15 - Verknüpfungen
Ari war schweigsam und schien es zu missbilligen, doch ich klärte Ipsoor auf, was Möbius anbelangte.
»Also ist dieses Wesen für Aristeas Fähigkeiten verantwortlich?«
»So ist es.«
Musashi nickte. »Jetzt verwundert es mich nicht, dass man die Mondbasis versiegelt hat. Die Frage ist nur, wer das gemacht hat.«
»Vielleicht Möbius oder einer von seinen Leuten«, mutmaßte Ari.
»Ich frage mich gerade wieder, ob es nicht einen Zusammenhang zwischen der Auslöschung vieler Spezies, Möbius und dem Forschungsverbot der Claifex gibt. Was steckt hinter der Sache?«
»Du stellst recht willkürlich Verknüpfungen her«, sagte Musashi.
»Die kleinen Zufälle interessieren mich nicht, aber bei den großen Zufällen werde ich skeptisch. Es gibt noch mehr Völker wie die Kinuu und uns Terraner, die auf die eine oder andere Art an der Erschaffung von Leben und seinen Grundlagen geforscht haben.«
»Das war aber nicht der Grund für den Terra-Krieg.«
»Der ausschlaggebende Grund für den Terra-Krieg war das Zeitportal, dass du geschlossen hast, Musashi. Erst dadurch, dass meine Vorfahren in der Vergangenheit auf Claifex-Schiffe aus der Zukunft stießen, setzte das Aufrüsten der terranischen Flotte ein.«
»Der Konflikt begann viel früher. Es ist wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei.«
»Vielleicht auch nicht. Die fortgeschrittene Gentechnologie meiner Vorfahren war der Claifex auch immer ein Dorn im Auge. Die Kinuu forschten nach der Historie der Entstehung der Spezies in der Claifex und wurden ausgelöscht. Wir wissen, dass es Gerüchte um den Ursprung der Großen Drei gibt. Wie wahrscheinlich ist es denn auch, dass gleich drei intelligente Spezies in nur einem System entstehen? Und warum verbieten ausgerechnet die Großen Drei die Genforschung und Anwendung von Gentechnik?«
»Es gibt viele Forschungsverbote in der Claifex. Du spinnst deinen Faden dünn und weit, Iason, er könnte reißen«, sagte Ipsoor skeptisch.
»Es klingt in der Tat nach einer typischen Verschwörungstheorie. Ohne Fakten bleibt es eine bloße Vermutung«, sagte Musashi.
»Dann müssen wir die Fakten eben suchen«, sagte Aristea. »Ich verstehe Iason und ich sehe die Dinge wie er. Auch die Qunoi sind ausgestorben - und verfügten über die Fähigkeit, Klone herzustellen. Beinahe hätten sie die WBE-Technologie erfunden, die wir gesucht haben. Könnte da nicht auch ein Zusammenhang bestehen? Es sind immer die gleichen Technologien im Spiel.«
»Das ist wildes Rätselraten, Aristea«, sagte Musashi und schüttelte den Kopf. »Die Qunoi sind vor langer Zeit vernichtet worden.«
»Ja, aber von wem und warum? Taan hat uns darüber im Unklaren gelassen, er sprach nur von einem Krieg, vielleicht mit den Feinden der Qunoi, die sie so sehr verehrt haben. Aber aus welchen Gründen gab es den Krieg?«
Musashi verschränkte die Arme. »Es könnte sich um territoriale Auseinandersetzungen gehandelt haben. Es mag Verknüpfungen zwischen den unterschiedlichen Ereignissen geben, die du nennst, aber es hilft nicht, wenn wir uns in bloßen Spekulationen ergehen, statt bei den Fakten zu bleiben. Ich bin bereit, diese Fakten zu sammeln, allein auf die Möglichkeit hin, dass deine Vermutung richtig ist, Iason. Aber wir müssen sachlich bleiben und dürfen uns nicht von einer fixen Idee blenden lassen.«
»Du hast recht. Es beginnt jedoch damit, dass wir offen gegenüber der Möglichkeit sind, dass ich recht habe. Widerlegen lasse ich meine Vermutungen liebend gern.«
»Ich würde gern den Rest des Schiffes untersuchen«, sagte Ipsoor.
Wir stimmten ihm zu und verließen den Raum, nachdem Musashi eine Kopie der Daten gespeichert hatte.
»Kannst du eigentlich mit Hilfe deiner Sensoren etwas im Wrack orten, Musashi?«, fragte ich.
»Ich stelle die Existenz verschiedener lokaler Energiespeicher fest, die Bestandteil des Notbeleuchtungssystems sind. Es gibt verschiedene Zonen, die wir aufgrund von dort vorhandener Strahlungsintensität meiden sollten.«
»Sicher eine Folge des Absturzes«, mutmaßte ich.
»Vielleicht sollten wir dorthin gehen, wo meine Sensoren nichts feststellen können.«
»Was meinst du damit?«
»Es gibt einen massiv abgeschirmten Würfel, der nicht von meinen Sensoren durchdrungen werden kann.«
»Im Maschinenraum wäre das nichts Ungewöhnliches.«
»Der Würfel befindet sich in einer gepanzerten Kugel im vorderen Bugteil. Sie ist kaum größer als einen halben Meter im Durchmesser.«
Ich winkte ab. »Das ist ein Bestandteil des SDS. Jedes Schiff mit Metaraumantrieb hat ihn.«
»Ich schlage vor, dass wir die Kugel dennoch untersuchen.«
»Warum?«
»Weil ein Energiespeicher von mir aktiviert wurde, der den Weg von hier bis zur Kugel ausleuchtet - sonst nichts.«
»Der SDS-Phasensequenzer ist ein kritisches System für den Metaraumantrieb. Eine Notbeleuchtung macht Sinn.«
Musashi projizierte eine schematische Darstellung der Kinatain mit einer leuchtenden Spur, die von einem Bereich nahe beim Riss im Rumpf, vorbei an unserer Position damit direkt zur Kugel des SDS-Phasensequenzers führte.
»Warum besteht dann eine dedizierte Notbeleuchtung aus der Mitte des Schiffes bis hin zum SDS-Phasensequenzer?«
»Wir sollten uns diese Kugel tatsächlich mal anschauen«, sagte ich.
»Ich führe uns hin«, antwortete Musashi.
Der Weg war sehr weit und während unseres Marsches durch die Korridore, Räume und Hallen des Wracks erfuhren wir mehr über die Kinuu. Ipsoor erklärte uns zum Beispiel, dass es komplexe familiäre Verbindungen gab, die für jemanden, der kein Kinuu war, allein schon aufgrund der Sprache kaum verständlich waren. Die Kammern und Wege in der Kinatain folgten einem eigenartigen Muster, das mich an die Struktur von Spinnennetzen erinnerte. Statt langer Gänge, gab es Korridore, die an zentrale Orte führten. Statt streng horizontal geordneter Decks existierten räumliche Ausdehnungen, die Häufung in die Höhe führten. Umso mehr ich durch Ipsoors Erklärungen die Logik hinter der Konstruktion begriff, umso mehr verstand ich, warum Gsuk Tar und ich das Wrack kaum erfolgreich erforscht hatten. Es war nicht für Lebewesen gebaut, die sich vorwiegend am Erdboden aufhielten und aufgrund ihrer Lebensweise übereinanderliegende Decks in geraden Ebenen bevorzugten. Die Kinatain war erheblich komplexer konstruiert. Ich fragte mich, welche Auswirkungen die Lebensweise der Kinuu auf ihre Denkweise haben mochte.
Nach einem erhellenden, aber auch anstrengenden Marsch (zumindest für mich), erreichten wir aufgrund der Umwege, die wir im beschädigten Wrack gehen mussten, erst eine knappe Stunde später die Kugel, die von Musashis Sensoren nicht durchdrungen werden konnte.
Wir betraten den Wartungskorridor, in dem die Notbeleuchtung noch immer schwach glühte. Es war jedoch offensichtlich, dass der alte Energiespeicher fast erschöpft war. Vor uns hing die Kugel in einer gitterartigen Aufhängung, wie sie für SDS-Phasensequenzer typisch war.
»Sieht ganz gewöhnlich aus«, sagte ich nach einer eingehenden Musterung des Objekts. »Warte mal! Warum sind da zwei Leitungen? Normalerweise ist da nur eine.«
»Redundanz?«
»Nicht bei einem SDS-Phasensequenzer. Ich habe das Ding oft genug repariert, um zu wissen, dass die Verkabelung nicht das Problem ist, die fällt nie aus. Das macht überhaupt keinen Sinn.«
Musashi ließ eine Waffe aus seinem Unterarm ausfahren und zielte damit auf die Kugel. »Ihr solltet einen Sicherheitsabstand einnehmen.«
Wir zogen uns in den Korridor zurück. Musashi ließ einen gleißenden Strahl auf die Kugel niedergehen und brannte sich langsam durch die Panzerung.
»Die Stärke des Materials ist ungewöhnlich hoch. Ich hatte damit gerechnet, nicht länger als eine halbe Minute zu brauchen«, kommentierte er seinen zögernden Fortschritt.
Nach einer Viertelstunde hatte er die Kugel am Äquator umrundet und so einen Öffnungsschnitt herbeigeführt. Wir traten näher, als er die obere Hälfte abnahm.
»Das ist kein SDS-Phasensequenzer«, sagte ich und starrte verdutzt auf die irisierende Oberfläche einer eigenartigen Substanz, die ich noch nie zuvor gesehen hatte.
»Das Material verhindert jede Abtastung. Ich weiß nicht, was sich im Inneren befindet.«
Er berührte es vorsichtig und stellte fest, dass es unnachgiebig war.
»Kannst du es aufschneiden?«
»Ich kann es probieren.«
»Wartet!«, sagte Aristea.
Sie schloss einen Augenblick die Augen und das Energiefeld, das sie schützte, dehnte sich aus, bis es die würfelförmige Form umschlossen hatte. Dann streckte sie die Hand danach aus.
»Nicht! Weißt du, was passiert, wenn du das Ding mit bloßen Händen berührst?«
Sie sah mich mit eigenartig verfärbten Augen an, die beinahe so aussahen, wie die Oberfläche der Kammer. »Ja. Ich sehe, was sich im Inneren befindet.«
Verdutzt schwieg ich und tauschte einen Blick mit Musashi, der unmerklich mit den Schultern zuckte.
»Sei bitte vorsichtig!«
Sie führte ihre Hand bis zur Oberfläche und drang plötzlich hindurch, ergriff etwas, zog es heraus.
»Was ist das?«, fragte Ipsoor sogleich.
»Sieht wie ein Probenbehälter aus«, sagte Musashi.
Ich betrachtete die fingerdicke Metallkapsel und schüttelte den Kopf. »Probe von was?«