23
Die nächsten acht Tage sorgte Sarah sich ständig, was als Erstes kaputtgehen würde: ihr Verstand oder die Waschmaschine. Die Knights legten einen wahren Reparatur- und Umbaumarathon vor, und sie war bemüht, sie zu verköstigen und alles sauber zu halten, und zwar mit nur einer Hand. Die Männer kamen allabendlich zum Essen, von Kopf bis Fuß mit Öl verschmiert, die Finger mit Pflaster verklebt, die Lider schwer vor Müdigkeit. Sogar Tucker half mit und marschierte sofort nach der Schule in den Maschinenschuppen, um den Männern das Werkzeug zu reichen. Und Delaney, das gute Kind, ging Sarah fleißig zur Hand, besonders, als es darum ging, Sarahs Sachen in Alex’ Zimmer zu bringen. Das Mädchen hatte gestrahlt, als sie Kleider und Toilettensachen hinaufschaffte.
Als einzige Bedingung hatte Sarah in den letzten acht Tagen den Männern das Versprechen abgerungen, den Kindern nichts von dem Baby zu verraten. Sie war ja erst in der siebten Schwangerschaftswoche, und die ersten drei Monate waren eine für Komplikationen anfällige Zeit.
»Du und Daddy, ihr solltet richtig Hochzeit feiern«, sagte Delaney, als sie das Backrohr öffnete, um nach den Brownies zu sehen. »War deine Hochzeit mit diesem Mr. Banks toll?«
»Nein. Nur Roland, seine Mutter und ein Friedensrichter waren anwesend«, antwortete Sarah. »Aber Alex und ich brauchen keine Feier, mein Liebes. Unsere Ferntrauung ist gültig, solange niemand Einwände erhebt.«
Delaney drehte sich ernst um, die Hände in die Hüften gestemmt. »Aber ihr müsst unbedingt eine richtige Hochzeit haben«, wandte sie ein. »Schließlich heiratet ihr nie mehr wieder, und ich möchte deine Brautjungfer sein, mit einem langen Kleid und Blumen im Haar.«
Delaney ging zum Tisch und griff nach einer der Karotten, die Sarah geschält hatte. Sie biss ab, kaute und schluckte. »Du machst Daddy verrückt. Möchtest du nicht bei ihm bleiben? Du schläfst doch mit ihm.«
Genau dies war der Grund, weshalb sie nicht in Alex’ Zimmer hatte umziehen wollen. Sarah seufzte. »Hat der Junge in der Schule wieder versucht, dich zu küssen?«
Delaney wurde knallrot. »Daddy hat es dir verraten.«
Sarah nickte »Und wie würdest du dich fühlen, wenn du morgens aufwachst und feststellst, dass du mit diesem Jungen verheiratet bist?«
»Echt ätzend«, antwortete Delaney wie aus der Pistole geschossen. »Aber Daddy ist doch nett. Er riecht nicht wie ein nasser Hund und ist hübsch und stark und klug.«
»Na schön, dann stell dir vor, du würdest morgens aufwachen und wärest mit einem hübschen, starken, klugen, gut riechenden Jungen verheiratet, der dir völlig fremd ist. Wäre die Sache dann in Ordnung für dich?«
»Na ja … auch nicht«, erwiderte Delaney und zog die Stirn kraus. Sie schüttelte den Kopf. »Aber Daddy ist dir nicht mehr fremd. Und wenn du mit ihm schläfst, musst du ihn doch mögen.«
Sarah steckte Delaney eine lose Haarsträhne hinters Ohr. »Ich mag deinen Daddy«, gestand sie, »aber ich kenne ihn erst seit sieben Wochen.« Sie umfasste Delaneys Wange mit einer Hand. »Wenn Männer das Interesse eines Mädchens wecken möchten, verbergen sie oft ihr wahres Wesen, um einen guten Eindruck zu machen. Ich will ja nicht behaupten, dass dein Vater zu dieser Sorte gehört, ich sage nur, dass ich einmal sehr verletzt wurde und dass es länger als sieben Wochen dauern wird, bis ich darüber hinwegkomme.«
»Sprichst du von deinem ersten Mann?«
Sarah nickte.
»Warum hast du ihn nicht einfach verlassen, als er nach der Hochzeit sein wahres Gesicht gezeigt hat?«
»Das ist kompliziert«, meinte Sarah, mit den drei brauchbaren Fingern ihrer Rechten nach einer Karotte fassend, um sie mit der linken Hand zu schälen. »Ich wusste nicht, wohin ich hätte gehen sollen, und ich hatte kein Geld, selbst wenn mir Verwandte Zuflucht geboten hätten.« Sie hielt im Schälen inne und lächelte. »Mit ein Grund, weshalb ich mich in dich und Tucker verliebt habe. Ich wollte immer zu einer großen Familie gehören.«
Delaney erwiderte das Lächeln. »Und das tust du jetzt. Du hast uns und Daddy und Ethan, Paul und Großvater, und außerdem ist noch ein Baby unterwegs.«
Sarah hielt wieder im Schälen inne.
Delaney lächelte. »Ich weiß, was Morgenübelkeit bedeutet.«
»Bitte, verrate Tucker nichts«, bat Sarah. »Hier herrscht auch ohne meine Schwangerschaft schon genug Chaos.«
Delaney hob die Hand, drei Finger nach oben. »Großes Pfadfinderehrenwort«, erklärte sie. »Ich bin alt genug zum Babyhüten und teile gern mein Zimmer mit dem Kleinen.« Sie zog die Stirn kraus. »Aber was wird aus deiner Sport-Lodge? Wie willst du die Arbeit mit einem kleinen Kind schaffen?«
»Ich werde ein paar Hilfskräfte einstellen.« Sarah lächelte ein wenig gezwungen. »Hast du jemals erwogen, in einer Sport-Lodge zu arbeiten?«
»Das kann ich gern machen«, erwiderte Delaney und straffte die Schultern. »Wenn die Kohle stimmt.«
»Ich zahle Spitzenlöhne für gute Leistung. Das Mädchen, das mir auf Crag Island geholfen hat, war erst dreizehn. Du hast Karen letzten August kennengelernt, weißt du noch?«
»Sie war ziemlich schüchtern. Ich wollte mit ihr die Gezeitentümpel erkunden, sie aber sagte immer, sie müsse nach der Arbeit sofort nach Hause.«
»Karen kommt aus einer großen, sehr armen Familie. Sie ist die Jüngste einer Schar von sechs Kindern und hat sich von den Jugendlichen in meiner Pension immer einschüchtern lassen, weil sie glaubte, sie wären reich – und auch gewandter als sie. Ich weiß, wie ihr zumute war, weil es mir als Heranwachsende so ähnlich erging«, gestand Sarah leise, als sie sich wieder ans Schälen machte.
»Und deshalb bist du hergekommen, um bei uns zu leben – weil du gemeint hast, der Wald würde dir so viel Sicherheit bieten wie deine Insel?«
Sarah sah Delaney erstaunt an. Kindermund tut Wahrheit kund, so sagte man doch? War sie wirklich deshalb gekommen? Hatte sie wirklich Angst vor der großen weiten Welt, wie Alex vermutet hatte?
Die Zeitschaltuhr am Herd meldete, dass die Brownies fertig waren. Schwere Schritte trampelten wie eine wild gewordene Rinderherde durch die Tür, und Sarah blinzelte heftig, um ihre Tränen zurückzudrängen, als sie sich wieder energisch ans Schälen machte. Verdammt, sie hatte niemanden täuschen können, nur sich selbst. Es gab offenbar keine einzige Faser in ihr, die irgendwie selbstbewusst war.
»Wir sind zum Abendessen nicht da«, verkündete Alex und gab ihr einen kalten, schmierigen Kuss auf die Wange. »Wir sind mit dem Entaster und dem älteren Skidder fertig und holen jetzt den Holzschlepper von Porter. In zwei, höchstens drei Stunden sind wir wieder zurück.«
»Ich komme mit«, sagte Tucker und schnappte sich eine Karotte, in die er herzhaft hineinbiss. »Ich bin der Funker auf dem Breittransporter. Ich muss aufpassen, dass die Hinterräder nicht die Postkästen plattmachen.«
»Na, dann sieh mal zu, dass du gute Arbeit leistest«, meinte Sarah und rieb einen Schmutzstreifen von seinem Gesicht. »Ich wette, dass dir dein Daddy von deinem Geld jeden plattgemachten Postkasten abzieht.«
Tucker drehte sich zu seinem Vater um. »Wirklich?«
Alex nickte mit ernster Miene. »Ein Dollar pro Briefkasten. Kommst du mit Delaney hier alleine zurecht?«, fragte er. »Wir sind nach Einbruch der Dunkelheit wieder da. Bei Sonnenuntergang müssen wir von den Hauptstraßen runter.«
»Dann aber los!« Sarah gab ihm einen Schubs, als er ihr eine Karotte klaute. »Wir kommen schon klar.«
»Wir nehmen deinen SUV. Wenn du ein Fahrzeug brauchen solltest – der Schneepflug steht zur Verfügung.«
»Wir kommen schon klar«, wiederholte sie und versetzte ihm noch einen Schubs. Sie sah Ethan und Paul an, die neben der Tür standen, dampfende Brownies in der Hand. Grady lehnte an der Spüle und stopfte sich rohe Steckrüben in den Mund. »Wenn ihr jetzt nicht endlich verschwindet, bleibt fürs Abendessen nichts mehr übrig.«
Alle Männer verdrückten sich nach draußen, nur Alex nicht. Er neigte sich zu ihrem Ohr und flüsterte: »Schlaf mir heute nicht zu früh ein. Wir kommen jetzt nämlich zum besten Teil unseres Romans, wenn Duncan Willow aus dem Haus schmuggelt, um sie auf ein Schiff zu bringen, damit er mit ihr allein sein kann.« Er riskierte einen Blick zu Delaney hinüber, die sich gerade in der Speisekammer zu schaffen machte, und küsste Sarah auf die Lippen. »Ich schaue mir ein, zwei Tricks von Duncan ab.«
Wieder schob Sarah ihn von sich, und als Alex endlich ging, klang sein Lachen noch nach, als sie die schwingenden Vorhänge an der Hintertür anstarrte. Wieder ein Kampf, den sie verloren hatte. Die letzten sieben Abende hatte sie im Bett neben Alex liegen und ihm zuhören müssen, während er ihr laut Willow Fosters und Duncan Ross’ Geschichte vorlas. Sarah befürchtete, ihre Wangen würden nie wieder ihre normale Färbung annehmen, so oft und stark war sie errötet.
Der Dienstagmorgen kam mit kaltem, windgepeitschtem Schnee, und Sarah war froh, dass die Sonne nicht schien, da ihre Augen noch sehr lichtempfindlich waren. Sehen konnte sie schon ganz gut, da sie die Salbe nun selbst auftrug und Alex nicht mehr brauchte, der immer zu reichlich davon genommen hatte. Und was ihre Morgenübelkeit betraf, nun, manchmal wachte sie auf und fühlte sich wohl, dann wiederum schaffte sie es kaum bis ins Bad.
Heute Morgen fühlte sie sich jedenfalls recht gut, als sie sich im Bett räkelte und Alex beim Anziehen zusah. Der Bursche kannte keine Scheu und stolzierte nackt im Schlafzimmer herum – mit Absicht, wie zu vermuten stand.
Vor einigen Tagen hatte sie selbst versucht, nackt herumzustolzieren, nur um ihn zu necken, war aber sofort wieder im Bett gelandet, denn Alex war aufgesprungen und hatte sie schon geliebt, ehe sie noch das Laken berührten. Als sie und Alex es schließlich eine halbe Stunde später hinunter in die Küche geschafft hatten, waren alle um den Tisch gesessen, hatten ihre Cornflakes gegessen und in Selbstmitleid geschwelgt.
»Du ziehst dich nicht für die Arbeit an«, bemerkte Sarah, als Alex in das seidene Unterhemd schlüpfte, das er sonst zum Eisfischen trug.
Er drehte sich zu ihr um, als er lange Unterhosen aus Seide anzog. »Ethan fährt heute zu Loon Cove Lumber, und Grady und Paul brauchen mich heute nicht im alten Holzeinschlag, um dort unseren Leuten bei den Aufräumungsarbeiten zu helfen. Ich dachte, ich könnte heute den Pfad zum Whistler’s Mountain erkunden, bevor wir morgen unsere Maschinen hinschaffen.«
Sarah setzte sich auf, die Decke an ihre nackte Brust gedrückt. »Warum? Ich dachte, der Pfad führt ins Nichts.«
»In deiner Sport-Lodge habe ich eine Karte gesehen, auf der sind dort oben Höhlen eingezeichnet.« Er drehte sich um und kramte in seiner Schublade mit den Socken. »Ich möchte sie mal unter die Lupe nehmen und auch herauskriegen, ob der Pfad benutzt wird.«
»Allein?«
Er drehte sich mit den Socken in der Hand um. »Es reicht, wenn einer sich dort umsieht.«
»Dieser eine sollte Daniel Reed sein. Oder sonst jemand von der Grenzpolizei.«
Alex setzte sich auf die Bettkante und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. »Ich gehe jedem Ärger aus dem Weg, Sonnenschein. Sollte ich dort oben etwas finden, das irgendwie faul aussieht, komme ich auf dem schnellsten Weg nach Hause und rufe John und Daniel an. In letzter Zeit war es hier in der Gegend ziemlich ruhig, und es kann gut sein, dass die Ganoven sich getrollt haben; schließlich ist es ihnen nicht geglückt, uns auf Dauer auszuschalten.«
»Die Sache gefällt mir trotzdem nicht. Und warum nimmst du nicht eines der Schneemobile?«
»Zu laut«, sagte er. »Schneeschuhe sind leiser und in schwierigem Gelände ebenso schnell.«
»Ethan kann doch morgen zu Loon Cove fahren. Nimm ihn mit.«
Alex bückte sich und zog seine Socken an. »Ich werde Ethan keinen Vorwand liefern, sich vor Loon Cove zu drücken.« Er richtete sich auf und zupfte an ihrem Haar. »Heute Morgen klingst du ganz wie eine Ehefrau. Vorsicht, Sonnenschein, ich könnte glauben, du hättest dich endlich entschlossen, meinen Heiratsantrag anzunehmen, und nur vergessen, es mir mitzuteilen.«
Sarah rollte sich aus dem Bett, hob das Nachthemd vom Boden auf, wo es in der Nacht gelandet war, und drehte ihm den Rücken zu, als sie es sich über den Kopf zog. Sie hörte ihn seufzen und um das Bett herumgehen, ehe er ihre Schultern umfasste und sie zu sich umdrehte.
»Sag mir doch, wovor du Angst hat, damit ich es in Ordnung bringen kann.«
»Ich bin kein Stück Werkzeug, das du ›in Ordnung bringen‹ kannst. Das muss ich schon selber tun.«
»Aber was musst du denn in Ordnung bringen? Was hält dich davon ab, den letzten Schritt zu tun?«
»Zwölf Jahre Einschränkungen und Gängelei lassen sich nicht in sieben Wochen auslöschen.«
»Ach«, murmelte er und nahm sie sanft in die Arme. »Und wenn es noch mal zwölf Jahre dauert – ich warte gern. Solange du hierbleibst und mir die Chance gibst, mich mit deinen Dämonen zu messen.«
Sarah schlang ihm die Arme um die Taille und drückte ihren Kopf an sein Seidenhemd. »Mein Held«, sagte sie mit einem Seufzer.
Alex küsste sie, bis ihr die Luft wegblieb, nahm sie auf den Arm und trug sie zum Bett. Sarah rollte sich weg, kaum dass ihr Rücken das Laken berührte, und kletterte auf der anderen Seite wieder hinunter. »O nein, nicht«, sagte sie und deutete auf ihn. »Wir werden nicht wieder zu spät zum Frühstück erscheinen. Letztes Mal war ich den ganzen Morgen puterrot vor Verlegenheit.«
Er warf sich in die Brust. »Uns Helden macht es Spaß, unsere Frauen zum Erröten zu bringen.«
Sarah nahm den Roman vom Nachttisch und schleuderte ihn nach ihm. Er fing ihn auf und blätterte ihn durch, bis er zu einer mit einem Eselsohr gekennzeichneten Seite kam. »Er fasste nach ihren Händen und hielt sie sanft über ihrem Kopf fest, als er sich zurücklehnte und so leidenschaftlich auf sie hinunterblickte, dass Willow der Atem stockte. Sein dunkler smaragdfarbener Blick …«
»Du hast die Sexszenen angemerkt!«, japste Sarah, stürzte auf ihn zu und entriss ihm das Buch. »Das ist ja pervers!«, stieß sie hervor, öffnete die Schlafzimmertür und hastete den Gang entlang. Alex’ Lachen verfolgte sie bis ins Badezimmer.