»Da werde ich mich in den kommenden beiden Monaten wohl mächtig selbst bemitleiden müssen«, murmelte Paul Tankersley, als das Shuttle in die Endphase der Annäherung an den warteten Schweren Kreuzer ging. »Besonders nachts«, fügte er schalkhaft hinzu. Honor errötete und sah sich rasch um, aber niemand saß nahe genug, um zu hören, was sie redeten. Das Dutzend Diplomaten, mit denen sie dieses dem Foreign Office angehörende Shuttle teilten, hatte sich Sitze vorn in der Passagierabteilung gesucht, mehr denn willens, den Navyoffizieren den rückwärtigen Teil zu überlassen. So konnten sie sich leise miteinander unterhalten, während der Kreuzer im Sichtdisplay immer größer wurde. Honor seufzte erleichtert, dann schnitt sie Paul eine Grimasse.
»Du bist genauso schlimm wie meine Mutter«, schalt sie ihn. »Ihr habt beide nicht einen Funken Selbstbeherrschung. Oder gewöhnlichen Anstand, wo wir schon dabei sind.«
»Ich weiß, ich weiß. Deshalb mochte ich sie auch auf der Stelle. Also, wenn sie ein wenig größer wäre …«
Auflachend brach Tankersley seine Rede ab, als sich Honors Ellbogen in seine Rippen bohrte, aber auf ihrer rechten Wange zeigte sich ein Grübchen, über das sie keine Kontrolle besaß. Für nur einen einzigen, eintägigen Ausflug nach Sphinx hatten sie Zeit gefunden, aber ihre Eltern – und besonders ihre Mutter – hatten Paul mit offenen Armen empfangen. Dr. Allison Harrington war eine Emigrantin von Beowulf im Sigma-Draconis-System, und die Sexualmoral des Planeten Beowulf unterschied sich sehr von der des eher zuknöpften Sphinx. Das völlige Fehlen jedes Sexuallebens bei ihrer Tochter hatte sie beinahe ebensosehr verblüfft wie besorgt, und am Ende wäre sie vermutlich bereit gewesen, jedes männliche Wesen zu akzeptieren, so lange es nur annähernd die richtige Anzahl von Gliedmaßen aufwies. Als sie jedoch die Qualitäten des Mannes bemerkte, den Honor dann schließlich gefunden hatte, und feststellte, wie innig sie einander liebten, hatte sie ihn nicht nur im übertragenen Sinne an ihren Busen gedrückt. Tatsächlich hatte Honor einmal sogar befürchtet, Allisons über 50-jährige kulturelle Integration würde Risse bekommen und in einem Angebot enden, das selbst Paul schockiert hätte. Dann war der furchtbare Moment vorübergegangen, ohne daß etwas geschah, und im Nachhinein wünschte Honor sich ein wenig reumütig, den Ausdruck auf Pauls Gesicht gesehen zu haben, wenn es anders gekommen wäre.
»Du hältst dich einfach von Sphinx fern, bis ich zurückkomme, Paul«, sagte sie streng. Nimitz sah in ihrem Schoß auf und bliekte ein leises Lachen; Tankersley legte sich die Hand auf die Brust und versuchte, ein unschuldiges Gesicht zu ziehen.
»Aber Honor! Du denkst doch nicht etwa …«
»Du willst gar nicht wissen, was ich denke«, unterbrach sie ihn. »Ich habe gesehen, wie ihr beide euch in die Ecke verzogen und geflüstert habt. Worum ging’s dabei eigentlich?«
»Ach, um dies und das«, antwortete Paul strahlend. »Ein paarmal hat sie mich allerdings wirklich überrascht – nicht nur mit dem Babyfoto von dir, das mit dem blanken Popo. Wußtest du, daß Beowulfianer keine Retortenbabys zulassen?«
Honor bemerkte, wie sie noch einmal errötete, diesmal nur erheblich intensiver, aber diesmal brachte sie einfach nicht fertig, das Gurgeln verlegenen Entzückens zu unterdrücken. Einer der Diplomaten sah über die Schulter zu ihr und wandte sich wieder ab, und in Pauls Augen tanzte der Schalk, als er zu ihr aufsah.
»Ja«, sagte sie nach einem Augenblick, »ich glaube, das wußte ich.«
»Ehrlich?« Er grinste, weil sie sich weigerte, in den holographischen Köder zu beißen, und schüttelte den Kopf. »Kaum zu glauben, daß ein winziges Ding wie sie dich zur Entbindung im Bauch hatte. Das will mir wie eine ganz schöne Plackerei vorkommen.«
»Willst du etwa faule Witze über meine Größe machen? Oder einfach nur andeuten, daß die Mühe verschwendet gewesen wäre?«
»Himmel, nein! Nichts davon wäre taktvoll – oder gefahrlos, wenn ich mir’s recht überlege.« Paul grinste noch weiter, dann setzte er eine etwas ernstere Miene auf. »Aber Spaß beiseite, auf Sphinx muß das wirklich eine fürchterliche Strapaze gewesen sein.«
»War es auch«, gab Honor ihm recht. »Die Schwerkraft von Beowulf ist höher als Manticores, aber immer noch zehn Prozent niedriger als die von Sphinx. Daddy wollte mich unbedingt in vitro bringen, aber Mutter wollte nichts davon hören. Damals war er noch im aktiven Dienst, und sie hatten nicht einmal genug Geld, um das Haus mit Gravplatten auszustatten, aber sie ist ein starrsinniges kleines Ding.«
»Na ja, irgendwoher mußt du es ja haben«, murmelte Paul. »Aber ich begreife nicht, weshalb sie so sehr darauf bestanden hat. Gerade von einer Beowulfianerin hätte ich etwas anderes erwartet.«
»Ich weiß.«
Honor runzelte die Stirn und rieb sich die Nasenspitze, während sie überlegte, wie sie die scheinbare Widersinnigkeit am besten erklärte. Beowulf war in den medizinischen Wissenschaften führend und konnte sich der fortschrittlichsten Einrichtungen zur Genmanipulation in der erforschten Galaxis rühmen, besonders für angewandte Eugenik. Der Rest der Menschheit hatte das gesamte Gebiet im zehnten Jahrhundert nach der Diaspora für mehr als siebenhundert T-Jahre aufgegeben, nachdem die spezialisierten Kampfgeschöpfe, die biologischen Waffen und die ›Supersoldaten‹ des Letzten Krieges von Alterde fürchterlichste Vernichtung über die Mutterwelt der Menschheit gebracht hatten. Einige Historiker bestanden darauf, daß nur das Warshawski-Segel und die Rettungsexpeditionen anderer Mitglieder der gerade erst gegründeten Solaren Liga den Planeten vor der völligen Verwüstung gerettet hätten, und das Sol-System hatte im folgenden fast fünf T-Jahrhunderte gebraucht, bevor es seine herausragende Stellung in der Galaxis wieder einnehmen konnte.
Doch während die Menschheit zum größten Teil vor dem Schrecken, den sie freigesetzt hatte, zurückfuhr, blieb Beowulf unbeirrbar. Honors Ansicht nach lag das daran, daß die Beowulfianer es von Anfang an mit der Idee der Verbesserung des Genpools nicht übertrieben hatten. Beowulf war die älteste der Tochterkolonien von Alterde und hatte seinen eigenen Kodex der Biowissenschaften lange vor dem Letzten Krieg entwickelt, und dieser Kodex hatte die Exzesse, die auf anderen Planeten an der Tagesordnung waren, von vornherein ausgeschlossen. Außerdem hatte es nach dem allgemeinen Abzug von der Gertmanipulation längst nicht so viel Druck auf das medizinische Establishment von Beowulf gegeben, wie man hätte erwarten können, denn Forscher von Beowulf hatten die genetischen Schäden beseitigt und die furchtbaren Seuchen, die der Letzte Krieg den Überlebenden auf Alterde hinterließ, eine nach der anderen isoliert und besiegt.
Und auch heute noch, beinahe eintausend T-Jahre später, befolgte Beowulf den Kodex. Vielleicht wurde er sogar noch rigoroser gehandhabt als damals. Das Sternenkönigreich von Manticore machte, wie die meisten Planeten mit brauchbarer medizinischer Versorgung, keinen Unterschied zwischen ›natürlich‹ und in vitro geborenen Kindern. Tatsächlich gab es genug Argumente für ›Retortenbabys‹, wie sie noch immer genannt wurden, nicht zuletzt die Leichtigkeit, mit der der Fötus überwacht und Defekte korrigiert werden konnten. Und selbstverständlich übte die Methode einen großen Reiz auf Frauen aus, die eine Karriere verfolgten, besonders Soldatinnen wie Honor selbst. Trotzdem weigerte Beowulf sich, die Methode anzuwenden.
»Das ist gar nicht leicht zu erklären«, begann Honor schließlich. »Ich glaube, es hat viel damit zu tun, daß Beowulf die Eugenik-Programme fortgeführt hat, als alle anderen Planeten sie zurückwiesen. Als … tja, als eine Art Wink, der den Rest der Galaxis beruhigen sollte, ihnen sagen sollte, daß auf Beowulf nicht wild am menschlichen Genotyp herumgedoktert wurde. Was man dort auch nie getan hat, weißt du. Von je her ist dort ein gradueller Ansatz bevorzugt worden. Man ist bereit, bis an die natürlichen Grenzen des verfügbaren genetischen Materials vorzudringen, aber sie gehen nicht um einen Millimeter über das hinaus, was menschlich ist. Vielleicht findest du, daß diese Grenze mit dem Prolong-Verfahren überschritten worden ist, aber tatsächlich verändert man nicht wirklich etwas mit der Lebensverlängerung. Man überzeugt nur einige Gengruppen, zwo oder drei Jahrhunderte lang ein wenig anders zu arbeiten. Aber trotzdem ist ihr Beharren auf dem Austragen des Kindes mehr als nur eine Geste an den Rest der Menschheit. Mutter sagt, der offizielle Grund laute ›Vermeidung von technischer Abhängigkeit in Fragen Vermehrung‹, aber sie lächelt stets, wenn sie das behauptet, und ein oder zwomal hat sie bereits zugegeben, daß daran noch mehr ist.«
»Was denn?« fragte Paul, als sie schwieg.
»Das will sie mir nicht sagen – außer, daß sie mir versichert, ich würde es schon verstehen, wenn ich erstmal so weit bin. Sie wird dann geradezu mystisch.« Honor zuckte mit den Schultern, dann grinste sie und drückte ihm die Hand. »Aber vielleicht willigt sie in unserem Fall in eine Ausnahme ein, in Anbetracht der Dienstpläne, die in den nächsten Jahren so auf uns warten.«
»Hat sie«, entgegnete Paul mit aller Seelenruhe. Honor hob die Augenbrauen, und er grinste. »Sie hat gesagt, daß sie ihre Reagenzgläser hervorkramt, wenn wir sie das nächste Mal besuchen. Und irgendwas …« – er hob die Nase und schniefte überlegen –, »daß sie nicht zulassen werde, daß dir erstklassiges Sperma durch die Lappen geht.«
Honor riß voller Verblüffung die Augen auf, dann wurde ihr Blick weich. Sie hatte nicht begriffen, wie sehr ihre Mutter von Paul angetan war, und ihre Hand schloß sich fester um die seine.
»Das halte ich für eine großartige Idee«, sagte sie leise und beugte sich vor, um ihn trotz Anwesenheit der Diplomaten zu küssen. Dann richtete sie sich in ihrem Sitz auf und lächelte schelmisch. »Nicht, daß ich die Absicht gehabt hätte, mir irgendwelches ›erstklassiges Sperma‹ entgehen zu lassen.«
Ein Andocktraktor griff aus, um das Shuttle in den Beiboothangar des Schweren Kreuzers Jason Alvarez zu ziehen. Das kleine Raumfahrzeug rollte mit Hilfe der Kreisel und der Manöverdüsen, richtete sich an den Armen des Andockgerüsts aus und legte sich schließlich ohne die geringste Erschütterung gegen die Pralldämpfer. Honor saß ganz ruhig da und beobachtete, wie sich die farbenprächtig gekleideten Zivilisten erhoben und mit ihrem Handgepäck auf den Ausstieg zuströmten, während das Hangarpersonal der Alvarez die Zugangsröhre außen an der Luke anbrachte. Der Moment des Abschieds war gekommen, und plötzlich wurde Honor bewußt, wie wenig sie wollte, was nun geschah.
Nimitz gab ein leises, melodiöses Geräusch von sich, und Paul legte ihr kurz den Arm um die Schultern und drückte sie an sich. Sie sah ihn an und mußte blinzeln, weil ihr mit einem Mal die Tränen in den Augen standen. Ihre Hand strich über das weiche, geschmeidige Fell des Baumkaters.
»Hey, ist doch nur für zwo Monate!« flüsterte Paul.
»Ich weiß.« Einen Augenblick lang lehnte sie sich gegen ihn und holte tief Luft. »Weißt du, ich habe mich immer ein wenig überlegen gefühlt, wenn ich gesehen habe, wie die Leute sich in den Abflughallen anflennten. Das kam mir immer so albern vor. Jetzt nicht mehr.«
»Geschieht dir ganz recht, wenn du all die Jahre so herzlos gewesen bist, oder?« Paul strich ihr mit der Fingerspitze über die Nase, und sie schnappte danach. »Das ist schon besser. Außerdem, nur zu deiner Information, habe ich etwas dagegen, wenn man mich anflennt. Das hinterläßt Tränenflecke auf der Jacke. Deshalb lasse ich das keine meiner Frauen tun.«
»Das wette ich, du Schuft!« Sie lachte leise, dann erhob sie sich und legte Nimitz gleichzeitig auf ihre gepolsterte Schulter. In goldener Schönheit prangte der Stern von Grayson an seinem scharlachroten Band vor dem Weltraumschwarz ihrer Uniformjacke. Mit der Ausgehuniform wurde er üblicherweise so getragen – zumindest in graysonitischen Diensten –, und sie rückte das ungewohnte Gewicht zurecht, bevor sie sich über die Uniform strich, um sich der Makellosigkeit ihres Äußeren zu versichern. Nach all den Jahren eine vollkommen automatische Handlung, und Paul lächelte, als ihm die Reflexhaftigkeit zu Bewußtsein kam.
»Ich habe gewußt, daß ich einfach keine Geheimnisse vor dir behalten kann. Außer den wirklich wichtigen natürlich.«
»Wenn du glaubst, daß das Halten eines Harems unwichtig sei, dann steht dir aber eine traurige Überraschung bevor, Freundchen!« warnte Honor ihn, und er lachte auf.
»Ach, das!« Er winkte geringschätzig ab, dann stand er ebenfalls auf und öffnete das Gepäckfach über den Sitzen, um eine große, teuer aussehende Umhängetasche hervorzuziehen. Sie bestand aus schwarzem Echtleder und war auf Spiegelglanz poliert. Außerdem befand sich das Wappen darauf, das Honor sich als Gutsherrin von Harrington ausgewählt hatte: Seite an Seite Darstellungen der westlichen Hemisphären von Sphinx und Grayson, durch den stilisierten Schlüssel miteinander verbunden, das Siegel der Begründer für einen Gutsherrn, gekrönt durch einen Raumanzughelm. Der Helm sah einem modernen Ausrüstungsgegenstand überhaupt nicht ähnlich, aber er war genau das Symbol, das seit fast zweitausend T-Jahren für den Dienst in der Navy stand.
»Was ist das?«
»Das, meine Liebe«, antwortete Tankersley mit neckendem Grinsen, »ist eins der zuvor erwähnten nicht so wichtigen Geheimnisse. Ich würde gern so tun, als war’s bloß ein Abschiedsgeschenk, aber in Wahrheit arbeite ich schon seit einer ganzen Weile daran. Ich hatte schon befürchtet, es würde vor deinem Aufbruch nicht mehr fertig, aber man hat für mich Überstunden eingelegt.«
»Was ist es denn?« wollte sie wissen, und er kicherte wieder. Er stellte die Tasche auf ihren leeren Platz ab und öffnete sie. Als Honor sah, was darin war, riß sie die Augen auf.
Es handelte sich um einen Vakuumanzug. Genauer gesagt, sah es exakt so aus wie ein Raumanzug in Flottenausführung – abgesehen von der geringen Größe und daß sechs Gliedmaßen vorgesehen waren.
»Paul!« keuchte Honor. »Das kann doch nicht sein, wonach es aussieht!«
»Nun, das ist es aber trotzdem!« Er fischte unter dem Anzug umher und kam mit einem ebenso untergroßen Helm hervor, den er gespielt am Unterarm abwischte und mit einer Verbeugung und weitausholenden Geste ihr darreichte. »Für den Hohen Herrn«, erklärte er überflüssigerweise.
Honor nahm den Helm entgegen und drehte ihn ungläubig in den Händen, während Nimitz von der Schulter hinabsah. Der ‘Kater begriff, was er vor sich hatte, und sie spürte über die Verbindung seine Überraschung und das Glühen seiner Freude.
»Paul, ich hätte nie auch nur überlegt … ich meine, warum ist mir das nicht eingefallen? Der Anzug ist doch … einfach perfekt!«
»Und das sollte er auch ein«, erwiderte Paul genüßlich. »Was die Frage betrifft, warum du nicht selber drauf gekommen bist – nun, es liegt mir fern anzudeuten, du könntest manchmal ein wenig langsam sein, aber …« Mit gallischer Perfektion zuckte er mit den Schultern.
»Takt fehlt dir übrigens auch«, erkannte Honor erstaunt. »Himmel, was hab’ ich bloß verbrochen, um dich zu verdienen?«
»Ich schmeichle mich nur bei dir ein, damit du mich nicht zu Klump haust, wenn ich erst anfange, die Unterwäsche auf dem Teppich liegenzulassen, meine Liebe.« Bei dem Blick, den sie ihm zuwarf, mußte er lachen, dann wurde er wieder ernst. »Ich muß zugeben, die Idee ist mir gekommen, als ich das erste Mal in deiner Kabine das Lebenserhaltungsmodul für Nimitz sah. Weißt du, ich habe meine Laufbahn bei BuShips begonnen, bevor ich durch Verwendung an Bord von Schiffen abgelenkt wurde. Nach Abschluß der Akademie war ich als Hilfsprojektoffizier beim Neuentwurf der alten Raumanzüge dabei, damals, als die neuen Hochdrucklagervakuolen aufkamen. Jetzt habe ich in meiner Freizeit ein wenig am Terminal herumgespielt. Als wir von Hancock zurückkamen, stand der Entwurf.«
»Aber das muß doch ein Vermögen gekostet haben«, wandte Honor bedächtig ein. »Allein für das Modul hat man mir das Fell über die Ohren gezogen.«
»Billig war es nicht«, stimmte Paul zu, »aber meine Familie ist schon immer in Schiffsbau und -ausrüstung ganz dick drin gewesen. Ich brachte den Plan zu Onkel Henri – wir sind nicht wirklich miteinander verwandt, aber er leitet unsere F&E-Abteilung –, und er übernahm die Sache. Erstmal hat er mir aber eine nette Standpauke wegen meines Entwurfs gehalten«, fügte er nachdenklich hinzu. »Ich schätze, er hatte ihn um ein paar hundert Prozent verbessert, als er mit Spielen fertig war. Danach«, er zuckte mit den Schultern, »war die eigentliche Fabrikation ein Kinderspiel.«
Honor nickte, aber ihre Miene zeigte, daß ihr unbehaglich zumute war, und stirnrunzelnd betrachtete sie den Helm eingehender. Als sie feststellte, wie wohlhabend Pauls Familie war, war sie überrascht gewesen, dabei wußte sie doch, daß die Tankersleys mit Michelle Henke verwandt waren, aber sie stellten eine bürgerliche Seitenlinie der königlichen Familie dar. Doch ungeachtet seines unbekümmerten Abtuns von Preisschildern wußte Honor, was ein normales Lebenserhaltungsmodul kostete, und der Anzug mußte erheblich teurer gewesen sein.
»Ach, er ist einfach hinreißend, Paul, aber du hättest so etwas Teures nicht tun dürfen, ohne mich zu warnen!«
»Mach dir deswegen nur keine Gedanken! Onkel Henri dachte zuerst auch, der Anzug wäre nichts weiter als ein teures Spielzeug. Bis die Marketing-Abteilung davon Wind bekam, heißt das.« Honor schaute ihn erstaunt an, und Paul grinste. »Ihr seid nicht der einzige Mensch mit einer ‘Katz, Dame Honor. Etwa ein Drittel aller Module, die für Baumkatzen gekauft werden, stammen von uns, aber wenn wir beginnen, Raumanzüge für die kleinen Racker anzubieten, dann wird das die Leute, die die anderen zwo Drittel verkaufen, sehr unglücklich machen. Du glaubst gar nicht, wie schmeichelhaft es ist, wenn man nach all diesen enttäuschenden Jahren plötzlich doch noch für ein Wunderkind gehalten wird.«
»Jede Wette«, pflichtete Honor ihm bei. Ihr Stirnrunzeln schmolz zu einem Lächeln, und sie hob den Helm, damit Nimitz ihn eingehender begutachten konnte. Mit zitternden Schnurrhaaren schnüffelte der Baumkater vorsichtig daran, dann schob er den Kopf in den durchsichtigen Armoplast, und Honor lachte auf, als sie sah, wie er ihr daraus mit den Ohren zuwinkte.
»Vielen Dank«, sagte sie mit Wärme. Mit der freien Hand strich sie Paul über die Wange. »Vielen, vielen Dank. Von uns beiden.«
»Gern geschehen, reden wir nicht mehr davon.« Er machte eine leichtfertige Geste und streckte die Hände vor. Sie gab ihm den Helm zurück, und er plazierte ihn oben auf den Anzug, verschloß die Tasche und legte Honor den Tragegurt über die Schulter.
»So. Alles fertig.« Er winkte sie zur Luke; erst jetzt bemerkte sie, daß alle anderen das Shuttle schon verlassen hatten, und sah erstaunt auf. Paul bot ihr den Arm, und sie hängte sich ein, dann führte er sie zur Luke. »Er hat sogar eigene Schubdüsen. Sie sind nicht so flexibel wie die eines Standardraumanzugs, aber dafür mit Biofeedback-Aktuatoren ausgestattet. Wenn ich nach den akrobatischen Kunststücken gehe, die ich von Nimitz gesehen habe, dann sollte er nicht allzu große Schwierigkeiten haben, sich an die Aktuatoren zu gewöhnen. Im Moment sind sie selbstverständlich abgeschaltet und leer, aber die Software ist darauf eingerichtet, sich modifizieren zu lassen, sobald ihr beiden herausbekommt, welche Muskelgruppe sich für das Einleiten welchen Manövers am besten eignet. Im Preis inbegriffen ist eine Sicherheitsleine, damit er unter Null-Ge trainieren kann, und die Handbücher stecken in der Tasche. Lies sie dir sehr genau durch, bevor du anfängst, an dem Teil herumzupfuschen.«
»Aye, aye, Sir.«
»Gut.« Sie erreichten die Luke, und er zog ihren Kopf zu sich hinab, bis er sich auf bequemer Kußhöhe befand. Er strich ihr mit den Lippen über den Mund. »Gute Reise.«
Sie lächelte, ohne ein Wort zu sagen, und war fest entschlossen, nicht zu schniefen. Paul schob sie sanft in die Zugangsröhre. Honor griff nach der außenbords angebrachten Haltestange und schwang sich durch die Schwerkraft-Grenzschicht. Dort hielt sie inne und rollte sich in der Schwerelosigkeit herum – und da hörte sie hinter sich ein Räuspern.
»Ach, noch eins. Fast hätte ich vergessen, es zu erwähnen.« Fragend legte sie den Kopf schräg. Als sie seine unheilige Amüsiertheit registrierte, kniff sie die Augenbrauen zusammen.
»Was?«
»Nun, ich bin ja schon froh, daß der Anzug noch vor deiner Abreise verfügbar ist. Wo doch alles so knapp war.« Sie kniff die Augenbrauen noch stärker zusammen, und er lächelte unschuldig. »Weißt du, diese eine Sache mußt du Nimitz selber erklären. Onkel Henri hat alles in seiner Macht Stehende getan, damit der Anzug sicher funktioniert, aber die eine Sache, daran ließ sich einfach nichts drehen.«
»Welche Sache?« verlangte Honor mißtrauisch zu wissen.
»Laß es mich so formulieren, mein Herzblatt: Ich hoffe, daß Nimitz in toleranter Stimmung ist, wenn du ihm die – Kanalisation erklärst.«
Im Beiboothangar der Jason Alvarez hatte Senior Captain Mark Brentworth gerade den letzten der manticoranischen Würdenträger an Bord seines Schiffes begrüßt, da hörte er, wie hinter ihm jemand sich warnend räusperte. Er fuhr zur Zugangsröhre herum und erblickte einen hochgewachsenen, schlanken weiblichen Captain in Schwarz und Gold, die durch die Röhre schwebte und sich im Vergleich mit den unbeholfen strampelnden Diplomaten mit der Grazie eines Vogels bewegte. Geschmeidig klammerte sich eine langgestreckte Gestalt an ihre Schulter, und vor Freude leuchteten Brentworth’ Augen auf.
Mit der rechten Hand machte er eine knappe Geste, und der altgediente Maat, der die Seite kommandierte, holte anstelle seiner elektronischen Bootsmannspfeife ein altmodisches, atemluftbetriebenes Horn hervor. Mehrere manticoranische Diplomaten drehten sich erstaunt um, als die knappen, goldenen Klänge über die Galerie tönten und die Ehrenwache aus Grayson Marines aus der ›Rührt-Euch‹-Stellung in ›Habt-acht‹-Haltung ging.
»Präsentiert das – Gewehr!« bellte ihr Kommandeur. In perfektem Einklang der Bewegungen wurden Pulsergewehre erhoben, die Seite salutierte, und Brentworth nahm die Mütze ab und verbeugte sich schwungvoll. Zu einer zweiten Fanfare trat Honor Harrington aus der Zugangsröhre. Sie blieb stehen, ebenso überrascht wie die Diplomaten, und nur dank der jahrzehntelang praktizierten Disziplin und Selbstbeherrschung gelang es ihr, das Staunen von ihrem Gesicht zu halten.
»Gutsherrin von Harrington«, sprach Brentworth sie mit tiefer Stimme an, stellte sich stocksteif hin und klemmte sich die Mütze unter den Arm. »Es ist mir eine Ehre und ein Privileg, Sie im Namen des Volkes von Grayson an Bord meines Schiffes begrüßen zu dürfen, Mylady.« Honor sah ihn an und fragte sich dabei, wie wohl die passende Antwort lauten mochte. Schließlich entschied sie sich, sich ebenfalls graziös zu verbeugen.
»Vielen Dank, Captain Brentworth. Ich bin entzückt, an Bord Ihres Schiffes zu sein, und …« – sie lächelte und hielt ihm die rechte Hand hin – »sie sieht mir ganz nach einem wundervollen Schiff aus, Mark.«
»Vielen Dank, Mylady. Ich bin selber recht stolz auf sie, und ich freue mich bereits darauf, Sie ein wenig umherzuführen, wann immer es Ihnen genehm ist.«
»Darauf werde ich Sie festnageln.« Sie drückte ihm kräftig die Hand und war im stillen erstaunt, wie gut er in der Uniform eines Captains aussah. Ganz besonders als Kommandant dieses Schiffes. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er noch Commander, aber sie vermutete, daß seine Beförderung nur wenig mit dem Einfluß seiner Familie oder dem verzweifelten Bedürfnis der Graysons nach hohen Offizieren zu tun hatte.
Brentworth hielt ihre Hand länger, als nötig war, um dem Protokoll Genüge zu tun, und als sie seinen musternden Blick bemerkte, wandte sie mit Bedacht den Kopf, um ihm ihre linke Gesichtshälfte zu präsentieren. Als er sie zum letzten Mal gesehen hatte, war ihr zerstörtes linkes Auge von einer Augenklappe bedeckt und die linke Gesichtshälfte durch Nerventod wie eingefroren gewesen. Sie erkannte die Erleichterung in seinen Augen, als sie sein Lächeln erwiderte und ihr linker Mundwinkel sich dabei natürlich bewegte. Natürlich, so weit es für ihn ersichtlich war, ermahnte sie sich. Vor ihrer Verletzung hatte er sie nur ein oder zweimal lächeln sehen.
Brentworth ließ ihre Hand wieder los und trat mit einer Geste zurück, die höflich, aber unmißverständlich klar machte, daß sie einen höheren Rang einnahm als all die hoch- und mittelgestellten Diplomaten, die vor ihr an Bord gekommen waren.
»Ich freue mich schon sehr darauf, Ihnen das Schiff zu zeigen, Mylady. Erlauben Sie mir jedoch zuvor, daß ich Sie zu Ihrer Unterkunft begleite. Ihr Steward müßte ihr persönliches Gepäck bereits dorthingeschafft haben.«