XIII
„Vögeln ist nicht vögeln!“
Vögeln tut heutzutags kein Schwein mehr, zumindest bei uns nicht. Bei den Deutschen schon noch, von dort kommt es ja auch her, das depperte Wort vögeln. Im Sinn von Geschlechtsverkehr ausüben. Kommt wie so vieles aus Deutschland, weil wir in Österreich in den Sechziger- und Siebzigerjahren praktisch alles blindlings übernommen haben, was aus Deutschland gekommen ist. Da hat was noch so ein Schas sein können, wurscht: Hauptsache es war made in Germany!
Jetzt aber interessant: Vögeln oder auch bumsen haben sich bei uns nicht lang gehalten. Sind genauso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen sind. Wie wenn die Österreicher ausgerechnet beim Thema Sex sowas wie einen Stolz auf ihre Muttersprache hätten. In allen anderen Lebensbereichen hat sich ja – Wie sagt man da? Das deutsche Deutsch? Das Deutsch aus Deutschland? – das Piefkinesen-Deutsch halt, das hat sich bei uns flächendeckend durchgesetzt. Einzig und allein bei der Bezeichnung für unsere Fressalien wird hartnäckig Widerstand geleistet. Da wird schon die Marillenmarmelade heldenhaft gegen die Aprikosenkonfitüre verteidigt. Und die Stelze gegen das Eisbein. Wie wenn es auf das ankommen tät! Wenn unsere Buben erst alle einmal Jungen sind und statt der Hausübung die Hausaufgaben machen, dann werden sie die nie und nimmer zusammenbringen, sondern im besten Fall auf die Reihe kriegen!
Jetzt bin ich aber direkt ein bisserl vom Thema abgekommen. Wir waren ja beim Vögeln. Passt aber thematisch eh dazu, die Geschichte vom sprachlichen Anschluss. Weil sich die Österreicher von den Deutschen schon seit Jahrzehnten sprachlich in den Arsch ficken lassen. Ohne Gegenwehr, ohne Widerrede, ohne irgendeinen Muckser! Wenn das in dem Tempo so weitergeht, dann wird die österreichische Sprache noch früher ausgestorben sein als irgendein Eskimo-Dialekt. Also wirklich! Dieser sprachliche Einmarsch der Deutschen in Österreich, der regt mich so dermaßen auf, dass ich am liebsten eine eigene Partei gründen tät: gegen das Piefkinesen-Deutsch! Die Frage ist halt nur, ob man mit einem politischen Kampfruf wie Nieder mit der Tüte! Hoch das Sackerl! eine Wahl gewinnen kann?
„Ja, haben sie dem leicht ins Hirn geschissen?“, wird man sich jetzt aufpudeln. „Da macht er einen zuerst neugierig aufs Vögeln – und dann verzapft er völlig abstruse sprachpatriotische Ideen! Wie wenn er der Sprachpolizeikommandant von ganz Österreich wär! Dabei ist er eh nur ein Mostschädel, der sich im besten Fall mit dem Mühlviertler Dialekt auskennt!“
„Bitte“, sag ich da nur, „von mir aus! Sie wünschen, wir spielen: Vögeln. Nur dass ihr dann nicht enttäuscht seid’s!“ Weil das Vögeln, von dem jetzt die Rede ist, hat mit Sex nix zu tun. Absolut nix! Hat dafür umso mehr mit dem Tarockieren zu tun. Weil das Vögeln, das ich mein, nichts anderes heißt, als dass einer beim Tarockieren einen Vogel macht.
Die Gucki zum Beispiel macht jetzt grad die Wildsau. Das ist sozusagen der Spitzname vom Tarock-Vierer. Den musst du beim viertletzten Stich spielen, wenn du vögeln willst. Wenn du mit der Wildsau stichst, hast du gewonnen, wenn die Wildsau abgestochen wird, hast du verloren. Gevögelt hast du aber auf jeden Fall.
Werden beim Tarockieren natürlich auch Witze gemacht, so von wegen der Mehrdeutigkeit. Sagt die Gucki also jetzt: „Heimlich vögeln ist ja nicht schlecht, unheimlich vögeln wär aber noch klasser!“
Ein uralter Witz unter Tarockierern. Wird aber trotzdem wieder gelacht. Weil sprachphilosophischer Tiefgang. Vergleich das nur einmal mit einem so genannten Sprachwitz von den Deutschen: Vögeln soll man dreimal täglich – da macht dann der deutsche Witzbold eine Kunstpause – frisches Wasser geben. „Ha, ha, ha. Der berühmte deutsche Humor!“, kann ich da nur sagen.
Weil jetzt die Gucki aber beim selben Spiel auch noch den Kakadu und den Uhu macht, also den Tarock-Dreier und den -Zweier, kann man wirklich sagen, dass sie unheimlich vögelt. Ist aber nicht Können, sondern reines Glück. Hat ja nicht einmal die Tarock mitgezählt, die Gucki. Spielt überhaupt schon den ganzen Abend einen kompletten Schmarrn zusammen. Aber nicht, weil sie sich jetzt grad das zehnte Flaschl Bier aus dem Kühlschrank holt. Der Fuzzi, der Maxi und der Johnny sind ja auch schon beim zehnten Bier und spielen anstandslos. Nein, ein paar Bier vertragt die Gucki schon. Spielen tut sie heute nur so hundsmiserablig, weil sie nachdenken muss.
Weil heut Allerheiligen ist, denkt sie natürlich an ihre Toten. Aber nicht an den Opa und schon gar nicht an die Mama, sondern an ihre zwei toten Raika-Filialleiter. Und interessanterweise kann die Gucki dann am besten denken, wenn ein mords ein Wirbel ist. Sprich: Daheim kann sie sich nicht konzentrieren, in der Redaktion kann sie sich auch nicht konzentrieren, in der Meierhansl-Hütte aber, wo lauthals geplärrt und lautstark auf den Tisch gedroschen wird, da schon.
Zuerst stirbt der Gierlinger, ist aber eher ein Unfall, dann der Bekennerbrief, der eigentlich ein Drohbrief ist, dann stirbt der Neumüller, eindeutig Mord, und dann noch der Erpresserbrief. Passt alles miteinander nicht zusammen. Überhaupt nicht!
Genausowenig wie jetzt der Gucki ihre Karten. Zuerst kriegt sie sechs Tarock und glaubt schon, sie kann was spielen. Einen Besseren, wenn nicht sogar einen Dreier. Aber gleich drauf kriegt sie sechs leere Blätter. Ist es vorbei mit einem positiven Spiel. Kann aber auch keinen Bettler spielen, weil sie ja die sechs blöden Tarock hat. Ist gleich: eine Karten, mit der du gar nix spielen kannst. Nur warten, was die anderen spielen. Und dann schön brav zugeben.
Liegt der Gucki aber überhaupt nicht, das Warten. Und das Schön-brav-Zugeben schon gar nicht. Ist einfach nicht der Typ dafür. Bevor sie nix tut, geht sie lieber jedes Risiko ein, so wie jetzt. Wie sie trotz, ja, wegen ihrer unmöglichen Karten auf einen Dreier hineinschaut.
„Halt!“, hör ich da auch schon einen lauten Protestschrei. „Moment einmal! Da gibt es doch tatsächlich einen Erpresserbrief, und der unterschlagt uns den einfach? Endlich einmal was Interessantes – und was tut er? Er kommt schon wieder mit seinem ewigen Tarockieren daher!“
„Gut, gib ich halt zu, dass ich den Erpresserbrief sozusagen unterschlagen hab!“, sag ich da. Aber erstens hat die Gucki den Brief auch erst gestern gekriegt. Und zweitens muss man einfach wissen, wie die Gucki tarockiert, sonst wird man nie verstehen, wie dieses Weib tickt.
Also: Schlagt die Gucki den Talon auf, sechs Karten, die bis zu diesem Zeitpunkt verkehrt herum auf dem Tisch gelegen sind. Drei davon darf sie sich nehmen – entweder die oberen drei – oder die unteren drei. Die oberen sind drei Herz, darunter der König, die unteren drei sind drei Tarock: XIX, XX, XXI. Ist es noch ein Bombenblatt für die Gucki geworden: neun Tarock und eine schöne Treibfarbe. Hat ja selbst auch drei Herz, die Gucki, und kann locker so nebenbei auch noch den Kakadu ansagen.
Brauchen wir uns also nicht auf das Spiel konzentrieren und können endlich zum Erpresserbrief kommen. Der, der gestern in der Gucki ihrer Post war, wie sie zu Mittag in die Redaktion gekommen ist. Mit einem schönen Foto von der Frau Innenministerin. Ein Foto vom Hochwürdigen Herrn Thaddeus Obczernitzky hat ihr das Fräulein Aistleitner doch glatt umsonst draufgegeben: Weil ein so ein Judas, der gehört an den Pranger gestellt: auf die Seite eins der Mühlviertler Nachrichten!
Hat die Gucki bei der Gelegenheit das Fräulein Aistleitner gleich ein bisserl ausgefratschelt. Über den Neumüller Fritz. Weil nur, weil der Neumüller nicht aus St. Anton ist, sondern aus dem Nachbarort, heißt das noch lang nicht, dass eine Tratschen wie das Fräulein Aistleitner nicht auch über den alles weiß. So war es dann auch.
„Der Neumüller Fritz? Ja, freilich kenn ich den. Und wie ich den kenn!“, war das Fräulein Aistleitner die Auskunftsfreudigkeit in Person. „Der hat doch die Hundshammer Sigrid geheiratet, vom Hundshammer Karl in Haid eine Tochter. Der Hundshammer, der sich Lehner schreibt. Dem seine Frau aber ist keine andere als die Nani, eine Tochter vom Aistleitner Hans, der der jüngere Bruder von meinem Vater ist. Ist also die Nani eine Cousine zu meiner. Meingott, die arme Nani! Die hat es auch nicht leicht im Leben.“
Da war die Gucki schon ziemlich nah dran, dass sie die Geduld verliert. Weil sie nur allzugut weiß, dass das in ganze Romane ausarten kann, wenn im Mühlviertel Verwandtschaftsverhältnisse erörtert werden. Muss sie das Fräulein Aistleitner vorsichtig wieder zur eigentlichen Frage zurückbringen: „Und was war er für einer, der Neumüller Fritz?“
„Ein Falott, wie er im Bilderbuch steht!“
Eine eindeutige Antwort, muss die Gucki zugeben. Aber halt leider ein bisserl undifferenziert. „Inwiefern?“, fragt sie also nach.
„In jeder Hinsicht! Nie daheim, immer auf der Jagd: bocknarrisch war er, der Fritz, und weibernarrisch war er auch!“
„Und? Erfolgreich?“
Hätte die Gucki nicht fragen dürfen. Weil jetzt das Fräulein Aistleitner sämtliche Opfer der Jagdleidenschaft vom Neumüller Fritz aufzählt. Und da sind nicht Rehe und Hasen gemeint, sondern sämtliche weiblichen Angestellten der Raika, aber auch der Volksbank in St. Moritz, der halbe Lehrkörper der Volks- und der Hauptschule von St. Moritz und sage und schreibe auch etliche weibliche Mitglieder des Kirchenchors St. Moritz. Was das Fräulein Aistleitner natürlich besonders entrüstet.
„Wer war denn die Letzte?“, kann die Gucki grad noch einwerfen, bevor sich das Fräulein Aistleitner endgültig in eine rosenkranzlange und rosenkranzmonotone Lamentation über den moralischen und damit auch musikalischen Niedergang des Kirchenchors von St. Moritz hineinsteigert.
„Die Vorletzte war die Pichlbauer Sabrina, die Kindergartenleiterin. Wirklich ein schöner Alt. Hat bei der Hochzeit von der Hundshammer Traudi beim Ave-Maria noch das Solo gesungen. Und eine Wochen später ist sie am Sonntag schon nimmer in die Kirchen gegangen, sondern auf die Jagd, das ausgschamte Luder, das! Aber zwei Monat später ist sie dann wieder brav in die Kirchen gerennt und dagesessen mit verweinten Augen. Kann man nur sagen: Recht geschieht ihr!“
„Und die Letzte?“
„Gott allein weiß alles, ich weiß nur fast alles. Aber irgendwann einmal krieg ich alles heraus, auch das! Drauf können S’ Gift nehmen, Fräulein Wurm!“
Gut, das war jetzt auch wieder nicht direkt eine Auskunft über den Erpresserbrief, aber den können wir uns immer noch anschauen. Weil er ja eh in der Innentasche von der Gucki ihrer Lederjacke steckt: jetzt, beim Tarockieren, in der Meierhansl-Hütte.
Wieder auf Büttenpapier. Wieder mit einer mechanischen Schreibmaschine getippt. Hat die Gucki aber nicht weitergebracht, die Schreibmaschinen-Spur. Da hat sie dem Eber gegenüber den Mund zu voll genommen, wie sie behauptet hat, sie kann den Schreiber ruck, zuck ausforschen. Der Schreibmaschinen-Mechaniker, den sie am letzten Donnerstag in Linz heimgesucht hat, hat ihr zwar haargenau den Schreibmaschinentyp nennen können: eine Olympia SG 3N – wird zwar seit 1958 erzeugt, ist aber noch ziemlich neu, weil sie schon den € auf der Tastatur hat statt dem $. Eine Kundschaft mit derana Maschine aber hat er nicht in seiner Kartei gehabt. Viel zu neu für eine Reparatur!
Hat die Gucki den Bekenner- beziehungsweise den Drohbrief großzügig der Kripo überlassen, genauer gesagt dem Bürstinger Karli. War aber kein reines Geschenk, sondern mehr so ein Tausch. Der Karli hat der Gucki dafür verraten müssen, mit welcher Waffe der Neumüller erschossen worden ist. Ein Gewehr. Auf große Distanz. Muss also ein guter Schütze gewesen sein.
Ein Jäger? Oder einer vom Bundesheer? Oder ein Scharfschütze von der Polizei? Oder doch ein Wilderer? Gibt es das heut überhaupt noch, einen Wilderer? Fragen über Fragen, die der Gucki jetzt durch den Kopf huschen. Und auch der Gucki ihr Geld huscht nur so dahin, weil sie vor lauter Nachdenken und Nachdenken komplett aufs Tarockieren vergisst und ein Spiel nach dem anderen verliert.
Aber was soll’s?! Immerhin hat die Gucki seit gestern ein eins a Motiv für den Mord am Neumüller. Wenn so ein Weiberer wie der Fritz nicht aus Eifersucht erschossen wird, dann frisst die Gucki einen Besen! Ist gleich: Der Mörder vom Neumüller hat mit den Wilderern absolut nichts zu tun. Der ist ein reiner Trittbrettfahrer, der das ausgenutzt hat, dass der Neumüller zufällig auf einer Raika arbeitet, damit er praktisch im Windschatten der Wilderer eine private Rechnung begleichen kann.
„Er-pres-ser-brief, Er-pres-ser-brief!“, hör ich jetzt alle lauthals schreien. „Her mit dem Erpresserbrief!“
Am lautesten aber schreit die Frau Oberstleutnant Punzenberger. Dabei hat ihr die Gucki eh heut Abend den Erpresserbrief gemailt, direkt ins Landespolizeikommando Oberösterreich. Wenn das kein Service ist! Noch dazu mit einem freundlichen Begleitschreiben:
Sg. Fr. Oberstleutnant, liebe Helli!
Wie du morgen in den Mühlviertler Nachrichten lesen kannst, bin ich dir wieder einmal einen Schritt voraus. Ich hoffe, du scheißt dir deswegen nicht die Wadeln voll!
Mit freundl. Grüßen
Gucki
Aber statt dass die Helli der Gucki dankbar ist, stellt sie jetzt der ihr Haus auf den Kopf, mit Hilfe von sechs Kriminalbeamten. Ein ganzer VW-Bus voll! Macht nicht Halt vor dem Deckel von der Klospülung und diesmal auch nicht vor dem stinkerten Lammfell, auf dem der Turrini immer liegt. Der ist aber heute sowieso nicht daheim, sondern ausnahmsweise auch in der Meierhansl-Hütte, weil die Gucki diese Reaktion von der Frau Oberstleutnant vorausgesehen hat. Weil sie ja weiß, dass die Helli eine DNA-Fetischistin ist und unbedingt das Original vom Erpresserbrief haben will.
Weil der Gucki aber genau in dem Moment die liebe Helli einfallt, holt sie jetzt den Erpresserbrief aus ihrer Lederjacken und lasst ihn in ihrer Kartenrunde herumgehen. Damit die armen Hunde im Labor von der Kripo wenigstens ein paar DNA-Spuren haben. Damit sie was zum Kiefeln haben, die Hunde.
Na also, Leutln, man muss es nur derwarten können: Da ist er auch schon, der Erpresserbrief! In voller Länge, in vollem Wortlaut! Genauso wie er morgen, am 2. November 2011, auf Seite 3 der Mühlviertler Nachrichten abgedruckt ist:
Verehrte Frau Magister Wurm!
Allen Bankfilialleitern im Bezirk Freistadt, die nicht das Schicksal ihrer verblichenen Kollegen teilen wollen, raten wir dringlich, am Sonntag, dem 6. November 2011, in einer Kutsche am Leonhardi-Ritt in St. Anton teilzunehmen und dabei jeweils € 10.000,– in Zehn-€-Scheinen unters Volk zu schmeißen. Eh ein günstiger Preis für ein Leben!
Mit herzlichen Grüßen
Die Wilderer
P.S. Im Übrigen haben wir beschlossen, dass sämtliche Banken durch den Fleischwolf gedreht werden müssen.