Arbeitspläne scrollten über Honors Terminal, während sie sich methodisch durch die Berge von Verwaltungsangelegenheiten kämpfte, die sich während ihrer Abwesenheit wie Muscheln am Rumpf eines Salzwasserschiffes angesammelt hatten. Glücklicherweise war Eve Chandler als I.O. ebenso ausgezeichnet wie als Taktischer Offizier. Meistens mußte Honor nur die Entscheidungen gegenzeichnen, die Eve bereits getroffen hatte, aber dennoch durch einen gewaltigen Datensumpf waten. Und diesmal, dieses eine Mal, war Honor froh darüber. Das kostete sie Freizeit, die sie sonst grübelnd verbracht hätte. Sie schloß den vorliegenden Bericht und machte eine Pause, um von einer Käseecke abzubeißen, die Mac-Guiness ihr auf einem Teller serviert hatte. In etwa vier, allerhöchstens fünf Wochen wäre die Nike bereit für Testfahrten und zur Wiederindienststellung, und das weckte selbst trotz ihrer düsteren Stimmung ein leichtes Hochgefühl in Honor. Die ersten Meldungen seit Wiedereröffnung der Feindseligkeiten durch das Königreich kamen herein; ein halbes Dutzend havenitische Stützpunkte waren bereits in manticoranische Hände gefallen. Doppelt so viele dringend benötigte Wallschiffe hatten in intaktem Zustand kapituliert. Die Öffentlichkeit war begeistert, aber die Reihe billiger Erfolge würde wohl bald abreißen. Die Volksrepublik Haven war dazu einfach zu groß, und das Komitee für Öffentliche Sicherheit hatte mittlerweile die Kontrolle auf zu viele Kernsysteme, Hauptflottenstützpunkte und Geschwader der Heimatverteidigung ausgeweitet. Die Haveniten hatten ihr Militär innerhalb von achtzig T-Jahren aufgebaut; wenn sie erst einmal den Schock über die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen überwunden hatten, stand ihnen noch immer eine gewaltige Feuerkraft zur Verfügung.
Im Lichte des ständigen Bedarfs der Flotte an Schlachtkreuzern war daher damit zu rechnen, daß das Schlachtkreuzergeschwader 5 nicht mehr lange zur Homefleet gehören würde. Dazu kombinierten Schlachtkreuzer zu viel Feuerkraft, Kreuzausdauer und Beweglichkeit. Honor hätte bereits ein halbes Dutzend Punkte nennen können, an denen das Geschwader gebraucht wurde, und harrte ungeduldig des Augenblicks, in dem sie ihr Schiff als einsatzfähig melden konnte.
Aber zum ersten Mal in ihrem Leben war sie zwischen Berufseifer und etwas anderem hin und her gerissen. Ramirez und Liwitnikow hatten die Arrangements getroffen, so daß sie Summervale in zwei Tagen gegenübertreten konnte, aber Summervale war nur der erste Schritt. Sie beabsichtigte nicht, Pavel Young lebend zurückzulassen, wenn sie ihr Schiff wieder in den Einsatz führte, und das bedeutete, daß sie ihn fordern mußte, bevor sie Befehle erhielt, die sie aus dem heimatlichen Sonnensystem führten. Bei dem Gedanken zog sie ein finsteres Gesicht, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Während sie grübelte, schlang sie die gefalteten Hände über ein angezogenes Knie. Als jedoch ein leiser Laut vom Ruhepolster über dem Schreibtisch ertönte, sah sie auf.
Ein Lächeln vertrieb die Düsternis von ihrem Gesicht, denn Nimitz hing an seinem beweglichen Schwanz schnatternd am Ruhepolster. Kaum hatte er ihre Aufmerksamkeit erlangt, da stieß sie ihn an, so daß er hin und her schaukelte. Mit den Echthänden grapschte er dabei nach ihrem Tablett voller Appetithäppchen. Wenn er gewollt hätte, dann hätte er geräuschlos herunterklettern und sich eins oder mehr davon stibitzen können, aber das lag ihm diesmal fern. Er teilte Honors Entschlossenheit, Summervale und North Hollow zu töten, und unerschütterlich vertraute er auf ihre Fähigkeit dazu. Auf keinen Fall aber würde er sie bis dahin in ihre niederschmetternde Depression zurückfallen lassen.
Erneut schnatterte er, lauter diesmal, und erhöhte den Schwung seines Pendelns. Honor erkannte, was er vorhatte, und schoß vor, um das Tablett rechtzeitig aus seiner Reichweite zu entfernen, aber da war es schon zu spät. Mit einem letzten Schwung löste er den Halt durch seinen Schwanz und wirbelte durch die Luft. Mit untrüglicher Sicherheit zuckten die Echthände vor, als er über das Tablett wirbelte. Er packte zwei gefüllte Selleriestengel und landete mit den vier Hintergliedmaßen auf der Schreibtischecke. Mit den Handpfoten der mittleren Beine packte er die Kante und schwenkte sich herum, daß er mit einem vernehmlichen ›Wumms‹ aufs Deck aufschlug. Als Blitz aus grauem und cremefarbigem Fell verschwand er unter dem Kaffeetischchen. Honor hörte ihn jubilierend blieken: sein Triumphschrei darüber, daß ihm die Flucht mitsamt Beute gelungen war.
»Na gut, Stinker, du hast gewonnen«, sagte sie und ging auf dem Teppich auf Hände und Knie, um unter den Tisch sehen zu können. Er schnurrte laut und selbstgefällig und kaute dabei demonstrativ an beiden Selleriestengeln gleichzeitig. Die Käsefüllung hing ihm in Fäden von den Schnurrhaaren. Mit einer Handpfote kämmte er sie sauber, und Honor drohte ihm mit dem Finger. »Andererseits«, fuhr sie düster fort, »wissen wir beide genau, was das mit deinem Appetit aufs Abendessen anrichtet, also jammere mir nichts vor, wenn …«
Das Com klingelte, und sie unterbrach sich und richtete sich auf. Unglücklicherweise befand sich ihr Kopf noch unter der Kante des Kaffeetischchens, und sie schlug sich hart den Schädel an. Der kurze Zopf fing den Aufprall zum Teil ab, aber nicht genug, um zu verhindern, daß sie sich recht abrupt auf den Teppich setzte.
Das Signal ertönte erneut, und Honor erhob sich, über den Hinterkopf reibend, auf die Knie, als MacGuiness aus der Pantry herbeigeeilt kam. Der Steward blieb stehen, und der schwache, immerwährend besorgte Ausdruck, den er einfach nicht von seinem Gesicht verbannen konnte, verschwand für einen Augenblick. Er und Nimitz kannten sich schon so lange, daß es keines Genies bedurfte, um zu erraten, was vorgefallen war.
MacGuiness räusperte sich und schüttelte den Kopf, dann ging er weiter zum Com. Honor blieb noch eine Sekunde auf den Knien und lächelte liebevoll den Rücken des Stewards an. Als er den Annahmeknopf drückte, rappelte sie sich auf.
»Kajüte der Kommandantin, Chief MacGuiness am Apparat«, meldete er sich und bedachte Honor mit einem schwer geprüften Blick.
»Signaloffizier vom Dienst«, antwortete eine andere Stimme. »Steht der Captain zur Verfügung, Chief? Ich habe ein Gespräch vom Flaggschiff für sie.«
»Einen Moment, Lieutenant Hammond«, antwortete MacGuiness und trat zur Seite, als Honor, die sich noch immer den Hinterkopf rieb, ans Com ging. Der Lieutenant auf dem Bildschirm erblickte sie und räusperte sich. »Ein Anruf vom Flaggschiff, Skipper. Es ist der Admiral.«
»Vielen Dank, Jack.« Honor schob einige auf Abwege geratene Haarsträhnen an Ort und Stelle und fuhr rasch mit den Händen über die Uniform, dann setzte sie sich und nickte. »Stellen Sie ihn bitte durch.«
»Jawohl, Ma’am.«
Lieutenant Hammonds Gesicht verschwand und wurde von dem Antlitz Admiral White Havens ersetzt. Honor lächelte ihn an.
»Guten Tag, Sir. Was kann ich für Sie tun?«
»Captain.« White Haven nickte ihr zu, dann warf er einen Blick auf MacGuiness, der am Rande des Aufzeichnungsbereichs gerade noch sichtbar war. Der Steward begriff den Hinweis und zog sich zurück; der Admiral wandte sich wieder Honor zu.
Eine Weile musterte er sie schweigend, und was er sah, machte ihn zufrieden und zugleich besorgt. Der nackte, verletzte Ausdruck war aus ihrem Gesicht verschwunden, aber ihre ruhige Aufmerksamkeit konnte ihn nicht täuschen, denn die Wahrheit zeigte sich in ihren Augen: Die großen, expressiven Augen enthüllten jedem, der wußte, wonach er suchen mußte, ihre wahren Gedanken, so maskenhaft ihre Miene auch sein mochte. In ihnen waren Härte und ein Funkeln, das gleich unter der Oberfläche verborgen lag. White Haven aber bemerkte es und fragte sich, wie sie wohl auf das reagierte, was er ihr zu sagen hatte.
»Ich rufe nicht offiziell an, Dame Honor«, erklärte er. Sie legte den Kopf leicht schräg und hob eine Augenbraue; er atmete ein und hoffte, daß sie seine Anspannung dabei nicht bemerkte. Dann stürzte er sich ohne weiteres Vorgeplänkel in den Kampf.
»Sicherlich ist Ihnen klar, daß jeder von Ihrem Treffen mit Summervale weiß.« Ihre Augen verhärteten ein wenig, aber sie nickte. »Ich bin mir bewußt, daß die Einzelheiten solcher Angelegenheiten eigentlich vertraulich behandelt werden sollen, aber die Forderung wurde ja nun doch … wie soll ich sagen – öffentlich überbracht. Man hat mich soeben darüber in Kenntnis gesetzt, daß die Medien ebenfalls davon erfuhren und Reporter aller großen Sender und Zeitungen beabsichtigen, dem Duell beizuwohnen.«
Honor sagte kein Wort, aber sie verkrampfte auf dem Schreibtisch die Hand. White Haven fuhr fort:
»Darüber hinaus haben die Bemerkungen, die zwischen Ihnen und Summervale im Dempsey’s ausgetauscht wurden, etwas hervorgerufen, was ich nur als Skandal bezeichnen kann, Dame Honor. Über den genauen Wortlaut herrschen unterschiedliche Ansichten, aber man ist sich allgemein einig, daß Sie ihn bewußt provoziert haben, damit er Sie fordert.«
Er hielt inne, und sie nickte schweigend. Er wußte nicht genau, ob das Nicken nun Zustimmung oder nur Bestätigung bedeutete, und rieb sich über die Stirn, eine ungewohnte, nervöse Geste. Das würde noch schlimmer werden, als er befürchtet hatte, und als er das Wort wieder ergriff, klang sein Bariton ruhig, aber eindringlich.
»Dame Honor, ich finde nicht, daß jemand, der seine Sinne beisammen hat, Sie dafür kritisieren wird oder kann. Sowohl Summervales Reputation als auch die Tatsache, daß er seinerseits Captain Tankersley dazu verleitete, ihn zu schlagen, sind allgemein bekannt, und dennoch kann ich nicht sagen, daß ich mich über die Konfrontation freue. Ich stehe Duellen ganz allgemein ablehnend gegenüber, und der Gedanke, daß Sie einem Berufsmörder auf dessen eigenem Terrain gegenübertreten, gefällt mir ganz und gar nicht. Nach dem Gesetz steht Ihnen dieses Recht selbstverständlich zu.« Ihr Blick weichte sich ein wenig auf, und White Haven wappnete sich innerlich gegen ihre Reaktion auf das, was er als nächstes sagen mußte.
»Unglücklicherweise haben einige Mitarbeiter der Medien auch aufgeschnappt, was Sie dem Earl von North Hollow vorwerfen.« Er schwieg, und seine blauen Augen’baten um – nein, verlangten nach einer Antwort.
»Das überrascht mich nicht, Sir«, sagte Honor. Er zog die Stirne kraus und rieb sich darüber, und Honor spürte die Eindringlichkeit seines forschenden Blickes.
»Ich hegte keinen Zweifel, daß Sie nicht erstaunt sein würden, Captain«, sagte er schließlich. »Was ich von Ihnen beantwortet haben möchte, ist vielmehr die Frage, ob Sie beabsichtigten, daß die Medien davon erfahren.«
Honor überlegte einen Augenblick, dann zuckte sie mit den Schultern.
»Jawohl, Sir, das habe ich«, sagte sie ruhig.
»Und wieso?« fragte er ohne Umschweife. Seine Stimme war rauh, entweder vor Sorge oder Verärgerung, aber Honor wich nicht vor ihm zurück.
»Weil der Vorwurf zutrifft, Sir. Pavel Young hat Summervale engagiert, um Paul Tankersley und mich zu töten. Er hat ausdrücklich angeordnet, daß zuerst Paul getötet werde – zum einen, da er ihn dafür haßte, daß Paul ihn ›verriet‹, indem er sich mit mir einließ, aber vor allem, weil er mich bestrafen wollte.«
»Wissen Sie überhaupt, was Sie da sagen, Dame Honor? Sie beschuldigen einen Peer des Reiches, einen Mörder bezahlt zu haben.«
»Jawohl, Sir, das weiß ich.«
»Verfügen Sie über Beweise, um diese Behauptungen zu belegen?« verlangte er zu wissen.
»Jawohl, Sir. Ich verfüge über Beweise«, antwortete sie ohne jede Regung in der Stimme. White Haven riß die Augen auf.
»Warum haben Sie diese Beweise dann nicht den Behörden vorgelegt? Duelle sind zwar legal, aber nicht, einen professionellen Duellanten zu engagieren, damit er einem die Feinde tötet!«
»Ich habe mich nicht an die Behörden gewandt, weil mein Beweis in einem Strafprozeß nicht zulässig wäre, Sir.«
Er runzelte die Stirn noch tiefer, und Honor sprach ruhig weiter: »Doch abgesehen davon ist er absolut eindeutig. Summervale hat seine Komplizenschaft vor Zeugen gestanden.«
»Wer sind diese Zeugen?« fragte White Haven scharf. Honor hingegen schüttelte nur den Kopf.
»Es tut mir leid, Sir, aber bei allem schuldigen Respekt muß ich die Beantwortung dieser Frage ablehnen.«
White Haven verengte die Augen zu Schlitzen, und Honor fand es schwer, unter dem Gewicht seines Blickes ihren unbeteiligten Gesichtsausdruck beizubehalten.
»Ich verstehe«, fuhr er nach kurzer, bedeutungsschwerer Pause fort. »Dieser Beweis – bei dem ich davon ausgehe, daß es sich um eine Aufzeichnung irgendwelcher Art handelt –, dieser Beweis also wurde unter nicht gerade legalen Begleitumständen erlangt, und Sie beschützen denjenigen, der ihn beschafft hat, richtig?«
»Sir, mit allem Respekt verweigere ich die Beantwortung dieser Frage.«
White Haven schnaubte, aber er verfolgte das Thema nicht weiter. Erleichtert atmete Honor tief durch, nur um sich erneut zu versteifen, als er sich mit steinerner Miene zu seinem Aufzeichner vorbeugte.
»Beabsichtigen Sie, den Earl von North Hollow ebenfalls zu fordern, Dame Honor?«
»Das allerdings, Mylord, damit der Gerechtigkeit Genüge getan wird.« Sie sprach mit noch immer gleich unbewegter Stimme, in der ganz entfernt das Klirren von Eis mitschwang, und White Haven schloß kurz die Augen.
»Ich möchte, daß Sie darüber … sehr sorgfältig nachdenken, Captain. Die Lage im Oberhaus bleibt weiterhin außerordentlich heikel. Die Regierung hat zwar eine Mehrheit gefunden, die die Kriegserklärung unterstützt, aber diese Mehrheit war außerordentlich knapp. Die Mehrheit, mit der sie wirklich arbeiten kann, ist noch schmaler. Noch dazu spielte North Hollow eine Schlüsselrolle in dem Prozeß, der zur Annahme des Antrags geführt hat. Jede Andeutung eines neuen Skandals, in den er verwickelt ist, ganz besonders, wenn er auch Sie betrifft, könnte katastrophale Auswirkungen zur Folge haben.«
»Das, Mylord, interessiert mich nicht«, wehrte Honor ab.
»Das sollte es aber. Wenn die Opposition …«
»Mylord«, und zum ersten Mal in ihrem Leben unterbrach Honor einen Flaggoffizier, noch dazu mit Schärfe, »die Opposition bedeutet für mich im Augenblick sehr wenig. Der Mann, den ich liebte, wurde auf Pavel Youngs Befehl hin getötet – ermordet!« White Haven wollte etwas sagen, doch Honor sprach weiter; aller Anschein von kühler Distanz war dahin. »Ich weiß – und wie ich glaube, wissen auch Sie –, daß ich dies niemals vor einem Gericht hinreichend beweisen könnte. Das läßt mir nur eine Möglichkeit, Mylord, und in diesem Königreich steht mir diese Möglichkeit nach dem Gesetz zu. Ich beabsichtige, dieses Recht zu nutzen und dabei keine politischen Erwägungen zu berücksichtigen.«
Dann schnitt sie sich selbst das Wort ab, auf sich selbst zornig, daß sie mit einem Admiral so geredet hatte; es war unangemessen gegenüber jedem Flaggoffizier, ganz besonders aber gegenüber diesem. Die Tünche ihrer Selbstbeherrschung war erheblich dünner, als sie geglaubt hatte, und am liebsten hätte sie unkontrolliert gezittert; es kam ihr vor, als würden Stromstöße durch ihre Nerven gejagt. Trotz allem aber hielt sie seinem Blick mit Augen so hart wie aus Achat stand. Unsicheres Schweigen schwebte für einen Moment über ihnen, dann schließlich straffte White Haven die Schultern und holte tief Luft. »Mir geht es nicht um North Hollow, Dame Honor. Nicht einmal um die Regierung – wenigstens nicht direkt. Mir geht es um Sie und die Folgen jeden Schrittes, den Sie gegen ihn einleiten könnten.«
»Ich bin vollauf bereit, die Folgen auf mich zu nehmen, Mylord.«
»Das ist ja schön! Ich aber nicht!« Zum ersten Mal sah Honor, wie seine Augen vor Wut blitzten, und diese Wut richtete sich direkt gegen sie. »Die Regierung Cromarty wird es überleben, aber wenn Sie Pavel Young zu einem Duell fordern – oder schlimmer, wenn Sie ihn fordern und töten – dann wird die Opposition durchdrehen. Sie glauben, es sei vor und während der Kriegsgerichtsverhandlung schlimm gewesen? Nun, Captain, dann wird es tausendmal so schlimm werden! Die Opposition wird Ihren Kopf auf einem silbernen Tablett verlangen, und dem Herzog wird keine andere Wahl bleiben, als ihn ihnen zu servieren! Begreifen Sie das denn nicht?«
»Ich bin keine Politikerin, Mylord. Ich bin Navyoffizier.« Honor wich seinem Blick nicht aus, aber der bittende Unterton in ihrer Stimme erstaunte selbst sie. Der Schmerz von White Havens jäh aufgewallter Wut schnitt tief ein. Für sie war plötzlich das Wichtigste auf der Welt, daß er sie verstand, und sie hob in einer flehenden Geste eine Hand vor den Combildschirm. »Ich kenne meine Pflicht und meine Verantwortung als Offizier der Königin, aber hat denn das Königreich nicht auch Pflichten mir gegenüber, Sir? Hätte Paul Tankersley nicht besseres verdient gehabt, als ermordet zu werden, weil jemand, der mich haßt, für seinen Tod bezahlt hat? Verdammt noch mal, Sir«, ihre leise, eindringliche Stimme vibrierte vor Leidenschaftlichkeit, und sie starrte ihn an, »das bin ich Paul schuldig – und auch mir selbst!«
White Haven zuckte zusammen, als hätte sie ihn geschlagen, aber er schüttelte nur langsam den Kopf.
»Sie haben mein Mitgefühl, Captain, und ich verstehe Sie sehr gut. Darauf können Sie sich verlassen. Aber ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß direktes Vorgehen nicht immer die beste Reaktion ist. Wenn Sie damit weitermachen, zerstören Sie sich und Ihre Karriere.«
»Was soll das alles, Sir?« Die Wut war aus ihrer Stimme verschwunden, und Verzweiflung minderte die Härte ihrer Augen. Trotzdem hielt sie seinem Blick mit einem untröstlichen Starrsinn stand, der ihm tief ins Herz stach. »Alles, worum ich Königin und Vaterland bitte – alles, worum ich je gebeten habe –, ist Gerechtigkeit, Mylord. Um mehr habe ich nicht zu bitten, aber darauf habe ich ein Recht. Ist es nicht das, was uns von den Havies unterscheidet?« Er kniff die Augen zusammen, und sie fuhr mit leiser, bittender Stimme fort: »Ich verstehe nichts von Politik, Sir. Ich weiß nicht, woher ein Pavel Young das Recht nimmt, alles zu zerstören, was er berührt, und sich dann hinter der Wichtigkeit von Kompromissen und politischem Konsens zu verstecken. Aber ich weiß, was Pflichtgefühl ist, und was sich gehört. Ich weiß auch, was Gerechtigkeit ist, und wenn niemand sie mir bieten kann, dann werde ich sie mir diesmal selber nehmen, ganz gleich, was sie mich kostet.«
»Und damit beenden Sie Ihre Karriere.« Nun war es wohl an White Haven, zu bitten. »Sie haben natürlich recht: Duelle sind legal, und man wird Sie deswegen nicht anklagen. Sie kommen vor kein Kriegsgericht. Aber Sie werden Ihres Kommandos enthoben. Es wird überhaupt keine Rolle spielen, wie gerechtfertigt Ihr Verhalten gewesen ist. Wenn Sie Young töten, dann nimmt man Ihnen die Nike ab, Honor. Man befiehlt Sie auf den Boden und läßt Sie dort verrotten, und weder ich noch sonst jemand kann irgend etwas tun, um das zu verhindern.«
Zum allerersten Mal benutzte er nur ihren Vornamen ohne jeden Titel, und in dem Moment wurde ihr bewußt, daß die Gerüchte doch recht hatten. Ob es nun an seiner Freundschaft mit Admiral Courvosier lag oder nur, weil er an sie glaubte – White Haven hatte ihre Laufbahn zu seiner persönlichen Sache gemacht. Vielleicht schuldete sie ihm dafür Zustimmung oder wenigstens doch das sorgfältige Erwägen seiner Argumente, aber diesmal – dieses eine Mal – war das mehr, als in ihren Kräften stand.
»Es tut mir leid, Sir«, beschied sie ihn leise, und beinahe gegen ihren Willen baten ihre Augen ihn um Vergebung. »Wenn meine Karriere der Preis ist, den ich zahlen muß, dann opfere ich sie. Ich habe keine andere Möglichkeit. Diesmal wird jemand Pavel Young zur Rechenschaft ziehen.«
»Das kann ich nicht zulassen, Captain.« Die Stimme des Earls war hart und rauher, als Honor ihn je gehört hatte; seine Augen funkelten vor Zorn. »Sie mögen zu stur sein, um es zu begreifen, aber Ihre Karriere ist mehr wert als ein Dutzend Pavel Youngs! Nur weil wir gerade die Havies vor uns hertreiben, bedeutet das noch lange nicht, daß es immer so bleiben wird. Das wissen Sie so gut wie ich! Wir liegen in einem Krieg, in dem das Überleben des Königreiches auf dem Spiel steht, und die Navy hat dreißig Jahre in Sie investiert. Sie sind ein Mittel, Captain Harrington, eine Waffe, und Sie haben kein Recht – überhaupt kein Recht –, diese Waffe unbrauchbar zu machen. Sie sprechen von Pflichterfüllung, Captain? Nun, der Königin sind Sie verpflichtet, nicht sich selbst!«
Mit kalkweißem Gesicht zuckte Honor vor ihm zurück und öffnete den Mund, aber seine wütende Stimme wogte wie ein Orkan über sie hinweg.
»Die Navy braucht Sie. Das Königreich braucht Sie. Das haben Sie bewiesen – jedesmal, wenn Sie ins Gefecht zogen, jedesmal, wenn Sie eines Ihrer gottverdammten Wunder abgezogen haben! Sie haben nicht das Recht, uns allen nun den Rücken zu kehren, um Ihrer persönlichen Vendetta zu frönen, ganz gleich, was Pavel Young Ihnen angetan hat!« Mit Augen so hart wie Stein beugte er sich noch näher an den Aufzeichner. »Daß Sie das nicht einsehen, Captain, macht es kein bißchen weniger wahr. Deshalb befehle ich Ihnen – hören Sie, ich erteile Ihnen den dienstlichen Befehl, den Earl von North Hollow nicht zum Duell zu fordern!«