5 Wie man die nächste Ebene einer Beziehung erreicht

»Was zum Teufel haben Sie denn da gemacht?«, knurrte Detective Maguire und rückte mir bedrohlich auf die Pelle.

»Ich hab nur versucht zu helfen.«

»Woher kennen Sie den denn jetzt?« Damit meinte er den auch noch.

»Ich kenne ihn überhaupt nicht.«

»Wie kam es denn dann zu dieser Situation?«

»Ich bin zufällig vorbeigekommen und habe gesehen, dass er in Schwierigkeiten ist. Und weil ich Angst hatte, dass Sie womöglich nicht rechtzeitig eintreffen, dachte ich, vielleicht sollte ich mal mit ihm reden.«

»Weil es beim ersten Mal so gut geklappt hat«, meinte Maguire höhnisch, bereute seine Bemerkung aber anscheinend sofort. »Im Ernst, Christine – erwarten Sie von mir, dass ich diese Geschichte glaube? Sie sind einfach vorbeigekommen? Zweimal in einem Monat? Soll ich glauben, dass das ein Zufall war? Wenn Sie vorhaben, sich als weiblicher Batman aufzuspielen …«

»Das tu ich nicht«, unterbrach ich ihn. »Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort. Und ich dachte, ich könnte helfen.« Allmählich ärgerte ich mich darüber, wie er mich behandelte. »Und das hab ich auch geschafft, oder etwa nicht? Ich hab ihn dazu gekriegt, wieder auf die Brücke zurückzuklettern.«

»So ungefähr«, brummte er, während er nervös vor mir auf und ab ging.

Ich sah, dass Adam mich besorgt beobachtete, und schenkte ihm ein mattes Lächeln.

»Ich finde das nicht lustig.«

»Ich lache ja auch nicht.«

Maguire musterte mich und überlegte offensichtlich, was er mit mir machen sollte. »Sie können mir die Geschichte von Anfang bis Ende auf dem Revier erzählen.«

»Aber ich habe nichts Falsches getan!«

»Sie sind ja auch nicht verhaftet, Christine, ich muss nur einen Bericht schreiben.« Damit drehte er sich um und erwartete offensichtlich, dass ich ihm zum Wagen folgte.

»Sie muss doch nicht auch noch mitkommen, oder?«, mischte Adam sich ein, obwohl er offensichtlich auch am Ende seiner Kraft war.

»Machen Sie sich darum mal keine Sorgen.« Für Adam nahm Maguires Stimme einen viel sanfteren Ton an, von dessen Existenz ich nichts gewusst hatte.

»Ehrlich, mir geht’s gut«, protestierte Adam, als Maguire ihn zum Auto brachte. »Ich bin einen Moment durchgedreht, aber jetzt ist alles wieder gut. Ich möchte nur nach Hause.«

Maguire murmelte aufmunternde Worte, begleitete ihn aber trotzdem zum Auto, ohne auf seine Wünsche einzugehen, und er stieg ein. Ich wurde in einem anderen Wagen zur Pearse Street Station gefahren, wo ich meine Geschichte noch einmal erzählen musste. Maguire hatte offensichtlich weiterhin Zweifel an meiner Geschichte; er spürte, dass ich ihm nicht alles erzählte. Aber ich konnte ihm nicht erklären, was ich wirklich auf der Brücke und in der verlassenen Wohnsiedlung gesucht hatte. Und ich verriet es auch nicht der netten Dame, die nach ihm ins Zimmer kam, um ebenfalls mit mir über mein Erlebnis zu sprechen.

Nach einer Stunde verkündete Detective Maguire, dass ich gehen konnte.

»Und was ist mit Adam?«

»Um den brauchen Sie sich nicht mehr zu kümmern.«

»Aber wo ist er denn?«

»Eine Psychologin macht ein paar Tests mit ihm.«

»Und wann kann ich ihn sehen?«

»Christine!«, sagte er warnend, und es war klar, dass er mich vor allem loswerden wollte. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen sich nicht so reinziehen lassen? Draußen steht ein Taxi. Fahren Sie nach Hause. Schlafen Sie eine Runde. Und versuchen Sie, keinen Ärger zu machen.«

Als ich die Polizeistation verließ, war es Mitternacht, Sonntag, die Kälte ging mir durch Mark und Bein, außer ein paar Taxis war fast kein Verkehr auf der Straße, und vor mir erhob sich dunkel und leer das allsehende Trinity College. Ich weiß nicht, wie lange ich dastand und alles zu begreifen versuchte. Der Schock setzte erst richtig ein, als die Tür sich hinter mir öffnete, und ich Maguires Anwesenheit spürte, noch ehe ich seine Stimme hörte.

»Sie sind ja immer noch da.«

Da ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte, sah ich ihn nur stumm an.

»Er hat nach Ihnen gefragt.«

Mir wurde warm ums Herz.

»Er übernachtet außerhalb. Darf ich ihm Ihre Nummer geben?«

Ich nickte.

»Steigen Sie ins Taxi, Christine«, sagte Maguire abschließend und warf mir einen so drohenden Blick zu, dass ich mich schnell in das Taxi setzte, das an der Ecke auf mich wartete.

So kam ich schließlich wieder nach Hause.

Natürlich schlief ich nicht, sondern saß neben meiner Kaffeemaschine, die mir Gesellschaft leistete, starrte das Telefon an und fragte mich, ob Adam von Detective Maguire die richtige Telefonnummer bekommen hatte. Gegen sieben Uhr früh, als ich wieder mehr Autos auf der Straße vorbeifahren hörte, döste ich ein. Fünfzehn Minuten später klingelte mein Wecker, und ich musste zur Arbeit. Der ganze Tag verstrich, ohne dass Adam anrief, aber als ich um sechs Uhr abends meinen Computer ausschaltete, klingelte mein Handy.

 

 

Wir vereinbarten, uns an der Ha’penny Bridge zu treffen, was zu diesem Zeitpunkt angemessen erschien, da die Brücke das Einzige war, was uns verband, aber als wir vierundzwanzig Stunden nach dem Vorfall dort eintrafen, erschien es mir irgendwie unpassend. Er stand nicht auf der Brücke, sondern daneben auf dem Bachelor’s Walk und schaute ins Wasser hinunter. Ich hätte alles darum gegeben zu erfahren, was ihm durch den Kopf ging.

»Hallo, Adam.«

Als er meine Stimme hörte, drehte er sich um. Er trug den gleichen schwarzen Dufflecoat und die gleiche schwarze Wollmütze wie gestern, seine Hände steckten tief in den Taschen.

»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich.

»Ja, klar«, antwortete er, klang aber ziemlich verstört. »Mir geht’s gut.«

»Wo hast du denn gestern die Nacht verbracht?«

»Erst musste ich auf dem Revier ein paar Fragen beantworten, dann hat man mich zur psychologischen Begutachtung ins St. John of God gebracht. Ich hab den Test mit fliegenden Fahnen bestanden«, scherzte er. »Jedenfalls hab ich dich angerufen, weil ich mich persönlich bedanken wollte.« Er trat von einem Fuß auf den anderen. »Also, danke.«

»Oh, gern geschehen«, antwortete ich etwas linkisch und wusste nicht, ob ich ihm die Hand schütteln oder ihn womöglich umarmen sollte. Aber seiner Körpersprache nach zu urteilen, wollte er vor allem in Ruhe gelassen werden.

Er nickte nur, wandte sich ab und wollte die Straße zur Lower Liffey Street überqueren. Weil er nicht aufpasste, wo er hinging, wäre er um ein Haar überfahren worden, und ein Auto hupte ihn wütend an. Aber er nahm es kaum zur Kenntnis und schlenderte einfach weiter.

»Adam!«

Er drehte sich um. »Das war keine Absicht. Ehrlich.«

Da wusste ich, dass ich ihm folgen musste. Vielleicht hatte man ihm im Krankenhaus geglaubt, aber nach allem, was er durchgemacht hatte, konnte ich ihn unmöglich allein lassen. Hastig drückte ich auf den Knopf an der Fußgängerampel, aber die brauchte viel zu lange, und weil ich Angst hatte, ihn aus den Augen zu verlieren, passte ich eine Lücke im Verkehr ab und rannte über die Straße. Wieder hupte ein Auto, aber ich rannte weiter, um Adam einzuholen, verlangsamte dann aber das Tempo und beschloss, dass ich ihn auch von ferne im Auge behalten konnte. Er bog nach rechts in die Middle Abbey Street, und als er um die Ecke verschwunden war, sprintete ich los, um wieder aufzuschließen. Aber er war verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt, und da um diese Zeit auch keine Geschäfte mehr offen waren, in denen er hätte verschwinden können, suchte ich verzweifelt die dunkle Straße ab. Wenn ich mir doch wenigstens seine Telefonnummer hätte geben lassen!

»Buh!«, sagte er plötzlich und trat aus dem Schatten hervor.

Ich sprang vor Schreck in die Luft. »Himmel, Adam! Willst du, dass ich eine Herzattacke kriege?«

Er sah mich amüsiert an. »Hör auf, dein Detektivtalent an mir auszuprobieren.«

Ich spürte, wie ich rot wurde, was man im Dunkeln zum Glück nicht sah. »Ich wollte nur sichergehen, dass mit dir alles in Ordnung ist, ich wollte nicht aufdringlich sein.«

»Ich hab dir doch gesagt, es geht mir gut.«

»Das kann ich mir aber nicht vorstellen.«

Er sah weg, blinzelte mehrmals, und seine Augen füllten sich wieder mit Tränen. Ich sah sie im Schein der Straßenlaternen glitzern.

»Ich muss wissen, dass mit dir alles okay ist, ich kann dich nicht einfach alleine lassen. Suchst du dir irgendwo Hilfe?«, fragte ich.

»Und wie soll das ganze Reden, auf das die Leute so scharf sind, irgendetwas besser machen? Das ändert doch nichts an dem, was los ist.«

»Und was ist los?«

Er ging weiter.

»Okay. Du musst es mir nicht sagen, aber bist du denn wenigstens ein bisschen erleichtert? Dass du nicht gesprungen bist, meine ich.«

»Na klar. Das war ein großer Fehler. Ich bereue, dass ich versucht habe, von der Brücke zu springen.«

Ich lächelte. »Siehst du, das ist doch gut. Eindeutig ein Schritt nach vorn.«

»Ich hätte lieber da raufklettern sollen«, entgegnete er und sah zu der sechzehnstöckigen Liberty Hall empor, dem höchsten Gebäude im Zentrum von Dublin.

»Wann hast du eigentlich Geburtstag?«, fragte ich, weil mir unsere Abmachung einfiel.

Er lachte. Er lachte tatsächlich.

»Wo gehen wir überhaupt hin?«, fragte ich und rannte ihm nach. Er ging die O’Connell Street hinauf. Meine Hände und Füße waren inzwischen taub vor Kälte, deshalb hoffte ich, dass wir es nicht mehr weit hatten. Doch er schien einfach ziellos durch die Gegend zu wandern, und ich überlegte, ob er jetzt vielleicht vorhatte zu erfrieren.

»Ich wohne im Gresham Hotel.« Er sah zum spitzen Spire-Monument hinüber. »Vielleicht hätte ich einen Fallschirmabsprung machen und da oben landen sollen. Die Spitze hätte mir glatt den Magen durchbohrt. Oder besser noch das Herz.«

»Okay, langsam fange ich an, deinen Humor zu verstehen. Und ich finde ihn ehrlich gesagt ein bisschen krank.«

»Zum Glück war man in der Klinik nicht dieser Ansicht.«

»Wie bist du denn da wieder rausgekommen?«

»Ich hab sie alle mit meinem jungenhaften Charme um den Finger gewickelt«, antwortete er trocken.

»Du hast sie also angelogen«, warf ich ihm vor, und er zuckte die Achseln.

»Wo wohnst du eigentlich, wenn du nicht im Hotel bist?«

Er zögerte. »Zurzeit? In Tipperary.«

»Und du bist eigens nach Dublin gekommen, um …«

»… von der Ha’penny Bridge zu springen?« Er sah mich an, und schon wieder wirkte er amüsiert. »Ihr Dubliner seid so eingebildet – es gibt doch auch anderswo wunderbare Brücken. Nein, ich habe mich hier mit jemandem getroffen.« Inzwischen waren wir beim Gresham Hotel angelangt, und Adam wandte sich mir zu. »Also, danke. Noch mal. Dass du mir das Leben gerettet hast. Soll ich … ich weiß nicht, soll ich dich jetzt küssen oder umarmen oder was? Ah, ich hab’s.« Er streckte die Hand in die Luft, und ich verdrehte die Augen, bevor ich ihn abklatschte.

Und dann fiel mir wirklich nichts mehr zu sagen ein. Viel Glück? Schönes Leben noch? Offenbar hatte auch er keine gute Idee, denn er machte weiter mit seinen sarkastischen Bemerkungen.

»Ich sollte dir wahrscheinlich einen goldenen Stern verleihen oder so«, meinte er. »Vielleicht einen Orden.«

»Ich möchte dich im Moment echt nicht alleine lassen.«

»In zwei Wochen hab ich Geburtstag. Da kann sich nicht viel verändern, in zwei Wochen, aber ich bin trotzdem dankbar, dass du mich angelogen hast.«

»Wir können es schaffen«, entgegnete ich zuversichtlicher, als ich mich fühlte. Zwei Wochen? Ich hatte auf ein ganzes Jahr gehofft, aber wenn das alles war, was ich kriegen konnte, würde ich das Beste daraus machen. »Dann nehme ich eben meinen Urlaub, und wir treffen uns jeden Tag. Das funktioniert definitiv«, meinte ich optimistisch.

Schon wieder dieses amüsierte Lächeln. »Jetzt wäre ich aber wirklich lieber allein.«

»Damit du dich umbringen kannst.«

»Wäre es möglich, dass du etwas leiser redest?«, zischte er, als im gleichen Moment ein Pärchen an uns vorbeiging und uns argwöhnisch beäugte. »Noch mal danke«, fügte er mit nachlassender Begeisterung hinzu, ließ mich auf dem Gehweg stehen und verschwand durch die Drehtüren des Hotels. Ich ließ ihn durch die Lobby gehen, dann folgte ich ihm. So leicht würde ich mich nicht abschütteln lassen. Inzwischen war er in den Aufzug gestiegen, und im allerletzten Moment, bevor die Türen sich schlossen, rannte ich los und stürzte ebenfalls in die Kabine. Mit ausdruckslosem Gesicht sah er mich an. Dann drückte er auf den Knopf.

Wir fuhren ganz nach oben, zum Penthouse, zur sogenannten Grace-Kelly-Suite. Im Wohnzimmer duftete es nach Blumen, und durch die Schlafzimmertür konnte ich sehen, dass das Bett mit Rosenblättern bestreut war und am Fußende eine Flasche Champagner in einem silbernen Kühler und zwei Sektflöten warteten.

Adam warf einen kurzen Blick zum Bett und wandte sich so hastig ab, als täte ihm der bloße Anblick weh. Dann ging er geradewegs zum Schreibtisch und nahm ein Blatt Papier in die Hand.

»Ist das der Abschiedsbrief, den du vor deinem Selbstmordversuch geschrieben hast?«, fragte ich und blieb ihm dicht auf den Fersen.

Er zuckte zusammen. »Musst du unbedingt dieses Wort benutzen?«

»Was wäre dir denn lieber?«

»Wie wäre es mit ›Tschüs Adam, war nett, dich kennengelernt zu haben‹?« Er ließ seinen Mantel von den Schultern rutschen, zog die Mütze vom Kopf und warf sie achtlos von sich, so dass sie mit knapper Not das Feuer verfehlte, das in dem Marmorkamin glomm. Dann ließ er sich müde auf die Couch sinken.

Verdutzt betrachtete ich den dichten blonden Wuschelkopf, der unter der Wollmütze zum Vorschein gekommen war und den ich überhaupt nicht erwartet hatte.

»Was ist?«, fragte Adam, als er merkte, dass ich ihn anstarrte.

Ich setzte mich auf die Couch ihm gegenüber, zog Jacke und Handschuhe aus und hoffte, das Feuer würde mich rasch wieder auftauen. »Darf ich den Brief lesen?«

»Nein.« Er drückte das Blatt an die Brust und faltete es dann schnell zusammen.

»Warum zerreißt du ihn nicht?«

Er stopfte das Papier in die Hosentasche. »Weil das ein Souvenir ist. Eine Erinnerung an meine Reise nach Dublin.«

»Du bist nicht besonders witzig.«

»Tja, noch etwas auf der langen Liste der Dinge, in denen ich nicht gut bin.«

Ich warf einen fragenden Blick zu dem Arrangement im Schlafzimmer. »Hast du heute Nacht jemanden hier erwartet?«

»Na klar, ich organisiere immer Champagner und Rosen für hübsche Frauen, die mich überreden, nicht von der Brücke zu springen.«

Auch wenn es nicht richtig war, freute ich mich trotzdem darüber, dass er mich hübsch genannt hatte. »Nein, das muss ja gestern gewesen sein«, sagte ich und beobachtete ihn ganz genau. Trotz seiner Witze und seiner zur Schau gestellten Selbstsicherheit war er reichlich unruhig. Vermutlich waren die Sprüche das Einzige, was ihn davor schützte, an Ort und Stelle die Fassung zu verlieren.

Er stand hastig auf, ging zum Fernseher und öffnete den Schrank darunter. Zum Vorschein kam eine Minibar.

»Ich glaube, Alkohol ist keine gute Idee.«

»Vielleicht hole ich mir ja bloß eine Cola.« Er sah mich beleidigt an, und ich bekam prompt ein schlechtes Gewissen. Aber er griff nach einem Jack Daniels und warf mir einen frechen Blick zu, als er ihn zur Couch brachte.

Kommentarlos sah ich zu, wie er den Whisky in ein Glas goss. Seine Hände zitterten. Ich saß da und beobachtete ihn eine Weile, aber dann hielt ich es nicht mehr aus und holte mir auch einen Whisky, mischte ihn aber mit Lemon. Ich hatte einen Deal mit einem potentiellen Selbstmörder geschlossen, ich war ihm in sein Hotelzimmer gefolgt, warum sollte ich mich dann nicht auch noch mit ihm betrinken? Falls es ein Regelwerk für moralische Integrität und verantwortungsbewusstes staatsbürgerliches Handeln gab, hatte ich es ohnehin schon mit Füßen getreten. Außerdem war ich halb erfroren und brauchte etwas, um wieder aufzutauen. Ich trank einen Schluck, der sich bis zu meinem Magen durchbrannte, und das fühlte sich sehr gut an.

»Meine Freundin«, verkündete Adam plötzlich und unterbrach meine Grübelei.

»Was ist mit ihr?«

»Die habe ich erwartet. Ich bin nach Dublin gekommen, um sie zu überraschen. In letzter Zeit hat sie mir immer wieder gesagt, ich würde ihr nicht genug Aufmerksamkeit schenken. Ich wäre irgendwie nicht richtig da oder so, wenn wir zusammen sind.« Er rieb sich ausführlich das Gesicht. »Sie meinte, wir hätten Probleme. Ich würde die Beziehung gefährden, so hat sie es ausgedrückt.«

»Dann bist du also nach Dublin gekommen, um deine Beziehung zu retten«, sagte ich, froh, endlich etwas von ihm zu erfahren. »Und was ist dann passiert?«

»Sie war mit einem anderen im Milanos«, antwortete er, und sein Kiefer wurde hart. »Mir hatte sie gesagt, sie geht mit ihren Freundinnen dahin. Wir wohnen in einem Apartment an den Quays. Die letzten Wochen war ich zwar in Tipperary … jedenfalls war sie nicht mit den Mädels im Milanos«, schloss er bitter und starrte in sein Glas.

»Und woher weißt du, dass deine Freundin mit diesem Mann nicht einfach befreundet ist?«

»Oh, die beiden sind befreundet. Ich habe sie miteinander bekanntgemacht. Er ist mein bester Freund, Sean. Sie haben auf dem Tisch Händchen gehalten. Mich haben sie nicht mal reinkommen sehen. Sie hat mich nicht erwartet, ich sollte ja noch in Tipperary sein. Da hab ich die beiden zur Rede gestellt, und sie haben es nicht abgestritten.« Er zuckte die Achseln.

»Was hast du da gemacht?«

»Was hätte ich denn machen sollen? Ich bin rausgegangen wie der komplette Vollidiot.«

»Du wolltest Sean nicht schlagen?«

»Nein.« Resigniert lehnte er sich zurück. »Ich wusste, was ich tun musste.«

»Einen Selbstmordversuch machen?«

»Hörst du endlich mal auf, dieses Wort zu benutzen?«

Ich schwieg.

»Was hätte es denn gebracht, wenn ich ihn verprügelt hätte? Oder eine Szene provoziert? Mich noch mehr zum Affen gemacht?«

»Vielleicht wärst du nicht mehr ganz so geladen gewesen.«

»Gewalt ist also plötzlich erstrebenswert?« Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich mich mit ihm geprügelt hätte, dann hättest du mich wahrscheinlich gefragt, warum ich nicht einen Spaziergang gemacht habe, um runterzukommen.«

»Deinem Freund eine zu scheuern, wenn er dir die Freundin wegnimmt, ist in jedem Fall besser als Selbstmord.«

»Würdest du mir jetzt endlich dieses Wort ersparen?«, knurrte er. »Herrgott nochmal.«

»Aber das ist es, was du versucht hast, Adam.«

»Und ich werde es wieder tun, wenn du deine Seite der Abmachung nicht einhältst«, brüllte er.

Seine Wut traf mich völlig unvorbereitet. Er stand auf und ging zur Balkontür, aus der man auf die O’Connell Street und die Dächer im Norden von Dublin sah.

Ich war sicher, dass zu Adams Geschichte noch weit mehr gehörte, als dass er sein Leben beenden wollte, weil seine Freundin ihn betrog. Wahrscheinlich war das für seine bekümmerte Seele der Auslöser gewesen. Aber ich hatte das Gefühl, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, um nachzubohren. Er war wieder dabei, sich zu verkrampfen, wir waren beide müde und brauchten dringend Schlaf.

Offenbar war Adam der gleichen Meinung. Ohne sich zu mir umzudrehen, sagte er: »Du kannst im Schlafzimmer übernachten. Ich nehme die Couch.« Als ich nicht antwortete, wandte er sich zu mir um: »Ich gehe doch recht in der Annahme, dass du hierbleiben möchtest.«

»Wenn es dich nicht allzu sehr stört.«

Er dachte einen Moment nach. »Ich glaube, es wäre eine gute Idee.« Dann drehte er sich wieder zum Fenster und schaute über die Stadt.

Mir fielen eine Menge Dinge ein, die ich ihm zum Abschluss des Tages hätte sagen können, positive, ermutigende Dinge. Ich hatte genügend Ratgeber gelesen, da gab es solche Sätze wie Sand am Meer, aber keiner davon schien mir passend. Wenn ich Adam ernsthaft helfen wollte, war es nicht nur wichtig, was ich ihm sagte, sondern vor allem auch, wann.

»Gute Nacht«, sagte ich deshalb nur. Da es mir aber nicht gefiel, dass er Zugang zu einem Balkon hatte, ließ ich die Tür halb offen. Durch den Spalt beobachtete ich, wie er seinen Pullover auszog. Darunter kam ein enganliegendes T-Shirt zum Vorschein, und ich konnte es mir nicht verkneifen, ein bisschen länger als nötig hinzuschauen, während ich mir einredete, dass ich es nur seiner Sicherheit zuliebe tat – falls er sich mit seinem Pulli erwürgen wollte. Er setzte sich auf die Couch und wollte die Füße hochlegen, aber weil er zu groß war, musste er sie auf die Lehne platzieren. Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich im Bett schlafen durfte. Gerade als ich es ansprechen wollte, kam er mir zuvor.

»Na, gefällt dir die Show?«, fragte er, die Augen geschlossen, die Arme unter dem Kopf.

Ich verdrehte die Augen, bekam aber einen roten Kopf und entfernte mich hastig von der Tür.

Dann saß ich auf dem Himmelbett, die Gläser klirrten neben mir, das geschmolzene Eis aus dem Kühler schwappte über aufs Bett. Ich stellte den Kübel auf den Schreibtisch. Als ich nach einer der lippenförmigen Pralinen griff, die auf dem Bett verteilt waren, fiel mein Blick auf die Karte. »Für meine wunderschöne Verlobte. In Liebe, Adam.« Er war also nach Dublin gekommen, um ihr einen Heiratsantrag zu machen. Aber ich war sicher, dass ich bisher bestenfalls die Oberfläche der ganzen Geschichte kannte, und nahm mir vor, den Abschiedsbrief in die Hände zu bekommen.

Eigentlich hatte ich geglaubt, die Nacht, in der ich zugesehen hatte, wie Simon Conway sich in den Kopf schoss, und die Nacht, in der ich meinen Mann verließ, und auch die Nächte danach wären die längsten meines Lebens gewesen. Aber da hatte ich mich wohl geirrt.