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UNMÖGLICH
Was würdest du ohne sie anfangen, Jacob? Fuchs sah aus dem Zugfenster, aber er war nicht sicher, ob ihr Blick den Feldern galt, die draußen vorbeizogen, oder ihrem eigenen Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte. Jacob ertappte sie oft dabei, dass sie ihre Menschengestalt wie die einer Fremden betrachtete.
Fuchs lächelte ihm zu, als sie seinen Blick bemerkte, mit der Mischung aus Selbstsicherheit und Verlegenheit, die nur ihr Menschen-Ich kannte. Die Füchsin war nie verlegen.
An den Fenstern trieb der Dampf der Lokomotive vorbei und ein befrackter Kellner balancierte Tassen und Teller durch den schwankenden Speisewagen. Es kam Jacob so vor, als hätte der Schmerz der vergangenen Nacht seine Sinne geschärft. Die Welt um ihn her schien so wunderbar und seltsam, wie er sie wahrgenommen hatte, als er zum allerersten Mal durch den Spiegel gekommen war. Er strich über die Teetasse, die der Kellner ihm gebracht hatte. Das weiße Porzellan war mit Elfen bemalt, die man in Albion immer noch auf vielen Blüten fand. Am Nebentisch stritten zwei Männer über die Nützlichkeit von Rieslingen in der Albischen Marine, und am Hals einer Frau schimmerten die Tränen von Selkie-Nixen, die man an der Südküste der Insel wie muschellose Perlen am Strand fand. Er liebte diese Welt immer noch, auch wenn sie ihn vielleicht das Leben kosten würde.
Der Tee schmeckte trotz der Elfentasse so bitter, dass man ihn kaum herunterbekam, aber er half gegen die Müdigkeit, die der Biss der Motte hinterlassen hatte.
Fuchs fasste nach seiner Hand. »Wie geht es dir? Wir sind gleich da.«
Hinter den Hügeln tauchten die Dächer von Goldsmouth auf, Hafen der Königlichen Marine. Dahinter lag grau und weit das Meer. Es schien ruhiger als bei ihrer Überfahrt. Gut. Jacob konnte nicht glauben, dass er schon wieder auf ein Schiff musste.
»Hast du noch Geld?«, flüsterte Fuchs über den Tisch. »Oder hast du alles für die Blutscherbe ausgegeben?«
Jacob kannte einen Schiffsausstatter, der Marineuniformen verkaufte, aber sie würden nicht billig sein, und das Goldtuch wurde immer unzuverlässiger. Sie hätten fast die Zugkarten nicht bezahlen können, so zögerlich hatte es den letzten Taler hervorgebracht. Jacob schob die Hand in das zerschlissene Tuch und spürte Earlkings Karte zwischen den Fingern. Er konnte nicht widerstehen. Er zog sie heraus.
Es hat sehr geschmerzt, oder? Und es wird mit jedem Mal schlimmer werden. Feen lieben den Schmerz, den sie Sterblichen zufügen können.
Ich habe heute übrigens Deinen Bruder besucht.
Fuchs blickte zu ihm herüber.
»Von wem ist die Karte?« Sie gab sich Mühe, beiläufig zu klingen, aber Jacob sah, an wen sie dachte. Sie hatte das Lerchenwasser immer noch nicht vergessen. Dabei erinnerte er sich deutlicher an den Schmerz in ihren Augen als an Claras Küsse. Vielleicht hättest du ihr das längst sagen sollen, Jacob.
Er schob Fuchs die Karte über den Tisch. Die Worte verblassten bereits, als sie danach griff.
»Es ist ein Zauberding!« Fuchs drehte die Karte um. »Norebo Johann Earlking?«
Der Schaffner kam durch den Wagen und rief die nächste Station aus.
»Ja. Und er hat mir die Karte nicht in dieser Welt gegeben.« Jacob stand auf. Die andere Welt war plötzlich so nah, dass die Kleider um ihn herum wie Kostüme erschienen. Zylinder, Knöpfstiefel, berüschte Säume … Für einen Moment war er verloren zwischen den Welten, weder hier noch dort.
»Was hat er mit Will zu tun?«
Ja, was? Es klang nicht, als ginge es nur um ein paar Antiquitäten. Das Ganze gefiel Jacob nicht, aber der Spiegel war weit weg, und es konnten Wochen vergehen, bis er Will wiedersah. Falls er ihn wiedersah.
Ach, zum Teufel … er würde ihn wiedersehen.
Fuchs hob die Karte an die Nase. Immer die Füchsin, selbst in der Menschenhaut. »Silber. Und ein Geruch, den ich nicht kenne.« Sie gab ihm die Karte zurück und griff nach ihrem Mantel. Jacob war bei ihr gewesen, als sie ihn gekauft hatte. Der Stoff hatte fast dieselbe Farbe wie ihr Fell. »Der Geruch gefällt mir nicht. Sei vorsichtig.«
Die anderen Reisenden schoben sie auf die Zugtür zu. Der Bahnsteig erstickte im Zugdampf, aber vom Hafen her wehte der Wind den Geruch von Salz und Teer über die Gleise. Kofferträger. Droschkenfahrer. Zwei Träger mit hölzernen Rückengestellen, die auf die beiden Zwerge warteten, die hinter ihnen im Speisewagen gesessen hatten. Es war nicht angenehm, sich durch einen Bahnhof zu drängen, wenn man kaum einen Meter maß.
Sie nahmen eine der Droschken, die unten vor dem Eingang warteten. Fuchs stieg an dem Platz aus, an dem die Schiffsausstatter ihre Läden hatten, aber Jacob wies den Kutscher an, ihn am Hafen abzusetzen. Sie konnten nur hoffen, dass Dunbar den Kopf des Hexenschlächters am richtigen Ort vermutete. Aber um das herauszufinden, musste er erst einmal einen Weg finden, an Bord des Königlichen Flaggschiffs zu kommen.