23 Wie man sich auf einen Abschied vorbereitet
Langsam senkte sich die Dunkelheit des winterlichen Spätnachmittags auf uns herab, und nach diesen magischen Stunden, die sich angefühlt hatten, als wären wir ganz allein auf der Welt, landete ich mit einem dumpfen Schlag wieder auf der Erde. Es war Zeit, nach Dublin zurückzukehren. Pat fuhr uns, und wir saßen in behaglichem Schweigen nebeneinander, nur gelegentlich von einem Plauderversuch unterbrochen. Doch je näher Dublin kam, desto flauer wurde mir im Magen, denn dort war unser nächster Schritt Adams Geburtstagsfeier, und dann hieß es Abschiednehmen. Zwei intensive Wochen waren im Handumdrehen verflogen. Genau genommen die zwei intensivsten Wochen meines Lebens, und jetzt waren sie vorbei, einfach so. Natürlich war es möglich, dass wir uns wiedersahen, aber es würde niemals wieder so sein – so eng, so intensiv. Eigentlich hätte ich darüber glücklich sein müssen. Ich hätte feiern müssen, denn als ich Adam begegnet war, war er entschlossen gewesen, sein Leben zu beenden, während es jetzt ganz danach aussah, als wäre er dabei, seinen Weg zu finden. Wenn mir wirklich etwas an ihm lag, war das Letzte, was ich mir wünschen durfte, dass er mich so brauchte wie damals.
Pat bog von der Autobahn ab in Richtung Stadtzentrum.
»Wo fahren wir denn hin?«, fragte ich und setzte mich auf.
»Ich hab ein Zimmer im Morrison Hotel reserviert«, erklärte Adam. »Das ist näher bei der City Hall, ich dachte, das wäre einfacher.«
Sofort merkte ich, wie sich meine Brust zusammenzog und sich die ersten Anzeichen von Panik meldeten. Wir waren dabei, auseinanderzugehen, unsere Wege trennten sich. Tief einatmen. Tief ausatmen. Ein und aus, ein und aus. Vielleicht war ich ja diejenige mit der Trennungsangst, nicht er.
»Aber so weit ist es doch noch gar nicht, wir haben noch einen ganzen Tag. Adam, wenn du glaubst, du wirst mich vor der Zeit los, dann hast du dich getäuscht. Ich schlafe bei dir auf der Couch.«
Er lächelte. »Mir geht es gut.«
Und so sah er auch aus.
»Na ja, vielleicht geht es dir momentan gut, in diesem Augenblick, aber wir wissen beide, dass sich das schnell ändern kann. Außerdem hast du noch so viel an dir zu arbeiten, das war ja erst der Anfang, weißt du. Und du solltest dir wirklich einen Therapeuten suchen.«
»Einverstanden«, antwortete er schlicht und verzog amüsiert das Gesicht.
»Das ist nicht lustig, Adam. Nur weil Maria zu deiner Geburtstagsparty kommt, heißt das noch lange nicht, dass alles wieder in Ordnung ist. Ich bestehe darauf, bei dir zu bleiben, bis unser Deal abgeschlossen ist.«
»Ich hab uns zwei Zimmer mit Verbindungstür besorgt«, grinste er. »Und danke für die Erinnerung.«
Verlegen hielt ich inne. »Oh, ich wollte dir keine Angst machen. Ich hab nur versucht, na ja, dich darauf vorzubereiten, was passieren kann.« Und wieder ging mir durch den Kopf, dass ich es war, die vorbereitet werden musste.
Als wir zum Morrison Hotel kamen, wurden wir im Aufzug direkt in den obersten Stock gebracht, wo Adam eine Penthouse-Suite mit zwei Zimmern gebucht hatte.
»Mit dem Blick, den Sie sich gewünscht haben, Sir«, sagte der Portier stolz.
Ich ging zur Fensterfront und schaute hinaus. Von unserem Zimmer hatte man durch die deckenhohen Fenster einen Blick auf die Liffey, und direkt unter uns lag die Ha’penny Bridge, hell erleuchtet von den grünen Strahlern und den drei dekorativen Lampen, deren Lichtschein auf dem Wasser schimmerte. Ich sah Adam an, und in meinem Kopf klingelten die Alarmglocken, aber ich versuchte, nicht darauf zu reagieren.
»Zufrieden?«, fragte Adam.
»Unsere Zimmer haben aber keine direkte Verbindungstür«, sagte ich etwas patzig.
»Nein«, lachte er. »Anscheinend liegt ein Essbereich, eine Küche und ein Wohnzimmer dazwischen.« Er sah mich belustigt an. »Ich dachte, es würde dir gefallen.«
Es war das luxuriöseste Zimmer, in dem ich mich je aufgehalten hatte, aber ich hatte in meinem Leben ja bisher auch nur zwei luxuriöse Zimmer betreten – beide dank Adam.
»Es ist toll«, sagte ich und nickte. Abgesehen von der Aussicht.
Es war schon ziemlich spät, und wir wollten beide nur noch den Zimmerservice bestellen, uns gemütlich auf die riesige Couch setzen und auf dem riesigen Plasmabildschirm ein bisschen fernsehen. Mit Adam einfach zu Hause zu bleiben und nichts zu tun, war wesentlich angenehmer, als es mit Barry je gewesen war. Wir fühlten uns einfach wohl miteinander. Und das i-Pünktchen auf dem Ganzen war, dass ich sehr, sehr gern mit Adam schlafen wollte, was mir bei Barry äußerst selten passiert war. Anfangs hatte ich seine Unsicherheit zwar noch süß gefunden, aber mit der Zeit begann sie mich zu frustrieren: Ich wünschte mir entschlossene, männliche Hände auf meinem Körper und war irritiert, wie unzufrieden ich mich fühlte, wenn er nach dem Sex schwer atmend neben mir lag, während ich noch nicht mal richtig in Stimmung gekommen war. Natürlich war es anfangs anders gewesen, aber nur allzu schnell fuhren wir uns in unserer Routine fest. Dabei waren wir nicht mal ein ganzes Jahr verheiratet. Wie es bei uns in dreißig Jahren ausgesehen hätte, mochte ich mir gar nicht vorstellen.
Mit Adam dagegen … wenn ich mit ihm zusammen war, fühlte ich mich quicklebendig. Es war berauschend, manchmal schwindelerregend. Obwohl die Couch so riesig war, saßen wir dicht beieinander in der Mitte, und ich fühlte mich wie ein verliebtes Schulmädchen, ich spürte, wie ich erstarrte und ganz aufgeregt wurde. Er war ganz dicht neben mir! Wenn unsere Ellbogen sich berührten, stand ich in Flammen, ich konnte mich nicht auf den Film konzentrieren, weil ich viel zu glücklich, zu schwindlig, zu hibbelig und kribbelig war. Außerdem war ich mir seiner Nähe viel zu bewusst – seine nackten Füße auf dem Hocker, den wir uns teilten, sein muskulöser Körper in Jogginghose und T-Shirt, wie er völlig entspannt neben mir lehnte und gleichzeitig so unendlich sexy war.
Ich hatte Angst, die Augen vom Fernseher abzuwenden und Adam anzuschauen, denn vielleicht war mein Zustand offensichtlich, vielleicht sah man es mir an, vielleicht merkte er, dass die Frau, der er vertraute und die ihm aus dem Abgrund der Verzweiflung heraushelfen sollte, insgeheim davon träumte, ihm die Hose auszuziehen und ihn gleich hier auf der Couch zu vernaschen. Verstohlen musterte ich ihn aus dem Augenwinkel. Er starrte ganz versunken auf den Fernseher, seine Hand wanderte mechanisch von der Popcornschüssel zum Mund, und ich sah, wie das Popcorn zwischen seinen vollen Lippen verschwand. Ich schluckte. Und trank schnell einen Schluck Champagner.
»Ich geh jetzt mal duschen«, verkündete er plötzlich, stellte die Schüssel auf den Hocker und verließ das Zimmer.
Jetzt, wo ich allein darauf saß, kam mir die riesige Couch noch riesiger vor, und ich fühlte mich wie ein Idiot. Ich presste die Hände gegen die Schläfen, schlug mit dem Kopf mehrmals gegen meine angezogenen Knie und versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, dass der Mann, von dem ich so besessen war, geschworen hatte, sich umzubringen, wenn er seine Freundin nicht bis zu seinem Geburtstag zurückbekommen hatte. Seine Freundin. Sein Geburtstag war morgen. Wahrscheinlich war Sex mit mir so ungefähr das Letzte, woran er jetzt dachte.
Ich musste wieder in meine Rolle zurückfinden, ich hatte völlig die Orientierung verloren. Schwungvoll setzte ich mein Sektglas ab, und auf einmal kam ich mir so lächerlich vor, als wäre ich der einzige Gast auf einer Party, weil ich nicht mitbekommen hatte, dass die Party vorbei war. Mit vor Verlegenheit geröteten Wangen setzte ich mich auf. Was hatte ich mir bloß eingebildet? Es war hochgradig egoistisch von mir, dass ich mir solche Dinge ausmalte – ganz zu schweigen davon, in welche Gefahr ich Adam in seinem gegenwärtigen Zustand damit gebracht hätte.
Auf Zehenspitzen schlich ich mich zu seinem Zimmer und drückte das Ohr an die Tür. Eigentlich erwartete ich das übliche Schluchzen, aber nur das Rauschen des Wassers war zu hören, unregelmäßig, je nachdem, wie er sich darunter bewegte. Keine Tränen. Ich lächelte. Er war bereit. Jetzt musste es nur noch mit Maria funktionieren. Über den dicken Teppich trottete ich zu meinem Zimmer, zog mein Nachtshirt an und wählte Amelias Nummer. Mein eigenes Leben hatte mich in den letzten Tagen so in Anspruch genommen, dass ich nicht einmal daran gedacht hatte, mich bei ihr zu melden und zu fragen, wie es ihr ging. Das Telefon klingelte und klingelte, aber schließlich hob Amelia doch ab. Sie war vollkommen außer Atem.
»Bist du Marathon gelaufen?«, scherzte ich müde, gab mir aber alle Mühe, munter zu klingen.
»Nein, sorry, ich war nur … äh … hmmm …« Sie kicherte. »Tut mir leid. Alles okay? Ich meine, wie geht es dir?«
Ich runzelte die Stirn und lauschte auf eventuelle Geräusche im Hintergrund.
»Hallo?«, fragte sie noch einmal. Ich hörte Flüstern.
»Wer ist denn bei dir?«
»Bei mir?«
»Ja, bei dir.« Ich grinste.
»Äh, Bobby. Du weißt schon. Er hilft mir bei der, äh, bei der Suche.«
Im Hintergrund wurde geschnaubt.
»Seid ihr in Kenmare?«
»Nein, wir haben den Plan verschoben, wir sind irgendwie von etwas anderem abgelenkt worden, weißt du.« Sie kicherte wieder. »Christine, ich fürchte, ich kann jetzt nicht reden.«
Ich lachte. »Ja, verstehe. Ich wollte nur wissen, ob es dir gutgeht, weiter nichts.«
Jetzt wurde Amelias Stimme etwas klarer. »Ja, es ist komisch, aber es geht mir gut. Es geht mir wirklich richtig gut.«
»Schön.«
»Und du? Ich weiß, morgen ist die … Geburtstagsparty. Wie geht es Adam? Und wie läuft es überhaupt?«
»Gut, alles läuft prima«, antwortete ich und hörte das Zittern in meiner Stimme. »Dann lass ich dich jetzt lieber in Ruhe und ruf dich morgen noch mal an.«
Ich legte auf, mein Kopf schwirrte. Als ich mich umblickte, sah ich Adam an der Tür stehen, die ich offen gelassen hatte, um ihn nachts hören zu können. Er war patschnass und hatte sich das Handtuch um die Hüften geschlungen. Wasser tropfte von seiner Nase und seinem Kinn, als wäre er aus der Dusche gerannt, ohne sich abzutrocknen, und er wischte die Tropfen zerstreut weg, strich sich die Haare aus dem Gesicht und drückte sie mit beiden Händen glatt. Jetzt sah ich seinen Körper noch besser und starrte ihn ungeniert an, denn ich fand, dass es einem Freibrief zum Glotzen gleichkam, wenn er halbnackt an meiner Tür erschien.
Ich überlegte, was ich sagen sollte. Alles in Ordnung? Oder: Kann ich dir helfen? Nein, das klang nach Verkäuferin. Also sagte ich gar nichts, sondern stand einfach vor ihm, in meiner Nachtwäsche, sah ihn an, und er sah mich an. Plötzlich, urplötzlich machte er einen Schritt über die Schwelle, kam zum ersten Mal in diesen zwei Wochen aus seiner Welt in meine, und dann war er in meinem Zimmer, kam auf mich zu, und auf einmal war mein Gesicht in seinen Händen, er sah auf mich herab, das Duschwasser tropfte aus seinen Haaren auf meine Haut, seine Lippen berührten meine, und so hielt er mich fest, lange und wunderbar, eine zärtliche Berührung unserer Lippen, sehr, sehr lange. Ich hatte Angst, er würde sich zurückziehen – vielleicht hatte er gemerkt, dass es ein Irrtum war, aber stattdessen öffneten seine Lippen meine, und ich spürte seine Zunge in meinem Mund. Erst jetzt konnte ich glauben, dass er nicht weggehen würde, erst jetzt legte ich meine Hände auf seinen Körper und schmiegte mich an ihn. Alles in mir war in Aufruhr, hektisch wie ein panischer Bote, der versuchte, seine Nachricht zu übermitteln. Ich schmolz dahin und wurde gleichzeitig lebendig, ein seltsamer Zustand, aber ich schaffte es, Adam zum Bett zu führen, und als wir uns darauflegten, beendete er unseren Kuss und öffnete die Augen. Er lächelte mich an, ich lächelte zurück, und dann machten wir weiter.
Noch zweimal.
Adam schlief, und ich lag in seinen Armen, mein Kopf bewegte sich im Rhythmus seines Atems auf seiner Brust auf und ab, und ich fühlte mich zufrieden, wunschlos glücklich und sehr schläfrig. Etwas an seinem Herzschlag, seinem Atem, an der Tatsache, dass er lebte, hatte mir in den meisten Nächten, die wir gemeinsam in einem Zimmer verbracht hatten, geholfen zu entspannen. Es war etwas, was mein Buch »Wie man seine Gedanken beruhigt und in den Schlaf findet« nicht erwähnt hatte: Verlieb dich in einen schönen Mann und lausche seinem Herzschlag. Adam half mir zu entspannen, ich schloss die Augen und glitt sanft in den Schlaf.
Ich träumte, dass ich mich in dem verlassenen Wohnkomplex befand, zusammen mit Detective Maguire, nur war es nicht mehr der Wohnkomplex, den ich kannte, sondern eine völlig heruntergekommene Version des Avalon Manor in Tipperary. Um das Gebäude herum war gelbes Absperrband gespannt, und auf dem Dach saß Simon Conway. Detective Maguire schleppte eine Leiter heran, denn ich sollte zu Simon hinaufklettern, aber ich protestierte, weil ich ein Kleid anhatte und es sehr windig war. Schließlich stieg ich trotzdem auf die Leiter, der Wind blies mein Kleid in die Höhe, und alle, die unten standen, lachten. Ich hatte nämlich vergessen, Unterwäsche anzuziehen, weil ich gerade mit Adam geschlafen hatte. Das erklärte ich den Leuten, aber die Schaulustigen, zu denen auch Maria gehörte, waren einhellig der Ansicht, dass ich für mein unpassendes Verhalten verhaftet werden sollte. Sogar Leo Arnold, der neben Maria stand, stimmte zu. Detective Maguire versprach, mich festzunehmen, sobald ich mich um Simon gekümmert hatte, aber dann begann er doch mit mir zu verhandeln und versprach, mich laufenzulassen, wenn ich es schaffte, Simon zu retten. Allerdings lachte er dabei die ganze Zeit, und ich fragte mich, ob er mich vielleicht nur veräppeln wollte. Trotzdem erklärte ich mich einverstanden, wir machten den Deal, und dann stieg ich weiter die Leiter hinauf, höher und immer höher. Aber ich kam nirgendwo hin, und unter mir lachten die Leute, weil sie mir bei jedem Windstoß unter den Rock sehen konnten. Auf einmal kippte die Leiter nach hinten, weg vom Haus, und als ich nach oben blickte, sah ich Simon auf dem Dachvorsprung sitzen. Er weinte und schaute mich mit genau dem gleichen Ausdruck an wie in jener Nacht. Ich erkannte den Vorwurf in seinem Gesicht, ich wusste, dass er sterben würde, wenn ich ihn nicht rechtzeitig erreichte. Unten brüllten Maguire, Maria und Leo vor Lachen. Unterdessen bewegte sich die Leiter mal auf Simon zu, neigte sich dann wieder weg vom Haus, und ich konnte nichts tun, um sie zu stabilisieren. Dann war plötzlich Adam da, tief beschämt über mein Verhalten und mein offensichtliches Versagen. Und erzählte jedem, der es hören wollte, dass er sich wünschte, wir wären uns nie begegnet. Das war das Letzte, was ich hörte, denn auf einmal kippte die Leiter endgültig nach hinten, und ich stürzte rücklings zu Boden.
Mit einem Ruck wachte ich auf. Als ich zum Wecker schaute, sah ich, dass ich nur zwanzig Minuten geschlafen hatte.
»Alles okay?«, brummte Adam.
»Mhmm.«
In seinen Armen, den Kopf auf seiner Brust, die sich hob und senkte, glitt ich erneut sanft in den Schlaf. Und wieder war ich in dem Wohnblock, diesmal in der mir bekannten Form, aber jetzt war er eingerichtet, Leute wohnten darin, in allen Wohnungen wurde gelebt und geatmet, ganz so, wie es sein sollte. Vor mir stand Simon, in der Hand eine Banane, die er sich aus der Obstschale in der Küche genommen hatte. Er erzählte mir, sie wäre eine Pistole.
Ich begann zu sprechen, aber viel zu schnell, meine Worte verschwammen ineinander und ergaben keinen Sinn, aber Simon verstand mich trotzdem. Als ich meinen unsinnigen Vortrag beendet hatte, legte er die Pseudo-Pistole auf die Küchentheke, und ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Dann sah ich mich nach Detective Maguire um, aber es war niemand da, also wartete ich auf die Polizei: Ich hatte meine Arbeit erledigt, ich war fertig, ich hatte ihn beruhigt! Aber niemand kam. Wo waren denn alle? Ich war erleichtert, aber gleichzeitig auch nervös, und mein Herz pochte heftig in meiner Brust. Simon sah ein bisschen verloren aus, erschöpft von dem, was er hinter sich hatte. Mir war klar, dass ich etwas sagen musste.
»Jetzt können Sie heimgehen, Simon, nach Hause zu Ihren Mädchen.«
Kaum waren die Worte aus meinem Mund, da wusste ich, dass sie genau das Falsche waren. Die ganze Zeit über hatte Simon mir gesagt, dass diese Wohnung sein Zuhause sei, aus dem man ihn vertreiben wolle, dass er sich mehr als alles andere wünsche, mit seiner Familie hierher zurückzukehren, in die Wohnung, auf die er gespart und die er sich zusammen mit seiner Frau gekauft habe, in der er mit seinen Kindern wohnen wolle, ihr erstes eigenes, gemeinsames Heim. Auf einmal wurde das Zimmer leer, grau und unbelebt, und ich begriff, dass der Ort, an dem wir standen, Simons Zuhause war. Ich hatte das Falsche gesagt. Er sah mich an, und ich wusste, dass ich einen Fehler gemacht hatte.
Er nahm die Banane, und sie verwandelte sich in einen Revolver.
»Das ist mein Zuhause.« Dann drückte er ab.
Als ich aufwachte, dröhnten mir die Worte noch in den Ohren. Mein Herz klopfte, Adam lag jetzt neben mir, der Wecker zeigte vier Uhr früh. Ich setzte mich auf, schweißüberströmt von meinem Traum, voller Angst, als ich mich erinnerte, was geschehen war. Hastig griff ich nach dem Notizblock, der neben dem Bett lag, und schrieb darauf: Musste weg. Erklärung folgt. Bis später.
Ich zögerte, ob ich ein »Kuss« hinzufügen sollte, entschied mich aber dagegen. Ich wollte nicht zu anhänglich oder gar aufdringlich wirken. Inzwischen hatte ich genug Zeit verplempert, also dachte ich nicht weiter nach, denn ich war ja hoffentlich zurück, wenn Adam erwachte. Leise kroch ich aus dem Bett, zog mich an, und kurz darauf stand ich an der Rezeption und wartete auf ein Taxi. Zwanzig Minuten später war ich im Krankenhaus.
Ich stürmte auf die Station, und anscheinend sahen die Sicherheitsleute meinem Gesicht an, dass es besser war, mich durchzulassen. Zum Glück hatte Angela Nachtdienst.
»Christine, was ist los?«
»Es war meine Schuld!«, rief ich und hatte sofort Tränen in den Augen.
»Es war nicht Ihre Schuld, das hab ich Ihnen doch gesagt.«
»Ich muss es ihm sagen, ich kann mich wieder erinnern. Ich muss ihm sagen, dass es mir leidtut.« Ich versuchte mich an Angela vorbeizudrängen, aber sie hielt mich zurück.
»Sie gehen nirgendwohin, bis Sie sich wieder beruhigt haben, hören Sie?« Ihre Stimme war fest. Eine Schwester kam aus dem Stationszimmer, um zu sehen, was los war, und da ich keine Szene wollte, nahm ich mich zusammen.
Dann saß ich an Simons Bett. Während ich in Tipperary gewesen war, hatte man die Herz-Lungen-Maschine abgestellt, aber er lag noch immer auf der Intensivstation. Er atmete selbständig, aber seine Augen waren immer noch geschlossen, und er hatte das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Meine Hände zitterten, während die Worte, die ich in jener Nacht zu ihm gesagt und danach vergessen oder irgendwie verdrängt hatte, in meinem Kopf widerhallten, mich verhöhnten, beschuldigten, vorwurfsvoll mit dem Finger auf mich zeigten.
»Simon, ich bin hier, um mich zu entschuldigen. Mir ist wieder eingefallen, was ich gesagt habe. Wahrscheinlich wussten Sie es die ganze Zeit und wollten es mir ins Gesicht schreien, aber jetzt weiß ich es endlich selbst.« Ich schniefte. »Sie hatten den Revolver weggelegt und mich die Polizei rufen lassen. Sie haben anders ausgesehen, befreit, und ich war so erleichtert, so glücklich, dass ich Sie überzeugt hatte, aber dann wusste ich auf einmal nicht mehr weiter. Wahrscheinlich waren es grade mal fünf Sekunden, aber es kam mir ewig vor, und ich hatte schreckliche Angst, Sie würden den Revolver wieder in die Hand nehmen.« Ich kniff die Augen zu, die Tränen liefen mir über die Wangen, und ich versetzte mich zurück in das Zimmer, in dem ich vor über einem Monat gewesen war. »›Sehr gut, Simon‹«, wiederholte ich. »›Die Polizisten sind unterwegs und werden Sie nach Hause bringen, zu Ihrer Frau und Ihren Mädchen.‹ Und dann hat sich Ihr Gesicht auf einmal verändert. Wegen dem, was ich gesagt habe, richtig? Nach Hause habe ich gesagt, gehen Sie nach Hause, dabei haben Sie mir doch die ganze Zeit erklärt, dass Sie in dieser Wohnung zu Hause sind, in der Wohnung, die Sie verlassen mussten. Ich hab Ihnen zugehört, Simon, ich habe Sie genau verstanden. Aber am Schluss bin ich … einfach ins Stolpern geraten. Ich hab einen Fehler gemacht, und das tut mir sehr leid.«
Am liebsten hätte ich seine Hand genommen, hatte aber das Gefühl, das wäre übergriffig. Ich gehörte nicht zu seinen Freunden, seiner Familie, ich war nur die Frau, die es nicht geschafft hatte, ihn vor sich selbst zu retten.
»Es wäre nicht richtig und außerdem total egoistisch von mir anzudeuten, dass es für das, was Sie getan haben, einen Grund gab und dass daraus irgendetwas Gutes erwachsen könnte, aber als ich bei Ihnen versagt habe, habe ich so verzweifelt versucht, den gleichen Fehler nicht noch einmal zu machen, dass ich meinen Einsatz immens gesteigert und viel, viel mehr getan habe, um einem anderen Mann das Leben zu retten. Und wenn ich bei Ihnen nicht versagt hätte, wäre ich vielleicht bei ihm nicht erfolgreich gewesen. Ich möchte nur, dass Sie das wissen.« Ich dachte an Adam, die Nacht, die wir zusammen verbracht hatten, und lächelte.
Eine Weile blieb ich schweigend bei Simon sitzen. Dann begann auf einmal eine Maschine neben dem Bett laut zu piepen. Erst war ich starr vor Schreck, dann sprang ich endlich auf, und im gleichen Moment kam Angela ins Zimmer gestürzt.
»Ich hab nur mit ihm geredet«, rief ich panisch. »Was hab ich getan?«
»Gar nichts«, erwiderte Angela, rannte zur Tür, gab einer anderen Schwester eine Reihe rapider Anweisungen und kam dann zu mir zurück. »Sie haben gar nichts getan. Hören Sie auf, sich die Schuld zu geben. Ich bin froh, dass Sie bei ihm waren. Aber jetzt sollten Sie gehen.«
Hektische Betriebsamkeit breitete sich aus, und ich verließ das Zimmer.
In dieser Nacht wurde Simon Conway für tot erklärt.