VERSTÄNDNISFRAGEN

Es existieren einige grundsätzliche Fragen, die unter Profis nicht mehr gestellt werden, aber dennoch für Neueinsteiger oft nicht ganz einfach zu verstehen sind. Diese Fragen sollen vor den anderen Themen dieses Buches kurz „abgeräumt“ werden: Trader sind kreativ, aber anders. Trader sind meinungslos, aber nur wenn es um das Geschäft geht. Trader setzen auf einfache Konzepte, kennen aber die Aussagen von Indikatoren.

Über Kreativität

Beim Traden kommt es auf das eigene Vorstellungsvermögen an. Manche nennen das Kreativität, meinen aber etwas anderes. Wenn man mit Kreativität beim Traden die Fähigkeit bezeichnet, eine Entwicklung zu antizipieren, dann ist der Begriff für Trader richtig übersetzt. Als Trader muss man so verstanden sehr kreativ sein. Oft jedoch wird der Begriff der Kreativität als Originalität verstanden, und dann bekommt die Übersetzung eine falsche Schlagseite. Ein Trader kann durchaus den ganzen Tag oder wochenlang nur ein Handelsinstrument hin und her tauschen. Selbst wenn er damit erfolgreich ist, wird ein Außenstehender das möglicherweise als langweilig und wenig kreativ bezeichnen. Aber auf die so gemeinte Kreativität kommt es bei dieser Profession gar nicht an. Für Trader reicht es, wenn ein Handelsstil oder ein Handelskonzept funktioniert, also dauerhaft profitabel ist.

Mein persönlicher Handelsstil beispielsweise ist ein bunter Mix aus Handelsgeschäften mit Aktien, Newstrading, Arbitrage, Orderbuchtrading, Ausbrüchen, und einige Währungstrades gehören auch zu meinem Repertoire. Wenn man die Zahl der von mir in wenigen Tagen gehandelten Instrumente als Maßstab nimmt, dann bedeutet das ein hohes Maß an Abwechslung. Aber das ist nicht das oberste Ziel. Gelegentlich handle ich auch Aktien hin und her. Dann kommen schon mal über 100 Trades mit einem bestimmten Wertpapier in wenigen Tagen zusammen. Wenn sich die Chance auf Arbitragen ergibt, dann bin ich ebenfalls gerne dabei. Auch diese Handelsidee ist nicht kreativ im Sinne von originell, sondern wegen der geringen Risiken einfach nur clever.

Meinungen

Als Trader darf man sich gar keine eigene Meinung leisten. Daher weichen Trader bei Fragen nach der nahen Zukunft an den Märkten gerne aus. Die Kurse steigen, fallen oder bewegen sich seitwärts. Der Markt und die Umstände geben die Trade-Richtung vor. Ein guter Trader ist zudem bereit, eine Aktie zu kaufen und sie wenig später zu „shorten“, wenn die Bedingungen aus seiner Sicht stimmen. Natürlich hat man als Trader eine Einschätzung, wie sich eine Meldung auf den Aktienkurs auswirken wird, aber das sollte immer nur die erste Indikation sein. Falls sich der Kurs nicht wie erwartet entwickelt, könnte auch etwas faul sein oder man versteht die Marktreaktion einfach nicht. Trader sollten keine festgefahrene Meinung haben und stets flexibel bleiben, um entsprechend auf Veränderungen reagieren zu können.

Bei einer Gewinnwarnung eines Unternehmens ist in der Tat ein steigender Kurs eher unwahrscheinlich, aber wie der Markt auf ein leicht besseres oder schlechteres Ergebnis im Mikrobereich reagiert, dürfte im Einzelfall gar nicht so einfach vorherzusagen sein. Manchmal ergeben sich im Tagesgeschäft durch News auch Fallen: Es kommt vor, dass Unternehmen bessere Quartalszahlen liefern als die Analysten erwartet haben. Dies spricht zwar normalerweise ganz klar für einen steigenden Kurs, jedoch passiert das gelegentlich nicht, sondern der Kurs fällt. Nun wundert man sich, liest sich die News noch mal sorgfältig durch und entdeckt ganz am Ende, dass das Unternehmen einen negativen Ausblick für das nächste Quartal vermeldet. Oder es wird eine mögliche US-Anklage gemeldet, wie wir es nach der Finanzkrise häufiger gehört haben – dann muss der Aktienkurs nicht unbedingt sofort darauf reagieren. Denn solche Rechtsstreitigkeiten sind langwierig und die tatsächlichen Folgen meist ziemlich offen. Als im Februar 2012 über die Deutsche Bank bekannt wurde, dass man eine Einigung im ewigen Kirch-Verfahren erzielt haben könnte, reagierte der Aktienkurs darauf kaum, obwohl sogar für die Deutsche Bank eine mögliche Schadenersatzzahlung in Höhe von 800 Millionen Euro eine ordentliche Hausnummer darstellt: immerhin 16-mal Hilmar Koppers sprichwörtliche „Peanuts“.

Indikatoren & Co

Alles Mumpitz? Ja und nein. Die Ursprungsidee von zahlreichen Indikatoren ist es, Informationen zu verdichten und mithilfe einer einfachen Größe messbar zu machen. Der Trader kann dadurch bestenfalls mit einem Blick seine wichtigsten Größen erfassen. Gleitende Durchschnitte beispielsweise sind solche Hilfen, die die Marktpositionierungen für viele Marktteilnehmer verstehbarer machen. Auch die verschiedenen Chart-Darstellungen sind darauf gerichtet, einen schnelleren Überblick zu erzeugen. Das Verwenden von Balkencharts oder Candlesticks ist eigentlich nur eine Geschmacksache. Betrachtet man hingegen Liniencharts, dann gehen einige Informationen verloren. Ob man diese Informationen aber tatsächlich immer benötigt, ist dadurch nicht beantwortet. Aus Sicht eines Traders geht es um die Zweckmäßigkeit und um nichts anderes. Neuere Moden bei Indikatoren oder Darstellungsformen lenken viele Marktteilnehmer vom Wesentlichen ab: Nicht die Darstellung von Informationen ist entscheidend, sondern vielmehr deren Interpretation. Neue Moden bei der Chart-Darstellung liefern weniger, als Neulinge im Business vermuten – die Aufmerksamkeit wird dadurch nur auf einen unwichtigen Nebenschauplatz gelenkt.

Die Interpretation von Daten oder Indikatoren kann von einem Tag auf den anderen wechseln. Es ist schon erstaunlich, warum es immer wieder Käufer von Handelssystemen gibt, die angeblich erfolgreich sind und dennoch verkauft werden müssen. Warum sollte ein Entwickler ein tolles System anderen anbieten, wenn er selbst davon profitieren könnte? Tatsache ist, dass dies ein ganz normales Business ist und dass die Systeme nur so gut funktionieren, wie die eingesetzten Codes zum aktuellen Markt passen. In einem starken Trendmarkt beispielsweise funktionieren entsprechende Trendfolgesysteme. Kritisch sind bei Handelssystemen vor allem die Turning-Points, wenn ein Markt von einer Trend- in eine Seitwärtsphase wechselt – solche Phasen erfasst ein (menschlicher) Trader besser als ein System. Man wird mir nachsehen, dass ich von meinem diskretionären Tradingansatz überzeugt bin: Ich bemerke Veränderungen im Orderbuch in Echtzeit und kann darauf sofort reagieren. Ein Handelssystem muss umgestellt oder abgestellt werden, wenn das System vorher reihenweise VerlustTrades produziert hat.

Aus Sicht eines Traders ist es erfreulich, dass es Handelssysteme gibt, die an bestimmten, meist vorhersagbaren Punkten agieren und so dem Markt Liquidität verschaffen. Als Aktientrader bin ich von Handelsmaschinen allerdings weniger betroffen als Akteure auf den Futures-Märkten oder im Devisenhandel. Die Folge dort sind ausgeprägte Trends. Wenn alle die gleiche Idee verfolgen, dann kommt es zu entsprechenden Entwicklungen. Besonders ärgerlich sind natürlich Flash-Crashs, die durch Handelsmaschinen ausgelöst werden und Kursbewegungen zur Folge haben, die sich kein ernsthafter Marktteilnehmer wünschen kann. Hier habe ich als diskretionärer Trader wiederum den Vorteil, auf solche Marktgegebenheiten reagieren zu können.

Meine Hauptkritik an Indikatoren und dem Glauben an den Heiligen Gral ist jedoch eine andere: Novizen im Trading verlieren sich zu häufig in unwichtigen Detailfragen, wenn sie komplizierten Indikatorkonzepten hinterherlaufen und hier Verfeinerungen vornehmen. Es ist wichtiger, Erfahrungen im Trade-Management zu sammeln, als den ultimativen Indikator zu erfinden. Der funktioniert nämlich nur in 50 Prozent aller Fälle.