1 Natur aus
psychologischer Sicht
1.1
Einleitung
Warum werden Umgebungen, in denen es Bäume gibt, mehrheitlich bevorzugt? Warum lassen Menschen die Stadt hinter sich und fahren hinaus in die grüne Natur? Warum nehmen sie die Mühe einer weiten Reise auf sich, nur um herbstlich gefärbte Landschaften zu erleben? Warum gehen sie in ihrer Freizeit gern in den Stadtpark? Warum kümmern sie sich so intensiv um ihren kleinen Garten hinter dem Haus? Gibt es möglicherweise ein «Naturbedürfnis», das all diese Vorlieben und Verhaltensweisen erklärt? Falls ja, was hat es mit diesem Bedürfnis auf sich und was geschieht, wenn es nicht erfüllt wird?
Schaut man in die Vergangenheit, so stellt man fest, dass die Natur zu allen Zeiten geschätzt wurde. Wenn auch die Kenntnisse über die «Hängenden Gärten der Semiramis» sehr spekulativ sind, so finden sich doch Darstellungen von Gärten schon bei den Ägyptern, Griechen und Römern, später dann im Mittelalter und in die Neuzeit hinein.
Zur Zeit der Lebensreformbewegung Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hat man nicht bezweifelt, dass es ein Naturbedürfnis gibt. Licht, Luft, Sonne, Wasser und die Schönheit der belebten und unbelebten Natur zu erfahren, sahen die Lebensreformer als elementares Grundbedürfnis an (Baumgartner, 2001).
Heute erklärt man das Bedürfnis nach Natur mit der Naturferne des Menschen, dessen Alltagsleben sich weit überwiegend Natur fern in Innenräumen, Gebäuden und Städten abspielt.
Möglicherweise reicht sogar schon die Andeutung von Natur oder eine «Geste der Natürlichkeit» (Böhme, 1992), um das Bedürfnis nach Natur zu stillen, das der zivilisierte Mensch wegen seiner vorgeblichen Naturferne hat. Diese Geste kann z. B. ein Landschaftsbild im Wohnzimmer, ein Blumenstrauß auf dem Tisch, eine Pflanze auf der Fensterbank oder ein Streifen künstlicher Rasen mit kleinen eingestreuten Plastikblumen auf dem Armaturenbrett des Autos sein.
Auch wenn man ein Naturbedürfnis unterstellt, so ist damit noch nicht geklärt, ob dieses genetisch verankert ist oder ob es die positiven Erfahrungen mit der Natur sind, die das Naturbedürfnis hervor gebracht haben. Weil der Mensch ein weniger von Instinkten gesteuertes, stattdessen ein lernfähiges und auch lernbedürftiges Wesen ist, spricht einiges dafür, dass das Bedürfnis nach Natur erworben wird. Ausgehend von der Lerntheorie kann man sich den Erwerb folgendermaßen vorstellen: Das Aufsuchen von grüner Natur wird durch die unmittelbar erlebten positiven Konsequenzen bekräftigt. Man fühlt sich nach dem Ausflug in die Natur wohler als vorher, man ist erholt und entspannt. Und man beobachtet, dass andere Menschen in die Natur streben, in den Stadtpark gehen oder am Wochenende ins Grüne fahren. Nicht nur das Verhalten wird dabei nachgeahmt, sondern es werden auch noch die Begründungen, Argumente und Bewertungen der anderen übernommen. Beide Lernformen, das instrumentelle Lernen und das soziale Lernen, sind bei der Herausbildung von Bedürfnissen beteiligt.
Menschen messen der Natur Bedeutungen bei, die andere ihr verleihen. Wenn die Natur Bedeutungen hat, dann liegt das nach Ansicht von Knopf (1987) daran, dass die Gesellschaft uns gelehrt hat, ihr Bedeutungen zuzuschreiben. Für die Menschen in den höher zivilisierten Gesellschaften bekommt Natur die Bedeutung einer «Gegenwelt», die mit Ursprünglichkeit, Unverfälschtheit und «Natürlichkeit» assoziiert wird (Wohlwill, 1983; Gebhard, 2001).
Es liegt damit auf der Hand, dass bei einer Betrachtung der Natur aus psychologischer Sicht nicht allein die physische Natur gemeint sein kann. Es sind vielmehr auch die Vorstellungen und Idealbilder von Natur zu untersuchen. Im Unterschied zu den Naturwissenschaften, die die objektiven, unabhängig vom Menschen existierenden Naturphänomene erforschen, kommt bei einer psychologischen Betrachtung der Mensch als Natur Erlebender, als ein auf Natur Reagierender und ein in der Natur Handelnder ins Spiel. Grundlegende Fragen sind, wie Menschen Natur und Landschaft erleben und wie sie sich gegenüber der Natur verhalten. Weil Menschen sowohl in ihren Eigenschaften als auch in ihren Wahrnehmungen, Motiven und Absichten sehr unterschiedlich sind und weil die Natur diverse Erscheinungsformen und Größenordnungen umfasst - sie kann ein Element wie ein Blütenblatt oder eine weite Naturlandschaft sein -, ergibt sich zwangsläufig eine enorme Vielfalt an Mensch-Natur-Beziehungen. Umweltpsychologische Konzepte sind hier von Nutzen, weil sie Ansatzpunkte liefern, diese Vielfalt zu ordnen.
Der Mensch nimmt die Natur wahr und zwar mit allen Sinnen, er reagiert gefühlsmäßig auf Landschaften und Naturphänomene, er eignet sich die Natur an, indem er die natürlichen Ressourcen nutzt und seine Umwelt verändert und «kultiviert». Dass auch die Natur den Menschen beeinflusst, steht außer Frage. Doch sie steigert nicht nur sein Wohlbefinden, sie kann ihn - man denke an Naturkatastrophen - auch vernichten.
Zu einer «Naturpsychologie» gehört im Übrigen nicht nur die Erforschung der Wirkungen der Pflanzen- und Tierwelt, sondern auch die Untersuchung der Wirkungen atmosphärischer sowie extraterrestrischer Einflüsse auf den Menschen (Gifford, 2007). Das vorliegende Buch hat jedoch nicht den Anspruch, dieses gewaltige Spektrum abzudecken. Es befasst sich in erster Linie mit dem Verhältnis des Menschen zur grünen Natur.
Die vielfältigen Themen, die sich aus den Mensch-Natur-Interaktionen ergeben, lassen sich drei Kategorien zuordnen, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist. Im ersten Kapitel geht es zunächst um begriffliche Bestimmungen, um die verschiedenen Arten von Mensch-Natur-Beziehungen sowie um Forschungsansätze und die Methoden, die eingesetzt werden, um Erkenntnisse über das Naturerleben und das Verhalten des Menschen gegenüber der Natur zu gewinnen.
Das zweite Kapitel ist den verschiedenen Arten und Aspekten des Naturerlebens gewidmet. Dass Natur- gegenüber gebauten Umwelten bevorzugt werden, wird anhand verschiedener Untersuchungen geschildert. Den Gründen, warum die Natur so positiv abschneidet, gehen verschiedene Theorien nach. Auch Fragen der Ästhetik und der Erholwirkung von Natur kommen im zweiten Kapitel zur Sprache. Unbestritten ist, dass Theorien, die den Erholungseffekt von Natur erklären können, für den Bereich des Gesundheitswesens von großem Interesse sind. Naturkatastrophen sind ein unmissverständliches Zeichen, dass Natur nicht nur schön und erholsam, sondern auch Angst erregend, gewaltsam, übermächtig und unwirtlich sein kann.
Im dritten Kapitel liegt der Schwerpunkt auf den instrumentellen Mensch-Natur-Beziehungen. Hierunter wird die Nutzung der Natur verstanden. Die Natur ist Mittel zum Zweck, wobei es nicht allein um materielle Nutzungen, sondern auch um immaterielle Nutzungsformen geht. Der Mensch bedient sich der Natur, um ein angenehmes, komfortables und anregungsreiches Leben zu führen, er nimmt sie gezielt in Gebrauch, wenn er Erholung oder Abwechslung nötig hat, und er lässt sich von der Natur anregen und inspirieren.
Es geht weiter im dritten Kapitel mit den Möglichkeiten, Natur als Element der Umweltgestaltung einzusetzen, etwa in der Weise, eine ansprechende und anregungsreiche Umwelt zu schaffen, die für alle möglichen Nutzer, Nutzergruppen sowie die Stadt insgesamt vorteilhaft ist. Die Annahme ist, dass die Stadt durch grüne Natur attraktiver wird, dass sie sich damit das Image einer grünen Stadt verdienen kann. Naturelemente können Bausteine der Gestaltung von Innen- und Außenräumen, Siedlungen und Städten, privaten und öffentlichen Bereichen, Straßen und Plätzen, Parkanlagen, Spielplätzen und Außenbereichen von Schulen und Kindertagesstätten sein.
Im abschließenden vierten Kapitel wird der Frage nachgegangen, wie die Natur vor Übernutzungen, schädigenden Belastungen und ihrer Verdrängung aus dem Lebensraum des Menschen geschützt werden kann. Die Psychologie kann diese Probleme sicherlich nicht allein lösen, denn die Durchsetzung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen bei der Naturnutzung folgen einer anderen Logik, sie sind deshalb nicht oder nicht allein mit den psychologischen Mitteln des Lernens, des Einstellungswandels und der Verhaltensmodifikation veränderbar.
1.2 Natur und
Landschaft - Definitionsansätze
Was ist eigentlich gemeint, wenn von Natur die Rede ist? Diese Frage kann nicht mit einem kurzen Satz beantwortet werden, weil Natur aus verschiedenen Blickwinkeln gesehen werden kann. Immerhin haben die Definitionen etwas Gemeinsames: Natur wird als etwas Umfassendes angesehen, es ist die physis1, ein von Gott geschaffenes Werk2. Natur besteht aus unbelebten und belebten Elementen, sie ist physische Umwelt, die auch ohne den Menschen existieren würde.
Der Mensch tritt auf den Plan, indem er diese objektive physische Welt wahrnimmt, indem er sie zu einem Idealbild stilisiert und mit der Welt, die er selbst gemacht hat, kontrastiert. Natur ist also auch ein Konstrukt, ein Symbol für eine ursprüngliche unzerstörte heile Welt. Die Welt, in der der Mensch lebt, hat sich von diesem Ursprung weit entfernt. Diese unterschiedlichen Auffassungen von Natur schließen sich nicht aus, sie existieren nebeneinander. Natur ist sowohl physische Umwelt als auch eine Vorstellung, die sich der Mensch von der Natur macht.
Um das Verhältnis zwischen Umwelt und Natur zu klären, bietet sich die Einteilung von Hellpach (1924) an, der zwischen drei Arten von Umwelten unterschieden hat: der natürlichen, der sozialen und der kulturellen Umwelt. Diese drei Umwelten hat er folgendermaßen beschrieben (vgl. Hellbrück & Fischer, 1999):
• die natürliche Umwelt setzt sich aus anorganischen und organischen Elementen und Erscheinungen zusammen, die nicht von Menschen herrühren
• die soziale Umwelt besteht aus anderen Menschen, zwischenmenschlichen Beziehungen und sozialen Interaktionen
• die kulturelle Umwelt ist ein Werk der Menschen, das aus produzierten materiellen und immateriellen Dingen besteht, z. B. aus Gebäuden, Städten, Staaten, Sprachen, Schriften, Büchern, Kunstwerken, Gesetzen, Werten, Normen, Religionen und Symbolen.
Natur ist nicht 1:1 mit der natürlichen Umwelt gleichzusetzen. Es ist komplizierter, weil Menschen die Natur verändern, so dass daraus eine kulturell überformte natürliche Umwelt wird. Damit wird die Grenze zwischen natürlicher und kultureller Umwelt unscharf. Beim Thema «Natur» geht es also nicht nur um die natürliche Umwelt im Sinne Hellpachs, sondern auch um erlebte, genutzte und veränderte Natur sowie um Bilder und Konstrukte von Natur.
Natur im Sinne der natürlichen Umwelt in Hellpachs Einteilung existiert von selbst und entwickelt sich nach eigenen Gesetzen (Altman & Chemers, 1980). Mit diesen Gesetzmäßigkeiten befassen sich die Naturwissenschaften. Physik und Chemie sind auf die Erscheinungen und Gesetzmäßigkeiten der unbelebten Natur gerichtet, die Biologie beschäftigt sich mit der belebten, hervorbringenden Natur. Natur ist das Insgesamt an organischer (belebter) und anorganischer (unbelebter) Materie, das kein Produkt menschlicher Aktivitäten und Interventionen ist (Wohlwill, 1983). Unbelebt sind Boden, Wasser, Wetter, Klima, Luft, Sonnenlicht, Atmosphäre, Wärme, Temperatur, Strömungen, chemische Stoffe, kosmische Einflüsse usw., belebte Elemente sind Pflanzen und Tiere, darunter auch der Mensch als biologisches Wesen, als «homo natura» (Riedel, 2001).
Die Pflanzenwelt ist ein Teil der belebten Umwelt. In vielen Fällen ist die grüne Natur gemeint, wenn untersucht wird, warum Natur für den Menschen wichtig ist. Ein hoch geschätztes anorganisches Naturelement ist das Wasser in unterschiedlicher Gestalt z. B. als Brunnen, See oder Fluss.
Natur tritt in unterschiedlicher Gestalt auf. Die Skala erstreckt sich von Mikro- bis Makro-Umwelten. Am unteren Ende befinden sich «molekulare» Naturelemente wie ein Blumenstängel, eine Blüte oder ein Blatt, im Bereich der Makro-Umwelten lassen sich Waldgebiete, Gebirge, der Ozean und die Arktis einordnen, am obersten Ende schließlich der allumfassende Kosmos (Gifford, 2007). Das rechtfertigt es, die Begriffe Natur und Naturumwelt synonym zu verwenden. Bei einer psychologischen Betrachtung von Natur geht es in erster Linie um Naturumwelten mittlerer Größenordnung, die erlebbare Bestandteile des Lebensraums des Menschen sind. Dazu gehören z. B. Bäume, Gärten, Parks, Grünflächen, Seen und Wälder.
Ein charakteristisches Merkmal von Naturumwelten ist deren fortwährender Wandel. Es gibt keinen Stillstand, weil sich Konstellationen und Formen ständig wandeln. Diese Veränderungen können zugleich auch Signale sein. Wolken bewegen sich und signalisieren je nach Art ihrer Bewegung vollkommen unterschiedliche Eindrücke, die von gelassener Ruhe bis zu höchster Dramatik reichen (Hellbrück & Fischer, 1999). Dahin jagende dunkle Wolken kündigen Regen und Sturm an, weiße Wolken auf hellblauem Grund verkünden schönes Wetter. Zyklische Veränderungen mit charakteristischen Begleiterscheinungen sind vor allem der Tag-Nacht-Wechsel, die Aufeinanderfolge der Jahreszeiten und in Küstenregionen Ebbe und Flut. Durch diesen fortgesetzten Wandel wird dem Menschen eine permanente Wachheit und Aufmerksamkeit abverlangt. Der sensorische Input aus der natürlichen Umwelt unterliegt weniger oder nicht der individuellen Kontrolle, das heißt die Reize treffen in ungebremster Intensität auf die Sinnesorgane (Sebba, 1991).
Noch ein weiteres Merkmal ist hier zu nennen, nämlich die die Kraft der physischen Natur, die sowohl in extremen Ereignissen mit katastrophalen Folgen für die Menschen als auch in der ungeheuren Wuchskraft von Bäumen und Pflanzen zum Ausdruck kommt. Hindernisse werden durchbrochen, es bilden sich neue Äste.
Auch wenn manche Pflanzen und Bäume mit ihrer Höhe das menschliche Maß übersteigen, wirken sie nicht erdrückend und einschüchternd wie monomentale hohe Gebäude. Die Wuchskraft der Natur löst eher Bewunderung und Staunen aus.
Noch ein weiteres Beispiel für die Wuchskraft der Natur ist das folgende: Die bei archäologischen Ausgrabungen mit einiger Mühe aufgedeckten Spuren früherer Kulturen würden in kurzer Zeit überwuchert und dann erneut nicht mehr auffindbar sein, wenn die schnell nachwachsende Vegetation nicht immer wieder entfernt würde.
Natur ist auch eine soziokulturelle Konstruktion, das heißt weit mehr als nur physische Umwelt. Jenseits der Natur der Naturwissenschaftler existieren Vorstellungen und Bilder von der natürlichen Umwelt, in denen diese zum Träger von Bedeutungen wird sowie zu einem Idealbild jenseits der Wirklichkeit, das auf eine schöne, bessere Welt verweist, oder zumindest auf eine Welt jenseits des Alltags in gebauten Umwelten. Der Wert der Natur liegt nicht zuletzt auch in ihrem Vermögen, Bedeutungen zu transportieren. Sie ist Symbol für vielerlei (vgl. Knopf, 1987; Romeiß-Stracke, 1996):
• für das Ursprüngliche, Unberührte und eine heile Welt
• für Leben, Lebendigsein, Wachstum und Wandel
• für Kontinuität, Fortdauer, Universalität und Zeitlosigkeit
• für Kraft
• für das Metaphysische und Spirituelle, das über den Menschen und seine Welt hinausweist.
Wie diese Auflistung zeigt, ist Natur gleichzeitig ein Symbol des Wandels als auch der Kontinuität. Die Jahreszeiten bringen einen Wandel mit sich, sie kehren jedoch Jahr für Jahr wieder. Kontinuität und Wandel schließen sich nicht aus. Die Natur als Symbol einer Urkraft verweist den Menschen der mächtigen Natur gegenüber in seine Schranken. Diese Naturbilder sind Vorstellungen, die sich auf die vermuteten Eigenschaften der Natur und auf das Verhältnis des Menschen zur Natur beziehen.
Dieses wird in einer empirischen Untersuchung von Krömker (2004) bestätigt, die versucht hat, diese Naturbilder zu konkretisieren, indem sie Studierenden die Frage stellte, welches Wort für sie am besten Natur charakterisiert. Kulturelle Einflüsse erfasste sie dadurch, dass die Frage an Studierende aus vier Ländern nämlich Deutschland, Indien, USA und Peru gerichtet wurde. Insgesamt am häufigsten wurden mit Natur Wald, Bäume, Pflanzen, Tiere, Wasser und Luft assoziiert, was der Kategorie «Naturelemente» zugeordnet wurde. Das galt für alle Befragten unabhängig vom Land, in dem sie leben. Es ist die Natur als physische Umwelt, die als erstes in den Sinn kommt.
Begriffe wie Leben oder Lebensgrundlage wurden der Rubrik versorgende Funktion von Natur zugeordnet. Aussagen wie «Natur ist ein Geschenk Gottes», «Natur ist der Ursprung» oder «Natur ist Gott», wurden in die Kategorie «Spiritualität» eingeordnet. Äußerungen wie prächtig, großartig oder unbeschreiblich wurden unter «Bewunderung und Staunen» einsortiert.
Von den deutschen Studierenden wurden am häufigsten genannt: Versorgung, Ruhe und Erholung, Ästhetik und Ganzheit. Bei den Studierenden in Indien waren die häufigsten Assoziationen Ästhetik, Spiritualität, Bewunderung und Staunen sowie Versorgung, die in den USA Befragten assoziierten mit dem Wort Natur Ästhetik, Ruhe und Erholung, Bewunderung und Staunen sowie Unberührtheit. Allein bei den Befragten in Peru tauchten unter den fünf häufigsten Nennungen Bedrohung und Schutz sowie das Wort «Umwelt» auf. In Abbildung 1-7 sind die häufigsten Nennungen in Prozent der Befragten pro Land angegeben.
Assoziationen zum Wort «Natur» sind meistens positiv. Dass Natur auch lebensfeindlich und lebensbedrohend sein kann, steht gedanklich nicht an erster Stelle. Der Ländervergleich macht deutlich, dass Naturbilder kulturell geprägt sind. Wie die Natur wahrgenommen wird, ist nicht nur ein psychologisches, sondern ein soziokulturelles Phänomen (vgl. Knopf, 1987).
Naturbilder sind auch deshalb so wichtig, weil sie die maßgebliche Grundlage für das Bestreben sind, die Natur zu bewahren. Nicht die greifbare physische Natur, sondern das Naturbild, die imaginierte Natur, wird zum Gegenbild einer überzivilisierten Welt und zum Ausgangspunkt der Bemühungen, die Natur zu schützen (Böhme, 1989).
Die Natur ist ein unerschöpfliches Thema der Kunst. Sie wird nicht lediglich abgebildet. Der Landschaftsmaler führt eine idealisierte Natur vor, in der Mensch und Natur in Harmonie leben, oder der Künstler zeigt eine andere unbekannte Natur, oder er verwendet die Natur als Symbol und verleiht ihr einen metaphysisch-transzendenten Charakter3.
Wie das Idealbild von der Natur aussieht, hängt von individuellen Einstellungen und Interessen ab. Hunziker (1995) hat vier Idealbilder beschrieben, wobei er den Zusammenhang zwischen der Einstellung zur Natur, ihrer Funktion für die betreffende Person und dem Naturbild aufgezeigt hat (vgl. Tabelle 1-1, S. 22).
Für die Traditionalisten ist die ideale Landschaft einem kulturellen Erbe vergleichbar, das aus historischen Gründen erhalten werden sollte. Das Idealbild ist eine Natur, die so bleibt wie sie schon immer war4- als Idealbild ist sie ein Bestandteil der Kultur. Ebenfalls am Erhalt der Natur interessiert sind die Naturschützer, doch im Unterschied zu den Traditionalisten geht es ihnen um das natürliche Erbe, das es zu bewahren gilt. Für sie ist die Landschaft vor allem Naturreservat. Bedrohte Arten müssen geschützt werden, die Artenvielfalt darf nicht verloren gehen. Das Idealbild der ökonomisch denkenden, wirtschaftlich orientierten Naturnutzer ist dagegen eine Natur, die Gewinne beschert. Für diese Gruppe ist die ideale Landschaft ein fruchtbarer Boden, der hohe Erträge bringt, oder eine besondere Landschaft, die Touristen anzieht. Ein viertes Idealbild ist eine Natur, die eine exzeptionelle Lebensqualität bietet, die das Anderswo repräsentiert, die Welt, in der man, nicht abgelenkt durch die alltäglichen Anforderungen und Ärgernisse, «zu sich selbst» finden kann.
Natur als Gegensatz zur Kultur
Sachverhalte können definiert werden, indem man feststellt, welche Eigenschaften sie nicht besitzen. Die Gegenüberstellung Natur - Kultur ist hier nahe liegend. Hartig & Evans (1993) halten die Kontrastierung von «natürlich» und «gebaut» für den Grundstein, der die umweltpsychologische Theorienbildung angeregt habe.
Kultur ist die von Menschen geschaffene Welt, Natur ist all das, was nicht Kultur ist, was nicht von Menschen stammt und was ohne sie existieren würde. Ein sichtbares kulturelles Produkt ist die gebaute Umwelt, mit der die Menschen die Erde für sich bewohnbar machen. Der Philosoph Heidegger war der Ansicht, dass der Mensch wohnt, wo immer er sich befindet, und dass Wohnen die Art und Weise ist, wie Menschen auf der Erde sind5. Die Anwesenheit von Menschen lässt Kultur entstehen und bringt unberührte Natur zum Verschwinden.
Durch Hervorhebung bestimmter formaler Merkmale lässt sich der Kontrast noch verstärken. Solche akzentuierenden Merkmale sind Eckigkeit und Präzision. Typisch für natürliche Umwelten sind das Fehlen geometrisch genauer rechteckiger Formen und unregelmäßige und unscharfe Übergänge zwischen verschiedenen Elementen (Wohlwill, 1983). Ebenso zeichnen sich natürliche Oberflächen und Texturen durch Unregelmäßigkeiten aus. Natürliche Formen sind weich, abgerundet und nicht klar abgegrenzt (Sebba, 1991). Gebaute Umwelten haben meistens Ecken, sie sind wie mit dem Lineal gezogen. Gerade diese Unschärfe, das Ineinanderübergehen und Ineinanderfließen, hat Künstler inspiriert.
Ein Beispiel ist das Bild «Skagen-Südstrand» des Malers Oskar Herschend (1853-1891), auf dem Land, Himmel und Meer in der Ferne zu einer diffusen Ganzheit zusammen fließen (vgl. Abbildung 1-8).
Allianz von Natur und Kultur
Umweltmerkmale wie unklare Konturen und Unregelmäßigkeiten sind indessen längst kein spezifisches Merkmal natürlicher Umwelten mehr, sondern inzwischen auch in der postmodernen zeitgenössischen Architektur zu finden. Manche Bauwerke sind mit voller Absicht nicht klar konturiert, regelmäßig und auf Dauerhaftigkeit ausgelegt. Fehlende Rechtwinkligkeit und Unregelmäßigkeit bzw. Collage und Dekomposition gehören zu den Gestaltungsprinzipen des postmodernen Bauens6. Ein weiteres Gestaltungsprinzip bei größeren Bauvorhaben ist die «gewachsene» Stadt. Anders als in den 1960-und 1970er Jahren werden heute Stadterweiterungsprojekte Schritt für Schritt realisiert. Dass etwas wächst, ist charakteristisch für Natur.
Wie diese Beispiele zeigen, kommt man mit der Definition von Natur als Gegensatz von Kultur nicht weit. Die Gegenüberstellung ist eine Metapher, die die Unterschiede akzentuiert und künstlich vergrößert. In der Lebenswelt des Menschen sind Natur und Kultur indessen eng miteinander verwoben, denn
• der Mensch ist nicht nur ein Natur veränderndes, sondern auch ein biologisches Wesen
• der Mensch nutzt die Natur und bezieht sie ein, wenn er Kulturumwelten schafft.
Wenn ein Mensch die Stadt hinter sich lässt und sich hinaus in die Natur begibt, hat er nicht wirklich die Natur, sondern eine «Kulturlandschaft», also ein Werk des Menschen, vor sich. Auch der normale Tourist, der weitere Stecken zurück legt, trifft doch nicht auf die Wildnis, eine vom Menschen bislang nicht betretene Natur. Auch er erlebt eine längst veränderte und kultivierte Natur mit durchgeplanten Wegen und Wegweisern, die einen Kompass unnötig machen.
Die Natur hört auf, die ursprüngliche Wildnis zu sein, wenn sie von Menschen betreten und in Besitz genommen wird. Sie verwandelt sich in eine Natur-Kultur-Mischform, der man das Gemachte nicht unbedingt ansieht. Ein Stausee sieht nach vielen Jahrzehnten oder Jahrhunderten aus wie ein natürlicher See. Ein geschützter und gehegter Nationalpark wirkt wie eine natürliche Landschaft. Was dem Menschen als unberührte Natur vor Augen kommt, ist nur in Ausnahmefällen wirklich frei von menschlichen Eingriffen.
Die Menschen fügen sich nicht passiv in ihre Umwelt ein. Es lässt sich anhand prähistorischer Funde nachweisen, dass die Menschen die Landschaft seit mehr als zehntausend Jahren verändert haben (Balling & Falk, 1982, S. 5).
Auch die Ebbe und Flut ausgesetzten Meeresküsten werden durch den Menschen verändert. Ein Beispiel ist in Abbildung 1-10 (S. 25) dargestellt. Ohne menschliche Eingriffe wie z. B. dem Errichten von Buhnen wäre der Küstenstreifen wahrscheinlich schmaler und das Meer weiter vorgedrungen.
Ein Grund für diese Maßnahme ist hier weniger die Landgewinnung als vielmehr die Landerhaltung.
Damit sich bei den Natur-Kultur-Mischformen etwas Stimmiges ergibt, bedarf es, wie Böhme (1989) gemeint hat, der Allianztechnik. Das heißt: Die Natur wird nicht bis zur Unkenntlichkeit umgeformt und in eine kulturelle Umwelt verwandelt, sondern die gestalterischen Eingriffe und Veränderungen fügen sich so ein, dass dabei ein zufrieden stellendes Ergebnis heraus kommt. Ein Beispiel für eine gelungene Allianz ist nach Ansicht Böhmes der englische Landschaftsgarten.
Für die Vermutung, dass sich der Kontrast zwischen Natur und Kultur immer mehr verringert, spricht, dass das «Natürliche» und das «Künstliche» sich nicht mehr ausschließen. Es ist nicht mehr paradox, wenn man heute von einer künstlichen Natur spricht (Böhme, 1992). Der Kontrast zwischen Natur und Kultur scheint aufgehoben. Artefakte, durch menschliche oder technische Einwirkungen entstandene Produkte und Phänomene, sind das Normale, die von Menschen unbeeinflussten natürlichen Dinge und Phänomene stellen die Ausnahme dar.
Die Natur dient jedoch als Modell, das nachgeahmt wird. Es gibt künstliche Pflanzen, sie erscheinen als Schmuckelement und Ornament. Es gibt künstliche Landschaften in unterschiedlichsten Formen, angefangen beim Stadtpark, der wie eine Naturlandschaft aussehen soll, bis hin zu umfangreichen Renaturierungsprojekten in ehemaligen Bergbau-Gebieten.
Wie stellt sich angesichts dieser Szenarien die Zukunft der Mensch-Natur-Beziehung dar? Im Prinzip gibt es, wie der Naturphilosoph Böhme (1992) gemeint hat, neben der Allianztechnik die Supertechnologie, in der der Mensch Technologien entwickelt, die es ihm ermöglichen, die Regie über seine eigene Existenz zu übernehmen und den Naturzustand hinter sich zu lassen.
Gegenwärtig ist sicherlich noch die Allianztechnik vorherrschend. Allianztechnik bedeutet, dass sich natürliche und kulturelle Umwelt eng durchdringen. Eingeschlossen ist dabei auch die Herausbildung eines neuen Mensch-Natur-Verhältnisses, nach dem sich z. B. der Mensch eine Extremlandschaft aneignet und bewohnbar gemacht hat. Es könnte jedoch sein, dass sich in Zukunft die Technologie durchsetzt, die heute noch als Supertechnologie bezeichnet wird.
Zusammenfassend ist festzuhalten:
• die Kontrastierung von Natur und Kultur ist ein strukturierendes Modell, doch in dem Maße, in dem der Mensch die Natur verändert und nutzt, wird die natürliche zu einer kulturellen Umwelt
• die Allianztechnik zielt darauf ab, zufrieden stellende Natur-Kultur-Mischformen zu schaffen
• die heute noch utopisch erscheinende Supertechnologie geht weit über die Allianztechnik hinaus, indem sie es dem Menschen ermöglicht, sich von der Natur zu lösen.
Landschaft ist ein Abschnitt der Erdoberfläche mit Himmel darüber. Es gibt in einer Landschaft immer ein Oben und ein Unten, einen Himmel und ein Stück Erde. Der Himmel ist ein unverzichtbarer Teil, wie Hellpach, einer der ersten Umweltpsychologen, in seiner 1911 erschienenen Schrift «Geopsyche» geschrieben hat.
Wir verstehen also unter Landschaft den sinnlichen Gesamteindruck, der von einem Abschnitt der Erdoberfläche samt dem darüber befindlichen Abschnitt des Himmels im Menschen erweckt wird […]. Dass dieser Himmelsabschnitt dazu gehört, bedarf kaum einer Erörterung; tiefe Bläue ist etwa für die Mittelmeer- und oft für die Hochgebirgslandschaft ebenso bezeichnend wie der blassblaue Himmel für die nordische oder der graue Himmel für die holländische oder bestimmte Wolkengruppierungen für die sommerliche Landschaft (Hellpach, 1911).
Landschaften wie z. B. Inseln und Halligen in der Nordsee sind in dieser Hinsicht typisch. Sie bestehen aus einem Stück flachen Land und einem weiten hohen Himmel darüber.
Begrenztheit ist ein weiteres Merkmal. Landschaften sind Umweltausschnitte, die sich von anderen andersartigen Teilen der Umwelt abheben. So versteht der Geograph Hard (2002) unter Landschaft einen geografisch relevanten Raumausschnitt, nämlich ein abgrenzbares, sich von anderen Gebieten unterscheidendes Gebiet. Eine Berglandschaft hebt sich z. B. von anderen Landschaften dadurch ab, dass sie eine andere Topografie aufweist als die leicht hügeligen Gegenden im Bergvorland.
Zu den objektiven kommen noch subjektive Merkmale hinzu. So ist typisch für Landschaften ihre wahrgenommene Weite. Der Mensch erlebt die Weite der Landschaft, wenn er am Strand steht und fern am Horizont ein Schiff auftaucht. Oder er sieht von einem höher gelegenen Aussichtspunkt auf die weite Landschaft.
Der Eindruck der Weite wird durch vorausgegangene Enge verstärkt. So erscheint die Landschaft als noch ausgedehnter, wenn man aus einem engen Tal in die Ebene hinaustritt (Bollnow, 1963). Weitere Beispiele für die Bedeutung eines solchen Kontrasts für das Erleben von Weite sind:
• Wenn man durch einen dunklen Burghof hindurch gekommen ist und ins Helle tritt und dabei vor sich eine Ebene erblickt, die bis zum Horizont reicht, stellt sich unmittelbar der Eindruck von Weite ein7.
• Um auf einen Aussichtspunkt zu gelangen, muss man häufig erst enge Treppen hinauf steigen, z. B. enge Wendeltreppen in Kirchtürmen. Die Weite, die man dann, schließlich oben angekommen, erlebt, ist umso großartiger.
Landschaft ist ein subjektiver sinnlicher Gesamteindruck (Kianicka et al., 2006). Erst der Mensch macht aus einem Stück Land eine Landschaft, indem er dieses Stück Land als Landschaft wahrnimmt (Freyer, 1966). Landschaft ist also nicht restlos objektiv definierbar.
Die Landschaftswahrnehmung zeichnet sich durch ein zweckfreies sinnliches Erleben aus, denn von Landschaft kann nach Ansicht Hellpachs nur gesprochen werden, wenn der Mensch sie ohne puren Nutzzweck als Sinnerlebnis aufnimmt.
Wann heißen wir ein Stück Erde «Landschaft»? Gewiss nur, wenn wir es sehen […]. Aber auch nicht immer, wenn wir es sehen: der Bauer sieht seinen Acker, den er pflügt, nicht als Landschaft, der Ingenieur ebenso wenig das ungebärdige Wildwasser, das er zu regulieren hat. Nur dann wird die Natur für uns Landschaft, wenn wir sie ohne puren Nutzzweck als hauptsächliches Sinnenerleben hinnehmen oder aufsuchen, als Eindruck auf uns wirken lassen (Hellpach, 1911).
Die Landschaft wird als Ganzheit erlebt (Hard, 2002). Die Teile, aus denen sich diese Ganzheit zusammen setzt, bestimmen den Gesamteindruck bzw. Landschaftstyp. Unterschiedliche Landschaften ergeben sich dadurch, dass bestimmte Elemente überwiegen und andere fehlen.
Landschaft ist ein Begriff, der positive Assoziationen und Vorstellungen von Harmonie, Schönheit, reizvoller Eigentümlichkeit und anregender Vielfalt auslöst. Landschaften sehen wie gemalte Bilder aus. Nur Städte können wie Sodom und Gomorra sein, wohingegen Land und Landschaft die heile Welt mit einer natürlichen Ordnung symbolisieren (Eisel, 1982).
Von der Bildhaftigkeit der Landschaft ist es nicht weit zur Landschaftsmalerei. Diese entwickelte sich im Laufe des 17. Jahrhunderts insbesondere in den Niederlanden als eigenständiges Genre (Hard, 2002). Die Landschaftsbilder verkörperten eine schöne und harmonische Welt8. Die Maler wollten nicht lediglich eine möglichst «naturgetreue» Abbildung der Wirklichkeit schaffen, sondern die Welt in einem positiven Licht erscheinen lassen. Doch diese heile Welt ist eine Idealvorstellung, sie stimmt mit der Wirklichkeit oft nicht überein. Stattdessen trifft man an vielen Stellen auf zerstörte Landschaften. Wie Romeiß-Stracke (1996) konstatiert hat, kann eine Landschaft so unwiederbringlich verbraucht und zerstört werden, dass eine Rückführung in den ursprünglichen oder einen akzeptablen anderen Zustand kaum mehr möglich erscheint.
Im Wort «Landschaft» ist zwar das Wort «Land» enthalten, wobei Land als Gegenteil von Stadt, also die nicht oder nur dünn besiedelte Umwelt, gemeint ist. Wie die Bezeichnung «Stadtlandschaft» zeigt, ist diese ursprüngliche Bedeutung jedoch verloren gegangen. Die dünne Besiedelung oder Menschenleere ist damit kein konstituierendes Merkmal von Landschaft mehr. Die Stadtlandschaft besitzt ebenfalls die formalen Merkmale Vielfalt, Ganzheitlichkeit und Begrenztheit. Die Elemente, die sich zu einem Gesamteindruck zusammen fügen, können also auch Häuser, Straßen, Kirchen, Mauern und Türme sein. Der Begriff der Landschaft wurde so auf die Stadt übertragen, so dass er an Eindeutigkeit eingebüßt hat. Dennoch meint «Landschaft» in den meisten Fällen «Naturlandschaft»9.
Das Thema Landschaft abschließend soll noch eine besondere Landschaft erwähnt werden: die literarische Landschaft. Gemeint sind Orte, Gegenden und Regionen, die in den Dichtungen, Erzählungen und Romanen eines Schriftstellers immer wieder auftauchen, was auf eine starke Verbundenheit mit dem betreffenden Ort schließen lässt10. Die literarische Landschaft des Schriftstellers wird nicht nur durch Einzelheiten wie bestimmte Menschen, die dort leben, und durch bestimmte Dinge und Lokalitäten, sondern durch einen Gesamteindruck geprägt, in dem all diese Einzelheiten zu einer Ganzheit zusammengefasst sind.
Zusammenfassend ist festzuhalten:
• Landschaften bestehen aus mindestens zwei Teilen, einem Stück Erde und dem Himmel darüber; Wolkengebilde allein sind noch keine Landschaft.
• Landschaft ist ein Umweltausschnitt, der sich von anderen Umweltausschnitten abgrenzen lässt.
• Typisch für Landschaft ist wahrgenommene Weite.
• Landschaft ist etwas Zusammenhängendes, die einzelnen Teile werden zu einer Ganzheit zusammen gefügt. Die Landschaft ist mehr als die Summe der einzelnen Teile, aus denen sie sich zusammen setzt. Wolken, Strand und Meer bilden eine Ganzheit.
• Landschaft ist ein sinnliches zweckfreies Erlebnis.
• Landschaft ist bildhaft.
1.3
Mensch-Natur-Beziehungen
Mensch-Umwelt-Beziehungen
Die Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt können auf unterschiedlichen Ebenen analysiert werden. Das Verhältnis zwischen Umwelt und Gesellschaft bezieht sich auf die Makro-, dasjenige zwischen Umwelt und Individuum auf die Mikroebene. Wird z. B. der Zusammenhang zwischen dem Anteil an grüner Natur und dem Wohlstand der Bevölkerung im Stadtteil betrachtet, bewegt man sich auf der Makroebene. Wird dagegen die Ortsverbundenheit der Bewohner in einem grünen und einem nichtgrünen Stadtteil untersucht, hat man es mit einer psychologischen Untersuchung, das heißt der Mikroebene, zu tun.
Komponenten |
Beschreibung der Komponenten |
Umwelt |
physische Umwelt: abgrenzbare räumlich-geographische Einheiten und Orte, die sich in ihrer Größenordnung oder Ausdehnung unterscheiden; ambiente Umwelt: Luft, Wasser, Boden und diffus umgebende Umwelt wie Wetter, Klima, Luft und Lärm |
Mensch |
Kategorien von Personen wie z. B. Kinder, ältere Menschen, Frauen, Männer, Naturfreunde; Nutzergruppen mit unterschiedlichen Interessen und Perspektiven |
Beziehung |
Art der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt, z. B. Umwelt-Wahrnehmung, Umwelt-Erleben, Umwelt-Ästhetik, Umwelt-Orientierung, Umwelt-Kognition, Umwelt-Wissen, Umweltbezogene Einstellungen, Umwelt-bezogenes Handeln, Umwelt-Lernen, Aneignung, Umwelt-Bindung, Ortsidentität |
Zeitdimension |
die drei Komponenten ändern sich über die Zeit hinweg. Zeitliche Aspekte sind Dauer, Häufigkeit und Entwicklung. |
Um Mensch-Umwelt-Beziehungen nachvollziehbar zu beschreiben und zu erklären, sind theoretische Konzepte unverzichtbar, mit denen empirisch überprüfbare Hypothesen über Mensch-Umwelt-Beziehungen formuliert und überprüft werden können. Die Beschreibung von Mensch-Umwelt-Beziehungen beginnt mit der Bestimmung der Umwelt-, der Mensch - und der Beziehungskomponente (Kaminski, 1988). Die Umwelt kann physischer und ambienter Art sein, die Mensch-Komponente kann sich auf objektive und subjektive Persönlichkeitsmerkmale beziehen, die Beziehungskomponente rückt die verschiedenen Arten von Interaktionen zwischen Mensch und Umwelt in den Blickpunkt, wie sie in Tabelle 1-2 (S. 31) aufgeführt sind.
Hinzu kommt noch die Zeitdimension: Mensch-Umwelt-Beziehungen können einmalig und kurz oder auch wiederholt und länger dauernd sein. Sensorische Prozesse und emotionale Reaktionen sind kurzfristige, auf wenige Momente beschränkte Interaktionen. Dauerhafte Beziehungen ergeben sich durch die Fähigkeit des Menschen, aus Erfahrungen zu lernen und Wissen zu sammeln und zu speichern (Schneewind & Pekrun, 1994). Kognitive Karten, die räumliche Orientierung und Wegfindung ohne Zuhilfenahme eines Stadtplans oder einer Wanderkarte ermöglichen, sind gespeichertes räumliches Wissen. Im Gedächtnis aufbewahrt werden auch die in einer Umwelt oder an einem Ort ausgeübten Aktivitäten und die dort erlebten Gefühle (vgl. Genereux et al., 1983).
In dem umweltpsychologischen Grundmodell des Behavior Setting ist die physische Umwelt das «Setting» oder «Milieu». Zum Setting gehören bestimmte Verhaltensmuster bzw. das Programm (Kaminski, 1996a). Die Menschen im Setting sind die Teilnehmer. Mit diesem Konzept lassen sich Zusammenhänge zwischen Umwelt und Verhalten verdeutlichen. Dazu ein Beispiel:
Ein Stadtpark ist ein Behavior Setting mit einem typischen Milieu, zu dem Bäume, Grass, Wasserflächen, Wege und Bänke usw. gehören. Das Sitzen auf den Bänken und das Spazieren gehen der Teilnehmer - der Parkbesucher - sind typische wiederkehrende Verhaltensmuster. Unpassende Verhaltensmuster wären hier z. B. Fußballspielen oder laute Musik hören. Individuelle Eigenschaften spielen keine Rolle, die Menschen im Park sind austauschbar. Die Differenzierung endet bei der Bildung von Gruppen wie Jüngeren und Älteren oder Menschen, die allein unterwegs sind, und Menschen, die in Begleitung in den Park kommen.
Das Behavior Setting-Konzept veranschaulicht die Wechselbeziehungen zwischen Umwelt und Verhalten. Es wird plausibel, warum in einem bestimmten Setting bestimmte Menschen sind, die sich in einer bestimmten Weise verhalten. Wie eng die Verbindung zwischen Milieu und Verhalten ist, haben Genereux und Mitarbeiter (1983) empirisch nachgewiesen, indem sie Versuchspersonen Bilder von verschiedenen Orten, z. B. einer Straße, einem Laden, einer Berglandschaft usw., zeigten und dazu eine Liste von Aktivitäten vorgaben, z. B. ausruhen, essen. Die Versuchspersonen sollten beurteilen, inwieweit die Aktivitäten zu den Orten passen. Wie sich zeigte, sind solche Zuordnungen problemlos möglich, das heißt zu bestimmten Umwelten gehört ein bestimmtes Verhalten.
Zur psychologischen Betrachtung gehört neben der Analyse des Verhaltens, das heißt des Reagierens, Handelns und Tätigseins, insbesondere auch die Erforschung des Erlebens, also sensorischer, perzeptiver, kognitiver emotionaler und motivationaler Prozesse. Landschaften, die man wiederholt aufgesucht und dabei kennen gelernt hat, sind kognitiv repräsentiert, sie sind, mit persönlichen Erlebnissen, Bedeutungen, Aktivitäten und Gefühlen verknüpft, im Gedächtnis gespeichert.
Die Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt sind in den seltensten Fällen einfache Wenn-Dann-Beziehungen, sondern sie sind weit überwiegend vermittelt und indirekt (vgl. Abbildung 1-14). Das Modell der direkten Effekte ist ein stark vereinfachendes Grundmodell, das davon ausgeht, dass das menschliche Erleben und Verhalten unmittelbar von der Umwelt bestimmt wird.
Ein Beispiel für ein schlichtes Wenn-Dann-Modell wäre: Wenn es auf einem öffentlichen Platz Bäume gibt, dann fühlen sich die Anwesenden und die Passanten dort wohl.
Im Modell der vermittelten Effekte gibt es dagegen latente, also nicht beobachtbare Variablen, über die der Zusammenhang zwischen Umweltmerkmalen und dem Erleben und Verhalten hergestellt wird. Die Bäume auf dem öffentlichen Platz werden z. B. von den Stadtbewohnern als wirkungsvolle Maßnahme wahrgenommen, um auf diese Weise die nicht zufrieden stellende Luftqualität zu verbessern. Nicht die Bäume als solche, sondern deren vermuteter Effekt, die Luft zu reinigen, erhöht das Wohlbefinden.
Ein weiteres Beispiel ist die positive Bewertung der Wildnis, bei der das positive Urteil nicht die Wildnis als solche betrifft, sondern die Abwesenheit von Menschen in der Landschaft. Eine Gegend ohne Menschen wird als Wildnis gedeutet (vgl. Stedman, 2003).
Grundsätzlich sind Mensch-Natur-Beziehungen wechselseitig, was aber nicht heißt, dass sie symmetrisch sind: Die Natur kann ohne den Menschen auskommen, nicht aber der Mensch ohne die Natur.
Umweltwahrnehmung
Sinneszellen und Sinnesorgane sind die konkreten körperlichen Verbindungsstellen zwischen Mensch und Umwelt. Wahrnehmen umfasst das sinnliche Empfinden und Erkennen von Dingen, Objekten und Umwelten11. Es ist ein Prozess, bei dem Informationen aus der Umwelt verarbeitet werden. Dazu gehört das Enkodieren, das heißt das Umwandeln der sensorischen Reize in die Sprache des Gehirns, das Speichern im Gedächtnis und das Dekodieren. Enkodierung ist die Bildung mentaler Repräsentationen aus den sensorischen Eindrücken, die zuallererst im sensorischen Gedächtnis gespeichert werden. Nur durch ein solches Sammeln und Aufbewahren kann Wissen kumuliert werden (Schneewind & Pekrun, 1994). Zum Dekodieren gehört das gezielte Abrufen können gespeicherter Information.
Aufeinander folgende sensorische Eindrücke, die beim Erkunden der Umwelt entstehen, können weder sämtlich im Kurzzeitgedächtnis gespeichert noch vollständig weiter verarbeitet werden. Eine Reaktion auf das Informationsüberangebot der Umwelt ist die Selektion etwa in Form des Tunnelblicks, bei dem der Blickwinkel so verengt wird, dass subjektiv am Rande liegende Informationen ausgeblendet werden (Hellbrück & Fischer, 1999). Was dabei aus dem Blickfeld gerät und was nicht, ist individuell unterschiedlich, so dass das, was schließlich wahrgenommen wird, nicht nur von den auf die Sinnesorgane treffenden Reizen abhängt sondern auch davon, welche Reize ausgesondert und welche weiter verarbeitet werden. Die Umweltwahrnehmung ist wegen der größeren Menge an Reizen, die an die Peripherie geschoben werden, individuell viel unterschiedlicher als die Wahrnehmung von Objekten, bei denen weniger am Rande liegt (Ittelson, 1976). Bei der Informationsverarbeitung vergrößern sich die individuellen Unterschiede noch dadurch, dass der im Gedächtnis gespeicherte, individuell unterschiedliche Stand an Erfahrungen die Wahrnehmung beeinflusst. Es kann deshalb nicht verwundern, dass es zu einer objektiven Umwelt viele unterschiedliche subjektive Umwelten gibt. Der eine sieht in einer Landschaft Rotdrosseln und Amseln, der andere Gräser und Moose, ein dritter diverse Gesteinsarten.
Eine besondere Form der Wahrnehmung ist die Kontemplation (Seel, 1991). Es ist ein bewusstes Aufnehmen der äußeren Eindrücke, ein sinnliches Wahrnehmen ohne Bewerten. Frei von irgendwelchen Nutzungsabsichten und Verwertungsinteressen wird die Landschaft betrachtet, wobei sich der Mensch auf die Naturerscheinungen konzentriert, ohne diese mit seiner momentanen Befindlichkeit, seinen persönlichen Belangen, existentiellen Bedürfnissen und wirtschaftlichen Interessen in Verbindung zu bringen. In diesem Sinne ist Kontemplation interesselose Wahrnehmung (Seel, 1991).
Wie Natur auf den Menschen wirkt, hängt davon ab, ob die Natur in seinem Gesichtsfeld auftaucht. Es ist z. B. nicht damit getan, das Umfeld eines Krankenhauses zu begrünen, wenn die Zimmer im Krankenhaus zum Hof liegen, in dem es keinerlei Grün gibt. Der Heilungsprozess wird nur dann beschleunigt, wenn die Natur auch gesehen wird. Wenn den Patienten nicht bekannt ist, dass es einen Klinikgarten gibt, den sie, sofern sie dazu in der Lage sind, aufsuchen können, kann dieser Garten auch nicht in der intendierten Weise wirken (vgl. Whitehouse et al., 2001).
Natur muss erfahrbar sein, um überhaupt wirken zu können. Ein offenes Tor zum Park signalisiert Zugänglichkeit und die Möglichkeit, Natur zu erleben. Ein geschlossenes Tor schließt dagegen aus, es lädt nicht dazu ein, das dahinter liegende Gelände zu besuchen. Ein Park, dessen Tor geschlossen ist, wirkt nicht einladend.
Die Umwelt sendet Reize aus, die von verschiedenen Sinnesorganen und Sinneszellen aufgenommen und enkodiert werden. Vor allem in Naturumwelten werden alle Sinne angeregt: Der Mensch blickt in die weite Landschaft, der Duft der Pflanzen steigt ihm in die Nase, er hört die Vögel singen und die Blätter rauschen, er spürt den harten Felsen unter seinen Füßen.
Wie die Ergebnisse der neurobiologischen Forschung zeigen, hinterlassen Erfahrungen Spuren im Gehirn und zwar in Form gebahnter neuronaler und synaptischer Verschaltungsmuster (Hüther, 2008). Dass dieses Zusammenfügen nicht nur einfach eine Addition der Einzeleindrücke ist, haben Anderson und Mitarbeiter (1983) nachgewiesen. Die Forscher wählten für ihre Experimente zehn Geräusche aus, die typisch sind für Geräusche in Städten, ländlichen Gegenden und Naturlandschaften. Studentischen Versuchspersonen wurden gleichzeitig Bilder und Geräusche dargeboten. Ihre Aufgabe war, den multisensorischen Gesamteindruck auf einer 7-stufigen Skala von sehr negativ bis sehr positiv wieder zu geben.
Wie sich zeigte, fällt die Bewertung ein und desselben Bildes je nach dem begleitenden Geräusch unterschiedlich aus. Die höchsten Skalenwerte erhielt ein Bild von einem Wald, bei dem gleichzeitig der Gesang von Vögeln zu hören war. Wurden stattdessen zu diesem Bild Straßenverkehrsgeräusche eingespielt, verringerte sich die positive Einschätzung der Waldszenen deutlich. Vogelgesang passt zum Wald, Straßenverkehrsgeräusche nicht.
Bemerkenswerterweise wurde der Gesang von Vögeln kontextunabhängig positiv bewertet. Eine städtische Szenerie wird mehr geschätzt, wenn gleichzeitig Vogelgesang zu hören ist, und weniger, wenn gleichzeitig das Geräusch eines Motorrasenmähers ertönt. Der Gesang der Vögel erhöht die Wertschätzung, wobei es weniger darauf ankommt, ob diese akustische Simulation passt oder nicht. Die Schlussfolgerungen sind:
• Städtische Umwelten könnten an Attraktivität gewinnen, wenn man dort Singvögel ansiedeln würde.
• Hauptverkehrsstraßen sollten nicht an Waldgebieten, die zur Erholung aufgesucht werden, entlang geführt werden.
Das Zusammenwirken der Sinne kommt in Bezeichnungen wie warme Farben, schwere Düfte, helle Töne zum Ausdruck. Eine Szene wird als heller wahrgenommen, wenn gleichzeitig hohe Töne zu hören sind (Schönhammer, 2009). Weil insbesondere Naturumwelten alle Sinne anregen, fördern sie auch in besonderem Maße die Entstehung komplexer neuronaler Verschaltungsmuster im Gehirn.
Die aus der Ökologie stammenden Begriffe «Merkwelt» und «Wirkwelt» sind anschauliche Bezeichnungen für die beiden Seiten der Mensch-Natur-Beziehung (von Uexküll, 1909). Umwelten sind für ein Lebewesen Merkwelten, die es wahrnimmt, und zugleich auch Wirkwelten, in denen es agiert und tätig ist. Die natürlichen Grenzen der Merkwelt eines Lebewesen sind durch die ihm verfügbaren Sinnesorgane vorgegeben, seine Wirkwelt wird durch die ihm möglichen Aktivitäten definiert. Die Merkwelt umfasst all das, was ein Lebewesen wahrzunehmen in der Lage ist, die Wirkwelt, was es zu tun imstande ist. Die individuelle Merkwelt des Menschen ergibt sich nicht allein aus den Reizen, die auf die Sinnesorgane treffen, sondern auch aus den darauf folgenden Stufen der Informationsverarbeitung. Was die Wirkwelt betrifft, sind die Verbindungsstellen zur Umwelt die verfügbaren Werkzeuge. Es sind in erster Linie die Hände. Die Füße ermöglichen eine eigenständige räumliche Fortbewegung.
Im Unterschied zu allen anderen Lebewesen ist nur der Mensch in der Lage, seine Merk- und Wirkwelt durch die von ihm entwickelten Instrumente und Werkzeuge weit über das, was seine körperliche Ausstattung ihm ermöglicht, auszudehnen. Mit Mikroskopen und Teleskopen ausgerüstet kann er seine Merkwelt ungeheuer erweitern. Ebenso ermöglichen besondere Werkzeuge, Geräte, Maschinen und motorisierte Verkehrsmittel es ihm, seine Wirkwelt weit über das, was er mit seinen Händen und Füßen bewerkstelligen und erreichen könnte, auszudehnen.
Merk- und Wirkwelt sind keine getrennten Sphären, denn Erleben und Verhalten, Wahrnehmen und Handeln greifen ineinander.
Wenn objektive Umweltbedingungen auf die Verwirklichung von Zielen und Plänen störend Einfluss nehmen, bedarf es kontinuierlicher «regulativer» Anpassung des Handelns an die wechselnden Umstände (Kaminski, 1996b, S. 113).
Umweltpsychologische Begriffe, die das Verflochtensein von Merk- und Wirkwelt bezeichnen, sind «Interaktion» und «Transaktion» (Kaminski, 1996b). Dieses Ineinandergreifen bildet die TOTE- Einheit ab (Miller et al., 1973). Die erste Stufe in dieser Test-Operate-Test-Exit - Kette, das «T», ist der Test, der besagt, dass die Umwelt wahrgenommen und in Bezug auf einen gewünschten oder erwarteten Zustand geprüft wird. Stimmen Wahrnehmung und Erwartung nicht überein, folgt die zweite Stufe, das «O». Die betreffende Person startet eine Operation, um der Erwartung entsprechende Bedingungen herzustellen. Wenn dies geschehen ist, erfolgt ein weiterer Test. Test und Operation folgen solange aufeinander, bis das Ergebnis befriedigt und die Interaktion endet.
Trotz des Ineinandergreifens von Erleben und Verhalten werden der größeren Übersichtlichkeit wegen das Naturerleben -die Merkwelt - und das Verhalten in Bezug auf die Natur - die Wirkwelt - in getrennten Kapiteln abgehandelt. Im zweiten Kapitel wird das Erleben, im dritten Kapitel die Nutzung der Natur in den Fokus gerückt.
Instrumentalität und Spiritualität
Aus instrumenteller Sicht ist die Natur ein Mittel, das der Mensch einsetzt, um mehr Komfort zu haben, Wohlbefinden und Gesundheit zu erlangen und seine Leistungsfähigkeit zu erhöhen oder wieder herzustellen. Ziel ist also nicht allein ökonomische Effizienz, sondern auch eine positive Befindlichkeit (Stokols, 1990).
Dem steht die spirituelle Perspektive gegenüber, die besagt, dass die Natur nicht für den Menschen und dessen Wohl da ist, also nicht Mittel zum Zweck ist, sondern «an end in itself» (Stokols, 1990). Primäres Ziel sei deshalb, die Natur frei von allen Verwertungsinteressen des Menschen als Schöpfung und als Ursprung des Lebens zu bewahren.
Bäume sind aus instrumenteller Perspektive Lieferanten von Holz und Baumaterial, Schattenspender oder «kosmetische» Mittel, um unschöne Gegenden optisch aufzuwerten. Aus spiritueller Sicht sind Bäume Symbol für die Kraft und Beständigkeit der Natur, die in dem hohen Wuchs und einer - im Vergleich zum menschlichen Leben - langen Lebensdauer zum Ausdruck kommt. Mit der instrumentellen Perspektive allein ließe sich die hohe Wertschätzung von Bäumen kaum erklären (Lohr & Pearson-Mims, 2006; Sommer, 2003).
Die spirituelle Perspektive ähnelt der von Stern et al. (1993) beschriebenen biosphärischen Wertorientierung, das heißt der Überzeugung, dass das menschliche Verhalten gegenüber der natürlichen Umwelt Konsequenzen nicht nur für einen selbst und für die Mitmenschen, sondern für den Lebensraum aller Lebewesen auf der Erde hat. Das Interesse an einer hohen Umweltqualität beruht also nicht nur auf egoistischen oder sozialaltruistischen Motiven, sondern rührt auch von der Überzeugung her, dass die Natur ein Wert an sich ist (vgl. Tabelle 1-3, S. 40). Es geht nicht nur um die Vorteile für die Menschen wie die Gewinne, die mit Hilfe einer hohen Umweltqualität erzielt werden können wie etwa höhere Immobilienpreise und Mieten. Die biosphärische Orientierung ist nicht anthropozentrisch, das heißt dass sich der Mensch nicht als Mittelpunkt im Mensch-Umwelt-System sieht, sondern als Teil des Ganzen.
Die biosphärische Perspektive hat Bertolt Brecht in der Figur des Herrn Keuner treffend zum Ausdruck gebracht. Über sein Verhältnis zur Natur angesprochen, lässt Brecht Herrn Keuner sagen:
Ich würde gern mitunter aus dem Haus tretend ein paar Bäume sehen […]. Auch verwirrt es uns in den Städten mit der Zeit, immer nur Gebrauchsgegenstände zu sehen, Häuser und Bahnen, die unbewohnt leer, unbenutzt sinnlos wären […]. Da haben Bäume wenigstens für mich, der ich kein Schreiner bin, etwas beruhigend Selbständiges, von mir Absehendes, und ich hoffe sogar, sie haben selbst für den Schreiner einiges an sich, was nicht verwertet werden kann (Brecht, 1982, Bd. 12, S. 381 ff.)12.
In der Natur fällt es vergleichsweise leicht, sich als Teil eines kosmischen Ganzen zu erleben. Man ist dadurch nicht mehr der bindungslose, «in die Welt geworfene» verlorene Mensch. Über die spirituelle Perspektive ist die Natur mehr als nur eine Umwelt, in der es einem selbst oder auch den anderen Menschen wohl ergeht. Die Natur erleichtert es, eine Beziehung zur Umwelt herzustellen und zwischen sich und der Außenwelt eine Brücke zu schlagen. Sie weckt das Gefühl, mit der Welt verbunden und ein Teil von etwas Größerem zu sein (Mayer et al., 2009).
Emotionen und emotionale Reaktionen
In der «Naturpsychologie» sind Gefühle, Emotionen und emotionale Reaktionen ein wichtiges Thema, denn von den Gefühlen gegenüber der Natur hängt es ab, ob sich ein Mensch überhaupt damit auseinandersetzt, der natürlichen Umwelt zuwendet oder ob er sich abwendet. Die emotionale Reaktion stellt sozusagen die Weichen: Positive Reaktionen haben Zuwendungs- und negative Reaktionen Abwendungsverhalten zur Folge. Emotionale Reaktionen sind unwillkürlich. Gefühle wie Liebe, Hass, Wut, Glück, Fröhlichkeit, Trauer, Ekel, Verachtung, Furcht und Angst sind jedem bekannt; man weiß aus Erfahrung, wovon die Rede ist. Gebräuchliche Bezeichnungen für diese Zustände sind Emotion, Affekt, Gemütszustand, Stimmung und Gestimmtheit. «Affekt» wird sowohl als Synonym für «Emotion» als auch als ein besonders heftiges Gefühl verstanden. Welche Begriffe für welche Erscheinungen verwendet werden, ist nicht einheitlich. Im weitesten Sinne ist Emotion all das, was nicht (kalt) rational ist. Emotion umfasst damit Stimmungen, emotionale Dispositionen, emotionale Reaktionen und affektive Bewertungen (Russell & Snodgrass, 1987). Die schwer greifbaren Emotionen werden greifbarer, wenn man sie in ein Vierfelderschema einordnet, das aus zwei Dimensionen gebildet wird:
• Lust - Unlust
• Erregung- Entspannung.
Emotionen können lustvoll oder unangenehm und unterschiedlich erregend sein (vgl. Abbildung 1-18, S. 42).
Eine hohe Ausprägung auf der Lust-Dimension und eine mittlere Ausprägung auf der Erregungs-Dimension kennzeichnen das emotionale Optimum. Umwelten mit grüner Natur werden nicht nur aufgesucht, weil man sich davon z. B. Erholung oder den Erwerb botanischen Wissens verspricht, sondern weil sie vermutlich eine positive emotionale Reaktion auslösen. Von Umwelten, die Unlust erwecken, wendet man sich ab. Sie werden gar nicht erst näher erkundet (Mehrabian & Russell, 1974). Lustvollen Orten, die nicht übermäßig erregen, aber auch nicht langweilen, wendet man sich unwillkürlich zu.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist, dass Informationen aus der Umwelt im erregten Zustand weniger genutzt werden, vor allem periphere Reize werden ausgeblendet (Easterbrook, 1959). Zu einem «perceptual narrowing» kommt es ebenfalls, wenn sich die Anforderungen erhöhen, z. B. während des Autofahrens in unübersichtlichen Situationen oder bei hohen Geschwindigkeiten (Parsons et al., 1998). In extrem erregenden oder stark beanspruchenden Umwelten, die das individuelle Erregungsniveau in die Höhe treiben, ist eine Reizselektion sehr wahrscheinlich. Der Autofahrer, der während des Fahrens laute Popmusik hört oder sehr schnell fährt, sieht die schöne Landschaft gar nicht.
Emotionen manifestieren sich in der Mimik und Gestik und in körperlichen Vorgängen. Sie gehen mit neurophysiologischen und Körper internen Prozessen einher (Ulrich et al., 1991; Hartig et al., 1991)13. In der physiologischen Emotionsforschung ist man auf die Bedeutung der im Zwischenhirn liegenden Amygdala für das Erleben von Emotionen gestoßen. Dieses mandelförmige Areal ist eine wichtige Schaltstelle, in der Informationen aus allen Sinnesorganen ankommen und zu einem Gesamteindruck zusammengefügt werden (Bear et al., 2007). Die Signale gelangen zuerst in den Thalamus, einer Region im Zwischenhirn, in dem sie in die Sprache des Gehirns übersetzt werden. Von hier aus wird ein Teil weiter zum Kortex geleitet, in dem die Signale genauer analysiert und gedeutet werden, der andere Teil wird direkt zur Amygdala gesendet. Dieser Weg ist kürzer, die Transmission erfolgt rascher als über den Kortex und ermöglicht so eine sehr schnelle Reaktion. Die emotionale Reaktion beruht auf dieser Direktschaltung; sie wird ausgelöst, noch bevor die Signale in allen Einzelheiten verstanden worden sind. Sie erfolgt reflexartig und unterliegt nicht der willentlichen Kontrolle.
Emotionale Reaktionen sind entscheidend für Zuwendungs- oder Vermeidungsverhalten, das heißt dafür, inwieweit sich ein Mensch auf eine Umwelt einlässt. Menschen wenden sich solchen Umwelten zu, die sie als angenehm und lustvoll und zugleich weder als zu schrill und übererregend noch als Einöde erleben (Mehrabian & Russell, 1974). Naturumwelten sind im Normalfall - extreme Naturereignisse ausgenommen - selten Reiz überflutend und auch selten monoton und reizarm. Sie erfüllen damit eine Voraussetzung für Zuwendungsverhalten. In der Natur ist der Mensch seltener einer Reizüberflutung ausgesetzt als in urbanen Umwelten, in denen soziale und sensorische Überstimulation in Form von Beengtheit und Lärm üblich sind. Auch Reizarmut ist in natürlichen Umwelten kaum zu befürchten. Eine vermehrte sensorische Stimulation ließe sich außerdem dadurch erreichen, dass man näher hinsieht und sich den kleinen Dingen zuwendet.
Man sieht und hört vieles, wenn man zu Fuß unterwegs ist, was man nicht wahrnehmen würde, wenn man mit einem schnellen Verkehrsmittel die Natur durcheilt. Der Autofahrer kann umso weniger Details erfassen, je höher seine Geschwindigkeit ist, wohingegen der Fußgänger die Einzelheiten wahrnimmt. In eine auf den ersten Blick monoton erscheinende Küstenlandschaft, die aus einem Stück flachen Land und einem weiten Himmel darüber besteht, kommt Vielfalt, wenn man zu Fuß geht. Dann erst sieht man Muscheln, Wellenmuster am Strand und die Brandung (vgl. Abbildung 1-19). Hinzukommen noch Geräusche wie das Gekreisch der Möwen und das Rauschen des Meeres.
In der «Naturpsychologie» sind emotionale Reaktionen nicht nur wegen ihrer Bedeutung als Weichensteller für Zuwendungs- oder Abwendungsverhaltens wichtig, sondern auch wegen der damit einhergehenden neurophysiologischen Vorgänge, die den Körper in eine Ruheposition zu versetzen vermögen oder aber aktivieren (vgl. Kapitel 2.2).
Naturverbundenheit
Es gibt eine Reihe von Begriffen, die das Phänomen des «Sich mit der Natur verbunden Fühlens» bezeichnen. Parallel dazu wurden Methoden entwickelt, um den Grad der Naturverbundenheit zu erfassen. Allen Konzepten gemeinsam ist, dass sie die Beziehungskomponente betreffen (vgl. Tabelle 1-2). Einige Konzepte wie Empathie und emotionale Ortsverbundenheit beziehen sich auf Umwelten aller Art, andere wie emotionale Affinität gegenüber der Natur oder Verbundenheit mit der Natur sind speziell auf Naturumwelten ausgerichtet.
Die Naturverbundenheit gilt als Einflussfaktor auf das Verhalten gegenüber der Natur. Die Annahme ist, dass die natürliche Umwelt vor schädigenden Eingriffen und vor übermäßigen Belastungen geschützt und ihr Verschwinden aus dem menschlichen Lebensraum verhindert werden kann, wenn es gelingt, die Naturverbundenheit zu stärken und zu festigen. Wichtig sind hier vor allem die dauerhaften Bindungen, denn der Schutz der Natur ist eine langfristige Aufgabe.
Mensch-Umwelt-Verbundenheit
Verbundenheitskonzepte, die sich auf Umwelten aller Art beziehen können, sind Empathie, emotionale Ortsverbundenheit. Ortsidentität und Transzendenzerleben.
Bei dem Konzept der Empathie geht es in erster Linie um die Verbundenheit mit anderen Menschen, das heißt der sozialen Umwelt. So wird unter Empathie meistens das Mitfühlen oder Einfühlen in die Lage und Gefühlswelt einer anderen Person verstanden. Eine empathische Person kann die Gefühle eines anderen Menschen mit und nach empfinden, sich in dessen Rolle hinein versetzen und dessen Gedanken, Gefühle und Handlungen nachvollziehen und voraussagen. Betont wird dabei vor allem die Gefühlsebene. Die Perspektive des anderen wird übernommen, mitfühlend versteht man dessen Befindlichkeit und Gefühlslage (Mehrabian & Epstein, 1972).
Als Grundlage des Wissens über die andere Person, in die man sich hinein versetzt, dienen nicht nur deren Eigenschaften, sondern auch die Merkmale ihrer alltäglicher Umwelt, wobei unterstellt wird, dass diese Alltagswelt der persönlichen Kontrolle unterliegt, so dass aus deren Beschaffenheit auf den dazu gehörigen Menschen zurück geschlossen werden kann. Höge (2003) hat untersucht, inwieweit sich die Besucher eines Museumsdorfs14 in die Lebensumstände der Menschen aus früheren Zeiten einfühlen können, wenn sie deren Alltagswelt vor sich sehen. Das am häufigsten genannte Besuchsmotiv war, Einblicke in das Leben früherer Generationen zu bekommen und diese Information an die jüngere Generation weiter zu geben. Es besteht somit ein historisches Interesse, was man auch so formulieren könnte, dass den Besuchern des Freilichtmuseums an einer empathischen Beziehung zu früheren Generationen gelegen ist. Sie möchten die Menschen, die vor ihnen gelebt haben, verstehen. Das fällt leichter, wenn man die Alltagswelt der früheren Generationen vor Augen hat.
Kern der Empathie ist das Sich in Beziehung Setzen. Es können andere Personen, frühere Generationen, deren Lebenswelt und schließlich auch die Natur sein, mit der man sich in Beziehung setzt. Empathie gegenüber der physischen Umwelt und der Natur unterscheidet sich vom Einfühlen in die Lage und Befindlichkeit einer anderen Person insofern, als es nicht um ein Einfühlen in eine Gefühlslage gehen kann. Es ist vielmehr ein Einfühlen in den Zustand der Umwelt bzw. der Natur und eine Sensibilität gegenüber den Konsequenzen, die menschliches Verhalten für die Umwelt haben kann. Diese Umwelt-Sensibilität beruht nach Ansicht von Chawla (1998) sowohl auf erinnerten Erfahrungen als auch auf Aha-Erlebnissen, in deren Folge die Natur zum Thema wird.
Das Konzept der emotionalen Ortsverbundenheit (= place attachment) gehört zu den umweltpsychologischen Grundbegriffen (Low & Altman, 1992). Es wird damit das Phänomen einer gefühlsmäßigen dauerhaften Anhänglichkeit von Menschen an Orte bzw. Umwelten bezeichnet. Es ist eine positive Bindung zwischen Individuen und ihrer Umwelt (Hunziker et al., 2007). Ein verbreitetes Verfahren, um die emotionale Verbundenheit mit Umwelten zu erfassen, ist die Vorgabe einer Liste von Behauptungen, zu denen auf mehrstufigen Skalen angegeben werden soll, wie zutreffend diese für einen selbst sind. Beispiele für solche Behauptungen sind (vgl. Stedman, 2003):
• Ich habe das Gefühl, dass ich hier wirklich ich selbst sein kann
• Ich vermisse diesen Ort, wenn ich für längere Zeit nicht dort bin
• Ich bin sehr glücklich, wenn ich hier bin
• Es ist der am besten geeignete Ort, um das zu machen, was ich schätze und genieße
• Es ist mein Lieblingsort.
Zu diesen Behauptungen soll man sich nacheinander verschiedene Naturumwelten vorstellen, z. B. eine Alpenlandschaft, einen Nationalpark oder eine Meeresküste, und dann auf einer 7-stufigen Skala den Grad der Zustimmung oder Ablehnung angeben.
Orts-Identität umfasst mehr als nur emotionale Beziehungen. Die Orts-Identität ist ein Bestandteil der Ich-Identität eines Menschen. Zu unterscheiden sind die die synchrone Identität, das heißt die Organisation und Integration einzelner Informationen oder Ereignisse über das eigene Selbst zu einer Ganzheit, und die diachrone Identität, die Erfahrung von Kontinuität, das heißt über die Zeit hinweg trotz mancher Veränderungen ein und dieselbe Person zu bleiben. Wenn die synchrone Identität einem versichert, dass man der ist, in dessen Umwelt man ist, so bestätigt einem die diachrone Identität, dass man der ist, der man gestern war (Fuhrer & Kaiser, 1993). Die Ich-Identität umfasst die soziale Identität, d. h. die Art und Weise der Beziehungen zu anderen Menschen, die nationale Identität, die kulturelle Identität, d. h. die Identifizierung mit der Kultur, der sich ein Mensch zugehörig fühlt, die Orts-Identität und die ökologische bzw. Umweltidentität (environmental identity), die sich durch Erfahrungen mit der Natur herausbildet (Clayton, 2003).
Eine besondere enge kurz dauernde Mensch-Umwelt-Beziehung ist das Transzendenzerleben. Williams & Harvey (2001) haben es beschrieben als
• starkes Gefühl, mit der Umwelt eng verbunden zu sein
• Eindruck, mit der Umwelt zu einer Einheit zu verschmelzen
• neue Sinnerfahrung
• Eindruck von Zeitlosigkeit und völligem absorbiert Sein
• Flow-Erleben, ein Gefühl der Leichtigkeit und Schwerelosigkeit.
Das Transzendenzerleben ist ein sehr positives und tiefes Gefühl. Man ist außerhalb der Zeit, man ist vollkommen in Anspruch genommen, und man fühlt sich leicht. Manche Landschaften sowie bestimmte Naturelemente wie Bäume, Gewässer, ein Sonnenauf- oder Sonnenuntergang fördern das Erleben von Transzendenz, indem sie «kosmische» Gefühle hervorrufen. Transzendenz wird aber auch bei bestimmten Aktivitäten erlebt wie z. B. beim Surfen oder dem Erklimmen hoher Berggipfel.
Mensch-Natur-Beziehungen
In der englischsprachigen Fachliteratur gibt es eine Reihe von Begriffen, denen gemeinsam ist, dass sie die Verbundenheit des Menschen mit der Natur thematisieren. Zu nennen sind hier
• environmental identity (Umweltidentität)
• emotional affinity to nature (Naturliebe)
• connectedness to nature (Naturverbundenheit)
• nature relatedness (Naturbezogenheit).
Umweltidentität
Clayton (2003) hat den Begriff der Identität umschrieben als die Art und Weise, Informationen über das eigene Selbst zu organisieren. Analog zur sozialen, nationalen und kulturellen Identität, bei der die Informationen in Bezug auf die jeweiligen Aspekte organisiert werden, wird bei der «Umweltidentität das eigene Selbst bezogen auf die Natur» organisiert. Der Mensch identifiziert sich mit der natürlichen Umwelt, sie wird zu einem Teil seiner selbst, so dass eine Schädigung derselben zugleich auch eine Beeinträchtigung seiner selbst wäre. Um die Umweltidentität zu erfassen, hat Clayton die Environmental Identity Scale (EID) konstruiert. Es sind verschiedene Behauptungen die durch Angabe eines Skalenwertes, der das persönliche Zutreffen der Behauptung wiedergibt, beurteilt werden. Beispiele sind:
• Ich sehe mich selbst als Teil der Natur an und nicht als getrennt davon.
• Wenn ich aufgeregt, erschüttert oder gestresst bin, fühle ich mich sogleich besser, wenn ich mich eine Weile draußen in der Natur aufhalte.
Ein anschauliches Verfahren, um die Natur bezogene Identität eines Menschen zu ermitteln, haben Davis et al. (2009) ersonnen. Bei der «Inclusion of the nature in the self»- Skala (INS- Skala) werden verschiedene Diagramme vorgegeben, die aus zwei sich mehr oder weniger überlappenden Kreisen bestehen, wobei der eine Kreis die Person, der andere die Natur darstellt (vgl. Abbildung 1-25). Jedes der Diagramme repräsentiert einen Skalenwert. Der Grad der Identifizierung mit der Natur wird graphisch ausgedrückt. Der Skalenwert 7 bedeutet maximale Überlappung zwischen dem eigenen Selbst und der Natur.
Die befragten Personen sollen das Diagramm bezeichnen, welches ihr Verhältnis zur Natur am treffendsten wiedergibt. Bei der Stichprobe der studentischen Versuchspersonen, die Davis und Mitarbeiter befragt haben, lag der Mittelwert bei 4,30, wobei niemand das Diagramm, das den Skalenwert 1 darstellt, angekreuzt hatte, das heißt keine der Versuchspersonen sah sich als autonomes, vollkommen von der Natur getrenntes Individuum an. Wie die Forscher feststellten, korreliert der INS- Wert signifikant mit Umwelt schonendem Verhalten und mit einer positiven Einstellung zur natürlichen Umwelt, was die Bedeutung der Umweltidentität für das Ziel, die Natur zu bewahren und zu erhalten, unterstreicht.
Naturliebe
Gefühle, Stimmungen und emotionale Reaktionen sind etwas Vorübergehendes, was sie von dauerhafteren emotionalen Bindungen unterscheidet. Unter «emotional affinity» haben Kals et al. (1999) ein dauerhaftes Gefühl der Zuneigung und Liebe verstanden. Die emotionalen Affinität gegenüber der Natur lässt sich ganz einfach auch als Naturliebe auffassen. Kals und Mitarbeiter haben betont, dass dieses positive Gefühl bzw. die Liebe nicht mit dem Interesse an Belangen der Natur gleichzusetzen ist. So hat der Naturwissenschaftler ein ausgeprägtes Interesse an den Naturerscheinungen, er muss jedoch die Natur deshalb nicht lieben. Ebenso muss ein Naturliebhaber nicht Naturwissenschaftler sein. Liebe und Interesse sind unterschiedliche Dimensionen. Man kann wissenschaftliches Interesse an der Natur haben, ohne dabei gefühlsmäßig involviert zu sein.
Naturverbundenheit
Mayer & Frantz (2004) und Mayer et al. (2009) haben den Begriff «connectedness to nature» verwendet, um das Gefühl einer engen Verbundenheit mit der Natur zu bezeichnen. Diese Verbundenheit kann dauerhafter oder auch vorüber gehend sein, was die Forscher dazu veranlasste, bei der von ihnen entwickelten Connectedness to Nature Scale (CNS) zwischen einer Eigenschafts- und einer Zustands Variante zu differenzieren. Zur Veranschaulichung sind in Tabelle 1-4 jeweils zwei Items aus beiden Varianten vorgestellt. Die Eigenschafts-Variante bezieht sich auf die dauerhafte, die Zustands-Variante auf die im Moment bestehende Naturverbundenheit.
Die Aussagen sollen auch hier auf mehrstufigen Skalen kommentiert werden, wobei der angekreuzte Skalenwert den Grad der Zustimmung oder Ablehnung anzeigt. In den drei Studien von Mayer und Mitarbeitern korrelierten die beiden Skalen zwar signifikant, doch wiederum nicht so hoch, dass die momentane Naturverbundenheit und die in der Persönlichkeit verankerte Haltung der Natur gegenüber identisch wären.
Man kann sich mit der Natur mehr «mit dem Kopf» oder aber mehr «mit dem Bauch» verbunden fühlen. Auf der einen Seite stehen die Naturwissenschaftler mit ihrem nüchtern-sachlichen Naturinteresse, auf der anderen Seite die Naturliebhaber, für die die Natur ein wundervoller und lustvoller Ort ist (vgl. Kals et al., 1998). Im Mittelbereich zwischen den beiden extremen Ausprägungen, einer betont rationalen und einer betont emotionalen Haltung, fällt die Trennung schwerer. Zum Beispiel sind Mayer und Mitarbeiter der Ansicht, mit der CNS die emotionale Naturverbundenheit zu erfassen, was Perrin & Benassi (2009) bestreiten, die die CNS für ein Instrument halten, um die rational-kognitive Naturverbundenheit zu ermitteln.
Ähnlich wie Stern et al. (1993) haben Schultz et al. (2004) zwischen drei Formen der Verbundenheit mit der Natur unterschieden (vgl. Tabelle 1-3). In der von ihnen entwickelten Environmental Motive Scale wird zwischen einer egoistischen, einer altruistischen und einer biosphärischen Motivation differenziert. Auf eine egoistische Motivation wird geschlossen, wenn Aussagen wie «meine Zukunft» oder «meine Gesundheit» als wichtig oder sehr wichtig eingestuft werden, eine altruistische Haltung kommt in der Vorrangigkeit von Aussagen wie «die künftigen Generationen» oder «Kinder» zum Ausdruck, biosphärische Aussagen beziehen sich auf Pflanzen und Tiere sowie die Natur in ihrer Gesamtheit. Ein weiteres indirektes Verfahren, das Schultz et al. entwickelt haben, um die Naturverbundenheit einer Person zu messen, ist ein Assoziationstest, bei dem die benötigte Reaktionszeit, um Wörter zu klassifizieren, gemessen wird. Wortkategorien sind «natürliche Umwelt/ gebaute Umwelt» und «Ich/Nicht-Ich». Kürzere Reaktionszeiten bei Kombinationen von Wörtern zu den Kategorien «Natur» und «Ich» werden als Zeichen von Naturverbundenheit interpretiert.
Naturbezogenheit
«Nature relatedness»(= NR) ist ein weiteres Konzept, das den Mensch ins Verhältnis zur Natur setzt. Nisbet et al. (2009) sehen NR als relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal an, das über die Zeit und über verschiedene Situationen hinweg relativ konstant ist, wobei sich jedoch Veränderungen der Umweltbedingungen in der NR niederschlagen können. Zur Erfassung der NR entwickelten Nisbet und Mitarbeiter einen Fragebogen, mit dem drei Dimensionen erfasst werden: die Umweltidentität, Überzeugungen und Einstellungen in Bezug auf die Natur und Naturerfahrungen. Beispiele zu den drei Dimensionen sind die Aussagen: Mein Verhältnis zur Natur ist ein wichtiger Teil von mir selbst; die Bedingungen der nichtmenschlichen Lebewesen sind ein Indikator der Zukunft des Menschen; mein idealer Urlaubsort ist die weit entfernte Wildnis.
Aneignung ist ein zentrales umweltpsychologisches Konzept (Graumann, 1996). Aneignen ist Ziel gerichtetes Tun, bei dem die Umwelt mehr oder weniger umgeformt wird. Geht man von dem Konzept der Merk- und Wirkwelt aus, von dem bereits oben die Rede war, dann bezieht sich Aneignung auf die Wirkwelt, das heißt auf die Aktivitäten des Menschen bezogen auf die Umwelt. Der Mensch, der sich die Umwelt aneignet, wirkt auf die Umwelt ein.
Auch Böhme (1989), der Philosoph, hat mit Aneignung alle Handlungen bezeichnet, bei denen Menschen Umwelten verändern. Dies kann mit unterschiedlicher Gründlichkeit geschehen. So geht der Gestalter eines englischen Landschaftsparks von der vorgefundenen Natur aus, die er lediglich etwas ordnet und zurückschneidet. Der französische Park ist dagegen eine architektonische Tat, eine Durchgestaltung unter Einbeziehung der Gebäude. Ständiges Beschneiden der Bäume und Pflanzen ist erforderlich, um die gewünschte Form zu erhalten. Im englischen Landschaftspark lässt man die Natur wachsen, die Aneignung ist moderater.
Graumann (1996) hat den Bedeutungshorizont des Begriffs erweitert, indem er zur Aneignung auch Handlungen zählt, die keine sichtbaren physischen Spuren und Veränderungen in der Umwelt hinterlassen. Solche kognitiven Formen der Aneignung sind das Beschreiben, Benennen und Kategorisieren von Naturphänomenen, z. B. werden Stürme und Hurrikane15 mit Namen versehen, Pflanzen kategorisiert oder Erdbeben nach ihrer Stärke eingeteilt.
Die Natur wird bei den kognitiven Aneinungsformen nicht physisch nicht verändert.
Eine besondere Form der Aneignung ist die Domestikation von Tieren. Aus wilden Pferden werden durch Zähmung und Zucht Reittiere, mit denen man auch unmotorisiert größere Entfernungen überwinden kann.
Der Mensch verwandelt durch sein aneignendes Handeln physischen in psychologisch bedeutsamen Raum, er macht aus geografischem «space» einen persönlichen «place»16. Places sind psychologisch bedeutsame Umwelten, die mit spezifischen Verhaltensweisen, Einstellungen, Erwartungen und Gefühlen sowie der eigenen Lebensgeschichte verknüpft sind (Low & Altman, 1992; Hunziker et al., 2007; Stedman, 2003). «Personalisierung» bezeichnet personspezifische Veränderungen von Umwelten (Graumann, 1996), aus denen auf die Eigenschaften und Vorlieben eines Menschen zurück geschlossen werden kann.
Kognitive Aneignung bewirkt, dass der Mensch die Umwelt begreift und versteht. Dagegen sind die Ziele der Umwelt verändernden Aneignung, die Umwelt funktionaler bzw. gebrauchsfähiger zu machen und darüber hinaus durch Erzeugung von Spuren zwischen sich selbst und der Welt eine Brücke herzustellen (Boesch, 1991), das heißt, sich sichtbar zu verwirklichen. Die Bedeutung des eigenen Gartens rührt nicht zuletzt daher, dass er die Möglichkeit bietet, solche Spuren zu erzeugen (vgl. Kapitel 3.3, S. 145).
Aneignung hat demnach nicht nur mehr oder weniger Auswirkungen auf die Umwelt, sondern auch auf den Menschen. Diese Änderungen müssen nicht sichtbar sein. Zum Beispiel ändern sich die Einstellungen, weil es schwer fällt, etwas nicht gut zu finden oder abzulehnen, wozu man selbst beigetragen hat. Von dieser aus der Dissonanztheorie ableitbaren Hypothese sind Sommer und Mitarbeiter (1994) ausgegangen, als sie den Effekt der Bewohnerbeteiligung beim Pflanzen von Bäumen untersucht haben. Die Gelegenheit, den Einfluss des aktiven Mitmachens zu ermitteln, ergab sich in der Stadt Sacramento in Kalifornien, in der eine Baumpflanzinitiative gegründet wurde mit dem Ziel, zehn Jahre lang in der Region jährlich 50 Tausend neue Schatten spendende Bäume zu pflanzen. Diejenigen, die aktiv bei der Baumpflanzaktion mitgemacht hatten, waren mit der Nachbarschaft zufriedener, sie fanden ihre Wohnumgebung attraktiver und freundlicher und hatten weniger Interesse wegzuziehen. Ihre Einstellung zu den gepflanzten Bäumen war signifikant positiver als die Einstellung der Bewohner, bei denen eine Entwicklungsgesellschaft die Aktion in die Hand genommen hatte. Nach Ansicht der Forscher ist es deshalb ein falscher Ansatz, in einem Wohngebiet Bäume zu pflanzen, ohne den Bewohnern die Möglichkeit zu geben, sich aktiv daran zu beteiligen.
Der «sense of place»
Die Bedeutung eines Ortes hängt von den Aktivitäten ab, die dort ausgeübt werden, und von den Gefühlen, die mit diesem Ort assoziiert sind. Wie wichtig das Verhalten als «Bedeutungsträger» ist, zeigt sich daran, dass von einem Ort häufiger im Gedächtnis bleibt, was man dort gemacht hat als die architektonischen Details (Genereux et al., 1983). Das, was ein Mensch dort tut, gibt dem Ort einen bestimmten Sinn, den «sense of place». Eine weitere Dimension von «places» sind die mit diesem Ort verbundenen Gefühle.
Was genau mit sense of place gemeint ist, wird sichtbar, wenn es im Rahmen einer empirischen Untersuchung erforderlich ist, das Konzept konkret zu definieren. Kaltenborn (1998) hat z. B. sieben Items verwendet, um den sense of place der Bewohner Spitzbergens, einer Inselgruppe in der Arktis, zu ermitteln. Von den Befragten sollten folgende Aussagen daraufhin beurteilt werden, inwieweit sie für sie zutreffen:
• Ich fühle mich mit Spitzbergen verbunden
• Ich habe das Gefühl, dass ich hierher gehöre
• Es gibt Bereiche, die ich als Teil von mir selbst empfinde
• Was in Spitzbergen passiert, ist wichtig für mich
• Ich erlebe Spitzbergen als eine für mich wichtige Welt
• Ich erlebe Spitzbergen als persönlich bedeutsam
• Ich möchte dazu beitragen, dass Spitzbergen an Wohn- und Umweltqualität gewinnt
• Ich bin bereit, zum Vorteil Spitzbergens Zeit und Geld zu investieren.
An die Stelle von «Spitzbergen» lässt sich, um den jeweiligen sense of place zu erfassen, jeder beliebige Ort setzen, es kann ein Land, eine Stadt, ein Stadtteil oder die unmittelbare Wohnumgebung sein.
1.4 Modelle und
methodische Ansätze der naturpsychologischen Forschung
Wie gelangt man zu tragfähigen generalisierbaren Erkenntnissen, wie sich Menschen ins Verhältnis zur Natur setzen, wie sie die Natur erleben, wie sie diese nutzen und in ihre gebauten Umwelten einbeziehen? Man benötigt zum einen eine theoretische Basis, um Mess-, Beobachtungs- und Befragungsdaten in einen Gesamtzusammenhang bringen zu können, und zum anderen Methoden, um verlässliche und zutreffende Daten zu gewinnen. Die Theorien, auf die man in der umweltpsychologischen Forschung zurückgreift, haben meistens nur eine mittlere Reichweite, sie erklären nur einen Ausschnitt wie z. B. den Erholeffekt von Natur oder warum eine Landschaft als schön erscheint oder wie Menschen Naturkatastrophen bewältigen.
Wie Untersuchungen angelegt und durchgeführt werden, hängt davon ab, von welchem Bild des Menschen ausgegangen wird. Insgesamt gibt es die in Tabelle 1-5 dargestellten Möglichkeiten (vgl. Zube et al., 1982):
• experimentell-psychophysischer Ansatz
• psychologisch kognitiver Ansatz
• humanistisch-umweltpsychologische Ansatz.
Weil diese Menschenbilder wichtig und leitend für die Forschung und die Planungspraxis sind, sollen diese vier Ansätze im Folgenden noch etwas näher betrachtet werden.
Der Expertenansatz
Experten meinen zu wissen, was die Stadtbewohner brauchen, die dementsprechend «versorgt» werden, so auch mit grünen Freiflächen. Sie erwarten, dass ihre Entwürfe angenommen werden. Zugrunde liegt das Bild des Menschen, der auf die von Fachleuten gestaltete Umwelt plangemäß reagiert. Erwartet wird z. B., dass er die angelegten Wege in der städtische Grünanlage nutzt. Dass dieses Bild des passiv reagierenden Menschen zu einfach ist, zeigt das Beispiel des Trampelpfads, der nicht geplante Weg, der aus der Sicht der Nutzer rational ist, weil es die kürzeste Verbindung ist (vgl. Abbildung 1-24).
Der Expertenansatz verzichtet auf die Mühen empirischer Forschung; Verhaltensbeobachtungen und Befragungen von Versuchspersonen, von Nutzern und Nicht-Nutzern, Stadt- und Dorfbewohnern, Frauen und Männern, Kindern und Älteren, Touristen und Einheimischen usw. entfallen. Stattdessen wird die Planung und Gestaltung von Fachleuten direkt nach bewährter Manier in Angriff genommen, oder es finden zuvor noch fachinterne Ideen- und Realisierungs-Wettbewerbe statt.
Der Experten-Ansatz ist «ökonomisch», er führt rascher zu planerischen Entscheidungen. Dass sich die Nutzer dann mitunter doch anders verhalten als geplant, wie das Beispiel des Trampelpfads zeigt, steht auf einem anderen Blatt. Die Experten beziehen sich auf ihr Fachwissen, wenn sie ihre Entwürfe und ihre Urteile begründen. Ihre Kriterien, warum etwas schön und richtig ist, sind z. B. die formale und abgewogene farbliche Gestaltung, die Verwendung einheimischer Pflanzen und die Topografie. Als Vorteil gilt, dass Experten nicht persönlich involviert und nicht emotional «vorbelastet» sind. Die Aussagen von Nicht-Fachleuten sind dagegen individuell unterschiedlich, kaum abgewogen, reichlich emotional und aus der Sicht Außenstehender oftmals nicht nachvollziehbar.
Der experimentell-psychophysische Ansatz
Das psychophysische Modell sieht vergleichbar dem Expertenansatz den Menschen als Empfänger von Reizen aus der Umwelt, auf die er in einer bestimmten Weise reagiert. Ziel ist, die gesetzmäßigen Relationen zwischen Reizen und Reaktionen zu bestimmen. Dabei bleiben die internen psychischen Prozesse ausgeklammert. Es ist ein klassisches behavioristisches Modell, das sich um das Innere der Black Box17 - also das, was innerpsychisch zwischen Reiz und Reaktion stattfindet - nicht weiter kümmert. Einstellungen, Motive, Gefühle und Persönlichkeitseigenschaften bleiben als Einflussfaktoren unberücksichtigt, so dass es ausreicht, die Reaktionen austauschbarer Versuchspersonen auf systematisch variierte Reizmuster, die verschiedene Varianten von Natur repräsentieren, zu registrieren, um die Reaktionen auf Natur zu erforschen. Die Forschung findet im psychologischen Labor statt, in dem ein Versuchsleiter Reize unter kontrollierten Bedingungen darbietet. Reize sind z. B. Bilder mit verschiedenen Naturszenen oder mit unterschiedlichen Baumarten, Reaktionen sind die Leistungen der Versuchspersonen in Tests oder körperliche Vorgänge, die gemessen werden. Beispielsweise werden mit Hilfe spezieller Geräte die Blickbewegungen beim Anblick eines Schulhofs mit und ohne Bäume registriert (vgl. Rittelmeyer, 1994).
Der psychologisch-kognitive Ansatz
Das psychologische bzw. kognitive Modell ist weiter gefasst, indem es die Prozesse zwischen Reiz und Reaktion nicht einfach ausklammert. Der Mensch wird jetzt nicht mehr wie noch im psychophysischen Modell als ein bloß Reagierender angesehen, sondern als aktiv damit beschäftigt, die Fülle an Reizen aus der Umwelt zu Sinn machenden Informationen zu verarbeiten. Das Bild von der Umwelt ist somit kein getreues Bild der objektiven Umwelt. Unterschiedliche Reaktionen werden erklärbar, sie sind nicht mehr nur Messfehler, sondern kommen durch eine unterschiedliche Informationsselektion und durch differierende Bewertungen zustande. Im Unterschied zum psychophysischen Modell wird im psychologischen Modell die Black Box «erhellt». Innerpsychische Vorgänge wie Wahrnehmungen, Emotionen, Einstellungen, subjektive Normen und Absichten werden als Einflussfaktoren des Naturerlebens untersucht. Doch der Mensch ist in diesem Modell noch unbeweglich. Er nimmt die Informationen aus der Umwelt von einem Standort aus auf. Dieser feste Ort ist meistens das Forschungslabor, in dem der Mensch in der Rolle der Versuchsperson Bilder von Naturszenen dargeboten bekommt, die er auf mehrstufigen Skalen beurteilen soll.
Den meisten empirischen Untersuchungen, die sich mit Mensch-Natur-Beziehungen befassen, liegt dieses Modell zugrunde, in dem der Mensch als ein aktiv tätiges, Informationen verarbeitendes Lebewesen aufgefasst wird, das aus der Fülle des sensorischen Inputs eine individuelle Auswahl trifft. Je informationsreicher die Umwelt ist, umso stärker schlägt die Reizselektion zu Buche und umso verschiedenartiger sind die individuellen Eindrücke.
Die Auswahl geschieht an zwei Stellen, die Brunswik (1956) in seinem «Linsen-Modell» (lens model) markiert hat. In Abbildung 1-25 wird sein Modell am Beispiel der Wahrnehmung der Schönheit einer Landschaft veranschaulicht. Wie man sieht, geht von der Umwelt ein «Fächer» an Hinweisreizen aus, die von der betrachtenden Person am Ende zu einem Gesamturteil zusammengeführt werden.
Brunswik unterscheidet zwischen distalen und proximalen Reizen. Distale Reize sind objektiv messbare Merkmale wie die Zahl der Bäume oder die Höhe der Berge, proximale Reize sind die von einem Betrachter wahrgenommenen Merkmale. Mit der Unterscheidung zwischen distalen und proximalen Umweltmerkmalen lassen sich nicht nur die Unterschiede zwischen den individuellen Eindrücken, sondern auch zwischen verschiedenen Methoden erklären. Man kann die objektiven oder die wahrgenommenen Umweltmerkmale erfassen, was die Unterscheidung von TEA und OBEA zum Ausdruck bringt (vgl. Gifford, 2007). TEA ist die Abkürzung für Technical Environmental Assessment, OBEA bedeutet Observer-Based Environmental Assessment. TEA ist eine Methode, die zum psychophysische Modell passt, OBEA ist erforderlich, wenn man etwas über das Erleben herausfinden und Aufschlüsse darüber bekommen möchte, warum z. B. eine bestimmte Landschaft gegenüber einer anderen bevorzugt wird. OBEA basiert auf proximalen Reizen, einer individuellen Auswahl aus der Menge der distalen Reize, TEA bezieht sich auf distale Reize.
Die Verwendung von Skalen ist eine gebräuchliche Methode, um subjektive Eindrücke und Bewertungen zu erfassen und zu quantifizieren. Die Vorgabe von Skalen enthebt die Versuchspersonen der Mühe, aus der Menge an Umweltmerkmalen proximale Reize auswählen, die die Grundlage ihrer Bewertungen bilden. Ein solches Merkmale ist z. B. Schönheit. In der Versuchsanordnung sieht das so aus, dass Bilder mit Landschaftsszenen auf einer Skala von 1 = sehr hässlich bis 10 = wunderschön beurteilt werden sollen.
Um die subjektiven Eindrücke noch etwas umfassender und differenzierter zu ermitteln, benötigt man mehr als ein Merkmal. Dies wird im aus mehreren Skalen bestehenden Semantischen Differential berücksichtigt. Dabei kann sowohl die Zahl der Skalen als auch die Zahl der Abstufungen variieren. In dem in Tabelle 1-6 dargestellten Beispiel sind es 18 Merkmale, deren Ausprägungsgrad auf 7-stufigen Skalen abgebildet wird. Jede Person produziert ein eigenes Polaritätsprofil, wenn sie Dinge, Umwelten oder Landschaften beurteilt.
Die Merkmale im Semantischen Differential sind proximalen Reizen vergleichbar. Die distalen Reize legt der Versuchsleiter fest, indem er bestimmte Bildszenen auswählt. Je einfacher und reduzierter die Szenen sind, umso weniger Möglichkeiten haben Versuchspersonen, sich aus diesen Vorgaben bestimmte Aspekte auszuwählen.
Ein Beispiel für ein solches schematisiertes Reizmuster ist in Abbildung 1-26 dargestellt. Mit solchen vorgegebenen Mustern fand Stamps (2000) heraus, dass sich der Eindruck der Massigkeit eines Gebäudes durch Bäume vor dem Haus verringern lässt.
Der humanistisch-umweltpsychologische Ansatz
Das umweltpsychologische Modell, von Zube et al. (1982) als humanistischer Ansatz bezeichnet, ist wirklichkeitsnäher. Denn nunmehr verharrt der Mensch nicht mehr an einem Ort, an dem er die aus der Umwelt eintreffenden Reize zu einem subjektiven Bild verarbeitet, sondern er ist unterwegs. Er erlebt, während er sich fortbewegt, die ihn umgebende Umwelt von verschiedenen Blickpunkten aus. Schon Kleinkinder beginnen, sobald sie krabbeln können, ihre Umwelt und die darin befindlichen Dinge zu erforschen und zu «begreifen». Die Erkundung der Umwelt bleibt ein Leben lang ein zentrales Mobilitätsmotiv, auch wenn es in der Verkehrsplanung leicht aus dem Blick gerät, weil man sich allzu zu sehr auf das Transportmotiv konzentriert. Gerade das Erkundungsmotiv ist jedoch für das Naturerleben wichtig. Der Ausflug in die Natur erfolgt nicht selten aus diesem Grund.
Das umweltpsychologische Modell geht vom Bild eines Menschen aus, der aktiv ist, um sich einen Eindruck von seiner Welt zu verschaffen. Um dem Modell Rechnung zu tragen, sind die Forschungsmethoden entsprechend offen angelegt. Eine Methode, die bereits einigen Spielraum lässt, ist die Vorgabe von Adjektiv-Checklisten, aus denen sich die befragten Personen diejenigen Eigenschaften auswählen, die ihnen persönlich zu dem zu beurteilenden Gegenstand am zutreffendsten erscheinen. Ein anderer offener Ansatz sind grafische Verfahren. Man bittet z. B. eine Stichprobe von Stadtbewohnern, eine kognitive Karte von einem Stadtteil zu zeichnen und dann auf dieser Karte die Punkte zu markieren, die für sie von besonderer Wichtigkeit sind. Solche markanten Punkte können eine Grünanlage, eine Allee, ein höher gelegener Ort, von dem aus man einen schönen Ausblick hat, oder ein mit Bäumen gesäumter Platz sein, auf dem man sich gern, auf der Bank sitzend, aufhält. Die Auswertung könnte so aussehen, dass festgestellt wird, ob die markanten Punkte überdurchschnittlich oft Orte mit Bäumen und anderen Naturelementen sind.
Offene Befragungsmethoden hat Hunziker (1995) eingesetzt. In einer Region in der Schweiz, in der nicht mehr als Weideland genutzte Gebiete wieder aufgeforstet werden, führte er offene Interviews durch. Den Befragten wurden während einer Rundfahrt an verschiedenen Orten offene Fragen gestellt, um ihre augenblicklichen Eindrücke und Gefühle zu erfassen. Dabei gab der Interviewer lediglich Denkanstöße. Den Interviewten war es frei gestellt, wozu sie sich äußerten und worüber sie berichteten.
Typisch für die Verfahren, die auf dem umweltpsychologischen Ansatz basieren, ist ihre Offenheit. Die Fragen werden offen formuliert, so dass die Beteiligten frei in ihrer Entscheidung sind, welche Aspekte sie aufgreifen und welche sie weglassen wollen. Sie generieren und strukturieren das Forschungsfeld selbst (Kupritz, 1998; 2001). Wenn z. B. die Frage lautet, was einen dazu veranlasst, ins Grüne zu fahren, dann bleibt es der befragten Person überlassen, diejenigen Push- oder Pullfaktoren zu nennen, die ihr selbst in den Sinn kommen. Mit solchen offen gestellten Fragen können Themen identifiziert und Anhaltspunkte gewonnen werden, welche Merkmale der Umwelt einer Person wichtig sind, was sie anstrebt und was sie als handlungsfördernd oder als hinderlich bei der Verfolgung ihrer Ziele ansieht.
Auch Krömkers (2004) Untersuchung, in der sie Studierenden die Frage gestellt hat, welches Wort für sie am besten «Natur» charakterisiert (vgl. Kapitel 1.2), liegt das umweltpsychologische Modell zugrunde. Die Offenheit ihrer Fragen lässt den Befragten Spielräume, so dass sich in ihren Aussagen all das widerspiegeln kann, was für sie wichtig und nennenswert ist.
Hier drängt sich unweigerlich die Frage auf, welchen Wert denn überhaupt die Laborforschung hat, die im Rahmen des psychophyischen und des psychologischen Modells betrieben wird. Versetzt man Menschen in eine künstliche Umwelt, wie es das psychologische Forschungslabor zweifellos ist, und lässt sie von einem festen Standort Bilder von Umwelten beurteilen, entfällt sowohl die Erkundungsphase mitsamt der individuellen Auswahl der Orte und Wege als auch das Umgebensein von Umwelt, die alle Sinne anregt. Dass man jedoch auch mit einer solchen doppelten Reduzierung zu gültigen Ergebnissen gelangt, hat Ziesenitz (2010) nachgewiesen: Ein Videofilm mit Naturbildern hatte in ihrer Untersuchung einen ähnlichen Erholeffekt wie ein Spaziergang in der realen Natur. Das bedeutet, dass Untersuchungen im Forschungslabor mit simulierter Natur durchaus zu gültigen und aussagekräftigen Ergebnissen über die Wirkungen von Natur führen können.
Charakteristisch für die Wirklichkeit ist auch der Wandel, die Veränderungen von Mensch, Umwelt und Mensch-Umwelt-Beziehungen im Laufe der Zeit. Mensch und Umwelt und damit auch die Mensch-Umwelt-Beziehungen sind keine über die Zeit hinweg gleichbleibenden Konstanten. Um jedoch Veränderungen feststellen und Entwicklungen aufzeigen zu können, ist mehr als ein Untersuchungszeitpunkt erforderlich. Dennoch werden nur selten längsschnittlich angelegte Untersuchungen durchgeführt. Diese sind zweifellos aufwändiger und kostenträchtiger. Der größere Aufwand erscheint indessen dann gerechtfertigt, wenn gesellschaftlich wichtige Fragen zu beantworten sind, bei denen vorschnelle falsche Entscheidungen fatale Folgen hätten. Querschnittsuntersuchungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt durchgeführt werden, sind in jeden Fall unverzichtbar, um überhaupt zu Erkenntnissen über Mensch-Natur-Beziehungen zu gelangen. Sie können aber nichts über Veränderungen und Entwicklungen aussagen.