Es ging in silesianischen Raum.
Geleitschutz für Konvois Ihrer Majestät Handelsflotte.
Todlangweilig würde es sein.
Lieutenant (Senior-Grade) Rafael Cardones unterdrückte ein Seufzen, als der Schwere Kreuzer der Star-Knight-Klasse HMS Fearless elegant in die Umlaufbahn des Planeten Sphinx eintrat. Es war einfach nicht fair, und das wusste jeder an Bord. Nach alldem, was sie auf Basilisk Station durchgemacht hatten, hätte die Admiralität sie doch mit etwas Anspruchsvollerem betrauen können, als endlos hin und her zu flitzen zwischen Basilisk und dem chaotischen Pfuhl politischen Wirrwarrs, den man lachhafterweise die Silesianische Konföderation nannte – zumal sie in einem funkelnagelneuen Kampfschiff steckten.
»Emitter auf Bereitschaft«, befahl die Kommandantin mit ihrer weichen Sopranstimme, und Cardones musterte sie verstohlen. Wenn Captain Honor Harrington wegen des anstehenden Geleitdienstes bestürzt war, so ließ sie es sich gewiss nicht anmerken. Ihr Ausdruck war geradezu heiter, als könnte ihr nichts auf der Welt noch Sorge machen.
Andererseits hatte sie mit fast genau der gleichen Miene angeordnet, dass ihr früheres Schiff, der betrauerte dahingeschiedene Leichte Kreuzer Fearless, ein Q-Schiff der Volksrepublik Haven von acht Millionen Tonnen durch das Basilisk-System hetzte; ein Q-Schiff zudem, das auf Grundlage seiner Armierung durchaus als waschechter Schlachtkreuzer hätte gelten können.
Honor Harringtons Leichter Kreuzer hingegen war im Grunde nur noch ein übergroßes Leichtes Angriffsboot gewesen, nachdem Admiral Lady Sonja Hemphill ihn hatte ausweiden lassen, um Platz für ihre kostbare Gravolanze zu schaffen, ein experimentelles Waffensystem. Dass es Captain Harrington irgendwie gelungen war, die Fearless so lange halbwegs zusammenzuhalten, bis sich eine Gelegenheit ergab, gerade diese Gravolanze gegen das havenitische Q-Schiff einzusetzen, war, wenn man Cardones fragte, völlig irrelevant. In seinen Augen hatte Hemphill auf dem schmalen Grat balanciert, hinter dem die sträfliche Dummheit begann, und die Latrinenparole lautete, dass Captain Harrington ihr genau das während der Anhörung vor dem Amt für Waffenentwicklung ins Gesicht gesagt habe. Natürlich nicht ganz so ausdrücklich.
Er sah die Kommandantin erneut an. Auf diesen zweiten Blick dachte er, dass der Ausdruck in keiner Weise heiter sei. Captain Harrington freute sich auf die Gelegenheit, Piraten jagen und sie allesamt in den Hintern treten zu können.
Vielleicht würde der Einsatz doch nicht ganz so langweilig, wie er zuerst gedacht hatte.
Auf der anderen Seite der Brücke richtete sich Lieutenant Joyce Metzinger plötzlich in ihrem Sessel auf. »Signal von HMS Basilisk, Captain«, meldete sie.
Cardones blickte die Kommandantin wieder an und entdeckte ein leichtes, überraschendes Stirnrunzeln. Sie hatte an Bord der Basilisk gedient, bevor sie ihr erstes hyperraumtüchtiges Kommando erhielt. Taktischer Offizier war sie dort gewesen, wenn er sich recht entsann, die gleiche Position, die er augenblicklich an Bord der Fearless innehatte. Wollte Admiral Trent sie nur begrüßen?
Wie sich rasch erwies, hatte er zur Hälfte Recht. »Admiral Trent sendet seinen Gruß«, fuhr Metzinger fort. »Außerdem bittet er Sie, ihn aufzusuchen, sobald Sie es einrichten können.«
Der Signaloffizier blickte Cardones an. »Ferner ersucht er Sie, Lieutenant Cardones mitzubringen.«
Cardones stutzte. Er hatte nie an Bord der Basilisk gedient. Was um alles in der Welt …?
»Bestätigen Sie das Signal des Admirals, Joyce«, wies Captain Harrington Metzinger an. Sie erhob und drehte sich halb um, dann streckte sie die Arme für den Baumkater aus, der sich träge auf der Lehne ihres Kommandosessels flegelte. Anmutig sprang er in ihre Arme und huschte zu seinem gewohnten Platz auf ihren Schultern hoch. »Lassen Sie meine Pinasse bereitmachen. Rafe?«
»Jawohl, Ma'am«, sagte Cardones. Er war bereits aufgestanden. Wenn ein Admiral sagte, man möge kommen, sobald man es einrichten könne, so bedeutete es für einen gewöhnlichen Sterblichen, dass er schon vor fünf Minuten hätte dort sein müssen. Sie konnten Trent unmöglich noch länger warten lassen.
Die Basilisk war ein Superdreadnought, dreieinhalb Kilometer lang, achteinviertel Millionen Tonnen Kampfeswut. Cardones beäugte den Koloss, während die Pinasse sich näherte, und seine Gedanken schwankten zwischen Zukunftshoffnung und zukünftigem Bedauern. An Bord eines renommierten Wallschiffes zu dienen war sein Traum gewesen, seit er zum ersten Mal die Uniform der Royal Manticoran Navy angelegt hatte. Andererseits führte bei einem Schiff dieser Größe schon die schiere Anzahl der Menschen an Bord dazu, dass selbst höhere Offiziere zu Rädchen in einem Getriebe wurden, das weit größer war als sie. Selbst wenn er es eines Tages an Bord solch eines Schiffes schaffte, würde er wahrscheinlich wehmütig an seine Tage auf kleineren Schiffen wie der Fearless zurückdenken, wo der Einzelne ungleich wichtiger war.
Das galt besonders, weil sogar Kreuzer manchmal auf der galaktischen Bühne agierten, wenn sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren, wie Captain Harrington auf Basilisk Station bewiesen hatte. Alles in allem war es vielleicht doch nicht schlecht, an Bord eines der kleineren Kampfschiffe der Royal Manticoran Navy zu dienen.
Der Beiboothangar der Basilisk bot das übliche kontrollierte Chaos, während Cardones Captain Harrington durch die Andockröhre folgte. Die angetretene Seite ließ die Bootsmannspfeifen schrillen, während der Hangaroffizier vom Dienst und ein Quartermeister abseits über einem Memopad brüteten, während sich ein Stück weiter ein Arbeitstrupp eine Betankungsstation vornahm. Cardones blickte in die Richtung des Trupps, während er hinter seiner Kommandantin auf dem Deck landete, und hoffte, sie hatten daran gedacht, die Wasserstofftanks zu schließen und die Leitungen mit Inertgas zu spülen, bevor sie ihre Schneidbrenner zündeten. Ihm war von einem Trupp zu Ohren gekommen, der das vergessen hatte, und es sollte kein hübscher Anblick gewesen sein.
Angesichts der Ungewöhnlichkeit von Trents Einladung hatte Cardones fast erwartet, dass der Admiral das Maß des Neuen voll machte, indem er seine Gäste persönlich in Empfang nahm. Doch außer der Seite warteten nur zwei Personen auf sie: ein großer Mann mit den vier goldenen Armeistreifen und Kragenplaneten eines Captains of the List und eine fast genauso große Frau mit ebenfalls vier Armeistreifen, aber den Kragensternen eines Captains Junior-Grade.
»Captain Harrington«, sagte der Mann und trat vor. »Ich bin Captain Olbrecht, Admiral Trents Stabschef. Willkommen an Bord der Basilisk.«
Lächelnd streckte er die Hand vor. »Oder besser gesagt, willkommen zurück.«
»Danke, Captain«, sagte Captain Harrington und schüttelte ihm die Hand. »Das ist Lieutenant Rafael Cardones, mein Taktischer Offizier.«
»Ah ja«, sagte Olbrecht nickend, während er Cardones die Hand reichte. Seine Augen zuckten mit dem abschätzenden Blick über sein Gesicht und seinen Körper, mit dem Vorgesetzte ihre Untergebenen ständig zu bedenken schienen. »Willkommen an Bord, Lieutenant.«
»Danke, Sir«, sagte Cardones. Olbrechts Griff war fest und präzise, genau die Art Händedruck, die Vorgesetzte ihren Untergebenen ständig zu geben schienen.
»Das ist Captain Elayne Sandler«, fuhr Olbrecht fort, während er Cardones' Hand losließ und auf die Frau wies, die respektvoll einen Schritt hinter ihm stand. »Sie gehen mit ihr, Lieutenant.«
Cardones bemerkte, dass er sich leicht versteifte. Auf der Überfahrt war er zu dem Schluss gekommen, dass es neue Erkenntnisse zur Lage in Silesia geben musste, die Trent mit dem Skipper und dem Taktischen Offizier der Fearless besprechen wollte. Doch wenn man sie nun trennte …
»Jawohl, Sir«, brachte er hervor und nickte der Frau zu.
Sie erwiderte die Geste und unterzog ihn mit kühlen Augen der gleichen Musterung, die Olbrecht gerade durchgeführt hatte. Offenbar bekamen höhere Offiziere diese Technik zusammen mit den Kragenabzeichen ausgehändigt. »Folgen Sie mir, Lieutenant«, sagte sie, wandte sich ab und ging zu einem der Lifts.
»Jawohl, Ma'am«, murmelte Cardones und blickte Captain Harrington an. »Ma'am?«
»Gehen Sie nur, Rafe«, sagte sie gelassen und völlig unbeeindruckt. »Wir sehen uns später.«
»Aye, aye, Ma'am.« Ihre Stimme mochte ruhig geklungen haben, doch Cardones hatte die Verwirrung gesehen, die kurz über ihre Stirn gezogen war. Also war sie genauso überrascht wie er. Er folgte Captain Sandler und wog ab, ob das nun ein gutes Zeichen sei oder ein schlechtes.
Am Lift holte er Sandler ein. »Entschuldigen Sie die Geheimniskrämerei, Lieutenant«, sagte sie, als sie auf den Rufknopf drückte. »Aber gleich verstehen Sie mehr.«
»Jawohl, Ma'am«, antwortete Cardones neutral. Er beobachtete, wie Olbrecht und Captain Harrington in einem anderen Lift verschwanden. Offensichtlich hatten sie ein ganz anderes Ziel als Sandler und er.
Die Lifttüren vor ihnen öffneten sich, und sie traten in die Kabine, die sie eine Minute später vor einem Besprechungsraum der Basilisk absetzte. Sandler öffnete die Luke und trat hindurch; Cardones lockerte mit einer bewussten Anstrengung die Schultern und folgte ihr.
An dem langen Tisch saßen sechs Personen, und alle musterten die Neuankömmlinge. Cardones blickte die Doppelreihe entlang und nahm automatisch Gesichter und Rangabzeichen auf.
Sein Blick erreichte schließlich die Frau am Kopf des Tischs. Ein Admiral, bemerkte er mit gelinder Überraschung. Er hob die Augen von ihrem Kragen in ihr Gesicht und …
Und mit dem Rauschen des Blutes in seinen Ohren war seine Anspannung wieder da, als hätte ihm eine Hyperraum-Gravwelle ins Gesicht geschlagen.
Das war nicht irgendein Admiral. Es war Admiral der Roten Flagge Lady Sonja Hemphill.
»Lieutenant Cardones«, sagte sie und wies mit einer schlanken Hand auf den freien Stuhl zwei Plätze links von ihr, zwischen zwei Männern mit den Abzeichen eines Lieutenant Commanders beziehungsweise eines Ensigns. »Bitte, setzen Sie sich.«
Ihre Stimme klang gleichmütig, fast gelassen. Cardones ließ sich jedoch keinen Augenblick lang täuschen. Er hatte die Frau vor sich, deren ›Innovationen‹ ihn und die gesamte Besatzung der Fearless beinahe das Leben gekostet hätten, die Frau, die dafür von Captain Harrington vor ihren Kollegen gedemütigt worden war.
Und nun saß sie hier und lud den Taktischen Offizier selbiger Captain Harrington zu einem privaten und offensichtlich geheimen Treffen ein.
Das war definitiv nicht gut.
Dennoch, ein Admiral war ein Admiral. »Jawohl, Mylady«, sagte er, umschritt den Tisch und näherte sich dem angebotenen Stuhl. Captain Sandler, bemerkte er, ging zu dem ebenfalls leeren Stuhl rechts von Hemphill.
Hemphill wartete, bis sie beide saßen. »Ich bin Admiral Lady Sonja Hemphill, Lieutenant«, stellte sie sich vor. Zuckte da ihr Mundwinkel? »Ich nehme an, Sie haben von mir gehört.«
»Jawohl, Mylady«, bestätigte Cardones mit geübt gleichmütigem Gesicht, wie man es auf dem Exerzierplatz erwirbt.
»Captain Sandler kennen Sie bereits«, fuhr Hemphill fort und wies nun auf den Mann zu Cardones' Rechten. »Dies ist Lieutenant Commander Jack Damana; zu Ihrer Linken sehen Sie Ensign Georgio Pampas.«
Cardones tauschte mit beiden ein stilles Kopfnicken. Damana war klein und sommersprossig; er hatte braune Augen und das karottenrote Haar, das Cardones normalerweise mit fröhlichen, umgänglichen Menschen in Verbindung brachte. Doch wenn Damanas Persönlichkeit eine dieser beiden Charakteristika aufwies, so verbarg er sie gekonnt. Pampas schien aus der gleichen Gussform zu stammen, nur dass er die olivenfarbene Haut und das dunkle Haar eines Menschen hatte, dessen Wurzeln in die Mittelmeerländer von Alterde zurückreichten.
»Vor sich sehen Sie Lieutenant Jessica Hauptmann«, fuhr Hemphill fort.
Wieder absolvierte Cardones die Nickroutine. Hauptmann war mittelgroß und neigte ein wenig zur Fülle. Sie hatte braune Augen und braune Haare und trug einen Namen, der in Cardones' Ohren ganz genauso unangenehm klang wie Hemphill. Allzu lange war es noch nicht her, dass Klaus Hauptmann, Kopf des gewaltigen Hauptmann-Kartells, persönlich ins Basilisk-System gestürmt war, um wütend die damalige Commander Harrington wegen ihrer Maßnahmen gegen die Schmuggler, die den Basilisk-Terminus benutzten, zur Rede zu stellen. Die Einzelheiten dieser Konfrontation waren nach wie vor geheimnisumwittert, doch gewohnt verlässliche Quellen wollten wissen, dass Hauptmann gehörig den Kopf gewaschen bekommen habe.
Dennoch bemerkte Cardones keinerlei Feindseligkeit auf Lieutenant Hauptmanns Gesicht. Sie sah Klaus Hauptmann eigentlich auch nicht ähnlich. Wenn sie tatsächlich mit ihm verwandt war, dann nur entfernt.
»Rechts von ihr«, sagte Hemphill schließlich, »sitzen Senior Chief Petty Officer Nathan Swofford und Petty Officer First Class Colleen Jackson.«
Cardones löste seine Gedanken von Hauptmanns Zügen und Namen und nickte den Unteroffizieren zu. Swofford war gebaut wie ein Schwergewichtsringer. Er hatte blaue Augen und zeigte ein angedeutetes Lächeln, das nie seine grauen Augen berührte, während Jacksons Gesicht allein aus unterschiedlichen Schwarzschattierungen aufgebaut zu sein schien.
»Gemeinsam«, sagte Hemphill und lehnte sich zurück, »bilden sie Technikteam Vier des Office of Naval Intelligence.«
Cardones sah, wie sein sorgsam aufgebautes Haus der schlimmen Befürchtungen zu einem Trümmerhaufen der Verlegenheit zusammenstürzte. Ob Hemphill nun Groll gegen Captain Harrington hegte oder sich vielleicht sogar an ihr rächen wollte, sie war und blieb ein Flaggoffizier der Royal Manticoran Navy, und Flaggoffiziere der RMN griffen in ihren Privatfehden nicht auf eine Abteilung des Nachrichtendienstes der Navy zurück.
»Verstanden«, sagte er, und seine Antwort klang in seinen Ohren unglaublich lahm. »Wie kann ich Ihnen helfen, Mylady?«
Hemphill wies auf Sandler.
»Während der letzten Monate haben wir Gerüchte gehört, dass in Silesia etwas Neues vorgeht«, sagte Sandler und tippte auf das Tastenfeld des Tisches. Über dem Tisch erschien ein Hologramm der Silesianischen Konföderation, in dem die größeren Systeme markiert waren. »Gerüchte, genauer gesagt, dass dort jemand eine neue Waffe oder Technik einsetzt, um Handelsschiffe zu überfallen. Bis vor einem Monat wussten wir darüber nichts Genaueres als die Punkte der Angriffe.«
Im Hologramm erschienen sechs blinkende rote Punkte; der Helligkeitsunterschied beim Blinken rangierte je nach Alter. Auf den ersten Blick bemerkte Cardones an dem Muster nichts Auffälliges.
»Erst bei diesem hier« – ein siebter Punkt erschien, heller als die anderen – »konnten wir endlich etwas Solides entdecken: Die Sensoren eines anderen Frachters im gleichen System haben einiges aufgezeichnet. Das Schiff war zu weit vom Ort des Geschehens entfernt, um etwas wirklich Eindeutiges anzumessen, aber was sie erfahren haben, weist stark in eine Richtung.«
»Und in welche?«, fragte Cardones.
Sandler schürzte die Lippen. »Wir glauben, dass irgendjemand innerhalb der Konföderation eine fortschrittlichere Variante unserer Gravolanze in die Hände bekommen hat.«
»Wie viel fortschrittlicher?«
»Sehr viel fortschrittlicher«, entgegnete Sandler. »Punkt eins: Sie war in der Lage, den Impellerkeil des Frachters auszuschalten.«
Cardones merkte, wie er sich unwillkürlich aufsetzte. Die Gravolanze, die ihm an Bord der alten Fearless zur Verfügung gestanden hatte, konnte nur die Seitenschilde eines Gegners vernichten, nicht aber den Impellerkeil. Selbst wenn man berücksichtigte, dass der Impellerkeil eines Frachters schwächer war als der eines Kriegsschiffs …
»Und Punkt zwo«, fügte Sandler leise hinzu: »Sie hat den Keil aus einer Entfernung von einer Million Kilometer ausgeschaltet.«
Jemand mit genügend kalten Fingern, um ein Dutzend Baumkatzen auszurüsten, spielte auf Cardones' Wirbelsäule ein Arpeggio. Die beste Gravolanze der RMN konnte einen Gegner auf kaum ein Zehntel dieses Abstandes treffen, einer der Hauptgründe, weshalb sie als Waffe so unbrauchbar war. Wenn diese neue Version tatsächlich Impeller zum Zusammenbruch brachte und man dazu nicht einmal auf Kernschussweite an den Feind heranmusste …
»Ich muss Ihnen wohl nicht erläutern, was das bedeutet«, fuhr Sandler fort. »Wir sind noch nicht ganz überzeugt, dass wir es dort wirklich mit einer Super-Gravolanze zu tun haben; doch wenn das der Fall ist, müssen wir es erfahren. Und zwar schnell.«
»Absolut«, stimmte Cardones zu. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Sie sind der einzige Taktische Offizier der RMN, der je eine Gravolanze im Gefecht benutzt hat«, sagte Sandler. »Als solcher müssten Sie nach Admiral Hemphills Ansicht vielleicht in der Lage sein, einige nützliche Hinweise zu geben, wenn wir uns das jüngste Opfer ansehen.«
»Oder was wir für das jüngste Opfer halten«, warf Hemphill ein. »Die Loreley, siebeneinhalb Millionen Tonnen, von Gryphon.«
»Jawohl, Mylady«, sagte Cardones und blickte Hemphill mit geradezu widerwilligem Respekt an. Sie musste eine ganze Suppenschüssel Stolz hinuntergeschluckt haben, bevor sie einen Offizier Captain Harringtons hinzuzog. »Ich muss Sie jedoch warnen, ich verstehe nicht besonders viel von der technischen Seite der Gravolanze«, sagte er.
»Das brauchen Sie auch nicht«, entgegnete Sandler und wies auf das Ende des Tisches. »Ensign Pampas, Senior Chief Swofford und P. O. First Jackson besitzen die nötigen technischen Kenntnisse. Was wir uns von Ihnen erhoffen, ist das Auge der Erfahrung.«
»Jawohl, Mylady«, sagte Cardones und versuchte, seine bösen Ahnungen zu unterdrücken. Richtig, er hatte die Gravolanze im Gefecht benutzt; deshalb war er aber noch lange kein Experte für das verdammte Ding. Er hoffte nur, dass Hemphill von ihm nicht mehr erwartete, als er leisten konnte. »Wann wird der Befehl ausgegeben?«
»Das ist bereits geschehen«, antwortete Hemphill. »Captain Sandler hat Ihre Ausfertigung; Captain Harrington wird ihr Exemplar nach ihrem Gespräch mit Admiral Trent erhalten. Ihr Ersatz wird gleichzeitig bereitstehen, um mit an Bord der Fearless zu gehen.«
Cardones' Magen verkrampfte sich. »Ersatz?«
»Nur zeitweilig«, versicherte Sandler ihm. »Offiziell bleiben Sie Besatzungsmitglied der Fearless.«
»Aber wer weiß?«, meinte Hemphill. »Wenn Sie sich auf diesem Einsatz gut führen, übernimmt das ONI Sie vielleicht.«
»Ich verstehe«, sagte Cardones. Sie meinte es natürlich als Kompliment. Ohne gründliches Nachdenken wollte ihm jedoch nichts einfallen, was ihm noch weniger gefallen würde als irgendwo in einem Geheimdienstbüro zu sitzen und die Goldnuggets aus dem Schwall havenitischer Propagandaartikel herauszusieben.
»Jack bringt Sie zur Fearless zurück, damit Sie Ihre Sachen holen können«, sagte Sandler. »Wir brechen auf, sobald Sie zurückkommen. Unterwegs können Sie sich dann die neuesten Daten und Informationen zu Gemüte führen.«
Auf seinem Gesicht musste etwas zu sehen gewesen sein, denn sie lächelte schwach. »Nein, wir nehmen nicht die Basilisk. Wir haben unser eigenes Schiff, die Shadow. Ich glaube, sie wird Ihnen gefallen.«
»Alle weiteren Fragen beantwortet Captain Sandler«, sagte Hemphill und erhob sich. »Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass alles, was Sie hier gesehen und gehört haben, der Geheimhaltung unterliegt.«
Wie ein Zwillingsgraser erfassten ihre Augen Cardones' Gesicht. »Wir zählen auf Sie, Lieutenant«, sagte sie ruhig. »Enttäuschen Sie uns nicht.«
Honor las bis zum Ende des Berichts und hob den Blick zu Admiral Trent, der am Kopf des Brückenbesprechungsraums saß. »Ich hoffe, Sir«, sagte sie vorsichtig, »dass hier eine ernsthafte Fehlinterpretation entweder der Daten oder der Lage vorliegt.«
»Mir geht es genauso, Honor«, stimmte Trent ihr schwermütig zu. »Doch selbst wenn man die große Entfernung und die geringe Leistung von Handelsschiffssensoren berücksichtigt, sehe ich keinen großen Spielraum für Irrtümer.«
»Und offen gesagt, Captain, ich sehe überhaupt keinen Spielraum«, sagte der Mann, der Honor am Tisch gegenüber saß, ein wenig gereizt. »Ich weiß, wir alle halten die Volksrepublik für die einzige Bedrohung da draußen. Das istjedoch nicht der Fall, und es wird allerhöchste Zeit, dass wir auch in die anderen Richtungen schauen.«
Honor blickte ihn eingehend an. Lieutenant Commander Stockton Wallace war vermutlich ein paar Jahre älter als sie. Er hatte dunkles Haar, dunkle Augen und ein tief gespaltenes Kinn. Außerdem war er sehr ernst, äußerte sich unverblümt und neigte ihrer Meinung nach ein wenig zu vorschnellen Schlüssen.
Doch andererseits suchte das Office for Naval Intelligence vielleicht gerade solche Eigenschaften bei seinen Offizieren.
»Ein bisschen unfair sind Sie schon, Commander«, entgegnete sie. »Niemand hat das Anderman-Reich und sein lange zurückreichendes Interesse, die Konföderation zu schlucken, vergessen.«
»Gut«, entgegnete Wallace. »Dann erinnern wir uns wohl auch, dass nur Manticore diesem Begehren im Wege steht?«
»Allerdings«, sagte Honor gleichmütig. »Doch gleichzeitig erscheint es mir überhaupt nicht typisch andermanisch, einen Krieg dadurch zu beginnen, dass man manticoranische Frachter aus dem Hinterhalt überfällt.«
Sie klopfte auf das Memopad. »Übrigens haben wir keinen Beweis, dass dieses Schiff überhaupt etwas mit auch nur einem Überfall zu tun hatte.«
»Wollen Sie damit sagen, es ist nur zufällig über zwo zerstörte Frachter gestolpert?«, fragte Wallace, und irgendwie gelang ihm die Balance, seine Verachtung auszudrücken, ohne dass er die Grenze zur Insubordination überschritt. Wahrscheinlich noch ein Talent, auf das der Nachrichtendienst Wert legte. »Und sich nicht die Mühe macht, den Vorfall zu melden, aber in dem Augenblick, in dem es geortet wird, da dreht es ab und flieht?«
Honor unterdrückte eine scharfe Entgegnung. Leider hatte der Mann nicht Unrecht. In beiden Fällen hatten die Frachter, die das geheimnisvolle Schiff orteten, es angerufen, und sofort war es ohne Antwort geflohen.
Und sobald die Schiffe den Ort des Geschehens erreichten, fanden sie Überfallene, geplünderte manticoranische Frachter, die steuerlos im Raum trieben.
»In Ordnung«, sagte sie. »Sprechen wir also über die Identifizierung an sich. Selbst wenn die sekundäre Emissionssignatur zu einem andermanischen Schiff passt, muss es noch andere Möglichkeiten geben.«
Wallace schürzte die Lippen. »Bei allem schuldigen Respekt, Captain Harrington, Sie hatten gerade fünfzehn Minuten, um die Daten durchzusehen«, erinnerte er sie. »Meine Kollegen haben etliche Stunden in die Analyse gesteckt.«
Er stieß mit dem Finger nach dem Memopad. »Ich versichere Ihnen, diese Daten entsprechen nicht nur einer andermanischen Emissionssignatur. Sie sind eine andermanische Emissionssignatur.«
Und Emissionsdaten können also nicht gefälscht werden? Nur mit Mühe konnte Honor ihre Entgegnung herunterschlucken. Natürlich konnten Emissionssignaturen gefälscht werden. Genau das tat das elektronische Kampfsystem eines Schiffes, wenn es einen Superdreadnought aussehen ließ wie ein harmloses kleines Schlachtschiff.
Doch solch ein Taschenspielertrick setzte eine hochkomplizierte Auswahl an Geräten voraus. Und wenn man auch den Rest der Analyse berücksichtigte …
»Ich mache mir Gedanken, dass wir vielleicht zu schlau sind«, sagte sie stattdessen. »Oder vielleicht auch eben nicht schlau genug.«
»Und das soll heißen?«, fragte Wallace mit einem leicht herausfordernden Unterton.
»Die Anzahl der Schichten macht mir Sorge«, erklärte sie. »Ganz außen haben wir den silesianischen Transponder –«
»Der eindeutig gefälscht ist«, warf Wallace ein.
»Gewiss«, stimmte Honor ihm zu. Transpondersignale zu fälschen war trivial. Vermutlich lief die Hälfte aller Piraten und drei Viertel aller Kaperschiffe, die den silesianischen Weltraum unsicher machten, unter einer gefälschten Transponderkennung. »Darunter finden wir eine Schicht aus Emissionen, die ganz zu der Kennung als silesianischer Frachter zu passen scheinen. Erst wenn man noch einmal darunter gräbt, findet man die andermanischen Emissionen.«
»Und worauf wollen Sie hinaus …?«
»Wer sagt uns, dass wir es mit zwo Tarnschichten und dem wahren Jakob zu tun haben?«, fragte Honor. »Und nicht mit, sagen wir, drei Tarnschichten und darunter etwas, das wir noch nicht entdeckt haben?«
Wallace atmete vorsichtig durch. »Soweit ich weiß, sind Sie keine Expertin auf diesem Gebiet, Captain«, sagte er, »aber meine Leute schon, und ich kann Ihnen versichern, dass es höchst unwahrscheinlich ist.«
»Vielleicht bin ich nach Ihren Maßstäben keine Expertin, Commander«, erwiderte sie ein klein wenig frostig. »Ich habe jedoch die eine oder andere Stunde aus dem Blickwinkel des Taktischen Offiziers mit unserer Eloka gespielt. Und als Taktischer Offizier weiß ich, dass das, was ich vermute, nicht gerade unmöglich wäre, richtig?«
Wallace spitzte den Mund. »Nichts ist unmöglich, Ma'am«, räumte er widerwillig ein. »Unserer Eloka schon gar nicht. Doch nicht jeder hat unsere Möglichkeiten, und wir halten es in diesem Fall für äußerst unwahrscheinlich.«
»Dennoch lässt sich die Frage nicht beantworten, ehe wir einen genaueren Blick auf das Schiff werfen können«, warf Trent ein. »Und ganz offensichtlich brauchen wir diesen Blick sobald wie möglich. Deshalb lautet Ihr Befehl, Honor: So bald Sie diese Emissionssignatur registrieren, hat es oberste Priorität, diesen näheren Blick auf das fragliche Schiff zu werfen.«
Er sah sie zwingend an. »Absolute Priorität«, wiederholte er.
Honor blieb die Luft weg. »Sie befehlen mir also, ich soll meinen Konvoi im Stich lassen, um das fragliche Schiff zu verfolgen?«
»Wenn es notwendig sein sollte – ja«, antwortete Trent. »Mir gefällt es genauso wenig wie Ihnen. Trotzdem ist das Ihr Befehl.«
Er blickte Wallace an. »Und um ganz ehrlich zu sein, ich stehe hinter ihnen«, fügte er widerstrebend hinzu. »Wenn die Andys sich schließlich dazu durchgerungen haben, die Hand nach der Konföderation auszustrecken, und uns auf den Zahn zu fühlen, indem sie unsere Frachter überfallen, so müssen wir das wissen. Ganz gewiss, bevor wir zulassen, dass die Beziehungen zwischen Manticore und Haven noch weiter verfallen.«
»Sie setzen voraus, dass wir tatsächlich Einfluss auf diesen Zerfall hätten«, murmelte Honor.
»Richtig«, sagte Trent. »Aber das liegt nicht in unserer Hand. Das hier« – er wies auf das Memopad – »schon.«
»Jawohl, Sir«, sagte Honor. Sie war noch immer nicht völlig überzeugt, doch andererseits hatte Trent sie nicht auf sein Flaggschiff gerufen, um die Angelegenheit mit ihr zu diskutieren. Sie war Offizier der Königin, und sobald sie ihre Befehle erhalten hatte, erwartete man vor ihr, dass sie sie ausführte. »Ich gehe davon, dass die Spur, die zu den Andermanern zu führen scheint, geheim zu halten ist?«
»Absolut«, bestätigte Trent ihr mit einem Nicken. »Wie Commander Wallace schon sagte, musste sich das ONI gewaltig anstrengen, um die andermanische Signatur aus der silesianischen Tarnung herauszufiltern. Die Andys sollten lieber nicht erfahren, dass wir überhaupt dazu in der Lage sind.«
»Wir können den Raider noch immer an seiner gefälschten silesianischen Emissionssignatur erkennen«, fügte Wallace hinzu. »Mehr braucht die Crew nicht zu wissen, um nach ihm Ausschau zu halten.«
Es sei denn natürlich, er kann auch die Signatur ändern, dachte Honor. Dennoch, so lange wenigstens sie über die unterliegende andermanische Signatur informiert war, konnte es noch immer funktionieren.
»Verstanden«, sagte sie. »Ich muss natürlich meinen Taktischen Offizier einweisen. Sollten wir es wirklich mit einem andermanischen Kampfschiff zu tun bekommen, muss er den einen oder anderen Ausweichplan vorbereitet haben.«
»Nicht nötig«, entgegnete Wallace und verzog die Lippen zu etwas, das irgendwo in der Mitte zwischen Lächeln und Grimasse lag. »Für die nächsten Monate bin ich Ihr Taktischer Offizier.«
Honor blinzelte. »Und was ist mit Rafe?«
»Er ist zeitweilig für andere Aufgaben abgestellt«, sagte Trent und zog einen Datenchip hervor. »Auch etwas, das mit dem ONI zusammenhängt, vermute ich, weil sie darüber genauso wenig verlauten ließen wie gewöhnlich.«
»Tatsächlich«, sagte Honor und blickte Wallace an. Doch wenn er etwas wusste, so ließ er es sich nicht anmerken.
»Ich würde mir wegen Commander Wallace keine Gedanken machen«, fuhr Trent fort, der ihren Blick falsch deutete.
»Als Taktischer Offizier lässt er keine Wünsche offen und ist zudem in alles gründlich eingewiesen, was im Augenblick in Silesia vorgeht.« Er reichte ihr den Chip. »Hier ist Ihre Ausfertigung der Befehle.«
»Vielen Dank«, sagte Honor und widerstand dem Impuls anzumerken, dass eine kleine Vorwarnung ganz nett gewesen wäre. Anscheinend war dieses Gespräch – und der Chip mit ihren Befehlen – jedoch alles, was sie erhalten würde. »Willkommen an Bord der Fearless, Commander. Ich vertraue darauf, dass Sie abreisebereit sind, wenn mein Geleitzug komplett ist?«
»Ich bin schon jetzt fertig, Ma'am«, entgegnete Wallace. »Und gestatten Sie mir die Bemerkung, dass ich mich darauf freue, mit Ihnen zu dienen.«
Und seine Überzeugung zu rechtfertigen, dass der Angreifer tatsächlich ein andermanisches Schiff ist? Wahrscheinlich. »Das kann ich nur erwidern, Commander«, sagte sie leise. »Wenn das alles wäre, Admiral …«
»Das ist alles, Honor«, sagte Trent, erhob sich und reichte ihr die Hand. »Eine gute Jagd wünsche ich Ihnen.«
Commodore Robert Dominick von der Volksflotte schob das elektronische Klemmbrett mit einem leisen Grunzen halb über den polierten Konferenztisch. »Zufrieden stellend«, erklärte er. »Sehr zufrieden stellend. Meinen Sie nicht auch, Captain?«
»Jawohl, Sir«, antwortete Captain Avery Vaccares, VFH, während er den Arm vorstreckte und das Klemmbrett ganz zu sich heranzog.
»Ja, wirklich«, sagte Dominick, lehnte sich zurück und faltete die Hände über dem vorstehenden Baum. »Effizient und professionell ausgeführt. Ich glaube, wir können auf unsere Leute sehr stolz sein, würden Sie das nicht auch sagen?«
»Unsere Leute haben sehr effizient ihre Pflicht getan, Sir«, antwortete Vaccares, indem er seine Worte sehr genau abwog. Jawohl, die Männer und Frauen von PNS Vanguard hatten die Befehle wirklich sehr gut ausgeführt.
Doch ob ihr Tun professionell gewesen war – nun, das stand auf einem ganz anderen Blatt. Gewiss war der feindliche Handelsverkehr in Kriegszeiten ein legitimes Ziel, und bestimmt hatte das Sternenkönigreich von Manticore die Volksrepublik hinreichend provoziert, um selbst die Geduld eines Heiligen zu erschöpfen.
Doch obwohl jeder in dreihundert Lichtjahren Umkreis die dunklen Wolken sehen konnte, die sich am Horizont zusammenzogen, stand unverrückbar fest, dass zwischen Haven und Manticore im Moment kein Kriegszustand herrschte.
Und damit war Vaccares' Meinung nach das Tun der Vanguard nicht mehr und nicht weniger als Piraterie.
Bis hin zur alten Piratentradition, die Beute aufzuteilen.
»Ich nehme an, Ihre Leute verlangen wieder die erste Wahl?«, fragte Dominick den dritten Mann am Tisch.
Der Mann, den sie nur als Charles kannten, winkte beiläufig ab. »Tatsächlich, Commodore«, sagte er mit seiner leisen, aufrichtigen Stimme, die so gut zu seinem herzlichen Lächeln passte, »finde ich, dass wir diesmal auf unseren Anteil verzichten und ihn unter der Besatzung aufteilen sollten.«
Dominick stutzte. »Der Besatzung?«
»Aber gewiss«, sagte Charles. »Wie Sie eben noch so richtig bemerkten, hat sie ihre Pflicht gut erfüllt. Mir will es scheinen, als sollten die Leute hin und wieder an den Früchten ihrer Arbeit teilhaben.«
Er richtete sein Lächeln auf Vaccares. »Meinen Sie nicht auch, Captain?«
»Die Besatzung besteht aus Dienern der Volksrepublik Haven«, entgegnete Vaccares, ohne das Lächeln zu erwidern. »Sie tun die Pflicht, für die sie bezahlt werden. Persönlich halte ich es für nicht angemessen, ihnen einen Anteil an« – der Beute, dachte er – »dem Resultat dieser Pflicht anzubieten.«
Dominicks Gesicht verdunkelte sich, doch Charles lächelte nur umso freundlicher. »Na, kommen Sie schon, Captain«, sagte er beschwichtigend. »Wo ist denn der Unterschied zu der Prise, die der Besatzung traditionell für die Wegnahme eines Feindschiffes zusteht?«
Dass die Mantys offiziell nicht unsere Feinde sind. »Sie haben mich nach meiner Meinung gefragt, und ich habe sie ausgesprochen«, entgegnete Vaccares gleichmütig. »Commodore Dominick führt den Befehl. Was immer er entscheidet, wird getan.«
»Und ich finde, die Besatzung hat eine Belohnung verdient«, sagte Dominick bärbeißig. Er beugte sich über den Tisch, schnappte sich wieder das Klemmbrett und hielt es so, dass Charles und er das Display gleichzeitig lesen konnten. »Mal schauen …«
Vaccares lehnte sich zurück und versuchte, seinen Vorgesetzten nicht als die eine Hälfte eines Geierpaares zu sehen, das überlegte, wie man einen besonders saftigen Schafskadaver am besten aufteilte.
Und wie schon so oft in den vergangenen Monaten stellte er fest, dass seine Augen und Gedanken sich Charles zuwandten.
Charles. Mittelgroß, normal gebaut, hellbraunes Haar, dunkelbraune Augen. Rundes, ausdrucksvolles Gesicht, nicht hübsch, aber auch nicht hässlich. So unscheinbar, wie ein Mensch nur sein konnte.
Charles. Er hatte keinen Nachnamen, jedenfalls keinen, den er je erwähnt hätte. Er hatte auch kein Alter, keine Adresse, keine Familie, keine Geburtswelt. Seine Sprechweise hatte einen deutlichen beowulfianischen Einschlag, doch das bot keinen echten Hinweis. Vaccares kannte zu viele Menschen, die Akzente ein- und wieder ausschalten konnten, als wären es Sensortasten, und hätte nicht einmal das Sparkonto eines Dolisten darauf gewettet, dass Charles wirklich seine echte Herkunft durchblicken ließ.
Wusste wenigstens das Oktagon mehr über den Mann? Vaccares hoffte es inbrünstig. Seit er auf diese Art und Weise verdeckt in silesianischem Hoheitsraum operierte, schaute der Captain sich nach sechs Seiten zugleich um. Am wenigsten konnte er jetzt die Möglichkeit brauchen, dass ihr neuer Verbündeter ihnen plötzlich den Boden unter den Füßen wegzog.
Andererseits war es dem Oktagon vielleicht auch egal, wer Charles wirklich war und woher er stammte. Vielleicht interessierte die hohen Tiere nur, das technische Wunder in die Finger zu bekommen, das er ihnen vor die Nase hielt: die Zauberwaffe, die zu testen die Vanguard und ihre Besatzung in Silesia weilte.
Und allem Anschein nach vermochte diese magische Waffe wirklich genau das, was versprochen war.
Was für Vaccares genau der Kern des Problems war.
Charles musste seinen unfreundlichen Blick gespürt haben. Vielleicht spürte er auch die unfreundlichen Gedanken, das konnte Vaccares nicht sagen. Jedenfalls blickte er auf, grinste den Kommandanten erneut an und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Liste der Güter, die die Crew der Vanguard aus ihrem letzten manticoranischen Opfer geborgen hatte.
Vaccares rieb sich leicht das Kinn, ohne Charles aus den Augen zu lassen. Jawohl, die Waffe, die Charles den Crippler nannte, funktionierte. Achtmal in Folge hatte sie nun den Impellerantrieb des Ziels vollkommen ausgeschaltet und es zur Manövrierunfähigkeit verdammt. Und wie versprochen, hatte der Crippler dieses Kunststück aus einer Entfernung von mehr als einer Million Kilometern vollbracht.
Die Folgen für besagte dunkle Wolken am Horizont reichten tief. Die klassische Militärdoktrin hatte ihren Ausgangspunkt in einer höchst allgemeinen Voraussetzung: dass der Impellerkeil eines Kriegsschiffs unbedingt und absolut undurchdringlich war. Jeder Schiffsentwurf, jedes Waffensystem, jede Abwehrwaffe und jeder taktische Ansatz – alles basierte auf dieser Voraussetzung. Und bis jetzt hatte sie sich stets als richtig erwiesen.
Bis jetzt.
Charles war selbstverständlich ein Solarier; so viel hatte Vaccares schon längst erkannt. Nur die Solare Liga konnte das technische Wissen haben, um einen Crippler zu schaffen. Und nur die Solare Liga könnte eine solche Entwicklung so streng geheim halten, dass auch nur von ihrer Existenz niemand je hatte flüstern hören.
Warum wurde sie dann ausgerechnet jetzt der Volksrepublik Haven angeboten?
Vaccares kannte die üblichen Antworten, oder genauer gesagt, er wusste, wie die üblichen Antworten gelautet haben würden, hätte jemand ein Interesse gehabt, die Frage zu diskutieren. Den Propagandaschlitzohren der havenitischen Regierung war es gelungen, die Manticoraner als die Übeltäter hinzustellen. Sie hatten das Wort ›Volk‹ im Namen der VFH benutzt, um die demokratischen Instinkte der solarischen Durchschnittsbürger gegen Manticore zu richten; die manticoranische Arroganz und ihre Kontrolle über den Wurmlochknoten hatten ihnen die Waffe in die Hand gedrückt, um dem Sternenkönigreich die solarische Führerschaft, die sich nicht so leicht von bedeutungsleeren Worten täuschen ließ, zu entfremden.
Doch entfremdet oder nicht, offiziell nahm die Liga einen strikt neutralen Standpunkt ein, zu dem auch ein hundertprozentiges Waffen- und Technologieembargo gegen Haven und Manticore gehörte. Gewiss hatte es wie jedes Embargo in der Geschichte der Menschheit seine Lücken und Schlupflöcher, doch hatte die solarische Führerschaft sich schon als durchaus entschlossen bewiesen, jedem auf die Finger zu klopfen, den sie bei einem Regelverstoß ertappte.
Die Strafe für den Verkauf eines Gerätes, das jedes Stärkegleichgewicht so nachhaltig stören könnte, wäre jedenfalls sehr schmerzhaft.
Was genau hatte Erbpräsident Harris diesem Mann also angeboten, dass er dieses Risiko einging? Unfasslichen Reichtum? Unglaubliche Macht? Eine hübsche Villa mit Ausblick und jeden Tag eine andere Frau?
Sein Blick folgte Charles' leicht zurückweichendem Haaransatz. In Anbetracht der Auswirkungen von Prolong war sein Alter so unergründlich wie alles an diesem Menschen. Wonach sehnte er sich? Wonach strebte er? Wonach gelüstete es ihn?
Vaccares konnte keine einzige dieser Fragen beantworten und hoffte nur, dass jemand weiter oben in der Befehlskette informiert war. Dass man eine Leine gefunden hatte, mit der man Charles zügeln konnte.
Denn mit dem Crippler waren Niederlage und Unterwerfung Manticores garantiert – es sei denn natürlich, Charles nahm zwar Geld oder Macht oder Frauen von Haven, lief über und verkaufte die Waffe auch an das Sternenkönigreich.
»Also gut, wunderbar.« Dominick richtete sich auf und schob das Klemmbrett wieder Vaccares zu. »Schön. Was ist unser nächstes Ziel, Captain?«
Mit großer Willensanstrengung schob Vaccares seine Bedenken beiseite. Irgendjemand musste doch ein Auge auf diesen Menschen halten. »Wir haben nun zwo Möglichkeiten, Sir«, antwortete er. »Wenn wir uns entscheiden sollten, so würde ich die Doppler 's Dance empfehlen, die wir auf ihrem Weg ins Telmach-System abfangen könnten.«
»Die Doppler's Dance«, wiederholte Dominick mit finsterem Gesicht. »Da klingelt es nicht bei mir.«
»Kann es auch nicht«, stimmte Charles zu; er bedachte Vaccares mit einem Runzeln der Stirn. »Das Schiff, auf das wir es abgesehen haben, heißt Harlequin, und wir können es bei Tylers Stern abfangen.«
»Das ist sie«, sagte Dominick nickend. »Ein Schwesterschiff der Jansci. Wann ist sie doch gleich fällig?«
Vaccares beherrschte sich. »Bei allem schuldigen Respekt, Sir«, sagte er vorsichtig, »aber ich halte einen Angriff auf die Harlequin für ein unnötiges Risiko. Je öfter wir die Mantys angreifen, desto größer wird die Chance, dass man uns ortet und identifiziert.«
»Wir haben noch immer sehr gute Chancen, Captain«, beschwichtigte Charles ihn.
»Chancen wirken immer gut bis zu dem Augenblick, wo sie über einem zusammenbrechen«, erwiderte Vaccares. »Wenn ich ganz offen sein soll, Commodore, würde ich sogar empfehlen, auch die Doppler's Dance zu ignorieren. Wir sollten uns zum Walther-System aufmachen, in Position bringen und auf die Ankunft der Jansci warten.«
»Was, und uns die Harlequin durch die Lappen gehen lassen?«, fragte Dominick, und ein verächtlicher Unterton schlich sich in seine Stimme. »Ein eigenartiger Moment, um die Nerven zu verlieren, Captain.«
»Unser eigentliches Ziel ist die Jansci, Sir«, beharrte Vaccares ungerührt. »Die Fracht der Harlequin wird nicht einmal annähernd so wertvoll sein.«
»Das wissen wir gar nicht«, widersprach Dominick ihm gereizt. »Wir glauben, dass die wertvollere Hälfte an Bord der Jansci ist; wirklich wissen wir aber nur, dass beide zusammen den kompletten Nachschub liefern.«
»Und was, wenn die Mantys die Jansci umleiten, weil wir die Harlequin angreifen?«, führte Vaccares an. »Wenn die Jansci einem anderen Geleitzug angeschlossen wird, kommt sie nicht aus der richtigen Richtung ins Walther-System. Oder man gibt ihr so viele Geleitschiffe, dass wir selbst mit dem Crippler nicht mehr durchkommen. So oder so, unser Spiel ist dann aus.«
»Nein.« Charles war wieder ganz ruhig. »Manticore kann die Jansci unmöglich noch rechtzeitig umleiten. Und wenn man sie nicht warnen kann, kann man auch nicht schnell genug Kriegsschiffe verlegen, um sie zu schützen.«
Er zuckte mit den Achseln. »Außerdem haben wir bereits einmal im Walther-System zugeschlagen. Manticore wird glauben, seine Schiffe seien dort nun sicher.«
»Das ist nur eine Vermutung«, warnte Vaccares.
»Aber eine fundierte«, sagte Charles in gleichbleibend zuversichtlichem Ton. »Ich weiß, wie Militärs denken, Captain, und ich bin mir sicher, dass der manticoranische Nachrichtendienst mittlerweile schon einen hübschen Rosenkranz unserer bisherigen Aktivitäten zusammengestellt hat. Ganz gewiss haben sie unseren Zickzackkurs durch die Konföderation bemerkt und werden nun erwarten, dass wir als nächstes entweder im Brinkman- oder im Silesia-System selbst zuschlagen. Überall, nur nicht bei Walther.«
»Und das ist ein weiterer Grund, die Harlequin anzugreifen«, fügte Dominick hinzu. »Ein Angriff bei Tylers Stern würde die allgemeine Tendenz Richtung Silesia untermauern und einen erneuten Angriff bei Walther viel unwahrscheinlicher erscheinen lassen.«
»Nur wenn sie herausfinden, dass wir es waren, bevor die Jansci eintrifft«, sagte Vaccares. Er wusste jedoch, dass er die Diskussion verloren hatte. Der Commodore war so sehr in den verschlungenen Plan verliebt, den er mit Charles' Hilfe ersonnen hatte, dass er niemals geglaubt hätte, die Manticoraner könnten vielleicht nach einem ganz anderen Lied tanzen als dem, das Charles ihnen aufspielte.
Dennoch war es seine Pflicht, zur Vorsicht zu raten. »Ungeachtet dessen bleibt die Tatsache bestehen, dass wir für einen fragwürdigen Gewinn einen Kontakt oder sogar eine direkte Konfrontation riskieren, Sir.«
»Moment mal«, warf Charles ein. Er klang plötzlich vorsichtig. »Was für eine Konfrontation denn?«
»Es ist bekannt, dass an der Sonnenforschungsanlage von Tylers Stern gelegentlich manticoranische Kampfschiffe zu Gast sind«, sagte Dominick. »Hatte ich das nicht erwähnt?«
»Nein, das haben Sie nicht«, sagte Charles düster. »Ich vertraue darauf, dass Sie unseren Angriff weit außerhalb der Sensorenreichweite dieser Station und eventueller Gäste positionieren.«
»Warum?«, wollte Dominick wissen. »Ich dachte, Sie hätten gerade gesagt, Sie wären mit den Leistungen der Crew zufrieden.«
»Ich habe gesagt, dass sie gut ihre Pflicht tut«, verbesserte Charles ihn. »Sie sind aber noch längst nicht so weit, den Crippler gegen ein Kriegsschiff einsetzen zu können.«
»Und wie lange dauert es noch, bis sie sich diese schwer fassbare Qualifikation errungen haben?«, versetzte Dominick; er klang mit einem Mal ein wenig ärgerlich. »Ursprünglich sollten wir fünf Testangriffe gegen Frachter führen. Dann waren es sieben. Nun haben wir acht ausgeführt, und Sie sind immer noch nicht zufrieden.«
»Die Fähigkeit dieser Crew, eine Lernkurve zu erklimmen, liegt außerhalb meiner Kontrolle, Commodore«, sagte Charles eisig. »Der Impellerkeil eines Kriegsschiffs ist komplizierter als der eines Frachters, und dadurch sinkt die effektive Reichweite des Cripplers auf irgendetwas zwischen zwanzig und dreißig Prozent.«
Dominick richtete sich in seinem Sessel auf. »Darf ich Sie daran erinnern, dass das eigentliche Ziel dieses Einsatzes darin besteht, die Gefechtstauglichkeit der Waffe zu testen, die Sie uns so gern verkaufen möchten?«
»Und darf ich Sie daran erinnern, dass Präsident Harris die Entscheidungsgewalt mir übertragen hat?«, entgegnete Charles. »Im Übrigen haben Sie die Gefechtstauglichkeit des Cripplers doch selbst beobachtet. Achtmal in Folge sogar.«
Er hob die Hand, die Fläche dem Commodore zugewandt. »Sie kommen schon noch zu Ihrem Schuss auf ein manticoranisches Kriegsschiff«, sagte er, plötzlich wieder ganz ruhig, leise und beschwichtigend. »Aber nicht, bevor Sie bereit sind. Ganz gewiss doch möchte niemand, dass das Schiff, in dem wir fahren, ringsum in Stücke geschossen wird.«
Dominick holte tief Luft. »Nein, natürlich nicht«, sagte er; in seiner Stimme war noch immer die Ungeduld zu hören. »Und ich werde der Erste sein, der zugibt, dass Ihr Plan bislang wunderbar funktioniert hat. Dennoch hat unser Einsatz drei Ziele, und ich bin mir bisher nicht einmal sicher, ob wir auch nur eins davon erreicht haben.«
»Ich verstehe Ihre Ungeduld, Commodore«, sagte Charles. »Aber wenn Sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollen, dann müssen Sie warten, dass beide Fliegen zur rechten Zeit am rechten Ort sitzen. Geduld ist dazu unabdingbare Voraussetzung.«
Er machte eine Handbewegung. »Und Fliege Nummer zwei hat sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits hingesetzt. Die Mantys werden unsere Emissionstarnung mittlerweile durchschaut haben und davon ausgehen, dass ein Andermaner zwischen ihren Handelsschiffen Amok läuft. Wenn wir die Jansci erst genommen haben, werden sie in einer ganz anderen Richtung nach den Verantwortlichen suchen.«
»Ich hoffe, Sie haben Recht«, seufzte Dominick. »Manticoranische Frachter plündern ist ja eine ganz nette Ablenkung, aber um im Triumph nach Haven zurückzukehren, dazu reicht es noch lange nicht.«
»Oh, Sie werden Ihre triumphale Rückkehr schon bekommen, Commodore«, versicherte Charles ihm und lächelte schmal. »Schließlich bringt ein Offizier der VFH nicht jeden Tag die Waffe nach Hause, die Manticores Untergang sein wird.«
Stolzerfüllt richtete sich Dominick wieder auf, und Vaccares hätte am liebsten den Kopf geschüttelt. Charles wusste immer genau, welche Taste er anschlagen musste. Er kannte die Klaviatur rückwärts und vorwärts auswendig und fand sie auch noch mit geschlossenen Augen.
Wer war dieser Mann nur?
»Captain, kehren Sie auf Ihre Brücke zurück«, befahl Dominick mit plötzlich sonorer Stimme, als spreche er für die Nachwelt. »Kurs auf Tylers Stern.«
Während Cardones die Basilisk verließ, klang ihm Admiral Hemphills beiläufiger Kommentar in den Ohren, dass das ONI ihn eines Tages ganz übernehmen könnte, und war bei sich vollkommen überzeugt, dass solch eine Abkommandierung zu meiden sei wie ein havenitisches Wallschiff.
Als Technikteam Vier im Arendscheldt-System eintraf, war er sich da gar nicht mehr so sicher.
Das Schiff war der erste Schock gewesen. Von außen sah die Shadow aus wie hunderte anderer schneller Kurierboote, die durch den Hyperraum schossen und Nachrichten und Depeschen von Stern zu Stern brachten. Innen war sie ganz anders. Obwohl das Schiff für eine zwölfköpfige Besatzung konstruiert war, hatte man es mit Sensoren, geheimen Überwachungsinstrumenten, Auswertungskammern und Fertigungswerkstätten so voll gestopft, dass es für die sieben Männer und Frauen eng war, ohne beklemmend zu wirken. Die Hälfte des Geräts war so neuartig oder so geheim, dass Cardones noch nie davon gehört hatte, und mehr als die Hälfte wirkte so fabrikneu, als wäre es frisch installiert. Allein die taktischen Systeme des Computers mit ihrer unglaublichen Filterkapazität machten ihm den Mund wässrig, und er hätte seinen rechten Arm dafür gegeben, sie an Bord der Fearless zur Verfügung zu haben.
Das Team an sich war der zweite Schock gewesen. Die einzigen Nachrichtendienstler, mit denen er bislang zu tun gehabt hatte, war die Hand voll Offiziere, die auf Saganami Island Vorlesungen gehalten hatten, und jeder einzelne von ihnen war ihm kühl und freudlos vorgekommen. Sein erster Eindruck von der Gruppe, als sie am Konferenztisch der Basilisk saß, hatte ihn in seiner Einschätzung nur bestärkt.
Doch kaum waren sie an Bord der Shadow – und was vielleicht noch wichtiger war, nicht mehr in Hemphills Blickfeld –, als sie plötzlich menschlich wurden. Von Anfang an hatte Cardones die enge Kameradschaft gespürt, die zwischen ihnen bestand, eine ähnliche Beziehung wie sie auf der Brücke der alten Fearless herrschte, nachdem Captain Harrington ihre Offiziere ausnahmslos tüchtig eingenordet hatte. Oberflächlich betrachtet schien die Beziehung unter den Mitgliedern des Technikteams Vier Rangunterschiede völlig zu ignorieren, doch nach einigen Tagen der Beobachtung begriff Cardones, dass sie sehr wohl noch vorhanden waren und die unsichtbare Grundlage für alles andere bildeten. So vertraut die Unteroffiziere Jackson und Swofford auch mit Lieutenant Commander Damana umgingen, so sehr sie miteinander scherzten und herumalberten, Cardones spürte eine unsichtbare Grenze, die keiner von ihnen je überschritten hätte. Und was Damana betraf, so achtete er peinlich darauf, bei den Flachsereien mit den beiden niemals seinen Dienstgrad ins Spiel zu bringen.
Sein dritter Schock war Captain Sandler.
Bei der Besprechung hatte er von ihr den Eindruck erhalten, sie sei so kühl und korrekt wie ihre Untergebenen, nur dass sie mehr redete als sie. Doch es heißt nicht umsonst, dass der erste Eindruck trügen kann. Korrekt war sie unzweifelhaft, und als Kommandantin des Teams beteiligte sie sich nicht an dem allgemeinen verbalen Unfug, der zwischen den anderen herrschte. Das hieß jedoch weder, dass sie humorlos war, noch dass sie keine soliden Beziehungen zu ihren Leuten geknüpft hätte.
Und nicht nur zu ihren Leuten, sondern auch mit dem Eindringling, den man der fest zusammengeschweißten Gemeinschaft aufgezwungen hatte. Kaum waren sie unterwegs, als Sandler persönlich Cardones durchs Schiff führte und ihn in einer entspannteren Atmosphäre mit ihren Untergebenen bekannt machte. Sie erteilte ihm uneingeschränkten Zugriff auf alle Analyseprogramme und Gerät, das er vielleicht nutzen wollte. Ferner hatte sie ihm die Leistungen jedes einzelnen ihrer Leute kurz dargelegt und dabei subtil an das erinnert, was Cardones und die Fearless bei Basilisk Station vollbracht hatten. Sie vollführte diese Einweisung so gekonnt, dass ihm erst später der Gedanke kam, die Geschichtsstunde habe einzig und allein dem Zweck gedient, ihn reibungslos seinen Platz in der unsichtbaren Hierarchie an Bord einnehmen zu lassen.
In der Rückschau fühlte sich Cardones sehr an die Art erinnert, in der Captain Harrington aus einer Schiffsladung aufgebrachter, störrischer Eigenbrötler eine effiziente, koordinierte Kampfbesatzung geschmiedet hatte. Und während die Lichtjahre hinter ihnen verschwanden und Cardones sie näher kennen lernte, bemerkte er, dass Captain Sandler noch sehr viel mehr an sich hatte, was ihn an Captain Harrington erinnerte.
Ihr Können zum Beispiel. Wie Harrington schien Sandler alles über ihr Schiff zu wissen. Nicht so gut wie die eigentlichen Experten vielleicht, aber doch so gut, um immer genau informiert zu sein, was die anderen gerade taten, und fundierte Vorschläge machen zu können. Außerdem war sie klug und dachte rasch; sie konnte scheinbar unzusammenhängende Einzelteile in einer Weise verknüpfen, dass sich Aspekte eröffneten, die vorher niemandem aufgefallen waren.
Vor allem aber erkannte er Captain Harrington in der Art wieder, wie sie sich um ihre Leute Gedanken machte. Und wie er schon einmal gesehen hatte, bedeutete das den großen Unterschied, wenn das Exkrement ins Dampfen geriet.
Was, wie er begriff, als sie an der dunklen, schweigenden Masse längsseits gingen, die einmal das manticoranische Handelsschiff Loreley gewesen war, schon sehr bald geschehen konnte.
»Also«, sagte Sandler, als das Enterkommando die Überprüfung ihrer Hardsuits, der gepanzerten Raumanzüge, abgeschlossen hatte. »Jack, Sie behalten mit Jessie die Sensoren im Augen. Wenn Rafe mit seiner Analyse Recht hat, dann hält sich hier irgendwo vielleicht jemand versteckt, um es bei uns zu versuchen.«
Trotz seiner Nervosität empfand Cardones eine leichte Freude, als Sandler seinen Spitznamen benutzte. Die Analyse war längst nicht allein auf seinem Mist gewachsen – gewiss hatten auch Sandler und Damana daran mitgearbeitet –, doch es war typisch für sie, ihre Untergebenen zu loben, wenn sie es verdienten. Und Cardones war es als Erstem aufgefallen, dass das geheimnisvolle Schiff mit der Super-Gravolanze sich auf Hightech-Frachten zu konzentrieren schien.
Wenn es stimmte und nicht nur ein Scheinzusammenhang war, der durch eine zu kleine statistische Grundlage entstand, dann war ein kleines Schiff mit dem allermodernsten Spielzeug des ONI einfach zu verlockend, als dass die Piraten es sich hätten entgehen lassen. Damana hatte sogar überlegt, ob vielleicht ein Schiff wie die Shadow das eigentliche Ziel der Raider wäre, die zerstörten Frachter hingegen nur der Köder.
Doch wenn Damana sich um diese Möglichkeit sorgte, so zeigte es sich nicht in seiner Stimme. »Nur keine Sorge, Skipper, wir schaffen das schon«, meldete er sich von der Brücke, wo Jessica Hauptmann und er die Wache hatten. »Wir können Keil und Seitenschilde im null Komma nichts hochfahren, wenn es sein muss.«
»Gut.« Sandler musterte die Gruppe. »Dann los, meine Damen und Herren. Schauen wir es uns an.«
Sie ging als Erste durch die Luftschleuse, und sie bediente ihren SUT-Tornister, als wäre sie damit geboren worden. Pampas schloss sich ihr an, Swofford und Jackson folgten ihm dichtauf. Als zweithöchstem Offizier der Gruppe fiel es Cardones zu, den Schluss zu bilden.
Es war ein unheimlicher Ausflug. Jedes Schiff, das Cardones bisher gesehen hatte, war von jemandem bemannt gewesen, sei es von der regulären Crew, dem Arbeitstrupp einer Werft oder wenigstens einer Notbesatzung. Einige Anzeichen von Aktivität, von menschlicher Präsenz, waren immer vorhanden gewesen.
Doch an Bord der Loreley gab es nichts davon. Einsam und verlassen trieb sie wie ein gewaltiger Metallleichnam tot im All.
Wie ein gewaltiges Grab aus Metall.
Cardones spürte unter dem Raumanzug die Gänsehaut. Er hatte schon früher Tote gesehen, gewiss, die Leichen seiner Freunde und Schiffskameraden vor nicht allzu langer Zeit an Bord der Fearless. Doch sie waren tote Mitglieder einer Kriegsschiffsbesatzung gewesen, Männer und Frauen also, die für den Kampf ausgebildet worden und im Gefecht gegen einen Feind der Königin gefallen waren. Die Crew der Loreley hingegen hatte weder die entsprechende Ausbildung noch die nötigen Waffen gehabt.
Und wenn Hemphill und die Fachleute des ONI richtig lagen, dann hatten sie, als die Raider sie erreichten, nicht einmal mehr den Schutz ihres Impellerkeils besessen. Oder irgendeine Möglichkeit zu entkommen.
»Wie auf dem Präsentierteller«, murmelte jemand.
»Ja«, stimmte Sandler grimmig zu.
Erst da bemerkte Cardones, dass die erste Stimme ihm gehört hatte.
Das Gemetzel bewahrheitete Cardones' schlimmste Vorahnungen. Zu seinem gelinden Erstaunen jedoch fiel seine Reaktion auf die Toten nicht annähernd so heftig aus, wie er befürchtet hatte.
Dafür, das wusste er, hatte er Sandler zu danken. Statt ihn bei sich zu behalten, ohne dass es für ihn etwas anderes zu tun gab, als die treibenden Leichen der Frachterbesatzung anzustarren und sich mit der Art ihres Sterbens zu beschäftigen, hatte sie ihn augenblicklich abgestellt, Pampas zu begleiten und sich die Bugimpelleremitter anzusehen. Gleichzeitig hatte sie Swofford und Jackson mit dem analogen Auftrag ins Heck geschickt.
Damit hatte sie die schreckliche Aufgabe, die Leichen zu untersuchen, sich selbst aufgehalst. Wieder etwas, dachte Cardones, während er mit Pampas zum Bug flog, das Captain Harrington genauso getan hätte.
Die Bugemitter sahen genauso aus, wie Impelleremitter immer aussahen: wie an Bord der Fearless, wenngleich ein Kriegsschiff natürlich zwei Sätze Emitter besaß statt des einen Rings bei einem zivilen Raumfahrzeug.
Pampas sah offenbar das Gleiche wie er. »Äußerlich kein Schaden«, meldete er, während er zu dem ersten Emitter trieb und die Oberfläche befingerte wie ein Phrenologe, der nach Höckern tastete. »Wir müssen wohl ein wenig tiefer gehen. Machen Sie die Werkzeugkiste auf, Rafe, und geben Sie mir einen Universalverbinder.«
Sechzehn Stunden blieben sie an Bord der Loreley, etwa zwei Stunden über den Punkt hinaus, an dem sich allmählich der Nebel auf Cardones' Gehirn senkte. Schon der Stolz verlangte, dass er seine Müdigkeit verbarg, während er Pampas assistierte, doch anscheinend erschöpften auch die Übermenschen des ONI wie Standardsterbliche. Nachdem die letzte dieser sechzehn Stunden dahingekrochen war, wurden die unterdrückten Flüche über fallen gelassenes Werkzeug oder falsch angesetzte Komponenten immer regelmäßiger, und Sandler fügte sich schließlich dem Unausweichlichen und beorderte ihr Team zu einer warmen Mahlzeit und sieben Stunden Schlaf an Bord der Shadow zurück.
Sieben Stunden und fünfzehn Minuten später waren sie wieder im Wrack der Loreley.
Und nach weiteren zwölf Stunden dort hatten sie alles gefunden. Genauer gesagt alles, was sie finden konnten.
»Ich kann Ihnen noch nicht besonders viel sagen, Skipper«, sagte Pampas müde, als sie sich mit dampfenden Tassen Kaffee, Tee oder Kakao um den Messetisch gruppiert hatten. »Nicht bevor wir die übrigen Diagnoseschaltungen angezapft haben und einen vollständigen Plan des Systems erstellt haben. Eins aber ist klar: alle Emitter sind gleichzeitig ausgegangen.«
»Die Bug- und Heckgruppen?«, fragte Damana.
»Alle«, bekräftigte Pampas. »Schon das allein verrät uns, dass wir es mit etwas ganz Neuem zu tun haben.«
»Es sei denn, eine Gravolanze wirkt sich genau so aus«, warf Jackson ein.
Sandler blickte Cardones an. »Rafe?«, forderte sie ihn zur Antwort auf.
»Die Wirkungsweise unserer Gravolanze war anders«, sagte er kopfschüttelnd. »Vor allem waren die Impelleremitter des Q-Schiffs in keiner Weise betroffen. Selbst als wir damit den Seitenschild ausgeschaltet haben, hat sie nur auf die Steuerbordseite gewirkt, die uns zugewandt war.«
»Soweit Sie wissen«, warf Hauptmann betont ein. »Ihre Sensoren waren zu der Zeit schon weitgehend ausgeschaltet, oder nicht?«
»Schon, aber nicht so sehr, dass wir keine Messwerte mehr erhalten hätten, während wir unsere Energietorpedos reingepumpt haben«, erwiderte Cardones. »Und die Auswertung nach Abschluss des Gefechts wies eindeutig darauf hin, dass der Backbord-Seitenschild noch oben war, als die Torpedos anfingen, das Schiff zu zerfleischen.«
»Mir leuchtet das ein«, murmelte Swofford. »Mit so viel Metall zwischen den Seitenschildgeneratoren kann es selbst für einen konzentrischen Gravimpuls nicht leicht sein, alles auf einmal durchbrennen zu lassen.«
»Damit ist das, was wir hier sehen, nur umso rätselhafter«, sagte Pampas. »Etwas von draußen sollte nicht in der Lage sein, sämtliche Emitter gleichzeitig auszuschalten, aber hier ist es geschehen.«
»Andererseits laufen die Emitter schließlich nicht gerade unabhängig voneinander«, warf Sandler ein. »Sie sind vielmehr ziemlich stark untereinander verbunden, zumindest auf Software- und Steuerleitungsebene.«
»Richtig, aber eben nur auf Software- und Steuerleitungsebene«, entgegnete Pampas. »Man könnte alle Emitter gleichzeitig abschalten, indem man den Computer sprengt oder die Steuerleitungen durchbrennt, theoretisch wenigstens. Aber das ist hier nicht geschehen. Wenigstens«, fügte er hinzu, während er Swofford mit erhobenen Augenbrauen ansah, »nicht bei den Bugemittern.«
»Und bei den Heckemittern auch nicht«, gab Swofford ihm Recht. »Wir haben uns das Steuerungssystem genau angesehen, bevor wir anfingen, die Diagnosegeräte einzustöpseln. Keine einzige Leitung war durchgebrannt.«
»Es gibt natürlich noch eine andere Möglichkeit«, meldete sich Cardones.
Alle Augen richteten sich auf ihn. »Ja?«, fragte Sandler.
Im Stillen verfluchte sich Cardones für die müde Nebligkeit, die ihn bewegt hatte, den Mund zu öffnen. Die Idee war so lächerlich … »Es ist nur eine Möglichkeit«, wich er aus. »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt erwähnenswert ist.«
»Nun, das wissen wir erst, wenn wir sie gehört haben, oder?«, fragte Damana nüchtern. »Kommen Sie schon, wir sind zu müde, um Ihnen die Würmer aus der Nase zu ziehen.«
Cardones gab auf. »Ich habe mich nur gefragt, ob es möglich wäre, dass die Emitter von innen ausgeschaltet worden sind«, sagte er zögernd. »Ich meine, als … Sabotage.«
Er hatte verächtliches Schnauben erwartet oder zumindest verzweifelt zum Himmel erhobene Blicke. Doch zu seiner Überraschung – und Erleichterung – trat weder das eine noch das andere ein.
»Interessant«, meinte Damana. »Mir fällt nur eines ein, was dagegen zu sprechen scheint.«
»Es wäre schwierig durchzuführen –«, gab Cardones zu.
»Ich beziehe mich gar nicht auf die technischen Schwierigkeiten«, schnitt Damana ihm sanft das Wort ab. »Ich dachte mehr an die Tatsache, dass wir alle Besatzungsmitglieder gefunden haben.«
Cardones verzog das Gesicht. Schon bevor er die Sprache auf seine Idee gebracht hatte, war er sich wie ein Trottel vorgekommen. Nun wusste er wenigstens, woran es gelegen hatte. »Ach ja. Sie haben Recht.«
»Trotzdem keine schlechte Idee«, sagte Damana ermutigend.
»Und ich bin auch noch nicht bereit, sie so einfach von der Hand zu weisen«, sagte Sandler nachdenklich. »Gewiss, Anzahl und Geschlecht der Leichen stimmen mit der Besatzungsliste überein; aber wer sagt uns, dass sie nicht irgendwo während der Reise einen Passagier oder ein zusätzliches Crewmitglied an Bord genommen haben?«
»Würde das nicht im Logbuch stehen?«, fragte Jackson.
»Es sollte im Logbuch stehen«, sagte Hauptmann. »Aber wenn sich jemand mit Computern so gut auskennt, dass er Impeller zum Absturz bringen kann, dann weiß er auch, wie man an das Logbuch herankommt und es manipuliert. Ich frage mich eher, wieso jemand sich überhaupt die Mühe machen sollte.«
»Nun, zum einen wegen der Fracht«, entgegnete Jackson trocken. »Wert ist sie – was haben wir ausgerechnet? Irgendetwas um die dreiundvierzig Millionen?«
»Sicher, aber warum das Schiff manövrierunfähig machen?«, fragte Hauptmann. »Wenn Sie den Impeller abschalten können, warum dann nicht so, dass er sich nachher wieder hochfahren lässt? Dann hätten Sie die Fracht und das Schiff.«
»Es sei denn, wir hätten es mit einer Desinformation gewaltigen Umfangs zu tun«, sagte Sandler. »Wir hatten ja schon einmal spekuliert, dass jemand diese Überfalle in Szene setzt, um ein Einsatzboot des ONI in die Hände zu bekommen.«
»Was nicht eingetreten ist«, bemerkte Damana.
»Noch nicht«, erinnerte ihn Pampas trocken.
»Wenn man uns jetzt noch nicht angegriffen hat, greift uns hier niemand mehr an«, widersprach Damana. »Aber wenn Sie sagen wollen, dass wir es mit einer Variante dieses Szenarios zu tun hätten, Skipper, dann sehe ich den Sinn nicht. Was könnten die Raider sich davon versprechen?«
»Der Captain könnte auf der richtigen Fährte sein«, sagte Swofford und rieb sich meditativ die Unterlippe. »Angenommen, wir kämen mit einem Bericht zurück, der bestätigt, dass jemand aus einer Million Kilometern dies und das mit den Impellern eines Schiffs anstellen könnte. Was meinen Sie wohl, wie würde BuWeaps darauf reagieren?«
»Um ein höheres Budget bitten«, brummte Pampas.
Ein leicht nervöses Lachen erhob sich am Tisch. Der Appetit des Amts für Waffenbeschaffung nach Finanzmitteln war legendär. »Richtig«, sagte Swofford. »Ich meinte aber, danach?«
»Nun, offensichtlich würde man ein Forschungsprojekt aus dem Boden stampfen«, sagte Jackson. »Man würde versuchen herauszufinden, was diese hypothetische Waffe genau getan hat, sich überlegen, wie man den Effekt hervorruft, sich Abwehrmaßnahmen einfallen lassen und anfangen, das Gleiche für uns zu bauen.«
»Und während dieser Zeit würden sie Geld und Arbeitskraft von jedem anderen Projekt abziehen«, sagte Damana und nickte langsam. »In einem verzerrten Sinne leuchtet das wirklich ein, oder?«
»Besonders, wenn das Projekt sich hinzieht, ohne dass irgendjemand herausfinden kann, wie das Ding funktioniert«, sagte Sandler. »Eine hübsche Ablenkung, besonders jetzt, wo wir uns auf einen Krieg gegen die Havies einstellen.«
»Ich weiß nicht Recht«, sagte Pampas und blickte in die Runde. »Für eine havenitische Operation hört es sich zu kompliziert an, und ich wüsste nicht, wer sich außer Haven die Mühe machen sollte. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob da nicht doch wirklich etwas Neues im Einsatz ist.«
»Ich auch nicht«, versicherte Sandler ihm. »Im Augenblick lohnt es sich nur einfach, alle Möglichkeiten zu überdenken.«
»Na, dann sollte man vielleicht noch etwas anderes in Betracht ziehen«, sagte Hauptmann. »Außer BuWeaps von Wichtigerem abzulenken, könnte die Desinformation unsere Regierung verleiten, einen härteren Kurs gegenüber den Sollys zu fahren.«
»Augenblick mal.« Jackson runzelte die Stirn. »Was haben denn die Sollys damit zu tun?«
»Nein, sie hat Recht«, stimmte Damana zu. »Ich meine, woher sonst sollte solch eine Superwaffe denn stammen?«
»Und wenn wir den Sollys noch mehr Druck machen wegen der Lücken in ihrem Embargo, werden sie vielleicht halsstarrig«, sagte Hauptmann. »Vielleicht bis an den Punkt, wo sie es aufheben.«
»Na, das klingt ja wunderbar«, brummte Pampas. »Eine Havieflotte mit Sollywaffen.«
»Ein Grund mehr, diese Sache so schnell wie möglich aufzuklären«, sagte Sandler. »Jack, hat Arendscheldt Station Ihnen ein Packet geschickt, während wir draußen waren?«
»Jawohl, Ma'am«, sagte Damana. »Ich bin es durchgegangen, und es sieht so aus, als wäre unser nächstes Ziel Tylers Stern.«
»Zeitpunkt?«
»Siebzehn Tage«, sagte Damana. »Ein bisschen eng zwar, aber wir sollten rechtzeitig hinkommen, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen.«
»Entschuldigung?«, meldete sich Cardones. »Habe ich da irgendetwas nicht mitbekommen?«
»Tut mir Leid«, entschuldigte sich Sandler. »Ich vergesse manchmal einfach, dass wir Uneingeweihte an Bord haben. Wir haben nun alles erfahren, was wir aus den Hinterlassenschaften des Überfalls erfahren können – oder werden es, wenn wir den kompletten Systemplan erstellt haben. Was uns nun am besten in den Kram passen würde, wäre die Waffe in Aktion zu erleben, damit wir Echtzeitdaten darüber sammeln können.«
»Das wäre allerdings hübsch«, stimmte Cardones ihr zu. »Wollen Sie mir nun sagen, dass wir den Terminkalender des Raiders kennen?«
»In gewissem Sinne ja«, antwortete Sandler. »Menschen neigen in ihrem Tun zu Mustern, auch wenn sie sich dessen manchmal gar nicht bewusst sind. Zufällig besitzt der ONI-Stab in unserem Konsulat im Arendscheldt-System ein kleines Computerprogramm, das solchen Mustern nachgeht.«
Cardones stutzte. »Bei nur sieben Wertepaaren?«, fragte er. »Das ist aber ein Programm.«
»Uns gefällt es«, sagte Sandler trocken. »Auf jeden Fall setzt es als wahrscheinlichsten nächsten Punkt das System von Tylers Stern in siebzehn Tagen fest. Also werden wir dort sein.«
»Hm«, machte Cardones und wandte sich an Damana. Ihn störte noch immer etwas, irgendetwas, doch er war kaum in der Position, Sandlers Argument zu entkräften. »Und die Vorbereitungen, von denen Sie sprachen?«
Damana lächelte. »Sie werden schon sehen«, sagte er. »Und als Taktiker werden Sie es mögen, darauf wette ich.«
»Das letzte Kauffahrteischiff ist soeben aus dem Hyperraum gekommen«, meldete Lieutenant Joyce Metzinger an der Signalstation der Fearless. »Rekonfiguriert soeben auf Impeller.«
»Formation bildet sich problemlos, Skipper«, fügte Lieutenant Commander Andreas Venizelos nach einem Blick auf seine Anzeigen hinzu. »Anscheinend sind wir ohne Komplikationen im Zoraster-System angekommen.«
»Gut«, sagte Honor und blickte auf die Displays rings um ihren Kommandosessel. Die sechs Schiffe begaben sich in der Tat auf ihre Positionen in der vorgeschriebenen Formation: fünf Frachter, dazu der Schwere Kreuzer HMS Fearless.
Der sich im Augenblick sehr bemühte, ganz wie ein sechstes Handelsschiff auszusehen. Honor hatte den Impellerkeil auf die geringere Stärke eines zivilen Schiffes stellen lassen, und sie strahlten den Transpondercode eines manticoranischen Frachters ab. Für jedes neugierige Auge sollte der Verband aussehen wie eine kleine Herde nervöser Schafe, die sich zum gegenseitigen Schutz vor den Wölfen der Sternenstraßen zusammenscharten, wie es sie häufig gab.
Die Frage war nun, ob dort draußen irgendwo neugierige Augen lauerten oder nicht. »Commander Wallace?«, fragte sie und schwang sich zur taktischen Station herum.
»Nichts, Ma'am«, meldete Wallace mit einem frustrierten Unterton in der ansonsten sehr ruhigen Stimme. Zoraster war der dritte Zwischenstopp des Geleitzugs, und noch hatten sie nicht einmal einen gewöhnlichen Piraten zu Gesicht bekommen, geschweige denn den vermutlichen andermanischen Raider.
Honor begriff Wallaces Frustration und konnte sie sogar nachempfinden. Doch wenn die Fische nicht anbissen, dann bissen sie eben nicht an, und sie konnte nichts daran ändern. Sie drehte sich wieder dem Navigationsdisplay zu …
»Impellersignatur!«, sagte Wallace plötzlich. »Aus Bereitschaft hochgefahren: Peilung eins eins acht zu null eins fünf.«
»Bestätigt«, sagte Venizelos. »Und er zieht sicher …« – er unterbrach sich und blickte Wallace an – »er beschleunigt mit hohem Werten«, verbesserte er sich. »Ich überschlage auf vierhundert g.«
Vierhundert g, während das langsamste Schiff des Verbands kaum zweihundert Gravos erreichte. »Ich nehme an, er ist auf Abfangkurs?«
»Jawohl, Ma'am«, antwortete Lieutenant Commander Stephen DuMorne an der astrogatorischen Station. »Vektor wird schärfer … okay. Mit gegenwärtigem Kurs und augenblicklicher Beschleunigung ist er in siebzehn Minuten in unserer Raketenreichweite.«
Honor musterte den Plot, den DuMorne ihr auf das Astrogations-Display geschickt hatte. Der Bogey kam mit hoher Beschleunigung ein, das war richtig. Doch wenn man die relativen Positionen und Vektoren berücksichtigte, hätte er noch immer Zeit auszuweichen, ohne anzugreifen, wenn man ihm einen Schrecken einjagte.
Sie müssten nur dafür sorgen, dass dieser Fall nicht eintrat. »Signalisieren Sie den anderen Schiffen über Bündelstrahl, Joyce«, befahl sie: »Plan Alpha. Dann geben Sie Klarschiff.«
»Jawohl, Ma'am«, sagte Metzinger und widmete sich geschäftig ihren Instrumenten.
Und nun kam die eigentlich entscheidende Frage. »Mr Wallace?«, fragte Honor.
Der Taktische Offizier hatte sich steif über seine Instrumente gebeugt, und Honor merkte, dass sie den Atem anhielt. Wenn sie ihren andermanischen Raider wirklich gefunden hatten, und das gleich beim ersten Versuch …
Doch dann richtete sich Wallace auf, und schon bevor er das erste Wort sagte, verriet seine Körpersprache Honor, dass sie eine Niete gezogen hatten. »Der Emissionssignatur des Silesianers zufolge«, sagte er und betonte das Wort ›Silesianers‹ nur ganz schwach, »sieht es aus, als hätten wir hier etwas von der Größenordnung eines kleinen Zerstörers.«
»Der Geleitzug löst die Formation auf«, meldete Venizelos. »Alpha sieht gut aus.«
Honor nickte. Plan Alpha war darauf maßgeschneidert, jedem näher kommenden Piraten genau das hinzuhalten, was ihn unweigerlich antrieb: Anzeichen von Panik unter seinen Opfern. Die schnelleren Frachter entfernten sich von der Gruppe, indem sie ihren Trägheitskompensator bis an die Grenze belasteten, als wollten sie unbedingt vor dem Piraten dessen geplanten Abfangpunkt erreichen. Sie ergriffen das Hasenpanier, und die letzten, langsamen, verwundbareren Angehörigen des Geleitzugs sollten die Hunde beißen.
Dieses Verhalten war leider allzu verbreitet, obwohl es letztendlich selbstzerstörerisch war. Aufspalten machte nicht nur jede Chance zunichte, im Verband die Impellerkeile zum gegenseitigen Schutz zu benutzen, er breitete die Schiffe auch zu einem raumfahrenden kalten Büfett aus, von dem sich der Raider den Bissen aussuchen konnte, der ihm am schmackhaftesten erschien.
Als der Geleitzug nun genauso reagierte, wie der Pirat es erwartet hatte, erwiderte er unwissentlich den Gefallen. Sein Vektor änderte sich leicht, um die führenden Handelsschiffe weiter abzufangen, und er setzte weitere fünfzehn Gravos Beschleunigung hinzu, die er bislang in Reserve behalten hatte. Er hatte Blut gewittert und stürzte sich mit aller Macht auf sein erwähltes Opfer.
Dummerweise war die ganze Sache eine Täuschung. Einige Frachter zogen tatsächlich nach vorn, doch befolgten sie damit nur Honors Befehl; es war ein sorgfältig geplantes, kontrolliertes Manöver, nach dem sie nur wenige Minuten brauchen würden, um an ihre Ausgangsposition zurückzukehren.
»Lagebericht«, rief Venizelos aus. »Bogey ist nun binnen zwölf Minuten in Raketenreichweite. In vierzehn ist ihm Flucht unmöglich.«
»Chief Killian, steuern Sie uns durch das Rudel auf ihn zu«, wies Honor den Rudergänger an. »Mr Wallace, geben Sie mir eine Ziellösung, aber keine aktiven Ortungsgeräte einsetzen. Alle Bedienungsmannschaften, bereithalten bei ECM und Nahbereichsabwehr. Bereithalten, den Keil auf volle Stärke zu bringen.«
Eine wachsame Stille legte sich über die Brücke der Fearless. Honor lauschte auf die leisen Lageberichte und sah zu, wie die rote Zone auf ihrem taktischen Display kontinuierlich zusammenschrumpfte. Sie war schon fast verschwunden; sobald das geschehen war, konnte der Pirat einem Gefecht nicht mehr ausweichen. Honors Blick schweifte über die Bereitschaftstafeln, und sie spürte im Magen das leichte Beben, das sie vor jedem Gefecht empfand. Sie war froh, so vorsichtig gewesen zu sein, Nimitz schon vor dem Hyperraumaustritt in sein Lebenserhaltungsmodul gesetzt zu haben. Wenn ein Pirat so nahe am Transitionspunkt lauerte, hätte sie keine Zeit mehr gehabt, den Baumkater in ihre Kajüte zu bringen, nachdem der Angreifer geortet war.
Natürlich war James MacGuiness, ihr treuer Steward, dazu wunderbar in der Lage, und sie hätte Nimitz bedenkenlos seiner Fürsorge anvertraut. Dennoch war es besser, dass sie es selbst getan hatte …
»Raketenstart!«, bellte Venizelos plötzlich.
»Wo?«, wollte Honor wissen und suchte die Displays ab. Da war sie, entfernte sich beschleunigend von dem Piratenschiff.
»Weit voraus«, meldete Venizelos. »Sie wird einhunderttausend Kilometer vor der Flagstad passieren.«
Honor spürte, wie ihre Brauen sich hoben, während sie den Raketenvektor selbst überprüfte. Die meisten Piraten hielten sich mit etwas so Zivilisiertem wie Warnschüssen nicht auf. »Hören Sie etwas von seinem Transponder, Joyce?«, fragte sie.
»Nichts Brauchbares«, antwortete der Signaloffizier. »Laut Kennung ist es die Locksley, im Zoraster-System registriert, aber wir haben kein Schiff dieses Namens in der Datenbank.« Sie schwieg kurz, weil sie auf ihren Ohrhörer lauschte. »Er ruft uns an, wir sollen unsere Impeller streichen und keinen Widerstand gegen seine Enterkommandos leisten«, fügte sie hinzu. »Er behauptet, zu Logans Freiheitskämpfern zu gehören, und verspricht, dass uns nichts geschieht, wenn wir kooperieren.«
Venizelos schnaubte. »Niedlich. Und der durchschnittliche Frachterkapitän weiß natürlich nicht, dass die Logan-Gruppe nicht im Zoraster-System operiert.«
»Tatsächlich könnten sie gerade damit begonnen haben«, warf Wallace ein. »Einer von Logans wichtigsten Unterführern hat mit den Zoraster Freemen über ein Bündnis verhandelt. Vielleicht haben sie sich geeinigt.«
»Sie machen Witze«, sagte Venizelos und sah ihn stirnrunzelnd an. »Wo haben Sie das denn gehört?«
Wallace grinste ihn schief an. »Lesen Sie ab und zu die Geheimdienstberichte«, riet er Venizelos. »Es steht alles drin.«
Venizelos' Mund zuckte. »Dann muss ich sie wohl doch ein bisschen langsamer überfliegen«, räumte er ein. »Ich weiß aber nicht recht. Frachter zu entern klingt doch mehr nach Pirat als nach Freiheitskämpfer.«
»Besonders wenn sie eigentlich nur die Silesianische Navy bekämpfen, nicht aber manticoranische Kauffahrer«, stimmte Honor ihm zu. »Joyce, hat er seine Forderung begründet?«
»Jawohl, Ma'am«, sagte Metzinger. Sie klang plötzlich finster. »Er sagt, sie suchen nach einer Ladung Splittermunition. Offensichtlich ist eine Sonderlieferung auf dem Weg zur Regierung von Ellyna Valley.«
»Igitt«, brummte Venizelos leise.
»Allerdings«, stimmte Honor ihm mit einem Gefühl des Abscheus zu. Pulserbolzen waren schon tödlich genug, ohne dass sie beim Einschlag zersplitterten und mit einem Schuss eine ganze Gruppe von Menschen zerfetzten. Alle zivilisierten Nationen einschließlich des Sternenkönigreichs hatten Splitterbolzen schon vor langer Zeit verboten und geächtet. Die Silesianische Konföderation ebenfalls – auf dem Papier zumindest.
Dennoch gab es leider noch immer Menschen, die keinerlei Skrupel hatten, solche Munition zu verwenden, und darum gab es nach wie vor Fabriken, die diese verdammten Dinger herstellten.
»Teilen Sie ihm mit, dass nichts dergleichen sich an Bord eines unserer Schiffe befindet«, wies sie Metzinger an.
»Jawohl, Ma'am.« Metzinger wandte sich ihren Instrumenten zu.
»Man kann es ihnen wohl kaum verdenken, dass sie nicht auf der Empfängerseite von Splitterbolzenbeschuss stehen wollen«, merkte Venizelos an.
»Die nächste Frage ist nur, was sie tun, sobald sie die Dinger gefunden haben: vernichten oder ihre eigenen Pulser damit laden?«
»Sie werden die Munition vernichten«, erklärte ihm Wallace. »Die Logan-Gruppe hat die Benutzung von tödlichen Flächenwaffen bisher stets verurteilt, und es gibt keinen einzigen Bericht, dass ihre eigenen Leute sie je verwendet hätten. Wenn sie mit den Freemen einen Pakt geschlossen haben, dann werden sie von dieser Bedingung nicht abgerückt sein.«
»Wie stehen wir eigentlich offiziell zu diesen Leuten?«, fragte Venizelos. »Das übliche Zurückhalten, es sei denn, sie bedrohen unseren Schiffsverkehr, in welchem Fall wir so hart über sie kommen dürfen wie wir wollen?«
»Im Grund ja«, antwortete Honor und wandte sich wieder an Metzinger. »Joyce?«
»Er entschuldigt sich, sagt aber, er müsse sich selbst davon überzeugen, Ma'am«, meldete der Signaloffizier. »Er verspricht noch einmal, dass uns nichts geschieht, so lange wir nichts Unüberlegtes tun.«
»Der ist aber höflich«, meinte Venizelos. »Wie hart kommen wir also über ihn, Skipper?«
Honor musterte ihre Displays. Die Locksley befand sich tief innerhalb der Zone, in der sie einem Gefecht nicht mehr ausweichen konnte, und war sich offensichtlich nach wie vor im Unklaren, dass ihr etwas anderes als sechs hilflose Kauffahrteischiffe gegenüberstanden. Die Fearless konnte mit ihr machen, was sie wollte.
Dennoch …
»Mr Wallace, wissen Sie zufällig, wie gut Logans Gruppe ausgestattet ist?«, fragte sie.
»Die genauen Zahlen sind mir unbekannt«, antwortete Wallace bedächtig. »Ein bisschen besser als der durchschnittliche silesianische Rebell, aber nicht sehr viel besser.«
»Könnte sie es sich leisten, einfach aus Vergnügen mit Raketen um sich zu feuern?«, fragte sie, obwohl sie eigentlich recht sicher war, die Antwort bereits zu kennen-.
»Auf keinen Fall«, sagte Wallace im Brustton der Überzeugung. »Nicht einmal das vergleichsweise erbärmliche Ding, das er uns vor den Bug gesetzt hat.«
Honor nickte; sie hatte sich entschieden. Die Locksley hatte eine wertvolle Rakete verbraucht, um den Geleitzug zu stoppen, ohne dass es zu einem Kampf kam. Folglich war sie entweder genau das, was sie behauptete, und verfolgte wirklich die mehr oder minder friedlichen Absichten, die sie in Anspruch nahm, oder sie war ein Pirat mit einer Chuzpe, um die ihn sogar ein Politiker beneidet hätte.
»Also gut«, sagte sie. »Joyce, Aufzeichner auf mich. Mr Wallace, auf mein Zeichen schalten Sie Impellerkeil und Seitenschilde hoch und bestreichen ihn mit aktiver Ortung.«
Sie lehnte sich zurück und zupfte ihre Uniform glatt. Das dürfte interessant werden. »Er signalisiert wieder, Ma'am«, sagte Metzinger.
Honor nickte. »Stellen Sie ihn durch.«
Der Combildschirm vor ihr erhellte sich, und das müde Gesicht eines jungen Mannes erschien. Seine Wangen waren eingesunken, doch aus seinen Augen leuchtete das Feuer der Eiferer und der Wahren Gläubigen überall. »… zum letzten Mal, manticoranischer Verband«, sagte er. »Wenn Sie die Impellerkeile nicht streichen …«
Unvermittelt brach er ab, und seine leuchtenden Augen quollen ihm aus den Höhlen, als er verspätet Honors Uniform erkannte.
»Hier spricht Captain Harrington von Ihrer Majestät Schiff Fearless«, sagte Honor gelassen in das gelähmte Schweigen des Coms. »Es tut mir Leid; ich hab's nicht ganz mitbekommen.«
Und bei ihrem letzten Wort zeigte sie mit dem Finger auf Wallace.
Ringsum schalteten die Brückendisplays um, als die Fearless plötzlich in volle Kampfbereitschaft versetzt wurde. Der junge Mann auf dem Combildschirm zuckte wie von einer Hornisse gestochen zusammen, und seine Augen schossen zu seinen Monitoren außerhalb des Erfassungsbereichs. Honor hörte schwach das entsetzte Keuchen vom Befehlsdeck hinter ihm.
»Ich habe mich vorgestellt«, sagte Honor. »Jetzt sind Sie dran.«
Unter augenscheinlich größter Willensanstrengung lenkte der Mann seinen Blick zurück auf den Combildschirm. »Mein Name ist Iliescu«, sagte er, und seine Wangen waren stärker eingefallen denn je. »Ich … also gut, Captain, Sie haben uns. Was jetzt?«
»Sie haben meinen Geleitzug bedroht, Mr Iliescu«, erinnerte Honor ihn kühl. »Sowohl verbal als auch durch den Start einer Lenkwaffe.«
Sie beobachtete ihn, während er den Mund öffnete, wahrscheinlich, um zu sagen, es habe sich nur um einen Warnschuss gehandelt. Er ließ die Worte jedoch ungesagt. Sie wusste es, und er war sich darüber im Klaren.
»Was bedeutet, dass ich legal das Recht hätte, Sie zu Schrott zu schießen«, fuhr sie fort. »Oder sehen Sie das anders?«
Iliescu atmete tief durch. »Den Einsatz von Splitterbolzen betrachte ich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, sagte er. »Sie sind verboten, und trotzdem werden sie von kleinlichen Tyrannen benutzt, die sich an ihre Macht und ihre Privilegien klammern. Was würden Sie denn tun, Captain, wenn man Splitterbolzen gegen Ihr Volk einsetzen würde?«
»Hier geht es nicht um mich«, erinnerte Honor ihn. »Können Sie beweisen, dass manticoranische Schiffe diese Konterbande befördern?«
Seine Lippen zuckten. »Wir wissen nicht, wer sie herbeischafft«, gab er zu. »Wir wissen nur, dass sie bald ankommen sollen und von einem Lieferanten auf Creswell stammen.«
Honor nickte. Creswell war der letzte Haltepunkt des Konvois gewesen. Deshalb hatte Iliescu hier, am wahrscheinlichsten Wiedereintrittspunkt auf der Lauer gelegen. »Und was planen Sie? Jedes Schiff aufzuhalten, das aus dieser Richtung kommt, bis Sie die Splitterbolzen gefunden haben?«
Iliescu richtete sich auf. »Wenn es nötig ist«, sagte er mit starrsinniger Würde.
»Ganz allein?«
»Wir haben drei weitere Schiffe von Logans Freiheitskämpfern geliehen bekommen«, sagte er. »Wir wechseln uns ab.«
»Wer ist Ihr Verbindungsmann zu Logan?«
Mit dieser Frage schien Iliescu nicht gerechnet zu haben. »Wie bitte?«
»Ich hätte gern den Namen Ihres Kontaktmanns«, wiederholte Honor. »Den Namen dessen, der die Allianz mit den Zoraster Freemen ausgehandelt hat.«
Iliescu schienen die Augen erneut aus den Höhlen zu platzen. »Sie sind wirklich gut informiert, Captain«, sagte er. »Ich weiß aber nicht, ob ich …«
»Zwischen uns gibt es kein Abkommen, ehe Sie mich überzeugt haben, Mr Iliescu«, warnte Honor ihn ruhig. »Von meiner Warte aus könnten Sie durchaus ein Pirat mit der Gabe einer besonders glatten Zunge sein.«
Iliescu schluckte heftig. »Er heißt Bokusu. Simon Bokusu.«
Honor blickte Wallace an. Der Taktische Offizier nickte knapp. »Also gut«, sagte sie, indem sie Iliescu wieder ansah. »Unter den gegebenen Umständen lasse ich es Ihnen noch einmal durchgehen. Von jetzt an lassen Sie manticoranische Schiffe in Frieden, sonst gibt es Ärger. Haben Sie das verstanden?«
»Jawohl«, sagte Iliescu. »Und was ist mit den Splitterbolzen?«
»Keines der Schiffe in meinem Konvoi bringt sie ins System«, entgegnete Honor. »Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«
Iliescu zögerte, dann nickte er. »Also gut. Ich … Auf Wiedersehen, Captain.«
Sein Bild verschwand, als er den Kontakt abbrach. »Klarschiff Ende«, befahl Honor. »Signal an alle Schiffe: Auf die Positionen zurückkehren.«
»Na, das war interessant«, sagte Venizelos. »Und ziemlich ekelhaft. Was für ein krankes Hirn benutzt denn noch Splitterbolzen?«
»Sie haben ihn gehört«, sagte DuMorne. »Kleinliche Tyrannen, die sich verzweifelt an Macht und Privilegien klammern.«
»Und wir müssen wegschauen«, murmelte Metzinger.
»Nur eins von den vielen Dingen, wegen denen der Geleitdienst in Silesia so viel Spaß macht«, entgegnete Venizelos. »Skipper, sollen wir den Keil auf voller Stärke halten?«
»Können wir durchaus, unsere Maskerade ist sowieso aufgeflogen«, sagte Honor. »Und wo wir schon aktiv orten, schauen wir uns die Region zwischen uns und dem Planeten doch einmal sehr gut an.«
»Aye, aye, Ma'am«, sagte Venizelos. Honor wandte sich wieder dem taktischen Display zu und beobachtete, wie die Schiffe ihres Konvois an ihre ursprünglichen Punkte in der Formation zurückkehrten. Sie manövrierten zwar nicht annähernd so präzise wie Kampfschiffe, für Frachter jedoch gar nicht schlecht. Vielleicht sollte man an der Handelsflottenakademie einen Kurs dazu erteilen.
Auf Venizelos' Instrumententafel piepte es. »Skipper, ein anderer Keil wird hochgefahren«, verkündete er, den Blick stirnrunzelnd auf die Displays gerichtet. »Querab backbord, etwa drei Millionen Kilometer auswärts.«
»Kurs läuft schräg über die Ekliptik«, fügte DuMorne hinzu. »Sieht so aus, als würde das Schiff durchs äußere System treiben.«
»Haben wir schon eine Kennung?«, fragte Honor.
»Es identifiziert sich als andermanisches Kriegsschiff«, sagte Wallace mit plötzlich angespannter Stimme.
»Transponder identifiziert das Schiff als SMS Neu-Bayern«, bestätigte Metzinger.
»Neu-Bayern«, wiederholte Venizelos und drückte Tasten. »Schlachtkreuzer der Mendelssohn-Klasse, masst knapp unter neunhunderttausend Tonnen. Kein Zeichen für irgendjemanden sonst in der Nachbarschaft.«
»Eine Vermutung, was sie hier draußen will?«, wandte sich Honor an Wallace, der mit durchdringendem, aber von Unsicherheit erfülltem Blick an seinen Instrumenten arbeitete.
Aus gutem Grund, begriff sie, als sie die gleiche Überlegung anstellte wie vermutlich er. Ein einzelnes andermanisches Schiff, das sich versteckt gehalten hatte wie ein Pirat es täte, konnte sehr gut der Raider sein, den sie suchten.
Nur dass es nicht dem Rest des ONI-Profils entsprach. Zum einen war ein Schlachtkreuzer zu groß, zum anderen lief er weder unter einer silesianischen Kennung, noch tarnte er sich mit einer falschen Emissionssignatur.
Berücksichtigte man allerdings die schlechte Qualität der Daten, auf der das Profil basierte, so traf es vielleicht gar nicht so genau zu. Außerdem, wer konnte schon behaupten, dass ein Leopard seine Punkte nicht gelegentlich gegen Streifen eintauschte?
»Nun, wenn die Neu-Bayern Geleitdienst macht, dann scheint sie ihren Konvoi verloren zu haben«, meinte Venizelos. »Und was den Vektor angeht … Stephen, was halten Sie davon?«
»Wir wissen natürlich nicht, was sie getan hat, bevor wir hierher kamen«, begann DuMorne, »aber ihr gegenwärtiger Vektor passt sehr gut zu einer Direktfahrt von Tylers Stern nach Schiller. Es sieht beinahe so aus, als hätte sie sich während der vergangenen paar Tage durch das System treiben lassen.«
»Wie auf Piratenjagd?«, fragte Venizelos.
Oder etwas Persönlicheres? Honor begegnete Wallaces Blick, als er aufsah, und hob still fragend die Brauen. Er zog selber eine Augenbraue hoch und deutete ein Schulterzucken an.
Zumindest in Bezug auf ihre grundsätzliche Unsicherheit waren sie sich also einig. Die Neu-Bayern konnte genauso gut einem andermanischen Raider auf der Spur sein. Andererseits mochte ihr Auftrag darin bestehen, solch einen Raider taktisch oder logistisch zu unterstützen.
»Ich hoffe, sie hat nicht versucht, sich an Iliescus Straßensperre anzuschleichen«, überlegte Venizelos. »Dann hätten wir ihr nämlich gründlich die Tour vermasselt.«
»Die Andys werden darüber hinwegkommen«, sagte Honor. Sie war zu einer Entscheidung gelangt. Was immer dieser andermanische Schlachtkreuzer dort suchte, sein Kommandant wusste vermutlich über den Raider Bescheid. Folglich konnte es nicht schaden, wenn er wusste, dass die Royal Manticoran Navy ebenfalls im Spiel war. »Joyce, Signal an die Neu-Bayern. Legen Sie die Antwort auf den Schirm.«
»Jawohl, Ma'am.« Während Metzinger Tasten drückte, begann Honor die Sekunden abzuzählen. Ein Signal benötigte hin und zurück zwanzig Sekunden zu dem andermanischen Schlachtkreuzer. Hinzu kam die Zeit, die der Kommandant benötigte, um sich schlüssig zu werden, ob ihm heute nach einem Schwatz mit Manticoranern war.
Sie hatte vierundneunzig Sekunden abgezählt, als der Combildschirm sich einschaltete und einen Mann mit breitem Kinn zeigte, kurz geschnittenem Haar und vollen Lippen, die dauerhaft mürrisch verzogen zu sein schienen. »Hier spricht Kapitän Lanfeng Grubner von Seiner Majestät Schiff Neu-Bayern«, sagte er barsch; er klang, als freue er sich gar nicht über die Störung. Andererseits konnte dieser Eindruck auch von seinem schweren deutschen Akzent herrühren. »Was wollen Sie, Fearless?«
»Hier spricht Captain Harrington von Ihrer Majestät Schiff Fearless«, sagte Honor, entschlossen, sich weder von Grubners Art noch dem Umstand einschüchtern zu lassen, dass sein Schiff dem ihren in Bezug auf Masse und Kampfkraft dreifach überlegen war. »Ich habe mich gefragt, ob ich Ihnen wohl ein kurzes Gespräch über ein Thema aufdrängen darf, das für uns beide von Belang ist.«
Sie wartete, dass die zwanzig Sekunden verstrichen. »Und welches Thema wäre das?«, fragte Grubner.
»Das möchte ich lieber nicht auf einem offenen Kanal besprechen«, entgegnete Honor. »Wenn Sie Ihre Beschleunigung ein wenig senken könnten, würde ich eine Pinasse auf Bündelstrahlentfernung zu Ihnen schicken.«
»Unmöglich«, wies Grubner sie rundheraus ab. »Ich bin in wichtigem kaiserlichem Auftrag unterwegs. Mir fehlt die Zeit, um Liebenswürdigkeiten mit Raumoffizieren fremder Mächte auszutauschen.«
»Nicht einmal dann, wenn das Gespräch mit Ihrem Auftrag zusammenhängt?«, fragte Honor.
Grubner lächelte schmal, gewiss nicht einfach bei seinen dicken Lippen. »Aber das werden wir wohl nie herausfinden, oder? Ich wünsche Ihnen eine glückliche Fahrt, Captain …«
Er verstummte unvermittelt und zog die Brauen zusammen. »Harrington«, fuhr er mit plötzlich nachdenklicher Stimme fort. »Captain Honor Harrington?«
»Richtig, Herr Kapitän.«
Die zwanzigsekündige Verzögerung wirkte diesmal viel länger. »So, so«, sagte Grubner. »Dann sind Sie also die Heldin von Basilisk Station.«
»So würde ich es nicht ausdrücken, Herr Kapitän«, sagte Honor, die spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Daran, dass ihre eigenen Leute sie gelegentlich mit einer Ehrfurcht behandelten, die über den Respekt gegenüber der Kommandantin hinausgingen, hatte sie sich gewöhnt; das Gleiche nun von einem Fremden zu erfahren, war eine ungewohnte und umso peinlichere Situation. »Aber ja, es waren mein Schiff und meine Leute, die das fertig gebracht haben.«
»Tatsächlich«, sagte Grubner und nickte bedächtig. »Nun ja. Dann steht die Sache wirklich in ganz anderem Lichte da. Ich wäre erfreut, wenn ich Sie zu dem Gespräch, um das Sie ersuchen, an Bord der Neu-Bayern empfangen dürfte.«
Er lächelte plötzlich. »Und selbstverständlich würde ich Ihnen gern angemessene andermanische Gastfreundschaft angedeihen lassen. Möchten Sie heute Abend zum Dinner kommen? Oder gleich welche Mahlzeit die Uhr Ihres Schiffes als Nächste vorsieht.«
Honor blinzelte; der plötzliche Umschwung in Grubners Gebaren brachte sie aus dem Gleichgewicht wie ein gut platzierter Tritt beim Coup de Vitesse. »Ich danke Ihnen sehr für Ihr freundliches Angebot, Herr Kapitän«, brachte sie hervor, »doch ich möchte Sie gewiss nicht länger aufhalten als unbedingt erforderlich.«
Grubner winkte ab. »So eng ist mein Zeitplan dann doch nicht, Captain. Und die Befehle der Kaiserlichen Weltraumflotte bieten immer Spielraum für unerwartete Zwischenfälle und Gelegenheiten.«
Gelegenheiten … »Dann, Herr Kapitän, fühle ich mich geehrt und nehme Ihre Einladung an.« Honor blickte auf die Schiffsuhr. »Und Abendessen wäre mir recht.«
»Ausgezeichnet, Captain«, sagte Grubner. Soweit Honor es sagen konnte, klang er aufrichtig erfreut. »Soll ich Ihnen eine Pinasse senden, oder möchten Sie mit einem eigenen Beiboot kommen? Meins ist wahrscheinlich schneller«, fügte er mit deutlichem Stolz hinzu, »und mit Sicherheit bequemer.«
»Vielen Dank, Herr Kapitän«, entgegnete Honor. »Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, aber ich nehme meine eigene Pinasse. Auf diese Weise können Sie sich wieder auf den Weg machen, sobald unser Gespräch vorüber ist.«
»Wie Sie wünschen, Captain«, sagte Grubner. »Ich erwarte Sie, wann immer es Ihnen passt. Neu-Bayern Ende.«
Das Display erlosch. Honor atmete beherrscht durch; erst als sie sich umsah, bemerkte sie, dass jedes Auge auf der Brücke auf ihr ruhte.
»Was ist?«, fragte sie, bemüht, beiläufig zu klingen. »Haben Sie noch nie miterlebt, wie jemand zum Abendessen eingeladen wurde?«
Venizelos fand als Erster Worte. »Muss am deutschen Akzent gelegen haben«, sagte er mit bedacht unbeteiligter Stimme. »Obwohl ich sagen muss, dass es für mich tatsächlich eine Premiere ist. Ich habe noch nie von einem Führungsoffizier der RMN gehört, der an Bord eines andermanischen Schiffes eingeladen wurde.«
»Anscheinend haben Sie einen neuen Fan, Ma'am«, stimmte Metzinger zu. »Wie viele Millionen sind es jetzt?«
Honor schüttelte den Kopf. »Wenn das alles vorbei ist, ändere ich meinen Namen in Smith«, drohte sie. »Das hätte ich schon vor Monaten tun sollen.«
»Ach, ich weiß nicht, Skipper«, warf DuMorne ein. »Andermanisches Essen soll recht gut sein, heißt es. Einige der Weine sind sogar ausgezeichnet.«
»Ich werde es mir merken«, entgegnete Honor trocken. »Joyce, rufen Sie den Beiboothangar und lassen Sie meine Pinasse bereitmachen.«
»Jawohl, Ma'am.«
»Sie werden doch nicht allein gehen, Ma'am, oder?«, fragte Wallace.
Etwas an seinem Ton führte dazu, dass sich Honors Nackenhärchen unangenehm kitzelnd aufstellten. Einen Sekundenbruchteil lang fragte sie sich, ob Wallace etwas über die Andermaner wusste, das ihr unbekannt war. Vielleicht etwas, das mit von oberflächlicher Höflichkeit kaschierter Heimtücke zu tun hatte?
Doch der reflexartigen xenophoben Paranoia auf dem Fuße folgte die Wahrheit: Wallace wusste nichts, was sie nicht schon wusste, aber es gab Dinge, die er in Erfahrung bringen wollte.
Sie drehte sich mit dem Sessel zu ihm herum, und der Eifer in seinen Augen sprach Bände: ein Geheimdienstoffizier, dem sich die Gelegenheit bot, ein andermanisches Kriegsschiff mit eigenen Augen von innen zu sehen. Er brauchte nur seiner Kommandantin ein wenig schönzutun, dachte er wohl, und schon landete er einen nachrichtendienstlichen Coup, der seine Laufbahn ein für alle Mal auf die Überholspur brachte.
Und tatsächlich konnte sie ihn sehr wahrscheinlich mitbringen, wenn sie sich dazu entschied. Kapitän Grubner hatte keinerlei Einschränkungen verlauten lassen; wenn sie mit einem ganzen Gefolge im Schlepp auftauchte, würde er den Leuten wohl kaum die Erlaubnis verweigern, an Bord seines Schiffes zu kommen.
Doch gleichzeitig war ihr bewusst, dass sie damit Grubners Vertrauen missbrauchte und sein Angebot dem unausgesprochenen, aber dennoch eindeutigen Zweck entfremdete. Besonders, wenn dieses Gefolge einen Offizier des ONI einschloss.
In Anbetracht der sich immer weiter verschlechternden Beziehungen zu Haven erschien es Honor als nicht ratsam, wenn ein Offizier der Königin sich solche Freiheiten herausnahm und den Zorn eines andermanischen Kommandanten heraufbeschwor, der zudem bereits die Initiative ergriffen und seine Gastfreundschaft angeboten hatte.
»Ich glaube nicht, dass ich dort drüben in Gefahr geraten werde«, beschied sie Wallace, indem sie absichtlich den Grund seiner Frage missverstand. »Außerdem werden Sie alle hier mehr als genug zu tun haben.«
Wallace runzelte die Stirn. »Womit, Ma'am?«
»Mit der Überprüfung unseres Konvois«, sagte Honor.
»Commander Venizelos und Sie stellen Inspektionstrupps zusammen, die sich die Schiffe einmal ansehen. Nehmen Sie Scotty Tremaine und Horace Harkness zu Hilfe, Andy – sie wissen, welche Leute sich dafür am besten eignen.«
»Was für eine Inspektion denn?«, fragte Venizelos. »Wonach sollen wir suchen, Skipper?«
»Nach Splitterbolzen natürlich«, antwortete Honor grimmig. »Ich habe Iliescu mein Wort gegeben, dass wir sie nicht ins System bringen. Bevor wir in die Umlaufbahn eintreten, wüsste ich gerne, ob ich ihn angelogen habe.«
Die Shadow hatte die Hypergrenze am Rand des Systems von Tylers Stern erreicht und ihre lange Reise sonnenwärts schon angetreten, als die drei Techniker endlich ihre Auswertung abschlossen.
»Auf den Kern reduziert, scheinen sich sämtliche Emitter simultan überladen zu haben«, sagte Pampas und wies auf das Hologramm mit der Explosionszeichnung, das über dem Messetisch schwebte. »In jedem einzelnen fand sich eine ganze Reihe von durchgebrannten Verteilern, allesamt längs der Steuerleitungen.«
»Aber die Leitungen selbst sind nicht durchgebrannt?«, fragte Sandler.
»Nein«, antwortete Pampas. »Wie gesagt, es sieht mehr danach aus, als hätte eine Überspannung diese empfindlichen Stellen überlastet.«
»Aber woher kam die Überspannung?«, fragte Damana. »Eigentlich sollte so hohe Spannung gar nicht dorthin geleitet werden können. Zumindest nicht von innen.«
»Tatsächlich haben wir auch dazu zwo Ideen«, sagte Pampas. »Beide sind sie ziemlich wacklig, aber mehr haben wir bisher nicht.« Er wies über den Tisch auf Swofford. »Nathan?«
»Das hier ist wahrscheinlich der Übeltäter«, sagte Swofford und verstellte einige Knöpfe. Die Explosionszeichnung verschwand, und ein technischer Plan der Energie- und Steuerleitungen eines Frachtschiffs in kleinerem Maßstab erschien. Eine weitere Berührung, und mehrere Linien wurden an Punkten markiert, wo sie kurzzeitig parallel verliefen. »Hier läuft eine Steuerleitung für zehn Zentimeter genau an einer der Hauptenergieleitungen entlang. Wenn wir irgendwie genügend Spannung übertragen könnten, dann würde das vermutlich die Verteiler zum Durchbrennen bringen.«
»Ohne die Isolation zu verbrennen?«, fragte Hauptmann. »Oder war sie etwa verbrannt?«
»Wir konnten nicht einmal eine versengte Stelle finden«, gab Swofford zu. »Deshalb ist die Sache auch wacklig. Die andere Möglichkeit ist noch wackliger: etwas, das Jonquil'scher Tunneleffekt heißt. Er tritt auf, wo elektrische Hochfrequenzfelder in einer Weise verzerrt werden, die eine Quantentunnelung von Elektronen ermöglicht. Auf diese Weise könnte Spannung von der Energieauf die Steuerleitung überspringen.«
»Und das würde auch erklären, weshalb die Isolierung immer noch unbeschädigt ist«, fügte Pampas hinzu. »Das Problem ist nur, wir finden keine Möglichkeit, die Felder auf die nötige Art und Weise zu verzerren, ohne dass es sich auch sonst in der Energieversorgung bemerkbar macht.«
»Was wäre mit Rafes Szenario?«, fragte Damana. »Die Saboteure sind unter uns?«
»Möglich«, antwortete Pampas, »aber noch schwieriger durchzuführen als wir zuerst dachten. Um alle Bugemitter gleichzeitig auszuschalten, müsste unser Saboteur irgendwo zwischen dem Steuercomputer und dem Punkt eingreifen, an dem sich die Leitungen zu den einzelnen Emittern verzweigen. Dazu gibt es nicht besonders viele Stellen, und entweder hat sie die Brückenbesatzung im Blick, oder es könnte dort jeden Augenblick jemand vorbeikommen. Entweder muss also eine gesamte Wache abgelenkt werden, oder jemand muss einen triftigen Grund vorweisen können, warum er an den Wartungsklappen herumdoktert.«
»Und es müsste für die Bug- und Heckemitter gleichzeitig gemacht werden«, warf Jackson ein. »Die Leitungen führen in unterschiedliche Richtungen.«
»Richtig«, sagte Pampas. »Und sobald er einmal die Leitungen angezapft hat, müsste er einen Stromstoß mit genug Saft hineinschießen, dass die Verteiler durchbrennen, aber nicht so viel, dass noch etwas anderes betroffen ist.«
»Und natürlich müssten beide Stöße synchronisiert sein, damit Bug- und Heckimpeller gleichzeitig zusammenbrechen?«, fragte Sandler.
»Genau«, sagte Pampas. »Und dann müsste er seine Stromquellen wieder entfernen.«
»Obwohl er noch mehr zu bereinigen hätte«, warf Hauptmann ein. »Zum Beispiel seine Anwesenheit aus dem Logbuch zu tilgen.«
»Die übrige Crew wäre zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich schon tot«, warf Damana ein.
»Sie sagten, das wären unsere Möglichkeiten, wenn die Tat von innen begangen worden wäre«, sagte Sandler. »Wie wäre es von außen?«
Pampas zuckte unbehaglich die Schultern. »Dann wären wir wieder bei Admiral Hemphills magischer Gravolanze«, sagte er. »Angenommen, man verstärkt die Energie einer Gravolanze genügend, dann könnte man den Impellerkeil in einer Weise überlasten, dass es einen Rückschlag gibt und die Verteiler durchbrennen. Doch wie man solch eine Energie mit einem Sternenschiff erzeugen soll, dafür gibt es keine Theorie, von der ich je gehört hätte.«
»Besonders wenn Sie es aus einer Million Kilometer Entfernung tun wollen«, fügte Swofford hinzu.
»Genau«, pflichtete Pampas ihm bei. »Beide Notwendigkeiten würden schon für sich allein genommen einen gewaltigen technischen Fortschritt erfordern. Beide zusammen …« Er schüttelte den Kopf.
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen.
»Also gut«, sagte Sandler schließlich. »Wir müssen uns also zwischen dem lachhaft Unwahrscheinlichen und dem komplett Unmöglichen entscheiden und sitzen in einer Sackgasse, so lange wir das Ding nicht bei der Arbeit beobachten können. Trifft diese Zusammenfassung ungefähr zu?«
»Jawohl, so kann man das sehen, Ma'am«, sagte Pampas.
»Dann müssen wir dafür sorgen, dass wir es beobachten.« Sandler berührte ihr Tastenfeld, und das Verkabelungsschema über dem Tisch wurde von einem Plan des Systems von Tylers Stern ersetzt. »Wenn man einen Raider auf frischer Tat ertappen will, hat man das Problem, dass es so viel Raum gibt, wo er zuschlagen könnte«, sagte sie. »Normalerweise lauern sie natürlich an der Hypergrenze und stürzen sich auf die Beute, sobald sie den Hyperraum verlassen hat; unser Raider scheint es aber zu bevorzugen, mitten im Sonnensystem zuzuschlagen.«
»Womit er auch nur in der Konföderation durchkommen kann«, brummte Jackson.
»Kein Einwand dagegen«, stimmte Sandler zu. »Überall woanders würde die Systemortung ihn sofort aufspüren, wenn er sich mit seinen Überfällen zu nah an besiedelte Zonen heranwagt. Schauen wir also, ob wir ihm seine Selbstsicherheit zum Fallstrick machen können.«
Eine leicht gekrümmte grüne Linie erschien, die an der Hypergrenze entsprang und systemeinwärts lief, um bei Hadrian zu enden, dem vierten Planeten von Tylers Stern. »Das ist der Vektor, den unser Köder höchstwahrscheinlich beschreibt«, sagte Sandler. »Sie ersehen aus der Stellung der Planeten, dass unser Raider an der Hypergrenze warten muss, sonst hat er keine realistische Chance anzugreifen, bevor sein Opfer in Reichweite der Systemverteidigung oder der Sensorantennen von irgendjemandem ist.«
»Was bedeutet die blaue Markierung?«, fragte Cardones und wies auf einen blitzenden Punkt an einem der äußeren Planeten.
»Ein experimentelles Ringbergbauprojekt«, antwortete Sandler. »Ein silesianisch-andermanisches Gemeinschaftsunternehmen, das somit unter dem Schutz der Kaiserlichen Weltraumflotte steht. Die Andys haben dort gewöhnlich nichts Größeres als einen Zerstörer und einige LACs stationiert, aber das genügt, um die meisten Raider vom äußeren System abzuschrecken.«
»Und unseren Freund auch?«, fragte Hauptmann.
»Das wollen wir hoffen«, sagte Sandler. »Wir können nämlich unmöglich das innere und das äußere System gleichzeitig überwachen.«
»Das innere System bedeutet schon sehr viel Volumen für ein einzelnes Schiff«, bemerkte Cardones. »Oder bekommen wir Hilfe?«
»Nein, wir sind auf uns allein gestellt«, antwortete Sandler. »Trotzdem ist es nicht ganz so schlimm, wie es aussieht.«
Sie berührte Tasten, und der Plan veränderte sich zu einer Nahaufnahme des inneren Systems. »Hier ist der einkommende Vektor wieder, und hier der abgehende.«
Eine weitere grüne Linie erschien im Winkel von zirka einhundertvierzig Grad zur ersten. Doch statt säuberlich wieder zur Hypergrenze zu führen, spaltete sie sich in kurzer Entfernung von dem Planeten in drei unterschiedliche Wege. »Wie sie sehen, löst sich der Konvoi an dieser Stelle auf«, fuhr Sandler fort. »Eines der Frachtschiffe bewegt sich noch weiter systemeinwärts zu einer Sonnenforschungsstation, zwo weitere reisen weiter nach Quarre, dem fünften Planeten, die übrigen vier nehmen Kurs systemauswärts zu ihrem nächsten Haltepunkt im Brinkman-System.«
»Ich dachte, Sinn und Zweck eines Konvois bestehe darin, die Schiffe zusammenzuhalten«, sagte Cardones. »Warum teilen sie sich auf?«
»Hauptsächlich, weil sie keine andere Wahl haben«, sagte Sandler. »Drei der vier Schiffe für Brinkman befördern verderbliche Ware und können sich den Umweg zur Solarstation oder nach Quarre nicht leisten.«
»Und bei welcher Gruppe bleibt der Geleitschutz?«, fragte Damana.
»Vorausgesetzt, es gibt Geleitschutz«, fügte Hauptmann hinzu.
»Es gibt ihn«, versicherte Sandler ihr, »den Schweren Kreuzer HMS Iberiana. Wir nehmen an, dass niemand sich besonders für Nachschub interessiert, der für eine Forschungsstation bestimmt ist, deshalb teilt sich die Iberiana ein wenig zwischen den anderen auf. Sie bleibt in der Mitte, bis die beiden Frachter in die Umlaufbahn von Quarre eingetreten sind, dann beschleunigt sie zur Hypergrenze, holt die übrigen vier ein und begleitet sie aus dem System.«
»Gut koordinierter Plan«, bemerkte Cardones stirnrunzelnd. Tatsächlich war es sogar ein bemerkenswert gut koordinierter Plan. Bei den meisten Konvois, die er kannte, wurde keinerlei Rücksicht auf Einzelschiffe genommen; die Frachter setzten sich aufs Geratewohl in ihre jeweiligen Zielsysteme ab, und die Navy schickte ihnen den Geleitschutz hinterher, den sie irgendwo auftreiben konnte.
»Manchmal geht so etwas«, sagte Sandler schulterzuckend. »Natürlich nur, wenn die Kauffahrteischiffe einen Terminplan einzuhalten haben.«
»Damit ist für die vier Brinkman-Schiffe gesorgt«, sagte Pampas. »Was wird aus den anderen?«
»Die beiden Schiffe, die nach Quarre gehen – die Dorado und die Nightingale – bleiben ein paar Tage dort, nehmen Ladungen aus den verschiedenen Asteroidenminen auf und lassen sich warten«, antwortete Sandler. »Dann ist ein anderer Konvoi mit Ziel Walther-System angekündigt, dem sie sich anschließen. Die Harlequin – das ist das Schiff, das zur Forschungsstation unterwegs ist – wird sich in der Zwischenzeit einem silesianischen Geleitzug mit Ziel Telmach angeschlossen haben.«
»Sie scheinen sehr viel über die Zeitplanung zu wissen«, bemerkte Cardones.
Sandler lächelte ihn kurz an. »Aber selbstverständlich«, sagte sie. »Schließlich sind wir vom ONI, wissen Sie.«
»Ich meinte die spezifischen Angaben zum möglichen Überfall«, entgegnete Cardones. »Als Sie vorhin darüber sprachen, klang es beinahe so, als wüssten wir, dass eine nicht zu unterschätzende Chance besteht, dass der Raider hierher kommt und nach jemandem Ausschau hält, den er überfallen kann.«
Damana verschob sich ein wenig auf seinem Stuhl, doch Sandler zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Das Vorhersageprogramm hat uns die Grundlage geliefert«, sagte sie. »Erst dann konnten wir uns mit den Transportplänen beschäftigen und herausfinden, dass genau dieser Konvoi ein wahrscheinliches Ziel ist.«
»Aha«, sagte Cardones. Er war noch jung, das wusste er, und unerfahren in den Dingen des Universums.
Trotzdem, so jung war er nun auch nicht gerade, dass er nicht bemerkte, wenn man ihm ins Gesicht log.
»Wie dem auch sei, die Harlequin wird das Schiff sein, das auf sich allein gestellt ist«, fuhr Sandler fort. »Deshalb ist sie das Ziel, auf das ich setze.«
»Ich nehme an, wir folgen ihr nicht einfach?«, erkundigte sich Swofford. »Das wäre ein bisschen zu offensichtlich.«
»Ja, allerdings«, pflichtete Sandler ihm bei. »Und nein, wir folgen ihr nicht so einfach.«
Die Grafik veränderte sich erneut und zeigte den Kurs des Handelsschiffs ab dem Punkt, an dem es sich von dem Konvoi trennte, bis es an der Forschungsstation in ihrer sonnennahen Umlaufbahn ankoppelte. »Es gibt nur eine einzige Zone – die zugegebenermaßen recht groß ist –, wo die Harlequin sich außerhalb der Sensoren sowohl der Station als auch der Iberiana befinden wird. Wir können in etwa die halbe Lücke abdecken, indem wir die Shadow hier positionieren.«
Ein grüner Punkt erschien etwa auf drei Vierteln des Weges zwischen Trennung und Solarstation. »Unter Stealth natürlich«, fuhr sie fort. »Den Rest der Zone decken wir von hier aus ab.«
Cardones blickte stirnrunzelnd in das Holo. Dort war noch etwas zu sehen, ein fester Körper, aber weder ein Schiff noch eine Basis oder sonst ein Gebilde von Menschenhand. Und die dünne Linie, die seine Umlaufbahn bezeichnete … »Wieso läuft das Ding denn auf einer engen parabolischen Bahn?«, fragte er.
»Das Ding, Lieutenant Cardones«, antwortete Sandler mit einem zufriedenen Unterton, »ist der Komet, der offiziell Baltron-January 2479 heißt. Weniger offiziell ist es das Sun Skater Holiday Resort.«
Cardones zog die Brauen hoch. »Das was?«
»Sie haben richtig gehört«, versicherte sie ihm. »Während der Rest des Teams die Shadow nimmt und sich tüchtig tarnt …« – sie grinste ihn gepresst an –, »statten Sie und ich einem der ungewöhnlichsten Feriengebiete in der erforschten Galaxis einen Besuch ab.«
Kapitän Grubner und ein anderer Offizier erwarteten Honor mit der Seite und einer kleinen Ehrenwache aus Raumsoldaten. Sie packte die Haltestange, schwang sich aus der Schwerelosigkeit der Andockröhre und landete anmutig im internen Schwerefeld des Schlachtkreuzers Neu-Bayern. Dabei spürte sie, wie Nimitz mit der Routine jahrzehntelanger Übung auf ihrer Schulter das Gleichgewicht hielt.
»Willkommen an Bord Seiner Majestät Schiff Neu-Bayern, Captain Harrington«, begrüßte Grubner sie ernst.
»Vielen Dank, Herr Kapitän«, sagte Honor und salutierte vor ihm wie auf dem Paradeplatz. »Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen, Sir.«
»Erlaubnis erteilt«, sagte Grubner und erwiderte ihre Ehrenbezeigung genauso zackig.
»Vielen Dank, Herr Kapitän.« Honor trat über die Linie und näherte sich der Gruppe. »Mir ist es eine große Ehre, hier sein zu dürfen, Kapitän Grubner. Ich möchte noch einmal für Ihre Bereitschaft bedanken, mich zu empfangen.«
»Es ist mir ein Vergnügen«, sagte Grubner und wies auf den Mann an seiner Seite. »Mein Erster Offizier, Fregattenkapitän Huang Trondheim.«
»Captain Harrington«, sagte Trondheim und reichte Honor die Hand. Er war ein sehr junger Mann, jünger als Honor für den I.O. eines Schlachtkreuzers erwartet hätte. Entweder war er sehr tüchtig, oder – wisperte ihr ein zynischer Anflug zu – er stammte aus einer wichtigen Familie und hatte Beziehungen in die Politik.
»Fregattenkapitän Trondheim«, sagte sie, während sie seine Hand nahm und schüttelte. »Erfreut, Sie kennen zu lernen.«
»Die Ehre ist ganz meinerseits, Captain Harrington.«
Honor spürte, wie ihre Stirn sich runzeln wollte. Sie spürte etwas in Trondheims Stimme, ein verborgenes Interesse, das nicht bis in sein Gesicht vordrang.
»Das Dinner ist bald fertig«, sagte Grubner und wies auf den Lift. »Bis dahin können wir uns vielleicht in mein Arbeitszimmer zurückziehen, um dort die Angelegenheit zu besprechen, die Sie erwähnten, und die für uns beide von Belang sein soll.«
Auf dem Weg machten sie Konversation, besprachen die Wechselfälle des Sternenschiffkommandos im Allgemeinen und bei einem Einsatz in der Silesianischen Konföderation im Besonderen. Gelegentlich wiesen Grubner oder Trondheim auf eine Eigenart ihres Schiffes hin, die sie passierten, stets etwas, das nicht der Geheimhaltung unterlag und das Honor bereits aus den Vorlesungen über andermanische Schiffbautechnik an der Akademie kannte.
Beim dritten Mal war sie versucht, einen Wissensbrocken einzuwerfen, den die anderen nicht erwähnt hatten, doch sie unterdrückte den Drang. Sie war nicht hier, um zu protzen, weder mit ihrem Wissen noch dem des ONI.
Grubners Arbeitszimmer war kleiner als es auf einem vergleichbaren manticoranischen Schiff ausgefallen wäre, doch der günstige Grundriss ließ es sogar größer erscheinen. »Bitte, setzen Sie sich«, bat Grubner und wies auf einen Halbkreis aus bequem wirkenden Sesseln, die um einen niedrigen Tisch gruppiert waren, auf dem eine Karaffe und drei Gläser warteten. »Darf ich Ihnen Wein anbieten, Captain?«
»Danke sehr«, sagte Honor, wählte einen der Sessel und setzte sich. Die Polsterung wirkte ein bisschen weniger strapazierfähig als in ihrer Kajüte an Bord der Fearless, deshalb setzte sie sich Nimitz – und seine Krallen – auf den Schoß.
»Zunächst möchte ich mich für meine Schroffheit entschuldigen«, sagte Grubner, als Trondheim und er ihr gegenübersaßen und der I.O. das Kommando über die Karaffe übernommen hatte. »Wie gesagt, wir sind in wichtigem kaiserlichem Auftrag unterwegs, bei dem ich zugeben muss, dass er nicht gut verläuft, und ich war nicht in Stimmung, einen Schwatz mit einem manticoranischen Geleitschiff zu halten.«
»Das verstehe ich, Sir«, sagte sie, als Trondheim ihr ein Glas tiefroten Weins reichte.
»Als mir Ihr Name bewusst wurde, habe ich es mir anders überlegt«, fuhr Grubner fort. »Das Kaiserreich hat die Geschehnisse auf Basilisk Station mit großem Interesse verfolgt.«
Er wies auf den I.O., während er von ihm sein Glas entgegennahm. »Fregattenkapitän Trondheim hat sich sehr mit Aspekten der Strategie und Taktik dabei beschäftigt, sowohl mit der Ihren als auch mit jener der Volksrepublik. Er hat, soviel ich weiß, sogar zwo Artikel darüber publiziert.«
»Jawohl, Herr Kapitän«, sagte Trondheim und lächelte Honor beinahe scheu an. »Gegenwärtig arbeite ich an einem dritten.«
»Ich bin beeindruckt«, sagte Honor. Nun begriff sie, weshalb Trondheim so interessiert an ihr gewesen war. »Und ich bin geehrt, dass unser Gefecht Ihnen so viel Zeit und Mühe wert ist. Ich würde die Artikel sehr gern lesen, vorausgesetzt natürlich, sie sind nicht geheim.«
»Ich fühle mich geehrt, Captain«, sagte Trondheim. »Darf ich Ihnen vor Ihrem Aufbruch Sonderdrucke überreichen?« Er blickte seinen Kommandanten an. »Und ich sollte darauf hinweisen, dass ich noch wenigstens einen weiteren Artikel zu dem Thema plane.«
»Seien Sie also gewarnt, dass alle Fragen des Herrn Fregattenkapitäns während des Essens tiefere Beweggründe besitzen«, sagte Grubner lächelnd.
Dann wurde er ernst. »Doch nun zum Geschäft. Bitte sehr, Captain Harrington, Sie haben das Wort.«
Honor trank aus ihrem Glas und beobachtete dabei Grubners Gesicht. Der Wein war ausgezeichnet, ein alter Gryphoner, der zu ihren Lieblingssorten gehörte, und damit, dass man ihn hier in Grubners Arbeitszimmer ausschenkte, erklärten die beiden andermanischen Offiziere völlig klar und unverhohlen, dass sie erheblich mehr über Honor wussten als umgekehrt.
Solche Offenheit, beschloss sie, verdiente eine genauso unumwundene Erwiderung. »Wir haben Grund zu der Annahme, Herr Kapitän«, sagte sie, »dass ein andermanisches Kriegsschiff im Hoheitsraum der Silesianischen Konföderation manticoranische Handelsschiffe überfallen hat.«
Die Kaiserliche Weltraumflotte der Komplizenschaft bei Piraterie zu bezichtigen hätte normalerweise Empörung oder eisige Zurückweisung hervorgerufen. Dass weder Grubner noch Trondheim auch nur eine Regung zeigten, sprach Bände.
»Tatsächlich«, erwiderte Grubner gelassen. »Und was führt Sie zu dieser Schlussfolgerung?«
»Wir verfügen über Emissionssignaturen von zwo getrennten Zwischenfällen, die eindeutig auf ein andermanisches Baumuster hindeuten«, erklärte Honor. »Aus dem beobachteten Beschleunigungswert des Schiffes schließen wir, dass es sich um ein Kriegsschiff gehandelt hat.«
Grubner schürzte die Lippen. »Doch eine visuelle Bestätigung der Identität des Angreifers fehlt Ihnen?«
»Richtig«, gab Honor zu. »Unsere Experten halten aber jeden Irrtum für ausgeschlossen.«
»Ich verstehe«, sagte Grubner. »Und aus welchem Grund greift das Kaiserreich Ihrer Ansicht nach manticoranische Kauffahrteischiffe an?«
»Es werden zwo Theorien diskutiert«, antwortete Honor. »Zum einen, dass es sich um ein abtrünniges Schiff handelt, das eine nicht genehmigte und wahrscheinlich persönliche Vendetta gegen uns austrägt.«
»Und gehen die gleichen Theoretiker davon aus, dass eine gesamte Schiffsbesatzung auf einmal den Verstand verlieren kann?«, fragte Trondheim spitz.
»Es bedarf nur der Schiffsführung, um solch eine Lage zu erzeugen«, entgegnete Honor. »Wie an Bord der Schiffe Ihrer Majestät Navy würde ich erwarten, dass auch die Besatzungen des Kaiserreichs Befehle befolgen, selbst wenn diese Befehle keinen Sinn zu ergeben scheinen.«
»Sie haben von zwo Theorien gesprochen«, sagte Grubner. »Was wäre die andere?«
Honor nahm ihren Mut zusammen. »Dass es sich in der Tat um eine offizielle andermanische Militäroperation handelt«, sagte sie. »Streng geheim, aber vom Oberkommando gebilligt.«
»Gewiss die einfachere Theorie«, sagte Trondheim gleichmütig. »Demnach müsste nur noch eine einzelne Person – der Kaiser nämlich – wahnsinnig geworden sein.«
»Mit dem Kaiser muss es nicht unbedingt etwas zu tun haben«, beeilte sich Honor klarzustellen; sie spürte, dass sich unter ihrem Kragen der Schweiß sammelte. Freiheraus zu sein war eine Sache, doch der eine oder andere Funken Diplomatie wäre nicht unangebracht gewesen. »Es könnte ein neu ernannter Reichskanzler oder Sektoroberkommandierender dahinter stecken, der beschlossen hat herauszufinden, wie das Sternenkönigreich auf eine solche Bedrohung reagiert.«
»In den höchsten Regierungsebenen hat ein Wechsel wie der, von dem sie sprechen, nicht stattgefunden«, erwiderte Trondheim. »Und kein Sektoroberbefehlshaber würde es wagen, auf eigene Faust eine solch tiefgehend abweichende Politik zu verfolgen.«
»Selbstverständlich nicht«, sagte Honor. »Ich habe es nur erwähnt –«
»Sie haben es erwähnt, um zu sehen, wie wir darauf reagieren«, sagte Grubner gelassen. »Aber sagen Sie mir eines, Captain. Bislang haben Sie nur von den Theorien anderer gesprochen. Was vermuten denn Sie?«
»Ich glaube, jemand fälscht andermanische Schiffsemissionen«, antwortete sie ihm. »Ich glaube, jemand bemüht sich sehr, uns gegeneinander auszuspielen.«
Grubners Gesicht schien sich zu verhärten, wenn auch nur ein wenig. »Wirklich«, sagte er mit bedachtsam gleichmütiger Stimme.
»Ja«, sagte Honor. Immer ganz offen, ermahnte sie sich. »Im Übrigen führe ich den Umstand, dass Sie beide weder überrascht noch empört auf meinen Vorwurf reagiert haben, darauf zurück, dass Sie über dieses geheimnisvolle Schiff bereits voll im Bilde sind.«
Grubner blickte Trondheim mit hochgezogenen Brauen an. »Ich habe Ihnen gesagt, dass sie schnell ist«, meinte der Erste Offizier.
»Allerdings«, stimmte Grubner ihm zu und blickte Honor wieder an. »Also gut, Captain. Sie waren so freundlich, Ihre Karten auf den Tisch zu legen. Wir wollen es Ihnen gleichtun. Einer unserer Leichten Kreuzer, SMS Alant, wird vermisst. Die Neu-Bayern ist in Silesia, um nach ihr zu suchen.«
»Wie ist sie verschwunden, Herr Kapitän?«, fragte Honor stirnrunzelnd.
»Auf Patrouillenfahrt vor mehreren Monaten vermisst«, antwortete Grubner. »Zunächst nahmen wir an, dass sie vernichtet worden wäre, entweder durch einen Unfall oder infolge eines Angriffs.«
Er nahm einen weiteren Schluck Wein. »Dann jedoch hörten wir immer wieder Berichte von einem Raider, der oberflächlich Silesianer zu sein scheint, unter dessen Kennung sich jedoch eine andermanische Emissionssignatur verbirgt. Offenbar ist die Alant intakt in Feindeshand gefallen.«
Honor setzte sich auf. »Woher haben Sie diese Berichte?«, fragte sie.
Grubner grinste plötzlich. »Vom manticoranischen Geheimdienst natürlich«, sagte er. »Wir besitzen zahlreiche Quellen im Sternenkönigreich.«
Honor schnürte es plötzlich die Kehle zu. »Dann kannten Sie meinen Auftrag von Anfang an?«
»Wir wissen, was man bei Ihnen denkt«, verbesserte Grubner. »Da man bei Ihnen mit Vorsicht reagiert, wollen auch wir nichts übers Knie brechen. Die Geschichte von einem abtrünnigen andermanischen Kampfschiff hätte auch eine manticoranische Desinformationskampagne sein können, mit der man uns zum ersten Schlag verleiten will.«
Er zuckte mit den Achseln. »Als Sie mich anriefen, hielt ich es für möglich, dass ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht einige dieser Unklarheiten vielleicht beseitigen könnte.«
Honor warf einen Blick auf Trondheim, doch dessen Miene gab genauso wenig preis wie das Gesicht seines Kommandanten. »Und ist es so?«
»In einem gewissen Grad gewiss«, sagte Grubner. »Natürlich bin ich wie Sie: Ich kann nicht glauben, dass Manticore so dumm sein sollte, eine Krise zwischen unseren Sternnationen heraufzubeschwören, während sich an der volksrepublikanischen Front ein Krieg zusammenbraut. Doch was Manticore nun tut oder lässt, ich bin mir jetzt sicher, dass Sie in eine etwaige geheime Verschwörung nicht verwickelt sind, zumindest nicht wissentlich. Außerdem bin ich überzeugt, dass Sie diese Angelegenheit zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen wünschen, ganz gleich, wem es an den Kragen geht.«
»An den Kragen?«, fragte Honor vorsichtig.
»Ja«, sagte Grubner. »Denn es könnte immer noch ein Geheimplan Ihrer Regierung dahinter stecken. Ihn aufzudecken könnte für Ihre Regierung sehr peinlich werden. Sind Sie bereit, dieses Risiko auf sich zu nehmen?«
Honor blickte ihm offen ins Gesicht. »Ja«, sagte sie.
»Gut.« Grubners Lächeln wurde spröde. »Denn Fregattenkapitän Trondheims allein der Ordnung halber getroffener Feststellung zum Trotze könnte es sehr wohl sein, dass die Alant tatsächlich abtrünnig geworden ist, in welchem Fall die Peinlichkeit auf unserer Seite läge. Wie auch immer jedoch, ich glaube bestimmt, dass in unser beider Interesse liegt, sie baldmöglichst aufzuspüren und sich um sie zu kümmern.«
Honors Herz klopfte schneller. Bot er ihr tatsächlich ein Gemeinschaftsunternehmen an? »Ich bin ganz Ihrer Meinung, Herr Kapitän«, sagte sie vorsichtig. »Wollen Sie vorschlagen …?«
Sie zögerte und fragte sich plötzlich, ob sie diese Frage überhaupt stellen sollte. Obwohl zwischen Sternenkönigreich und Kaiserreich offiziell Friede herrschte, begegneten sich die Regierungen stets mit einem gewissen Maß an Kühle. Ein militärisches Gemeinschaftsunternehmen, und sei es örtlich noch so begrenzt, sollte eigentlich unter Diplomaten, Ministern und einer Ansammlung von kaiserlichen und königlichen Offizieren ausgehandelt werden, die im Rang höher standen als Grubner und sie. Tatsächlich könnte man die Frage, die Honor suggerierte, sogar als eine versteckte Beleidigung der kaiserlichen Befehlskette auffassen …
»Dass wir zusammenarbeiten?«, fragte Grubner in das Schweigen. »Jawohl, genau das schlage ich vor.«
Honor bemühte sich, ein ruhiges Gesicht zu wahren. Nach Grubners trocken-amüsierter Miene zu urteilen gelang ihr das wohl nicht. »Sie wirken bestürzt«, sagte er.
»Richtig, ein wenig schon«, räumte Honor ein. »Nicht dass ich nicht dazu bereit wäre«, fügte sie rasch hinzu. »Ich bin nur … überrascht, dass Sie mir so weit trauen.«
»Bei anderen wäre ich gewiss vorsichtiger«, gab Grubner zu. »Ich hege ganz bestimmt ein gesundes Misstrauen gegenüber dem Sternenkönigreich. Aber.«
Er wies mit dem Finger auf sie. »Dieses Misstrauen beruht auf den Motiven, die ich Manticore in Bezug auf Silesia unterstelle. Die Konföderation bietet demjenigen von uns, der in dieser Region den Sieg davonträgt, ungeheure Reichtümer. Sie werden mir wohl zustimmen, wenn ich sage, dass Geldgier auch die reinsten Beweggründe sehr rasch trübt.«
»Das ist wohl richtig«, sagte Honor. »Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich Ihrer stillschweigenden Annahme zustimmen sollte, ich sei über solche Gedanken erhaben.«
»Das ist vielleicht kein menschliches Wesen wirklich«, entgegnete Trondheim. »Bei Ihnen finden wir jedoch wenigstens Hinweise dafür, dass niedere Motive keine große Rolle spielen.«
Honor runzelte die Stirn. »Was für Hinweise denn?«
»Auf Basilisk Station haben Sie sich geweigert, von Ihrer Pflicht abzurücken, obwohl Klaus Hauptmann persönlich Druck auf Sie ausübte«, sagte Grubner. »Für mich ist das das Verhalten eines Offiziers, den das Pflichtgefühl antreibt. Sie sind ein Mensch, der das tut, was ihm als das Beste für seine Nation und seine Streitkraft erscheint.«
Er musterte sie nachdenklich. »Ich finde, ich kann es rechtfertigen, einem Offizier wie Ihnen zu trauen. Besonders bei einer Aufgabe wie dieser.«
»Vielen Dank, Herr Kapitän«, sagte Honor und neigte den Kopf vor ihm, während sie kurz über die seltsamen Wendungen des Schicksals nachdachte. Als sie sich damals Hauptmann entgegenstellte, hätte sie schwören können, dass daraus nichts Gutes entstehen könne. »Wie sollen wir Ihrer Meinung nach nun weiter vorgehen?«
Grubner lächelte, während er sich zurücklehnte. »Aber nein, Captain«, tadelte er sie sanft. »Dieses Treffen haben Sie angeregt, und ich bezweifle doch sehr, dass Sie ohne einen Plan zu uns gekommen sind. Bitte: Erleuchten Sie uns.«
»Gern, Herr Kapitän«, sagte Honor und ordnete rasch ihre Gedanken. Ihr waren allerdings einige unorganisierte Ideen durch den Kopf gegangen, doch der Hauptgrund, aus dem sie an Bord der Neu-Bayern gekommen war, bestand in der Hoffnung, Informationen über den Raider austauschen zu können. Selbst in ihren wildesten Fantasien hatte sie nicht erwartet, dass Grubner ihr etwas anbieten würde, das auf eine zeitweilige Allianz zwischen dem Kaiserreich und dem Sternenkönigreich hinauslief, und sei sie noch so privat. »Bislang scheint der Raider sich ganz auf manticoranische Kauffahrteischiffe zu konzentrieren. Deshalb erscheint es vernünftig anzunehmen, dass ich es bin, die den Köder auslegen muss, wenn wir ihn fangen wollen.«
»Leuchtet mir ein«, stimmte Grubner zu. »Dieser Trick, mit dem Sie Ihren Schweren Kreuzer wie ein ziviles Schiff erscheinen lassen, sollte gewiss hilfreich sein, wenn es gilt, ihn anzulocken.«
»Dennoch ist die Konföderation sehr groß«, warf Trondheim ein, »und sehr viele mandcoranische Konvois reisen auf ihren Verkehrswegen. Wie sollen wir Ihrer Meinung nach seine Aufmerksamkeit erwecken?«
»Es wäre wahrscheinlich am besten, einen Konvoi zu finden, der ihm besonders verlockend erscheint«, sagte Honor. »Ich hätte die eine oder andere Idee, wie man das bewerkstelligen könnte.«
Sie blickte Grubner an. »Fregattenkapitän Trondheim hat aber nicht Unrecht: Es könnte einige Zeit dauern, und bis dahin können Sie nicht so viel Raum abdecken, als wenn Sie auf eigene Faust suchen würden.«
Grubner winkte ab. »Vor Ihrer Ankunft sind wir drei Wochen lang durchs Zoraster-System getrieben, ohne etwas vorweisen zu können«, entgegnete er. »Es kann wohl kaum weniger effizient sein, wenn wir zur Abwechslung einen Geleitzug auf seinem Weg beschatten.«
»Obwohl Sie gewiss keine Beschattung im eigentlichen Sinn des Wortes meinen, Herr Kapitän«, warnte Trondheim. »Ich bezweifle, ob wir unsere Impeller so weit zurückfahren und unsere Emissionssignatur genügend verändern können, um als manticoranischer Frachter durchzugehen.«
»Jedenfalls nicht so lange, bis wir einen Angreifer in eine hoffnungslose Lage gebracht haben«, stimmte Grubner zu und sah Honor fragend an. »Haben Sie diesbezüglich einen Vorschlag, Captain Harrington?«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung: uns einfach zu verfolgen würde nicht verfangen«, sagte Honor. »Ich hätte allerdings eine andere Idee, die Ihnen jedoch ein gewisses Maß an ausgefallenen Manövern abverlangen würde.«
Grubner lächelte breit. »Einen guten Rat hätte ich für Sie, Captain Harrington: Fordern Sie niemals einen Offizier der Kaiserlichen Weltraumflotte heraus, wenn es Ihnen nicht ernst ist.«
Er setzte sein Weinglas auf das Tischchen und beugte sich erwartungsvoll vor. »Also bitte, lassen Sie hören.«
Venizelos und Wallace erwarteten sie, als sie sich aus der Röhre auf die Hangargalerie der Fearless schwang. »Willkommen an Bord, Captain«, sagte der Erste Offizier, und sein beiläufiger Ton verbarg nicht ganz die Erleichterung, sie unversehrt wiederzusehen. »Wie war Ihr Dinner?«
»Ausgezeichnet, Mr Venizelos«, sagte sie, während sie aus dem Augenwinkel Wallace beobachtete. An seinen leicht zusammengepressten Lippen erkannte sie, dass er ihr noch immer verübelte, ihn an Bord zurückgelassen zu haben. »Auch wenn ich das Gefühl hatte, sie würden sich schon aus Prinzip überschlagen, um Besucher zu beeindrucken, die keine Andermaner sind.«
»Und Ihre Besprechung, Ma'am?«, fragte Wallace mit nur ganz leicht hörbarer Anspannung.
»Produktiv«, entgegnete Honor. »Gehen wir in mein Arbeitszimmer. Wir haben einiges zu bereden.«
Niemand sagte ein Wort, bevor sie angekommen waren und um ihren Schreibtisch saßen. »Also gut«, sagte sie, während sie Nimitz streichelte, der auf ihrem Schoß lag. »Zunächst einmal müssen wir einander vorstellen. Umfassend vorstellen.«
»Captain«, warnte Wallace. Sein Tonfall sollte sie daran erinnern, dass Admiral Trent über jeden Zweifel erhaben deutlich gemacht hatte, seine Identität habe vor jedem einzelnen Mitglied ihrer Besatzung ein weltraumschwarzes Geheimnis zu bleiben, den Ersten Offizier eingeschlossen.
Um sich dieses Umstandes gewahr zu sein, benötigte Honor keine Gedächtnisstütze. Leider ließ es sich angesichts der gegebenen Lage …
»Meinen Sie damit Commander Wallaces Zugehörigkeit zum Nachrichtendienst?«, fragte Venizelos gelassen. »Und nein, sie hat es mir nicht gesagt«, fügte er hinzu, als Wallaces Augen aufblitzten. »Das war gar nicht nötig.«
»Beeindruckend«, knurrte Wallace. »Wie viele von Ihnen wissen Bescheid?«
Venizelos zuckte mit den Achseln. »Ich habe mit niemandem darüber gesprochen, aber wahrscheinlich außer mir höchstens ein, zwo andere. Naturgemäß spricht sich so etwas nicht herum.«
»Naturgemäß«, wiederholte Wallace ironisch, im Tonfall eines Mannes, der sich widerwillig mit dem Unausweichlichen abfindet. »Wenn der Vorrede nun genüge getan ist, Captain …?«
Honor schilderte ihr Gespräch mit Grubner und Trondheim. »Interessant«, sagte Venizelos, als sie fertig war. »Glauben Sie, dass es ihnen ernst ist?«
»Mir kam es gewiss so vor«, entgegnete Honor. »Davon abgesehen fällt mir kein guter Grund ein, weshalb sie mich derart täuschen sollten.«
»Es sei denn, dieser Raider ist tatsächlich ein offizieller kaiserlicher Versuchsballon«, erwiderte Wallace in säuerlichem Ton. »In diesem Fall wäre es sehr nützlich, dass uns ihr Dementi vorliegt, sollte es irgendwann nötig sein, bei dieser Operation den Stecker zu ziehen.«
»Nur dass ich bezweifle, ob ein Schlachtkreuzerkommandant in der Hierarchie weit genug oben steht, um in Intrigen auf solch hoher Ebene eingeweiht zu sein«, entgegnete Honor.
»Doch wenn man ihm einfach die offizielle Geschichte erzählt hat …« Wallace verstummte und nickte. »Ach ja, natürlich. Wenn er nur die offizielle Geschichte kennt, gibt es für ihn keinen Grund, irgendwelche Entschuldigungen vorzubereiten, auf die man zurückgreifen kann.«
»Und gewiss nicht gegenüber einer manticoranischen Kommandantin, die ihm zufällig über den Weg gelaufen ist«, sagte Honor. »Mich bestärkt das in meiner Ansicht, seinem Wort vertrauen zu können.«
»Wenigstens solange es aussieht, als könnte er dadurch gewinnen, dass er sich an uns hält«, sagte Venizelos.
»Für uns umso mehr Anreiz, diesen Raider so bald wie möglich auszuschalten«, erwiderte Honor. »Und daher müssen wir den richtigen Köder aussuchen.« Sie wandte sich Wallace zu. »Damit sind Sie an der Reihe, Commander.«
Wallace wirkte erstaunt. »Inwiefern an der Reihe?«, fragte er vorsichtig. »Meinen Sie damit, ich soll den Köder finden?«
»Sie sind der Mann vom ONI«, erinnerte Venizelos ihn. »Was bevorzugen falsche andermanische Schiffe zum Mittagessen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Wallace. »Wir wissen schließlich nur von zwo Sichtungen.«
»Beide an manövrierunfähigen Frachtern«, erinnerte ihn Honor. »Warum fangen wir nicht mit dem an, was die Handelsschiffe geladen hatten?«
Wallace presste kurz die Lippen zusammen. »Das weiß ich nicht.«
Honor und Venizelos tauschten einen Blick. »Ich dachte, Sie gehörten zum Team«, sagte Venizelos.
»Ich gehörte zu dem Team, das Kennung und Emissionssignatur des Angreifers ausgewertet hat«, räumte Wallace ein. »Mit den Frachtschiffen hat sich ein anderes Team beschäftigt.«
»Und Sie reden nicht miteinander, oder was?«
Wallaces Lippe zuckte. »Unser Bericht wurde augenblicklich für geheim erklärt«, sagte er. »Darum kann er ohne Genehmigung eines Außenstellenleiters von niemandem unterhalb eines Außenstellenleiters eingesehen werden. Wenn der Bericht des anderen Teams ebenfalls geheim ist …« Er zuckte die Schultern. »Wie auch immer, ich habe von diesem Aspekt der Untersuchung nichts gehört.«
»Na, wunderbar«, brummte Venizelos und schüttelte voll Abscheu den Kopf.
»Das ist Standardverfahrensweise«, erinnerte ihn Honor, die sich ihre eigene Verärgerung verbiss. »Das System existiert aus gutem Grund, überlegen wird uns also lieber, wie wir damit arbeiten. Wo ist denn die nächste Außenstelle, Mr Wallace? Im Posnan-System?«
»Nein, die wurde geschlossen. Der nächste Posten ist im Silesia-System.«
Honor blickte Venizelos an. »Besteht die Möglichkeit, von Tylers Stern aus einen Abstecher dorthin zu machen?«
Venizelos schüttelte den Kopf. »Dann könnten wir unseren Zeitplan nicht einhalten«, sagte er. »Unser nächster Geleitzug sollte sich bereits gesammelt haben. Uns bleiben nur zwo Tage; danach geht es weiter nach Walther und Telmach, und dann besteht erst recht keine Gelegenheit, das Silesia-System anzulaufen.«
Honor nickte; sie war schon selbst zu mehr oder minder dem gleichen Schluss gekommen. »Wo ist nach Telmach Ihre nächste Außenstelle?«, fragte sie Wallace.
»Tatsächlich …« Er zögerte. »Im Augenblick müsste es sogar im Telmach-System gehen.«
»Ich wusste nicht, dass wir da eine Außenstelle unterhalten«, sagte Venizelos stirnrunzelnd.
»Das ist richtig«, sagte Wallace. »Wir hätten in dem System aber die Provisioner, die dort ›ein Geschäft eröffnet‹.«
Honor tauschte einen erstaunten Blick mit Venizelos. Die Provisioner war ein Depotschiff, eine Art hyperraumtüchtiges Füllhorn für Schiffe der Royal Manticoran Navy, die fernab der Heimat operierten. »Ich dachte, die Provisioner wäre am Gregor-Terminus stationiert.«
»Das war sie auch«, sagte Wallace. »Sie in die Konföderation zu schicken ist eine Art Experiment. Wir hoffen, dass wir unsere Konvois effizienter schützen können, wenn unsere Geleitschiffe nicht mehr bis Manticore zurückkehren müssen, um Verbrauchsgüter und Ersatzteile aufzunehmen, sondern sie in der Konföderation erhalten.«
»Klingt vernünftig«, sagte Venizelos. »Und Sie sagen, an Bord ist ein Außenposten des ONI?«
»Keine Außenstelle an sich«, entgegnete Wallace, »aber ein höherer Stabsoffizier, der mit aktuellen Berichten dieser Art versorgt sein müsste.«
»Das entscheidende Wörtchen ist wohl ›müsste‹?«
»Er wird die Berichte empfangen haben«, verbesserte Wallace sich gereizt. »Wenn Sie warten können, bis wir dort eintreffen, erhalten wir hoffentlich die Daten der Handelsschiffe und können anfangen, uns zu überlegen, auf welche Art Fracht unser Raider es abgesehen hat.«
»Mir genügt es«, sagte Honor und stellte eine Verbindung zur Brücke her.
DuMornes Gesicht erschien auf dem Combildschirm. »Jawohl, Ma'am?«
»Ist die Neu-Bayern noch in Richtstrahlreichweite?«
DuMorne blickte auf eine Anzeige außerhalb des Erfassers. »Jawohl, Ma'am, gerade so eben noch.«
»Gut«, sagte Honor. »Joyce soll die Verbindung herstellen, während ich ein Signal aufnehme. Und hängen Sie unseren Zeitplan als Anlage an.«
»Jawohl, Ma'am.«
Honor trennte die Verbindung. »Und danach«, wandte sie sich an Venizelos und Wallace, »freue ich mich auf Ihren Rapport über unsere kleine spontane Frachtinspektion.«
»Wir sind in Position, Sir«, meldete der Rudergänger der Vanguard. »Stabile Umlaufbahn erreicht.«
»Impeller auf Bereitschaft«, befahl Dominick. »Vorbereiten auf Schleichfahrt.«
»Jawohl, Sir.«
Die Brückencrew begann die mittlerweile vertraute Checkliste abzuarbeiten, und auf seinem unauffälligen Sitz neben der Station des Taktischen Offiziers gestattete sich Charles ein mildes Lächeln.
Er lächelte aus Selbstzufriedenheit, achtete aber sehr darauf, sich davon nichts anmerken zu lassen. Eines stand fest: Dominick hatte angebissen und hing am Haken wie der Preisbarsch an einer auf tausend Kilogramm Zugkraft geprüften Angelschnur. Und wenn der Commodore am Haken hing, dann die Volksrepublik ebenfalls.
Charles brauchte die Leine nun nur noch einzuholen, die Beute ganz langsam heranzuziehen und zu hoffen, dass Dominick nicht doch noch Lunte roch, bevor das Geschäft abgewickelt war.
Das Lächeln verschwand. Nein, Dominick würde nichts merken. Dominick war völlig unter seiner Kontrolle, geblendet von seinen Erfolgen und der Beute von den manticoranischen Frachtern, die er mit seinem neuen Spielzeug unter dem Absatz zermalmt hatte. Wenn Charles es wünschte, wäre Dominick ihm ohne zu zögern in die Hölle gefolgt. Nein besser, der Commodore wäre in der festen Überzeugung vorgestürmt, sich Richtung und Ziel selbst ausgesucht zu haben.
Natürlich hatte Charles keineswegs die Absicht, ihn oder die Vanguard auch nur in die Nähe irgendeines Punktes zu bringen, an dem es heiß wurde. Im Gegenteil, er beabsichtigte, mit dem Schiff keinerlei Risiko einzugehen. Nicht nur, weil seine eigene kostbare Haut an Bord war: Wenn die Haveniten zu rasch begriffen, was wirklich vorging, wäre seine Haut nicht mehr besonders viel wert.
Und da lag der Hase im Pfeffer: Während Charles den guten Commodore Dominick ganz sicher in der Tasche hatte, sah es bei Captain Vaccares völlig anders aus. Vaccares wartete nur auf den Vorstoß in die Hölle – er wollte den Crippler genau der Feuertaufe unterziehen, die Charles auf keinen Fall zulassen durfte.
In dieser Hinsicht musste etwas unternommen werden. Etwas, womit Charles auf keinen Fall das Boot ins Schwanken brachte, das er in den vergangenen Monaten so behutsam auf dem möglicherweise trügerischen Kanal manövriert hatte, der zum Erfolg führte.
»Charles?«
Charles richtete seine Aufmerksamkeit und sein Lächeln auf Dominick. »Ja bitte, Commodore?«
»Wenn sie im Zeitplan liegen, bleiben uns vier Tage bis zur Ankunft der Harlequin«, sagte Dominick. »Während wir warten, wird die Crew noch einige Simulationen ausführen.«
»Ausgezeichnete Idee«, lobte Charles. »Wie kann ich Ihnen helfen?«