Vorwort
Das Wahrnehmen und Erleben von Natur durch den Menschen ist seit vielen Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen, Inhalt von Partizipationsprozessen in der Planung und politischer Diskussionen in Stadtentwicklungsprojekten. Unsere Naturerlebnisfähigkeit ist abhängig von primären Faktoren wie Alter, Geschlecht, Sozialisation und darüber hinaus von sekundären Faktoren, die sich aus der Motivation, sich in der Natur bzw. im Freien aufzuhalten ergeben. Hierzu gehören vor allem die Nutzungsabsichten oder Nutzungsgewohnheiten in der Natur oder Freiraum wie Gärtnern, Sport treiben auf einem Sportplatz oder in der freien Landschaft, einem Hobby nachgehen wie Angeln oder Fotografieren oder seinen Beruf ausüben, z. B. in der Land- oder Fortwirtschaft. Je nach Dominanz, Ausprägung oder Kombination dieser Faktoren bildet sich bei jedem Menschen ein spezifisches Verhältnis zur Natur heraus, das sich häufig bei der Beschreibung der gewünschten idealen Wohn- und Lebenssituation äußert. Beschrieben wird in der Regel eine Situation als Kontrast zum Berufsleben, wo Entspannung, Erholung und Wohlfühlen möglich ist. Diese Wohlfühlräume beziehen sich nicht nur auf die Wohnung sondern immer mehr auch auf die Grün- und Naturräume in und am Rande der Städte.
In Politik und Wirtschaft sind diese Zusammenhänge insoweit bewusst, als das Stadtmarketing sehr oft mit dem Grün oder der Natur in der Stadt wirbt und viele Unternehmen ihre Standortentscheidungen vom Grün-, Natur- und Freizeitpotential einer Stadt abhängig machen, um vor allem ihren qualifizierten Mitarbeitern einen hochwertigen Wohn- und Arbeitsort zu bieten. Gesucht werden also Wohlfühlräume, die möglichst viel Grün, viel Natur bieten und in Verbindung damit ein differenziertes Freizeitangebot haben. Damit hat Grün und Natur in der Stadt auch eindeutig eine ökonomische Dimension. Diese wird noch unterstrichen dadurch, dass die aktuellen Forschungsergebnisse im Auftrag der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz (GALK) belegen, dass Grün und Natur eine erhebliche Wert bestimmende Bedeutung für Grundstücke und Immobilien haben. Demnach liegen die Einflussgrößen je nach Art, Menge und Qualität des Grüns zwischen 15 und 30 Prozent am Immobilien- oder Grundstückswert.
Unter dem Eindruck des Klimawandels erhält Grün und Natur in den Städten nach der intensiven Diskussion über eine ökologische Stadtentwicklung in den 1980er Jahren eine neue Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung. Die größten Auswirkungen auf das Klima gehen von den Städten aus, die Städte können und müssen deshalb auch den größten Beitrag zum Klimaschutz leisten, weil sie selbst auch am meisten unter den Auswirkungen der Erwärmung leiden würden. Neben der Reduzierung des Energieverbrauchs und der Emissionen müssen die Städte in den nächsten Jahren besonders in das Stadtgrün investieren, um Temperaturextreme in den Innenstädten zu vermeiden und die Lebensqualität zu sichern. Konsequent reagieren viele Bürger und Naturschutzverbände deshalb schon heute gegen jede Verbauung von Grün oder Fällung von Bäumen in der Stadt mit Protesten und Hinweisen aus deren Bedeutung für die Vermeidung von Klimaextremen.
Die Vermittlung der Bedeutung von Grün und Natur in der Stadt im Zusammenhang mit den Fragen des Klimawandels ist eine Aufgabe mit wachsender Bedeutung für die Bildungseinrichtungen. Natur erfahren und Natur erfahren lernen ist notwendig, um Möglichkeiten im eigenen Lebensumfeld für den Klimaschutz zu erkennen. Umweltorganisationen oder auch Schulen haben damit begonnen Naturerlebnisräume bzw. – gärten einzurichten, um insbesondere Kindern, jungen Menschen in der Ausbildung aber auch Erwachsenen die komplexen Zusammenhänge in der Natur wieder näher zu bringen. Neben einer emotionalen muss auch die rationale Ebene der Naturerfahrung und des Naturerlebens geschult werden, um die Bedeutung des Naturschutzes für den Klimaschutz zu erkennen und ihn in nachhaltiges Handeln umzusetzen.
In Städten mit hohem Grünanteil und einer naturnahen Landschaft im Umfeld der Stadt fühlen sich die Bewohner in der Regel wohler als in dicht bebauten, engen Städten. Subjektives Wohlbefinden in Kombination mit den objektiv gegebenen positiven Wirkungen des Grüns und von Natur auf die Gesundheit ist Voraussetzung für eine gesunde Stadtbevölkerung. Diese nicht neue Erkenntnis hat in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen, da psychische Erkrankungen und Allergien deutlich zugenommen haben. So arbeiten seit zwei Jahren in der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung und Landschaftsbau Fachleute der grünen Branche gemeinsam mit Ärzten an Strategien eines vorsorgenden Gesundheitsschutzes durch Stadtgrün. Auch einige Krankenhäuser und Kliniken haben erkannt, dass grüne Umgebungen für die Gesundung und Behandlung z. B. bei Demenz- und Herz-Kreislauferkrankungen von großem Vorteil sind. Dabei scheint nicht die unmittelbare Wirkung durch den Aufenthalt an frischer Luft der entscheidende Faktor zu sein, sondern psychische Wirkungen und Anreize zur Aktivierung körperlicher und geistiger Fähigkeiten stehen hier mehr im Vordergrund. Naturerleben als Therapie könnte eine sinnvolle Ergänzung zur «weißen Medizin» werden.
Die noch größere Bedeutung von Grün und Natur für die Gesundheit liegt aber derzeit in der Möglichkeit, diese für die aktive Gesunderhaltung zu nutzen. Der Trend zum Sport im Freien nimmt stetig zu und spielt sich nicht mehr im Verein ab, sondern wird individuell allein oder in Gruppen gestaltet. Dabei spielen öffentliche Parks in der Stadt oder schöne Wege durch die freie Landschaft eine besonders herausgehobene Rolle, da sie frei verfügbar und zugänglich sind. Angebote für Sport und Fitness in öffentlichen Parks erhöhen insbesondere bei der jüngeren Generation die Attraktivität der Städte und haben damit auch eine hohe sozial- und strukturpolitische Bedeutung für eine Stadt als Wohn-und Wirtschaftsstandort.
Der Wandel in der Nutzung von Stadtgrün und Natur hat in den letzten Jahrhunderten bis Jahren zu sehr charakteristischen Park- und Landschaftsbildern geführt. Die Auffassungen über Natur haben sich ständig gewandelt und werden heute durch die historischen Parks und Kulturlandschaften dokumentiert und teilweise als Gartendenkmal oder Naturdenkmal geschützt. Immer war die Gestaltung von Park und Landschaft Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung und ihrer kulturellen Grundlagen. Sie waren eine Dokumentation von Macht – auch über die «wilde» Natur – oder auch demokratischer Konsens.
Heute stehen wir vor einer neuen Herausforderung: durch die starken Zuwanderungen in den Städten aus aller Welt, entstehen neue Anforderungen an die Parks und Grünflächen. Der Umgang mit Grün und Natur ist in allen Kulturen sehr unterschiedlich, die Definition von Natur nicht identisch. War der Konsens in den letzten fünfzig Jahren in Deutschland über den Naturbegriff schon nicht einfach herzustellen, so kommt nun eine weitere Herausforderung hinzu. Zugleich treffen die verschiedenen Kulturen primär in den öffentlichen Parks zusammen, die sie jeweils in ihrer gewohnten Weise nutzen – die typischen Bilder sind bekannt. Einen Park für alle Kulturen zu schaffen, einen Konsens im Umgang mit der Natur zu erreichen, ist die größte Herausforderung für die Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur in den nächsten Jahren. Es geht darum, die Natur einerseits vor negativen Veränderungen zu bewahren und sich andererseits den sich ausdifferenzierenden Ansprüchen einer modernen und multikulturellen Gesellschaft zu stellen.
Planung wird in den nächsten Jahren immer mehr zu einem dialogischen Prozess werden müssen, um allen Anforderungen zum Schutz und Entwicklung der Natur sowie zur Befriedigung neuer Nutzungsbedürfnisse einer multikulturellen Gesellschaft zu erfüllen. Die Planer müssen sich noch mehr als bisher mit individuellen und subjektiven Vorstellungen über Natur beschäftigen und in ihre Überlegungen für die Planung integrieren. Insoweit ist dieses Buch eine weitere wichtige Grundlage für Landschaftsarchitekten und Naturschützer.
Heiner Baumgarten