6 - Freier Wille

Als ich aus der Narkose erwachte, war Geran verschwunden und außer Zweiundvierzig war niemand auf der Krankenstation. Es dauerte jedoch keine zwei Minuten, da erschien Demi.

»Sie sind etwas früher aufgewacht, als geplant. Wie fühlen Sie sich?«

»Beschissen«, krächzte ich.

»Zwei Operationen in kurzer Folge sind eine große Anstrengung selbst für einen so robusten Menschen wie Sie, Iason. Ich habe Sie daher zwei Tage in Erholungsschlaf versetzt. In ein paar Stunden, spätestens morgen, sollten Sie jedoch wieder der Alte sein.«

»Ich habe zwei Tage durchgeschlafen? Wie ist der Stand der Dinge?«

Demi überprüfte mich mit einem Scanner und verabreichte mir eine Injektion. »Wir haben Geran das Implantat eingesetzt und ihm klargemacht, dass wir von nun an seine Handlungen überprüfen und ihn ständig beobachten. Die Sache bleibt jedoch riskant. Wenn er das Gefühl bekommt, keine Wahl mehr zu haben, könnte es leicht sein, dass er unberechenbar wird. Aber mit nur zwei Drittel der Nefilim auf seiner Seite und angesichts der ständigen Bedrohung durch Aristea wird er sich zurückhalten.«

»Sind die übrigen Nefilim denn wieder unter seiner Kontrolle?«

»Ja. Alle anderen Nefilim konnten von Susannah aus der Reichweite des Implantats geführt werden. Odin konnte zudem in der Zwischenzeit einen Störfeldgenerator aufgrund unserer Analyse des Implantats entwickeln. Ari hat das Gerät an Bord der Skylla gebracht.«

»Müssten sie nicht bald in der Heliopause sein?«

»In weniger als zehn Stunden.«

Demi musterte mich und legte eine Hand auf meinen Arm. »Sie lieben sie noch immer?«

»Nein.«

Sie lächelte und zog ihre Hand zurück. »Ich verstehe. Verzeihen Sie, es geht mich natürlich nichts an.«

»Ganz richtig.«

Sie nickte.

»Können wir ihr vertrauen?«

»Selbstverständlich. Sie ist meine Tochter!«, erwiderte Demi entrüstet. »Sie machen sich keinen Begriff davon, was sie alles zu tun bereit war, um die Situation für die Menschen erträglicher zu machen, oder?«

»Ich verfüge nur über Erinnerungsfetzen und Aufzeichnungen der Nefilim.«

Sie ordnete einige Instrumente auf einem kleinen Tisch. »Wahrscheinlich haben Sie sich dabei unbewusst auf jene Dinge konzentriert, die für Sie wesentlich waren und die wirklich wichtigen Fakten ignoriert.«

»Mag sein. Vielleicht sind Sie aber auch genauso blind ihr gegenüber, wie ich. Sie ist nur Ihre Adoptivtochter.«

Demi hatte mir immer noch den Rücken zugekehrt und atmete tief ein. »Ich kann nicht anders, als ihr zu vertrauen. Wenn Sie jemanden finden wollen, der ihr misstraut, müssen Sie an anderer Stelle suchen. Aber lassen Sie Aristea aus dem Spiel.«

»Warum? Haben Sie Angst, sie könnte Dinge aufdecken, die unangenehm sind?«

Sie drehte sich um, einen wütenden Ausdruck im Gesicht. »Unfug! Sie wissen genau, warum es keine gute Idee ist, Ari und Susannah zusammenzuführen. Insbesondere mit Ihnen dazwischen.«

Ich sah sie überrascht an. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Nichts«, sagte sie und wandte sich ab. »Am besten, jemand mit Abstand zu der Sache beschäftigt sich mit ihr.«

»Sie sollte ohnehin zunächst in ... Quarantäne.«

»Ins Gefängnis meinen Sie wohl.«

»Wir können Sie schlecht an Bord der schwerbewaffneten Skylla nach Floxa II lassen, solange ihre Absichten und Einstellungen nicht ergründet sind.«

»Ich erzähle Ihnen etwas von Susannahs Einstellungen und Absichten«, sagte Demi wütend.

»Dann fangen Sie doch mal mit dieser Heirat an. Da kapiere ich nämlich absolut gar nichts!«

»Sie wollte Gerans Vertrauen gewinnen, damit sie das Versteck des Kontrollgeräts herausfinden konnte.«

»Und er?«

»Wollte die Macht im Rat an sich reißen. Susannah hat sehr viel Einfluss gehabt, bevor sie seine Frau wurde.«

»Dann hätte sie wohl nicht mit ihm ins Bett steigen sollen!«, zischte ich zornig.

Demi schwieg. »Sie werden ungerecht. Ihre Emotionen ...«

»Meine verdammten Gefühle spielen überhaupt keine Rolle, verstanden?«, brüllte ich in dem Augenblick, als Aristea auf die Krankenstation trat.

»Und was ist mit Simeon, hm? Was sollte das?«

Demi sah Ari an, warf mir einen hilflosen Blick zu und verließ die Krankenstation mit einem gekränkten Ausdruck.

Aristea sah mich neugierig an. »Was ist denn hier los?«

»Nichts? Bringst du Neuigkeiten?«

Ari verschränkte die Arme und sah mich ausdruckslos an, schwieg.

»Wenn du nichts zu sagen hast, hätte ich gern meine Ruhe!«, blaffte ich sie an.

Tränen traten in ihre Augen, dann verschwand sie in einem Lidschlag.

»Großartig!«, rief ich und warf die Hände in die Luft.

Zweiundvierzig, den ich völlig vergessen hatte, sah mich an. »Kann ich Ihnen eine Erfrischung bringen?«

»Geh deine verdammte Blechrübe polieren!«

Er zögerte einen Moment, dann verließ er die Krankenstation.

Ich blieb allein zurück und brütete düstere Gedanken aus, bis ich mich für meine Ausbrüche schämte. Gefühle sind eine verdammte Sauerei, sobald man sie aus der Kiste holt, in die man sie gesteckt hatte. Hier saß ich, konfrontiert mit meiner ganz persönlichen Riesenschweinerei und wusste nicht, wie ich sie bereinigen sollte. Die Vorgänge beim Benutzen des Implantats hatten mir gezeigt, dass meine Gefühle und Erinnerungen immer noch stark mit Susannah verbunden waren. Ich wollte das jedoch nicht.

Ich wollte meine Ruhe.

So viel zum freien Willen.