Poker Putin

Ein großgewachsener Mann mit stahlblauen Augen fragt nach einer Massage. In gebrochenem Englisch sagt er zu Jean, dass er sich nur von Frauen behandeln lässt. Schwule Hände haben auf seinem Körper nichts zu suchen. Ich bin kurz davor, diesen Unsympathen sofort vor die Tür zu setzen, als Natascha das SPA betritt und sich der heiklen Situation annimmt. In ihrer Muttersprache klärt sie den ungehobelten Russen über die Besitzverhältnisse auf und sein anfangs frostiger Blick, schmilzt auf die Temperatur von Eiswasser. »Dann mach du, Mütterchen«, sagt er auf Deutsch zu mir und mustert mich abfällig von unten bis oben. So ein unverschämtes Benehmen habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nicht einmal erlebt.
   »Pass auf Putin, mach dich hier ganz schnell vom Acker. Eine Massage kriegst du hier nicht. Das Einzige was das Mütterchen dir anbieten kann, ist ein kräftiger Tritt in deinen russischen Arsch!« So gut sind seine Deutschkenntnisse nun doch nicht und ich bitte Natascha um eine wortgetreue Übersetzung. Die steht jedoch laut lachend im Verkaufsraum und hält sich kreischend den Bauch. Immer wieder schüttelt sie den Kopf und sagt: »Das übersetze ich nicht. Auf keinen Fall.« Auch Jean kann sich das Lachen nicht verkneifen. Mittlerweile verliert der Russe die Geduld. Ich mache eine Handbewegung, als ob ich einen Schwarm Mücken verjagen will und rufe das einzige Wort, das ich auf Russisch sagen kann. »Dawai, dawai!« Ich wiederhole es so oft, bis er völlig konsterniert das SPA verlässt. René, der das laustarke Schauspiel von der Terrasse mit verfolgte, fragt nach, was passiert ist. Amüsiert über meinen erfolgreichen Rausschmiss sagte er: »Du weißt hoffentlich, wen du gerade vor die Tür gesetzt hast. Er heißt Vadim und ist ein neuer Resident in unserer Runde. Er zählt zu meinen umsatzstärksten Kunden. In Saint Tropez haben sie ihm kein Haus verkauft, obwohl er vor Geld stinkt. Jetzt gibt er es bei uns aus.« Natascha nickt. Sie kennt ihn von einem Segelcharter, den sie begleitet hat.
   »Nach einer Stunde hatte er Julian angeboten, ihm das Boot abzukaufen. Er hat Geld wie Heu. Und ist noch ledig!«, lacht sie.
   »Für alle Frauen auf der Welt kann ich nur hoffen, dass das noch lange so bleibt. So ein Ekel!« Der Vorfall war Hauptgesprächsthema des Tages. Claire kennt ihn auch schon. Bei ihr im Salon hat er sich ähnlich aufgeführt.
 

Schon zwei Wochen habe ich Tobias nicht gesehen. Ich arbeite in der Eins, wenn Jean oder Frank frei haben und schlafe bei René auf dem Sofa unter dem Fenster. Alles läuft gut bis zu dem Mittag, als Clara weinend auf mich zustürzt. »Er schickt mich ins Internat. In das, wo Natascha früher auch war. Ich will das nicht, Mamam, bitte! Lass mich bei dir bleiben. Warum kommst du nicht endlich wieder nach Hause.« Clara so leiden zu sehen, bringt mich aus der Fassung. Ich versuche sie zu beruhigen und sage: »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Du kommst bestimmt nicht ins Internat. Sicher hast du Papa wieder auf die Palme gebracht und er hat es im Streit zu dir gesagt. Er würde dich nie fortgehen lassen.«
   »Doch, gleich nach den Osterferien. Er hat es schon unterschrieben und den Brief weggeschickt.« Natascha nickt. Sie schickt die Kleine zur Eisbar, damit sie mit mir in Ruhe sprechen kann.
   »Tobias wird unserem Vater immer ähnlicher. Die beiden haben sich zusammen getan. Ich soll wieder auf die Uni und Clara ins Internat. Sie halten es für die beste Idee. Ich kann mich wehren. Aber für Clara musst du eintreten.«

Ich fahre noch am gleichen Abend ins Haus. Mit meinem Sender öffne ich das Tor und klingel einmal kurz an der Haustür. Tobias sieht mich prüfend an.
   »Hat René Eigenbedarf für sein Liebesnest angemeldet oder warum kommst du nach Hause?«
   »Ich bin nicht gekommen um zu streiten, sondern mit dir über Clara zu sprechen. Was ist das für eine absurde Idee mit dem Internat?«
   »Clara hat nur noch mich. Aber aus beruflichen Gründen kann ich mich nicht ausreichend um sie kümmern. Also was spricht gegen eine Unterbringung in einem Internat? Dort erhält sie Bildung, Erziehung und ihr wird anständiges Benehmen beigebracht.«
   »Lass dein aufgesetztes, geschwollenes Getue. Wir reden hier über unsere Clara. Du wirst es nicht zulassen, dass aus ihr so ein angepasstes, fettleibiges Kind wie Natalie wird. Was ist das mit euch Martin Männern? Zwei Kinder werden im Heim groß. Ein Sohn bekommt eine Ziehmutter. Die nächsten Kinder werden ins Internat abgeschoben. Tobi, du bist doch nicht Paul. Du hast doch ein Herz und du liebst sie doch.«
   »Was geht es dich an. Du bist nicht ihre Mutter. Oder hast du sie adoptiert?« Ich schlucke. Fast wäre ich wegen dieser Gemeinheit ausgeflippt. Aber ich bleibe betont ruhig.
   »Tobi, komm doch zur Vernunft. Ich liebe Clara und ich kümmere mich seit Jahren um sie, so als wäre sie mein leibliches Kind. Sei doch jetzt nicht ungerecht. Wenn du zustimmst, dann kaufe ich dir deine Hälfte des Hauses wieder ab und ich wohne zusammen mit ihr hier. Du kannst sie jederzeit besuchen. Lass uns keinen Rosenkrieg führen, wir beide hatten uns doch mal gern.« Über die Worte »hatten uns doch mal gern« schüttelt er bestürzt den Kopf.
   »Und eines Tages erwachst du und dir fällt ein, dass du sie nicht mehr liebst. Dann sagst du ihr, dass es aus und vorbei ist. So wie du es mir wie aus heiterem Himmel vor die Füße geknallt hast. Ja Marie, ich weiß, dass du sie liebst. Gerade deshalb wirst du sie nicht bekommen. Und das Haus auch nicht!«
   »Kratzt es an deinem Ego, dass ich mich getraut habe, das auszusprechen, was offensichtlich ist. Unsere Liebe ist vorbei. Würde es dir besser gehen, wenn du mir einen Tritt geben könntest? Dann bitte!«
   »Unsere Liebe ist nicht vorbei. Das geht gar nicht!«
   »Dann haben wir unterschiedliche Auffassung von Liebe. Wenn du Clara und mich lieben würdest, hättest du nie so gehandelt.«
  »Sie ist das einzige Druckmittel, das ich gegen dich habe. Ich will, dass du wieder nach Hause kommst.«
   »Clara ist dein Druckmittel? Jetzt begreife ich, warum du bei der Adoption so lange gemauert hast. Aber ich habe auch etwas, was nur mir gehört. Mató! Die Marke gehört mir ganz allein. Du hast dein Franchise Imperium auf meinem Namen aufgebaut. Wenn du willst, dass dein Prunkschuppen in Cannes weiterhin den Namen Mató trägt, dann machst du den Blödsinn mit dem Internat wieder rückgängig. Wenn nicht, kannst du ab nächste Woche deine Kunden mit Butterschmalz aus dem Supermarkt massieren. Von mir kriegst du nämlich nicht einen Tiegel Ware mehr!« Ich habe mich in Rage geschimpft und triumphiere. Amüsiert über meinen impulsiven Wutausbruch grinst er über das ganze Gesicht. Er steht noch immer breitbeinig in seiner Anzughose vor mir und hat beide Hände in den Hosentaschen verschränkt.
   »Du willst dich mit mir anlegen? Damit machst du mich richtig scharf. Dabei hätte ich eine viel bessere Idee, wie du dein Temperament an mir auslassen könntest.«
   »Pflück dir selber einen«, rate ich meinem dauergeilen Mann. Ich habe für die Nacht andere Pläne.

Auf der Fahrt mit meiner Ente in den Ort, rufe ich Claire an und frage nach den Schlüsseln für das SPA Nummer Zwei.
   »Stehen im hinteren Raum noch immer die übrig gebliebenen Farbeimer und Rollen rum?« Claire bejaht. An der Tankstelle kaufe ich drei Dosen schwarzen Sprühlack und hole die Eimer mit heller Wandfarbe und die Malerrollen ab. Nach 69 km Autobahnfahrt fahre ich in die Tiefgarage in Cannes. Mit dem Fahrstuhl transportiere ich meine Utensilien in das Erdgeschoss. Es dauert zwei Stunden bis der schwarze Mató Schriftzug von der hohen Wand verschwindet. Genüsslich schüttele ich die Farbdosen und sprühe ein neues, passendes Logo für ihn auf die helle Wand. Tobis Harem No.1 Ich überlege noch, ob ich die Regale leer räumen soll, aber ich finde, meine nächtliche Aktion ist genau die richtige Dosis, um ihm den Kampf anzusagen. Mit meinem Handy mache ich noch ein Foto von meinem Kunstwerk und fahre hoch zufrieden zu René. Er hat das Restaurant schon geschlossen. In seiner Wohnung brennt aber noch Licht. Vorsichtig öffne ich die Tür und horche, ob er Damenbesuch hat. Lachend empfängt er mich. Er liegt mit seinen Kochklamotten bekleidet auf dem Bett und sieht fern.
   »Habt ihr euch versöhnt oder warum strahlst du so?«
   »Besser René, viel besser. Ich habe ihm heute eine Kampfansage gemacht. Aufgeregt ziehe ich mein Handy aus der Tasche und zeige ihm stolz mein Werk. Ich kann mich kaum halten vor Lachen und gackere minutenlang bei der Vorstellung, wie dumm er schauen wird, wenn er es am Morgen das erste Mal sieht.
   »Ich habe wegen meiner Untreue ja selbst schon einiges erlebt, aber mit dir möchte ich keinen Streit haben«, sagt er und lacht über seine explosive Untermieterin.
   »Es geht doch nicht um seine Fingerspiele. Es geht um Clara. Er will sie ins Internat stecken, nur um mich zu bestrafen.«
   »Seit wann bist du so tolerant. Ich dachte immer, du würdest deinen Mann ermorden, wenn er fremd geht.« Ich schaue zu René, der mir mit zwei Fingern zuwinkt.
   »Wie heißt das deutsche Sprichwort? Wie du mir, so ich dir?«
   »Bleib wo du bist!«

Nach zwei doppelten Café noir hole ich den Hund ab und gehe mit ihm am Strand spazieren. Immer wieder blicke ich gespannt auf mein Handy, das nicht klingeln will. Tobi sollte mein Kunstwerk doch schon gesehen haben. Ob er aus Scham, den Laden geschlossen hat? Ich wähle die Nummer in Cannes und lege gleich wieder auf, als sich eine Frauenstimme mit »Mató Beauty & SPA« meldet. Umfirmiert hat er noch nicht, lache ich. Balou hechtet einer Möwe hinterher und springt ins kalte Meer. Er ist bis zum Kopf völlig nass und sandig. Im Haus stelle ich ihn unter die Dusche und rubbel ihm mit mehreren Frotteehandtüchern das Fell wieder trocken. Danach putze ich die Kacheln. Beim Feudeln des Bodens bewege ich mich rückwärts aus dem Badezimmer, als ich an jemanden stoße. Der Schreck steckt mir noch tief in den Gliedern, als ich in Tobis erstauntes Gesicht sehe. Die Situation ist urkomisch, aber ich kann nicht lachen. Ich stottere meine Erklärung von der Möwe und vom völlig nassen Hund zusammen und dass ich sonst nicht heimlich zum Putzen komme. Tobias greift sich mit der Hand ans Kinn und nickt wohlwollend zu meinem wirren Gestammel.
   »Wieso bist du heute nicht in der Drei? Wenn ich gewusst hätte, dass du frei machst, hättest du ja auch mit dem Hund gehen können.«
   »Netter Versuch«, lacht er. Sein breites Grinsen sollte mir als Antwort auf die Frage genügen, ob er sein neues Logo schon gesehen hat.
   »Komm mal her, du alte Zicke. Ich komme gerade von der Post. Ich habe die Anmeldung fürs Internat rückgängig gemacht. Wenn du mehr wissen willst, dann küss mich schnell.« Ich ignoriere seinen Dackelblick, nehme meine Schlüssel und rufe ihm beim Rausgehen zu: »Von Anzugträgern lasse ich mich grundsätzlich nicht küssen. Frohe Ostern.«

Eine Gruppe Russen hat sich zu René in die Küche verzogen und pokert mit hohen Bargeld Beträgen. René bittet mich um Beistand. Er hat einen Drilling mit Königen auf der Hand und hofft, in meinem Beisein, den Pot kassieren zu können. Es liegen rund 3000 Euro in der Tischmitte und ich setze mich dazu, ohne eine Miene zu verziehen. Ich habe schon häufig Texas Holdem gespielt und Steffen früher regelmäßig abgezockt. Bei diesem Blatt wäre ich selbst nie mitgegangen. Und ich sollte Recht behalten. Der unsympathische Vadim kassiert den Pot mit einem Flush in Herz bis zum As. René wird ans Telefon gerufen und verlässt den Tisch. Ich will ihm folgen, werde aber von Vadim aufgehalten.
   »Können Sie pokern, Mütterchen? Dann machen Sie für René weiter.« René nickt zustimmend. Mit einem Bigblind von 300 Euro steige ins Spiel ein. Der Russe versucht mich mit seinem eisigen Blick aus der Fassung zu bringen. Allerdings ohne Erfolg. Ich konzentriere mich nur auf die Musik. Mein breites Grinsen verzieht sich weder bei einem guten, noch bei einem schlechten Blatt. Ich kassiere den Pot mit einem Full House. Zwei Russen sind blank und steigen aus. Nun spiele ich nur noch gegen Vadim. Nach vier Runden habe ich ihm das Geld mit einer Straße abgenommen.
  »Danke, Putin. Es war dem Mütterchen ein Vergnügen.« Ich sammele die Scheine vom Tisch und sehe in das verärgerte Gesicht des Verlierers. Es geht ihm nicht um das verlorene Geld. Dass ausgerechnet ich ihn zur Strecke gebracht habe, ist der eigentliche Grund für seine üble Laune. Erhobenen Hauptes stecke ich René das Geld in die Tasche seiner Kochjacke.
   »Lass die Finger von diesen hohen Einsätzen. Die spielen in einer anderen Liga.«

Den schulfreien Karfreitag verbringe ich mit Clara zusammen. Ich habe mir den Schlüssel von der Yacht genommen. Das Boot liegt schon im Hafen und wir machen es uns in der Kajüte gemütlich. Wir lesen uns gegenseitig lustige Kurzgeschichten vor und essen Unmengen an Süßigkeiten. Natascha kommt pünktlich wie verabredet, um sie wieder zu ihrem Vater nach Cannes zu bringen. Sie ist in Begleitung, wie ich durch die Luke erkennen kann. Es ist Timo, der mich mit den Worten begrüßt: »Ihr habt vergessen, dass ich heute komme! Oder war eure Einladung nicht ernst gemeint? Ich war schon bei euch zu Hause und in deinem SPA. Zufällig habe ich Natascha auf der Straße getroffen, sonst würde ich noch immer hier herumirren.« Ich fasse mir beschämt an die Stirn. Ich habe die Einladung tatsächlich vergessen. Mit Küsschen verabschiede ich mich von Clara und Natascha und bitte Timo an Bord. Als die beiden außer Reichweite sind, gestehe ich meine neue Lebenssituation.
   »Ich wohne schon seit ein paar Wochen bei einem Freund. Ins Haus könnte ich dich nur lassen, wenn ich Tobias vorher anrufe. Das möchte ich allerdings nicht. Ich bin froh, wenn ich ihn nicht sehen und hören muss. Wenn du magst, kannst du auf dem Boot schlafen. Ich hole dich morgen zum Frühstück ab und wir unternehmen etwas zusammen.«
   »Einen Bootstörn?« Gern stimme ich zu. Den Abend verbringen wir in einem italienischen Restaurant. Timo will den Grund unserer Trennung wissen.
   »Weil er sich um 180 Grad gedreht hat. Alles was ich an ihm immer so geliebt habe, ist weg. Er verfolgt jetzt Ziele, die wir stets abgelehnt haben. Er hat regelrechte Allüren bekommen. Geld, Macht und Statussymbole sind ihm jetzt wichtig. Er wirft nur so mit Geld um sich. Nach der Erbschaft ist er zu einem großspurigen Anzugträger geworden.«
   »Anzugträger sind in deinen Augen was genau?«
   »Überhebliche Angeber ohne Bodenhaftung. Stocksteife Spießer und Pedanten, humorlose Rechthaber und Besserwisser und auf Tradition versessene Prinzipienreiter. Na, du weißt schon«, sage ich im aufgebrachten Ton.
   »Ich weiß nur, dass ich mich morgen dringend umziehen muss, um dir zu zeigen, dass ich keinen Stock im Hinterteil habe. Ich bin nämlich auch eher der Hummel Typ, obwohl ich geschäftlich einen Anzug tragen muss.« Timo bestellt noch eine Karaffe Wein und Wasser.
   »Du willst mir nicht weiß machen, dass du dich nach fast acht Jahren von Tobias trennen willst, weil er zu viel Geld ausgibt und jetzt Anzüge trägt. Dass er sich jetzt etwas gönnt, ist doch eine typische Reaktion. Das habe ich auch eine Zeit lang gemacht, nachdem ich die Geschäftsführung übernommen habe. Da konnte ich mir das erste Mal in meinem Leben Dinge leisten, von denen ich vorher nur geträumt hatte. Du tust ja geradeso, als wenn er sein Erbe ins Casino oder ins Bordell tragen würde.«
   »Er braucht nicht ins Bordell zu gehen. Er hat sich gerade ein eigenes eröffnet. In bester Lage auf drei Etagen. Frag nicht weiter. Er soll es dir selber erzählen.« Ich will nicht weiter über Tobi sprechen und frage Timo nach seiner privaten Lage.
   »Wie geht es mit dir und Christina weiter?«
   »Solange sich bei mir beruflich nichts ändert, brauche ich sie gar nicht zu bitten, zurück zu kommen. Hast du schon einmal einen Konzernchef getroffen, der in Teilzeit arbeitet, damit er mit seiner Frau mehr Zeit verbringen kann? Das ist realitätsfern. Ich habe gehofft, wenn Tobi mit einsteigt, hätte ich ein Argument. Aber bei Licht betrachtet, hätte es auch nichts geändert.«
   »Wenn ich es richtig sehe, hat deine Frau keinen Konzernchef geheiratet. Sie wollte einen Mann, der mit ihr lebt. Du hast die Spielregeln verändert. Also stelle sie jetzt nicht als undankbar und ungerecht hin.«
   »Was ist dein Lösungsansatz. Soll ich den Posten schmeißen?«
   »Ihr habt gerade eine Menge Geld geerbt. Ich meine so viel, dass man bis zum Lebensende passabel davon leben könnte. Warum reicht euch das nicht? Ihr könnt euer Vermögen doch nicht mit ins Grab nehmen. Du solltest dir ernsthaft überlegen, was du von deinem Leben noch erwartest und danach deine Prioritäten setzen.«
   »Sprichst du noch mit mir oder galt diese Ansprache Tobias?«
   »Es passt doch auf euch beide.« Ich trinke meinen Wein aus und zeige an, dass ich müde werde. Ich begleite Timo noch zum Boot und wünsche ihm eine gute Nacht.

René erwartet mich bereits. Mit einem prüfenden Blick fragt er mich, ob ich mir für meine Retourkutsche Tobias Bruder ausgesucht habe.
   »Unsinn! Ich gehe morgen nur mit ihm segeln. Ein zweiter Martin Mann, würde mir gerade noch fehlen.« Zusammen gehen wir in die Wohnung. Mein blinkendes Handy zeigt mehrere Anrufe und Nachrichten von Tobias an. Er will wissen, wo Timo steckt und hat uns bereits den ganzen Abend vergeblich im Ort gesucht.
   »Dein Bruder ist auf dem Boot. Wir haben einen schönen Abend zusammen verbracht. Er ist dir und deinem Vater wirklich sehr ähnlich, wenn du weißt was ich meine. Und nun gute Nacht, ich brauche dringend eine Mütze Schlaf, damit ich morgen wieder fit bin.« Ich lege auf und stelle das Telefon aus. Die Interpretation meiner Worte sollte ihn für die nächsten Stunden beschäftigen.

Ich helfe in der Restaurantküche beim Frühstück. Der Ostersamstag lockt viele Tagesgäste in den Ort und René freut sich über die tatkräftige Unterstützung. Nach dem ersten Ansturm packe ich einen Korb mit Baguette, Butter, Marmelade, Saft und Kaffee und gehe zum Bootsanleger. Noch auf dem Steg rufe ich: »Es kann los gehen, Timo. Ich habe wie versprochen Frühstück dabei. Los zeig dich mal. Ich will dich endlich mal ohne Anzug sehen.« Er dreht sich mit ausgestreckten Armen und zeigt seine stark behaarten Beine, die unter karierten Bermuda Shorts hervorgucken. Dazu trägt er ein Marine blaues Shirt über der Hose.
   »Na, das ist doch mal ein Anblick. Hast du gut schlafen können oder hat es zu sehr geschaukelt. Es war ziemlich windig letzte Nacht.« Timo schenkt sich einen Kaffee ein.
   »Bis drei Uhr habe ich durchgeschlafen. Dann wurde ich von Tobi geweckt.«
   »Er war hier?«, frage ich erschrocken und mir ist klar, dass ich die nächtliche Ruhestörung mit meiner zweideutigen Aussage verursacht habe.
   »Nein Marie, er ist hier.« Es verschlägt mir die Sprache und ich setze mich sofort auf. Nix wie weg hier!
   »Na, dann hast du ja Gesellschaft. Ich wünsche euch viel Spaß.« Schnellen Schrittes will ich den Bootssteg verlassen. Das ist mir nun doch peinlich. Sicherlich hat Tobi seinem Bruder eine Szene gemacht. Aber ich komme nicht weit. Mein Mann hält mich mit den Worten zurück: »Wo willst du denn hin? Du hast Timo doch einen Segeltörn versprochen. Also komm wieder her und begleite uns.«
   »Ganz richtig. Ich habe ihm einen Törn versprochen. Also was machst du hier?«
   »Ich bin euer Skipper. So kannst du deine Unterhaltung von gestern mit ihm ungestört fortsetzen. Ich werde euch nach Cannes segeln. Timo würde sich gern mein Bordell ansehen und bei der Gelegenheit deine bildende Kunst an der Wand begutachten.« Die beiden Brüder grienen mich wie eineiige Zwillinge an.
   »Darauf kann ich gut verzichten. Ich kenne beides bereits zu Genüge. Viel Spaß die Herren. Und nicht vergessen, hinterher die Hände zu waschen!« Ich zeige ihnen den Stinkefinger.
   »Jetzt?«, fragt Timo. Doch sein Bruder schüttelt den Kopf. Ich setze noch einmal neu an und rufe: »Aber wem sage ich das? Etikette steht bei euch Anzugträgern doch an oberster Stelle!« Das Grienen der Männer steigert sich in glucksendes Lachen.
   »Gleich, nur noch einen kurzen Moment«, flüstert Tobi.
   »Da hilft es auch nicht, sich zwischendurch mal leger anzuziehen. Deinen Stock im Arsch, werter Schwager, den sehe ich trotzdem noch aus zehn Meter Entfernung!«
   »Jetzt ist sie auf Hundert«, lacht Tobias und Timo setzt laut mit ein. Ich wünsche den geschwätzigen Brüdern Windstärke acht auf ihrem Trip, was angesichts des strahlenden Wetters eine aussichtslose Hoffnung ist.

Renés Terrasse ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Das unverhofft gute Wetter ist der Grund für diesen Massenansturm, den er allein nicht bewältigen kann. Ich schaue in die Eins und finde Jean und Sarah bei einem Plausch vor. Sie haben nicht einen Kunden. »René ist am Schwimmen. Sieht denn das keiner von euch? Los, einer kommt mit rüber. Wir müssen ihm unter die Arme greifen.« Ich werfe Jean auch eine schwarze Bindeschürze zu und nehme mir Block und Stift und gehe von Tisch zu Tisch. Nach einer halben Stunde habe ich Ordnung in das Chaos gebracht und alle Gäste haben ihre Bestellung am Tisch. Ich schaue auf die Uhr. Es ist halb Elf und ich weiß aus Erfahrung, dass bald der nächste Schub Gäste zum Mittagessen anrücken wird. Ich telefoniere mit Frank und bitte Jean, seinen Freund Carlos zur Verstärkung zu holen. Das SPA wird geschlossen und ich teile Sarah für die Vergabe der Speisekarten, die Aufnahme der Bestellungen und das Abräumen der Tische ein. Jean soll allein den Getränkeausschank übernehmen. Carlos ist für das Servieren der Drinks und das Abkassieren eingeteilt. Frank und ich unterstützen René beim Kochen und bringen die Gerichte direkt aus der Küche zu den Gästen. Ich lasse mich vom lauten Brüllen der beiden hektischen Köche nicht aus der Ruhe bringen und ziehe meinen Plan durch. Ich renne seit Stunden pausenlos den langen Weg von der Küche auf die Terrasse. Der Zustrom ebbt nicht ab. Es gibt keine Verschnaufpause zwischen Mittags- und Abendgeschäft. Nach zwölf Stunden falle ich völlig erschöpft in einen frei gewordenen Korbsessel und lasse mir von Jean einen Gin Tonic mixen.
   »Wie kannst du ohne Personal in das Ostergeschäft starten«, frage ich ungläubig. René umklammert mich von hinten und bedankt sich mit vielen Küssen auf meinen Kopf.
   »Deine Einteilung war zwar extrem unkonventionell, aber ich ziehe meinen Hut. Es hat wunderbar geklappt. Du hast mir heute den Hintern gerettet. Er gibt noch eine Runde aus und als sein Kochgehilfe die Küche fertig geputzt hat, löscht er das Licht und wir gehen in die Wohnung.
   »Wolltest du nicht eigentlich mit Tobis Bruder segeln gehen?« Aber er bekommt keine Antwort mehr. Ich schlafe schon tief und fest.

Der Ostersonntag ist bewölkt. Bestes Wetter für ein gutes Wellness Geschäft. Die Eins wird von Sarah und Frank geführt. Jean und ich helfen wieder bei René aus. Als ich das letzte Frühstücksgedeck abräume, sehe ich Tobi und seinen Bruder aufs Lokal zusteuern. Laut raunzend gehe ich in die Küche.
   »Den Tisch bediene ich nicht.« René übernimmt und bringt den Brüdern zwei Kaffee. Er setzt sich kurz dazu und berichtet von meinem fabelhaften Einsatz und der tatkräftigen Unterstützung meiner Mató Jungen. Ich sitze im Innenraum am Tresen. Obwohl ich keinen Blickkontakt zur Terrasse habe, kann ich jedes Wort, das am Tisch gesprochen wird, verstehen. Timo ist gekommen, um sich zu verabschieden. Vorsichtig nähert er sich meinem Barhocker.
   »Sagst du mir Tschüss oder bist du mir böse?«
   »Wolltest du nicht bis morgen bleiben?«
   »So war es eigentlich geplant. Aber meine liebreizende Schwägerin hat mir so den Marsch geblasen und mich zur Einsicht gebracht, dass ich den morgigen Tag lieber mit Christina verbringen werde und ihr meine neuen Prioritäten vorstellen will.«
   »Dabei wünsche ich dir viel Glück.« Ich küsse Timo links und rechts auf die Wange. Zusammen mit Tobias verlässt er das Lokal.
   »Sie sind weg und Tisch drei möchte zahlen«, sagt René als er zurück in die Küche geht. Ich kassiere Tisch drei und helfe noch bis zum Einbruch der Dunkelheit aus. Abends blinkt mein Handy. Clara hat mir eine Nachricht hinterlassen.
   »Nicht vergessen, Mamam, morgen ist Ostermarkt.« Die von den Schulkindern gebastelten Osterdekorationen schmücken schon seit Tagen den Ort. Am Vormittag des Ostermontags stehen die bemalten Eier, Hasen und Lämmer zum Verkauf. Es hat sich der Brauch entwickelt, dass Eltern die Kunstwerke ihrer Kleinen erwerben und der Erlös einem gemeinnützigen Zweck zugeführt wird.
   »Morgen musst du ohne mich auskommen.« Ich verabschiede mich auf die Couch und betrachte den hellen Mond, der durch das Fenster scheint. René spielt Musik vom Band. In den ersten Jahren gab es stets Live Musik zu den Festtagen. In diesem Jahr hat er noch nicht einmal Servicepersonal geordert. Er wird immer geiziger, denke ich.

René verzieht sich wie jeden Morgen um halb sechs ins Bad, um eine halbe Stunde später das Lokal zu öffnen. Er verhält sich leise und weckt mich nicht auf. Nur eine Stunde später springt Balou auf mein Bett und schleckt mir wild das Gesicht ab.
   »Du hast verschlafen, Mamam!« Abrupt setze ich mich auf und drücke den Hund sanft von meiner Schlafstätte. Als mein Blick auf mein Blumenmädchen fällt, überzieht ein liebevolles Lächeln mein verschlafenes Gesicht. Clara steht mit einem Strauß gelber und weißer Narzissen im Raum. Es sind so viele, dass sie Schwierigkeiten hat, den schweren, dicken Strauß mit ihren kleinen Kinderhänden zu umfassen.
   »Danke, mein kleiner Liebling. Das sind wunderschöne Blumen.« Ich stehe auf und lege sie ab, um sie zu umarmen. Balou legt sich nach Erhalt von Frauchens Kommando brav auf den Boden.
   »Warum bist du so früh aufgestanden? Der Markt öffnet doch erst um zehn Uhr.«
   »Wir wollen doch vorher mit dir frühstücken. Los Mamam, beeile dich jetzt.« Ich schlurfe über den Flur in das gegenüberliegende Bad, als ich Tobias vor meiner Zimmertür bemerke. Er lehnt an der Wand und sieht betreten nach unten.
   »Du schläfst mit René in einem Zimmer?«
   »Na, wo sonst? Es gibt hier nur den einen Raum, eine kleine Küche und das Bad. Ich hatte dich gebeten, statt meiner zu gehen. Hättest du nachgegeben, könnte ich in meinem eigenen Bett schlafen.« Clara nimmt Balou und geht in der Ostergasse nach ihren Basteleien Ausschau halten. Ich verschwinde ins Bad. In ein kurzes Handtuch gewickelt, komme ich zurück. Tobias sitzt auf dem Sofa.
   »Würdest du bitte unten warten, ich möchte mich in Ruhe anziehen.«
   »Du kannst gleich deine Koffer packen und ins Haus zurück kommen. Ich werde heute noch ausziehen und ins Appartement nach Cannes umsiedeln. Das hier ist würdelos. Ich hab nicht gewusst, wie du hier haust.«
»Es mag sein, dass es für dich nicht standesgemäß ist, aber ich fühle mich hier wohl. Du wolltest das Haus, nun behalte es auch! Bei deiner Finanzlage, sollte es dir ja nicht schwer fallen, mich kurzfristig auszuzahlen. Und mache es bald, bevor du dein Erbe mit deiner jungen Liebesdienerin durchgebracht hast!« Ich bitte Tobias erneut, den Raum zu verlassen und mir fünf Minuten Zeit zu geben.

Noch drei weitere Narzissen Sträuße schmücken das Esszimmer. Der Tisch ist liebevoll gedeckt und Tobias fragt, wie er die Eier zubereiten soll. Clara wünscht sich einen Pfannkuchen und überlässt mir die Zubereitung. Ich durchschaue ihre Absicht. Mit diesem Trick erhofft sie sich, ihre Eltern wieder näher aneinander zu bringen. Aber ich würdige meinen Beikoch keines Blickes.
   »Mit René hast du wohl mehr Spaß in der Küche. Man hört euer Lachen bis auf die Straße.«
   »Stimmt, er kann wirklich urkomisch sein«, übertreibe ich.
   »Wir sollten jetzt starten, wenn wir Claras Kunstwerke noch erstehen wollen. Es sind die schönsten im Ort und werden bestimmt schon viele Liebhaber gefunden haben«, sagt er. Clara rennt zielsicher zu ihren Basteleien und Tobias kauft alle Eier, Lämmer und Hasen von ihr auf. Wir sprechen während des Marktbummels kein Wort mit einander. Ohne den Hauch einer Berührung gehen wir nebeneinander her. Clara stürmt in den Friseursalon und übergibt Sarah und Claire ihre Ostergeschenke. Ich setze mich aufs Sofa und weiß, dass die Zeit gekommen ist, sich wieder von der Kleinen zu verabschieden. Ich erhalte noch unzählige Küsse und von ihr und von Tobias einen tief bekümmerten Blick. Nun hat er es geschafft und mich mit seiner Traurigkeit angesteckt. Dennoch halte ich es für die richtige Entscheidung, ihn nicht zurückzuhalten. Die ewigen Neustarts haben mich mürbe gemacht. Auch für Clara will ich endlich stabile Verhältnisse.
   »Das ist doch nicht der wahre Grund. Du verzeihst ihm sein Fremdfingern nicht.« Sarah bringt es mal wieder auf den Punkt.
   »Damit muss man als Frau rechnen, wenn man einen zehn Jahre jüngeren Mann heiratet. Irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen und der Altersunterschied lässt sich nicht mehr überspielen. Tobi war schon immer sexhungrig. Ich bin es mittlerweile nicht mehr so. Wenn er es sich jetzt bei jüngeren Frauen sucht, dann sollte ich ihn ziehen lassen. Cecile war für mich das beste, abschreckende Beispiel. Sie hat sich so lange demütigen lassen, das wäre für mich unvorstellbar.«
   »Du vergleichst Tobi doch nicht allen Ernstes mit dem Kotzbrocken Sebastian.«
  »Warum nicht? Der einzige Unterschied zwischen ihnen ist, dass Sebastian auf Ceciles Geld angewiesen ist und Tobias eigenen Schotter im Überfluss hat.«
  »Und da sind wir endlich beim Kern deines Problems. Es passt dir nicht, dass er jetzt finanziell unabhängig von dir ist. Das war nämlich immer dein geheimes Druckmittel, auch wenn du es dir nicht eingestehen willst.«
   »Blödsinn!«
   »Dann nennen wir es nicht Druckmittel, sondern deine kleine Sicherheit. Solange du für das schöne Leben hauptverantwortlich warst, konntest du dir relativ gewiss sein, dass er bei dir bleibt. Du hast noch immer Angst, ihn zu wieder zu verlieren. Diese Macke trägst du seit eurer ersten Trennung mit dir herum. Deshalb scheust du Veränderungen und pflegst deinen ausgeprägten Kontrolltick. Ich bin deine Freundin, ich darf dir das so ehrlich sagen.«
   »Deine Psychoanalyse hat nur einen gravierenden Fehler, Frau Dr. Freud. Ich habe ihn gebeten, zu gehen!«
   »Wie oft hast du mir erklärt, dass du es nicht noch einmal ertragen könntest, von ihm verlassen zu werden. Diesmal wolltest du ihm rechtzeitig zuvor kommen. Denk mal darüber nach. Ich glaube so falsch liege ich nicht.«

Nach der täglichen Arbeit in der Eins gehe ich nach Feierabend zu René. Statt auf seiner Terrasse den Abend zu genießen, helfe ich ihm in der Küche. Ich arbeite bis zur völligen Erschöpfung. Nur so kann ich einschlafen, ohne noch stundenlang an Tobi und Clara zu denken. Der unsympathische Russe kommt fast täglich auf die Terrasse und bestellt literweise Wodka, die er lautstark mit Freunden am Tisch trinkt. Die Runde besteht aus vier Männern und zwei Frauen. Ich vermute, dass es sich um Prostituierte handelt. Ich bin der festen Ansicht, dafür einen geschulten Blick zu besitzen.
   »Genau Marie, in diesem Fall hast du bisher ja immer richtig gelegen«, lacht Natascha. Argwöhnisch beobachte ich das Treiben am Russentisch. Die Männer spielen offen Poker und die Damen betrachten währenddessen gelangweilt ihre langen Fingernägel. Damit sie zwischendurch nicht einschlafen, erhalten sie in regelmäßigen Abständen einen Klaps auf den Po, gepaart mit einem anzüglichen Witz, der in der Runde ein lautes Gegröle auslöst. Ich bin angewidert. Mit mir teilen einige Stammgäste diese Meinung, die mir leise zuflüstern, sich ein anderes Stammlokal suchen zu wollen, sollte dieses Pack weiterhin lautstark die Abende stören. René ignoriert meine Warnungen. Soviel Umsatz wie die Russen an einem Abend machen, tragen die Alteingesessenen in der Hauptsaison gerade einmal in der Woche in seine Kasse, war seine Antwort. Als die letzten Gäste abkassiert sind, verzieht er sich mit seinen neuen Pokerfreunden in den Innenraum und lässt die Karten austeilen. Ich schüttle verständnislos den Kopf. Ich will René gerade ins Gewissen reden, als der arrogante Vadim mir fünf einhundert Euro Scheine auf den Tisch legt.
   »Machen Sie uns die Freude und spielen ein, zwei Runden mit uns.« Unter der Bedingung, dass René nicht mehr als fünfhundert verspielen darf, stimme ich zu. Am Ende gehe ich mit zweitausendfünfhundert Euro ins Bett.

In der ersten Juniwoche erhalte ich eine Einladung zu Pauls Geburtstag. Als Tobi mich fragt, ob ich mitkomme, sage ich ihm ab. Er soll besser allein mit Clara fahren. Es ist nach der Trennung schließlich nicht mehr meine Familie.
»Ich brauche deine einmalige Zustimmung, die Nummer Drei mit dem Mató Markenrecht verkaufen zu dürfen.«
   »Du hast einen Käufer? Verkaufst du mit Verlust?«
   »Nein, ich muss dich enttäuschen. Das Projekt war ein Erfolg. Allerdings ist es ohne Mató nur die Hälfte wert. Würdest du zustimmen?« Selbstverständlich will ich das tun. In diesem Zusammenhang spreche ich den Verkauf meiner Haushälfte an.
   »Wann wollen wir diese Angelegenheit regeln?«
   »Halbe Sachen liegen dir nicht, oder? Du musst immer einen klaren Schnitt machen. Wann kommst du mir mit deinem Scheidungsantrag oder wollen wir das auch gleich bei dem Termin mit abwickeln. Dann bist du mich auch auf dem Papier los!«

Am Abend kommt Natascha in die Gastroküche und fordert mich auf, endlich mit nach draußen zu kommen und eine Pause einzulegen. Sie wartet mit zwei Getränken am Residententisch auf mich.
   »Warum kommst du nicht mit zu Pauls Geburtstag? Er würde sich so freuen. Mein Vater mag dich. Er spricht so oft von dir.«
   »Vermutlich weiß er nicht, dass Tobias und ich nicht mehr zusammen sind.«
   »Doch, das ist ihm bekannt. Er meint, ihr werdet auch wieder zusammen finden, genau wie Timo und Christina.« Ich nehme die Neuigkeit mit Freude auf. Gern hätte ich gewusst, welche Prioritäten er für sein neues Leben gesetzt hat.
   »Wann wirst du dich endlich wieder mit Tobi versöhnen. Ihr leidet doch beide, das ist nun wirklich nicht zu übersehen.«
   »Es läuft doch alles prima. Wir sind uns nicht böse und im Streit sind wir auch nicht auseinander gegangen.«
   »Ja, das ist deutlich zu sehen. Deswegen tragt ihr beide auch so eine tiefe Trauermiene. Mein Güte, Marie, ihr seid ein so fröhliches Paar gewesen. Wann hast du das letzte Mal herzlich gelacht?«
   »Das liegt schon länger zurück.«

Gleich am Montagmorgen suche ich den Notar auf und beauftrage Herrn Laval, einen Schenkungsvertrag aufzusetzen, in der die Rechte an der Marke Mató uneingeschränkt an Herrn Tobias Martin übergehen. Der Termin zur Beurkundung wird für den kommenden Nachmittag vereinbart. Tobias reist pünktlich an und nimmt verblüfft zur Kenntnis, dass ich im vollen Umfang verzichte. Nervös wartet er darauf, dass Laval zum nächsten Tagespunkt übergeht. Scheidung oder Kaufvertrag fürs Haus, fragt er sich. Aber der Jurist erhebt sich und verabschiedet uns mit einem Handschlag.
   »Warum hast du das gemacht? Ich brauchte doch nur eine Einwilligung für Cannes von dir?«
   »Ich will dir bei deinen Karriereplänen keine Steine in den Weg legen. Bau du dir dein Imperium auf. Wenn die Marke dir dabei helfen kann, ist es doch nur gut. Für mich sind die gemeinsamen Mató Zeiten vorbei.« Beschämt schaut er auf den Boden.
   »Ach, Marie. Ich weiß es gibt keine Rechtfertigung für das, was ich getan habe. Ich selbst habe keine Erklärung dafür, wie das passieren konnte. Es gab nie ein Vorher und ich garantiere dir, auch kein Nachher. Es tut mir unendlich leid und ich kann verstehen, dass du mir nicht verzeihen willst. Aber du sollst wissen, dass ich nur dich lieb habe. Das war immer so und es wird nie aufhören. Ich werde im nächsten Monat das Appartement räumen und mir etwas Neues suchen müssen. Ich überlege ernsthaft, Frankreich zu verlassen. Hier erinnert mich alles an unsere gute Zeit. In deiner Nähe wird der Schmerz nie aufhören.«
   »Lass uns bei René noch etwas trinken. Ich habe noch Zeit, bis ich Frank ablösen muss.« Tobi bestellt zwei Kaffee, während ich kurz in der Eins nach dem Rechten sehe. Als ich zurückkomme, sitzt Sarah bei Tobias am Tisch. Sie verstummt sofort, als sie mich bemerkt.
   »Na, hat dir Dr. Freud die Ergebnisse meiner Psychoanalyse mitgeteilt?« Sarah verschwindet wortlos.
   »Warum kannst du mit ihr über deine Ängste sprechen. Sogar mein Bruder weiß über dich besser Bescheid, als ich. Wieso nie ein Wort zu mir? Wie kommst du auf die lächerliche Idee, du wärst mir zu alt? Du hast mehr Power und Elan als ich.«
   »Stimmt! Mental bin ich dir um Längen voraus.«
   »Ja, deine Klugheit hat sogar Timo beeinflusst. Du weißt, dass er wieder mit seiner Frau zusammen ist.«
   »Natascha hat es mir erzählt. Wie hat er es angestellt?«
   »Der ausschlaggebende Punkt war wohl, dass er den Posten des Geschäftsführers niederlegt.«
   »Er tritt tatsächlich zurück?« Ich kann es nicht glauben.
   »Wir Martin Männer würden alles tun, um unsere Frauen glücklich zu machen. VORSICHT! DACKELBLICK!!!!
   »Und was sagt Paul dazu?«
   »Komm mit zu seinem Geburtstag, dann wirst du es erfahren.« Tobias steht auf und geht zum Tresen, um den Kaffee zu bezahlen. Mir kreisen wilde Gedanken durch den Kopf. Tobias will Frankreich verlassen. Der Posten des Geschäftsführers ist frei. Bestimmt hat Paul ihn überredet, an Timos Stelle zu treten.
   »Bis bald, Marie«. Tobias küsst mich leicht auf die Wange und lässt mich mit meinen Fragen zurück.

Ich quittiere meinen Nebenjob als Küchenhilfe und wechsel in den Service. Es ist meinem hartnäckigen Drängen zu verdanken, dass René endlich wieder Live Musik spielt. Ich kenne alle Musiker persönlich. Mit ihnen nehme ich vor ihren Auftritten die einzige Mahlzeit am Tag ein. Danach wickel ich mich in die schwarze Servierschürze und bediene im Revier der Residenten und acht weitere Tische bis spät in die Nacht.
   »Sie wird sich noch zu Tode arbeiten.« Sarah ist wütend auf René, der meine Hilfe so schamlos ausnutzt und verärgert über Tobias, der mir mit seiner Ankündigung wegzugehen, wieder einmal den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Sein Rückzug wird zur Folge haben, Clara nicht wiedersehen zu können. Allein diese Vorstellung ist der Grund für meine maßlose Arbeitswut. Aufgebracht stellt Sarah Tobi zur Rede.
   »Reicht es dir nicht, Marie mit deiner Untreue bis aufs Mark verletzt zu haben? Musst du ihr mit Clara jetzt auch noch den finalen Stoß versetzen?«
   »Sie will mich nicht zurück. Seit Wochen kassiere ich eine Abfuhr nach der anderen.«
   »Das hast du selbst vermasselt, also trage auch du allein die Konsequenzen und lass es nicht Marie und Clara ausbaden!«

Schon von Weitem erkenne ich den hellen Armani Anzug. Mit meinem vollen Tablett gehe ich an seinen Tisch und frage, was er bestellen will. Er beobachtet mich den ganzen Abend, wie ich flink und gekonnt um die Tische und Stühle flitze und von bekannten Gästen geherzt und geküsst werde. Der Musiker Benjamin zieht mich während einer Pause auf seinen Schoß und legt seine Arme um mich. Ich nicke ihm lächelnd zu, was Tobias in eifersüchtige Rage versetzt. Er unterbricht unser Geturtel.
   »Marie, ich möchte etwas Wichtiges mit dir besprechen. Kommst du bitte mit auf einen Spaziergang?« Entgeistert sehe ich ihn an.
   »Du siehst doch, was hier los ist. Warte bis Feierabend. Dann hab ich Zeit.« Sarah steht auf, nimmt mir den Block aus der Hand und öffnet meine Schürze. Mit strengen Blick sagt sie: »Zisch jetzt ab. Ich mache hier für dich weiter!« Tobias greift meine Hand und zieht mich auf den Bürgersteig. Mit schnellen Schritten geht er mit mir in Richtung Hafenmauer.
   »Würdest du dich um Clara kümmern wollen? Du bist der deutlich bessere Elternteil. Ich kenne keinen liebevolleren Menschen, dem ich sie anvertrauen könnte. Du hattest selbst den Vorschlag gemacht. Ich würde sie in den Ferien besuchen oder zu mir holen. Wenn du noch immer willst, unterzeichnen wir die Adoptionspapiere noch in dieser Woche.« Völlig überrascht schaue ich ihn an. Wie es zu diesem Sinneswandel kommt, will ich wissen.
   »Du hast es selbst gesagt. Wenn ich euch liebe, dann darf ich euch nicht trennen. Und ich liebe euch, ob du es wahrhaben willst oder nicht.«
   »Was willst du dafür? Wo ist der Haken? Der neue Tobias Martin geht doch nicht ohne Forderung in eine Verhandlung.«
   »Ich bitte dich nur, uns zu Paul zu begleiten. Ich brauche deinen Beistand, wenn ich ihm beichte, dass du das alleinige Sorgerecht für Clara bekommen hast.«
   »Du würdest mir das alleinige Sorgerecht übertragen?«
   »Nie wieder sollst du befürchten, dass sie dir weggenommen wird.« Ich habe keine Worte. Lautlos wackele ich mit dem Kopf. Tobias kann es nicht als Ja und auch nicht als Nein deuten.
   »Was ist nun?« Ich falle ihm um den Hals und flüstere unter Tränen: »Danke Tobi, du wirst es nicht bereuen. Ich werde dich nicht enttäuschen. Du kannst dich auf mich verlassen.« Freudestrahlend kehren wir ins Lokal zurück. Wir setzen uns zu den Residenten an den Tisch und trinken ein Glas Wein. Der rege Austausch unserer freundlichen Blicke bleibt am Tisch nicht unbemerkt. Nur deuten sie das innige Szenario falsch. Tobias ist noch lange nicht am Ziel.
   »Aber auf dem besten Weg«, lobt Sarah ihn.

Worauf ich solange gewartet habe war innerhalb weniger Minuten erledigt. Mit meiner Unterschrift bin ich nun auch offiziell Claras Mutter. »Ihr Mann hat mich gebeten, gleichzeitig eine Sorgerechtsvereinbarung aufzusetzen. Ist es richtig, dass Frau Martin das alleinige Sorgerecht für Clara erhalten soll?« Tobias nickt und unterzeichnet vor mir. Auf der Straße fragt er, ob ich nun zufrieden bin und ich lächel. Gemeinsam fahren wir zu René und holen meine Sachen ab. Immer wieder blickt Tobi auf das durchwühlte Doppelbett in der Mitte des Zimmers. Eine Frage, die ihn seit seinem ersten Besuch beschäftigt, liegt ihm auf den Lippen, aber er spricht sie nicht aus.
    »Ich fahre gleich weiter. Was ist mit dem Schlüssel? Darf ich ihn behalten oder willst du, dass ich künftig klingeln soll.«
   »Noch ist es auch dein Haus. Solange das so ist, solltest du auch einen Schlüssel haben. Ich betrete das Schlafzimmer und mein erster Blick fällt auf die geöffneten Schranktüren, die die neue Leere im Haus verdeutlichen. Ich setze mich aufs Bett und rieche an seinem Kopfkissen. Tief atme ich seinen Geruch ein und entscheide mich, die Betten nicht zu beziehen.

Tobias besorgt das Geschenk. Paul soll zum Geburtstag ein Handy, älterer Bauart bekommen. Eines mit großen, beleuchteten Tasten, in die Thea ihm die wichtigsten Rufnummern in Kurzwahl speichern will. Seitdem Paul mit einem Smartphone zu telefonieren versucht, erreicht er immer nur den ADAC. Die Bemühungen seiner Frau und seiner Töchter, ihm die Handhabung des Touchscreens zu erklären, brach er ungeduldig mit den Worten ab: »Ich wollte ein Telefon. Ein einfaches Gerät zum Telefonieren!« Wutentbrannt hatte er das kostbare iphone an die Wand geschmissen.

Mit einem großen Blumenstrauß warten Clara und ich auf Tobias.
   »Wie hübsch ihr euch gemacht habt. Für mich oder für Paul?«
   »Für Paul«, sagen Clara und ich zeitgleich. Er fährt die Strecke wieder mit Vollgas und dem Ehrgeiz seine Fahrzeit, erneut zu unterbieten. 40 km vor dem Ziel wird er wiederholt geblitzt. Diesmal sollte der Führerschein definitiv weg sein. Tobias scheint die Tatsache, künftig nicht mehr am Steuer sitzen dürfen, weniger zu belasten. Bestimmt bekommt er bald einen eigenen Fahrer. Wegen der langen Diskussion mit den Verkehrspolizisten treffen wir als Letzte zur Familienfeier ein. Timo öffnet die Tür und begrüßt mich mit einer langen Umarmung. Er stellt mir seine Frau Christina vor und ich finde sie in ihrem weißen Hosenanzug, trotz der mondänen Frisur und dem verschwenderischen Geschmeide charmant. Paul freut sich sichtlich über das Kommen seiner Schwiegertochter. Immer wieder drückt er meine Hand. Als er sein Geschenk auspackt, ruft er seiner Frau zu: »Das Thea, das ist ein Telefon!« Er zeigt mir an, ihn in den Salon zu schieben.
   »Du weißt, was ich mir von dir wünsche. Mach meinen Sohn wieder glücklich und versöhne dich endlich. Ich kann nicht dabei zusehen, wie er wie ein Hund leidet. Du bist stur, ich weiß. Ein bisschen Sturheit ist auch sexy. Aber genug ist genug!« Ich lache ihn aus.
   »Ihr Martins seid es gewohnt, alles zu bekommen, was ihr euch wünscht. Du hast Tobias gewollt und ihn bekommen. Du hast gewonnen, Paul. Aber mich gibt es nicht als Beiwerk dazu. Also sei nicht unverschämt.« Ich lasse ihn ohne ein weiteres Wort zurück. Ich habe wieder diesen stechenden Schmerz in der Nase und will auf keinen Fall vor meinem Schwiegervater weinen. Der gute Geist des Hauses serviert Schampus und Orangensaft. Diesmal nehme ich Schampus. Natascha flüstert mir zu, dass gleich Pauls Ansprache kommt und er Timo verabschieden und seinen Nachfolger vorstellen will. Die Gäste begeben sich in den Garten. Für Paul hat man eine Bühne vorbereitete, zu der er sich über eine Rampe mit dem Rollstuhl aus eigener Kraft hin begeben kann.
   »Geschäftlichen Erfolg zu haben, ist ein berauschendes Gefühl. Manch einer behauptet, es sei mit körperlicher Liebe zu vergleichen. Ich sage, das ist Quatsch. Es ist nichts gegen die aufrichtige Liebe zu seiner Ehefrau und seiner Familie. Timo hat sich richtig entschieden. Ich freue mich für ihn und Christina. Nutzt eure Zeit und bleibt glücklich.« Du alter Heuchler, denke ich und nehme mir ein zweites Glas Schampus. Ich suche Tobias, kann ihn aber nicht entdecken.
   »Mit Freude stelle ich heute seinen Nachfolger vor. Es gibt keinen Besseren für diese Position. Ein Talent aus zweiter Reihe. Ohne Frau und ohne Kinder. Begrüßen Sie mit mir, Herrn Oliver Basken. Er genießt mein volles Vertrauen und wird mit seiner Kraft und Erfahrung die erfolgreiche Arbeit meines Sohnes fortsetzen.« Ich höre den dumpfen Applaus der zahlreichen Gäste. Ich kann mich nur verhört haben. Aber der junge Mann, der den Händedruck von Paul entgegen nimmt, ist nicht Tobi. Wieder wandern meine Blicke durch die Menschenmenge. Ich kann ihn nicht finden. Erst ein ständiges Klickgeräusch, lässt mich in seine Richtung schauen. Mit seiner alten Kamera fotografiert er mich, genau wie in unseren Anfangszeiten.
   »Deinen Gesichtsausdruck musste ich unbedingt festhalten. Du hast wirklich angenommen, ich würde Timos Posten übernehmen?«
   »Du hast mich ja auch in dem festen Glauben gelassen!«
   »Nein Marie, das hast du dir eingebildet. Wie du dir ständig etwas einbildest. Ich hätte Pauls Angebot nie angenommen. Schon allein aus dem Grund, weil ich als Anzugsträger keine Chance gehabt hätte, dich je wieder zurückzugewinnen.«
  »Es macht dir Freude, mich zu verschaukeln, oder?« Zusammen mit Clara gehe ich zur Familie und verabschiede mich.
   »Du bist ein altes Schlitzohr, Paul, aber liebenswert und immer noch verdammt gutaussehend.« Er erhält einen Kuss auf die Stirn und ich einen Kniff in den Po. Wortlos lasse ich mich von Tobi nach Hause fahren.

Am nächsten Morgen übernehme ich mit Frank die Vormittagsschicht in der Eins. Als Tobias mit Jeans und Shirt bekleidet das SPA betritt, schaue ich verwundert.
  »Guck an, du siehst ja aus wie ein Mensch. Nun schau dir diesen attraktiven Kerl an, Frank«
   »Ich habe einen Massagetermin bei Madame Martin.«
   »Den kannst du dir wohl abschminken. Ich werde dich sicherlich nicht massieren!«
   »Damit habe ich schon gerechnet!« Er kommt hinter den Tresen und schnappt mich, wirft mich auf seinen Rücken und schleppt mich aus dem Laden. Er trägt mich über die Straße, hinüber zur Kaimauer, den Bootssteg entlang und hebt mich auf die Yacht. Dann bringt er mich in die Kajüte und verschließt von außen die Tür. Erst als er in der Bucht vor Anker geht, lässt er mich wieder heraus.
   »Hier kannst du mir nicht weglaufen. Hör mir zu, du Sturkopf. Ich liebe dich. Du bist mein Leben. Ich will keine jungen Dinger, ich brauche nur dich. Du kannst meinen Worten nicht glauben? Dann werden jetzt Taten für mich sprechen!«
   »So geht das nicht, Tobi!«
   »Doch, nur so geht das!«

»Wohnen wir jetzt endlich wieder alle zusammen«, fragt Clara, die mir dabei zusieht, wie ich seine Anzüge und Hemden in den Kleiderschrank einräume.
   »Ja, dank Papas unschlagbarer Überzeugungskraft.«


Ich griene über das ganze Gesicht, als ich die Post durchsehe und  übergebe Tobi den Brief, der ihm für 4 Wochen Fahrverbot beschert.
   »Damit bist du aber noch gut weggekommen.« Wir Siams unternehmen fortan alles gemeinsam. Wenn ich täglich einen kurzen Boxenstopp in der Eins absolviere, ist René nie in seinem Lokal anzutreffen. Meine erste Verwunderung steigert sich in Sorge um meinen Freund. Bei einem abendlichen Besuch bestelle ich zwei Gins mit Tonic bei der neuen und einzigen Bedienung.
   »Gin ist aus. Darf es ein Wodka sein?«, bekomme ich zu hören. Sicherlich kennt die Neue sich noch nicht aus, denke ich und gehe selbst hinter den Tresen. Zielsicher öffne ich die Türen zu den Getränkekühlschränken und erschrecke. Es sind kaum Vorräte zu sehen. Ich gehe in den Lagerraum. Aber auch dort finde ich nur gähnende Leere vor.
   »Das musst du gesehen haben. René hat kaum noch Getränke im Magazin«, sage ich zu Tobi. Er schlägt vor, woanders einzukehren.
   »Darum geht es doch nicht. Irgendetwas ist hier im Busch. Der Russe hat keinen guten Einfluss auf ihn.« Tobias sieht mich prüfend an. Meine Fürsorge scheint ihm übertrieben und gefällt ihm überhaupt nicht. Ich laufe die Treppe zur Wohnung hinauf und klopfe laut an die Tür. Auch auf mein lautes Rufen hin, wird nicht geöffnet. Resigniert komme ich wieder runter. An den Küchenpass klebe ich einen großen Zettel mit der Bitte, mich dringend anzurufen. Auch Sarah und Jean sollen mir sofort Bescheid geben, sobald sie René wieder zu Gesicht bekommen. Den ganzen Abend starre ich abwechselnd auf das Telefon und auf meine Uhr. Ich kann meine Nervosität vor Tobias nicht verbergen. Verärgert fragt er: »Was kümmert es dich, wann er kommt und wann er geht? War da was zwischen dir und René?«
   »Er war mir ein guter Freund, als ich seine Unterstützung brauchte. Jetzt scheint er in Schwierigkeiten zu sein. Ich sehe nicht untätig dabei zu, wie er sich ins Unglück stürzt!«
   »Welche Schwierigkeiten vermutet Miss Marple denn?«
   »Er scheint offensichtlich finanzielle Probleme zu haben. Ich beobachte das schon eine ganze Weile. Es hat angefangen, als dieser Russe hier auftauchte. Seitdem läuft sein Geschäft aus dem Ruder. Dieser Vadim zieht ihm mit seinen Pokerfreunden regelrecht das Geld aus der Tasche.« Tobias verfolgt eine andere Theorie. Er meint, René ist einfach nur geschäftsmüde.
   »Er hatte in fünfzehn Jahren keinen freien Tag. Täglich von 6 Uhr früh bis in die Nacht im Lokal zu verbringen, scheint mir der wahre Grund dafür zu sein, dass er das Geschäft so schleifen lässt«. Nachdenklich stützt er seinen Kopf auf die Hände. Nach einem Moment des Schweigens sagte er: »Das, was René zu viel an Arbeit hat, habe ich zu wenig. Marie, ich will mich noch nicht aufs Altenteil begeben. Mal ein paar Wochen nichts zu tun und den Tag mit dir zu genießen, ist wundervoll. Aber ich brauche eine Aufgabe, sonst drehe ich durch.«
   »Dann mach dich nützlich. Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist ein durchgedrehter Mann.« Tobias beschließt, seine Suche nach Gewerbeobjekten fortzusetzen, sobald er wieder selbst Auto fahren darf.

Seine erste Fahrt führt in den Ort. Nach einem Monat Abstinenz fährt er so langsam und bedächtig die Küstenstraße entlang, dass er von allen nachfolgenden Fahrzeugen hupend überholt wird. Ich breche in schallendes Gelächter aus.
   »Du schleichst wie Karl Simon in seinen besten Zeiten. Los Opa, gib endlich Gas. Du blamierst mich hier auf ganzer Linie.« Vor der Eins hat sich eine Schlange gebildet. Der Anblick so vieler Leute, die ins SPA drängen wollen, ist ungewöhnlich. Ich springe noch auf der Straße aus dem Wagen, während Tobias nach einem freien Parkplatz Ausschau hält.
   »Was ist hier los?« Jean zeigt auf das Lokal, das verschlossen ist. Sarah stürmt aufgeregt aus dem Salon dazu.
   »René hat heute nicht aufgemacht. Weißt du, was los ist?« Ich bin genauso ahnungslos und winke Tobias herüber. Gemeinsam steigen wir die Treppe zu seiner Wohnung hinauf und klopfen an die Tür.
   »Aufbrechen!«, befehle ich und Tobias sieht mich ungläubig an. Weil mein Mann nicht sofort reagiert, werfe ich mich mit voller Wucht gegen die Tür. So wie ich es in vielen Krimis im Fernsehen gesehen habe. Allerdings mit dem einzigen Erfolg, dass mir der Arm schmerzt. Die Tür bleibt zu. Als ich erneut ansetzen will, hält Tobi mich zurück. Er öffnet die Tür mit zwei kräftigen Fußtritten. Ich stürze in das Wohn/Schlafzimmer und finde den Wirt in seinem Bett vor. Völlig bekleidet und sturzbetrunken liegt er in Bauchlage auf seiner einstigen Liebesmatratze.
   »Er ist voll wie eine Haubitze!« Ich suche ihn nach dem Schlüsselbund ab und werde in seiner rechten Hosentasche fündig. Ich bitte Sarah, das Lokal zu öffnen und kümmere mich um den komatösen René. Als er das Geräusch der Rollladen wahrnimmt, sagt er: »Das Geschäft bleibt geschlossen. Es ist vorbei.« Tobias schleppt ihn unter die Dusche und ich koche ihm einen starken Kaffee. Als er ansetzt, einen Schluck zu trinken, lege ich los. In meiner gefürchteten Muttertonlage erhält er den Einlauf seines Lebens.
   »Bewege dich und rufe deine Lieferanten an. Du hast weder Getränke noch Zutaten für die Küche. Dein Kühlraum ist leer und draußen warten 30 Leute darauf, von dir bedient zu werden.«
   »Marie, du verstehst nicht. Ich kann nichts bestellen. Ich stehe seit Wochen bei meinen Lieferanten in der Kreide. Es ist aus. Ich bin pleite!« Ich schaue Tobias bettelnd an. Warum will mein Mann nicht auf Anhieb begreifen, was ich von ihm will?
   »Tobi wird jetzt mit dir einkaufen fahren. Und wenn mein Schatz etwas mehr aufs Gaspedal tritt, können wir wenigstens noch das Abendgeschäft retten.« René macht keine Anstalten aufzustehen. Er trinkt seinen Kaffee aus und zieht sich die Decke über den Kopf. Fassungslos verlasse ich seine Ausnüchterungszelle. Die Terrasse ist zur Hälfte gefüllt. Allerdings nicht mit durstigen und hungrigen Gästen, sondern mit Mitarbeitern und Musikern, die ihren Lohn und ihre Gage lautstark einfordern.
   »Ihr könnt jetzt weiter hier rumschreien, aber es wird euch nichts nützen. René wird heute nicht mehr kommen. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder ihr packt mit an und wir versuchen zu retten, was zu retten ist oder ich ziehe die Rollladen jetzt runter und das war es dann.« Zuerst wende ich mich an seinen Beikoch. Zusammen gehen wir in die Küche und stellen eine Einkaufsliste zusammen. Tobias fährt mit ihm zum Großmarkt. Ich telefoniere mit dem Getränkelieferanten. Als er mir sagt, dass er nur gegen Ausgleich der Altforderungen liefern wird, drohe ich ihm damit, dass er das Lokal für alle Zeiten von seiner Kundenliste streichen kann.
   »Die heutige Lieferung zahlen wir in bar. Wenn du in einer halben Stunde nicht auf der Matte stehst, kaufen wir künftig bei der Konkurrenz.« Er liefert nach zwanzig Minuten. Binnen einer Stunde bringe ich das Bistro zum Laufen. Ich selbst übernehme den Service und vertröste Gäste mit Charme und Witz. Ich rufe unsere vorbeigehenden Bekannten an den Residententisch und schwatze ihnen Getränke auf. Benjamin lässt sich von mir breitschlagen, am Abend zu musizieren. Tobias und Jean übernehmen das Tresengeschäft und wundern sich über den Elan, den ich seit den Morgenstunden aufbringe. Als die vier Poker Russen Kurs auf das Lokal nehmen, stelle ich Reservierungsschild auf den letzten freien Tisch. Vadim und seine Freunden setzen sich trotzdem und rufen mich lautstark zu sich herüber. Meine Taktik, sie zu ignorieren geht nicht auf. Die anderen Gäste fühlen sich bereits belästigt. Schließlich gehe ich zu ihnen.
   »Was ist Putin, kannst du nicht lesen. Hier ist reserviert!«
   »Bring uns eine Flasche Wodka auf Eis und vier Gläser, Mütterchen.« Ich gehe zum Tresen fülle einen Kübel mit Eiswasser. Mit einem Lächeln der Vorfreude gehe ich zu Vadim zurück und schütte den Inhalt über seine Hose aus. Unerschrocken sage ich: »Wodka ist aus. Das Eis geht aufs Haus!« Die Gäste an den Nebentischen applaudieren und Vadims Drohung verhallt im lauten Lachen. Als sich die Männer von ihren Stühlen erheben, spielt Benjamin einen Tusch. Tobias, der das Spektakel vom Tresen aus beobachtet, kommt mir beunruhigt entgegen.
   »Der Kerl ist mir nicht geheuer. Wie kannst du dich so mit ihm anlegen?«
   »Schatz, diese aufgeblasenen Blini verspeise ich doch zum Frühstück.« Wir  machen Kasse. Ich überlege, ob ich René die Einnahmen übergeben soll. Tobias redet mir zu.
   »Das war heute eine einmalige Aktion. Oder hattest du vor, jetzt für ihn das Geschäft zu führen. René ist ein erwachsener Mann. Du kannst ihm wohl schlecht das Geld einteilen.« Ich lasse mich überreden und gehe in die Wohnung. Die Tür steht einen Spalt offen und ich trete nach kurzem Klopfen ein. René liegt auf meinem alten Sofa und betrachtet durch das geöffnete Fenster den sternenklaren Himmel. Als er mich bemerkt, lenkt er seinen starren Blick an die Decke.
   »Es war wirklich lieb von dir, aber völlig überflüssig.«
   »Wir haben über dreitausend Euro Umsatz gemacht. Damit wirst du doch wohl morgen wieder einkaufen können. Mit deinen Angestellten habe ich gesprochen. Sie würden noch eine kurze Zeit auf ihren Lohn verzichten. Aber du musst endlich deinen Hintern hoch bekommen.«
   »Marie, das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.«
   »Mach endlich Schluss mit den Pokerabenden. Ich habe Vadim heute in die Wüste geschickt. Mit Glück sind wir ihn los.«
   »Du hast was? Weißt du eigentlich mit wem du dich angelegt hast?« René springt auf und rennt hektisch auf und ab. Er pustet und schnaubt.
   »Was? Kommt jetzt eine Gruselgeschichte von der bösen Russenmafia? Mich beeindruckt er mit seinem Gehabe und seinem schlechtem Benehmen nicht. Was seid ihr für Kerle? Tobias hat auch schon Muffensausen.«
   »Du bist naiv, Marie. Bitte, halte dich fern von ihm. Dieser Mann ist zu allem fähig. Denke auch an Clara!« Jetzt wird mir schlagartig klar, dass ich mit meiner großen Klappe, zu weit gegangen bin. Ich kann die Angst in Renés Gesicht sehen und lasse mich davon anstecken.
   »Was hat er gegen dich in der Hand. Warum kuscht du so vor ihm?«
   »Ich hätte ihm heute zwei fünf geben müssen. Die Frist war um Mitternacht abgelaufen.«
   »Du hast 25.000 Euro verspielt?«
   »Nein Marie, 250.000 Euro!« Es verschlägt mir die Sprache. Ich bin entsetzt und unglaublich wütend zugleich.
   »Bist du völlig bescheuert? Wie konntest du? Und vor allem wo konntest du? Du hast doch nicht ernsthaft in wenigen Wochen so eine hohe Summe in deiner Küche verzockt?« René steckt die Geldscheine aus der Tageskasse in seine Hosentasche.
   »Ich brauche noch 7000 Euro. Dann habe ich den Einsatz für das Pokerturnier am Wochenende zusammen. Das ist meine letzte Chance, den Laden zu retten. Klappt es nicht, bin ich das Haus auch gleich los. Du weißt, was das für dich bedeutet. Dann ist Vadim dein Vermieter. Also Marie, gibst du mir den Rest. Ich wüsste nicht, wen ich sonst ansprechen könnte.«
   »René, das ist illegales Glückspiel. Der Russe hat keine Handhabe gegen dich. Soll er mal versuchen, seine Forderung einzuklagen!«
   »Du bist ein Gutmensch, aber völlig ahnungslos. Marie, ich würde dich nicht bitten, wenn es nicht die einzige Möglichkeit wäre. Nur bitte, sage Tobias nichts. Er würde mich in der Luft zerreißen, wenn er davon wüsste.« Das würde er bestimmt! Aber wenn ich es ihm verschweige, dann würgt er mich! Ich nehme René das Geld wieder ab und verspreche, mir seinen Vorschlag zu überlegen.
   »Ich habe dir schon oft gesagt, dass ich dich nie zu meinem Feind haben möchte. Ich habe dir jedoch nie gesagt, dass es keine bessere Freundin, als dich gibt. Ich liebe dich für dein warmes Herz! Egal, wie du dich entscheidest, ich danke dir für alles.«

Tobi rast in alter Gewohnheit nach Hause. Natascha, die auf Clara aufgepasst hat, ist auf dem Sofa eingeschlafen. Ich decke sie zu und gehe zu Tobi ins Bad. Seine fragenden Blicke versuche ich zu ignorieren. Ich bin todmüde und habe keine Kraft mehr für eifersüchtige Befragungen. Das Gespräch mit René geht mir nicht mehr aus Kopf. Wie soll ich mich verhalten? Ist Clara ernsthaft in Gefahr? Zu welchen Mitteln würde Vadim greifen? Werde ich die Eins verlieren? Obwohl ich körperlich völlig erschöpft bin, kann ich nicht einschlafen.

Beim Frühstück flüstere ich Natascha zu, sie soll noch bleiben. Als Tobias und Clara das Haus verlassen, frage ich sie nach Vadim aus.
   »Die Russen an der Côte gehören nicht alle der Mafia an und die Frauen arbeiten nicht alle als Prostituierte.« Ich muss erkennen, dass ich mit meiner Schwägerin nicht über das Thema offen sprechen kann. Ich will nur eins von ihr wissen.
   »Hast du näheren Kontakt zu ihm?« Als sie empört verneint, gebe ich mich zufrieden. Ich stelle gerade das Geschirr in den Spüler, als das Telefon klingelt. Tobias überbringt die Schreckensbotschaft am frühen Morgen. Renés Restaurant wurde in der Nacht komplett zerstört und verwüstet. Als ich eintreffe, ist die Polizei bereits Vorort. Commissaire Clement befragt René, der allerdings keine Angaben machen kann oder will. Nun bin ich mir ganz sicher, mich Tobias in vollem Umfang anvertrauen. Ich ziehe ihn von den vielen Menschen weg und gehe mit ihm in Richtung Hafen. Entgeistert nimmt er meine Schilderung auf.
   »Was erwartest du von mir? Soll ich einem Spielsüchtigen 250000 Euro in die Hand geben?«
   »Wir werden die Eins los! Wer weiß, was er uns antun wird. Ich habe ihn vor allen Gästen bloß gestellt!«
   »Die Eins loszuwerden ist das kleinere Übel. Du hältst dich künftig von ihm fern. Wenn er dir doch einmal zu nahe kommt, sagst du es mir. Lass künftig deine Rambo Allüren. Dann können wir hier in Ruhe weiter leben.« Er küsst mich und verabschiedet sich in Richtung Port Grimaud, um sich ein freies Ladengeschäft anzusehen. Betrübt darüber, bei meinem Mann auf so viel Unverständnis gestoßen zu sein, gehe ich zurück. Die Polizei fährt gerade davon und René stapelt die zerschlagenen Stühle übereinander.
   »Warum hast du nicht offen mit Clement gesprochen?«
   »Weil ich morgen gern wieder aufwachen möchte.« René lässt die Rollladen herunter. Den Gaffern ist der Blick auf die Verwüstung versperrt.
   »Vadim lässt mich nicht zum Turnier zu. Nicht bevor ich meine Spielschulden restlos bezahlt habe. Du brauchst dir also keinen Kopf mehr zu machen. Gib mir einfach die Kasse von gestern und ich mache mich damit vom Feld.« Ich nehme das Häufchen Elend in den Arm. Mit weiteren Vorwürfen brauche ich ihm jetzt nicht mehr kommen. Er ist bereits am Boden zerstört.
   »Rene, dein Haus ist doch mehr als 250.000 Euro wert. Du kannst dieser Kakerlake doch nicht alles kampflos überlassen.«
   »Er hat einen Schuldschein von mir. Ich kann nichts machen.«
   »Wo und wann soll das Turnier stattfinden?«
   »In seiner Villa am Samstag um 19.00 Uhr. Was hast du vor?« Ich gehe ins Magazin und nehme mir eine Flasche Wodka und setze mich in meine Ente.

Das protzigste Haus im Ort, das zuvor vier Jahre leer stand, weil kein Mensch mit Stil und Anstand sich in diesem geschmacklosen Prunkpalast einkaufen wollte, kann nur das Zuhause von Vadim sein. Das Anwesen ist wie ein Hochsicherheitstrakt abgeschirmt. Ich klingel am Tor und bemerke drei Videokameras, die mich mit einem leisen Surren fokussieren.
   »Hallo Putin, hier ist das Mütterchen. Ich bringe dir deinen Wodka, den du bei mir bestellt hattest.« Mein Gesicht strahlt Selbstbewusstsein aus. Meine Knie sind weich wie zerlassene Butter. Die beiden großen Doggen, die mir stürmisch entgegen rennen, begrüße ich freudig.
  »Hallo, ihr Süßen. Meine Güte, seid ihr hübsche Tiere.« Ich mache eine Bewegung, als ob ich einen Stock wegwerfe und die riesigen Hunde wechseln die Richtung. Putin öffnet selbst die Tür. Ich bin darauf gefasst, ihn in einem seidenen Morgenmantel anzutreffen, aber er ist mit Jeans und Hemd bekleidet.
   »Du hast keine Angst vor großen Tieren!«
   »Ach Putin, du solltest gemerkt haben, dass ich überhaupt keine Angst habe. Weder vor deinen gutmütigen Doggen, noch vor dir. Ich bilde mir einfach ein, dass dein unsympathisches Gehabe an deinen mangelnden Sprachkenntnissen liegt. Mir ist es vor acht Jahren ähnlich ergangen, als ich mit meinem Mann an die Côte gekommen bin.«
   »Bist du gekommen, mir Sprache beizubringen?«
   »Ich bin hier, um mich für dein Turnier anzumelden. Zehntausend? Ist doch richtig, oder?« Vadim schaut mich prüfend an. Mit einem abwertenden Lächeln sagt er, dass es sich um eine reine Profirunde mit Männern handelt. Mütterchen sind nicht zugelassen.
   »Mir scheint, du hast deinen Verlust noch immer nicht verschmerzt. In Deutschland nennen wir Männer wie dich, Schwächlinge. In Frankreich verkaufen wir solchen Leuten wie dir, keine Häuser in Saint Tropez. Lass dir den Wodka schmecken.« Ich stehe auf und gehe wortlos zur Tür.
   »Sei pünktlich um sieben.« Darauf kann er sich verlassen.

Tobias hat gekocht und bereits den Tisch gedeckt, als ich nach Hause komme. Er ist guter Stimmung. Das Ladenlokal entspricht genau seinen Vorstellungen. Begeistert zeigt er mir Grundrisse und eröffnet mir seine neuen Ideen in Sachen multifunktionaler Ausstattung. Ich lasse mich von seiner guten Laune anstecken und stimme seiner Wahl ohne Widerspruch zu. Noch vor dem Essen ruft er die Maklerfirma an und bittet um die Vorbereitung der Verträge. Das Treffen zur Unterzeichnung wird für den nächsten Vormittag vereinbart.
   »Na, Mutter Theresa, was macht unser Sorgenkind René? Hast du ihn heute wieder bemuttert?«
  »Ich wundere mich über dich. Einer deiner Gründe für deine Liebe zu mir war doch angeblich mein ausgeprägtes Mitgefühl. Ging es dir dabei nur um die Gefühle, die ich dir entgegen bringe? Dann hab ich dich falsch verstanden und sollte dein Buch noch einmal neu lesen.« Tobias macht eine Bewegung, als ob ihm mitten in den Bauch geschossen wurde. Er spielt einen Schwerverletzten und lässt sich theatralisch zu Boden fallen.
   »Jetzt hast du mich erwischt. Punktgenau getroffen, mein Schatz!« Ich leiste dem Verwundeten Erste Hilfe und werde vor den Augen unserer lachenden Tochter mit Küssen überhäuft. Die Stimmung bei uns ist ausgelassen. Im Bett unterbricht Tobias meine Schmuseattacke. Endlich will er Gewissheit haben und die Frage, die ihn schon so lange beschäftigt, endgültig geklärt wissen.
   »Hast du je mit René? Ihr habt schließlich monatelang ein Zimmer geteilt. Und du hattest mich in der Zeit nicht mehr lieb, also ich könnte es verstehen. Ich will es nur wissen!«
   »Ich hatte dich auch während jener Zeit lieb. Ich hatte nie mit René und ich könnte auch nie mit ihm!«
   »Dann hast du mich angelogen!«
   »Ja! Und du hast es verdient!« Ich muss versprechen, nie mehr zu lügen. Für Heimlichkeiten brauche ich keinen Schwur leisten. Den hätte ich reinen Gewissens auch erst ab Sonntag abgeben können.

Die Maklerin freut sich über den Abschluss mit Tobias. Sie erzählt mir, dass sie sich selbst ab und zu eine Behandlung in der Eins gönnt. Ich kenne sie nicht. Vermutlich wird sie von einem meiner Jungen verwöhnt. Tobias geht den Vertrag mit ihr in allen Einzelheiten durch, während ich die Exposés der zahlreichen Villen in Saint Tropez ansehe. Mein Interesse fällt auf eine moderne Neubauvilla im puristischen Stil mit rund 800 qm Wohnfläche, verteilt auf das Haupthaus und einen Gästepavillon, zwei Pools und einer Garage für acht Autos.
   »Das mondäne Anwesen steht auf einem 1,4 ha großen Grundstück in exponierter Lage in Strandnähe. Das zwölf Zimmer Haus wird zu einem Kaufpreis ab zehn Millionen angeboten.«
   »Was bedeutet ab zehn Millionen?«  Die Maklerin vermutet Interesse und schaut mit leuchtenden Augen.
   »Das regelt die Nachfrage. Gegenwärtig liegt mir ein Gebot von 16 Millionen eines ausgeflippten Russen vor, der versucht, hier alles aufzukaufen. Wir halten ihn hin. Aber für Objekte dieser Größenordnung kommen fast nur noch reiche Russen in Frage, ob wir wollen oder nicht.« Ich nehme mir eine gedruckte Farbbroschüre mit und lade die Maklerin für eine Freibehandlung während ihrer Mittagspause zu mir in die Eins ein. Verwundert über mein Interesse an dieser Luxusimmobilie, fragt Tobias mich am Auto: »Der Schuppen gefällt dir wirklich?«
   »Kein weiter Meerblick, sonst hätte ich schwach werden können«, scherze ich. Als wir vor der Eins einparken, schaue ich betrübt auf das geschlossene Restaurant. Benjamin wartet im Verkaufsraum und freut sich, Tobias anzutreffen.
   »Hast du deinen Steinway endlich stimmen lassen?« Verlegen schüttelt er den Kopf. Benjamin telefoniert kurz und gibt das Signal zum Aufbruch.
   »Bis du in die Hufe kommst, ist meine Zeit hier abgelaufen. Du hast mir versprochen, dass wir gemeinsam jammen. Also komm! Der Klavierstimmer ist auf dem Weg zu euch.« Es geht auf die Mittagszeit zu und ich verspüre einen Bärenhunger. Ich will gerade aufbrechen, um eine Kleinigkeit einzukaufen, als die Maklerin das SPA betritt. In einem Gespräch unter Frauen frage ich meinen Wellness Gast, ob es sich bei dem Russen um Vadim handelt. Sie gibt eine Kurzbeschreibung und ich kann mir sicher sein, dass wir von der gleichen Person sprechen. Während einer Rückenmassage weihe ich sie in meinen Komplott ein.
   »Geld stinkt nicht!«, sagt die Maklerin und verspricht Stillschweigen.

Schon auf der Auffahrt höre ich die laut tönende Hausmusik. Beschwingt trete ich ein und lausche der Jam Session von Piano und Saxophon. Das zwanglose Zusammenspiel der beiden Männer gefällt mir. Zurückgezogen auf meinem Sofa lausche ich der wunderbaren Improvisation. Clara kommt zu mir und schimpft. Sie hält sich die Ohren zu und beklagt sich darüber, dass sie diesen Lärm schon seit Stunden aushalten muss. Ich nehme mein unwissendes Kind in den Arm, lache und denke an die schreckliche Musik, mit der mein Vater mich als kleines Kind nervte. Wenn er seine Platten auflegte, nahmen Sophie und ich immer Reißaus. Ich reiche Clara die schnurlosen Kopfhörer und erlaube ihr, den Fernseher anzustellen. In der Küche bereite ich seit einer Stunde das Abendessen vor, als Tobias mich endlich bemerkt. Völlig begeistert falle ich ihm um den Hals.
   »Sind wir dir auf den Geist gegangen?«
   »Du hast mich beeindruckt. Ich bin völlig hin und weg.« Angesichts der Note sehr gut, macht Tobi den Vorschlag, am Samstag die anderen Musiker aus dem ehemaligen René einzuladen.
   »Wir essen, trinken und musizieren zusammen. Was meinst du, Marie.« Ich bin Feuer und Flamme, allerdings der Samstag passt mir nicht in den Kram.
   »Samstag bin ich schon mit Sarah verabredet. Was hältst du von Freitagabend oder besser noch Sonntag vormittags zum Brunch?« Das ist eine fette Lüge, Frau Marie Martin, ermahne ich mich. Aber Notlügen sind doch eigentlich von meinem Versprechen ausgenommen, oder? Brunch ist gebont.
   »Das sind gar keine richtigen Lieder, die ihr spielt. Das ist nur laut!«, ist das vernichtende Urteil von Clara, die gleich darauf von Tobi ins Bett gebracht wird. Die Männer gehen zurück ins ehemalige Atelier und musizieren weiter. Ich fahre den Computer hoch und begebe mich ins offline Poker Training. Es bleiben noch genau zwei Tage Zeit, Renés Lokal zurück zu gewinnen. Am PC ist meine  Quote gut, aber da sitze ich auch nicht mit sieben Russen am Tisch, die mir mit eisigen Blicken den Schneid abkaufen wollen.

René schlägt meine Einladung zum Sonntagsbrunch aus. Sarah und Claire sagen zu. Meine Freundin wird noch für Samstag als verlässliche Alibi Partnerin gebrieft. Den Grund verrate ich ihr nicht. Keiner weiß von meinem Vorhaben. Selbst René ist ahnungslos. Am Samstag hängt Tobi wie eine Klette an mir. Es gibt keine Chance mein Training am PC fortzusetzen. Wir kaufen gemeinsam ein und kochen und backen zusammen. Es ist mir gerade noch gelungen, unbemerkt an den Geldautomaten zu fahren, um den erforderlichen Bareinsatz vom Konto zu holen. Ich verstecke die Scheine in meinem schwarzen Mató Kleid. Die Beuteltaschen stecken voller einhundert Euro Scheine. Das Exposé von der Nobelvilla liegt noch in der Seitenablage von Tobis Wagen. Ohne seine Aufmerksamkeit zu erregen, ist es unmöglich, die Farbbroschüre aus dem Mercedes zu bekommen. Es folgt die zweite Notlüge.
   »Schatz, ich nehme heute Abend deinen Wagen. Ich habe vergessen, die Ente zu tanken und bin schon spät dran.« Ich fange seine Schlüssel und schäme mich für das Theater, dass ich veranstalte, aber das Ziel ist der Weg. Ich bin fest entschlossen, diesen arroganten, durchtriebenen Rotlicht Ganoven aus dem Ort zu vertreiben. Das ist meine Mission.
   »Habt viel Spaß und bleib sauber.« Du solltest mir besser Glück wünschen, denke ich und fahre davon.

Seit einer viertel Stunde stehe ich vor dem Eingangstor. Eine Art Türsteher verwehrt mir den Zutritt. Genervt schimpfe ich das Muskelpaket an, er soll gefälligst das Mütterchen melden. Endlich öffnet sich die Pforte und ich fahre direkt vor.
   »Du kommst mit einem richtigen Auto. Prima, das kannst du gleich einsetzen«, lacht Vadim. Er stellt mich seinen halbseidenen Gästen vor. Es wird nur Wodka ausgeschenkt und ich proste in die Runde.
   »Wie gefällt Ihnen Vadims Reich? Das muss Ihnen als Frau doch die Möse feucht machen«, sagt ein feister Glatzkopf mit schneeweißen Jacketkronen zu mir.
   »Bei mir rührt sich nichts. Mein Haus hat Meerblick. Außerdem fehlt es mir hier an Stil. Aber das ist ja bekannt, dass man euch Russen nur die überteuerten Schrottimmobilien verkauft. Ich bin nicht für eine Hausbesichtigung hergekommen, sondern zum Spielen. Also was wird das hier? Wenn ihr nur tratschen wollt, hätte ich einen selbstgebackenen Kuchen mitgebracht.« Mütterchen hat den ersten Punkt gelandet. Die überwiegend aus Moskau stammenden Männer am Tisch schweigen.
   »Wir spielen No Limit und starten mit 1000 Euro.« Die ersten fünf Luschen serviere ich bereits innerhalb einer halben Stunde ab. Jetzt dürfen sie sich am kitschigen Ambiente des Hauses ergötzen. Es geht bereits auf Mitternacht zu und Vadim nutzt seinen Vorsprung demonstrativ aus, in dem er ständig All in geht. Ich lasse mich nicht provozieren. Angesichts der stetig steigenden Blinds muss ich aber langsam in die Offensive gehen. Mit zwei Paaren werfe ich die letzten beiden Mitspieler aus dem Turnier. Ich sitze Vadim allein gegenüber. Er hält180000 Euro und ich 70000. Er bläst mir seit einer Stunde den Rauch seiner Zigarre ins Gesicht, was ich kommentarlos ertrage. Sein überheblicher Blick prallt an mir ab.
   »Sag deinen Lakaien, sie sollen einen Abflug machen.«  Mit einem Griff in meine Handtasche nehme ich eine Schachtel Zigaretten heraus und lege das Exposé der Nobelvilla auf den Spieltisch. Langsam wickel ich die transparente Folie von der Schachtel und ziehe eine Zigarette heraus. Vadim zeigt dem Kartengeber an, weiterzumachen.
   »All in«, sage ich ohne meine Karten anzusehen. Ich erhebe mich vom Stuhl, wie es üblich ist und sage: »Du willst dieses Haus? Ich kann es dir besorgen. Dafür will ich Renés Schuldschein und dass du dich aus unserem Ort verziehst.« Vadim grinst und steht auch auf. Der Kartengeber deckt auf und zu meiner großen Freude gewinne ich das Spiel mit zwei Assen und zwei Damen. Ich habe auf 140000 aufgestockt. Vadim hielt nur noch 110000. Nun puste ich ihm den Rauch in die Augen.
   »Du wirst hier nie ein Haus mit Meerblick beziehen. Ich kenne alle Makler und alle Eigentümer. Wenn du ein Haus in Wasserlage haben willst, wirst du dir eins auf der Krim bauen müssen!« Vadim blickt mich mit seinen eiskalten Augen an.
   »Es liegt nicht daran, dass hier Russen grundsätzlich unerwünscht sind. Du bist hier nicht gern gesehen. Man mag dich nicht und ich kann es gut verstehen. Ich mache dir ein letztes Angebot. Du kannst die Villa für 18 Millionen kaufen. Einen Vorvertrag habe ich dabei. Dafür bekomme ich Renés Schuldschein und natürlich den heutigen Pot. Ich verbringe schließlich schon fünf Stunden in dieser unangenehmen Gesellschaft. Also, was ist Putin, kommen wir ins Geschäft?« Vadim lässt neue Karten ausgeben. Ich erhalte eine Pik Drei und eine Herz Dame. Ein Blatt zum Bluffen! Ich denke an Clara und ihren Spruch, den sie den Hausmusikern um die Ohren gehauen hat. Unwillkürlich huscht ein Lächeln über mein Gesicht.
   »All in«, sage ich. Vadim schickt den Kartengeber aus dem Zimmer. Im Beisein anderer Leute hätte er die Worte nie über die Lippen gebracht.
   »Abgemacht.« Er steht auf und verlässt den Raum. Ich kann nicht widerstehen und sehe mir seine beiden Karten an. Er hat Karo Bube und Karo Sieben auf der Hand. Ich greife mir den Stapel Karten und decke auf. Vadim hätte mich mit einem Flush in Karo niederstrecken können. Mit dem Schuldschein in der Hand kommt er zurück ins Zimmer. Wir tauschen und ich stecke meinen Gewinn ein.
   »Komm mir nie wieder in die Quere, Mütterchen.«
   »Versprochen, Putin. Nimm du stets die Umgehungstrasse, dann sehen wir uns nie wieder!«

   »Hattest du einen netten Abend?«
   »Grandios, wäre übertrieben!« Endlich bin ich wieder bei der Wahrheit angekommen.

Um halb neun komme ich frisch geduscht aus dem Bad und schenke zwei Becher Kaffee ein. Mit einem Bauchkitzler wecke ich meinen Mann.
   »Aufwachen! Unsere Gäste sind bald im Anmarsch.« Tobi verhandelt noch über eine halbe Stunde Nachschlag, als ich ihn vor die Entscheidung stelle.
   »Willst du lieber schlafen oder die weltbeste Neuigkeit von mir erfahren?« Ein Blick in mein aufgeregtes Gesicht genügt und er setzt sich auf. Gespannt wartet er auf die News, die zunächst mit einer Beichte beginnen.
   »Ich habe dich angeflunkert. Den gestrigen Abend habe ich nicht mit Sarah verbracht.« Noch kann er nichts Gutes an meiner Meldung entdecken.
   »Bitte Schatz, unterbrich mich jetzt nicht, wenn ich dir sage, dass ich gestern das Pokerturnier bei dem Russen gewonnen habe. Ich habe den Pot von 250000 Euro kassiert und das ist noch nicht alles. Putin hat mir den Schuldschein gegeben. René ist raus aus dem Schlamassel. Er kann seinen Laden behalten und er bleibt mein Vermieter. Aber das Beste kommt erst noch.« Ich zappele vor Aufregung und meine Stimme gluckst vor Freude.
   »Ich habe Putin aus dem Ort vertrieben. Er kauft die Luxusvilla in Saint Tropez und verschwindet aus unserem Dunstkreis. Und jetzt halte dich fest! Dafür bekomme ich auch noch eine Belohnung von einer Million Euro!« Ich gackere laut und Tobias versteht kein Wort. Leise flüstere ich: »Ich teile mit der Maklerin. Aber psssss! Meine Provision ist Schwarzgeld.« Tobias schaut mich noch immer ungläubig an. Die Vielzahl der Neuigkeiten überfordert meinen schlaftrunkenen Mann. Ich muss ihm alles noch einmal zu erzählen. Beim dritten Mal ist er endlich im Bilde und sagt: »Du bist ganz allein zu diesem kriminellen Russen gefahren? Bist du verrückt geworden? Du hast dich wegen René in solche Gefahr begeben? Spinnst du? Wenn es schief gegangen wäre, hätte ich noch nicht einmal gewusst, wo du bist. Ich hätte dich bei Sarah vermutet! Tut mir leid, ich kann dieser Aktion nichts Lustiges abgewinnen!« Verärgert steigt er aus dem Bett und geht ins Bad. Verständnislos schaue ich ihm nach. Ein wenig mehr Begeisterung habe ich schon erwartet. Ich ziehe mich an und rufe ihm zu: »Ich fahre zum Bäcker und danach zu René. Ich will ihn mit der guten Nachricht überraschen.«

Die Rollladen des Lokals sind herunter gelassen. Ich steige die Treppe hinauf und öffne die Tür zu seiner Wohnung. Dank Tobi ist kein Schlüssel mehr nötig. René sitzt in der Küche und hält eine Kaffeetasse in der Hand. Er trinkt daraus den letzten Wodka aus seinem Vorrat.
   »Das war dein letzter Kartoffelschnaps, mein Lieber. Ab sofort weht hier ein anderer Wind. Du wirst mich nicht enttäuschen, denn ich habe dir gestern das Lokal zurückgeholt. Ja, guck ruhig blöd! Ich habe das Turnier für dich gewonnen. Der Laden bleibt dir! Geh dich duschen und rasieren! Ich komme in zwanzig Minuten und hole dich ab. Du wirst mich zu unserem Brunch begleiten. Dann kann ich dir alles in Ruhe erzählen. Also los jetzt!«

Ich lege die ofenwarmen Baguettes auf den Rücksitz und warte auf meinen Fahrgast. Mit nassen Haaren und einer Duftwolke billigen Rasierwassers steigt er zu mir in die Ente. Euphorisch berichte ich in Kurzfassung von meiner Aktion. Anders als Tobias zeigt er sich schwer beeindruckt.
   »Wo bleibst du, Marie. Unsere Gäste sind schon alle da.« Ich lege René die Weißbrotstangen in den Arm und bitte ihn, das Brot in die Küche zu bringen. Dann umklammere ich Tobias und schaue ihn versöhnlich an. »Nicht mehr böse sein, bitte. Es ist doch alles gut gegangen. Außerdem klingt es spannender, als es in Wirklichkeit war.« Das ist schon wieder gelogen, ertappe ich mich. Dieser Sonntagsbrunch wird in die Geschichte der schönsten, privaten Feierlichkeiten eingehen. Alle Gäste versammeln sich um die Musiker im Atelier und essen und trinken vom leckeren Buffet, das ich in der Küche aufgebaut habe. Als ich auf der Terrasse eine Zigarette rauche, kommt René zu mir.
   »Du bist die perfekte Gastgeberin. Mit so viel Spaß und Freude war ich nie bei der Arbeit. Schon bevor ich Vadim auf den Leim ging, hatte ich überlegt, das Geschäft zu verkaufen. Fünfzehn Jahre sind einfach genug. Ich will dieses Leben nicht mehr. Nur Arbeit und ab und zu eine Frau abschleppen. Das reicht mir nicht mehr. Ich möchte ein stink normales Leben mit einer Familie.«
   »Was hast du vor?« Ich ahne, dass mir die Antwort missfallen wird. »Du gibst doch jetzt nicht auf? Dafür habe ich mich nicht in die Höhle des Löwen begeben. René, du gehörst zum Ort wie der Strand und der Hafen. Dein Lokal ist wie ein Zuhause für mich. Für uns alle. Schau doch mal ins Haus hinein. Da stehen alle deine Freunde. Das ist deine Familie.«
   »Ich bin müde und mir fehlt die Kraft für einen Neuanfang. Die Saison ist fast vorbei. Ein guter Zeitpunkt, um aufzuhören.« Mit diesem Satz beendet er meinen Glücksrausch. Mit betretener Miene überlege ich, wie ich ihn umstimmen kann.
   »Nimm dir eine Auszeit über den Winter. Im Frühjahr kommt auch deine Energie wieder zurück.« Aber René ist nicht zu überzeugen. Traurig lege ich meine Arme um ihn. Das eng umschlungene Paar auf der Terrasse, weckt Tobias Neugierde. Ich bringe ihn auf den neuesten Stand und gehe den Tränen nahe wieder zurück zu meinen Gästen ins Haus.
»Es wird nichts mehr so sein wie früher. Nie wieder auf einen kurzen Plausch nach nebenan. Auf einen Drink zur Live Musik. Eine Gratissuppe für einen missglückten Wangenkuss.« Ich bin ernsthaft bekümmert. Meine Sorge, den Ort an neureiche Spinner zu verlieren manifestiert sich und entwickelt sich zu einer unbändigen Wut.

Tobias schläft schon tief und fest. Er ist beseelt von dem gemeinsamen Musizieren mit seinen Freunden und angeschlagen vom Rotwein, den er in den Spielpausen trank. Es ist nachts um vier Uhr, als ich ihn aufgeregt wecke.
   »Lass uns das Lokal kaufen. Wir machen eine schöne Musik Kneipe daraus. Ein Bistro mit einer großen Bühne. Wir erweitern unser Mató Konzept in SPA & Bistro. Tobi, was sagst du?«
   »Ich frage dich, was mit deinem Plan ist, kürzer zu treten. Marie, der Tag hat nur 24 Stunden.«
   »Du selbst hast gesagt, wir sind zu jung fürs Altenteil. Lass uns noch einmal neu durchstarten. Die Zeit ist reif. Nach all der Zeit brauchen wir beide etwas Neues.«
   »Marie, wir brauchen uns das nicht mehr anzutun. Ich habe genug Geld und wenn ich dich richtig verstanden habe, bekommst du auch bald einen ganzen Batzen.
   »Gerade deshalb. Wir brauchen kein Geschäft, das täglich Gewinn abwerfen muss. Wir schaffen uns einen Ort der Freude ganz ohne Druck. Mit Musik, Kunst und unseren Freunden. Es soll uns Spaß bringen und dafür sorgen, dass wir nicht einrosten. Nun sag schon, was hältst du von der Idee?«
   »Mató SPA & Bistro, das hat was. Sprich mit René. Dich wird er ja wohl nicht über den Tisch ziehen.« Ich nicke und will aus dem Bett springen.
   »Aber nicht jetzt! Bei aller Euphorie, mein Schatz. Es ist fünf Uhr morgens. Du bleibst bei mir im Bett, mindestens noch drei Stunden.«

René stellt graue Müllsäcke an die Straße. Er hat angefangen, aufzuräumen und kämpft sich Stück für Stück durch das Chaos.
   »Nein Marie, ich verkaufe nicht an dich.« Er sieht mich nicht an und setzt seine Arbeit mit dem Besen fort. Das ist ein Scherz, denke ich.
   »Nun sag schon, René, was soll das Lokal und deine kleine Wohnung kosten. Die möchte ich nämlich unbedingt dazu. Tobi und ich werden den Laden wieder aufbauen und wollen ein Musik Bistro daraus machen. Wenn du wieder zur Vernunft gekommen bist, dann kannst du jederzeit wieder übernehmen.«
   »Hör auf Marie!«, schreit er mich an. »Du wirst das Geschäft nicht bekommen!«
   »Schön! Aber den Grund für dein unmögliches Benehmen wirst du mir erklären müssen. Wie kommst du dazu, mich hier so abzukanzeln?«
   »Ich habe schon einen Käufer. Es ist bereits alles abgewickelt.« Dass er nicht die Wahrheit sagt, merke ich sofort. Wie will er es angestellt haben, binnen zwölf Stunden einen Käufer aus dem Hut zu zaubern.
   »René, deine Geschichte stinkt ganz gewaltig. Ich will jetzt wissen, was hier los ist und warum du nicht an mich verkaufen willst. Ich denke, ich habe ein Recht darauf, dass du ehrlich zu mir bist.« Er stellt seinen Besen beiseite und kommt auf mich zu. Mit beiden Händen umfasst er mein Gesicht. »Das ist nichts für dich. Die Zeiten haben sich geändert. Du kannst hier nicht mehr sauber deinen Geschäften nachgehen.«
   »Was meinst du mit sauber? Nun lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!«
   »Hat es dir mit Vadim noch nicht gereicht? Möchtest du dich künftig ständig mit diesen Typen herumschlagen? Ist es das Milieu, in dem du dich aufhalten willst? Wenn ja, was sagt Tobi dazu?«
   »Vadim ist weg!«
   »Aber seine Kassierer und seine Schlägertrupps sind immer noch da.«
   »Du redest von Schutzgeld? René, mich hat hier in all den Jahren noch niemand bedrängt.«
   »Ich habe ja auch immer brav für deine Eins mit bezahlt. Marie, glaub mir, Vadim wird sich jeden einzelnen Euro von dir wiederholen. Ich habe das jetzt zwei Jahre lang mitgemacht und siehst ja, wohin es mich geführt hat.« Wortlos gehe ich in die Eins. Claire öffnet gerade ihren Salon und ruft mir freudig zu: »Danke für den schönen Sonntag.« Ob Claire wohl Schutzgeld bezahlt? Ich warte auf Jean und fahre nach seinem Eintreffen sofort nach Hause. Während ich das restliche Geschirr vom Vortag abwasche, denke ich über die eindringliche Warnung nach. Es ist nicht meine Art, mich einschüchtern zu lassen. Den Erpressern mein Revier kampflos zu überlassen, widerstrebt mir auch. Aber letztendlich komme ich zu dem Entschluss, kein Risiko einzugehen. Tobias lacht laut über meinen Bericht.
   »René ist ganz schön gewieft. Er wusste, dass er dir sein Geschäft nur zum Freundschaftspreis verkaufen kann. Da hat er mal kurz in die Märchenkiste gegriffen. Ich bin nicht traurig darüber. Mir ist es ohnehin lieber, dass du dich nicht überforderst. Aber die Geschichte mit der Schutzgelderpressung ist schon ein starkes Stück.« Ich weiß nicht mehr, wem ich nun glauben soll.

Seitdem die Eins für die Wintermonate geschlossen ist, fahre ich nur noch selten in den Ort. Ohne Renés Lokal gibt es keinen festen Treffpunkt mehr. Viele Residenten reisen ab. Die wenigen bekannten Gesichter treffe ich im Supermarkt.
   »Der Ort hat den Charme einer Geisterstadt«, schimpfe ich während der Autofahrt nach Port Grimaud. Tobias zeigt mir die Fortschritte in dem neuen SPA und ich nicke nur teilnahmslos. Er befürchtet, dass ich wieder auf eine Winterdepression zusteuere. Seitdem René ohne ein Wort des Abschieds verschwand, bin ich latent niedergeschlagen. Selbst der Besuch von Sarah kann mich nicht aufmuntern. Erst die Nachricht, die Claire am Abend überbringt, löst erkennbare Emotionen aus.
   »Hast du auch ein Kaufangebot von Vadim bekommen? Er war heute persönlich bei mir im Salon. Das René soll im Frühjahr eine Tanzbar werden. Er will das Lokal vergrößern. Das geht doch nur, wenn er auch deinen Mittelteil dazu bekommt.«
   »René hat tatsächlich an den Russen verkauft? Diese Ratte! Und was hast du ihm geantwortet?«
   »Dass ich mir sein Angebot gut überlegen werde. Er war nicht knauserig und es reizt mich schon.« Ich bin stink sauer. Diesen Verrat werde ich René nie verzeihen. Die Vorstellung, künftig mein SPA neben einer Table Dance Bar betreiben zu müssen, lässt in mir die Wut hoch kochen. Aber ich bin mir sicher. Putin wird meine Eins nie und nimmer bekommen.« Tobias sieht es lockerer.
   »Du suchst doch schon seit einem Jahr einen Käufer. Willst du immer noch darauf warten, dass Jean im Lotto gewinnt? Warte doch erst einmal ab, welches Angebot er dir macht. Dann kannst du dich doch immer noch aufregen.«
   »Und welchen Plan verfolgst Du? Ich gebe die Eins auf und kümmere mich um den Haushalt, während du ein Mató nach dem anderen eröffnest? Von diesem Déjà Vue wird mir gerade spei übel. Es stinkt nach Gülle und Heidschnucken. Riechst du es auch, Tobi?«

Mit einem fast leeren Lederkoffer fahre ich nach Saint Tropez. Die Maklerin begrüßt mich freundlich und führt mich in einen der hinteren Büroräume. Nach wenigen Minuten verlasse ich das Immobilienbüro mit einem prall gefüllten Lederkoffer. Der Weg führt mich zur Bank. Das Schließfach ist der richtige Aufbewahrungsort für meine Provision und meinen Turniergewinn. Ich steuere meine Ente an der Küstenstraße entlang und halte direkt vor der Eins. Die ersten Arbeiter sind mit dem Abriss der Terrasse beschäftigt. Die Überdachung und die Rollladen ragen schon aus einem großen Bauschuttcontainer. Ich öffne die Tür zu zum SPA und sehe auf dem Boden zahlreiche Briefumschläge liegen. Alle tragen den Absender von der Vadim Sidorow Limited. Ich greife meinen dunkelroten Lippenstift aus der Handtasche. In Spiegelschrift schreibe ich auf die Innenseite der Fenstertür: NOT FOR SALE! Mit den Briefen gehe ich zurück auf die Straße. Den wenigen Geschäften, die in der Wintersaison geöffnet haben, statte ich einen Besuch ab. Ich kaufe Brot beim Bäcker und frage den Inhaber, was er davon hält, dass am Ortseingang ein Tabledance Lokal eröffnen soll. Er teilt meine Meinung genau wie die Obst- und Gemüsefrau mit ihrem Eckladen, sowie der Schlachter, der Supermarktbesitzer und der Betreiber des kleinen Technikfachgeschäftes. Sie nehmen meine Ankündigung, Widerstand zu leisten mit großer Solidarität auf und wir verabreden uns für den Freitagabend beim Italiener zur Lagebesprechung. Tobias kommt nicht mit. Er hält meine Aktion mal wieder für völlig übertrieben. Der Bäcker Monsieur Rozier ist aktives Mitglied im Bürgerverein. Er mobilisierte die einheimischen Anwohner und sie kommen zahlreich zum Treffen, dem ich als einzige Ausländerin vorstehe. Mit meiner angestauten Wut im Bauch, halte ich eine mitreißende Rede in dem überfüllten Lokal und fordere meine Mitbürger auf, Farbe zu bekennen und die von mir vorbereiteten Plakate in ihre Fenster zu kleben. Ich kenne das Gesicht des Mannes, der sich das letzte Poster von mir aushändigen lässt. Es ist Clement, der Kommissar.
   »Sind Sie beruflich oder privat hier?«
   »Ich bin Bewohner dieser Stadt und gleichermaßen beunruhigt wie Sie. Wir leben hier vom Fremdenverkehr. Unsere Gäste sind Familien mit Kindern, Sportler und Naturliebhaber. Wir dulden hier weder Drogen noch Sextourismus.«
   »Gibt es denn keine Handhabe von behördlicher Seite gegen sein Vorhaben? Für diese Art Nachtclub braucht er doch sicherlich eine Genehmigung?«
   »Das ist das Problem. René besaß eine der wenigen Vollkonzessionen. Damit hat Sidorow einen Freifahrtschein erworben.«
   »Dieser Mann betreibt illegales Glücksspiel. Ist Ihnen das bekannt?«
   »Nicht nur das. Wir haben ihn schon länger im Auge.«
   »Schutzgelderpressung?«
   »Woher sind Sie so gut informiert? Zahlen Sie auch?« Mir rutscht das Herz in die Hose. René hatte also Recht. Mit wem habe ich mich angelegt? Ich erinnere mich an seine Warnung, schon wegen Clara vorsichtig zu sein. Besorgt gehe ich in Begleitung von Clement zu meinem Wagen.
  »Die einzige Möglichkeit, ihn zu stoppen, haben Sie in der Hand. Wenn Sie Ihren Laden nicht verkaufen, wird aus seinen Umbauplänen nichts. Er braucht Ihren Platz. Die Genehmigung für den Ausbau seiner Terrasse wird er nicht bekommen. Das darf ich Ihnen schon einmal verraten.« Völlig aufgewühlt fahre ich heim. Ich stehe mit dem Wagen vor dem Tor und versuche es mit dem Sender zu öffnen. Aber es bewegt sich nicht. Als ich Vadim auf mich zukommen sehe, hupe ich laut. Er lässt sich dadurch nicht abschrecken und öffnet die unverschlossene Fahrertür meines Wagens.
   »Wir hatten eine Abmachung. Du wolltest mir nicht in die Quere kommen.«
   »Du solltest um unseren Ort einen großen Bogen machen und jetzt schlägst du genau im Zentrum auf. Meinen Laden wirst du nie bekommen. Auch wenn ich neben dir nicht wieder eröffnen werde. Ich habe genug Geld, dir zehn Jahre lang pünktlich die Miete zu zahlen. Genau so lange wirst auf das NOT FOR SALE schauen müssen.« Endlich kommt Tobias die Auffahrt herunter. Noch bevor er bemerkt, was sich vor seiner Tür abspielt, fährt Vadim davon. Ich erzähle es ihm in aller Ausführlichkeit. Seine Miene versteinert sich und er macht mir die größten Vorwürfe.
   »Alles nur wegen deiner Sturheit. Mit deinem blinden Aktionismus bringst du uns alle in Gefahr. Clara bleibt keinen Tag länger hier. Entweder wir bringen sie nach Hamburg oder zu meinem Vater nach Genf.«
 

Die Wahl fällt auf Paul. Wir machen uns schon früh morgens auf den Weg. Tobias redet während der Fahrt nicht ein Wort mit mir. Erst im Beisein seines Vaters wird er gesprächig.
   »Deine Schwiegertochter hat eine Bürgerinitiative gegründet und sich mit der Russenmafia angelegt. Es geht ihr um ein kleines, beschissenes, heruntergekommenes Lokal, dass sie aus unerklärlichen Gründen selber betreiben will. Weiß der Geier, warum ihr Herz so an diesem Schuppen hängt.«
   »Ich entschuldige mich für die derbe Ausdrucksweise meines Mannes. Er ist zurzeit so mit seiner Ignoranz beschäftigt, dass er sein Benehmen vergessen hat.« Ich bin empört. Wie kann Tobias so über mich zu seinem Vater sprechen. Ich schnappe mir Balou und mache einen langen Spaziergang. Als er nach meiner Rückkehr noch immer mit mir mault, packe ich meinen Koffer und bestelle mir ein Taxi.
   »Marie, er macht sich nur Sorgen um euch«, versucht Paul zu vermitteln.
   »Statt mir zur Seite zu stehen, demütigt er mich vor dir. Darauf kann ich verzichten. Ich werde für ein paar Tage nach Hamburg zu meinem Sohn und meinen Enkeln reisen. Vielleicht ist es ganz vernünftig, für kurze Zeit auf Abstand zu gehen.«

Frederik teilt Tobias Standpunkt. Er ist mir keine moralische Unterstützung, aber er nimmt sich Zeit, mit mir einen ausgiebigen Stadtbummel durch Hamburg zu unternehmen. Beim Anblick der Binnenalster und dem Überqueren der Elbbrücken beschleicht mich das erste Mal nach Jahren ein Gefühl von Heimweh. Die Angst, die ich seit Tagen mit mir herumgetragen habe, ist spurlos verschwunden. Mit dem Auto meiner Schwiegertochter fahre ich die Stationen meines alten Lebens ab. Ich besuche das Haus von Hanna und Karl, die Blankeneser Villa meiner Schwester Sophie und fahre die Häuser in der Eichenallee und der Lüneburger Heide an, in denen ich mit Steffen gelebt habe. Ist mein Leben mit Tobias nach acht Jahren noch so, wie ich es mir erträumt hatte? Besteht überhaupt noch ein Unterschied zu meiner Ehe mit Steffen? Es gibt Parallelen, die ich nicht leugnen kann. Ist Südfrankreich noch immer der Ort, an dem ich zu Hause sein will? Ich habe weder eine ehrliche Antwort auf diese Fragen noch eine Wahl. Clara muss wieder zur Schule. Ich nehme die Abendmaschine nach Genf und werde von Tobi vom Flughafen abgeholt. Er hat seine Sprache wiedergefunden und schlägt deutlich freundlichere Töne an. Als ich ihm von meinen trüben Gedanken erzähle, fährt er zusammen.
   »Ist unsere Zeit vorbei?« frage ich.
   »Nein, Marie, sie fängt gerade erst an. Aber wenn du genug hast von der Côte, dann brechen wir unsere Zelte ab. Wir finden einen neuen Platz, wo wir glücklich sein können. Hauptsache ist doch, wir sind zusammen.«

Wir verabschieden uns von Paul und Thea mit den Worten, dass sie das nächste Mal zu Besuch kommen müssen. Einen Termin wollen wir für die bevorstehende Adventszeit ausmachen. Für die Rückfahrt braucht Tobi über sechs Stunden. Er hält sich genau an die Geschwindigkeitsbegrenzungen und macht sogar zwei kurze Pausen. Er gibt sich als perfekter Unterhalter. Meine Äußerungen haben ihn wachgerüttelt. Mit der festen Absicht, mir zu beweisen, dass unsere Verbindung in keinster Weise mit den letzten Jahren der Simon Ehe zu vergleichen ist, fährt er mich heim.

Der kurze Straßenabschnitt vom Lokal bis zum Obst und Gemüse Eckladen leuchtet dunkel rot. Alle Fenster und Türen tragen den Aushang NEIN ZU SEX UND DROGEN. Ich blicke auf das Lokal. Wo einst Blumenkübel die Terrasse begrenzten, ist eine meterhohe Mauer errichtet. Auf der Baustelle wird nicht gearbeitet. Claire stürmt aus ihrem Salon und berichtet, dass die Behörde einen Baustopp erlassen hat und die Polizei stündlich kontrolliert, ob Vadim sich an das Verbot hält.
   »Er hat einfach ohne Genehmigung mit den Maurerarbeiten begonnen. Seit gestern darf nicht mehr weiter gebaut werden. Im Übrigen, ich habe sein Angebot auch nicht angenommen. Allerdings waren die Mieter der oberen Wohnungen nicht so standhaft. Sie sind gestern ausgezogen. Bis auf unsere beiden Ladengeschäfte ist das Haus komplett leer.«
   »Er wird sich durch uns nicht aufhalten lassen. Am schönsten Fleck des Ortes wird ein Edelpuff auf drei Etagen entstehen. Statt spielender Kinder, Straßenmusikanten und Maler mit ihren Staffeleien werden Dealer und Freier ihren Platz einnehmen.« Ich nehme Clara an die Hand und gehe mit ihr und Tobi zu Fuß unsere Einkäufe erledigen. Der Schlachter begrüßt mich überschwänglich. Er kommt hinter seiner Theke hervor und küss mich links und rechts. Freudestrahlend schenkt er Clara eine Wurst und berichtet von dem Baustopp. Das gleiche Schauspiel wiederholt sich beim Bäcker Rosier. Clara bekommt eine Gratis Rosinen Schnecke und mir wird ein Korb mit Buttons gereicht. Die runden, roten Anstecker sind mit dem Wort NO bedruckt. Der Bürgerverein hat sie anfertigen lassen und im ganzen Ort verteilt. Die Gemüsefrau winkt uns zu sich herüber. Auch ihre grüne Schürze trägt den runden Warnhinweis.
   »Sie sind bestimmt sehr stolz auf ihre Frau, Herr Martin. Sie ist eine richtige Kämpferin. Zusammen werden wir diesen Lump aus unserem Ort vertreiben.« Clara wird mit Mandarinen und Nüssen beschenkt und ich werde gedrückt und geherzt. Tobias steckt sich einen Butten an die Jacke und sagt: »Ja, Madame, ich bin wirklich sehr stolz auf meine Frau.«

Ich sitze in der Küche und schreibe eine lange Einkaufsliste. Clara durchsucht Kartons mit Weihnachtsschmuck und Tobias telefoniert mit seinem Vater.
   »Nein, Vadim Sidorow Limited. Siegfried, Ida, Dora, Otto, Richard, Otto, Wilhelm. Sidorow!«, höre ich ihn sagen. Meinen fragenden Blick beantwortet er, nachdem er aufgelegt hat.
   »Paul hat noch immer gute Kontakte nach Russland. Er will Vadim mal genauer durchleuchten lassen. Schaden kann es doch nicht.« Mit so viel Zuspruch und Beistand fühle ich mich wieder sicher und stark. Meine trüben Gedanken und die Absicht mein Zuhause aufzugeben sind verschwunden.
   »Wir werden uns hier nicht vertreiben lassen. Das haben schon ganz Andere versucht.«

Clara erhält ihre erste Klavierstunde vom Vater und ich verdrücke mich nach wenigen Minuten mit Balou in den Garten. Aus Tanne, Pinien und Kieferzweigen wickel ich Kränze und Girlanden, die das Haus innen und außen weihnachtlich schmücken sollen. Durch das Fenster beobachte ich Tobias, wie er telefoniert. Mit einer freien Hand winkt er mich ins Haus.
   »Wir brauchen ein Foto von Vadim. Ich werde gleich zu Claire in den Salon fahren und mir die Haare schneiden lassen. Sie hat ihn um drei Uhr unter dem Vorwand zu sich bestellt, mit ihm nachverhandeln zu wollen. Ich schicke dir eine SMS. Gleich danach musst du mich anrufen. Ich werde deinen Anruf wegdrücken und stattdessen ein Foto von ihm machen.« Er nimmt seine Jacke und fährt davon. Gespannt warte ich auf meinen Einsatz. Ich starre zwanzig Minuten lang auf das Telefon bis endlich die erwartete Kurzmitteilung eintrifft und wähle Tobis Nummer. Die nachfolgende Stunde will nicht vergehen. Ich bin schon versucht, in den Ort zu fahren, als ich seinen Mercedes kommen sehe. 
   »Er hat nichts gemerkt. Die Fotos sind gut geworden. Ich habe sie bereits an Paul weitergeschickt.«
   »Warum hat es so lange gedauert. Ich bin fast verrückt geworden.«
   »Ein guter Haarschnitt dauert«, lacht Tobi. Er hat der Mission Vadim seine schönen Locken geopfert.

Unser Haus füllt sich zum ersten Advent. Neben Freunden aus dem Ort sind auch Timo und Christina zu Gast.
  »Ich hatte meiner Frau schon eine Nacht auf eurem Boot versprochen. Nur für den Fall, dass ihr unseren Besuch wieder vergessen hättet.« Er hat gute Nachrichten im Gepäck, die er allerdings im Beisein der vielen Fremden nicht Preis geben will. Erst nach dem Abendessen rückt er mit der Sprache heraus.
   »Dieser Vadim ist in Moskau kein unbeschriebenes Blatt. Er wird von den Behörden wegen Steuerhinterziehung, Korruption und weiterer Delikte gesucht. Marie, du wirst zum Schein auf sein Kaufangebot eingehen. Aber halte dich zurück. Tobias und ich werden das allein regeln.« Die Brüder erheben sich vom Tisch und gehen ins Musikzimmer, um ihre Vorgehensweise zu besprechen. Ich schaue meine Schwägerin verdutzt an. Christina hat auch keinen Schimmer, wie genau der Plan ablaufen soll. Sie ist deutlich gelassener als ich, denn sie ist es gewohnt, dass Timo die Sachen in die Hand nimmt.
   »Sei ganz beruhigt. Die Männer machen das schon. Zeig du mir doch jetzt mal deine Mató Kleider. Hast du noch eins für mich in meiner Größe?« Ich habe weniger Lust auf Frauengespräche. Aber ich bin eine gute Gastgeberin und kann Christina den Wunsch nicht abschlagen. Im Bett befrage ich Tobi nach den genauen Einzelheiten. Er will am nächsten Morgen mit seinem Bruder Vadim aufsuchen und ihm erklären, dass der Ärger ein Ende haben muss. Nach zähen Verhandlungen wollen sie seinem Kaufangebot zustimmen und in seinem Beisein einen Termin zur notariellen Beurkundung verabreden.
   »Und dann?«
   »Und dann sehen wir weiter!« Tobias lässt mich im Unklaren. Da helfen auch meine eindeutigen Bestechungsversuche nichts. Agent Tobi bleibt hart.

Während die Brüder sich gemeinsam auf die Suche nach Vadim machen, habe ich die Aufgabe, meiner Schwägerin den Ort, den Strand, das neue SPA und das Boot zu zeigen. Christina ist begeistert. Sie findet die Côte selbst im Winter viel schöner als den Genfer See.
   »Paul möchte uns gern in seiner Nähe haben. Für Marita hat er bereits ein Haus gefunden. Aber ich würde gern etwas mehr auf Abstand gehen. Paul hatte Timo nun zwanzig Jahre für sich eingespannt. Ich finde, jetzt bin ich dran. Wir werden im Januar eine Kreuzfahrt machen. Das habe ich mir von ihm zu Weihnachten gewünscht. Drei Wochen nur mit ihm. Keine Töchter und keine Enkelkinder. Ich finde, das ist wichtig. Gerade für eine Beziehung, die schon so lange anhält wie unsere Ehe. Ach Marie, was die kurze Trennung und der Einlauf von dir bewirkt haben, ist kaum zu glauben. Unsere Liebesbeziehung war schon vor Jahren eingeschlafen. Jetzt ist Timo Wachs in meinen Händen.«
   »Ja, Christina, es gibt nichts Besseres als Versöhnungssex!« Es wird Zeit, Clara abzuholen. Zu dritt fahren wir ins Haus zurück. Der Stellplatz ist frei. Die Männer sind noch immer mit Timos Auto unterwegs. Es wird schon dunkel und ich werde immer unruhiger. Meine Angst prallt an Christina ab. Sie sitzt seelenruhig am Tisch und probiert sich durch die Mató Cremetiegel. Endlich erblicke ich das sehnlich erwartete Scheinwerferlich von Timos Wagen. Ich laufe den Männern entgegen und rufe: »Was habt ihr den ganzen Tag angestellt. Ich sterbe hier vor Sorge!«
   »Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Es läuft alles wie geplant. Morgen ist der ganze Spuk vorbei«, sagt Tobi und legt schützend den Arm um mich. Auch Christina findet, dass sich die beiden recht lange Zeit gelassen haben.
   »Gute Vorbereitung ist die halbe Miete, mein Schatz«, sagt der ältere Bruder und küsst den Hals seiner Frau. Vor dem knisternden Kamin bei einem Glas Cognac erhalte ich die Instruktionen für den nächsten Tag.
   »Wir treffen uns morgen um elf Uhr im Notariat Laval. Vadim glaubt, dir die Eins für 250.000 Euro abkaufen zu können. Du wirst dich auf keine Provokationen mit ihm einlassen. Das ist wichtig, Marie. Halte dich morgen zurück. Nenne ihn nicht wieder Putin, oder ähnlich. Versprich es mir!« Ich verspreche es, obwohl ich die dreifache Ermahnung, mich zurückzuhalten, als übertrieben empfinde. Nach dem Abendessen verabschieden sich Timo und Christina ins Gästezimmer. Tobias setzt sich zu mir aufs Sofa.
   »Marie, die Aktion morgen kostet ein bisschen Klimpergeld. Es kann sein, dass wir in deine Schwarzgeldkasse greifen müssen.«
   »Wenn es hilft, den Kerl los zu werden, ist das schmutzige Geld gut investiert.
Wir  machen uns um halb elf auf den Weg. Timo fährt uns in seinem Wagen zur Unterstützung hinterher, während Christina mit Clara im Haus zurückbleibt. Nach einem kurzen Zwischenhalt bei der Bank fahren wir weiter zum Notar. Ich gebe meinen schwarzen Aktenkoffer nicht aus der Hand. Vadim kommt allein. Nachdem Laval seine Mandanten begrüßt hat, bittet er ihn und mich, uns auszuweisen. Ich würdige den Russen keines Blickes. Auch auf seine Bemerkung, wie schön es ist, dass Mütterchen endlich zur Vernunft gekommen ist, entgegne ich kein Wort. Der Notar liest den Reisepass des Russen laut vor und legt ihn in seine Schublade. »Ich fürchte, Herr Sidorow, ich kann Ihnen den Kaufvertrag nicht beurkunden. Es ist eine Situation eingetreten, mit der ich vorher nicht gerechnet habe. Gegen Sie liegt ein Internationaler Vollstreckungshaftbefehl vor. Diese Red Notice verbietet es mir, für Sie tätig zu werden. Das örtliche Kommissariat hat mich soeben über diesen Umstand informiert. Commissaire Clement ist mit einem Auslieferungsantrag hierher unterwegs.« Laval schaut auf seine Uhr.
   »In spätestens zehn Minuten sollte er hier eintreffen.« Vadim steht auf und will den Raum verlassen, aber Timo versperrt ihm den Weg. Tobias richtet das Wort an den Russen.
   »Das Blatt hat sich gewendet, Vadim. Es gibt nur noch eine Möglichkeit hier rechtzeitig mit deinem Reisepass heraus zu kommen. Du bittest Herrn Laval ganz freundlich, den Kaufvertrag für Renés Haus zu beurkunden. Nenne uns einen fairen Preis und du kannst gehen.« Laval öffnet seine Unterschriftenmappe und zeigte den vorbereiteten Vertrag. Die Sirenen, der anrückenden Polizei, sind aus der Ferne zu hören.
   »Zehn Millionen«, sagt Vadim und Tobias lacht.
   »Ich biete dir eine in bar, reisefertig verpackt in diesem Koffer«, sage ich und halte mich nicht an mein Schweigeversprechen. Die Sirenen werden immer lauter. Ich klappe den Koffer auf und präsentiere die fein säuberlich gestapelten Geldbündel. Vadim greift in seine Jackentasche und zückt seinen Füllfederhalter. Er unterschreibt an den markierten Stellen des Vertrages, quittiert den Erhalt des Geldes, nimmt seinen Reisepass entgegen und verlässt mit schnellen Schritten das Notariat. Tobias drückt eine Kurzwahltaste auf seinem Handy. Zwei Minuten später fährt Clement vor. Laval zieht sein Jackett aus und zeigt mit seinem Finger auf den roten NO Button, der an seinem Hemd befestigt ist.
   »Den kann ich wohl jetzt getrost ablegen.« Mit einem triumphierenden Lächeln gibt er mir die Hand. »Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem neuen Haus, Frau Martin.« Zur gleichen Zeit betritt Clement das Zimmer.
   »Oh Verzeihung, Gavin, ich wusste nicht, dass du Klienten hast. Ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, dass wir heute Abend ein Treffen mit dem Bürgerverein haben. Wir treffen uns um acht Uhr vor der Baustelle des alten Lokals von René. Ich will auch nicht weiter stören. Man sieht sich.« Ich begreife nicht. Ungläubig schaue ich in die grinsenden Gesichter von Tobias, Timo und Laval.
   »Mit ihrer frechen Klappe ist sie schneller! Ich werde es Marie auf dem Nachhauseweg erklären. Vielen Dank, Gavin. Wir sehen uns heute Abend. Ich steige zu Tobias in den Wagen und so langsam dämmert es mir.
   »Er gab gar keinen Haftbefehl?«
   »Doch Schatz, nur keinen Internationalen und einen Auslieferungsantrag gab es auch nicht.«
   »Ihr durchtriebenen Kerle. Das war ein eiskalter Bluff!«
   »Nenne du mich nicht durchtrieben. Wieso hast du nicht die ganze Kasse dabei gehabt? Wo sind die 250000 Euro von deinem Pokergewinn?«
   »Das Geld hab ich redlich verdient. Aber die Vorstellung, dass wir Vadim mit seinem eigenen Geld ausgezahlt haben, ist doch der Brüller, oder?«
   »Marie, du bist jetzt stolze Besitzerin eines Mehrfamilienhauses mit drei Ladenlokalen. Wie hat Agent Tobi das gedeichselt?«
   »Oh Tobi, du machst mich ganz scharf.«
   »Das muss warten. Es kommen heute Abend mindestens 250 Gäste aus dem Ort, die den Sieg mit uns feiern wollen. Der Getränkelieferant steht schon seit einer viertel Stunde vor der Eins.« Völlig überwältigt schaue ich meinen Mann an. Als er den Wagen zum Stehen bringt, sage ich: »Ich liebe dich, Tobias Martin. Mit dir wegzugehen, war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe.«

Sarah und Claire haben den letzten Bauschutt von der ehemaligen Terrasse weggeräumt. Aus dem Magazin holen Timo und Christina Stehtische und ich baue mit Tobi einen Tresen aus den verbliebenen Tischen. In der Gastroküche stehen vier große Töpfe auf dem Herd, in denen ich Suppe für die Anwohner koche. Rosier verspricht eine Fuhre mit frischem Baguette mitzubringen. Der russische Schlägertrupp hatte die Musikanlage verschont. Tobias verteilt die Lautsprecherboxen im Innen und Außenbereich und läutet das Dorffest mit lauter Musik ein. Bis zehn Uhr habe ich jeden einzelnen Besucher persönlich begrüßt und seinen Dank angenommen. Unzählige Male versichere ich, dass es ohne meinen Mann und meinen Schwager nie soweit gekommen wäre.
   »Madame Martin?« Ich erkenne die Maklerin, die mir mit einem Glas Wein zuprostet.
   »Ich habe ein tolles Objekt in Saint Tropez im Angebot. Eine mondäne 800 qm große Villa mit Nebengebäuden im puristischen Stil. Tolle Ausstattung mit zwei Pools und einer Garage für acht Wagen. Das Anwesen liegt auf einem herrlichen Park von 1,4 ha in absoluter Strandnähe. Wenn Sie einen Interessenten haben, dann geben Sie mir doch Bescheid. Der jetzige Besitzer musste Frankreich unerwartet schnell verlassen.«