11
Die roten und blauen Lichter von Polizei- und Krankenwagen zuckten in schnellem Takt anklagend über das Schulgelände. Sie waren wegen des gerade noch verhinderten Aufstands in der Aula und wegen des tot im Pool treibenden Körpers von Graham Edwards eilends herbeigerufen worden.
Die Lehrer hatten die Schüler vor dem Schulgebäude zusammengetrieben, wo sie durch die frische Luft wieder etwas zu Sinnen gekommen waren. Die Blicke, die sie sich zuwarfen, zeigten aber, dass es nur einen Funken brauchte, um das Feuer ihres Streits wieder zu entfachen. Polizisten befragten einzelne Schüler, um ihre Version der Abläufe zu protokollieren, während Mr. O’Reilly bei geöffneter Tür in einem Mannschaftswagen saß und sich mit einer »Wollen wir uns nicht einfach alle liebhaben?«-Broschüre energisch Luft zufächelte. Ursprünglich hatte er diese Broschüren am Ende seines Vortrags verteilen wollen, aber nun blieb ihm nur, sich über das in seinen Augen schlimmste Schülerverhalten aufzuregen, dem er je begegnet war. Er plapperte aufgeregt vor sich hin, dass er das nicht hinnehmen würde und Direktor Snyder sich doch besser einen sinnvolleren Beruf suchen solle, denn diese Ausgeburten der Hölle würden auch in Jahren immer noch keinen Funken Anstand besitzen.
Buffy, Oz und Cordelia folgten den Sanitätern hinter das Schulgebäude. Ganz augenscheinlich wollten die Sanitäter und die Polizei nicht, dass andere Schüler sehen konnten, wie Grahams Körper abtransportiert wurde. Ebenso augenscheinlich hielten sie deshalb den Schleichweg durch das Büro des Hausmeisters für am sinnvollsten.
Als ob die meisten Schüler der Sunnydale High noch nie zuvor einen toten Körper gesehen hatten.
Die drei versteckten sich hinter einer Reihe Azaleen und warteten darauf, dass der Körper ins Freie gebracht wurde. Die roten Lichter des Notarztwagens pulsierten in der Luft und zwangen Buffy mit ihrem hypnotischen, widerlichen Rhythmus, für einen Moment ihre Augen zu schließen.
»Buffy, hilf mir…!«, ertönte die Stimme in ihrem Ohr.
»Hilf mir, hilf mir!«
Ich versuche es doch! Buffy öffnete ihre Augen trotzig. Ich versuche es.
»Also, warum sind wir überhaupt hierher zurückgekommen?«, wollte Cordelia von ihr mit einem kleinen Rempler wissen.
»Ich muss wissen, ob dieser Mord auf das Konto der Moons geht«, erklärte Buffy.
»Und wie willst du das überprüfen?«
»Du wirst sie eine Weile ablenken«, führte Buffy ihren Plan aus. »Sei sexy, sei strunzdoof, geh ihnen auf den Keks. Das sollte dir nicht schwerfallen.«
»Oh«, machte Cordelia. »Okay.«
Eine Tragbahre wurde auf einem Untersatz durch die Tür und den kleinen Fußweg entlang zum wartenden Krankenwagen geschoben. Zwei Sanitäter in weißen Uniformen machten sich daran, die Tragbahre in das Wageninnere zu hieven. Der Körper des Toten lag gehorsam und ohne ein Sterbenswörtchen unter der weißen Decke.
»Folgt mir«, forderte Cordelia Buffy und Oz überraschend auf. Sie sprang aus ihrem Versteck auf, bevor Buffy nach ihr greifen konnte. Sie hatten nicht einmal einen Plan besprochen und nun hatte Cordelia sich schon in das Vergnügen gestürzt. Hoffentlich vermasselte sie es nicht.
»Oh, großartig, da seid ihr ja!«, wandte sich Cordy an die zwei Sanitäter, während sie winkend zu den beiden hinübertrottete. Oz und Buffy folgten ihr. »Entschuldigt mal, aber ich müsste nur einen kleinen Moment mit euch sprechen.« Sie warf sich das Haar von den Schultern und spannte ihr Gesicht. »Wie ich sehe, habt ihr gerade zu tun, aber ich weiß doch, dass ihr euch richtig gut mit Medizin auskennt, stimmt’s?« Sie runzelte ihr Näschen und hob eine Augenbraue leicht an. Genau das war, wie Buffy absolut anerkennen musste, eine ihrer wahren Stärken. Cordy konnte die Aufmerksamkeit von Typen auf sich ziehen. Zumindest, bis sie anfing zu sprechen.
»Klar doch«, bestätigte einer der Sanitäter. Er war nicht älter als 20 und hatte dunkles Haar sowie eine Brille. »Mit dem Kram kennen wir uns aus.«
»Jau!«, pflichtete ihm sein lockerer Kollege bei. Er war auch recht jung, hatte aber rotes Haar und ein nervöses Zucken in seiner rechten Gesichtshälfte. »Aber du darfst dich hier gar nicht aufhalten. Die Polizei will…«
»Ich habe hier, äh, einen Splitter«, ließ Cordy sich nicht aus der Ruhe bringen. »In meinem Auge. Es tut wirklich weh.« Sie tippte sich gegen den Kopf und stellte einen perfekt manikürten Fingernagel zur Schau.
»Ja«, beteiligte sich Buffy am Gespräch.» Sie konnte kaum was sehen, also mussten wir sie herbringen.«
»Mmmm«, steuerte auch Oz seinen Beitrag bei.
»Den kriegen wir da schon raus«, versicherte ihnen der braunhaarige Sanitäter.
»Aber wir müssen uns doch um den Körper kümmern«, beharrte der rothaarige Mann auf seinen Pflichten. »Es bestehen Verdachtsmomente. Wir müssen ihn zum Leichenschauhaus bringen. Diese Kinder sollen zurück zu…«
»Au, au, auuuu«, jaulte Cordy und stampfte mit dem Fuß auf, schaffte es dabei aber gleichzeitig, ihr Haar voller Anmut von den Schultern zu werfen. »Es tut wirklich weh, als hätte ich mich an Papier geschnitten! Es dauert auch nur eine Sekunde. Okay?«
»Bitte!«, verstärkte Buffy den Druck auf die Sanitäter. »Wir können es nicht ertragen, wenn unsere Freundin Schmerzen leidet.« Das war ein bisschen dick aufgetragen, fügte Buffy in Gedanken zu.
»Nun ja…«, ließ sich der rothaarige Mann erweichen.
»Hier drüben.« Cordelia ging zum Vorderteil des Notarztwagens. »Hier ist mehr Sonnenlicht, damit ihr besser sehen könnt.«
»Lass uns doch erstmal den Körper in den Wagen…«
»Nein!«, schrie Cordelia förmlich auf. Sie packte den Arm des Sanitäters. »Es tut so weh! Ich zuerst. Der Typ wird euch schon nicht weglaufen.«
Mit einem Achselzucken folgten die Männer Cordelia zur Vorderseite ihres Einsatzwagens. Sobald sie außer Sicht waren, zog Buffy die Decke zurück und hielt den Körper vor den von Sonnenstrahlen erleuchteten Himmel. Sie sah in die Augen des Toten.
Das Gehirn war weg.
Sie legte den Körper wieder zurück auf die Bahre und Oz konnte gerade noch die Decke über die Leiche ziehen, bevor die Sanitäter wieder zurückkamen. Cordelia tauchte auch wieder auf und freute sich: »Ich kann wieder sehen! Ich kann wieder sehen!«
»Wenn da ein Splitter war, hab ich ihn jedenfalls nicht gesehen!«, wunderte sich der dunkelhaarige Mann.
»Dann geh mal besser zum Arzt und lass dich untersuchen«, empfahl ihm sein Partner. »Tut mir Leid.« Dann fügte er hinzu: »Aber hey, hast du heute Abend Lust auf Kino?«
Buffy neigte ihren Kopf und deutete Cordelia damit an, dass sie alles Wichtige gesehen hatte. Cordys hilflose Fassade fiel in sich zusammen wie ein Haus im Tornado. »Soll das ein Witz sein?«, antwortete sie typisch hochnäsig. »Hey, Mediziner sind ja gar nicht übel, aber du bist einfach nicht mein Typ.«
Mit diesen Worten marschierte sie von dannen. Buffy lächelte die Sanitäter mit einer entschuldigenden Miene an. »Ist sie nicht zum Knuddeln?«
»Okay, versuchen wir’s nochmal«, sagte Buffy. Sie und Oz - und diesmal auch Cordelia - waren gegen Mittag wieder in der öffentlichen Bücherei. Sie waren aus der Sunnydale High geschlichen, hatten unterwegs ein bisschen Fast Food eingeschmissen und sich dann - nachdem sie der Bibliothekarin versichert hatten, dass sie nicht etwa die Schule schwänzen würden, weil heute die große Lehrerkonferenz sei, ja war ihr das denn nicht bekannt? - vor einem Computer hingesetzt. Oz saß an der Tastatur, Buffy und Cordelia saßen auf orangefarbenen Stühlen rechts und links von ihm.
Buffy zog einen gefalteten Stapel Blätter aus ihrem Rucksack und las noch einmal ihre Notizen. »Die Familie Moon ist ziemlich ausgeklinkt und sehr mächtig. Ganz offensichtlich wollen sie eine weibliche Herrschaft in Sunnydale einrichten und fangen dazu mit der Schülerschaft und dem Lehrpersonal der Highschool an. Die Mädchen üben irgendeine Form von Gedankenkontrolle über ihre Mitschüler aus und die Mutter beeinflusst die Erwachsenen. Sie hängen gerne in einem griechischen Restaurant herum. Sie - oder zumindest die Schwestern - lieben Juwelen bis hin zur vollständigen und unkontrollierbaren zwanghaften Sucht. Und eine oder mehre von ihnen haben wenigstens vier junge Männer getötet und ihre Gehirne sprichwörtlich versickern lassen. Habe ich irgendwas vergessen?«
Oz und Cordelia schüttelten ihre Köpfe.
»Aber Oz, du hast da gestern etwas gesagt, was mir nicht aus dem Kopf ging. Namen. Wenn uns Willow zur Seite stünde, wäre sie da schon längst drauf gekommen. Wenn wir etwas über Dämonen herausfinden wollen, schlagen wir ja schließlich auch unter ihrem Namen nach. Dasselbe sollten wir mal mit den Moons machen.«
»Calli? Polly? Klingen ziemlich gewöhnlich, oder?«, fragte Cordelia. Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen und ihre Hände auf die Knie gelegt.
»Ich schätze, das werden wir bald genauer wissen.«
Oz loggte sich ein und Buffy bat ihn: »Versuch’s mal mit Moon.«
Eine Site wurden angezeigt, die der englischen Bedeutung des Wortes »Moon« entsprechend alles Wissenswerte über den Mond parat hielt. Auf einer Site über die mystischen Aspekt des Mondes entdeckten sie einige Essays, von denen einer über Lykantrophie Oz nur ein müdes Lächeln abrang. Ein anderer Essay über das Prinzip der Weiblichkeit und die Macht, die von den Auswirkungen der Mondzyklen ausging, weckte da schon eher ihr Interesse.
»Hört euch das mal an«, sagte Buffy und beugte sich über Oz, um besser auf den Monitor sehen zu können. »Der Mond ist das Symbol des Prinzips der Weiblichkeit, der okkulten Seite der Natur und aller psychischer Phänomene sowie der Emotionen, Intuition, Inspiration und Imagination…«
»Hey!«, staunte Cordelia. »Das trifft alles auf uns zu? Ziemlich cool.«
»… und der tiefen Schichten des Unterbewusstseins. Er ist das Symbol des Lebens, des Todes und der Wiedergeburt, so wie er am Himmel aufgeht, an uns vorbeizieht und dann wieder untergeht, nur um am nächsten Tag sein unendliches Spiel fortzuführen. Der Mond gilt als Quelle der Mächte der Hexen und man sagt, er selbst übe einen Zauber aus, der Lunatismus oder auch Mondsucht genannt wird.«
»Okay, okay«, bremste Cordy den Vortrag. »Also sind die Moons Hexen? So wie Willow?«
Oz zuckte zusammen. »Machen wir lieber weiter.«
Er tippte den Namen »Calli« ein und der Computer spuckte den Begriff »Calliope« aus. Als Zugabe reichte der fleißige Apparat noch ein paar farbenprächtige Illustrationen von Musikinstrumenten nach.
»Das bringt überhaupt nichts«, lamentierte Cordelia.
Oz klickte auf einen Link und sagte: »Nicht so voreilig.«
Er las vom Bildschirm vor: »Calliope war die griechische Muse der epischen Dichtkunst. Sie war eine der neun Musen, Göttinnen niederen Ranges, die laut der griechischen Mythologie als Inspiration für die Künste und Wissenschaften dienten.«
»Ja, aber…«, begann Cordelia.
»Warte«, hielt Oz dagegen. Er las weiter vor: »Die Musen waren: Calliope, epische Dichtkunst; Clio, Geschichte; Erato, erotische Dichtkunst und Possenspiel…«
»Interessante Kombination«, befand Buffy. »Komm schon, Süße, ich liebe dich, also malen wir uns die Gesichter an, führen irgendwo an der Straßenecke eine Pantomime vor und gehen damit allen tierisch auf den Sack.«
»… Euterpe, lyrische Dichtkunst und die Musik höchstselbst; Melpomene, tragisches Drama; Polyhymnia, heiliger Gesang; Terpsichore, Gesang und Gesellschaftstänze; Thalia, komödiantisches Drama und Urania, Astronomie.«
»Calli ist Calliope«, stellte Buffy fest, der endlich die Zusammenhänge klar wurden, »und Polly ist Polyhymnia. Das ergibt Sinn! Calli ist für ihre Schreibe bekannt und Polly für ihr Singen.«
»Also sind unsere Dämoninnen in Wirklichkeit Göttinnen?«, fragte Cordelia ungläubig.
»Sieht ganz so aus«, antwortete Oz.
Buffy las weiter: »Die Musen waren die Töchter des Zeus und der Mnemosyne, der Göttin des Gedächtnisses.«
»Mnewosyne. Mo. Mo Moon«, wurde nun auch Cordelia klar.
»Ganz genau«, stimmte ihr Buffy zu.
»Und hier steht, dass sie auf dem Olymp lebten und Apollo ihr Anführer war. Ich bin mir sicher, dass sie sich unheimlich gern von einem Gott haben rumkommandieren lassen.«
Oz machte eine weitere Site zu den Musen ausfindig. »Seht mal hier. Apollo erlaubte es den Musen nie, auch nur einen der wertvollen Edelsteine anzunehmen, die ihnen ihre Anbeter zu Füßen legten. Statt dessen behielt er die Edelsteine für sich selbst. Und sie durften sich nie mit süßen Düften und Ölen zieren, da es sie von der Reinheit ihrer Aufgabe abgelenkt hätte, nämlich die Herzen der Menschheit zu entfachen.«
»Ich schätze mal, deswegen kleistern sie sich jetzt mit all dem stinkenden Parfüm zu«, vermutete Cordelia. »Damals hat man es ihnen verboten. Jetzt machen sie einfach all das, wonach ihnen der Sinn steht.«
»Das erklärt auch ihre Besessenheit mit Edelsteinen«, sprach Buffy ihre Theorie aus. »Sie holen all das nach, was ihnen so lange verwehrt blieb. Hier steht nirgendwo, dass Mnemosyne keine Geschenke bekommen durfte, was vermutlich der Grund dafür ist, dass sie sich offensichtlich nicht für Diamanten und derlei Zeug interessiert.«
Sie sahen einander an und starrten dann wieder auf den Computer.
»Okay«, meinte Buffy, »wir wissen, wer sie sind. Aber wir brauchen mehr. Ein mächtige Portion mehr. Zum Beispiel, wie wir sie uns vom Hals schaffen können.« Wir haben es bislang noch nie mit Göttern zu tun gehabt, dachte sie. Giles’ Hilfe käme jetzt echt gut!
»Ich bezweifle, dass wir die Infos im Internet finden«, kommentierte Oz.
»Vielleicht gibt es Sites, die sich mit dem Okkulten befassen und vielleicht auch schildern, wie man Monster tötet, aber Göttinnen gelten üblicherweise nicht unbedingt als Monster.«
Buffy wechselte ihren Sitzplatz mit Oz. Sie studierte die Informationen.
Irgendwo musste etwas verborgen sein, ein Schlüssel, den sie nur drehen musste, um endlich ein wirksames Mittel gegen die Moons in der Hand zu haben. Mit Sicherheit würden sie nicht auf ewig auf die Gnade der Gottheiten angewiesen sein. Soweit wollte sie es gar nicht erst kommen lassen.
Und dann sah sie es. »Hier!«, sagte sie und tickte gegen den Monitor. »Die Inspiration!«
Oz und Cordelia beugten sich vor.
»Die Musen lieferten den Menschen die Inspiration für die Künste und Geisteswissenschaften«, erklärte Buffy. »Hier steht, dass Inspiration nichts anderes als ›Atem‹ bedeutet. Jedesmal wenn ein Schüler oder ein Erwachsener den Atem der Moons inhaliert hat, stand er binnen kürzester Zeit unter ihrer Kontrolle! Mit uns ist alles in Ordnung, weil wir sie nicht zu nah an uns herankommen lassen und somit ihren Atem gar nicht inhalieren können.«
»Prima!«, befand Cordelia. »Also… und wie vernichten wir sie nun?«
»Keinen blassen Schimmer«, gestand Buffy. Sie lehnte sich zurück und streckte sich. Ihre Schultern und ihr Nacken waren verspannt. »Sie sind schnell und clever, und ihre Wunden heilen sofort. Aber es muss einen Weg geben. Sogar Achilles hatte seine verletzliche Ferse.«
»Ich frage mich, was ihr Schwachpunkt ist«, murmelte Oz.
Buffy starrte auf den Bildschirm, bis die Worte vor ihren Augen verschwammen. Doch sie konnte dort keine Antwort finden.
Er fragte sich, wann Mo ihn befreien würde. Sein Verweilen an diesem muffigen, unterirdischen, mit Kisten vollgestellten Ort kam ihm schon wie eine halbe Ewigkeit vor, ja, in der Tat, so war es. Nur die Vorstellung ihres lieblichen Gesichtes, ihres warmen Lächelns und ihres süßen Atems spendete ihm Trost. Sie würde ihn befreien, dessen war er sich gewiss. Sie würde ihn nicht mehr lange allein sein lassen.
Giles lag auf seinem aus einem Haufen Schlafsäcke aufgeschichteten Ruheplatz und blickte sehnsüchtig aus dem schmutzigen Fenster, das sich gerade mal auf Bodenhöhe befand. Er konnte den Rasen eines Vorgartens sehen, eine Reihe an Pfählen befestigter Rosenbüsche, die Stämme von mehreren Bäumen und Eichhörnchen, die auf der Suche nach Essbarem munter umherhuschten. Sonnenstrahlen tanzten über den Erdboden und brachen durch das Fensterglas hin zu seinem Gesicht. Sie war irgendwo dort draußen. Und sie würde ihn finden. Er hatte keine Angst.
Er wusste, dass Buffy Summers ihn an diesem Ort eingesperrt hatte. Sie hatte seine Hände und Knie gefesselt und ihm den Mund geknebelt. Anschließend hatte sie etwas zu ihm gesagt, ihm einen Grund für seine Inhaftierung genannt, aber er konnte sich nicht mehr erinnern, was genau sie gesagt hatte und ob es einen Sinn gemacht hatte.
Aber letztlich war das auch egal. War Buffy egal. War alles egal. Das Einzige, was für ihn zählte, war es, mit Mo zusammen zu sein und das zu tun, was sie von ihm verlangte.
Giles’ verschmutzte Brille war verrutscht und er verzog die Nase, um sie wieder zurechtzurücken.
»Befreie mich«, brabbelte er in seinen Knebel. Die Worte kamen verstümmelt und undeutlich, aber er wusste, dass sie ihn hören würde. Dass sie ihn verstehen würde. Dass sie sich um ihn sorgte. Dass sie ihm helfen würde.
Giles blickte zum Fenster hinauf. Das Sonnenlicht wurde intensiver, heller und verdunkelte sich dann wieder mit dem Altern des Nachmittags. Aber er wartete. Geduldig.
Als Oz Cordelia und anschließend Buffy nach Hause fuhr, wurde es schon dunkel. Buffy sprang aus dem Van, winkte Oz zu, der sich auf den Heimweg machte, und ging dann die letzten Schritte zu ihrem Haus. Heute treffe ich die Entscheidung. Modenschau oder Camping. Ich werf einfach ’ne Münze und warte ab, welche Seite oben liegt. Dann steht eine Sache weniger an, um die ich mich kümmern muss. Ich bin mir sicher, dass Mom…
Sie blieb stehen.
Und wirbelte herum. Ihr Haar flog wild durcheinander und ihre Hände griffen nach einem Pflock.
Aber es war schon zu spät. Viva rammte sie mit voller Wucht und warf die Jägerin gegen einen Baum. Der Vampir knurrte und fauchte wie von Sinnen. Der Pflock flog im hohen Bogen durch die Luft und verschwand irgendwo im Rinnstein. Buffy grunzte und zog ihren Hals so weit wie möglich von den zuschnappenden Reißzähnen weg.
Dann umfing sie den Vampir mit ihren Beinen und drehte ihn mit einer schnellen Bewegung auf den Rücken.
Viva war schnell und packte geschwind Buffys Beine. Sie zog sie unter der sich gerade wieder aufrappelnden Jägerin weg. Noch im Fallen schlug Buffy dem Vampir mit der Faust mitten ins Gesicht und sprang dann sofort wieder auf ihre Füße.
»Verfluchte Jägerin!«, zischte Viva. Sie trat mit ihren Füßen nach dem Boden, warf dabei Erde auf und hinterließ an den Stellen tiefe Kuhlen im Sand. Auch sie sprang auf und drehte sich ihrer Gegnerin zu.
»Du kommst wohl mit ’ner Abfuhr nicht klar, oder?«, tadelte Buffy spielerisch. »Lass es mich noch mal sagen. Ich steh nicht auf dich. Du stinkst und bist abartig unattraktiv. Tut mir Leid, Süße, aber das ist die harte Wahrheit. Finde dich damit ab, dass wir niemals ein Paar werden!« Mit einem explosionsartigen Angriff schwang Buffy ihren Fuß krachend in das Gesicht des Vampirs. Viva stolperte, blieb aber stehen.
»Buffy«, ertönte eine Stimme aus dem Küchenfenster ihres Hauses. »Bist du da draußen?«
Herr je, Mom, bleib bloß drinnen.
Die Sekunde, die Buffy an ihre Mutter dachte, reichte Viva, um vorwärts zu preschen und sich gegen Buffys Brustkorb zu werfen. Die Jägerin flog rückwärts und landete hart. Ihr Kopf prallte heftig auf den Gehsteig. Sterne verklärten ihren Blick, Vögel zwitscherten und dann blickte sie in eine hässliche Vampirfratze. Buffy rollte sich von dem Monster weg und setzte sich auf ihre Knie auf.
Viva ging schon wieder auf sie los. Sie schnappte sich eins von Buffys Handgelenken und verdrehte es nach hinten. Buffy keuchte vor Schmerz auf und drehte sich in Vivas Richtung, um ein Brechen des Armes zu verhindern. Das tat weh!
»Ich hab dich!« quietschte der Vampir fröhlich auf. »Und jetzt wirst du das tun, was ich dir sage!«
Mit ihrer freien Hand suchte Buffy auf dem Rasen nach etwas, irgendwas - und wurde fündig. Ein Holzstab steckte dort im Erdreich, wo ihre Mutter unlängst die neuen Rosenbüsche eingepflanzt hatte. Sie zog ihn aus dem Boden, Dornen des jungen Busches stachen ihr in die Haut, und drehte ihren verdrehten Arm noch weiter. Durch die übermäßige Dehnung der Knochen und Muskeln brannte der Schmerz sofort noch wütender auf, doch er ließ auch schnell wieder nach. Durch das Manöver saß sie nun auf dem Vampir. Ihre Knie bohrten sich in den Brustkorb der Untoten, ihre Füße hielten die grässlich weißen Arme auf den Boden gedrückt und der scharfe Holzstab schwebte über dem Herz des Vampirs.
»Okay«, keuchte sie in die grauenvolle Totenfratze.
»Du hast zwei Möglichkeiten. Du kannst langsam und voller Qualen sterben oder ich mache es schnell und relativ schmerzlos. Nun sag nicht, ich wäre nicht wirklich entgegenkommend.«
Viva zappelte herum und stellte ihre Reißzähne zur Schau, aber die Jägerin war zu trainiert und das Adrenalin, das durch ihr Blut schoss, machte sie noch stärker.
»Wenn du den schnellen Tod möchtest, wirst du mir ein paar Sachen verraten müssen, die ich wissen will. Wenn du aber lieber schweigen willst, kein Problem, dann kann ich den Stab sehr, sehr langsam in dein Herz drücken.«
»Sie sind für uns beide eine Bedrohung, verstehst du?«, spuckte Viva ihre Antwort aus.
»Also funken wir auf derselben Wellenlänge«, stellte Buffy fest. »Die Moons. Du weißt von den Moons. Sag mir alles, was du weißt.«
»Das ist nicht gerade viel.«
Buffy drückte den Holzstab gegen Vivas Brustkorb. Die Haut des Vampirs gab leicht nach. Viva stöhnte auf und bettelte: »Stopp! In Ordnung!«
Während Viva ihren Bericht begann, hielt Buffy ihren Kopf möglichst weit weg. Der Atem der Musen mochte ja gefährlich sein, aber der von Vampiren war mit Sicherheit auch nicht wesentlich gesünder.
»Die Moon-Mädchen sind zwei der neun Musen«, knurrte Viva. »Ihre Mutter ist Mnemosyne, die Göttin des Gedächtnisses.«
»Erzähl mir etwas, das ich noch nicht weiß.«
»Buffy?«, ertönte erneut der Ruf ihrer Mutter.
»Bin gleich da!«, rief sie zurück. Sie herrschte Viva an: »Rede!«
Vivas Stimme kochte vor Wut fast über. »Ist ja schon gut! Ich habe sie zum ersten Mal 1912 getroffen, ein paar Tage, nachdem mich ein britischer Vampir in Liverpool erzeugt hatte. Ich sollte eine Reise auf einem neuen Ozeandampfer antreten, der Titanic. Für mich als Vampir war die Aussicht auf ein reichhaltiges Menü, das nicht fliehen kann, überaus verlockend. Mo, Calli und Polly waren auch auf dem Schiff. Mir war vom ersten Moment an klar, dass sie keine Menschen sind. Vampire können Nichtmenschen von Menschen unterscheiden. Natürlich war ihnen auch klar, dass ich kein Mensch war.«
»Klar«, erklärte Buffy, »erst mitten in der Nacht mit großen Reißzähnen und leichenblasser Haut aufzutauchen, verrät irgendwie die beste Verkleidung.«
»Ist doch egal«, schnappte Viva. »Polly ist das Großmaul der Familie. Eines Abends erzählte sie mir, wer sie sind. Sie war sich vollkommen sicher, dass ich nichts gegen sie ausrichten konnte. Sie lachte und meinte, ich könnte ebenso gut erfahren, wer die Welt übernehmen würde, bevor ich verhungerte.«
»Verhungern? Wovon redest du?«
»Dazu komme ich gleich!«, sagte Viva. »Die Moons waren jedenfalls aus der Unterwelt des Olymps entkommen, weil ein Museumskurator an Bord war, der eine große Sammlung griechischer Kunstwerke nach Amerika transportierte.«
»Also rief eine Ballung griechischer Kultur das Portal hervor, das sie zur Flucht brauchten?« Buffy überdachte die Situation. »Bei uns gibt es auch eine Ballung griechischer Kultur, wenn man den Lachenden Griechen so nennen will. Das und der Höllenschlund erlaubte es ihnen, nach Sunnydale zu kommen.«
Viva bockte wie ein störrischer Esel und Buffy drückte den Stab noch fester gegen die Haut des Vampirs. Der Vampir ergab sich. »Ja, so sieht’s aus. Die Moons sind total scharf auf die weibliche Weltherrschaft. Sie hatten einfach genug davon, dass Apollo ihnen ständig sagte, was sie zu tun hatten, ohne dass sie entsprechend gewürdigt wurden. Als kämen sie auf die Erde, um eine neue Ordnung herzustellen, in der die Männer den Frauen untertänig dienen. Sie waren der Meinung, eine gute Zeit gewählt zu haben, denn zu Anfang des 20. Jahrhunderts sorgte das Stimmrecht der Frau für eine heiße politische Diskussionen. Die Frauen waren bereit, ihnen zuzuhören, bereit für den großen Umbruch.«
»Bereit, sich anhauchen zu lassen und sich das Gehirn waschen zu lassen«, konterte Buffy.
»Von den Töchtern angehaucht, von der Mutter berührt. Auf die Weise verwirrt sie die Erwachsenen. Sie stiehlt ihnen ihre Erinnerungen. Da waren sie also und hatten den Spaß ihres Lebens, hielten Predigten über die Macht der Frauen und griffen sich im Fall von Polly und Calli all die hübschen Juwelen, die sie von den reichen Frauen nur ergattern konnten. Ursprünglich hatten sie vorgehabt, zum Zeitpunkt des Eintreffens in den Vereinigten Staaten die gesamte Besatzung unter ihre Kontrolle gebracht zu haben, um so eine hübsche Menge Untertanen hinter sich zu haben, wenn sie mit ihrer großen Einwicklungsaktion beginnen würden.«
»Aber…«, unterbrach sie Buffy.
»Du hast den Film gesehen. Das Schiff ging unter. Die neue Ordnung ertrank oder erfror in der eisigen Kälte. Durch die Panik, die während des Untergangs entstand, wurden sie von all denen vergessen, die unter dem Einfluss des Trios standen. Wenn man Todesangst empfindet, bleibt kein Platz für andere Gedanken. Man hat dann sozusagen einen klaren Kopf. Und weil jedermann die Olympier total vergaß, wurden sie zurück zum Olymp gesaugt.«
In Buffys Kopf ratterte es. »Wenn also alle, die unter ihrem Bann stehen, sie gleichzeitig vergessen, verschwinden sie automatisch?«
»Ja!«
»Ich will nicht, dass sie verschwinden. Ich will sie töten. Ich will nicht, dass sie so etwas jemals wieder anrichten.«
»Ich weiß nicht, wie man sie tötet«, gab Viva zu.
Buffy atmete tief ein und hielt dabei ihren Kopf zur Seite geneigt, so dass sie nicht den Gestank des Vampirs inhalierte. »Wenn das alles wahr ist, warum interessiert es dich dann, ob die Menschen von diesen Göttinnen kontrolliert werden? Man sollte annehmen, dass es euch Vampiren gefallen würde, wenn die Welt voller Zombies wäre. Besonders die Männer wären dann leichte Beute.«
Viva knurrte. Ihr Gesicht verfinsterte sich. Licht brach sich in ihren Augen. Schließlich fing sie stockend an zu reden: »Weil jeder Mensch, den der Atem der Göttinnen verändert hat, für uns Vampire giftig wird. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie ihre Gefolgschaft weiter vergrößern, weil uns sonst die Nahrung ausgeht. Du willst sie aus dem Weg räumen. Wir wollen sie aus dem Weg räumen.«
»Viva!« Der Schrei kam aus der Nähe. Buffy blickte über ihre Schulter und sah zwei Vampire, die über den Rasen auf sie zu liefen. Ihre Umhänge wirbelten wild hinter ihnen in der Luft und ihre offenen Münde offenbarten ein paar furchterregend scharfe Zähne. Als einer von ihnen mit seinen Klauen nach Buffy griff, drehte sie sich um und trieb ihm den Holzstab tief in die Brust. Der Vampir zerging zu Staub und verteilte sich auf dem Gras.
Durch die Verlagerung von Buffys Gewicht konnte sich Viva losmachen. Sie griff nach dem Kopf der Jägerin, aber Buffy wischte ihren Arm beiseite. Ein Büschel Haare wurde ihr aus der Kopfhaut gerissen und blieb in der Hand des Vampirs. Die verletzte Stelle brannte höllisch. Buffy wich dem Griff des zweiten dazugekommenen Vampirs aus, rollte sich auf den Boden und schnappte sich den Holzstab. Von unten stach sie ihn in den zweiten Dämonen. Der zerteilte sich in winzige Fetzen und war Geschichte.
Buffy sprang auf, wedelte mit dem Stab und ging auf Viva zu.
Doch die war schon verschwunden. Ihre Gestalt war in einiger Entfernung auf der Straße zu sehen und verlor sich immer mehr in der Dunkelheit.
Buffy beugte sich vor und holte erst mal tief Luft. Sie spuckte auf den Boden. Ihre Kopfhaut brannte oberhalb ihres Ohres, dort wo ihr das Haar ausgerissen worden war. Glücklicherweise hatte sie nicht eben wenig Haare. Es würde also kein Problem sein, die kahle Stelle zu verbergen. Ihr Arm tat weh, was angesichts seiner brutalen Behandlung durch Viva auch kein Wunder war. Zu allem Überfluss hatte sie sich auch noch das Schienbein aufgeschlagen und die Fingerknöchel abgeschrammt.
Und morgen musste sie wieder zur Schule.
»Buffy?« Joyce stand nun in der Vordertür. »Wirst du jemals hereinkommen?«
»Ja«, keuchte Buffy. Sie hinkte auf das Haus zu und sah dann die Bewegung im Kellerfenster links neben der Veranda.
Sie ging über den Rasen näher heran und schielte auf die Gestalt hinter der Scheibe hinunter.
Das Gesicht ihres Mentors war gegen das kalte Glas gepresst. Giles. Der Knebel aus Frottee war noch immer an seinem Platz, aber sie konnte seine Worte durch den stechenden Blick seiner weit aufgerissenen Augen sehr gut erraten. Er verstand. Er wollte aus seiner Haft befreit werden. Er wollte helfen. Er war wieder der alte Giles.
Gott sei Dank!
Buffy lief die Verandastufen hinauf und in das Haus hinein. Joyce hielt sich in der Küche auf, nippte an einer Tasse Kaffee und blätterte in der vor ihr auf dem Tisch liegenden Zeitung. Während Buffy die Kellertür öffnete, sagte ihre Mutter: »Du sollst Xanders Mutter anrufen, Liebes. Sie hat vor einer Weile angerufen und lässt ausrichten, dass sie glaubt, Xander sei schon seit gestern nicht mehr zu Hause gewesen.«
Buffys Mund klappte auf. »Sie glaubt?«
Joyce zuckte mit den Schultern. »Ich hatte schon immer den Eindruck, dass man im Haus der Familie Harris nicht sonderlich viel miteinander kommuniziert. Aber du weißt doch bestimmt, wo er sich aufhält, oder etwa nicht? Ihr steht euch doch ziemlich nahe, oder?«
»Ruf Mrs. Harris für mich an,« bat Buffy ihre Mutter. »Sag ihr, dass ich Xander suchen werde.«
»Aber Buffy, willst du nicht…« Buffy hörte nichts mehr von dem, was ihre Mutter ihr noch sagen wollte. Sie raste die Stufen der Kellertreppe hinunter und über den Betonboden hin zu dem Haufen aus Schlafsäcken und ihrem Wächter, der neben dem Fenster stand.
Sie zog ihm den Knebel aus dem Mund. Giles spuckte ein paar Flusen aus und räusperte sich. »Buffy«, brachte er heraus. »Es tut mir so Leid. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, aber was auch immer es war, es hat die Dinge für dich ganz offensichtlich verkompliziert. Allein dass du mich in dieses… Grab stecken musstest, um mich aus der Schusslinie zu bringen, ist eine furchtbare Vorstellung.«
»Entschuldigen Sie sich nicht«, antwortete ihm seine Schülerin. Sie löste schnell die Knoten seiner Fesseln, die lose von seinen Armen und Beinen abfielen. »Sie konnten nichts dagegen machen. Es war Mama Moon. Sie und ihre Mädchen sind abtrünnige Göttinnen. Sie hauchen den Menschen ihren Willen ein. Es ist wie eine Gehirnwäsche und zwingt ihren Opfern den Willen der Moons auf.«
»Ich sah aus dem Fenster und beobachtete deinen Kampf auf dem Rasen.« Giles schüttelte sich und wischte mit seinem Hemdsärmel über seine Brillengläser. »Ich war wie hypnotisiert - entsetzt - dich in einer solchen Gefahr zu sehen. Etwas in mir erwachte. Meine Ausbildung bezwang die Trance, in der ich mich befand, befreite mich aus dem Nebel und zwang mich, mich darauf zu konzentrieren, was gerade geschah. Ich erinnerte mich an meine Pflicht - deine Pflicht. Aber in dem Moment war ich vollkommen machtlos, gefesselt wie ich war.«
»Aber Sie können mir jetzt helfen. Xanders Leben ist in Gefahr.«
»Nun gut, also«, sagte er, während sie die Kellertreppe hinaufeilten. »Wo steckt er? In welcher Lage befindet er sich?«
»Sie haben nicht nur die Gedanken der Menschen verwirrt, Giles«, erklärte ihm Buffy. »Sie haben auch getötet!«
Joyce stand mit verschränkten Armen unmittelbar hinter der Kellertür. Ihre Stirn hatte sie in Falten gelegt. Buffy prallte fast mit ihrer Mutter zusammen. »Ähm, Buffy«, fing ihre Mutter an, »ich wusste nicht, dass Mr. Giles auch hier ist. War er…?«
»Er ist mit mir hergekommen, Mom«, schnitt Buffy ihr das Wort ab. »Wir haben bloß etwas im Keller gesucht. Haben’s aber nicht gefunden. Schätze mal, es ist oben. Muss jetzt los!«
Giles warf Joyce ein entschuldigendes Lächeln zu. »Oh, guten Abend, Mrs. Summers… Vielleicht unterhalten wir uns später?« Er folgte Buffy zu ihrem Zimmer und nahm dabei mit seinen langen Beinen drei Schritte auf einmal.
Buffy öffnete die Schranktür. Im Inneren befand sich eine hübsche Ansammlung verschiedener Waffen, die sie über die Jahre für die Kämpfe gegen unterschiedlichste Monsterarten zusammengetragen hatte. »Helfen Sie mir«, bat sie Giles. »Was wissen Sie über griechische Mythologie? Wie töte ich eine Göttin?«
Giles schüttelte seinen Kopf und rieb sich am Kinn. »Nun, mit dieser Frage habe ich mich ehrlich gesagt noch nicht beschäftigt. Wenn ich mich recht erinnere, starben die Götter nicht allzu häufig. Sie kämpften allerdings. Mit Speeren, Pfeilen und Schwertern. Was uns aber nicht sonderlich hilft. Ein paar übermenschliche griechische Wesen wurden ertränkt, gesteinigt, ausgeweidet oder bei lebendigem Leibe gehäutet. Medusa wurde geköpft.«
»Also ist es letzten Endes vollkommen egal, womit ich es versuche«, fasste Buffy zusammen. Sie stopfte ihren Rucksack so sehr mit Waffen voll, wie es nur ging, und schwang sich schließlich ihre Armbrust über die Schulter. »Vielleicht schaffe ich es nicht, sie zu töten, aber ich werde es zumindest versuchen. Und ich werde Xander retten. Egal wie!«
Unten versprach Buffy ihrer Mutter, sie würde bald wieder heimkehren und verschwand dann durch die Vordertür. Ihr dicht auf den Fersen bleibend, fragte Giles: »Wo rennst du hin?«
»Zum Lachenden Griechen«, antwortete sein Schützling ihm. »Da hängen sie üblicherweise rum.«
»Ich werde dich hinfahren.« Giles drehte sich in nördliche Richtung und sah auf die Stelle der Straße, wo er sein Auto am vorigen Abend abgestellt hatte. »Na gibt es denn sowas? Ich bin tatsächlich abgeschleppt worden!«
Buffy machte sich zu Fuß auf den Weg und legte dabei ein immenses Tempo vor.
»Ich komme mit einem Taxi nach!«, rief ihr Giles hinterher.
Sie kam am Ende ihres Wohnblocks an und ging in westlicher Richtung weiter. Das Herz schlug ihr bis zum Hals hinauf, ihre Arme waren glitschig vor kaltem Schweiß. In ihren Gedanken sah sie Bilder von Brian Andrews und Ben Rothman, wie sie in ihren Särgen lagen. Adam Shoemaker, wie er tot in einer Pfütze unter den Football-Tribünen lag. Graham Edwards, der aufgebahrt von den Sanitätern in den Wagen geschoben wurde. Das Sonnenlicht strahlte durch seine Augen, sein Schädel vollkommen leer.
Nein, nein, nein, nein, nein!, dachte sie, während sie durch die Nacht lief. Nicht Xander! Ich werde nicht zulassen, dass sie Xander töten!