4. KAPITEL

Lysander ließ Bianka für eine weitere Woche allein – Arschloch! –, doch das machte ihr nichts aus. Diesmal nicht. Sie hatte reichlich Dinge, mit denen sie sich beschäftigen konnte. Zum Beispiel mit ihrem Plan, ihn vor Lust um den Verstand zu bringen. Und zwar mehr als genug, um ihn bereuen zu lassen, dass er sie hierhergebracht hatte. Dass er sie hier gefangen hielt. Dass er überhaupt am Leben war.

Entweder das oder sie würde ihn dazu bringen, sich so sehr in sie zu verlieben, dass er sich danach verzehrte, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Wenn das der Fall war – und das war absolut möglich, schließlich war sie wahnsinnig heiß –, würde sie ihn überzeugen, sie nach Hause zu bringen. Und dann könnte sie ihm endlich ein Messer ins Herz rammen.

Perfekt. Kinderleicht. Bei ihren Brüsten war es eigentlich fast zu leicht.

Um seinem Fall schon einmal die Bühne zu bereiten, hatte sie sein Zuhause wie ein Bordell ausstaffiert. Neben jeder Tür wartete nun eine mit rotem Samt bezogene Chaiselongue – nur für den Fall, dass sein Begehren nach ihr zu übermächtig wurde und er es zu keinem der Betten schaffen könnte, die jetzt in jeder Ecke standen. Aktbilder – von ihr – hingen an den dunstigen Wänden. Diese Dekorationsidee hatte Bianka von ihrer Freundin Anya, die zufällig die Göttin der Anarchie war.

Wie Lysander versprochen hatte, musste Bianka nur laut sagen, was sie wollte – in vernünftigen Grenzen –, und es wurde ihr gewährt. Offensichtlich lagen Möbel und hübsche Bilder innerhalb dieser Grenzen. Sie kicherte. Sie konnte es kaum erwarten, ihn wiederzusehen. Dann würde sie endlich anfangen.

Er hätte nicht den Hauch einer Chance. Nicht nur wegen ihrer (überwältigenden) Brüste und ihres Sexappeals im Allgemeinen – hey, es hatte doch keinen Sinn, so zu tun, als wüsste sie es nicht –, sondern wegen seiner Unerfahrenheit. Mit ihr hatte er seinen ersten Kuss erlebt, das wusste sie ohne jeden Zweifel. Anfangs war er steif gewesen, unsicher. Zögerlich. Zu keinem Zeitpunkt hatte er gewusst, was er mit seinen Händen anfangen sollte.

Doch das hatte sie keineswegs davon abgehalten, es in vollen Zügen zu genießen. Sein Geschmack … berauschend. Sündig. Wie der frische, reine Himmel vermischt mit unruhigen, stürmischen Nächten. Und sein Körper, oh, sein Körper. Die reine Perfektion, voller harter Muskeln, die sie betasten und drücken wollte. Sie würde sie auch lecken. Da war sie nicht wählerisch.

Sein Haar war so seidig, dass sie bis in alle Ewigkeit mit den Händen hindurchfahren könnte. Sein Schwanz hatte sich so lang und dick angefühlt, dass sie sich allein daran zum Höhepunkt hätte reiben können. Seine Haut war so warm und glatt, dass sie sich am liebsten an ihn angeschmiegt und geschlafen hätte, wie sie es sich erträumt hatte, bevor sie ihm begegnet war. Auch wenn das Bei-einem-Mann-Schlafen ein gefährliches Verbrechen war, das ihre Rasse niemals beging.

Dämliches Gör! Auf keinen Fall durfte sie dem Engel trauen, vor allem weil er offensichtlich schändliche Pläne mit ihr hatte – auch wenn er ihr immer noch nicht gesagt hatte, worin die genau bestanden. Dass er ihr beibringen wollte, so zu leben wie er, konnte nur eine Verdrehung einer anderen Wahrheit sein. Es war einfach zu lächerlich, um es überhaupt in Erwägung zu ziehen. Aber seine Pläne spielten wohl sowieso keine Rolle mehr, da er schon bald ihrer Gnade ausgeliefert wäre. Nicht dass sie so etwas wie Gnade zeigen würde.

Bianka marschierte zu dem Schrank, den sie geschaffen hatte, und sah die Wäsche durch, die dort hing. Blaue, rote, schwarze. Aus Spitze, aus Leder, aus Satin. Mehrere Kostüme: sexy Krankenschwester, korrupte Polizistin, Teufel, Engel. Was sollte sie heute nehmen?

Für böse hielt er sie sowieso schon. Vielleicht sollte sie das durchsichtige weiße Spitzennachthemd tragen. Wie eine begierige jungfräuliche Braut würde sie darin aussehen. Oh ja. Genau das sollte es sein. Sie lachte, während sie sich anzog.

„Spiegel, bitte“, bestellte sie, und vor ihr erschien ein Ganzkörperspiegel. Das Nachthemd fiel ihr bis auf die Knöchel, doch zwischen den Beinen war ein Schlitz. Ein Schlitz, der bis dorthin reichte, wo ihre Schenkel sich trafen. Zu schade, dass sie kein Höschen anhatte.

Spaghettiträger hielten das Hemdchen auf ihren Schultern und liefen zwischen ihren Brüsten zu einem tiefen V-Ausschnitt zusammen. Rosa und hart wie kleine Perlen blitzten ihre Brustwarzen immer wieder durch das geschwungene Mach-mich-zur-Frau-Muster der Spitze hindurch.

Das Haar ließ sie offen, sodass es sich wie ein samtiger Wasserfall über ihren Rücken ergoss. Ihre goldenen Augen funkelten, und endlich lagen auch graue Flecken darin wie bei Kaia. Auf ihren Wangen lag eine rosige Röte, und ihre Haut war frei von dem Make-up, mit dem sie ihren Schimmer normalerweise abmilderte.

Mit den Fingerspitzen fuhr Bianka sich übers Schlüsselbein und kicherte wieder. Sie hatte sich eine Dusche herbeigerufen und jede Spur dieses Make-ups abgewaschen. Wenn Lysander sich schon vorher von ihr angezogen gefühlt hatte – und das hatte er, die Größe seines Ständers war Beweis genug –, würde er ihr jetzt nicht mehr widerstehen können. Sie strahlte, im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Haut einer Harpyie war wie eine Waffe. Eine sinnliche Waffe. Ihr diamantener Schimmer zog Männer unwiderstehlich an, machte sie zu sabbernden Narren. Diese Haut zu berühren war alles, woran sie dann noch denken konnten, wofür sie lebten.

Mit der Zeit wurde das allerdings ziemlich langweilig, weshalb Bianka begonnen hatte, am ganzen Leib Make-up zu tragen. Aber für Lysander würde sie eine Ausnahme machen. Er verdiente, was er bekommen würde. Immerhin fügte er nicht nur ihr Leid zu. Er ließ auch ihre Schwestern leiden. Vielleicht.

Ob Kaia immer noch nach ihr suchte? Machte sie sich noch Sorgen, oder hielt sie das Ganze für ein Spiel, wie Bianka sich anfangs ausgemalt hatte? Hatte Kaia ihre anderen Schwestern zusammengerufen; durchsuchten die Mädels jetzt jeden Winkel der Erde nach einer Spur von ihr, wie sie es getan hatten, als Gwennie verschwunden war? Vermutlich nicht, dachte sie und seufzte. Sie kannten sie, besonders ihre Kraft und Entschlossenheit. Wenn sie glaubten, sie sei entführt worden, würden sie darauf vertrauen, dass ihre Schwester in der Lage war, sich selbst zu befreien. Trotzdem.

Lysander war ein Blödmann.

Und höchstwahrscheinlich noch Jungfrau. Eifrig, voller Vorfreude, rieb sie sich die Hände. Die meisten Männer küssten die Frauen, mit denen sie ins Bett gingen. Und wenn das mit ihr sein erster Kuss gewesen war, tja, dann lag die Vermutung nahe, dass er noch nie mit jemandem im Bett gewesen war. Ein wenig ließ ihr Eifer nach. Das schrie doch nach der Frage, warum er nie mit jemandem geschlafen hatte.

War er, wenn auch unsterblich, noch sehr jung? Hatte er noch niemanden gefunden, den er begehrt hatte? Empfanden Engel nicht so oft sexuelle Begierde? Viel wusste Bianka nicht über sie. Okay, sie wusste gar nichts über sie. Hielten sie Sex für falsch? Vielleicht. Das würde zumindest erklären, warum er sie nicht auch hatte berühren wollen.

Also gut, es machte wesentlich mehr Sinn, dass er einfach noch nie Begierde empfunden hatte.

Aber während ihres Kusses hatte er sie definitiv verspürt. Jetzt begann sie wieder, sich die Hände zu reiben.

„Was hast du da an? Beziehungsweise nicht an?“

Ihr Herz schlug schneller, sie wirbelte herum. Als hätte sie ihn mit ihren Gedanken herbeigerufen, stand Lysander in der Tür. Nebel waberte um ihn herum, und für einen Moment fürchtete sie, er wäre nur eine Ausgeburt ihrer Fantasie.

„Also?“, bohrte er nach.

In ihren Fantasien war er nicht wütend. Stattdessen war er von überwältigendem Verlangen getrieben. Also … war er tatsächlich hier, er war real. Und er starrte mit vor Erstaunen offenem Mund auf ihre Brüste.

Erstaunen war besser als Wut. Fast hätte sie gegrinst.

„Gefällt’s dir nicht?“, fragte sie und strich sich mit den Händen über die Hüften. Lasst die Spiele beginnen.

„Ich … Ich …“

Mag es, beendete sie seinen Satz innerlich. Bei dieser unwiderlegbaren Wahrheit, die bei jedem Wort in seiner Stimme lag, konnte er wahrscheinlich nicht einmal im Ansatz lügen.

„Deine Haut … ist anders. Ich meine, diesen perlenartigen Schimmer habe ich schon vorher gesehen, aber jetzt… ist es …“

„Der Wahnsinn.“ Sie drehte eine Pirouette, sodass das Nachthemd um ihre Knöchel tanzte. „Ich weiß.“

„Du weißt?“ Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Jetzt kehrte offensichtlich sein Ärger, den sie anfangs vermutet hatte, mit voller Macht zurück. „Bedeck sie!“, blaffte er sie an.

Einen Augenblick später war sie von Kopf bis Fuß in ein weißes Gewand gehüllt.

Finster blickte sie ihn an. „Gib mir mein Hemdchen zurück.“ Das Gewand verschwand und sie stand wieder in weißer Spitze da. „Versuch das noch mal“, warnte sie ihn, „und ich laufe nur noch nackt rum. So wie auf den Bildern, schon gesehen?“

„Bilder?“ Stirnrunzelnd sah er sich in dem Zimmer um. Als er eines der Gemälde von ihr – abzüglich Klamotten, auf einem silbrigen Felsen ausgestreckt – entdeckte, sog er zischend die Luft ein.

Es war genau die Reaktion, die sie sich gewünscht hatte. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus, aber ich hab diese nette kleine Wolke in ein Liebesnest verwandelt, damit ich mich mehr zu Hause fühle. Und auch da gilt: Wenn du irgendwas entfernst, wird der nächste Entwurf tausendmal schlimmer.“

„Was versuchst du mir anzutun?“, knurrte er und wandte sich ihr zu. Die Augen hatte er zusammengekniffen, die Lippen aufeinander gepresst, die Zähne gefletscht.

Sie flatterte nur mit den Wimpern, die Unschuld in Person. „Ich fürchte, ich weiß nicht, was du meinst.“

„Bianka.“

Das war eine Warnung, das wusste sie. Aber natürlich schenkte sie ihr keine Beachtung. „Ich finde, jetzt bin ich dran mit den Fragen. Also, wohin bist du gegangen, als du mich alleingelassen hast?“

„Das ist für dich nicht von Bedeutung.“

War er ein bisschen atemlos? „Lass uns mal sehen, ob wir das nicht ändern können, was meinst du?“ Hüftschwingend ging sie zum Bett und ließ sich auf die Kante sinken. Als unartiges, schamloses Mädchen, das sie war, spreizte sie die Beine und schenkte ihm den Blick seines Lebens. „Für jede Frage, die du beantwortest, ziehe ich mir was an“, lockte sie in einem spielerischen Singsang. „Deal?“

Er wirbelte herum, doch nicht bevor sie den Schock und das Begehren gesehen hatte, die über sein hartes, betörendes Gesicht gehuscht waren. „Ich tue meine Pflicht. Bewache die Tore zur Hölle. Jage und töte Dämonen, die entkommen sind. Bestrafe jene, die es nötig haben. Beschütze Menschen. Jetzt bedeck dich.“

„Ich hab nicht gesagt, was ich anziehen würde, oder?“ Genüsslich betrachtete sie sich von oben bis unten. „Einen Schuh, bitte. Weißes Leder, High heel, Peeptoe. Wickelriemchen bis zum Knie.“ Direkt an ihrem Fuß materialisierte sich der beschriebene Schuh. Bianka lachte. „Perfekt.“

„Tricks und Betrügereien“, murmelte Lysander. „Ich hätte es wissen sollen.“

„Wo hab ich dich denn betrogen? Hast du nachgefragt? Nein, weil du insgeheim gehofft hast, ich würde überhaupt nichts anziehen.“

„Das ist nicht wahr“, behauptete er, doch zum ersten Mal hörte sie keine Spur dieser Ehrlichkeit in seiner Stimme. Interessant. Wenn er log oder vielleicht auch nur unsicher war, war sein Tonfall so normal wie ihrer.

Was bedeutete, sie würde immer wissen, wenn er log. Konnte es überhaupt noch besser werden?

Das hier würde noch einfacher werden, als sie angenommen hatte. „Nächste Frage. Denkst du an mich, wenn du weg bist?“

Stille. Tief und bedeutungsschwanger.

Moment. Sie hörte ihn atmen. Ein und aus, schwer, flach. Er war tatsächlich atemlos.

„Das nehme ich mal als Ja“, fuhr sie grinsend fort. „Aber da du nicht wirklich geantwortet hast, muss ich den anderen Schuh nicht anziehen.“

Wieder keine Antwort. Zum Glück ging er aber auch nicht.

„Und weiter geht die wilde Fahrt. Dürfen Engel rumschäkern?“

„Ja, aber sie verspüren selten den Wunsch danach“, presste er heiser hervor.

Also hatte sie recht gehabt. Er hatte keine eigene Erfahrung mit Begierde. Was er jetzt fühlte, musste ihn also verwirren. War das der Grund, aus dem er sie hergebracht hatte? Weil er sie gesehen und gewollt hatte, aber nicht wusste, wie er mit dem umgehen sollte, was er empfand? Der Gedanke war fast … schmeichelhaft. Auf eine irgendwie unheimliche Stalker-Weise. Doch das änderte nichts an ihren Plänen. Sie würde ihn verführen – und ihm dann ein Messer ins Herz jagen. Eigentlich sogar eine sehr symbolträchtige Geste. Ein Insider zwischen ihnen beiden. Na ja, für sie zumindest. Er würde es vielleicht nicht verstehen.

Trotzdem konnte sie nicht leugnen, dass ihr die Vorstellung gefiel, seine erste Frau zu sein. Natürlich könnte keine nach ihr dem Vergleich standhalten, und das – hey, Augenblick. Sobald er von den Freuden des Fleisches gekostet hatte, würde er mehr wollen. Bis dahin wäre sie ihm entkommen, hätte ihn erstochen – und er hätte sich erholt, weil er unsterblich war. Er könnte zu jeder anderen Frau gehen, die er begehrte.

Er würde dann eine andere Frau küssen und berühren.

„Ich warte“, sagte er scharf.

„Auf was?“, erwiderte sie im selben Tonfall. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt, die Fingernägel schnitten ihr ins Fleisch. Ach, natürlich konnte er mit jeder zusammen sein; das wäre ihr völlig egal. Sie waren Feinde. Sollte sich doch jemand anders um seinen Neandertaler-Komplex kümmern. Aber, Götter, vielleicht würde sie die nächste Frau, die ihm das Bett wärmte, aus reiner Bosheit umbringen. Nicht aus Eifersucht.

„Ich habe eine deiner Fragen beantwortet. Du musst ein zusätzliches Kleidungsstück anziehen. Ein Höschen wäre schön.“

Sie seufzte. „Ich hätte gern den anderen Schuh, bitte.“ Einen Moment später war auch ihr zweiter Fuß bedeckt. „Zurück zum Geschäftlichen. Bist du zurückgekommen, damit ich dich noch mal küsse?“

„Nein!“

„So ein Pech. Ich hätte so gerne noch mal von dir probiert. Ich wollte dich wieder berühren. Dich vielleicht diesmal mich berühren lassen. Seit du weg bist, lechze ich danach. Ich musste mich zweimal selbst zum Höhepunkt bringen, nur um dieses Fieber zu lindern. Aber keine Sorge, ich hab mir vorgestellt, du wärst es. Ich hab mir ausgemalt, wie ich dich ausziehe, an dir lecke, dich in meinen Mund sauge. Mmmh, ich bin so …“

„Hör auf!“, krächzte er und wandte sich heftig um, sodass er sie wieder ansah. „Hör auf.“

Seine Augen, die sie anfangs für schwarz und emotionslos gehalten hatte, leuchteten jetzt hell wie der Morgenhimmel, seine Pupillen waren riesig vor Verlangen. Doch statt zu ihr zu marschieren, sie zu packen und sie an sich zu pressen, hob er die Hand, die Finger ausgestreckt. Aus dem Nichts erschien ein feuriges Schwert darin, an dem gelb-goldene Flammen auf und ab tanzten.

„Hör auf“, befahl er noch einmal. „Ich will dir nichts tun, aber das werde ich, wenn du mit diesen Narrheiten weitermachst.“

Jetzt lag wieder dieser Klang der Wahrheit in seiner Stimme. Doch Angst jagte er ihr deshalb noch lange nicht ein, vielmehr erregte seine Dringlichkeit sie.

Ich dachte, du stehst nicht auf sein Neandertaler-Gehabe. Ach, halt die Klappe.

Bianka lehnte sich zurück, stützte sich auf die Ellbogen. „Hat Lysandilein es gern härter? Sollte ich schwarzes Leder anhaben? Oder spielen wir böser Bulle, unanständige Kriminelle? Sollte ich mich für meine Leibesvisitation ausziehen?“

Steif kam er zur Bettkante, nahm ihre Beine zwischen seine kräftigen Schenkel und presste ihre Knie zusammen. Er war steinhart, sein Gewand hob sich wie ein Zelt. Immer noch flackerten diese goldenen Flammen über sein Schwert und tauchten sein Gesicht in ein Spiel aus Licht und Schatten, das ihm eine bedrohliche Ausstrahlung verlieh.

In diesem Augenblick war er Engel und Dämon zugleich. Eine Mischung von Gut und Böse. Retter und Henker.

Unwillkürlich begannen ihre Flügel zu flattern, versetzten sie in Kampfbereitschaft – während ihre Haut vor Lust kribbelte. Bianka könnte am anderen Ende des Zimmers sein, bevor er sich auch nur einen Millimeter bewegt hätte. Trotzdem. Das Atmen fiel ihr schwer; die Luft war wie Eis in ihren Lungen. Und gleichzeitig war ihr Blut so heiß wie sein Schwert. Dieses Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Empfindungen war seltsam.

„Du bist noch schlimmer, als ich befürchtet hatte“, presste er hervor.

Wenn alles so lief, wie sie hoffte, würde er darüber eines Tages sehr froh sein. Laut sagte sie: „Lass mich gehen. Du musst mich nie wiedersehen.“

„Und das wird dich aus meinen Gedanken ausmerzen? Das wird den quälenden Fragen und Gelüsten ein Ende setzen? Nein, es wird alles nur schlimmer machen. Du wirst dich anderen hingeben, sie so küssen, wie du mich geküsst hast, dich an ihnen reiben, wie du dich an mir gerieben hast, und ich werde sie töten wollen, obwohl sie nichts Falsches getan haben.“

Was für ein Geständnis! Und sie hatte ihr Blut vorher schon für heiß gehalten … „Dann nimm mich“, schlug sie heiser vor. Mit der Zunge fuhr sie sich über die Lippen, langsam und bewusst. Sein Blick folgte jeder Bewegung. „Das wird sich sooo gut anfühlen, versprochen.“

„Damit ich entdecke, ob du so weich und feucht bist, wie du scheinst? Damit ich den Rest der Ewigkeit mit dir im Bett verbringe, ein Sklave meines Körpers? Nein, auch das würde meine Gelüste nur schlimmer machen.“

Oh, Engel. Das hättest du nicht zugeben sollen. Ein Sklave seines Körpers? Wenn es das war, wovor er sich fürchtete, verspürte er mehr als Begehren für sie. Er war dabei, ihr zu verfallen. Mit Kopf und Kragen. Und jetzt, da sie wusste, wie sehr er sie wollte … Er gehörte so gut wie ihr. „Wenn du mich umbringen willst“, flüsterte sie lockend und ließ eine Fingerspitze um ihren Bauchnabel kreisen, „lass mich sterben vor Lust.“

Anscheinend hörte er auf zu atmen.

Sie richtete sich auf, überwand den restlichen Abstand zwischen ihnen. Immer noch schlug er nicht zu. Flach legte sie ihm die Hände auf die Brust. Seine Brustwarzen waren so hart wie ihre. Er schloss die Augen, als wäre der Anblick, wie sie durch ihre dichten Wimpern zu ihm aufsah, zu viel für ihn.

„Ich verrate dir ein kleines Geheimnis“, flüsterte sie. „Ich bin sogar noch weicher und feuchter, als ich scheine.“

War das ein Stöhnen?

Und wenn ja, war es von ihm gekommen? Oder von ihr? Ihn so zu berühren, hatte auch auf sie seine Wirkung. All diese Kraft unter ihren Fingerspitzen war berauschend. Zu wissen, dass dieser umwerfende Krieger sie wollte – sie und keine andere –, war sogar noch berauschender. Aber zu wissen, dass sie die Erste war, die ihn in Versuchung führte, und dann gleich so sehr, das war das ultimative Aphrodisiakum.

„Bianka.“ Oh ja. Ein Stöhnen.

„Aber wenn du willst, können wir auch einfach nur nebeneinanderliegen.“ Sagte die Spinne zur Fliege. „Wir müssen uns nicht berühren. Wir müssen uns nicht küssen. Wir liegen einfach da und denken über all die Sachen nach, die wir aneinander nicht ausstehen können, und werden vielleicht immun. Vielleicht hören wir auf, uns überhaupt nach Küssen und Berührungen zu sehnen.“

Noch nie hatte sie eine so unverfrorene Lüge ausgesprochen, und über die Jahrhunderte waren schon einige ziemlich dicke Dinger dabei gewesen. Ein Teil von ihr rechnete damit, dass Lysander sie zur Rede stellen würde. Der Rest von ihr wartete darauf, dass er nach diesem lächerlichen Vorschlag griff wie nach dem rettenden Strohhalm. Und dass er ihn als Vorwand benutzte, sich endlich zu nehmen, was er wollte. Denn wenn er es tat und sich einfach nur neben sie legte, würde eine Versuchung zur nächsten führen. Nicht über die Dinge, die er an ihr nicht mochte, würde er nachdenken – er würde an alles denken, was er mit ihrem Körper anstellen könnte. Er würde ihre Hitze spüren, ihre Erregung riechen. Er würde mehr von ihr wollen – mehr brauchen. Und sie wäre gleich neben ihm, bereit und willig, es ihm zu geben.

Sie packte den Stoff seines Gewands und zog Lysander sanft auf sich zu. „Einen Versuch ist es wert, meinst du nicht auch? Alles wäre einen Versuch wert, diesen Irrsinn zu stoppen.“

Als sein Gesicht direkt vor ihrem war, sein Atem über ihre Wangen strich und sein Blick auf ihre Lippen geheftet war, begann sie, sich nach hinten sinken zu lassen. Lysander folgte ihr, leistete nicht den geringsten Widerstand.

„Willst du etwas wissen, das ich an dir nicht leiden kann?“, fragte sie leise. „Du weißt schon, damit wir ein bisschen in Schwung kommen.“

Er nickte, als sei er zu hypnotisiert, um zu sprechen.

Nun beschloss sie, es etwas schneller anzugehen als geplant. Er schien schon jetzt bereit für mehr. „Dass du nicht auf mir bist.“ Es bedurfte ja nur noch ein kleines bisschen Überredung, dann wäre dieser Umstand behoben. Nur noch ein bisschen … „Wie herrlich würde sich das anfühlen, sich so nah zu sein?“

„Lysander“, ertönte plötzlich eine ihr unbekannte weibliche Stimme von draußen. „Bist du da?“

Wer zur Hölle?! Wütend fletschte Bianka die Zähne.

Lysander richtete sich auf und zuckte vor ihr zurück, als wären ihr plötzlich Hörner gewachsen. Er ging rückwärts, löste sich ganz von ihr. Immerhin bebte er, nur leider nicht vor Zorn.

„Ignorier sie“, sagte Bianka. „Wir haben hier was Wichtiges zu erledigen.“

„Lysander?“, rief die Fremde schon wieder.

Zur Hölle mit ihr, wer immer sie war!

Sein Blick wurde wieder klar, verhärtete sich zu eisigem Stahl. „Kein Wort mehr von dir“, blaffte er Bianka an und ging weiter zurück. „Du hast versucht, mich ins Bett zu locken. Ich glaube, du wolltest überhaupt nicht, dass ich immun gegen dich werde. Ich glaube, du wolltest …“ Aus seiner Kehle brach sich ein tiefes Knurren bahn. „So etwas hast du nie wieder bei mir zu versuchen. Wenn du es doch tust, werde ich dir wahrhaftig endlich den Kopf abschlagen.“

Tja, diese Schlacht war offensichtlich vorbei. Aber so leicht würde Bianka nicht aufgeben, also versuchte sie es mit einer anderen Strategie. „Du verschwindest also wieder? Feigling! Na los, geh schon. Lass mich allein und zu Tode gelangweilt zurück. Aber weißt du was? Wenn ich mich langweile, passieren schlimme Dinge. Und wenn du das nächste Mal herkommst, stürze ich mich vielleicht einfach auf dich. Meine Hände werden überall an deinem Körper sein. Du wirst mich nicht loskriegen!“

„Lysander“, rief das Mädchen noch einmal.

Er knirschte mit den Zähnen. „Flieg zurück zu deiner Wolke“, rief er der Fremden über die Schulter zu. „Wir treffen uns da.“

Er wollte sich mit einem anderen Mädchen treffen? In ihrer Wolke? Allein, ganz privat? Hölle, ganz sicher nicht. Bianka hatte ihn doch nicht so aufgeputscht, damit jemand anders die Belohnung erntete.

Bevor sie ihm das jedoch mitteilen konnte, sagte er: „Gib Bianka, was immer sie will.“ Offenbar sprach er zu seiner Wolke. „Alles außer einer Fluchtmöglichkeit und mehr von diesen … Outfits.“ Er warf ihr einen bohrenden Blick zu. „Das sollte die Langeweile im Zaum halten. Aber ich erlaube das nur unter der Bedingung, dass du schwörst, deine Hände bei dir zu behalten.“

Alles, was sie wollte? Sie gestattete sich kein Grinsen, obwohl das andere Mädchen im Taumel dieses Sieges schnell vergessen war. „Ich schwör’s.“

„So soll es also sein“, sagte er, drehte sich um und marschierte aus dem Zimmer. Laut rauschend breiteten sich seine Flügel aus und er verschwand, bevor sie ihm nachgehen konnte. Aber das war ja auch gar nicht nötig. Jetzt nicht mehr.

Er hatte ja keine Ahnung, dass er soeben seinen Untergang besiegelt hatte. Was immer sie will, hatte er gesagt. Sie lachte. Um die nächste Schlacht zu gewinnen, brauchte sie ihn nicht zu berühren oder sexy Unterwäsche zu tragen. Sie musste nur auf seine Rückkehr warten.

Denn dann würde er zu ihrem Gefangenen werden.