11

Die Passkontrolle auf dem Flughafen war allem Anschein nach vorgewarnt, denn sobald Neagley ihren Reisepass zeigte, nickte der Uniformierte in seinem Glaskasten zu einem Nebenraum hinüber, in dem ein großer Dickwanst auf einem Stuhl hockte. Der Kerl stand auf, um sie zu begrüßen. Er stellte sich als Kriminaldirektor Griesmann vor. Er sagte, er kenne die Namen Reacher und Neagley aus dem Bericht eines Polizeibeamten, der sie als Touristen bezeichnet habe. Was sie aber offenbar nicht seien. Er sagte, er freue sich, sie auf jede nur mögliche Weise unterstützen zu können. Er sagte, der Zeuge warte bereits auf einem Polizeirevier. Sehr eifrig und aussagewillig. Man habe ihm erklärt, seine Aussage sei für die Sicherheit der Bundesrepublik wichtig. Damit er seine Bürgerpflicht tun konnte, war er für heute vom Dienst befreit. Griesmann sagte, weil der Kerl kein Englisch spreche, habe man einen Dolmetscher hinzugezogen. Und ja, auch in Deutschland sei es üblich, Zeugen Fotos von Verdächtigen vorzulegen.

Griesmann hatte seinen Mercedes im Halteverbot stehen. Sie stiegen ein, und er fuhr. Der Fahrersitz ächzte unter seinem Gewicht. Der Kerl war riesig. Zwei, drei Zentimeter größer als Reacher, fünfundzwanzig Kilo schwerer. Doppelt so schwer wie Neagley. Aber er war vor allem fett. Keine Gefahr für jemanden außer ihm selbst.

Reacher sagte: »Gestern am Telefon haben Sie ihn als Spinner bezeichnet.«

Griesmann erwiderte: »Natürlich nicht im Ernst. Er hat ein paar verrückte Ideen, das ist alles. Bestimmt aufgrund von rassistischen und fremdenfeindlichen Vorstellungen, die durch irrationale Ängste verstärkt werden. Aber ansonsten ist er ganz normal.«

»Würden Sie seiner Aussage vor Gericht glauben?«

»Gewiss.«

»Der Richter und die Geschworenen auch?«

»Gewiss«, wiederholte Griesmann. »Im Alltag funktioniert der Mann recht gut. Schließlich arbeitet er bei der Stadt. Genau wie ich.«

Die Polizeistation erwies sich als Hamburgs Vorzeigerevier: groß und neu und mit integriertem Labor technisch auf dem neuesten Stand. An den Wegen durch das weitläufige Gelände standen überall Wegweiser zu diesen oder jenen Abteilungen. Drinnen ging es ähnlich weiter. Ein komplexes Gebilde, das an ein städtisches Krankenhaus erinnerte. Oder an ein Hörsaalgebäude. Griesmann stellte seinen Mercedes auf einem reservierten Platz ab, und sie stiegen aus. Neagley mit ihrem Rollkoffer, Reacher mit seiner bedruckten Tragetasche. Sie folgten Griesmann in das Gebäude, bogen in seinem Kielwasser links und rechts ab und gelangten auf breiten, sauberen Korridoren zu einem Vernehmungsraum mit einem Fenster aus Drahtglas in den Türen.

Drinnen saß ein Mann an einem Tisch, auf dem eine Thermoskanne Kaffee und eine Schale mit Keksen standen, von denen er schon einige zerkrümelt hatte. Der Mann war ungefähr vierzig. Er trug einen billigen grauen Anzug, der aus Polyester zu sein schien. Graue Haare klebten mit Brillantine an seinem Schädel. Die Augen hinter der Nickelbrille waren blass. Sein Teint war blass. Das einzig Farbige an ihm schien seine Krawatte in Gelb und Orange zu sein. Sie war kurz und breit, hing wie ein Fisch unter seinem Kinn.

Bevor sie hineingingen, sagte Griesmann: »Er heißt Helmut Klopp. Kommt aus dem Osten. Ist nach der Wende wie so viele rübergekommen. Auf der Suche nach einem Job, wissen Sie.«

Reacher betrachtete den Mann nachdenklich. Vielleicht reine Zeitverschwendung, vielleicht der Retter des Universums. Griesmann betrat noch immer nicht den Raum. Stattdessen schob er seine Manschette zurück und sah auf die Uhr. Im nächsten Augenblick kam eine Frau um die Ecke und ging auf sie zu. Griesmann nickte zufrieden. Auf die Minute pünktlich.

»Unsere Dolmetscherin«, erklärte er.

Sie war eine untersetzte, stämmige Frau unbestimmbaren Alters, die so viel Haarspray benutzte, dass ihr blond gefärbtes Haar ihren Kopf wie ein Motorradhelm umgab. Sie trug ein steifes graues Kleid aus einer Art Gabardine, dicke Wollstrümpfe und klobige Schuhe, die schwer aussahen.

»Guten Morgen«, sagte sie mit melodischer Stimme, die einem Filmstar hätte gehören können.

Griesmann sagte: »Gehen wir rein?«

Reacher fragte: »In welcher Funktion ist Herr Klopp bei der Stadt angestellt?«

»Sein Job? Er ist Bereichsleiter. Im Augenblick bei der Stadtentwässerung.«

»Gefällt ihm die Arbeit?«

»Er sitzt in einem Büro, muss also nicht manuell arbeiten. Er wirkt ganz zufrieden. Seine Beurteilungen sind gut. Er gilt als sehr gewissenhaft.«

»Wieso ist seine Arbeitszeit so komisch?«

»Ist sie das?«

»Sie haben gesagt, dass er früh nachmittags Dienstschluss hat. Das klingt nach manueller Arbeit, finde ich.«

Griesmann sagte ein kompliziert klingendes deutsches Fachwort, und die Dolmetscherin erläuterte: »Zur Verbesserung der Luftqualität ist vorgeschlagen worden, den Berufsverkehr zu entzerren. Die Stadtverwaltung musste natürlich mit gutem Beispiel vorangehen. Offenbar hat die Stadtentwässerung dafür gestimmt, früh anzufangen und früh Schluss zu machen. Oder sie ist dazu verdonnert worden. Jedenfalls hat die Stadt bereits erste Erfolge gemeldet. Nach neuesten Messungen ist die Feinstaubbelastung um siebzehn Prozent gesunken.«

Aus ihrem Mund klang das wie der größte Erfolg aller Zeiten. Wie in einem Schwarz-Weiß-Film aus den Vierzigerjahren, in dem der gute Kerl sich bereit erklärt, ein Verbrechen zu begehen, nur weil sie ihn mit leicht atemloser Stimme darum bittet.

»Können wir?«, fragte Griesmann.

Helmut Klopp sah auf, als sie hereinkamen. Wie Griesmann gesagt hatte, wirkte er ganz zufrieden. Endlich stand er einmal im Mittelpunkt. Und er wollte das genießen. Vermutlich war er frustriert. Ein Ostdeutscher, der sich im Westen mit allen Ressentiments eines Zuwanderers als Underdog fühlte. Griesmann stellte ihm die Besucher vor. Klopp antwortete etwas, und die Dolmetscherin sagte: »Sie sind als Topermittler vorgestellt worden, die extra seinetwegen aus den USA angereist sind.«

Reacher fragte: »Was hat Herr Klopp geantwortet?«

»Er hat gesagt, er sei bereit, Ihnen nach Kräften zu helfen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Sprechen Sie Deutsch?«

»Vielleicht habe ich ein bisschen aufgeschnappt. Ich war schon früher hier. Ich verstehe, dass Sie nur höflich sein wollen, aber meine Sergeantin und ich haben schon schlimmere Dinge gehört, als dieser Mann sagen kann. Und Genauigkeit ist wichtiger als unsere Gefühle. Dies könnte eine sehr ernste Situation sein.«

Die Dolmetscherin sah zu Griesmann hinüber, der wortlos nickte.

Sie sagte: »Der Zeuge hat erklärt, er sei froh, dass man Weiße geschickt habe.«

»Okay«, meinte Reacher. »Sagen Sie Herrn Klopp, dass er bei laufenden Ermittlungen eine wichtige Rolle spielt. Sagen Sie ihm, dass wir ihn zu allen Aspekten gründlich befragen möchten. Sagen Sie ihm, dass uns seine Ansichten und Schlussfolgerungen wichtig sind. Aber weil wir irgendwo anfangen müssen, wollen wir uns zunächst auf Erscheinung und Verhalten der beiden Männer konzentrieren. Als Erstes möchten wir seine Personenbeschreibung mit eigenen Worten hören und ihn dann bitten, sich einige Fotos anzusehen.«

An Klopp gewandt übersetzte die Dolmetscherin das alles engagiert und präzise ins Deutsche. Klopp hörte aufmerksam zu und nickte zwischendurch ernst, als sähe er eine lange, schwierige Aufgabe vor sich, sei aber bereit, sein Bestes zu geben.

Reacher fragte: »Geht Herr Klopp oft in diese Bar?«

Die Dolmetscherin übersetzte, und Klopp antwortete ziemlich ausführlich. Die Dolmetscherin sagte: »Er geht zwei- bis dreimal pro Woche hin. Er hat zwei Stammlokale, zwischen denen er im Verlauf seiner Fünftagewoche wechselt.«

»Wie lange ist er schon Stammgast in dieser Bar?«

»Seit fast zwei Jahren.«

»Hat er den Amerikaner schon früher dort gesehen?«

Darauf entstand eine Pause. Bedenkzeit. Dann wieder die Übersetzung. »Ja, er glaubt, ihn dort vor zwei bis drei Monaten gesehen zu haben.«

»Glaubt?«

»Er ist sich ziemlich sicher. Der Gentleman, den er damals gesehen hat, hat eine Mütze getragen. Das macht es schwierig, sich hundertprozentig sicher zu sein. Er gibt zu, dass er sich irren könnte.«

»Was für eine Mütze?«

»Eine Baseballmütze.«

»Mit irgendeinem Emblem?«

»Er glaubt, dass es ein roter Stern war. Aber das war schwer zu erkennen.«

»Und es ist lange her.«

»Er erinnert sich wegen des Wetters daran.«

»Aber jedenfalls ist der Amerikaner kein Stammgast?«

»Nein, das ist er nicht.«

»Woher weiß Herr Klopp, dass er Amerikaner ist?«

Diesmal dauerte die Antwort länger. Dann übersetzte die Dolmetscherin: »Er hat Englisch gesprochen. Sein Akzent. Seine laute Stimme. Seine Kleidung. Sein Benehmen.«

»Okay«, sagte Reacher. »Nun brauchen wir eine Personenbeschreibung. Hat er den Amerikaner stehend oder sitzend gesehen.«

»Beides. Er ist reingekommen, hat allein dagesessen, hat mit dem Araber zusammengesessen, hat allein dagesessen und ist wieder gegangen.«

»Wie groß ist der Amerikaner?

»Ein Meter siebzig, fünfundsiebzig.«

»Fünf Fuß acht Zoll«, warf Griesmann ein. »Durchschnittlich groß.«

Reacher fragte: »Ist er dick oder dünn?«

Die Dolmetscherin sagte: »Weder noch.«

»Stämmig?«

»Nicht direkt.«

»Kräftig oder schwach?«

»Ziemlich kräftig.«

»Welchen Sport würde er ausüben, wenn er ein Sportler wäre?«

Klopp gab keine Antwort.

Reacher sagte: »Denken Sie dran, was das Fernsehen überträgt. Denken Sie an die Olympischen Spiele. Was wäre sein Sport?«

Klopp überlegte angestrengt, als ginge er den gesamten Sportkalender im Detail durch. Zuletzt sprach er lange auf Deutsch, wog Argumente gegeneinander ab und spekulierte über verschiedene Möglichkeiten. Die Dolmetscherin sagte: »Er tippt auf einen Mittelstreckenläufer. Vielleicht ab fünfzehnhundert Metern aufwärts. Vielleicht sogar Langstrecken bis zu zehntausend Meter. Aber er war keine unnatürlich dürre Heuschrecke wie ein Marathonläufer.«

»Eine afrikanische Heuschrecke, richtig?«

»Das hat er gesagt, ja.«

»Bitte nichts auslassen, okay?«

»Entschuldigung.«

»Der Amerikaner ist also durchschnittlich groß, eher drahtig, aber muskulös und voller Energie? Beschreibt ihn das?«

»Ja, ständig in Bewegung.«

»Wie lange war er in der Bar, bevor der Saudi-Araber aufgekreuzt ist?«

»Ungefähr fünf Minuten. Er war nur ein Mann in einer Bar. Niemand hat sich für ihn interessiert.«

»Was hat er getrunken?«

»Ein großes Bier, aber ziemlich langsam. Er hatte mehr als die Hälfte übrig, als das Treffen zu Ende war.«

»Wie lange ist er noch geblieben, als der Saudi gegangen war?«

»Ungefähr eine halbe Stunde.«

»Was hat der Saudi getrunken?«

»Nichts. Er wäre nicht bedient worden.«

»Was für Haar hat der Amerikaner?«

Als Klopp auf diese Frage nur mit den Schultern zuckte, tadelte ihn die Dolmetscherin und forderte ihn auf, sich anzustrengen. Er entschuldigte sich umständlich damit, dass er auf diesem Gebiet kein Fachmann sei. Aber dann versuchte er doch, sich an Einzelheiten zu erinnern, und holte zu längeren Ausführungen aus. Zuletzt sagte die Dolmetscherin: »Der Amerikaner ist blond, strohblond. Sein Haar ist an den Seiten normal lang, aber oben viel länger. Ein spezieller Stil. Als wollte er sie mit einer Kopfbewegung zurückwerfen können. Wie Elvis Presley.«

»Gepflegt?«

»Ja, es war sorgfältig gebürstet.«

»Haaröl oder Brillantine?«

»Nein, ganz natürlich.

»Augen?«

Das beschriebene Gesicht passte zu Haar und Körperbau des Amerikaners. Unter buschigen Augenbrauen tief in den Höhlen liegende blaue Augen, faltenfreie Stirn, hohe Wangenknochen, schmale Nase, weiße Zähne, zusammengepresste Lippen, die selten lächelten, energisches Kinn. Keine sichtbaren Narben, keine Tätowierungen. Alte Sonnenbräune, Falten um die Augen. Eher vom Zusammenkneifen als Lach- oder Sorgenfalten. Insgesamt ein stimmiges Bild mit waagrechten Akzenten: die Brauen, die Augen, die Wangenknochen, die humorlos zusammengepressten schmalen Lippen. Er war eher Anfang dreißig als Ende zwanzig.

Reacher sagte: »Bitte sagen Sie Herrn Klopp, dass wir möchten, dass er das alles dem Zeichner schildert, der ein Phantombild anfertigt.«

Die Dolmetscherin gab das weiter, und Klopp nickte.

Reacher fragte: »Was hatte der Amerikaner an?«

Klopp antwortete, und die Dolmetscherin sagte: »Tatsächlich eine Jeansjacke genau wie Ihre.«

»Exakt gleich?«

»Identisch.«

»Die Welt ist klein«, meinte Reacher. »Fragen Sie ihn jetzt bitte, wieso der Saudi erregt gewirkt hat. Aber nur eigene Beobachtungen, okay? Nur was er selbst gesehen und gehört hat. Die politischen Analysen möchte er sich für später aufheben.«

Darauf folgte eine lange Diskussion auf Deutsch, in die sich auch Griesmann einmischte, um alles genau zu klären, bevor die Dolmetscherin nach langem Hin und Her sagte: »Bei näherer Überlegung findet Herr Klopp, dass aufgeregt zutreffender wäre als erregt. Nervös und aufgeregt. Der Amerikaner hat dem Araber etwas mitgeteilt, auf das der Araber so reagiert hat.«

»Hat Herr Klopp gehört, was gesagt wurde?«

»Nein.«

»Wie lange hat dieser Teil des Gesprächs gedauert?«

»Etwa eine Minute.«

»Wie lange ist der Saudi geblieben?«

»Er ist gleich danach gegangen.«

»Und der Amerikaner ist noch eine halbe Stunde geblieben?«

»Ziemlich genau.«

»Okay«, sagte Reacher. »Jetzt soll Herr Klopp sich bitte die Fotos ansehen.«

Reacher stellte die rote Tragetasche auf den Tisch. Er erklärte: »Sagen Sie Herrn Klopp, dass wir viele Fotos mitgebracht haben. Er möchte Pausen machen, wenn er welche braucht. Bitten Sie ihn, alles zu berücksichtigen, was er uns über das Gesicht des Mannes erzählt hat, und die einzelnen Punkte jeweils in Gedanken abzuhaken. Sagen Sie ihm, dass Haar sich verändern lässt, Augen und Ohren dagegen nie. Und dass es in Ordnung ist, sich nicht immer sicher zu sein. Am besten macht er einen Stapel mit Kandidaten, die infrage kommen, und sieht ihn dann später nochmals durch. Genauigkeit geht vor Schnelligkeit.«

Neagley packte die Tasche aus. Zweihundert Karteikarten mit Passfotos. Um die Aufgabe leichter erscheinen zu lassen, formte sie daraus fünf Stapel zu vierzig Karten. Sie schob Klopp den ersten Stapel hin. Er machte sich ohne große Begeisterung, aber sichtbar effizient an die Arbeit. Wie ein typischer Bürokrat. Reacher beobachtete seine Augen. Er schien tatsächlich einen Punkt nach dem anderen abzuhaken: Augen, Nase, Wangenknochen, Mund. Bei jedem Schritt gab es ein klares Ja oder Nein. Die meisten Kandidaten schieden frühzeitig aus. Der Stapel mit Abgelehnten wuchs rasch. Breite Gesichter, runde Gesichter, dunkle Augen, breite Nase, volle Lippen … Aus dem ersten Stapel kam niemand in die engere Wahl. Nicht einmal als möglicher Kandidat.

Neagley schob Klopp den zweiten Stapel hin. Dabei blinzelte sie Reacher zu. Er nickte kaum merklich. Obenauf lag der in Hamburg lebende amerikanische Programmierer. Der Aussteiger mit der wilden Mähne. Klopp sortierte ihn sofort aus. Reacher sah, weshalb. Nur wenig hervortretende Wangenknochen und ein voller Schmollmund statt schmal zusammengepresste Lippen.

Der Stapel mit Abgelehnten wuchs weiter.

Bisher gab es keine möglichen Kandidaten.

Neagley schob ihm den dritten Stapel hin. Klopp machte sich an die Arbeit. Die Dolmetscherin saß schweigend da. Griesmann ging hinaus und kam gleich wieder zurück. Wenige Minuten später brachte ein Mann auf einem Tablett eine Thermoskanne Kaffee, fünf Tassen sowie Milch und Zucker. Klopp legte eine Pause ein. Mit Daumen und Zeigefinger nahm er eine Karte nach der anderen von Neagleys Stapel, begutachtete das Foto und legte eine Karte nach der anderen ab.

Der Stapel mit Abgelehnten wurde höher.

Es gab noch immer keinen möglichen Kandidaten.

Klopp äußerte etwas, das entschuldigend klang, und die Dolmetscherin sagte: »Es tut ihm leid, dass er nicht mehr für Sie tun kann.«

Reacher fragte: »Wie sicher ist er sich in Bezug auf die Abgelehnten?«

Sie gab die Frage weiter, dann fasste sie seine ausführliche Antwort zusammen: »Hundertprozentig.«

»Das ist eindrucksvoll.«

»Er sagt, dass er analytisch denken gelernt hat.« Sie machte eine Pause, sah Reacher an, der sie aufgefordert hatte, nichts auszulassen, und dann Griesmann, als wollte sie seine Erlaubnis einholen. Sie sagte: »Herr Klopp hat eine Ausbildung als Wirtschaftsprüfer. In Ostdeutschland war er stellvertretender Leiter eines großen Werks an der polnischen Grenze. Er möchte, dass wir wissen, dass er für seine jetzige Stellung überqualifiziert ist. Aber hier im Westen gehen alle besseren Positionen nicht an Deutsche, sondern an Leute aus der Türkei.«

»Möchte er eine Pause einlegen? Er hat noch etwa achtzig vor sich.«

Sie fragte, er antwortete, und sie übersetzte: »Danke, er macht gern weiter. Er hat sich das Gesicht des Amerikaners genau eingeprägt. Der Mann befindet sich in diesen Stapeln … oder eben nicht. Er lädt Sie ein, die Fotos mit dem Phantombild zu vergleichen, das nach seinen Angaben entstehen wird. Dann werden Sie sehen, dass er recht hat.«

»Okay, er möchte die Sache zu Ende bringen.«

Auch aus dem vierten Stapel kam niemand infrage. Nicht mal entfernt. Neagley schob ihm die letzten vierzig Karten hin. Reacher beobachtete Klopp. Eine Karte nach der anderen, linker Daumen und Zeigefinger, locker gehalten, nicht weit weg, nicht nahe. Mit seiner Brille sah er offenbar gut. Echte Konzentration. Kein gelangweilter Blick, keine verächtliche Ablehnung. Ruhige Aufmerksamkeit. Er begutachtete ein Foto nach dem anderen Punkt für Punkt. Augen, Wangenknochen, Mund. Ja oder nein.

Ein Nein nach dem anderen. Immer wieder nein. Die Karten klatschten auf den Stapel. Unterdessen hatte Reacher über hundertsiebzig Versionen davon gesehen, was der Gesuchte nicht war. So entstand allmählich ein Bild, das genau Klopps Schilderung entsprach. Tief in ihren Höhlen liegende blaue Augen, hohe Wangenknochen, schmale Nase, zusammengekniffene Lippen, energisches Kinn. Alle sonst möglichen Varianten schieden aus. Das Ganze unter strohblondem Haar, an den Seiten normal, oben auffällig lang. Ein spezieller Stil.

Reacher sah ihm zu.

Der Stapel mit Abgelehnten wurde höher.

Es gab noch immer keinen möglichen Kandidaten.

Dann griff Klopp nach der letzten Karte und betrachtete das Foto ebenso konzentriert wie alle vorigen, bevor er es auf den Stapel mit Abgelehnten legte.

Reacher telefonierte von Griesmanns Büro aus. Er erreichte Landry, der Vanderbilt verständigte, der White weckte, der verschlafen klang. In Virginia war es fünf Uhr morgens. Reacher sagte: »Der Mann hat den Treff beobachtet. Todsicher. Die Choreografie war genau richtig. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich im selben Hamburger Stadtteil zur selben Zeit etwas Vergleichbares ereignet hat, ist verschwindend gering.«

»Hat er den Amerikaner identifiziert?«

»Nein«, sagte Reacher. »Ratcliffe hat unrecht. Hier geht’s nicht um Computer. Er hat völlig grundlos zwei Gerüchte kombiniert. Es gibt keinen Zusammenhang. Die Ereignisse sind separat zu sehen. Reiner Zufall.«

»Okay, das melden wir ihm. Sie kommen am besten gleich zurück.«

»Nein«, sagte Reacher, »wir bleiben.«

Der Ermittler
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