5
Am nächsten Morgen herrschte an der Schule große Aufregung. Es hatte sich herumgesprochen, dass Allison mittlerweile nicht mehr bloß ihre Petition beim Coach der Basketball-Mannschaft eingereicht hatte, nein, nun bestand die Unterstuflerin Ashley Malcolm schon darauf, dass man ihr die Chance geben sollte, den Platz von Ben Rothman im Ringer-Team zu übernehmen.
Buffy saß während der ersten Unterrichtsstunde an ihrem Pult und hörte dem Lehrer nur mit einem Ohr zu. Sie war zu sehr in die Vorbereitung auf das Gespräch vertieft, das sie und ihre Freunde während der Mittagspause mit Giles führen würden. Willow hatte sie noch spät am Abend zurückgerufen, um ihr mitzuteilen, dass sie sich in das Computersystem der Polizei von Sunnydale hineingehackt hatte. Die Berichte über Brian und Ben waren noch immer unvollständig und letztlich wertlos. Aber wir können uns immer noch über Mo Moon unterhalten.
Plötzlich brachen ein paar Jungen in den hinteren Reihen in einen heftigen Streit mit einigen Mädchen aus.
»Ich kapiere es nicht«, klagte Justin Shiflett. »Jemand sollte Allison und Ashley echt mal in den Hintern treten! Sie gehören ebenso wenig in die Jungen-Mannschaften wie ein Schwein in ein Balletkostüm.«
»Habt ihr Angst, die stecken euch in die Tasche?«, fragte Piper Reynolds herausfordernd. »Schlottern euch schon die Knie?«
»Darum geht es doch gar nicht«, erklärte Raul Mendez. »Das ist eine Unverschämtheit! Ben Rothman ist noch nicht einmal 24 Stunden tot und schon will Ashley auf seine Position im Ringer-Team nachrücken? Das liegt an diesen Moon-Schwestern. Die stiften die anderen an!«
»Genau darum geht es!«, erklärte nun Piper. »Ihr habt Angst.«
»Haben wir nicht!«
»Habt ihr wohl!«
»Haben wir nicht!«
Buffy wirbelte auf ihrem Stuhl herum. »Ihr klingt wie Drittklässler! Gleicht fangt ihr an rumzuschreien, jemand hätte eure Sandburg kaputt gemacht!«
Die Schüler hielten inne, starrten Buffy an, dann sagten die Mädchen gleichzeitig: »Haben wir nicht!«
Die Jungs funkelten die Mädchen an. »Habt ihr wohl!«
Die Lehrerin schlug mit ihrem Stift auf ihr Pult und sagte: »Direktor Snyder hat mich gebeten, euch etwas vorzulesen. Er bittet euch, das ernst zu nehmen.«
Die Schüler setzten sich langsam wieder auf ihre Stühle und blickten die Lehrerin an. Die Frau hielt das Schreiben hoch.
»An die Schülerschaft der Sunnydale High. Mir ist aufgefallen, dass ein Streitgespräch die Schüler unserer Einrichtung in zwei Lager teilt. Das hört umgehend auf. Diese Streitigkeit dreht sich um ein gewöhnliches Vorspielen für eine Sportmannschaft. Lasst mich das bitte deutlich formulieren: Kein Mädchen wird die Erlaubnis erhalten, für eine vakante Stelle im Team der Jungen vorzuspielen. Das ist keine willkürliche Entscheidung, sondern eine Faustregel, die seit der Eröffnung dieser Schule gilt. Jungen werden in Jungen-Mannschaften spielen und Mädchen in Mädchen-Mannschaften. Das ist keine Diskriminierung, sondern gesunder Menschenverstand. Bei vielen Sportveranstaltungen treten Sportler beider Geschlechter an. Aber der athletische Bereich muss und wird geschlechterspezifisch bleiben.«
Piper und zahlreiche andere Mädchen standen auf und stürmten wütend aus dem Klassenzimmer, trotz der mehrmaligen Aufforderung der Lehrerin, sich sofort wieder hinzusetzen.
Justin, Raul und ein Haufen anderer Jungs schüttelten ihre Köpfe. »Weibliche Gefühlsduselei«, flüsterte Justin abfällig. »Sie können einfach nichts dagegen machen. Noch ein Grund, warum sie in unseren Teams nichts zu suchen haben.«
Die Pausenklingel schellte und die Schüler ergossen sich auf die Flure. Buffy ging zu ihrem Spind und verzog sich dann kurz auf die Toilette, um sich etwas Tinte von den Händen zu waschen, die ein kaputter Füllfederhalter hinterlassen hatte. Nachdem sie sich die Hände gewaschen hatte, stellte sie fest, dass sich keine Papiertücher mehr im Spender befanden. Aber schließlich war auch Toilettenpapier Papier.
Während sie in einer Kabine stand, einen Streifen Papier abriss und sich damit über die Finger wischte, hörte sie Stimmen und Schritte, die in Richtung WC steuerten.
Die Moon-Schwestern.
Buffy schloss behutsam ihre Kabinentür, legte den Toilettensitz leise auf die Brille, hockte sich auf ihn und fragte sich, ob sie vielleicht an Verfolgungswahn litt. Warum ging sie diesen Mädchen aus dem Weg? Nun ja, mal abgesehen von der Tatsache, dass die Schwestern sie ständig betatschten und ihre Mutter echt unheimlich war.
»Die Szene in meiner ersten Stunde war wirklich köstlich. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Reaktion angemessener hätte ausfallen können.« Die Stimme gehörte zu Calli Moon. »Die Mädchen fühlten sich durch die Ankündigung von Direktor Snyder zurecht beleidigt, und die Jungen benahmen sich wie die Urmenschen. Sie mussten natürlich ihre dümmliche maskuline Pseudo-Stärke zur Schau stellen.«
Polly fuhr fort. »Die Worte von Direktor Snyder waren nichts anderes als das typische männliche Attackieren einer Sache, die sie weder kontrollieren noch aufhalten können. Nun, ich sage, fordern wir sie heraus und sehen wir, wer der Bessere ist!«
Nun mischte sich auch Allison in das Gespräch ein. »Oh ja?«, krächzte sie. »Oh ja? Kein Scherz, meine Freundin!«
Eine höfliche, verbessernde Stimme sagte: »Allison, versuch es noch einmal. Bitte.«
Allison senkte ihre Stimme. »Pardon. Was ich sagen wollte, ist, dass du Recht hast, Calli.«
Nun versucht sie schon wie die Moons zu klingen, ging es Buffy durch den Kopf. Das ist ja noch ätzender als ihre frühere Sprechweise.
»Es ist eine so wundervolle Entwicklung, dass eure Familie nach Sunnydale gekommen ist«, fuhr Allison langsam fort. Sie unterbrach sich gelegentlich und überlegte ihre Worte genau, bevor sie weitersprach. »Eure Gegenwart ist ein wahrer Segen für uns.«
Buffy lehnte sich gegen die Zwischenwand aus Stahl und lugte durch den Türspalt. Sie sah Allison, Calli und Polly, die sich im Spiegel bewunderten und ihre Juwelen zurechtrückten.
»Du bist unsere liebste Nummer Drei«, hauchte Polly und drückte Allison einen Schmatzer auf die Wange. »Und du leistet wirklich vorzügliche Arbeit. Wirbst für die Ideale. Verkündest unser Wort! Wir sind so stolz auf dich.«
» Oh, ich kann dem nur zustimmen«, stimmte Calli auch prompt zu. »Wir sind sehr stolz auf dich. Und dieser Ring ist ja wirklich wunderschön. Ist das ein Amethyst?«
Allison hielt den Ring hoch. »Ja. Ich habe ihn noch nie zur Schule getragen. Mein Vater würde das nicht erlauben. Er gehörte meiner Mutter.«
»Mir würde er gefallen«, verkündete Calli recht einfach.
Und ebenso einfach zog ihn sich Allison vom Ringer und überreichte ihn Calli. Die streifte ihn über ihren Finger und besah ihn sich mit liebevollem Blick. »Wunderschön«, bekundete sie mit entzückt hauchender Stimme. »Absolut exquisit.«
Die Tür zur Toilette ging auf und einige andere Mädchen kamen herein. Buffy presste ihre Nase dichter an den Spalt, um zwei Mädchen zu erspähen, die sie für Oberstufen-Schülerinnen hielt. Die Mädchen versammelten sich vor der Spiegelfront und zückten ihre Schminktöpfe.
Weil sie so nah am Türspalt hing, konnte Buffy das Parfüm der Moons riechen, und die Intensität des Duftes ließ sie beinahe niesen. Sie rieb sich die Nase.
Die Schülerinnen warfen den Moon-Schwestern aus den Augenwinkeln einen schrägen Blick zu. Während eine von ihnen ihre Mascara-Flasche aus der Handtasche fummelte, sagte sie: »Also, ihr seid die Mädchen, die keine Jungs mögen. Ihr habt ja echt ’nen Stich.«
»Und ob«, stimmte die andere zu. »Den absoluten Ober-Stich.«
Doch die Moons wichen nicht zurück oder setzten zu einer Verteidigung an. Statt dessen näherten sie sich den beiden Oberstufen-Schülerinnen, lächelten ihr ruhiges Lächeln und legten ihre Hände auf die Schultern der Mädchen. Die guckten ungläubig. Die Moons lehnten sich nun bis auf Tuchfühlung an die erstarrten Schülerinnen heran.
»Mein süßes Kind, du verstehst nicht«, hauchte Polly, »aber ich denke, du wirst verstehen, wenn du dir nur Zeit lässt. Weiß du, was es heißt, eine Frau zu sein?«
»Klar doch«, antwortete das Mädchen nervös. »Ich bin doch nicht bescheuert.«
»Es ist eine schöpferische Macht.«
»Es ist eine körperliche Macht«, sagte Calli.
»Und eine geistige Macht«, fügte Polly hinzu. »All das und noch viel mehr. Lass nicht zu, dass dir deine dummen kleinen Freunde das nehmen. Lass nicht zu, dass sie dich behandeln, als wärest du weniger wert als sie.«
»Oder auch nur gleichwertig. Wir sind ihnen überlegen«, versicherte ihr Calli. »Schenk uns dein Vertrauen.«
»Schenk uns dein Vertrauen«, bat auch Polly.
Die Mädchen waren bis zu den Waschbecken zurückgewichen. Als die Moon-Schwestern ihre Ansprache beendet hatten, hatte sich ihr Benehmen gewandelt. Sie schienen nicht länger unsicher zu sein, sondern lächelten ehrfürchtig und erleichtert, wie es schien. Sie legten ihr Make-up wieder zurück in ihre Beutel und folgten Polly und Allison hinaus auf den Flur. Als sie gegangen waren, rief Calli, die ein bisschen gewartet hatte, über ihre Schulter zurück: »Und vergiss nicht zu spülen, Buffy!«
Buffy zählte bis zehn, bevor sie ihre Kabine verließ. Das WC roch noch immer nach dem Parfüm der Moon-Schwestern und das Echo ihrer Worte hallte nach in dem verkachelten Raum.
Schenk uns dein Vertrauen. Schenk uns dein Vertrauen.
Aber da war noch eine Stimme tief in Buffys Gehörgang, die wie ein Insekt summte. »Buffy, hilf mir…!«
Buffys Herz boxte gegen ihre Rippen. Sie sah in den Spiegel und erwartete fast, dass jemand zurückstarrte. Doch sie sah nur ihr eigenes Gesicht. »Wer bist du?«, flüsterte sie. »Wie kann ich dir helfen?«
»Buffy!«
»Brian Andrews, bist du das?«
»Nein, ich bin nicht Brian Andrews, ich bin ich«, ertönte eine irritierte Frauenstimme aus der Kabine am Fenster. »Kannst du etwa nicht mehr zwischen Männlein und Weiblein unterscheiden? Ziemlich traurig, Buffy. Ziemlich, ziemlich jämmerlich.«
»Cordy?«
Die Kabinentür schwang auf und Cordelia trat ins Freie. Sie sah sich vorsichtig um und richtete dann ihre Schultern auf.
»Warum hast du dich versteckt?«, fragte Buffy.
»Aus demselben Grund wie du«, antwortete Cordelia. Sie ging zum Spiegel, prüfte ihr Haar und zog den Lippenstift nach.
»Die Moons sind Dämonen. Entsetzliche, bescheuerte Dämonen-Debütantinnen. Das weißt du ebenso gut wie ich.«
»Cordelia…«
Cordy drehte sich rasch um und hielt Buffy ihren Lippenstift wie ein Schwert entgegen. Ein winziges, zylindrisches Schwert mit einer weichen, rosafarbenen Spitze. »Niemand an der Schule glaubt, dass mit den Moon-Schwestern etwas nicht stimmt. Jemand muss ihnen die Wahrheit klar machen, und dieser Jemand bist du!«
»Wenn du einmal deine…«
»Du bist die Einzige, die etwas unternehmen kann! Du hast gesehen, was die Moons mit diesen Mädchen gemacht haben, und wie sie sich verändert haben. Tu nicht so, als hättest du das nicht mitbekommen!«
Buffy hielt ihre Hand hoch. » Cordy, hör mir bitte einfach nur zu.«
»Mach sie endlich fertig. Sie können Gedanken kontrollieren! Sie bekommen die Ringe von anderen Menschen, ohne auch nur bitte zu sagen! Aber weißt du, was das wirklich Schlimmste daran ist? Vielleicht sabotieren sie den Schönheitswettbewerb und lassen mich verlieren! Wer kann denn schon ahnen, was die wirklich vorhaben?«
»Cordy…!«
»Buffy«, fiel ihr Cordelia erneut ins Wort. »Noch vor einer Minute warst du der Meinung, ein Geist würde nach dir rufen. Und das genau, nachdem die Moons hier drin waren. Hältst du das für einen Zufall?«
Vier Schülerinnen der Abschlussklasse betraten den Raum und lachten über das Trigonometrie-Quiz, bei dem sie gerade kläglich gescheitert waren. Buffy grinste ihnen entgegen. Dann sagte sie mit leiser Stimme zu Cordelia: »Cordy, ich habe die ganze Zeit versucht, dir zu sagen, dass du vielleicht richtig liegst, okay? Ich werde ein Auge auf sie haben. Jägerinnen-Modus. Aufmerksam, wachsam. Hättest du jetzt Lust, etwas richtig Sinnvolles zu tun? Wenn ja, dann begleite uns, wenn wir in der Mittagspause mit Giles reden. Er ist…«
Aber Cordelia schnitt ihr zum wiederholten Mal das Wort ab. »Während der Mittagspause? Oh, auf gar keinen Fall. Ein absolutes Nein. Die Teilnehmerinnen des Wettbewerbs haben ein Treffen. Wir sprechen über unsere Talente und legen fest, in welchem Licht unsere Schönheit so richtig zur Geltung kommt. Kann es etwas Sinnvolleres geben?«
Während des restlichen Vormittagsunterrichts lief Buffys Gehirn auf Hochtouren. Es war nicht der Unterricht, der sie zu solch gedanklichen Höchstleistungen antrieb, sondern was sich in den letzten Tagen in Sunnydale ereignet hatte. Allisons plötzliche Beliebtheit und ihr Persönlichkeitswandel. Die wachsende Kluft zwischen den Jungen und Mädchen an der Sunnydale High. Die zwei Schüler, die ertrunken waren. Giles’ wechselnde Standpunkte zum Bestand der Schulbücherei und seine Faszination für die Studienrätin.
Und der mächtige Einfluss, den die Moon-Schwestern auf die anderen Schülerinnen ausübten.
Während des Essens stellte Buffy lose Vermutungen an. »Mit etwas Glück haben wir die ganze Sache schnell hinter uns«, erzählte sie Willow, Xander und Oz im Foyer, während sich andere Schüler in Richtung Cafeteria an ihnen vorbeiquetschten. »Giles scheint ziemlich auf seine Vorgesetzte abzufahren, obwohl er ihren Anblick noch vor ein paar Tagen nicht ertragen konnte. Er wird vergesslich und, wie ich leider auch feststellen muss, unvorsichtig. Ich glaube, Mama Moon ist ein echt übler Giftzahn. Dazwischengehen ist unsere einzige Wahl. Wir müssen Giles aus seiner Fantasie heraus- und in die wirkliche Welt zurückholen.«
»Na, für diese wirkliche Welt würde ich meine Fantasien doch auch gerne hinter mir lassen«, sagte Xander und verdrehte seine Augen.
Buffy ließ sich nicht irritieren: »Sie behandelt einen wie ein kleines Baby, hat ’nen echt miesen Geschmack, was Bücher anbelangt, und zwei Töchter, denen ich nicht über den Weg traue. Wir müssen Giles aus seiner Betäubung rausholen. Wir werden seine Hilfe benötigen.«
Willow hob ihre Augenbrauen und feuerte die Gruppe an: »Gehen wir es an! Wie stark uns die Stürme auch entgegenwehen, Giles wird uns nicht übersehen! Hey, das reimt sich ja!«
Aber die Bücherei war verschlossen. Der Schultag war gerade mal zur Hälfte vorbei, und das höhlenartige Heiligtum jener Freaks, die noch in
Bücher schauten, war mausedicht. Willow, Xander, Buffy und Oz versuchten sich der Reihe nach daran, die Tür zu öffnen. Ohne Erfolg.
Oz hämmerte gegen die Tür und schüttelte dann seinen Kopf. »Niemand zu Hause.«
»Die Bücherei ist mittags nie abgeschlossen«, widersprach Willow. »Vielleicht hat Giles sich krankschreiben lassen?«
» Oder er geht uns aus dem Weg«, stellte Buffy eine andere Alternative vor.
»Das sieht ihm aber gar nicht ähnlich«, meinte Willow.
Buffy schaute nach links und rechts in den Gang und trat dann mit einer schnellen Bewegung ihres Beins die Tür ein, indem sie das Schloss zerbrach. Die Tür gab den Weg in die Bücherei frei.
»Erinnere mich daran, dass ich dich daran erinnere, beim nächsten Mal, wenn du den Impuls verspürst, so etwas zu tun, vorher den Mund aufzumachen«, bat der erschreckte Xander. »Meine Hand war so dicht am Türgriff!«
Die Vier betraten die Bücherei.
»Giles?«, rief Willow. »Hallo?«
Ein Blick verriet Buffy, was Sache war. Die Bücherregale im Obergeschoss waren weniger vollgestellt als sonst. Obwohl die anderen Schüler es nicht mitbekommen hätten, stach es der Jägerin förmlich ins Auge. Giles hatte wieder eine Anwandlung gehabt. Und den großen Hausputz gemacht.
»Um Gottes Willen, was ist hier los?« Hinter ihnen erklang die Stimme einer Frau. Buffy blickte über ihre Schulter auf Mo Moon, die mit gerunzelter Stirn und einem Batzen Handzettel im Türrahmen stand.
»Oh, hi«, grüßte Buffy mit möglichst gleichgültiger Stimme. Willow, Xander und Oz schienen ihre Zungen praktischerweise verschluckt zu haben. Nicht dass Oz üblicherweise zu großer Gesprächigkeit neigte, aber selbst wenn, hielt er in dieser Situation lieber den Mund.
»Die Tür zur Bücherei war verschlossen«, erklärte Ms. Moon misstrauisch. Die kühle Ruhe in ihrer Stimme gab Buffy das Gefühl, dass Sandpapier über ihre Haut streichen würde. Sie konnte diese Frau auf den Tod nicht leiden. »Wie seid ihr hier hereingekommen? Sehe ich da nicht ein kaputtes Türschloss?«
»Fußzuckungen«, erklärte Buffy schnippisch. »Reflexe. Ist eine traumatische Reaktion, die ich immer bei verschlossenen Türen habe. Die erinnern mich immer an meine Kindheit, als meine boshafte Patentante mich in den Keller sperrte, wenn ich böse war.«
»Der Zwang, die Tür einzutreten, war stärker als sie«, bestätigte Willow Buffys Erzählung. »Ihre Erinnerungen sind wirklich furchtbar. Spinnen! Bäh! Und Tausendfüßler.«
»Und modrige, in Vergessenheit geratene ausgestopfte Tiere mit gruseligen kleinen Augen«, schob Xander nach.
Mo konterte. »Kann ich euch irgendwie helfen?«
»Bei den Zuckungen?«, erkundigte sich Buffy.
»Bei den Büchern. Das dürfte doch wohl den Grund eures Hierseins darstellen.«
»Wir waren auf der Suche nach Giles«, legte Xander die Karten auf den Tisch. »Haben Sie ihn hier vielleicht irgendwo eingesperrt?«
Buffy warf ihm einen warnenden Blick zu.
Aber Mo begann zu lächeln. Dann brach sie in ein klingendes Lachen aus, das dem ihrer Töchter ähnelte. »Ihr kleinen Schelme! Ich liebe euren Sinn für Humor! Nein, Giles ist nicht hier. Er hat sich den Rest des Tages freigenommen. Ich habe ihn gebeten, die Bücherei der Grundschule aufzusuchen, um in Erfahrung zu bringen, welche Lektüre den dortigen Schülern angeboten wird.«
»Oh«, machte Buffy. »Er hat mir gegenüber nichts davon erwähnt, dass er sich den Rest des Tages freinehmen wollte.«
»Wäre das denn nötig gewesen? Ich bin seine Vorgesetzte. Er ist mir Rechenschaft schuldig. Gilt das auch für euch Schüler?«
Als Buffy und die anderen sich in Bewegung setzten, überreichte Mo ihnen noch schnell einen Stapel Handzettel. Auf den Zetteln prangten in großen Buchstaben die Worte »Frauenvereinigung von Sunnydale«.
»Es wäre schön, wenn ihr die Zettel in eurer Nachbarschaft verteilen würdet«, bat Mo. »Buffy, ist es richtig, dass deine Mutter im Kunstgewerbe tätig ist? Dann wäre dies genau die richtige Organisation für sie. Wir rücken kulturelles Bewusstsein, Geschichte, Ästhetik und dergleichen wieder vermehrt in den Vordergrund. Würdet ihr Schüler mir diesen Gefallen tun?«
»Klar«, erklärte Willow. »Null Problemo. Äh, danke schön.«
Den Rest der Mittagspause verbrachten die Vier im Freien. Buffy warf ihre Handzettel in den nächsten Mülleimer. Oz und Xander folgten ihrem Beispiel. »Aber«, versuchte Willow zu widersprechen, »wir haben doch versprochen…«
Buffy schüttelte ihren Kopf energisch. Willow ließ ihre Handzettel auch einen nach dem anderen in die Mülltonne fallen.
Plötzlich kommentierte Xander: »Sehr weit ist Giles aber nicht gerade gekommen«, und wies zum Lehrerparkplatz.
Buffy, Oz und Willow blickten in die Richtung, in die er zeigte. Giles’ Auto stand an Ort und Stelle, er selbst saß bewegungslos hinter dem Lenkrad.
Buffy war als Erste am Auto. Sie öffnete die Fahrertür und fragte: »Hey, Giles, alles in Ordnung?«
Giles richtete seinen Blick auf sie mit deutlicher Verwirrung in seinem Gesicht. »Ich… ich bin mir nicht sicher. Ich sollte irgendwohin fahren, aber ich habe vergessen wohin.«
»Zur Bücherei der Grundschule«, frischte Xander sein Gedächtnis auf.
»Gewiss, gewiss«, bestätigte Giles. »So war es. Ich konnte mich nicht erinnern.« Er lachte unsicher. »Ich frage mich, wie lange ich hier wohl gesessen habe. Vermutlich habe ich wie ein Idiot ausgesehen.«
Buffy, Oz, Xander und Willow kletterten in Giles’ Auto. Buffy setzte sich auf den Beifahrersitz. Die anderen ließen sich auf den Rücksitz fallen und beugten sich erwartungsvoll vor.
»Was geht hier vor?«, fragte Giles auf die für ihn typische Weise. »Habe ich euch versprochen, euch bei der Einkaufsmeile abzusetzen?«
»Wir gehen dazwischen!«, erklärte Buffy. »Versuchen Sie also nicht aus dem Auto zu springen, oder ich werfe Sie wieder hinein.« Das klang ziemlich entschlossen. So hart hatte das gar nicht rüberkommen sollen. So abgebrüht.
»Dazwischengehen? Entschuldigt bitte, aber…«, versuchte Giles sich zu sammeln.
»Halten Sie sich von Mama Moon fern«, verlangte Buffy. »Ich weiß zwar nicht, was ihr Problem ist, aber ihre Anwesenheit schadet der Sunnydale High. Das wissen Sie auch, jedenfalls manchmal, bis sie auftaucht und Sie vollkommen…«
»Durchknallen«, beendete Xander ihren Satz.
»Das tue ich nicht!«, wies Giles die Anschuldigung von sich.
»Und ob Sie das tun!«, insistierte Buffy. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Giles, sie übt irgendeinen Zauber auf Sie aus. Lassen Sie sich nicht von ihr aufs Kreuz legen, indem Sie alle wichtigen Gegenstände aus der Bücherei entfernen. Wir sprechen hier über die Sicherheit von Sunnydale. Und das wissen Sie! Hinter ihrer schönen Fassade lauert ein gefährlicher Abgrund. Stürzen Sie da bitte nicht herunter! Wir brauchen Sie. Halten Sie sich von ihr fern.«
»Halten Sie sich von ihr fern«, murmelte Oz.
»Halten Sie sich von ihr fern«, verlangte auch Xander.
»Halten Sie sich von ihr fern«, schloss Willow. »Bitte!«
Giles atmete tief ein. Nach einer langen Pause, in der niemand etwas sagte, fragte er: »Nun, das ist also ein Dazwischengehen?«
Alle vier Schüler nickten.
Giles hob einen Mundwinkel zu einem schwachen Lächeln an. »Interessantes Konzept. Nichtsdestotrotz, ich weiß eure Mühen wirklich zu schätzen. Ich werde mich künftig… ich werde in Anwesenheit von Ms. Moon sehr vorsichtig und wachsam sein. Sie scheint einen gewissen Einfluss auf mich zu haben, nicht wahr?«
»Vielen Dank.« Die vier stiegen aus dem Wagen.
»Ein schönes Wochenende«, gab ihm Buffy mit auf den Weg, als er davonfuhr. »Und schlafen Sie sich mal richtig aus. Sie sehen erschöpft aus.«
Dingoes Ate My Baby traten an dem Abend im Bronze auf, und wie gewöhnlich war die Bude voll bis unters Dach. Das Bronze war ein sehr beliebter Treffpunkt für Teenies und junge Erwachsene. Auf den ersten Blick machte es nicht sonderlich viel her, aber es war gerade krass genug, gerade laut genug und gerade cool genug, um von den Angesagten bis hin zu den Abgemeldeten praktisch jeden Nachtschwärmer wie ein Magnet anzuziehen. Buffy konnte sich noch gut an ihren ersten Besuch im Bronze erinnern. Wie allein sie sich damals vorkam, so ganz ohne Freunde und sich in jeder Hinsicht unwohl fühlend. Umgeben von lauter Musik war sie auf der Tanzfläche herumgegangen, an den klingelnden Pinball-Maschinen und den mit spielfreudigen Teenies überlaufenen Pool-Tischen vorbei, stets Ausschau nach jemandem haltend, mit dem sie reden konnte, mit dem sie den ersten Kontakt herstellen konnte. An diesem Ort hatte sie die Freundschaft zu Willow und Xander geschlossen, und hier hatten die Freunde viele entspannte Abende verbracht.
Jedenfalls so entspannt, wie Abende für eine Jägerin überhaupt sein konnten.
»Vielleicht liegt es an den Pheromonen«, mutmaßte Buffy, die mit Willow und Xander an einem kleinen Tisch saß. Oz wärmte sich auf der anderen Seite des großen, überfüllten Raums mit seiner Band auf.
»Vielleicht liegt was an den Pheromonen?«, fragte Willow, die gerade ihren Frucht-Drink probiert hatte, jetzt aber mitten im Zug gestoppt hatte. Der Strohhalm hing noch immer zwischen ihren Lippen.
»Mo Moon ist nicht die einzige ihrer Familie mit Kräften. Polly und Calli scheinen sie auch zu besitzen. Cordelia glaubt, sie sind Dämonen. Das kommt mir ein bisschen extrem vor, aber bei dem Ding mit den Kräften liegt sie gar nicht verkehrt.«
Buffy nickte in Richtung der Moon-Schwestern und ihres Anhanges, die allesamt nah an der Bühne standen. Die beiden Schwestern stachen aus der Menge heraus, wie zwei leuchtende Sterne aus einem nachtschwarzen Himmel. Ihr Haar leuchtete mit den glitzernden Juwelen um die Wette. »Ich habe sie jetzt fast eine Stunde lang beobachtet. Total unheimlich.«
»Cordy hat Recht? Soll das heißen, sie hat zur Abwechslung mal etwas schneller gerafft als wir?« Xander konnte es gar nicht fassen.
»Hierbei geht’s halt um Dinge, mit denen Cordy sich auskennt. Beliebtheit. Der Schönheitswettbewerb. Alles Cordelia-Kram. Man könnte sagen, sie und die Moons funken auf derselben Wellenlänge.«
Willow zuckte mit ihren Schultern. »Vielleicht haben die Moons auch einfach so viele Freunde gefunden, weil das, was sie sagen, richtig ist?«
»Oh?«, staunte Xander. »Du stimmst ihnen also zu? ›Frauen sind gut, Männer sind böse‹?«
»So einfach ist das nicht.«
»Und ob es das ist«, urteilte Xander. »Männer sind Mist, Frauen wandeln übers Wasser. So lautet die Kurzform.«
»Xander…«
Buffy legte ihre Hände auf seine Arme. »Warte. Hör mir zu. Vergiss mal für eine Minute, welchen Plan die verfolgen. Die sind mehr als nur unsere echt ekelhaft geistesgegenwärtigen neuen Mitschülerinnen. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Da ist doch was dran. Unsere Mütter bringen uns bei, wie wir unser Haar zurechtmachen. Vielleicht bringt Mo ihren Töchtern ja ganz andere Fähigkeiten bei.«
»Glaubst du wirklich?«, fragte Willow. »Wow.«
Buffy nippte an ihrem Espresso. »Ja. Und ich brauche eure Hilfe. Wir müssen herausfinden, wie Gerüche auf das menschliche Verhalten wirken. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sich in ihrem Parfüm Pheromone befinden.«
Willow nickte.» Sicher doch, Buffy. Kein Problem. Montag früh in der Bücherei, gleich als Erstes.«
Ein Schrei schnitt durch die Luft und unterbrach alle Gespräche. Jeder wollte mitbekommen, wer geschrien hatte und was passiert war.
Weitere Schreie gellten auf. Es war nicht zu verstehen, was geschrien wurde, aber die Worte waren voller Emotionen. Buffy sprang auf ihren Stuhl und hielt Ausschau. Ein Großteil der Besucher eilte in Richtung des Ausgangs. Die beiden Schwestern Moon vorneweg.
»Was ist denn da los?«, fragte Xander.
»Kann ich nicht erkennen«, antwortete Buffy.
Sie bahnte sich ihren Weg durch die Menge, mit Willow und Xander im Schlepptau. Schließlich kamen sie nach draußen.
Im fahlen Licht, das durch die offene Tür des Bronze nach außen drang, waren zwei Gruppen zu erkennen, die sich feindselig gegenüberstanden. Die eine Gruppe kochte vor Wut und zeigte mit Fingern auf die gegnerische Partei. Die andere Gruppe dagegen lächelte mit aufreizender Gelassenheit.
Die lächelnde Gruppe wurde von Polly und Calli Moon angeführt. In ihrem Pulk befanden sich auch Allison, Ashley Malcolm, ein paar Töchter reicher Eltern, die Oberstufen-Schülerinnen aus dem WC, ein paar Mädchen, die Buffy nur vom Sehen kannte, sowie eine Handvoll Jungen, die total benebelt aus der Wäsche guckten.
Cordelia stand dicht gegen die Wand des Bronze gepresst und sah mit Entsetzen zu.
»Cordy.« Buffy ging zu ihr herüber. »Was ist hier los?«
Cordelia hatte ihre Lippen grimmig zwischen die Zähne gezogen. Diese Szene bereitete ihr ganz offensichtlich Probleme. Sie stand da und musste einem Kampf zusehen, dem sie nicht in einer Million Jahren zugestimmt hätte - einem Kampf der Geschlechter. Dabei mochte sie Jungs. Sie liebte Jungs. Man konnte sie benutzen, sie manipulieren und sie natürlich auch übervorteilen. Aber man durfte sie nicht wie Aussätzige behandeln. Sie nicht vom alltäglichen Leben ausschließen. Das machte doch keinen Spaß mehr.
»Keine Ahnung«, war alles, was Buffy als Antwort erhielt. »Frag sie.«
»Eure Sorgen kümmern uns nicht«, begann Calli mit erhobener Stimme, so wie ein Politiker im Wahlkampf. »Sie existieren für uns nicht. Wir hegen keinen Zweifel daran, dass ihr unseren Standpunkt mit der Zeit nachvollziehen können werdet. Jeder Einzelne von euch. Doch bis dahin werden wir unsere sozialen Aktivitäten an einem anderen Ort ausüben. Es ist überdeutlich, dass wir hier nicht erwünscht sind. Noch nicht.« Sie zeigte rasch ihr FRAUENPOWER-Shirt und ihre Anhängerinnen taten es ihr nach. Dann zogen sie die Gasse hinunter und verschwanden in der Dunkelheit. Jene, die sie herausgefordert hatten, sahen ihnen mit reichlich Gegrummel und Verwünschungen hinterher.
Anya lief an Cordelia und Buffy vorbei. »Kommt ihr beiden nicht mit? Das sollte man sich wirklich anhören, auch wenn sie bloß niedere Sterbliche sind. Vielleicht kann ich sie überzeugen, für die Sache sitzen gelassener Frauen einzutreten und ein paar männliche Gehirne über die Wände zu verteilen. Das würde garantiert meine Laune heben. Gott, ich vermisse die alten Zeiten!«
»Du kannst ja schon mal vorgehen«, bot ihr Buffy an.
Polly Moon kam mit einer kleinen Gruppe zurück und wies ihre männlichen Begleiter an, beim Bronze zu bleiben. Sie gehorchten umgehend, blieben stehen, sahen sich verlegen an und blickten dann ohne einen Ton auf den Fußboden. Polly schüttelte ihr goldenes Haar, blieb vor Willow stehen und sagte mit einem breiten Lächeln: »Willow Rosenberg, wir feiern heute Abend eine Party im Lachenden Griechen. Allison stellt uns das Lokal als neuen Treffpunkt zur Verfügung, da wir hier ja nicht mehr erwünscht sind. Wir würden uns wirklich freuen, wenn du kommen würdest. Okay?« Die ganze Zeit strich sie dabei mit einem Finger über die Diamanten an ihrer Halskette.
»Ich?«, lautete Willows erstaunte Reaktion.
»Ja«, versicherte ihr Polly. Sie grinste wieder, noch breiter.
»Nun ja…« Buffy konnte sehen, wie Willow nach den passenden Worten suchte. »Ich bin nicht unbedingt jemand, der sich um eine Stelle in einer Jungen-Sportmannschaft bewerben würde. Selbst bei den Mädchen-Mannschaften bin ich nicht besonders gut.«
»Wir respektieren alle Begabungen, Willow«, versicherte ihr Polly. »Egal, ob sie nun athletischer, musikalischer, künstlerischer oder intellektueller Natur sind. All das bedeutet es, eine Frau zu sein. Wir haben wirklich großen Respekt vor deinem Verstand.«
»Ist das so?« Willow klang hoffnungsvoll.
Xander ging dazwischen. »Vergiss sie. Willow, du hast uns.«
Willow zögerte kurz, aber dann sagte sie: »Nein danke. Ich bleibe hier bei meinen Freunden.«
»Wie du wünschst, Willow«, sagte Polly. »Aber denk immer daran, dass wir uns sehr über deine Anwesenheit freuen würden! Denk immer daran, hörst du?« Mit einem Augenzwinkern ging sie zu ihrer Anhängerschaft zurück.
Willows Blick folgte der in der Dunkelheit verschwindenden Gruppe. Buffy konnte sehen, dass etwas in ihren Gedanken arbeitete. Dann schien Willow einen Entschluss gefasst zu haben: »Weißt du, Buffy. Ich könnte als Spion hingehen. Ich könnte mich an ihre Fersen heften und überwachen, was sie so treiben und untereinander bereden. Das wäre viel aufregender als in der Bücherei lange herumzustöbern. Damit will ich nicht sagen, dass ich dir nicht auch so helfen würde, aber das hier wären Informationen aus erster Hand. Offiziell!«
»Ich bin mir nicht sicher, ob das eine so gute Idee ist.«
»Wenn ich mich vom Parfüm benebelt fühle, verschwinde ich sofort. Und außerdem kann ich, falls es notwendig sein sollte, immer noch einen Zauberspruch aufsagen, der mir Schutz gewährt. Schließlich bin ich eine Hexe, vergesst das bitte nicht! Und weil sie mich eingeladen haben, werden sie auch nicht vermuten, dass ich sie auf Schritt und Tritt überwache!«
»Willow…«
Willows Miene veränderte sich. »Ihr traut mir nicht zu, dass ich einen guten Spion abgebe? Heißt das, ich bin bloß als Computerexperte zu gebrauchen?«
»Nein, natürlich nicht, Willow. Du hast in vielerlei Hinsicht einiges auf dem Kasten.«
»Okay, was spricht also dagegen?«, frohlockte Willow. »Dann gehe ich also. Ich melde mich morgen bei euch. Und keine Angst, Mom. Ich passe auf mich auf. Die Frau Doktor weiß immer Rat.«
Willow verschwand in derselben Richtung wie der Frauen-Clan.
»Frau Doktor weiß immer Rat?«, fragte Buffy nach.
Xander zog eine verlegene Grimasse. »Damals in der Grundschule habe ich sie manchmal gezwungen, mit mir alte Wiederholungen im Fernsehen anzugucken. Dafür haben sie und ich dann Onkel Doktor gespielt. Nein, nicht das was du denkst. Ich war der Patient - und musste zuhören, wenn sie mir die ganzen medizinischen Texte laut vorlas.«
Buffy und Xander gingen wieder hinein und hörten sich den Auftritt von Oz und seiner Band an. Da sie ihm nicht erklären wollten, dass seine Freundin lieber Spionin spielte, als ihm zuzuhören, verließen sie das Bronze während des letzten Songs.
Sie schlenderten ein paar Minuten lang ohne zu sprechen vor sich hin. Als sie um eine Ecke gingen und eine verlassene Straße betraten, fragte Xander: »Glaubst du, Willow ist o.k.?«
»Das hoffe ich. Sie ist clever und besitzt gute Instinkte. Aber sie ist keine sehr gute Hexe. Nun, sie ist in der Hinsicht eine gute Hexe, dass sie nicht so böse ist, wie böse Hexen nun mal so sind, aber sie ist keine gute Hexe, weil sie praktisch keine Erfahrung hat.«
»Hat das, was du gerade gesagt hast, einen Sinn ergeben?«, fragte Xander verwirrt.
»Keine Ahnung. Hat es?« Auf einmal wurde sie langsamer und schnupperte in der Luft. Adrenalin schoss in ihre Venen. Sie blieb stehen. Auch Xander blieb stehen.
»Pst«, warnte die Jägerin ihn.
»Na ganz toll«, murrte er. »Vampire, stimmt’s?«
Es waren Vampire. Sie rutschten am rauhen Mauerwerk eines Lagerhauses auf die Straße herab und kamen auf Xander und Buffy zu. Zwei Vampire, aus deren Kehle ein tiefes Grollen drang. Ihre Augen funkelten, als würde man auf einen Feuerstein schlagen, und sie wippten in einem obszönen und hypnotisierenden Rhythmus hin und her. Einer der Vampire zog ein großes Netz aus einer Umhängetasche und reichte dem zweiten Vampir das andere Ende. Die beiden grinsten und winkten mit dem Netz, wie zwei dämonische Fischer, die auf menschliche Beute aus waren.
Buffy erkannte in ihren Gegnern die beiden weiblichen Vampire, die vor ihrem Haus herumgelungert hatten und sie bereits nach dem entsetzlichen Abendessen im Lachenden Griechen in der Gasse angegriffen hatten. Das Netz war beunruhigend. Wenn die beiden sie erst einmal in das Netz eingewickelt hatten, würde es unglaublich schwierig werden, sich aus der misslichen Lage zu befreien.
»Viva!«, sprach Buffy ihrer Gegnerin an, während sie drei scharfe Pflöcke aus ihrem Rucksack holte. »So trifft man sich also wieder! Warum heute Abend nur zu zweit? Sitzen die anderen daheim und haben Angst, von mir abgestaubt zu werden?«
Xander zerrte ein Kreuz aus der Tasche seines Hemdes und streckte es von sich. »Was hat es mit dem Netz auf sich?«, flüsterte er beunruhigt.
»Aus irgendeinem Grund haben die beiden die lächerliche Idee, mich fangen zu wollen, anstatt mich zu töten«, flüsterte Buffy zurück. »Vielleicht machen die ja ’ne Schnitzeljagd und ich bin 100 Punkte wert.«
Xanders Miene hellte sich ein wenig auf. »Was schätzt du, wieviel ich wert bin?«
Buffys schneller, ermahnender Blick veranlasste ihn, das Kreuz noch fester in die Hand zu nehmen. Seine Hände zitterten merklich.
Mit ihrer freien Hand wickelte Viva eine lange, schwere Kette von ihrer Taille. Ohne Verzögerung schlug sie mit der Kette nach Buffys Kopf. Buffy sprang beiseite und die Kette traf Xander an der Schulter. Sie zerriss seine Jacke und schnitt ihn tief ins Fleisch. »Aargh«, klagte er und ließ beinahe sein Kreuz fallen.
Viva blickte finster drein und fauchte verächtlich. Sie machte einen schnellen Schritt zur Seite in Buffys Richtung und holte wieder mit der Kette aus, die diesmal auf das Genick der Jägerin zielte. Buffy sprang zur Seite und drehte sich dabei um ihre eigene Achse, aber die Kette wickelte sich um ihre Hüfte und fesselte einen Arm. Sie fiel mit einem überraschten »Umpf« auf den Boden, biss sich auf die Zunge und ließ um ein Haar die Pflöcke fallen.
»Buffy!«, schrie Xander auf.
Die beiden Vampire quietschten vor Vergnügen und warfen mit einer blitzschnellen Drehung ihres Handgelenks die losen Enden des Netzes auf ihre Beute. Aber bevor sie das Netz zuziehen konnten, warf Buffy einen der Pflöcke nach ihnen. Der Pflock bohrte sich mit brutaler Gewalt in die Brust von Vivas Partnerin. Der Vampir fiel zurück und explodierte wie eine Rauchbombe.
Viva heulte schmerzerfüllt auf. Xander warf sich unter das fallende Netz und verhedderte sich darin, bevor es auf Buffy landen konnte. Er fiel unsanft zu Boden, rollte ein Stück und wickelte sich wie eine Schmetterlingslarve ein. Für einen kurzen Augenblick wanderte Vivas Blick zwischen Xander im Netz und Buffy, die noch immer durch die Kette gefesselt war, hin und her. Dann stürzte sie sich, die verwachsenen, rasiermesserscharfen Klauen angriffsbereit emporhaltend, auf Buffy, um ihre böse Absicht in die Tat umzusetzen.
Buffy zog verzweifelt an der Kette und versuchte, sich von ihr zu lösen. Die beiden anderen Pflöcke hielt sie in ihrer gefesselten Hand und sie hatte nicht genügend Bewegungsfreiheit, um sie zu werfen oder sie auch nur in Vivas Richtung zu halten. Mit einem Satz sprang Viva auf sie. Buffy konnte den fauligen Atem riechen und das kalte Fleisch spüren. Sie drehte sich rasch um und begrub die überraschend schwere Viva unter sich. Jetzt befand sie sich über dem Vampir. Sie merkte, wie sich die Kette durch ihr wildes Rucken allmählich löste. »Xander!«, rief sie. »Komm her! Ich brauche deine Hilfe!«
»Meine Lage ist Augenblick etwas verwickelt!«, antwortete Xander.
Der Vampir versuchte sich unter Buffy freizumachen. Viva wand ihren Kopf und Körper hin und her. Sie ließ stinkende Spucke von ihren Lippen direkt auf Buffys Gesicht sprühen. Endlich hatte Buffy die Kettenreste abgeschüttelt und setzte sich kerzengerade auf. Aber bevor sie mit einem der Pflöcke zustoßen konnte, trat Viva ihr mit dem Knie in den Magen, sprang auf und brachte etwas Distanz zwischen sich und die um Luft ringende Jägerin.
Mühsam bekam Buffy wieder Luft, sprang auf ihre Füße und richtete einen Pflock auf den Vampir.
Plötzlich ertönte hinter Viva ein lauter Ruf und Buffy konnte sehen, wie zwei männliche Vampire in ihre Richtung rannten. Viva hörte sie auch und blickte mit einem Gesichtsausdruck über ihre Schulter, den Buffy nur als extreme Verwirrung deuten konnte.
»Das schaffe ich auch allein«, rief Viva ihren Artgenossen zu. »Verschwindet von hier!«
Die männlichen Vampire kamen rutschend zum Stehen und sahen sie mit verwirrtem Erstaunen an. »Was schaffen?«, wollte der Hässlichere wissen. »Wir helfen dir, die Jägerin kalt zu machen.«
»Nein!«, hielt Viva energisch dagegen. »Ich muss sie fangen!«
Buffy fand diese Diskussion äußerst interessant.
Der andere männliche Vampir lachte. »Auf keinen Fall, Viva! Sie killt uns, wir killen sie. So läuft es seit Anbeginn der Zeit.«
»Haltet die Klappe und hört mir zu«, versuchte Viva zu erklären. »Es ist wegen der Moons. Wir müssen sie aufhalten!«
Warum macht sich ein Vampir wegen der Moons Sorgen, wunderte sich Buffy.
»Ja doch, ja doch«, erwiderte der Hässliche. »Wir haben Gerüchte von deiner verrückten Idee gehört. Niemand glaubt dir, Viva.«
»Damit würdet ihr aber besser fahren!«, klagte Viva. »Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen…«
Buffy hatte schon seit langem keinen richtig ausführlichen Disput unter Vampiren mehr zu Ohren bekommen, aber nun reichte es. Sie warf einen der übriggebliebenen Pflöcke mitten in die Versammlung. Er schlug dem Hässlichen in den Brustkorb und ließ ihn sofort zu Staub zergehen. Der andere Mann lief auf sie zu, doch sie duckte sich und verpasste ihm mit dem Fuß einen mächtigen, weit ausholenden Tritt gegen den Kiefer, der ihn zu Boden gehen ließ. Auf Händen und Knien liegend, fauchte er und biss wild in die Gegend. Viva schrie: »Das Netz, verdammt!«
Buffy schlug den letzten Pflock so hart durch den Rücken des verbliebenen männlichen Vampirs, dass er auf der Vorderseite wieder heraus kam. Sie zog den Pflock mit einiger Kraft durch den Körper des Vampirs zurück. Viva gab einen klagenden Laut von sich, als auch er zu Staub zerfiel.
Buffy richtete sich auf und drehte sich in Vivas Richtung. Was nun folgte, malte sie sich schon in Gedanken aus. Erst mache ich sie kampfunfähig, quetsche dann die Wahrheit über die Moons aus ihr heraus und kille sie zum krönenden Abschluss! Doch Viva war verschwunden. Buffy sah sich in der Gasse um, aber Viva war fort - schon wieder.
»Hey«, versuchte Xander sich in Erinnerung zu bringen.
Buffy fand ihn immer noch gründlich in das Netz eingewickelt vor. Seine Augen waren weit aufgerissen und das Kreuz hielt er noch immer gegen seinen Brustkasten gedrückt, als wäre er ein reuevoller Mönch, der eine bizarre Form der Selbstdisziplinierung vornahm.
Sie befreite ihn aus dem Netz und half ihm auf die Beine. Er schüttelte noch benommen seinen Kopf und sagte: »Danke, Buff. Was würde ich nur ohne dich tun?«
»Von Vampiren aufgegessen werden, du kleiner Tolpatsch?«
Während sie und Xander sich den Staub aus den Klamotten klopften und sie die Pflöcke wieder in den Rucksack legte, ging Buffy nur ein Gedanke durch den Kopf. Warum sollte ein Vampir Angst vor gewöhnlichen Sterblichen wie den Moons haben? Es sei denn, die Moons sind gar keine Sterblichen.