7
Buffy sank auf einen Küchenstuhl nieder und legte müde ihren Kopf auf den Tisch.
»Ist bei dir alles in Ordnung, meine Kleine?«, fragte Joyce. Sie warf einen Blick in den Kühlschrank, um eine Entscheidung zu fällen, woraus ihr Abendessen bestehen würde.
»Aber ja doch, alles bestens«, versicherte ihr Buffy. »Ich bin bloß müde.«
Buffy war emotional erschöpft. Dieser Zustand war schlimmer als die körperliche Erschöpfung, die der Kampf gegen Vampire üblicherweise mit sich brachte. Sie und Xander - Cordelia hatte nach der Schule an einem Treffen für den Wettbewerb teilnehmen müssen - hatten zwei Stunden in der öffentlichen Bücherei von Sunnydale verbracht, um dort mit Hilfe eines überdurchschnittlich enthusiastischen Bibliothekars alles Wissenswerte über Pheromone in Erfahrung zu bringen. Sie hatten ein paar Artikel über Duftstoffe im Tierreich aufstöbern können, sowohl über natürliche als auch über künstlich hergestellte.
Aber keiner von ihnen war in irgendeiner Form hilfreicher als das gewesen, was Mama Moon ausgedruckt hatte.
»Buffy? Ich könnte uns eine Pizza bestellen, wenn dich das aufheitert. Hättest du gern eine Pizza?«
»Mir ist alles recht. Und mir geht es gut, Danke.«
Sie strich sich mit ihren Fingern durchs Haar und zog an ihnen. Denke, hallte es in ihrem Schädel. Denke! Willow steht unter dem Einfluss der Moons und Giles auch. Irgendwie, auf irgendeine mir noch unklare Weise, muss ich sie von dem Einfluss fernhalten, bis ich dahinter komme, was er ist, woher er kommt und wie ich ihn beenden kann.
Morgen würde sie zur Bibliothek des Crestwood Colleges gehen, Sunnydales Beitrag zur höheren Bildung. Mit Sicherheit würden die da mehr Informationen inmitten gigantischer Aktenberge beherbergen. Oder ein paar alte Zoologie- oder Mythologie-Professoren würden nur zu glücklich sein, ihr jedes bisschen ihres enormen Fachwissens mit Freude mitzuteilen.
Aber was kann ich jetzt unternehmen? Sie irgendwo einsperren und den Schlüssel wegwerfen?
Das Telefon klingelte. Buffy nahm den Hörer ab, noch bevor ihre Mutter den ersten Schritt zum Telefon gemacht hatte.
»Hallo?«
Es war Willow, die sehr wütend klang. »Und was genau stimmt nicht mit dir, Buffy? Würdest du mir das wohl verraten? Ich bin so peinlich berührt. Was ist hier los?«
Okay, dachte Buffy. Denk nach, bevor du was sagst. »Tut mir Leid, aber ich hatte einen anstrengenden Tag. Ich bin mir nicht sicher, worauf du hin…«
»Und ob du das bist. Das bist du mit Sicherheit! Du sprichst mit gespaltener Zunge!«, ereiferte sich Willow.
»Bitte was?«
»Du sitzt während der Pause an deinem Tisch, du gehst uns im Foyer aus dem Weg. Du hast weder die neueste Petition für Ashley unterschrieben, noch die über die Spiegel auf den WCs, noch die Aufforderung an das Schulgremium, weibliches Reinigungspersonal einzustellen. Männer können nicht putzen! Bist du nicht stolz darauf, eine Frau zu sein, Buffy? Ich dachte, dass gerade du das Abzeichen der Weiblichkeit mit Stolz tragen würdest!«
»Mach mal ’nen Moment Pause, Willow«, fuhr Buffy ihr dazwischen. Sie legte ihre Hand an die Muschel und senkte ihre Stimme. Vielleicht hatte man Willow ja eine Gehirnwäsche verpasst, aber das gab ihr noch nicht das Recht, Buffy so anzugreifen.
»Willow, ich bin zu keinem Zeitpunkt nicht stolz darauf gewesen, wer ich bin. Lass mich das mal ganz ausdrücklich klarstellen. Mit jedem Tag bin ich stolzer darauf, wer ich bin. Nur weil ich nicht an einem Tisch essen möchte, an dem das Einzige, was ich riechen kann, billiges Parfüm ist, und an dem sich die Gespräche nur darum drehen, dass Frauen praktisch über alles herrschen sollten, heißt das nicht, dass ich nicht auch eine Frau aus echtem Schrot und Korn bin.«
»Buffy?« ertönte Joyces Stimme aus der Küche, die offensichtlich den letzten Teil mitgehört hatte.
»Nun«, fuhr Willow fort, »wir haben über dich gesprochen. Heute Nachmittag im Lachenden Griechen. Wir finden, dass es Zeit wird, dass du dich dem Programm anschließt, unsere T-Shirts trägst, dich für den Miss Sunnydale-Wettbewerb einträgst und dir eine Jungen-Mannschaft aussuchst, für die du nach einigem Protest vorspielen darfst.«
»Willow, ich wünschte, du könntest dich reden hören.«
»Ich weiß sehr genau, was ich von mir gebe, Buffy. Und wir erwarten, dass du dein Mittagessen morgen mit uns zusammen einnimmst. Auf Wiederhören.«
Die Leitung war tot. Buffy legte den Hörer langsam wieder auf die Gabel. Als sie in die Küche zurückkam, sah sie ihre Mutter mit einem besorgten Gesichtsausdruck gegen die Spüle lehnen.
»Gibt es Schwierigkeiten?«, fragte Joyce.
»Schwierigkeiten ist ein relativer Begriff.«
»War das Willow?«
»In gewisser Weise.« Buffy drehte sich um und sah Joyce in die Augen. Ihre Mutter wusste, dass sie sich mit übernatürlichem Kroppzeug rumzuschlagen pflegte, und hatte dementsprechend auch eine Vorstellung davon, welchen Gefahren sich ihre Tochter aussetzte, aber sie konnte nicht mal im Ansatz ahnen, welch immense Anzahl seltsamer Situationen in Sunnydale auftauchen konnten. »Ist so eine Junge-Mädchen-Sache, ob du’s nun glaubst oder nicht. Die ganze Schule dreht allmählich durch. Jeden Tag gibt es Streitereien. Und Willow ist ein Teil des Problems.«
»Das hört sich übel an«, bemerkte Joyce.
»Es ist übel«, erzählte Buffy. »Es gibt eine Kerngruppe von Mädchen, die beschlossen haben, die Schule zu übernehmen, sie nach ihren Vorstellungen zu lenken und jeden, der sich ihnen in den Weg stellt, zu - na ja, nichts Nettes jedenfalls. Die Anführerinnen sind zwei neue Schülerinnen namens Polly und Calli Moon. Es hat fast den Anschein, als wollten sie die Prinzessinnen der Schule werden, oder die Kaiserinnen, oder die Göttinnen oder irgendwas ähnlich Ätzendes.«
»Was unternimmt Direktor Snyder dagegen?«
»Nichts außer ein paar Ansprachen vor Schulbeginn. Wahrscheinlich hofft er, dass sich die Sache von alleine erledigt.«
»Vielleicht sollte ich meine Besorgnis als Elternteil zum Ausdruck bringen«, schlug ihre Mutter vor.
»Ich glaube nicht, dass das was bringt.«
Das war der falsche Satz. »Nein? Vielleicht bin ich ja eine alleinerziehende Mutter und vielleicht habe ich in meinem Job wirklich viel zu tun, aber ich lasse nicht zu, dass der Eindruck entsteht, ich würde nicht meinen Mund aufmachen, wenn es um das Wohlbefinden meiner Tochter geht.«
»Das habe ich nie gesagt.«
»Nein, das hast du nicht.«
»Hat Dad das gesagt?«
»Nicht in diesen Worten.«
»Mom, ich hätte das gar nicht ansprechen sollen. Mach dir bitte keine Sorgen über die Schule. Das wird schon wieder.« Buffy versuchte ein Lächeln in ihr Gesicht zu zaubern. Sie wollte nicht, dass ihre Mutter sich in eine Sache einmischte, die sich vielleicht zu richtigem Ärger auswachsen konnte. »Das erledigt sich vermutlich von alleine. Hoffe ich jedenfalls.«
»Nun ja, ich bin mir da nicht so sicher«, sagte Joyce zweifelnd. Dann atmete sie tief ein. »Da wir schon von deinem Vater sprechen; wir müssen eine Entscheidung treffen, was die Mutter-Tochter-Modenschau oder den Wanderausflug betrifft. Der Tag ist weniger als zwei Wochen entfernt.«
Buffy fühlte, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten. Das war das Letzte, mit dem sie sich jetzt herumärgern wollte. Derzeit wurde zu oft von ihr verlangt, eine Seite zu wählen. Sie wollte sich an diesem Spiel nicht beteiligen.
Obwohl sie normalerweise ihre Mutter nicht ignorierte, tat sie jetzt genau das und versuchte das Thema zu wechseln.
»Könnte ich Willow morgen zum Abendessen einladen«, fragte sie mit einem gezwungenen Lächeln. »Ich weiß, dass du lange arbeiten musst, aber irgendwas Einfaches werde ich schon hinbekommen. Ich will mich wieder mit Willow versöhnen. Okay? Ich werde Giles auch einladen. Er ist ein guter Vermittler.«
Joyce durchschaute sofort die Absicht ihrer Tochter, sich um eine Antwort zu drücken, schüttelte aber trotzdem ihren Kopf und atmete langsam aus. »In Ordnung, Buffy. Ich werde ja sagen. Aber schon sehr bald wirst auch du zu jemandem ja sagen müssen. Verstehst du?«
Buffy nickte. »Natürlich. Null Problemo.« Und vielleicht, dachte sie, kann ich in Willow und Giles ein bisschen Verstand prügeln, um sie von den Moons trennen zu können, na ja, nicht im wörtlichen Sinn prügeln.
Und wenn das nicht funktioniert, sperre ich sie einfach in den Keller und werfe die Schlüssel weg.
Am nächsten Morgen fing Xander Buffy nach der zweiten Doppelstunde auf Höhe der Spindschränke ab. Sie war eigentlich nur in die Klasse gegangen, um auf den Anwesenheitslisten erwähnt zu werden, aber war nun auf dem Weg zum Crestwood College. Xander und Oz wollten sich auch vom Unterricht verdrücken und mit Oz’ Van nachkommen, nachdem sie aufgetankt und die platten Reifen aufgepumpt hatten. Buffy wusste, dass sie auch mit ihren Freunden fahren konnte, wenn sie ein bisschen warten würde, aber sie hatte das Gefühl, den Weg zu Fuß zurückzulegen und dabei allein zu sein, würde ihr gut tun.
»Ich habe von Willows Benehmen allmählich die Nase voll«, beschwerte sich Xander. Die Art, wie er sich dabei verstohlen umsah, ließ keinen Zweifel daran, dass er vorhatte, dem Unterricht fernzubleiben. Was ja auch den Tatsachen entsprach.
»Bist du ihr heute schon begegnet? Stolziert herum wie die absolute Megazicke, und hinten dran der ganze Haufen Megazicken. Sie spricht Oz mit keiner Silbe an und behandelt mich wie Schmutz. Und auch dir hat sie die kalte Schulter gezeigt.«
»Ich weiß«, nickte Buffy. »Aber sie hat meine Einladung zum Abendessen angenommen. Ebenso wie Giles. Okay, ich geb’s ja zu, ich musste ihm sagen, dass es sich um ein Überraschungsabendessen als Willkommensgruß von Sunnydale für Mo Moon handelt, aber immerhin hat er zugestimmt. Vielleicht kann ich ja bei mir zu Hause mit ihnen reden, wenn nichts Moon-mäßiges auf sie einwirkt. Ich hoffe, ich kann dann zu ihnen durchdringen.«
Xander atmete tief und klang dabei ziemlich gequält.
»Wir werden diesem Schlamassel schon auf den Grund kommen, Xander. Schon heute Nachmittag könnten wir genug Informationen haben, um etwas zu unternehmen. Was auch immer das sein könnte. Und nun hör auf, so schuldig aus der Wäsche zu gucken, nur weil du mal ein paar Stunden schwänzt.«
»Wenn wir nicht dahinter kommen, was hier los ist«, sagte Xander und schlug Buffys Spind zu, nachdem sie das letzte Buch herausgenommen hatte, »sollten wir den Moon-Mädels einfach auflauern und ihnen eine hübsche, geschlechtsübergreifende Tracht Prügel verpassen.«
Oh ja, dachte Buffy.
Oh ja, da hast du sowas von Recht, dachte sie erneut, als sie draußen über die Rasenfläche zum Trampelpfad eilte. Und sobald wir erst einmal wissen, mit was wir es hier zu tun haben, werden wir alle notwendigen Schritte in die Wege leiten.
Die Abkürzung zum Crestwood College führte Buffy hinter die Schule, über das Football-Feld und unter den Tribünen hindurch zur anderen Straßenseite. Für einen Moment schloss sie ihre Augen, während sie über das Spielfeld ging, auf dem der Platzwart bereits die Linien für die nächste Partie mit der Kalkmaschine gezogen hatte. Für diesen einen Moment genoss sie den warmen Sonnenschein und die angenehme Brise.
Wenn dieser Moment nur ewig dauern könnte, dachte sie. Wenn die Dinge nur für eine kleine Weile normal sein könnten…
»Buffy, hilf mir…!«, hörte sie eine Stimme.
Sie wurde schlagartig wieder wach und öffnete ihre Augen, ihre Muskeln angespannt.
Zunächst sah sie überhaupt nichts, nur das grasbewachsene Feld und die Tribünen, die nun ziemlich nah waren. Außer ihr war niemand in der Nähe. Die Schatten der Bäume, die entlang des Außenzauns des Sportplatzes wuchsen, flackerten wie schwarze Finger auf dem Boden. Die Schatten unter der Tribüne waren unbewegt und geräuschlos.
Aber von da kam es. Ein Funkeln unter den Tribünen.
Bewegung.
Buffy sprintete leise zum Rande der großen Aufbauten und kniete nieder. Sie kroch unter das Metallstangen-Labyrinth und lauschte, tastete die Dunkelheit mit ihren Sinnen ab. Die Jägerin biss ihre Zähne so fest aufeinander, dass es fast weh tat.
Dann konnte sie die beiden undeutlich erkennen. Zwei Gestalten im hintersten Winkel der Tribüne, dort wo die Schatten am dunkelsten waren.
Das Flimmern der tanzenden Lichtstrahlen war für Buffy wie ein Leuchtfeuer. Es war das Flimmern teurer Juwelen. Buffy ging in die Hocke und arbeitete sich leise durch die aus allen Richtungen kommenden und ebenso in alle Richtungen verschwindenden Metallstangen vor.
Auf einmal konnte sie deutlich sehen. Polly Moon lag mit einem Jungen auf dem Boden - Adam Shoemaker, einem Oberstufen-Schüler aus der Schwimmmannschaft - und hielt ihn an der Kehle gepackt. Sie summte eine Melodie und zerkratzte dabei seinen Nacken mit langen, langsamen Strichen. Inmitten der Schatten konnte Buffy erkennen, wie sich die Kratzer rasch mit Blut füllten und dunkel färbten. Die Melodie war hübsch und gleichzeitig verwirrend. Buffys Magen zog sich zusammen.
Plötzlich drückte Polly Adams Gesicht in eine Regenpfütze neben sich und hielt das Gesicht des sich nur schwach wehrenden Jungen unter Wasser. Seine Finger setzten sich in Bewegung, packten nach Grashalmen und Lehmklumpen, aber dieser Frau hatte er nicht ausreichend Körperkraft entgegenzusetzen.
Waren die Moon-Mädchen eine mutierte Vampir-Art, die das Sonnenlicht überleben konnten, aber dennoch töten mussten, um zu leben? Hatten sie Brian Andrews und Ben Rothman auf dieselbe Weise getötet?
Buffy gab sich keine weitere Sekunde Zeit zum Nachdenken. Sie näherte sich Polly, unter einigen Stützpfeilern wegduckend und über andere springend. Polly blickte auf, aber in ihren großen schönen Augen zeichnete sich keine Überraschung ab. In dem Augenblick, in dem Buffy in Angriffsreichweite kam, sprang die Blondine mit einem blitzschnellen Satz auf und brachte mit überraschender Behändigkeit einen größeren Abstand zwischen sich und die Jägerin. Adams Kopf fiel mit einem klatschenden Geräusch wieder in die Pfütze.
Buffy setzte an, Polly gegen den Kopf zu treten, doch das Mädchen wich ihrem Fuß aus und kicherte. Dann ließ Buffy eine Rechts-Links-Kombination auf ihre Gegnerin los, aber Polly ließ die Angriffe der Jägerin durch tänzelnde, schwingende Bewegungen ins Leere sausen.
»Wer bist du?«, fragte Buffy mit Staunen in der Stimme, aber Polly lachte nur.
Buffy wandte sich Adam zu und schubste den Jungen mit ihrem Fuß an, so dass er aus der Pfütze rollte. Sein Gesicht war aschfahl.
»Sieh nur, was du getan hast!«, schrie Buffy die Tochter von Mo Moon an.
»Oh, ich weiß was ich getan habe«, antwortete das Mädchen spielerisch. »Und es ist wirklich ohne Belang. Was wirklich zählt, ist allein die Sache. Du, Buffy Summers, wärst ein wirklicher Gewinn für uns, wenn du es nur zulassen würdest.«
»Du weißt gar nichts über mich.«
»Im Gegenteil, Buffy. Auch Calli weiß über dich Bescheid. Ebenso wie meine Mutter. Wir sind für die… Andersartigkeit… anderer Menschen ebenso empfänglich wie du. Du hast bei uns etwas gespürt. Und wir haben etwas bei dir gespürt.« Polly zwinkerte ihr zu und trat Buffy entgegen. Die Jägerin trat einen Schritt zurück, ließ ihre Hand in den Rucksack gleiten und umfasste einen hölzernen Pflock.
»Ihr Leute seid doch wirklich schwer gestört«, warf sie der Moon-Tochter vor. »Ihr richtet hier einen total unnötigen Frauenpower-Schlamassel an und dann tötet ihr auch noch Menschen!«
»Wie du meinst«, antwortet Polly mit einem arroganten Grinsen. »Aber du sollst wissen, dass es in unserer neuen Ordnung neun Positionen der Macht geben wird. Allison und Willow sind stark, aber sie werden über die Sechs oder Sieben nicht hinauskommen. Du dagegen wärst eine wundervolle Nummer Drei. Mit mir als Eins und Calli als Zwei, natürlich. Wir haben Willow gesagt, sie könnte Nummer Drei werden - aber wir haben sie angelogen.«
Buffy hatte nicht die geringste Ahnung, wovon Polly Moon da schwafelte, aber ihr fiel eine listige Frage ein: »Und was, wenn Calli die Nummer Eins werden will?«
Polly runzelte die Stirn und fing an, das grazile, mit zahlreichen Opalen geschmückte Halsband zwischen ihren Fingern zu drehen. »Das wird sie nicht, denn ich bin diejenige, die die meiste Arbeit erledigt. Das wird sie nicht wagen!« Plötzlich lachte sie, dann lehnte sie sich abrupt nach vorne und griff nach Buffys Schultern. Buffy zog den Pflock aus dem Rucksack und rammte ihn tief in Pollys Brustkorb.
Polly sah mit Erstaunen auf den Pflock, der aus ihrer Seidenbluse heraus ragte.
Das strahlende, mit Opalen besetzte Halsband, das sie trug, riss und die Steine verteilten sich auf dem Boden. Buffy blieb in Alarmbereitschaft, unsicher, was als Nächstes passieren würde. Adam gab kaum wahrnehmbare, sprudelnde Geräusche von sich. Aber immerhin war er noch am Leben.
Das Geräusch von Fußschritten ertönte, und die beiden Mädchen drehten sich, um die verlängerten Schatten zweier Gestalten am anderen Ende der Tribüne zu sehen. Polly zog den Pflock aus ihrem Brustkorb und warf ihn achtlos in Buffys Richtung. Mit Staunen sah die Jägerin, wie sich die Wunde im Brustkorb des Mädchens wie von Geisterhand schloss. Dann sammelte Polly ein paar mit Lehm verschmierte Opale auf und eilte so blitzschnell davon, dass es fast den Anschein hatte, sie würde sich in nichts auflösen.
Buffy sank auf ihre Knie und rüttelte Adam, um ihn aus der Bewusstlosigkeit zu wecken, aber er war mittlerweile gestorben. Etwas Weißes und Schleimiges lief aus seinen Ohren und den Hals hinab.
Jetzt konnte sie die Stimmen erkennen, die sich ihr näherten. Es waren Direktor Snyder und der Platzwart. Buffy richtete sich auf und verbarg sich hinter dem nächsten Baum.
»Da hab’ ich was gesehen, da wo hinten«, stammelte der Platzwart aufgeregt. »So’n Kämpfen, so was. Beim Ärger, den wir hier so inner letzten Zeit hatten, dacht’ ich mir, ich hol’ Se mal lieber, bevor ich da nachseh’. Will doch nich’, dass mir so schnöselige Schüler aufs Dach steigen, nur weil ich meinen Job mach’!«
»Ja, ja, gewiss doch«, fertigte Snyder den Mann ab. »Ich hoffe wirklich, dass Sie mich nicht umsonst nach hier draußen bestellt haben. Ich hatte mir gerade eine Tasse Kaffee eingeschenkt.«
Er würde also lieber auf Ärger stoßen, als ohne Grund sein Büro verlassen zu haben, dachte Buffy in ihrem Versteck. Und der soll ein tolles erwachsenes Vorbild für die Schüler der Sunnydale High abgeben?
Dann entdeckten die Männer den Körper.
Der Platzwart schrie auf. Direktor Snyder schüttelte seinen Kopf und kratzte sich am Kinn. Sein Gesichtsausdruck war eher verärgert als mitleidig oder schockiert.
Ich kann ihnen auf gar keinen Fall die Wahrheit sagen, dachte Buffy, während sie zusah, wie sich die beiden Männer auf den Weg machten, um Hilfe zu holen. Sie könnten auf die Idee kommen, ich hätte damit etwas zu tun. Ich weiß, dass Snyder mir nicht glauben würde - ganz egal, ob ich nun die Wahrheit sage oder nicht.
Außerdem, ging es ihr durch den Kopf, während sie über den hinter dem Baum gelegenen Zaun kletterte und in einem großen Haufen frisch gejäteten Unkrauts landete, kenne ich die Wahrheit selber noch gar nicht!