|58|Anke ließ sich in ihrem Zimmer aufs Bett fallen und schleuderte die Schuhe von sich. Der klopfende Schmerz in ihrer Ferse wurde immer schlimmer. Das kommt davon, wenn man sich billige Schuhe kauft und die sofort ohne Strümpfe anzieht. Aber ihre bequemen Treter gingen einfach nicht mehr, zumindest nicht in diesem Hotel. Sie brauchte unbedingt ein Pflaster, sonst könnte sie die kommenden Tage barfuß herumlaufen.
Vorsichtig trat sie auf und humpelte zum Kleiderschrank, um in ihrer Reisetasche nach Pflastern zu suchen. Vergeblich. Sie musterte stattdessen ihre mitgebrachte Kleidung und fand alles blöd. Sie hatte eine helle Hose mit, zwei T-Shirts – es waren zumindest ihre besten –, einen Blazer und eine Strickjacke. Das war’s. Und Doris und Katja waren schon vorhin besser angezogen, als Anke es jemals mit dieser Auswahl hinbekommen könnte. Am liebsten würde sie sofort wieder abreisen.
Sie hätte auf ihr Bauchgefühl hören und bei der Absage bleiben sollen. Stattdessen hatte sie sich von Katja überreden lassen.
»Anke, komm, Doris wünscht sich das. Sie will uns unbedingt einladen und was hast du gegen ein bezahltes Wochenende einzuwenden?«
»Aber wir feiern doch diesen Geburtstag sowieso. Was |59|soll denn überhaupt diese Geheimniskrämerei? Das ist doch kindisch.«
Katja lachte nur. »Torsten will eine Überraschungsparty, also alles geheim, und Doris hat keine Lust mit Familie reinzufeiern, also auch geheim, damit niemand weiß, wo sie ist. Und wir beide sind immer dabei, alles wunderbar. Der Rest ist mir völlig egal. Pack dein Badezeug und den Rest ein und sag zu.«
Ihr Badeanzug! Anke hatte ihn zwar eingepackt, aber keinen Gedanken daran verschwendet, dass dieses Teil ja schon uralt war. Er war mal rot gewesen, mittlerweile war er höchstens noch verwaschen pink, und es hätte nur noch gefehlt, dass die Frei- und Fahrtenschwimmabzeichen daraufgenäht waren. Anke beschloss, den Anzug zu verleugnen. Zum Frühschwimmen in Hamburg reichte er gerade noch, in diesem Hotel aber würde sie garantiert niemand darin sehen. Dann hatte sie eben ihr Badezeug vergessen, das konnte ja mal vorkommen.
Im Badezimmer durchsuchte sie ihre Kulturtasche auf der Jagd nach dem Pflaster. Das Einzige, was sie neben ihrem Waschzeug fand, waren Kopfschmerztabletten und Nasentropfen. Vor dem Badezimmerspiegel griff sie zu ihrer Bürste und flocht die grauen Haare schließlich zu einem Zopf. Dann wusch sie sich die Hände, musterte sich abschließend und ließ die Schultern sinken. Sie war eben nicht Katja Severin oder Doris Goldstein-Wagner, sie konnte nicht jeden Monat zum Friseur gehen, und sie benutzte nun mal keine Kosmetik außer Gesichtscreme und Wimperntusche. Sie war, wie sie war, und wenn es den beiden anderen nicht passte, hatten sie eben Pech gehabt. Jetzt würde sie jedenfalls |60|in die Hotellobby gehen und gucken, ob man irgendwo in diesem vornehmen Haus eine ganz normale Packung Pflaster kaufen könnte.
Am Ende des Flurs war der gläserne Fahrstuhl, daneben der Eingang zum Treppenhaus. Noch bevor Anke ihn erreicht hatte, öffnete sich eine Zimmertür am Ende des Ganges. Eine Frau trat aus dem Zimmer, ließ die Tür hinter sich zufallen und ging ebenfalls auf den Fahrstuhl zu. Anke verzögerte ihre Schritte, kniff die Augen zusammen und blieb stehen. Die Frau sah aus wie jemand, den sie kannte. Oder vielmehr, gut gekannt hatte. Das konnte doch nicht wahr sein. Anke stand jetzt neben einer Glastür, die in ein Treppenhaus führte. Wieso hatte sie vorhin diese offene Treppe benutzt, wenn es doch eine andere gab? In diesem Moment drehte sich die Frau zur Seite. Anke sah ihr Profil und zuckte zusammen. Sie war es. Monika Bernd. Ohne zu überlegen, öffnete sie die Tür und floh auf die Treppe. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss. Anke lehnte sich gegen die Wand und atmete tief durch.
Sie waren Nachbarn gewesen, Monika und Peter, Anke und Kai. Manchmal hatten sie im Sommer zusammen im Hinterhof gegrillt. Anke mochte Monika nicht besonders. Sie war neugierig, indiskret und so furchtbar zufrieden mit ihrem kleinen Leben. Alles, was sie machte, war richtig. Anke ging diese Art auf die Nerven. Dafür mochte sie den Mann, Peter, der mit Kai regelmäßig Tennis spielte und mit Anke joggen ging. Ein netter Kerl, aber gestraft mit diesem Weib.
Seit sie nicht mehr dort wohnte, hatte sie mit Peter ein paarmal telefoniert. Monika hatte sie nie mehr gesehen. Und ausgerechnet heute und hier musste das passieren. Es war nicht zu glauben.
|61|Anscheinend hatte Monika sie nicht gesehen, sonst wäre sie ihr doch sofort hinterhergeschossen. Anke zählte bis zehn, dann ging sie die Stufen nach unten. Als sie die Tür öffnen wollte, stellte sie fest, dass sich der Knauf nicht drehen ließ. Sie rüttelte an der Tür, zog, drehte und begriff endlich, dass man sie nicht von innen öffnen konnte. Irritiert ließ sie ihre Hand wieder sinken und sah sich im Treppenhaus um. Das war doch wohl ein Witz. Mit schnellen Schritten lief sie wieder nach oben. Dasselbe. Keine Tür ging auf. Sie fühlte einen kleinen Anflug von Panik, versuchte aber schnell, sich selbst zu beruhigen. Sie war in einem Sternehotel, es konnte nicht sein, dass sie in einem Treppenhaus verloren ginge. Mittlerweile war sie so oft hoch- und runtergelaufen, dass sie überhaupt nicht mehr wusste, in welchem Stockwerk sie sich befand. Aber eins war überall gleich: Die Glastüren ließen sich von innen nicht öffnen. Außerdem war der Boden staubig, Ankes schwarze Schuhe waren schon von einer hellgrauen Schicht überzogen, ihr war warm, sie hatte Durst und keine Ahnung, was sie hier tat. Wütend trat sie gegen die Tür, dann noch einmal, dann schlug sie mit der flachen Hand dagegen. Und erschrak, als plötzlich eine Zimmertür im Gang hinter dem Glas aufging. Ein Mann trat heraus und Anke stöhnte auf. Es war der arrogante Typ aus dem Zug, der sie erstaunt ansah. Mit wenigen Schritten kam er auf sie zu, öffnete ihr und sagte: »Bei der nächsten Tür, die Sie selbst nicht aufkriegen, geben Sie aber einen aus.«
Es war Anke egal, dass er sie für blöd hielt, sie wollte bloß raus aus diesem Treppenhaus. »Diese Scheißtüren gehen nicht auf. Da ist nur ein Knopf von innen, der sich nicht bewegen lässt, das ist doch wohl das Letzte.«
Der Mann hustete kurz, dann sagte er ruhig: »Das ist eine |62|Fluchttreppe, nur die Tür ganz nach draußen, also unten, lässt sich von innen öffnen. Was wollten Sie denn da?«
Er war attraktiv, groß, schlank, glatt rasiert, die dunklen Haare mit Grau durchzogen, und er sah gönnerhaft auf sie herab. Anke fühlte, dass sie rot wurde und strich schnell eine Strähne aus dem Gesicht. »Dann muss man das auch so kennzeichnen. Ich dachte, es wäre das normale Treppenhaus zur Rezeption. Na ja, schönen Tag noch.«
Sie rauschte mit zusammengepressten Lippen an ihm vorbei, sein Grinsen bemerkte sie noch. Eingebildeter Sack. Und viel zu gut aussehend.
Als sie endlich in der Hotellobby angekommen war, merkte sie, dass ihre Ferse kaum noch schmerzte.
Katja sprühte abschließend Parfüm über sich, griff nach ihrer Tasche und machte sich auf den Weg ins Restaurant. Als sie aus dem Fahrstuhl stieg, sah sie als Erstes Anke. Sie stand vor dem kleinen Laden neben der Rezeption und starrte ins Schaufenster. Anke hatte eine Körperspannung wie ein Wattebausch. Die Schultern hingen, die Hüften waren schief, das Kinn zeigte zur Brust. Umgezogen hatte sie sich auch nicht, dafür waren ihre Schuhe jetzt schmutzig. Katja trat neben sie, ohne dass Anke es merkte.
»Brust raus, Kinn hoch.«
»Katja!« Anke hatte vor lauter Schreck einen kleinen Satz gemacht. »Bist du verrückt? Wieso schleichst du dich so an?«
»Wir wollen doch essen.« Unbekümmert sah sie ins Schaufenster und musterte die ausgestellte Bademode, Tücher und T-Shirts. »Was guckst du dir an? Hast du zu wenig Klamotten eingepackt?«
|63|›Die falschen‹, dachte Anke und antwortete: »Nein, ich brauche Pflaster. Oder hast du welche dabei?«
»Wofür?« Katja trat einen Schritt zurück, um Anke von oben bis unten zu betrachten. »Vorm Essen schon die ersten Verletzungen?«
»Quatsch.« Anke deutete auf ihre Schuhe und zuckte zusammen, als sie die Staubschicht sah. »Oh, ach nein. Dieses verdammte … ach egal.«
»Du könntest es mit Schuhcreme versuchen. Geht besser als Pflaster.« Katja grinste. »Oder?«
Anke funkelte sie wütend an. »Ich habe eine Blase an der Ferse. Und die Schuhe sind im Treppenhaus so schmutzig geworden. Ich war aus Versehen im falschen, aus dem man aber nicht mehr rauskommt. Es sei denn, irgendein arroganter Typ öffnet dir die Tür.«
»Du bist über die Fluchttreppe gekommen?« Katja warf den Kopf in den Nacken und lachte laut.
Anke griff nach ihrem Arm und zog sie zur Seite. »Brüll doch noch lauter. Das ist wirklich nicht komisch. Hast du eine Ahnung, wo ich hier Pflaster bekomme?«
Katja befreite sich aus ihrem Griff und wischte sich über die Augen. »Die Fluchttreppe. Ach, Anke. Ich habe Pflaster, sogar richtiges Blasenpflaster. Und Schuhcreme auch. Nun mach nicht so ein Gesicht. Es gibt wirklich Schlimmeres.«
»Du hast doch keine Ahnung. Ich bin wie ein Trottel durch dieses Treppenhaus geirrt, nur weil nirgendwo ein Schild war. Woher soll ich das denn wissen? Und dann steht dieser Mann vor mir und ich bin staubig und verschwitzt.«
Anke fragte sich selbst sofort, wieso sie das gesagt hatte. Katja blickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Aha. Und? Was war das für ein Typ?«
|64|»Vergiss es.« Mit einer unwirschen Handbewegung winkte Anke ab. »Komm, Doris sitzt bestimmt schon im Restaurant und wartet.«
Überraschenderweise war Doris noch nicht da. Katja fragte nach dem reservierten Tisch, der Kellner geleitete sie zu ihrem Platz im Wintergarten.
»Bestens«, sagte sie und setzte sich. »Der schönste Tisch im Lokal, da hat die Goldstein-Wagner ja eine Hand für.«
Anke saß schon und sah sich um. »Wenn man genug Trinkgeld gibt, kriegt man alles. Damit kennt Doris sich doch bestimmt aus.«
»Was hast du bloß immer mit Doris’ Geld?« Katja blickte Anke kopfschüttelnd an. »Sie war auch früher schon großzügig, hast du das vergessen? Damals hast du nie solche Kommentare abgegeben. Was ist übrigens mit deiner Ferse? Brauchst du jetzt das Pflaster?«
»Nein, es geht, wenn ich sitze. Vielleicht später.« Anke nahm sich vor, zu entspannen. Auch wenn es ihr auf den Geist ging, dass Frauen wie Doris und Katja mit ihrem Geld so viel hinbekamen. Und sie selber … Sie stoppte diesen Gedanken und entdeckte Doris am Eingang. »Da kommt sie schon. Wink mal.«
Katja hob tatsächlich den Arm und Doris steuerte lächelnd auf den Tisch zu.
»Das glaube ich jetzt nicht. Ich war doch immer die Erste und viel früher da als ihr. Aber ich habe einen Moment lang die Augen zugemacht und dann war es …«
»Doris.« Katja unterbrach sie und deutete auf den Stuhl. »Es ist eine Minute nach. Bleib locker. Wir haben noch nicht einmal Getränke bestellt.«
|65|Doris ließ sich erleichtert fallen, griff zur Speisekarte und fächelte sich damit Luft zu. »Ich bin so gerannt«, sagte sie entschuldigend, »und jetzt ist mir ziemlich warm. Was trinken wir denn? Erst mal einen Aperitif?«
Der Kellner stand sofort am Tisch. »Meine Damen? Was kann ich Ihnen denn bringen?«
»Ein großes Wasser.« Katja antwortete sofort. »Und einen Prosecco mit Holunderblüte. Doris? Anke?«
Doris bestellte das Gleiche, Anke wollte keinen Aperitif. »Das ist doch wohl ein Witz. Neun Euro für ein kleines Glas.« Sie hatte es zum Glück erst gesagt, als der Kellner außer Hörweite war.
»Anke, bitte.« Katja sah sie gequält an. »Du bist eine echte Spaßbremse.«
»Mädels!« Irritiert hatte Doris zwischen beiden hin- und hergeschaut. »Ich möchte keine schlechte Stimmung. Anke, komm, ich bestelle dir einen.«
»Nein, ich bekomme Sodbrennen von Prosecco. Aber gut, ich trinke gleich einen Rotwein.«
»Sodbrennen?« Doris verkniff sich ein Grinsen. »Das ist doch auch so eine Alterserscheinung, oder? Ich kann in der letzten Zeit überhaupt kein rohes Gemüse mehr vertragen.« Sie wischte sich mit beiden Zeigefingern über die Schläfen, dann mit einer Hand über die Stirn. »Meine Güte, ist das heiß hier. Habt ihr das noch gar nicht? Bei mir wird es immer schlimmer. Ich finde Altwerden grausam.«
Die Getränke kamen. Doris hörte auf zu reden und fächelte sich stattdessen wieder Luft zu, bis Katja ihr die Karte aus der Hand nahm.
»Wisst ihr schon, was ihr essen wollt?« Sie vertiefte sich in die Seiten.
|66|Nachdem sie das Essen bestellt hatten, griff Doris zu ihrer Serviette und fächelte weiter. »Wo waren wir stehen geblieben?« Sie sah Katja und Anke fragend an. Anke überlegte kurz, dann antwortete sie: »Bei Sodbrennen?«
»Nein.« Doris ließ die Serviette sinken. »Beim Altwerden. Und beim Schwitzen. Wie ist es denn bei euch.«
»Oh, bitte.« Übertrieben theatralisch ließ Katja sich nach vorn sinken. »Das ist jetzt nicht dein Ernst, Doris, dass wir drei hier ein Wochenende verbringen und übers Altwerden reden? Das kannst du nicht wirklich wollen. Wir wollen es uns schön machen und wir sind noch nicht alt, Herrgott! Du redest da von einem Problem, obwohl es überhaupt noch keines gibt. Ich kriege übrigens Sodbrennen von Paprika, und zwar schon seit ungefähr zwanzig Jahren. Und ihr glaubt es nicht, ich kann damit leben.«
Anke legte kurz ihre Hand auf Katjas und antwortete süffisant: »So kennen wir dich, Katja Severin, du hast immer schon jedes Problem weggetanzt. Und …«
»Es hat auch nicht geschadet«, unterbrach Katja sie. »Ich beschäftige mich dann mit Dingen, wenn sie akut werden oder mich wirklich stören. Aber nicht vorher. Man kann sich alle möglichen Sachen einbilden, man kann sie aber auch ignorieren.«
»Ich kann doch nicht ignorieren, dass ich dauernd diese blöden Hitzewellen kriege. Es ist furchtbar.«
»Bei Hitze ist dir wenigstens nicht kalt.« Katja sprach diesen Satz wie einen Trinkspruch und hob auch entsprechend ihr Glas. »Und wenn es dich stört, dann nimm Hormone.«
Doris sah sie mit großen Augen an. »Machst du das? Aber es gibt doch so viele Untersuchungen darüber und ich …«
»Also eins weiß ich genau.« Katja schwenkte ihr Glas in |67|Richtung Doris. »Wenn ich nur einmal ohne Grund Schweißperlen bei mir auf der Oberlippe feststelle, sitze ich eine halbe Stunde später bei meiner Frauenärztin und lasse mich beraten. Aber ich werde nicht herumjammern. Und schon gar nicht schwitzen. Nebenwirkungen hat dieser Prosecco übrigens auch. Trotzdem, ihr beiden, Prost!«
Anke drehte sich nach dem Kellner um, in der Hoffnung, dass er ihren Rotwein endlich bringen würde, und als sie ihren Blick durch den Raum wandern ließ, entdeckte sie plötzlich den Mann von vorhin. Er hatte sie ebenfalls gesehen, lächelte und hob die Hand. Anke blickte sofort wieder nach vorn.
»Wer ist das denn?« Katja hob ihren Hintern vom Stuhl, um besser sehen zu können. Ihr entging wirklich nichts. »Ist das der Typ aus dem Treppenhaus? Sieht ja gut aus.«
»Setz dich wieder hin.« Anke funkelte Katja an, die sich sofort wieder setzte, was aber eher mit dem ankommenden Kellner zu tun hatte.
»Ein Merlot, sehr zum Wohl.«
»Danke.« Doris versuchte, an Katja und dem Kellner vorbeizusehen. »Was ist denn da? Welcher Typ aus dem Treppenhaus? Habe ich was verpasst?«
»Anke hat schon in der ersten halben Stunde jemanden aufgerissen.«
»Du redest wirklich noch denselben Blödsinn wie vor dreißig Jahren. Hör nicht hin, Doris. Man darf Severin nach wie vor nichts erzählen, sie macht aus allen Krümeln eine Geschichte.«
»Okay. Anke bekam eine Tür im Treppenhaus nicht auf und ein Gast hat sie gerettet.«
»Gerettet!« Anke schnaubte. »Er hat diese Scheißtür von außen geöffnet. Das war alles.«
|68|»Das verstehe ich nicht.« Doris sah von einer zur anderen. »Und wen hast du jetzt aufgerissen?«
»Die Tür.« Katja lachte. »Doris, vergiss es. Ich erkläre dir das ein anderes Mal. Anke, jetzt guck nicht so motzig. Ich glaube, du brauchst wirklich mal was fürs Herz. Und vielleicht auch ein bisschen Sex?«
»Katja.« Doris schnappte nach Luft. »Du gehst zu weit.«
»Ach, sei doch nicht so spießig. Wir kennen uns seit Teeniezeiten, wir haben uns doch alles erzählt. Also, Anke, wann hattest du das letzte Mal einen Mann in deinem Bett?«
»Vor drei Jahren, Kai. Zwei Tage später habe ich ihn rausgeschmissen. Punkt.«
»Und was ist mit dir, Katja? Du hast noch gar nichts erzählt.« Doris hatte ihr Glas ausgetrunken und wurde jetzt mutiger. »Wann hattest du denn zuletzt Sex?«
»Heute Morgen.« Katja griff zu ihrem Glas. »Vorm Aufstehen. Und, falls ihr es wissen wollt, sehr guten.«
»Du bist wieder liiert?« Doris gab dem Kellner ein Zeichen, Nachschub zu bringen. »Seit wann denn? Wie ist er denn? Was macht er so?«
Anke betrachtete Doris amüsiert und sagte dann ihren Ton imitierend: »Kann er dich ernähren? Ist er gepflegt?«
Doris wischte ihren Einwurf weg. »Ach, komm, du willst es doch auch wissen. Ich habe gedacht, Katja wäre seit Jahren Single mit wechselnden Liebhabern. Und jetzt …«
»Hör mal, sie hat mit keiner Silbe gesagt, dass es jetzt anders ist. Und, Katja, ist er was fürs Leben oder auch wieder nur eine Eintags- oder Dreitagsfliege?«
Zufrieden lehnte Katja sich zurück. »Weder noch. Er ist schon seit fünf Monaten da, aber fürs Leben? So weit denke ich nie. In diesem Fall noch weniger.«
|69|»Er ist verheiratet?« Doris wirkte tatsächlich entrüstet, was Anke mit gequältem Stöhnen kommentierte.
»Nein.« Katja genoss sichtlich die Pause vor der Antwort. »Er ist schön, klug, sexy, himmelt mich an und ist knappe dreißig.«
»Wow.« Anke war immer die Schnellste von ihnen gewesen. »Dann alles Gute. Ist seine Mutter jünger als du?«
»Du bist wirklich eine Giftspritze.« Katja stützte ihr Kinn auf die Faust und lächelte. »Aber ich sehe darüber hinweg. Zyniker sind in Wirklichkeit die größten Romantiker. Also schließe ich, dass du in Wirklichkeit ganz gerührt und neidisch bist, nicht wahr, Süße?«
Doris wartete Ankes Antwort gar nicht erst ab. »Aber fühlst du dich daneben nicht wahnsinnig alt? Also, ich meine nur, in unserem Alter ist doch die Haut nicht mehr so ganz glatt und überall sind Dellen und Röllchen. Ich würde immer darauf achten, wie ich sitze oder liege.«
Katja runzelte die Stirn. »Ich weiß ja nicht, wo du überall Dellen und Rollen hast, aber bei mir ist noch fast alles in Form. Du musst was dafür tun, das ist klar, aber wenn du dich gehen lässt, bist du mit dreißig schon schlaff. Eins jedenfalls ist klar: Ein junger Liebhaber hält dich jung. Du solltest dringend darüber nachdenken.«
»Ich?« Doris verschluckte sich fast. »Dafür habe ich keine Nerven. Um Himmels willen, schon die Vorstellung … Das geht doch nicht.« Sie führte ihren Gedanken nicht weiter aus, schüttelte nur den Kopf.
Anke konnte es noch nie leiden, wenn Doris moralisch wurde. »Jetzt tu doch nicht so. Das ist inzwischen gar nicht mehr so selten, dass Frauen jüngere Partner haben. Andersherum würdest du dich doch auch nicht aufregen. Wie viele |70|alte Säcke heiraten in zweiter Ehe Frauen, die ihre Töchter sein könnten? Und wenn du dich mal trauen würdest, hättest du auch keine Zeit mehr, dir dauernd Gedanken über dein Alter zu machen.«
»Ich will aber kein zweites Mal heiraten.« Doris hatte schon das nächste Glas geleert und mittlerweile eine sehr rosige Gesichtsfarbe. »Themenwechsel. Was ist jetzt mit dem Mann aus dem Treppenhaus? Ich habe das vorhin nicht richtig mitgekriegt.«
Anke betrachtete sie und dachte, dass Doris den Prosecco in derselben Geschwindigkeit in sich hineinschüttete, wie sie selbst Mineralwasser. Anscheinend trank sie nicht nur bei besonderen Gelegenheiten. »Da gab es auch nichts zum Mitkriegen. Na, endlich, da kommt das Essen.«
Kurze Zeit später legte Katja ihr Besteck bereits zusammen. Anke hob den Kopf. »Bist du schon fertig?«
»Ja.« Katja schob den Teller zurück. »Ich hatte nicht besonders viel Hunger.«
»Isst du dein Fleisch auch nicht mehr?«
»Nein.«
»Kann ich das haben?« Anke hielt ihr den Teller entgegen und ließ sich das halbe Filetsteak auflegen. »Danke.« Mit einem Blick auf Doris, die irritiert zusah, fügte sie hinzu: »Ist doch schade drum.«
Sie aß mit ganzer Konzentration, ohne sich darum zu kümmern, was um sie herum geschah. Erst als der Teller leer war, sah sie hoch.
»Ist was?«
»Dein Treppenhausflirt steht am Tresen, sieht dauernd zu uns her und freut sich über deinen guten Appetit.« Katja |71|deutete hinter sich. »Der sieht richtig gut aus, Kerner. Wenn du nicht so viel essen würdest, hättest du noch mehr Schlag bei ihm. Und du hättest auch schon lange Kontakt aufnehmen können.«
Mit der Serviette tupfte Anke ihren Mund ab und hielt dabei dem Blick von Katja stand. »Ich hatte Hunger. Und ich will keinen Kontakt. Kann ich bitte noch ein Glas Rotwein haben? Und Doris, kannst du Severin mal bitten, einfach eine halbe Stunde lang nicht über mein Liebesleben nachzudenken?«
Doris verrenkte sich fast den Hals, um einen freien Blick zum Tresen zu bekommen. »Der Mann mit dem grauen Pulli? Und der Jeans? Nicht schlecht. Aber der ist mit einer Frau hier.«
»Ich sehe keine.« Jetzt starrte auch Katja in die Richtung. »Welche denn?«
Anke wurde zunehmend nervöser. »Bitte. Katja und Doris, benehmt euch doch noch auffälliger. Der muss denken, wir reden über ihn.«
»Tun wir doch auch.« Jetzt nickte Katja ihm sogar schon zu, bevor sie Doris ansah. »Er steht aber allein da. Wo hast du denn eine Frau gesehen?«
»Vorhin. Sie kamen mir entgegen, als ich runterging. Unser Alter. Sympathisch. Schade, jetzt geht er.« Doris setzte sich wieder gerade hin. »Anke, guck nicht so genervt. Lass mal locker. Wo ist denn jetzt der Kellner? Du wolltest doch auch noch etwas trinken, oder?«
»Ja.« Anke sah die beiden an. »Und ich würde jetzt gern das Thema wechseln. Ich habe vorhin gesehen, dass es morgen früh einen Yogakurs am Strand gibt. Hat eine von euch Lust mitzukommen?«