Kapitel 16

Meine Hände zitterten furchtbar, als ich neun eins eins wählte und der Frau in der Notrufzentrale schilderte, was wir gefunden hatten. Ihre Antworten trugen allerdings nicht viel dazu bei, mich zu beruhigen, obwohl sie mir versicherte, ein Streifenwagen sei bereits unterwegs. Zehn Minuten später traf der auch ein, und der uniformierte Beamte folgte meiner zittrigen Beschreibung zu dem Goldfischteich. Dann forderte er über Funk Verstärkung an. Zwanzig Minuten später war alles voller blinkender Einsatzfahrzeuge, und der alte Mann mit der Zigarre und die Kids waren verdächtigerweise im Haus verschwunden.

Die zwei Polizisten trennten mich und Dana. Ein älterer Typ mit roten Haaren sprach mit Dana am einen Ende der Grünanlage, um ihre Version der Geschichte zu hören, während ein jüngerer Beamter mit dicken Brillengläsern mich zur anderen Seite mitnahm, dichter an die Straße.

„Wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie und Ihre Freundin die Leiche gefunden?“, fragte er und zog ein Notizbuch aus seiner Tasche.

Ich nickte, schaute an ihm vorbei zu der Stelle, wo gerade ein weiterer Streifenwagen und der Van des Gerichtsmediziners in die Straße einbogen.

„Haben Sie den Leichnam berührt?“

Ich schüttelte den Kopf, kämpfte gegen die Übelkeit, die allein der Gedanke in mir aufsteigen ließ. „Nein, bestimmt nicht.“

„Aber Sie konnten erkennen, dass sie tot war?“, fragte er.

„Ihre Augen waren offen“, erklärte ich, „aber sie bewegten sich nicht.“

Er nickte. „Okay, wann genau war das?“

Ich biss mir auf die Lippen. „Ich bin mir nicht sicher. Vor vielleicht einer halben Stunde?“, sagte ich und beobachtete, wie ein weiteres Polizeifahrzeug hinter uns auf den Fahrweg einbog. Ein großer schwarzer SUV.

Oh, oh.

„Äh, müssen wir das hier wirklich jetzt machen?“, fragte ich den Polizeibeamten. Ich sah den SUV parken und eine vertraute Gestalt auf der Fahrerseite aussteigen.

„Ja, Ma‘am. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt.“

Vielleicht für ihn.

„Oh, okay, aber wissen Sie, ich muss wirklich …“ Ich zerbrach mir den Kopf auf der Suche nach einem Grund, von hier zu verschwinden – irgendeinen noch so fadenscheinigen Vorwand – während ich zuschaute, wie Ramirez von seinem SUV zu einem weiteren Polizisten trat und ihn etwas fragte, worauf der ihm zweifellos gerade mitteilte, dass zwei dumme Blondinen die Leiche gefunden hatten.

Von denen eine verdächtigerweise schwanger war.

„… auf die Toilette!“, rief ich und presste die Beine zusammen. „Das ist die Schwangerschaft, wissen Sie? Das Baby liegt genau auf meiner Blase. Was nicht hilfreich von ihr ist. Daher muss ich jetzt leider weg. Ehrlich. Jetzt sofort“, fügte ich mit Nachdruck hinzu, als Ramirez‘ Blick in meine Richtung schwenkte. Ich duckte mich rasch hinter einen hohen Busch und hoffte, die Beule schaute nicht dahinter hervor.

„Oh, äh, gut, ich denke, wir könnten aufs Revier fahren …“, sagte der Beamte und sein Hals wurde ganz rot, während er stammelte. Bösewichte mit gezückten Kanonen, damit kam er zurecht. Aber eine Schwangere mit zu kleiner Blase, das war etwas völlig anderes.

Mein Glück.

„Ja, das Revier wäre klasse. Wunderbar. Perfekt“, sagte ich. „Ich bin sicher, da gibt es schöne Toiletten. Können wir gehen?“ Ich drehte mich um und rannte praktisch zum nächsten Streifenwagen, als Ramirez die Anlage betrat. Sein Blick glitt über die Szene, ihm entging nichts. Ich konnte sehen, dass seine Augen scharf waren und im Kommissar-Modus, darauf achteten, dass er kein Detail übersah.

Auch wenn dieses Detail es sich verzweifelt wünschte.

„Worauf warten Sie noch?“, fragte ich, während ich auf den Rücksitz schlüpfte.

Der verlegene Beamte ließ sich Zeit, schloss in aller Seelenruhe sein Notizbuch, gab per Funk durch, dass er eine Zeugin zur weiteren Befragung aufs Revier bringen werde und murmelte eine Reihe Buchstaben und Zahlen in das Sprechgerät, bevor er es wieder an seinen Gürtel zurücksteckte. Nach, wie es mir schien, einer Ewigkeit stieg er endlich ins Auto und zündete den Motor.

Keinen Augenblick zu früh.

Als er den Gang einlegte, sah ich, wie Ramirez‘ Blick auf Dana fiel, die wild gestikulierte, während der rothaarige Polizist so schnell, wie er schreiben konnte, ihre Aussage aufnahm. Ramirez Kinnmuskeln verkrampften sich, seine Augen wurden schmal, und ich glaubte sehen zu können, wie die kleine Ader an seinem Hals zu pochen begann.

„Los. Fahren Sie schon“, rief ich und duckte mich auf dem Rücksitz.

Und das genau tat er dann auch, lenkte den Wagen von dem Parkplatz, gerade als ein Schwall spanischer Flüche aus dem Mund meines Mannes hervorbrachen und mir die Straße hinab folgten.

Auf dem Revier angekommen, musste ich tatsächlich wieder aufs Klo, daher lief ich rasch zur Damentoilette. Nachdem ich mich erleichtert hatte, setzte ich mich mit dem uniformierten Polizeibeamten hin und gab meine Aussage zu Protokoll. Als er mich dann schließlich gehen ließ, war ich die Entdeckung am Zierfischteich mindestens hundert Mal durchgegangen und kannte jedes Detail des Momentes wie meine Westentasche. Das Einzige, was ich nicht wusste, war, was unsere Mörderin ermordet in North Hollywood zu suchen hatte.

Sobald ich das Revier verließ, rief ich Dana an, dass sie mich heimfährt. Leider ging sie nicht ans Handy. Vermutlich musste sie immer noch Ramirez‘ Zorn erdulden. Ich schuldete ihr einiges. Ich nahm mir fest vor, mit ihr zusammen einen Wellnesstag einzulegen, wenn das hier alles vorbei war. Als meine zweite Option rief ich Marco an, der glücklicherweise beim dritten Klingeln abnahm, angemessen oft „Oh je“, „Himmel“ und „Geht es dir gut?“ ausrief und schließlich in seinem leuchtend gelben Miata kam, um mich aufzulesen.

So sehr ich auch davor zurückscheute, Ramirez gegenüberzutreten, so sicher war ich mir aus Erfahrung, dass der Ort, an dem er mit der geringsten Wahrscheinlichkeit anzutreffen war, nachdem eine Leiche gefunden worden war, zu Hause war. Daher ging ich das Risiko ein und ließ mich von Marco dort absetzen, nachdem ich versprochen hatte, ihn am nächsten Morgen bis ins letzte grässliche Detail zu berichten, wie wir Beccas Leichnam gefunden hatte.

Wieder daheim machte ich mir eine große Portion gegrillten Käse (Okay, es waren eher zwei, aber eine davon war für das Baby), gönnte mir die längste und heißeste Dusche meines Lebens, was aber nicht ausreichte, zu hundert Prozent das Gefühl von Leichengiftbazillen abzuwaschen, und ließ mich in mein Bett fallen, zwang mich einzuschlafen, bevor mein Gatte heimkam.

Was, wie sich am nächsten Morgen herausstellte, nicht nötig gewesen wäre. Denn er war überhaupt nicht nach Hause gekommen. Eine Tatsache, die mich mit einer Mischung aus Erleichterung und Sorge erfüllte. Am nächsten Tag traf ich mich mit Dana und Marco zum Brunch im Café Melrose.

„Ich bin sicher, es lag nur daran, dass er arbeiten musste“, versuchte Marco mich zu beruhigen, währen er von seinem Mimosa trank.

Ich schaute ihm dabei zu und wurde, da war ich mir sicher, grün vor Neid. Ein Mimosa wäre jetzt genau das Richtige.

„Glaubst du?“, fragte ich und schob mein Denver-Omelette über meinen Teller. „Ich meine, er schien gestern am Fundort der Leiche ein bisschen verärgert.“

„Ein bisschen?“, unterbrach Dana mich. „Ich bin ziemlich sicher, sogar die Leute in Malibu haben ihn brüllen hören und seine lautstarken Beschwerden über seine kleine ‚fregadita‘ von Ehefrau.“

Oh, oh. Fregadita war manchmal so eine Art Kosename, den er für mich hatte, und bedeutete so viel wie ‚unausstehliche kleine Nervensäge‘. Nur war ich mir ziemlich sicher, dass er es dieses Mal nicht als Kosename verwendet hatte, sondern mehr wörtlich und bestimmt nicht freundlich.

„Aber er ist darüber hinweggekommen, richtig?“, krächzte ich hoffnungsvoll.

Dana starrte mich über ihr fettfreies Kleiemuffin an. „Wenn du mit ‚darüber hinweggekommen‘ eine einstündige Gardinenpredigt meinst, gefolgt von einer Stunde Fluchen auf Spanisch, dann ja, er ist wohl darüber hinweggekommen.“

Ich biss mir auf die Lippen. „Tut mir leid. Ich stehe tief in deiner Schuld. Ehrlich, ich habe nicht gedacht, dass er es an dir auslässt.“

Dana zuckte die Achseln. „Ich vermute, es hätte auch schlimmer sein können. Wenigstens hat es mich eine Weile von Ricky abgelenkt.“

„Wie geht es deinem Prinzen der Dunkelheit in letzter Zeit?“, erkundigte sich Marco.

Dana seufzte. „Frag nicht. Er war die ganze Nacht beim Dreh einer weiteren Aufnahme mit Ava. Ich schwöre bei allen Heiligen, wenn er nächste Woche den Vertrag für einen weiteren Moonlight-Film unterschreibt, werde ich mir am Ende noch die Pulsadern aufschlitzen.“

„Hat er dieses Mal wenigstens sein Handy angelassen?“, fragte ich.

„Doch.“ Dana nickte. „Er hat mich sogar aus Versehen und ohne es zu merken während einer Sexszene angerufen.“

„Oh nein“, sagte ich und schnalzte mitfühlend mit der Zunge.

„Oh doch. Weißt du, es ist eine Sache, zu wissen, dass dein Freund so tut, als schlafe er mit einem anderen Mädchen, aber es ist etwas vollkommen anderes, das auch noch mitanhören zu müssen.“

„Was hast du getan?“, wollte Marco wissen.

Dana biss sich auf die Lippen. „Ich habe aufgelegt und ihm ein paar Nachrichten auf die Voicebox gesprochen, in denen ich ihm mitgeteilt habe, er solle das Telefon ausmachen.“

„Ein paar?“, hakte ich nach.

Danas Wangen wurden pink. „Okay, siebzehn. War das übertrieben?“

„Vielleicht höchstens so viel“, antwortete Marco und hielt Daumen und Zeigefinger hoch.

Dana nahm sich seinen Mimosa und trank einen großen Schluck.

„Nun, eine Sache ist jedenfalls sicher“, sagte ich und wechselte das Thema, bevor sie das ganze Glas leerte. „Die Tatsache, dass Becca tot ist, bedeutet glasklar, dass sie nicht unsere Mörderin ist.“

Marco nickte. „Becca hätte sich wohl kaum selbst ermordet. Wer also war es dann?“

„Okay, fangen wir von vorne an. Becca und Alexa steckten in irgendetwas Üblem drin.“

„Höchstwahrscheinlich Erpressung mit großem Zahltag am Ende“, fügte Dana hinzu.

„Richtig. Sie erpressen jemanden um Geld, aber etwas geht schief und Alexa kommt um. Wir dachten, Becca sei auf der Flucht, weil sie etwas mit Alexas Tod zu tun hatte, aber was, wenn es genau anders herum ist? Was, wenn sie auch um ihr Leben gefürchtet hat?“

„Also geht sie nach Hause, schnappt sich rasch ein paar Kleider und taucht dann unter“, übernahm Marco.

„Aber warum ist sie dann neulich Abend bei der Party erschienen?“, fragte Dana. „Warum nicht einfach nach Mexiko oder sonst irgendwo abhauen?“

Ich schob mir einen Bissen von meinem Omelett in den Mund, kaute nachdenklich. „Vielleicht brauchte sie Geld? Ich meine, wenn ihr erster Erpressungsversuch fehlgeschlagen ist, war sie vielleicht pleite. Sie braucht Geld, um aus der Stadt zu verschwinden, und sie hat jetzt doppelt so viel gegen den Erpressten in der Hand. Denn sie weiß, dass er Alexa umgebracht hat.“

Dana hob eine Braue. „Denkt ihr, sie ist dumm genug, zu versuchen, den Typ erneut zu erpressen?“

Ich zuckte die Achseln. „Nun, mir ist sie jedenfalls nicht als besonders helles Köpfchen aufgefallen.“

Dana nickte. „Okay, also unternimmt Becca einen zweiten Erpressungsversuch, aber der geht ebenfalls schief, und statt ihr das Geld zu geben, ermordet der Typ sie.“

„Wer also ist unser Erpressungsopfer, das zum Killer geworden ist?“, fragte Marco.

„Es muss jemand von den Partys sein“, entschied ich.

„Okay, wer war da, der ein Geheimnis hatte?“, überlegte Marco laut.

Ich zuckte die Achseln. „Wer hat kein Geheimnis? Ich meine, ich bin sicher, es gibt eine Reihe von Leuten, die die Partys besuchen, die nicht wollen, dass das bekannt wird. Von den Techtelmechteln ganz zu schweigen, die dort stattfanden.“ Ich machte eine Pause. „Oder mehr als nur Techtelmechtel.“

„Ich mag Goldstein“, erklärte Marco. „Er ist reich, alt und verheiratet. Perfektes Erpressungsmaterial.“

„Aber was ist mit Sebastian selbst?“, wandte Dana ein. „Was, wenn mehr auf diesen Partys vor sich ging, als wir ahnen? Was, wenn er Zuhälter der Mädchen war, sie dann aber nicht mehr wollten und versucht haben, ihn damit zu erpressen?“

„Ich glaube nicht, wir sollten Alexas Freund einfach so außen vor lassen“, fügte ich hinzu. „Er hat gelogen, als er behauptete, Alexa nicht zu kennen, und er hat passenderweise mit ihr Schluss gemacht, bevor sie ermordet wurde. Oder wenigstens sagt er das.“

„Und zudem war er in der Nacht ihres Todes in dem Club“, schob Dana nach.

„Wir müssen uns wohl damit abfinden – wir haben jede Menge Verdächtige“, stellte ich fest. „Unser Problem ist, dass wir keinen einzigen Beweis haben.“

„Goldstein war der Letzte, der Becca lebend gesehen hat“, bemerkte Dana. „Ich denke, wir müssen noch einmal mit ihm reden. Sicher, er sagt, er habe sie abgesetzt, aber er hätte sie auch vorher töten können.“

Ich zuckte die Achseln. „Wir können genauso gut gleich da ansetzen.“

„Äh, ich muss es euch allein überlassen“, verkündete Marco und leerte seinen Cocktail. „Ich muss … äh, heute Morgen noch wo hin."

„Eine heiße Verabredung?“, scherzte ich.

Er grinste. „Ja, fast. Wir sprechen uns später, ja? Und lasst mich wissen, wie es mit dem Anwalt gelaufen ist“, sagte er, dann stand er auf und ging zur Parkgarage ein Stück die Straße hinab.

Ich schaute ihm nach. Hmm … Ein Marco, der sich die Gelegenheit zu der Befragung eines Verdächtigen entgehen ließ? Das stimmte etwas nicht … was führte er wohl im Schilde?

Eine Stunde später marschierten Dana und ich von der Parkgarage auf der Fünften zu dem Haus mit Goldsteins Eckbüro. Wir waren an der ersten und zweiten Empfangsdame vorbei gekommen, als wir plötzlich ein vertrautes Gesicht vor uns sahen. Alexas Schwester Phoebe.

Ihre Augen waren rot gerändert und geschwollen, sie umklammerte ein Taschentuch. Neben ihr ging ihr Ehemann und stützte sie mit einer Hand am Ellbogen, während er sich mit der anderen die Brille die Nase hochschob.

„Hallo Phoebe“, rief ich.

Sie schaute auf, und in ihrem Blick flackerte Wiedererkennen auf.

„Maddie Springer“, half ich ihr aus. „Wir haben Sie neulich wegen Alexa aufgesucht.“

Sie nickte. „Ja, ich erinnere mich.“

„Was tun Sie hier?“, fragte ich und schaute hinter ihr auf den Flur, als würde sich dort die Antwort auf diese Frage materialisieren.

„Wir haben mit unserem Anwalt gesprochen.“

„Warten Sie“, warf ich ein, und die leicht rostigen Rädchen in meinem Kopf begannen sich quietschend in Bewegung zu setzen. „Goldstein ist Ihr Anwalt?“

Sie nickte. „Ja. Er kümmert sich seit jeher um alle Familienangelegenheiten.“

Im Geiste schlug ich mir die Hand vor die Stirn.

„Er hilft uns bei den Vorbereitungen für Alexas Beerdigung“, fügte sie hinzu, und ihre Stimme brach bei dem letzten Wort, sodass sie sich wieder das Taschentuch an die Augen halten musste.

„Es tut mir leid“, sagte ihr Ehemann und legte seiner Frau einen Arm um die Schultern. „Aber wir hatten einen schweren Tag. Wenn Sie erlauben?“, fragte er und ging mit Phoebe an uns vorbei, ohne eine Antwort abzuwarten.

Ich verfolgte, wie sie in den Fahrstuhl stiegen und zur Rezeption Nummer eins nach unten fuhren.

„Das ist aber wirklich ein Zufall“, murmelte ich.

„Das kann man wohl sagen“, pflichtete mir Dana bei. „Der gleiche Typ, der mit Becca schläft und der Letzte ist, der sie lebend gesehen hat, ist zufällig außerdem noch der Anwalt von Alexas Familie. Wie wahrscheinlich ist das denn?“

Genau, was ich auch dachte. „Finden wir es heraus.“