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»Ich kann nicht glauben, dass das passiert ist! Kannst du mir erklären, wie so was passieren kann? Es ist ja nicht so, dass wir in dieser dämlichen kleinen Stadt nicht schon genug hätten, vor dem wir uns in Acht nehmen müssten!«
»Rumjammern bringt überhaupt nichts, Viva. Wir brauchen einen Plan.«
»Bevor wir alle krepieren!«, pflichtete Viva knurrend bei.
Es gab eine Pause, in der manche der Vampire über diese profunde Wahrheit nachdachten, während einige andere, die der wilden Geschichte der beiden keinen Glauben schenken wollten, ihre mit geronnenem Blut unterlaufenen Augen rollten und dabei ihre grausam entstellten Köpfe schüttelten.
Der Raum war der Keller eines Pleite gegangenen Spielzeugladens in einem Außenbezirk von Sunnydale. Es war ein feuchter, nicht sonderlich einladender Würfel mit bis zur Decke reichenden Fenstern, die in Bodenhöhe den Blick auf die Finsternis der Nacht freigaben. Eine Gruppe weiblicher Vampire hatte sich hier dauerhaft niedergelassen. Ihre Höhle sollte dem Bronze so ähnlich wie möglich sehen. Auf der einen Seite des Raumes hatten sie Bretter so übereinander gehäuft, dass das Ergebnis einer Bühne ähnelte. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes waren ebenfalls Holzbretter angehäuft worden, die nun einen Bartresen imitierten. Von einer Vampir-Band hatte noch niemand gehört, was auch daran lag, dass keine von ihnen singen konnte - diese Fähigkeit hatten sie auf die gleiche Weise verloren wie Körperwärme, Fruchtbarkeit und Heißhunger auf Tacos -, und deshalb thronte ein außergewöhnlich großer Ghettoblaster auf der Bühne, der eine Vielzahl gestohlener CDs in die Weltgeschichte dröhnte, von so obskuren Gruppen wie »Wurmfutter« und »Blutschlag«.
Weihnachtsbeleuchtungen hingen wie Spinnweben von der Decke herunter. Kleine, ausgestopfte Tiere waren an den Drähten aufgeknüpft worden. Ihre Beine und Schwänze baumelten schlaff unter den leblosen Körpern. Es war Vivas Idee gewesen, einen Schuppen aufzumachen, zu dem nur Vampir-Bräute Zutritt hatten. Weil es so schwer war, sich von ihren männlichen Gegenstücken loszueisen, die eigentlich nur daran interessiert waren, Blut zu trinken und die Jägerin zu vernichten, fanden die Ladies es mitunter auf dämonische Weise entspannend, unter Geschlechtsgenossinen zu bleiben.
Aber nicht heute Abend. Heute auf gar keinen Fall.
Viva strich mit einem scharfen Fingernagel über die Zündfläche einer Streichholzschachtel. Blaue Funken stoben in die Luft. »Die Zeit der Olympier ist längst vorbei«, knurrte sie wütend. »Sie sollte es besser wissen, als mit ihren verzogenen Gören zum Höllenschlund zu kommen. Aber hier ist SIE nun und versucht, wieder IHRE Macht auszuüben. Unsere menschliche Nahrung wird wieder vergiftet werden und tödlich für uns sein. Von all dem mal abgesehen, ist SIE so widerlich in sich selbst vernarrt. Tödlich und in sich selbst vernarrt - was für eine Kombination!«
Becky, der Albino vom letzten Abend, hatte zu ihren Lebzeiten im Chicago der 30er Jahre als sehr beliebte Radiosprecherin gegolten. Nervös ging sie auf und ab. Ihre katzenähnlichen, gelben Augen glühten vor Wut.» Okay, also was machen wir jetzt? Wir können sie nicht töten! Wir wissen nicht, wie man sie tötet!«
»Stimmt«, pflichtete Viva ihr bei. »Wir brauchen eine Jägerin, und…«
»Halt die Klappe, Viva!«, herrschte Barb sie an. Barb war in den 50er Jahren eine Kellnerin gewesen und trug kurzes blondes Haar. »Wir werden die Jägerin nicht fangen. Du hast es Freitag versucht und schau dir an, was das Ergebnis ist. Ein paar zu Staub zerfallene Freunde. Wir müssen die Olympierin und ihre beiden Maden allein loswerden. Seid ihr nur wachsam, wenn sie nachts in Erscheinung treten.«
»Nein, nein, nein!«, platzte Viva dazwischen. »Ihr hört mir nicht zu! Sie vergiften nicht nur unsere Nahrung, sie selbst sind für uns das gefährlichste Gift. Wir brauchen die Jägerin! Sie hat viele Dämonen und Teufel gekillt. Sie ist unsere einzige Hoffnung.«
»Ich glaube nichts von diesem Müll!«, kommentierte Nadine. Sie war die älteste der anwesenden Untoten und 1864 während des Bürgerkriegs gezeugt worden. Ihr rabenschwarzes Haar stellte einen hübschen Kontrast zu den langen, wehenden Gewändern ihrer Zeit dar, in die sie sich bevorzugt hüllte. »Viva, du hast deinen Mund schon immer reichlich voll genommen. Uns angelogen. ›Meine Mutter war eine Erbin, mein Vater ein Herzog. Ich wäre eine berühmte Tänzerin geworden, wenn ich am Leben geblieben wäre.‹ Hör endlich auf! Du willst bloß Aufmerksamkeit erhaschen.«
»Nein, das will ich nicht!«, setzte Viva der erbarmungslosen Feststellung trotzig entgegen. »Ich kenne die Olympier! Ich habe schon früher mit ihnen zu tun gehabt. Ich kenne ihre Fähigkeiten und weiß, dass sie uns gefährlich werden können. Wenn, sagen wir mal, zehn von uns die Jägerin umzingeln, sie hierher bringen und wir ihr eine Stunde lang unsere Nägel unter ihre Nägel stechen, wird sie tun, was immer wir von ihr verlangen. Und dann, sobald die Olympier aus dem Weg geräumt sind, beseitigen wir die Jägerin.«
»Die Jägerin zu fangen, ist noch schwieriger als sie zu töten!«, merkte Nadine an. »Außerdem, glaubst du, du wirst zehn Vampire finden, die dir glauben?« Sie lehnte sich gegen den Tresen und schüttelte ihren Kopf. Ihre Anhänger verschränkten ihre Arme.
»Nadine hat vielleicht Recht«, sagte Becky. »Die Jägerin ist zu gefährlich. Wir müssen das alleine über die Bühne bringen.«
Viva sprang förmlich in Beckys Gesicht. Ihr ohnehin nicht besonders schönes Gesicht war noch verzerrter als sonst. »Wir werden verhungern!«
Als Antwort schlug Becky ihre Gefährtin nieder. Viva sprang sofort wieder auf und fauchte.
»Uns wird schon was einfallen, Viva«, schrie Becky.
»Nein, euch wird nichts einfallen!«, fauchte Viva zurück.
»Doch, es wird uns was einfallen!« Becky steigerte ihr Lautstärke sogar noch.
»Ihr klingt wie ein Haufen Sterblicher!«, sagte Barb verächtlich. »Haltet jetzt einfach eure Klappen, okay? Ich kann mich mit leerem Magen nicht konzentrieren. Wir sollten erst einmal etwas essen. Dann wird uns schon eine gute Idee kommen. Einverstanden?«
Viva und Becky knurrten schwer atmend.
»Hört sich nach keiner üblen Idee an«, kommentierte Nadine.
»Einverstanden?«, fragte Barb noch einmal.
Die anderen nickten.
Barb kletterte über den Tresen und öffnete eine große, hölzerne Lattenkiste, die hinter dem Tresen verborgen auf dem Boden stand. Sie zog einen alten Mann aus der Kiste heraus, den sie sich am Strand gegriffen hatten, warf ihn auf den Tresen und lachte, während er zappelnd dalag, mit gefesselten Armen und Beinen und einem Knebel im Mund. Die Vampire versammelten sich um ihn und rieben sich die Hände.
»Okay, alles klar«, frohlockte Barb. »Wollt ihr euren Cappuccino warm oder mit Eis?«
Der Schrei des Mannes verhallte ungehört im Knebel.
»Also«, sagte Buffy. Sie, Xander, Oz und Willow saßen auf einer Betonbank vor der Schule, die ihnen oft morgens vor der Schule als Treffpunkt diente. »Was würdet ihr wählen? Eine Modenschau mit Mom oder ein Wander-Wochenende inklusive Dad und Berghütte? Und denkt daran, dass ihr so oder so die Gefühle eines Elternteils verletzen werdet, egal wie ihr euch entscheidet.«
Willow zuckte unsicher ihre Achseln. Oz meinte kurz: »Bin männlich, würde wandern.«
»Und was würdest du wählen, Xander?«, fragte Buffy ihren Kumpel, der aussah, als würde er gerade einen wunderschönen Wachtraum erleben.
»Ich würde beide wählen«, antwortete er mit seltsam entrückter Stimme.
»Beide?«, fragte Buffy. »Du kannst aber nicht beides wählen. Das ist unmöglich.«
»Und ob ich das kann.«
»Man kann nicht zwei Dinge gleichzeitig machen, falls du dich erinnerst.«
Xander blinzelte, schüttelte seinen Kopf und sagte: »Was? Oh, ich dachte, wir würden über die Moon-Schwestern sprechen. Perfekte Körper, wunderschönes Haar, gleichmäßige und elegante Bewegungen, freche Gesichter. Ich mag es frech. Gestern habe ich Pollys Vorsingen für den Schulchor gehört. Es war wundervoll! Und irgendwer hat gesagt, Calli kann Gedichte schreiben, die einem das Herz in der Brust schmelzen lassen. Ihr ist schon ein Posten beim Literaturmagazin der Schule übertragen worden. Wisst ihr, wenn ich ein Mann wäre und sie zwei Frauen, würde ich mich sofort an ihre Fersen heften.«
»Und worauf wartest du dann, Mann?«, fragte Oz. »Schnapp sie dir, Xander. Bei deinem Glück hast du schon am Samstag eine doppelte Verabredung.«
Xander rollte mit seinen Augen. Bei seinem Glück, und das wussten alle, würden ihn die Moon-Schwestern windelweich prügeln, sobald er sie nur mit einem »Guten Morgen« belästigte.
Cordelia bummelte zu ihnen herüber. In ihren vor der Brust verschränkten Armen hielt sie ihre Bücher, ihr Haar hatte sie zu einem adretten Pferdeschwanz zusammengebunden. Im Vergleich zu der energiegeladenen Cordelia, die vor zwei Tagen die Moon-Schwestern herumgeführt hatte, sah sie nun unglaublich mürrisch aus. Sie hielt bei der Bank an und wartete darauf, dass sie jemand fragte, was nicht stimmte.
»Was stimmt nicht?«, fragte Willow pflichtgemäß. »Du sieht niedergeschlagen aus.«
Cordelia warf ihren Pferdeschwanz in den Nacken. »Reich ihnen einen Finger und schwupps, bist du die ganze Hand los. Aber warum auch nicht?« Sie ließ sich neben Buffy auf die Bank fallen und quetschte sich so dazwischen, dass Xander aufstehen musste. »Für wen halten die sich eigentlich? Gottes Gabe an Sunnydale? Ich will ja keine Dankbarkeit, aber war ich es nicht, die sie in meiner Freizeit herumgeführt und ihnen die Fallgruben gezeigt hat, ihnen klargemacht hat, wen man ignorieren muss und wen nicht?«
Buffy nickte. »Klar. Ich erinnere mich daran, dass ich eine Teergrube bin.«
»Stimmt!«, stapfte Cordelia ohne Probleme in das nächste Fettnäpfchen. »Du kapierst es! Aber sieh sie dir nun bloß mal an. Wie unglaublich unfair und falsch führen die sich da auf?«
Sie deutete zu einem Punkt jenseits der Grasfläche, auf dem Parkplatz, wo der gelbe und der weiße Käfer geparkt waren. Neben den Autos standen die Moon-Schwestern inmitten eines Haufens von Schülern und Schülerinnen - größtenteils Freunde von Cordelia - und führten eine offensichtlich angeregte Unterhaltung, während ihr Publikum sie mit vor Begeisterung weit aufgerissenen Augen anstarrte. Bei vielerlei Gelegenheit legten die Schwestern ihre Hände auf die Schultern ihrer Gesprächspartner, lehnten sich dicht an die jeweilige Person heran und lachten dabei leise.
Mal abgesehen davon, dass sie elegant und frech sind, kommen sie mir ein bißchen zu tratschfreudig vor, dachte Buffy.
»Was habe ich nur getan?«, stöhnte Cordelia. »Warum bestraft man mich so hart? Ich werde um die Früchte meiner Arbeit betrogen!«
»Tut mit Leid«, tröstete Willow sie voller Mitgefühl.
»Ja, echt dumm gelaufen«, versuchte es auch Buffy. »Kopf hoch. Vielleicht entpuppen sich die beiden schon bald als total abartige Furien.«
»Aber ich will gar nicht, dass sie sich als total abartige Furien entpuppen. Ich will nur, dass sie nach meiner Pfeife tanzen. Wenigstens ein bisschen. So wie Xander.«
Der Angesprochene linste mit offenem Mund zu den Objekten seiner Begierde hinüber und beachtete Cordelia gar nicht.
»Xander, aus deinem Mund tropft Speichel!«, ließ Buffy ihn und alle anderen schonungslos wissen.
»Sieht ja peinlich aus«, stimmte Oz ihr nüchtern zu.
»Häh? Oh, äh, tut mir Leid.« Mit roten Ohren wischte sich Xander die Lippen trocken.
»Hey, seht euch das mal an. Das glaube ich doch einfach nicht!« Cordelia war den Tränen nahe. Allison Gianakous wurde von den Moon-Schwestern herübergewunken, und die Gruppe der angesagten Schüler versammelte sich um Allison wie eine Gruppe Muttertiere um ein verirrtes Junges. Allison war groß genug, so dass Buffy ihr Gesicht über den Köpfen der anderen Schüler erkennen konnte. Zunächst runzelte Allison unsicher die Stirn, doch dann verwandelte sich ihre Miene in ein strahlendes Lächeln.
»Was haben sie nur mit ihr vor?«, fragte sich Buffy laut.
»Sie wollen ihr vermutlich einen ›Tretet mich‹-Zettel auf den Rücken heften«, bot Xander an.
»Das hoffe ich doch«, trug Cordelia wenig charmant zum Gespräch bei. »Bei allem was mir je heilig war und je heilig sein wird, das hoffe ich doch!«
Der Schultag fing an wie immer. Buffy ging zu ihrem Spind, erstattete dann Giles in der Bücherei Bericht, bevor ihre erste Stunde begann.
Von all den Räumen der Sunnydale High war die Bücherei der ehrwürdigste, der stattlichste und der von der Schülerschaft am wenigsten benutzte. Hohe Bücherregale säumten das Obergeschoss, das über eine aus kräftigen Stufen zusammengesetzte Treppe zu erreichen war. Sie waren mit allen Arten von Büchern vollgestopft, von den wenig bemerkenswerten bis hin zu den wirklich kuriosen. Schwere Schnitzereien aus dunklem Holz verzierten die hellen Wände und ein altmodischer Kleiderständer ruhte neben der Eingangstür. Palmen und Feigenbäume in großen Töpfen rundeten das Bild ab und verliehen der Bücherei eher die Atmosphäre eines Privatraums eines vermögenden, britischen Exzentrikers, als die einer öffentlichen amerikanischen Schuleinrichtung, die die Sunnydale High letzten Endes nun mal war. Der Ort roch nach Büchern und Intrigen.
Buffy sah, dass Giles wegen Mo Moon noch irritierter war als am Vortag. Die Frau hatte ein Memo auf seinem Tisch zurückgelassen, auf dem stand, dass sie geschäftlich in der Stadt zu tun hätte - sie trommelte Sponsoren zusammen, die die Kandidatur ihrer Töchter für die Miss Sunnydale High-Wahl unterstützen würden -, sie aber später zurückkehren würde und dann die angeforderten Bücher in Kisten vorzufinden wünschte, damit diese umgehend einsortiert werden könnten.
»Ein kalter Tag in der Hölle«, murrte Giles nur, während er seinen Feigenbäumen Wasser gab. Seine Hand zitterte und nur mit Mühe verhinderte er es, das Wasser zu verschütten.
»Alles klar, Giles?«, antwortete Buffy. »Sie sind immer jemand gewesen, der mit Eleganz und Würde für seine Prinzipien eintritt.«
»Daran kann kein Zweifel bestehen«, sagte er mit angespannter Stimme. »Und wie war gestern Abend die Patrouille?«
»Ich habe bloß einen abgestaubt, so ’nen Einsamen-Wolf-Typen mit schlechtem Gehör und ’ner Tendenz zu Schimpfwörtern. Unten beim Eisstadion. Nichts Spektakuläres.«
»Gute Arbeit«, urteilte Giles.
»Klaro. Hey, lassen Sie sich von der Krähe bloß nicht runtermachen.«
»Niemals«, entgegnete Giles mit der Andeutung eines Lächelns. »Niemals.«
Buffy gab ihr Bestes, in den ersten Schulstunden zumindest ansatzweise aufzupassen, aber immer wieder kreisten ihre Gedanken um die Entscheidung Modenschau oder Wandern/Camping. Zu jeder Option kritzelte sie das Für und Wider in ihr Notizbuch, aber irgendwie waren beide gleich unattraktiv. Tolle Situation.
Vor dem Mittagessen machte sie einen kleinen Abstecher zum WC. Vor einem Spiegel betrachtete sie sich kritisch und machte, da außer ihr niemand im Raum war, ein paar ausladende Schritte, die, wie sie dachte, perfekt für eine Modenschau wären. Sie hatte es echt drauf. Die Mutter-Tochter-Nummer würde sie locker hinbekommen und dabei eine gute Figur machen, das wusste sie. Joyce würde das anerkennen. Cordy würde auch eine Menge Spaß haben, aber wenn das ihre größte Sorge war, dann hatte sie wirklich keine Sorgen.
»Aber was ist mit Dad und seinen Plänen für ein Wander-Wochenende?«, flüsterte sie vor sich hin. Mitten auf dem improvisierten Laufsteg hielt sie an und zuckte mit den Schultern. »Er wird enttäuscht sein. Wir haben schon so lange nichts mehr gemeinsam unternommen.« Sie zog die Träger ihres Rucksacks über eine Schulter und atmete tief ein.
»Buffy!« Es war Willow, die in der Tür zum WC stand und mit den Armen ruderte. »Das musst du unbedingt sehen!«
Im Foyer gab es ein schwarzes Brett für die Schüler, wo Clubs und andere Schülerorganisationen ihre Nachrichten veröffentlichen konnten. Aber auch handgeschriebene Kauf- und Verkaufangebote für gebrauchte Autos hingen dort, ebenso wie für Bücher, Computer oder CDs. Schülerinnen boten sich als Babysitter an und Schüler versprachen, den Rasen ihrer Auftraggeber besonders gründlich zu mähen. Natürlich kündigten die Flyer auch die bevorstehende Wahl der Miss Sunnydale High an. Fotos der Bewerberinnen hingen dort, ebenso wie die Namen der Sponsoren. Cordelias Sponsor war Wandas Wolle-Welt, die verkündete, ausnahmslos alle Strickutensilien im Sortiment zu haben.
»Was muss ich gesehen haben?«, erkundigte sich Buffy wenig begeistert bei Willow.
»Das.« Willow zeigte auf einen länglichen, weißen Zettel, der genau in die Mitte des Brettes getackert worden war. Es war eine Petition. Schon die Schlagzeile ließ keine Frage offen, um was es ging: »Gleiches Recht für Sportlerinnen - Unterstützt Allison Gianakous’ Recht, für das Basketball-Team der Jungen vorzuspielen!« Jemand hatte die Petition mit kleinen Basketbällen und Football-Aufklebern dekoriert, und am unteren Ende des Zettels konnte Buffy immerhin schon sieben Unterschriften sehen. Die erste stammte von Allison Gianakous persönlich. Die zweite und dritte von Polly und Calli Moon. Darunter folgten drei weitere Mädchennamen. Cordelia hatte als siebte unterschrieben, und zwar auf eine Weise, die an ihrer Missgunst keinen Zweifel ließ.
»Fast wie in früheren Zeiten, als die Leute noch gegen Dinge protestiert haben, nicht wahr?«, fragte Willow.
»Irgendwie schon«, bestätigte Buffy.
Ein süßliches Parfüm kroch Buffy in die Nase, noch bevor die trällernde Stimme an ihr Ohr drang. »Guten Nachmittag!«
Als Buffy sich höflich umdrehte, sah sie die Moon-Schwestern in Begleitung von Allison. Die Moons trugen identische Pullover und kurze Röcke. Außerdem zeigten sie eine neue Schmuck-Kombination: Saphir-Ohrringe, mit rosa Perlen besetzte Ringe. Dazu trug die eine einen tränenförmigen Diamanten an einer Halskette, die andere einen Schal, in dessen edlen Stoff eingebettet drei Topase funkelten. Es war doch immer wieder schön, seine Reichtümer vorzuführen. Die entsprechenden Jungen würde das um den Verstand bringen. Das lange blonde Haar der Schwestern schimmerte auf ihren Schultern und ihre Augen leuchteten freundlich. Allison hatte versucht, sich wie die beiden anzuziehen, aber sie hatte das Ziel ein bisschen verfehlt, denn ihr Rock war nicht kurz genug und der Pullover viel zu schlabberig.
Eine der Schwestern sagte: »Wenn ich mich recht erinnere, bist du Buffy, richtig?« Sie hielt Buffy ihre Hand zum Schütteln hin und beugte sich gleichzeitig mit ihrem Gesicht ganz weit vor. Buffy, die es gar nicht mochte, wenn man ihren persönlichen Sicherheitsabstand verletzte, wich so weit zurück, dass sie gegen Willow stieß.
»Jaja, Buffy«, bestätigte Buffy und drückte die hingehaltenen Hand kurz. »Das bin ich. Teergrube Summers! Tut mir Leid, aber ihr seid…?«
»Verzeihung«, bat das Mädchen mit einem klingenden Lachen, »wie unhöflich von mir, zu erwarten, dass du dich daran erinnerst. Vor ein paar Tagen hatten wir gar nicht die Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen, nicht wahr? Cordelia hat uns ziemlich auf Trab gehalten. Ich bin Calli, und das ist meine Schwester, Polly. Es ist gar nicht so schwer, Polly und mich auseinander zu halten, denn ich habe nur einen winzigen Anflug von Sommersprossen auf meiner Nase, seht ihr?«
Wieder lehnte sie sich dicht an Buffy heran, lachte und zeigte auf ihre Nase. Inmitten des starken Parfüms konnte Buffy die Andeutung eines kühlen, angenehmen und nach Rosen duftenden Hauchs in Callis Lachen wahrnehmen. Mundwasser? Für einen kurzen Moment spürte Buffy eine seltsame Leichtigkeit in ihrem Kopf, doch als sie vor der Blondine zurückwich, verschwand das Gefühl.
»Ich hab’s gesehen«, gab Buffy zu. »Ein winziger Anflug von Sommersprossen. Erstaunlich. Also, wie gefällt euch Sunnydale? Sind die Stunden ätzend? Die Lehrer deprimierend langweilig?«
»Ganz im Gegenteil! Wir fühlen uns hier sehr wohl«, lobte Polly ihr Umfeld. »Jeder hat sich uns gegenüber bislang sehr freundlich und zuvorkommend verhalten. Sogar unserer Mutter gefällt es hier. Ihre neue Position in der Schulbücherei bereitet ihr viel Freude. Und sie möchte auch in die Gemeindearbeit einsteigen. Sie denkt darüber nach, eine Frauenvereinigung von Sunnydale zu gründen, als ihr Geschenk an alle Frauen dieser wundervollen Stadt. Sie wollte schon immer in die Gemeindearbeit eingebunden sein, aber wir… na ja, wir sind so oft umgezogen, dass es bislang nicht möglich war. Vielleicht ist dies der richtige Ort. Ich hoffe wirklich, dass das der Fall ist!«
»Das hoffe ich auch!«, pflichtete Calli ihrer Schwester bei.
»Aber«, Pollys Stimme wurde verschwörerischer und ihr Mund nahm einen entschlossenen Zug an, »in dieser Hinsicht haben wir hier an der Schule schon genug zu tun, nicht wahr?«
»Was meinst du damit?«, fragte Willow.
»Denk nur einmal über die Bedingungen nach, die eine solche Aktion notwendig gemacht haben«, sagte Calli und deutete auf die Petition. »Müssen wir irgendeinen eingebildeten Mann darum anbetteln, das tun zu dürfen, was unser angeborenes Recht als freie Frau ist?«
Diese Worte ließen eine vorbeigehende hübsche Oberstufen-Schülerin bei ihnen anhalten. Sie starrte die Moon-Schwestern fassungslos an. »Endlich spricht hier mal jemand meine Sprache«, sagte sie mit verschränkten Armen und gehobener Augenbraue. »Fahr nur fort, meine Liebe. Vielleicht gefällt mir, was du zu sagen hast.«
Willow zupfte an Buffys Ärmel und die beiden tauschten amüsierte Blicke aus. Die hübsche Schülerin hieß Anya und war in Wirklichkeit kein Mädchen, sondern eine elfhundert Jahre alte Dämonin, die ihre Kräfte verloren hatte und nun in Sunnydale im Körper einer Schülerin gefangen war. Früher war sie einmal eine Rächerin betrogener Frauen gewesen und hatte untreue Männer auf unendlich viele schreckliche Weisen getötet. Nun saß sie ohne übernatürliche Kräfte auf der Highschool fest und war gegen ihren Willen ein Objekt der hormonellen Gelüste des männlichen Geschlechts geworden. Besonders Xander fand sie unwiderstehlich.
»Das patriarchalische System, das wir hier hautnah erleben, ist bestenfalls archaisch und schlimmstenfalls unerträglich«, fuhr Calli fort.
»Absolut!«, stimmte Allison enthusiastisch zu. »Archaisch! Ganz meine Meinung. Es wird Zeit, dass wir Frauen auf den Tisch hauen. Wir sind schon viel zu lange unterdrückt worden.
»Sind wir? Du meinst, hier in Sunnydale?«, fragte Willow ungläubig.
»Aber natürlich sind wir das«, erklärte Polly. Sie beugte sich zu Willow vor, so als wolle sie ihr ein Geheimnis mitteilen. Willow trat einen Schritt zurück. Offensichtlich mochte sie die gesellige Art der Schwestern auch nicht sonderlich.
Aber Polly schien das gar nicht zu bemerken. »Die Diskriminierung ist überall!«, stellte sie fest. »Und das nicht nur beim Sport. Auf dem politischen Gebiet, bei sozialen Fragen, in ökonomischer Hinsicht, religiösen Standpunkten, der künstlerischen Entfaltung…«
»Wow! Ihr seid doch noch gar nicht lange hier gewesen«, unterbrach Buffy sie unerbittlich. »Ihr wisst doch gar nicht, wovon ihr da redet. Ihr kennt unsere Schule nicht mal im Ansatz, geschweige denn Sunnydale.«
»Aber natürlich tue ich das«, hielt Calli dagegen. »Ich weiß, dass Männer in jedem Zeitalter, an jedem Ort, in jeder Dimension die Zügel in der Hand hielten.«
»Ja, das ist absolut wahr«, stimmte Anya ihr brummig zu. »Aber mir will ja niemand zuhören!«
»Mann«, staunte Willow, »auch in allen Dimensionen?«
»Ja, absolut«, erklärte Polly. »Und wir sind bereit, diese Missstände zu bekämpfen.«
»So wie Ärzte eine Epidemie bekämpfen«, bekräftigte Calli. »Das ist übrigens ein wirklich schönes Armband«, fügte sie an Willow gewandt hinzu.
Polly und Calli zwinkerten gleichzeitig mit ihren blauen Augen und gingen zum Ausgang des Foyers, um sich dort zu einem Haufen anderer Mädchen zu gesellen, die in der Nähe der Spindschränke standen.
Anya zuckte mit den Achseln und ging weiter. Allison dagegen stand wie angewurzelt da und zitterte vor Aufregung. »Wir müssen auf den Tisch hauen!«, verkündete sie Buffy. »So wie John Wayne in den Western oder Sylvester Stallone. Obwohl das Männer waren und somit diejenigen, die uns unterdrückt haben. Hast du mal einen Stift?«
»Häh?«, machte Buffy wenig geistreich.
»Um die Petition zu unterschreiben. Du wirst doch unterschreiben? Du musst unbedingt unterschreiben! Wir müssen Leuten wie Direktor Snyder und meinem Vater einfach beweisen, dass wir Mädchen uns von nun an nicht mehr alles bieten lassen.«
Buffy stieß einen langen, lautlosen Atemzug aus. Ja, Allison hatte ein anstrengendes Leben mit ihrem Dad verbracht, aber das war doch kein Grund, nun total auszuklinken und fortan in jedem Mann einen potentiellen Unterdrücker zu sehen. Aber sie fummelte einen Stift aus ihrem Rucksack und kritzelte ihren Namen auf die Petition. Willow unterschrieb unter ihr.
»Wir haben gerade etwas ziemlich Gewagtes getan!«, verkündete Willow mit gesenkter Stimme. »Mal abgesehen vom Monster-Killen.«
»Schätze, du hast Recht«, sagte Buffy.
Während Allison zu ihren neuen, angesagten Freunden ging, dachte Buffy: Vielleicht wäre es genau das Richtige für Allison, dem Basketball-Team beizutreten, um wieder etwas Selbstbewusstsein aufzubauen. Wenigstens ist all das Gerede harmlos.
Immerhin wird dabei niemand verletzt.