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„Streng ist nicht streng!“
Schon interessant: Bei streng denkt heutzutag ein jeder zuerst einmal an eine strenge Herrin. Praktisch an was Perverses. An Kindererziehung denkt bei streng keiner mehr. Wie wenn das noch perverser wär.
Weil heutzutag kein Kind mehr erzogen wird, geschweige denn streng. Hat ja keiner mehr Zeit zum Erziehen, weil ja die Frauen unbedingt arbeiten gehen müssen. Und die Männer müssen Überstunden machen und pfuschen und zur Feuerwehrübung und zur Sitzung von der Wassergenossenschaft. Und und und.
Bleibt zum Erziehen nur mehr die Schule. Ist natürlich auch überfordert, weil man den Lehrern das ganze pädagogische Werkzeug weggenommen hat. Sprich: saftige Strafe verboten, nachsitzen lassen auch verboten, pädagogisch wertvolle Watschen erst recht verboten! Stehen die armen Lehrerinnen jetzt ganz ohne Werkzeug da. Wie wenn ein Tischler seine Brettl ohne einen Hobel glatt machen soll!
Kein Wunder, dass es da nur mehr Lehrerinnen gibt. Welcher Mann tut sich denn das an?! Ist natürlich eine Katastrophe für die Kinder. Im Kindergarten eine Tante, in der Volksschule eine Lehrerin, in der Hauptschule eine Fachlehrerin. Und wenn das Kind dann in die Lehre kommt, hat es zum ersten Mal im Leben mit einem Mann zu tun. Und kriegt einen Schock fürs Leben.
Gehört natürlich alles nicht da her, weiß ich eh. Aber weil’s wahr ist! Wo waren wir schnell noch? Beim Dagobert Duck. Hat also der Turrini fest gebellt. Und dabei den Schwanz aufgestellt. Das heißt was, wenn ein Hund den Schwanz aufstellt. Nämlich: Achtung!
Trotzdem muss die Gucki zuerst einmal lachen, wie sie den Dagobert Duck sieht. Weil oben Enten-Maske, Zylinder und Gehrock, unten aber die Hosen hinuntergelassen. Praktisch ein nackerter Mann. Denkt die Gucki natürlich sofort an so ein Spiel, so ein Sado-Maso-Spiel halt. Weil das Perverse heutzutag eh schon normal ist.
„Such die strenge Herrin!“, sagt sie also zum Turrini. Muss man jetzt dazusagen, dass ihr kleiner Hund mit seinen elf Jahren eigentlich schon ein alter Herr ist und schlecht sieht und schlecht hört. Riechen tut er aber noch immer eins a. Praktisch Spürhund. Findet auch gleich eine Spur, führt zum Parkplatz neben der Friedhofsmauer. Dort stehen zwar haufenweis Autos, aber keine einzige strenge Herrin weit und breit. Bleibt der Gucki nichts anderes über, als dass sie den Dagobert Duck selber befreit. Ist ja bis zur Bewegungslosigkeit mit Kabelbindern an die graniterne Säule vom Windgschliefer Pranger gefesselt.
Muss ich vielleicht doch einmal erklären, was ein Pranger ist. Besser gesagt: war, gibt es ja seit ein paar hundert Jahren nimmer. Hat es früher aber in jedem Ort gegeben, wo ein Gericht war. War sozusagen das Symbol für die Gerichtsbarkeit und gleichzeitig ein fester Bestand des Gerichtsurteils. Weil bei harmloseren Vergehen die Strafe darin bestanden hat, dass der Verurteilte an den Pranger gestellt wurde. Das heißt aber nichts anderes, als dass der arme Hund an irgendeine Säule gefesselt worden ist. Je schlimmer das Vergehen war, desto länger hat er dort stehen müssen. Und desto länger haben ihn seine lieben Mitmenschen dann straflos ausspotten, anspucken oder verdreschen dürfen. Eigentlich praktisch: Hat sich die Justiz gar nicht selber die Hände schmutzig machen müssen.
Jetzt ist der Pranger von Windgschlief aber ein wirklich ein schönes Exemplar. Aus dem Spätmittelalter. Eine runde Säule aus Granit, zweieinhalb Meter hoch, drauf ein quadratischer Sockel mit einem so genannten Pranger-Mandl. Ein Ritter mit Schild und Schwert. Das Wappen am Schild erklärt, wer da Recht gesprochen hat, das Schwert steht für die Strafe. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Drum besteht das Pranger-Mandl auch nur aus einem Oberkörper. Mehr braucht es ja nicht.
Irgendwie passt es sogar zusammen, ergibt ein schönes Gesamtbild: oben das Mandl aus dem Mittelalter und unten das Comic-Mandl aus Entenhausen. Beide nur Oberkörper. Weil ja ein nackerter Unterkörper von einem Mann zu einer Ente nicht dazupasst.
Kann sich die Gucki das Lachen nicht verbeißen. Vergeht ihr aber ziemlich schnell, wie sie dem Dagobert Duck den Zylinder und die Enten-Maske abnimmt. Aber nicht, weil ihr der Herr Raika-Filialleiter in die Augen schaut, dem sein arrogantes Gschau kennt sie ja eh schon. Nur jetzt schaut er so starr, dass der Gucki sofort klar ist: Leben tut der nimmer!
Den Puls fühlen muss sie aber trotzdem. Und schreckt sich gleich noch einmal. Weil die Haut noch warm ist. Praktisch normale Körpertemperatur. Kann also noch nicht lang her sein, dass er tot ist. Jetzt fällt der Gucki auch wieder ein, wie er heißt, der Herr Filialleiter von Windgschlief: Leonhard Gierlinger.
Zieht sie ihm also die Enten-Maske wieder übers Gesicht und setzt ihm den Zylinder wieder auf. Für den Foto-Termin. Weil die Gucki für die Mühlviertler Nachrichten ein paar Fotos gut brauchen kann. So eine bizarre Sex-Spielchen-Story kommt beim Leser immer gut an.
„Und wenn es gar nicht um Sex geht, sondern um die Raika?“, fragt die Gucki dann ihren kleinen Turrini.
Weil der alles versteht, was sein Frauli sagt, und gleich bellt, also: zustimmend bellt, bleibt es der Gucki nicht erspart, dass sie die Leiche noch einmal angreift und den Gehrock aufknöpfelt. Ob der Gierlinger irgendwo eine Verletzung hat. Praktisch: Todesursache?
Kann aber nix finden. Bis auf die Narbe von einer Blinddarmoperation, und an der wird er nicht gestorben sein. Da sind die Blutergüsse an den Unterarmen und an den Fußknöcheln schon aufschlussreicher. Sprich: Der Mörder hat den Gierlinger gefesselt, dann zum Pranger geschleppt und dann mit einem Haufen Kabelbinder an der Säule fixiert.
Fällt der Gucki natürlich sofort der Hias ein. Ist ja nach zweitägigem Verhör wieder auf freiem Fuß, wie das so schön heißt. Verwirft den Gedanken aber gleich wieder, traut sie ihm einfach nicht zu, dem Hias. Ich mein, den Mord an sich schon, aber das Drumherum nicht. Praktisch das Symbolische: den Dagobert Duck und das An-den-Pranger-Stellen. Ist einfach nicht sein Stil. Sein Stil ist geradlinig: mit dem Bagger alles über den Haufen fahren!
Zieht die Gucki halt in Gottes Namen den Gierlinger wieder an. Also: Sie knöpfelt den Gehrock vom Dagobert Duck wieder zu. Die Hose und die Unterhose lasst sie, wie sie waren. Graust ihr ja so schon genug. Und DNA-Spuren hinterlasst sie auch mehr als genug: zum Saufüttern!
Wird sie Schwierigkeiten kriegen. Weil sie bei der Kripo in Linz unten der Gucki ihre DNA gespeichert haben. Weil ja die Gucki schon mehr als einmal unter Mordverdacht gestanden ist. Weil den Deppen von der Kripo nichts Besseres eingefallen ist, als dass sie eine Journalistin als Mörderin verdächtigen. Nur weil sie immer mehr gewusst hat als wie die Polizei!
Trotzdem ruft die Gucki jetzt gleich einmal bei der Kripo an, aber sozusagen privat. Nicht beim Major Bürstinger, sondern beim Bürstinger Karli. Der Mann von ihrer besten Freundin. Und der Papa von der kleinen Gucki. Bei der der Turrini und die Gucki öfter Babysitter spielen. Aber das wissen wir eh schon alles.
Und außerdem geht es jetzt nicht ums Babysitten, jetzt geht es um einen Ritualmord. Gut dass der Bürstinger Karli nach eineinhalb Jahren Karenz wieder bei der Kripo ist. Und Dienst hat er auch. Weiß die Gucki von der Sybille, hat ja am Nachmittag angerufen, weil sie einen Babysitter gebraucht hätt. Weil sie heut Nacht eigentlich einen extrem süßen Turnusarzt vernaschen wollt. Hat ihr die Gucki aber nicht helfen können, weil so ein Tarock-Turnier für die Gucki wichtiger ist als alles andere.
Ich mein, ich will ja nichts sagen gegen das Tarockieren. Aber ich hab den Verdacht, dass die Gucki so tarocknarrisch ist, dass ihr das Kartenspielen lieber ist als wie ein jeder Mann. Dass sie wegen dem Tarock-Turnier in Windgschlief nicht nur auf einen Turnusarzt verzichtet hätt, sondern auch auf ein Rendezvous mit dem George Clooney. Nur: So wird sie nie zu einem Mann kommen. Und ganz ohne Mann wird sie nie zu einem Kind kommen. Aber erstens ist das der Gucki ihre Privatsache – geht mich ja nix an. Und zweitens denkt die Gucki momentan weder an Männer noch an Kinder, nur an ihren Mord. Endlich wieder ein Mord! Endlich tut sich wieder was! Ist ihr fast noch lieber als wie das Tarockieren.
Ruft sie also den Bürstinger an. Der meldet sich nicht mit „Major Bürstinger, Kriminalpolizei Oberösterreich, Mordkommission“, sondern mit: „Servus, große Gucki!“ Kennt ja ihre Nummer. Und freut sich schon auf eine nette Plauderei, weil der Nachtdienst wieder einmal ziemlich fad ist. Weil Linz halt nicht Chicago ist. Weit und breit kein Delikt gegen Leib und Leben.
Freut er sich natürlich wie ein nackerter Neger, wie die Gucki sagt: „Servus, Karli! Du, ich hab einen Mord für dich!“
„Voll super! Wer, wie, wo, wann?“
Lernt man wahrscheinlich in der Polizeiakademie. Ist der Gucki aber zu wenig: „Und nach dem Warum fragst du nicht?“
„Warum?“ Der Karli versteht die Frage nicht ganz. „Warum du mich anrufst? Ja, weil wir befreundet sind. Und weil es deine Pflicht als Staatsbürger ist, dass du einen Mord unverzüglich meldest.“
Gibt es die Gucki auf. Wenn einer bei der Kripo ist und sich kein bisserl für das Warum, für das Mordmotiv, interessiert, dann ist Hopfen und Malz verloren.
„Gut, Karli. Ich sag dir wer, wo, wann, und du sagst mir morgen das Wie. Sprich: Ich brauch den gerichtsmedizinischen Obduktionsbericht. Sind wir im Geschäft?“
„Oh-keh, Baby!“, antwortet der Karli. Da sieht man, dass er sich schon gern so amerikanische Krimi-Serien im Fernsehen anschaut. „Den Obduktionsbericht kriegst du aber erst übermorgen. Weil morgen ist Sonntag, da passiert bei uns nicht viel.“
„Hab verstanden!“, seufzt die Gucki. Es passiert nicht viel heißt übersetzt aus dem Beamtendeutsch, dass am Sonntag ganz einfach nix gearbeitet wird.
„Du, Gucki. Kannst vielleicht die Leich ein bisserl bewachen, bis ich mit der Spurensicherung da bin?“
„Und wer garantiert mir, dass mich der Rammer dann nicht auf der Stelle festnimmt und 48 Stunden lang als Mordverdächtige Nummer eins verhört?“
Da muss man jetzt dazusagen, dass der Gucki ihre Frage wirklich berechtigt ist. Weil der Vorgesetzte vom Karli, ein gewisser Oberstleutnant Rammer, seit Jahren der Gucki ihr Todfeind ist. Weil er sich einbildet, dass diese Journalistin seine Ermittlungen immer so böswillig behindert hat, dass es ihm in den letzten elf Jahren nicht gelungen ist, im Bezirk Freistadt auch nur einen einzigen Mord aufzuklären.
„Ah, der Rammer!“ beruhigt sie der Karli. „Der Rammer ist gar nicht erreichbar. Der macht wieder einmal eine Tour durch die Linzer Puffs. Nutten ausfratscheln, wegen einer Wasserleich. Da hat er das Handy immer ausgeschaltet, dass es ihm nicht in den Whirlpool hineinfallt!“
Kann die Gucki also beruhigt auf den Bürstinger warten. Wird ihr aber trotzdem fad, weil sich in einem Kaff wie Windgschlief um die Zeit nix tut. Wie ausgestorben! Kann also auch keiner sehen, wie sie sich jetzt der Leiche nähert, ihr Taschenmesser mit dem Hirschhorngriff aufklappt und –
Nein, wo denkt’s denn ihr schon wieder hin?! Die Gucki schneidet dem Herrn Filialleiter natürlich nix ab, sie schneidet nur einen von den Kabelbindern durch. Und steckt ihn ein. Sind ja eh noch genug andere da.