. Und sie konnte nicht weg, Räder war der beste Bote … und Räder war jetzt auch gar nicht frech …
Ach, die kleine, verlaufene, arme Weio! Sie hatte vergessen, daß sie ihrem Fritz geschworen hatte, nie wieder einen Brief zu schreiben. Sie hatte vergessen, daß sie Pagel geschworen hatte, die Sache sei zu Ende. Sie hatte vergessen, daß sie sich geschworen hatte, sich nie wieder mit dem stets unheimlicher werdenden Räder einzulassen! Sie hatte vergessen, daß sie ihren Vater und ihren Freund Fritz in Gefahr brachte, wenn sie in einem solchen Brief von den vergrabenen Waffen schrieb!
Ihr Herz hatte sie alles vergessen lassen, das Herz war ihr mit Sinn und Verstand durchgegangen, sie dachte nur daran, daß sie ihn liebte, daß sie sich vor ihm rechtfertigen mußte, sie dachte nur daran, daß sie ihn wiedersehen wollte um jeden Preis, daß er sie nicht so kalt beiseite lassen durfte, daß sie nicht mehr warten konnte, daß sie ihn brauchte!
Violet nimmt den Brief und reicht ihn dem Diener. »Also Sie besorgen den gut, Hubert.«
Räder hat keinen Blick von ihrem Gesicht gelassen, seine bleifarbenen, in den Winkeln fast violetten Lider tief über die Augen gesenkt, hat er das junge Mädchen beobachtet. Nun nimmt er den Brief und sagt: »Ich kann doch nicht versprechen, daß ich den Herrn Leutnant finde!«
»Ach, Sie werden ihn schon finden, Hubert!«
»Ich kann doch nicht die ganze Nacht herumlaufen, gnädiges Fräulein. Vielleicht kommt er gar nicht? Wann soll ich ihn denn in den Baum stecken?«
»Wenn Sie den Herrn Leutnant nicht bis zwölf oder eins gefunden haben.«
»So lange kann ich aber nicht herumlaufen, gnädiges Fräulein, ich brauche meinen Schlaf. Ich werde ihn um zehn in den Baum stecken.«
»Nein, Hubert, das ist viel zu früh. Jetzt ist es ja schon neun, und wir haben noch nicht gegessen. Vor zehn kommen Sie gar nicht aus dem Haus.«
»Die Herren Ärzte sagen aber, gnädiges Fräulein, daß der Schlaf vor Mitternacht der gesündeste ist.«
»Ach, Hubert, sei bloß nicht so albern. Du willst mich nur wieder ärgern.«
»Ich will doch das gnädige Fräulein nicht ärgern … Mit dem Schlaf ist es doch so. – Und man müßte einmal wissen, was man eigentlich für so was kriegt. Wenn die Herrschaft das erfährt, bin ich entlassen, und auf Zeugnis und Referenz kann ich dann auch nicht rechnen.«
»Ach, Hubert, wer soll denn das erfahren?! Und was soll ich Ihnen denn geben? Ich habe doch nie Geld!«
»Es muß ja nicht immer Geld sein, gnädiges Fräulein …«
Hubert spricht immer leiser, und unwillkürlich paßt Violet ihre Stimme seiner Lautstärke an. Zwischen den einzelnen, verlorenen, leisen Sätzen hört man den in die Nacht hinübergleitenden Sommerabend mit einem Ruf vom Dorfe her, dem Klappern eines Eimers, dem summenden Liebestanz der Mücken über den Gartenbüschen.
»Was wollen Sie denn haben, Hubert? Ich weiß wirklich nichts …«
Sie vermeidet es, in sein Gesicht zu sehen. Sie blickt im Zimmer umher, als suchte sie etwas unter den Gegenständen hier, was sie ihm schenken könnte … Er aber sieht sie immer eindringlicher an, sein totes Auge bekommt Leben, auf den Backenknochen sitzt ein roter Fleck …
»Wenn ich Stellung und Ruf für das gnädige Fräulein riskiere, möchte ich das Fräulein Violet auch um etwas bitten dürfen …«
Sie wirft einen blitzschnellen Blick auf ihn und sieht sofort wieder weg. Etwas von der schon einmal vor ihm empfundenen Angst steigt in ihr hoch. Sie wird trotzig, sie will dagegen an, sie versucht ein Lachen, sie fordert ihn heraus: »Sie wollen doch nicht etwa einen Kuß von mir, Hubert?!«
Er sieht sie unverwandt an, ihr Lachen ist schon wieder vorbei, es hat häßlich und falsch geklungen. Mir ist nicht zum Lachen, denkt sie.
»Nein, keinen Kuß«, sagt er fast verächtlich. »Ich bin nicht für die Knutscherei …«
»Aber was denn, Hubert? Sagen Sie doch endlich …«
Sie vergeht vor Ungeduld. Er aber hat erreicht, was er wollte: ihr ist auch der tollste, aber ausgesprochene Wunsch lieber als dieses peinvolle, ungewisse Warten.
»Es ist nichts Ungebührliches, was ich mir von dem gnädigen Fräulein erbitte«, sagt er mit seinem alten, steifen, lehrhaften Ton. »Es ist auch nichts Unanständiges … Ich möchte nur meine linke Hand eine Weile auf das Herz vom gnädigen Fräulein legen dürfen …«
Sie schweigt, jetzt sieht sie ihn an, vorgebeugt, mit weit geöffneten Augen. Sie bewegt die Lippen, sie möchte etwas sagen, aber sie schluckt nur und schweigt wieder.
Er macht keine Bewegung, ihr näher zu kommen. Er steht in seiner ordentlichen Dienerhaltung unter der Tür, er hat eine livreeartige Jacke mit grauen Wappenknöpfen an, auf seinem ölglänzenden Scheitel liegt jedes Haar ordentlich.
»Da das gnädige Fräulein unterrichtet sind«, sagt er wieder in seinem leblosen Ton, »darf ich sagen, daß ich nichts Unkeusches im Sinne habe. Es kommt mir nicht auf die Berührung der Brust an …«
Sie verharrt in ihrer Starre. Er sieht zu ihr hinüber. Sie sind fast durch die ganze Zimmerbreite getrennt.
Der Diener Hubert Räder macht so etwas wie eine ganz leichte Verbeugung. (Sie hat sich nicht bewegt, sie ist ganz starr.) Er geht langsam durch das Zimmer auf sie zu – ohne Bewegung sieht sie ihn näher kommen: so erwartet das schreckstarre Opfer den tödlichen Schlag des Mörders. – Er sieht sie an …
Dann legt er den Brief vor sie auf den Tisch zurück, dreht sich um und geht gegen die Tür.
Sie wartet, sie wartet endlos lange, er faßt schon nach der Klinke, da bewegt sie sich. Sie räuspert sich – und Hubert Räder dreht sich wieder um, sieht sie an … Sie will etwas sagen, aber die Bezauberung liegt über ihr, sie deutet nur mit einer fahrigen, wirren Bewegung auf den Brief – und denkt doch gar nicht mehr an Brief und Empfänger …
Der Mann hebt die Hand, er dreht an dem Lichtschalter neben der Tür, und das Zimmer liegt im Dunkeln.
Sie möchte schreien, es ist so dunkel, sie steht hinter dem Tisch, sie sieht nichts von ihm, nur die beiden Fensterrechtecke, schräg links, treten grau aus dem Dunkel heraus. Sie hört nichts von ihm, immer geht er so leise, ach, wäre er nur erst da –!
Stumm, stumm, kein Laut, kein Atemzug …
Wenn ich schreien könnte, aber ich kann ja nicht einmal atmen!
Und nun fühlt sie seine Hand auf ihrer Brust. Leiser kann sich kein Schmetterling auf der Blüte niederlassen, doch mit einem Schauder, der ihren ganzen Leib schüttelt, weicht sie zurück … Die Hand folgt dem ausweichenden Leib, sie legt sich kühl über die Brust … Sie kann nicht mehr zurückweichen, auch der Schauder vergeht … Kühl dringt es durch den leichten Stoff des Sommerkleides, Kühle dringt durch die Haut, dringt bis zum Herzen vor …
Die Angst ist vorbei, sie fühlt die Hand nicht mehr, nur eine immer tiefer eindringende Kühle …
Und die Kühle ist Ruhe …
Sie hört keinen Laut, sie möchte etwas denken, sie möchte sich sagen: Es ist ja nur der Hubert, ein ekliger, lächerlicher Kerl … Aber es wird nichts daraus. Es fliegt fort, wie in Fetzen die Bilder aus dem Ehebuch durch ihren Kopf wehen, einen Augenblick sieht sie die Seiten, wie in hellem Lampenlicht, die eckige Form der Buchstaben – und vorbei …
Nun hört sie eine Melodie, ganz deutlich tönt es zu ihr herauf: »Hupf, mein Mädel, hupf recht hoch …« Einen Augenblick weiß sie, daß es ihr Vater ist, dem das Warten langweilig wurde. Er hat sich das Grammophon aufgedreht – »Hupfe, hupfe, hupfe doch! Hoffentlich hast du im Strumpfe kein Loch …«
Aber jetzt ist es, als würde die Melodie schwächer und schwächer, als verlöre sie ihre Kraft in der immer tiefer eindringenden Kälte. – Ihre Sinne werden stumpf für die Außenwelt, sie spürt nur noch die Hand … Und spürt jetzt die andere Hand …
Die Finger berühren leise tastend ihren Nacken, sie schieben die Haare zurück … Nun gleitet die Hand ganz um ihren Hals, mit einem leichten Druck liegt der Daumen auf dem Kehlkopf, dabei verstärkt sich der Druck auf ihrem Herzen …
Sie macht eine rasche Bewegung mit ihrem Kopf, um ihren Hals von der Hand zu befreien – umsonst, fester liegt der Daumen auf …
Aber es ist doch bloß der Diener Hubert – er kann mich doch nicht ersticken wollen …
Sie atmet schwer. In ihren Ohren braust das Blut. Im Kopf wird es ihr leicht schwindlig …
Hubert! will sie schreien …
Da ist sie frei – nach Atem ringend, starrt sie in das Dunkel, das schon hell wird. An dem Lichtschalter steht der Diener Hubert, untadelig, grau, kein Härchen in seiner Tolle verschob sich …
»Hupfe, hupfe, hupfe doch …«, klingt es wieder von unten.
»Ich danke auch vielmals, gnädiges Fräulein«, sagt er so unbewegt, als habe sie ihm einen Taler geschenkt. »Der Brief wird bestens besorgt.«
Er hat ihn schon wieder in der Hand, muß ihn sich im Dunkeln vom Tisch genommen haben.
Auf dem Wege vor dem Hause erklingt die Stimme ihrer Mutter, nun die des Herrn von Studmann.
»Es wird sofort Abendessen geben, gnädiges Fräulein«, sagt der Diener Räder und gleitet aus dem Zimmer.
Sie sieht sich um. Es ist ihr Zimmer, unverändert. Es war auch der alte unveränderte, alberne Diener Räder, und auch sie hat sich nicht verändert. Ein wenig mühsam, als hätten ihre Glieder das volle Leben noch nicht zurück, geht sie vor den Spiegel und sieht ihren Hals an. Aber von dem feuerroten Striemen, den sie sich einbildete, ist nichts zu sehen. Keine noch so leise Rötung der Haut. Er hat sie nur ganz sachte angefaßt, wenn er sie überhaupt angefaßt hat. Vielleicht hat sie sich das meiste nur eingebildet. Er ist eben ein verrückter, ekelhafter Kerl; wenn eine kleine Zeit vergangen ist, daß er nicht denkt, es geht von ihr aus, muß sie bei Papa und Mama erreichen, daß ein anderer Diener ins Haus kommt …
Plötzlich, sie hat sich schon das Gesicht gewaschen, überkommt sie ein Gefühl grenzenloser Verzweiflung, als sei alles verloren, als habe sie um ihr Leben gespielt und habe es verloren …
Sie sieht ihren Leutnant Fritz, plötzlich aufflammend und nun wieder ganz kalt, fast häßlich zu ihr … Sie hört Armgard zur Mutter flüstern, daß Hubert ein Unhold sei, und der Gedanke schießt ihr durch den Kopf, daß Hubert vielleicht auch der dicken Köchin Armgard die Hand so auf die Brust, so um den Hals gelegt hat – und daß sie den Diener darum haßt …
Mit einer fast gleichgültigen Neugierde betrachtet sich Violet im Spiegel. Sie sieht das weiße Fleisch ihrer Arme, des Halses an, sie streift den Brustausschnitt zurück. Das Fleisch müßte fleckig und verdorben aussehen, so beschmutzt kommt sie sich vor. (Dieselbe Hand, die Armgard angefaßt hat …) Aber das Fleisch ist weiß und blühend …
»Abendessen, Weio!« ruft die Stimme der Mutter von unten.
Sie schüttelt die quälenden Gedanken ab, wie ein Hund Wasser aus seinem Fell schüttelt. Wahrscheinlich sind die Männer alle so, denkt sie. Alle ein bißchen eklig. Man muß eben nicht daran denken.
Sie läuft die Treppe hinunter, vor sich hin summend: »Hupf, mein Mädel, das Bein recht hoch –!«